13

 

 

Staub verstopfte mir die Nasenlöcher, blendete mich und scheuerte mir die Haut vom Gesicht. Ich stürzte Hals über Kopf in die unergründliche Tiefe.

Langsam drängte sich mir der Gedanke auf, daß dieser gewaltige Erdspalt tatsächlich bis zum Mittelpunkt des Planeten führte, wo die Feuergeister die Dämonen der Flamme anbeten und Imphlor'tain Flüsse aus geschmolzenem Blei ausgießt, die Kregens sicheren Kurs zwischen den Sternen gewährleisten; Sterne, deren Anblick ihm auf ewig verweigert bleibt.

Schließlich wurden die Staubmassen dünner, und ich sah mit tränenden Augen über die düstere Röte hinaus, auf die ich zuraste. Die paar Atemzüge staubfreier Luft waren eine Wohltat. Mit der Erleichterung kam neue Sorge, als der unverwechselbare, mit einem unbekannten, beißenden Geruch durchsetzte Schwefelgestank aufkam, mit Teer und Pech vermischt, und mir die ungeheure Gefahr meiner Situation vor Augen führte.

Dort unten brodelte vermutlich ein See aus kochendem Pech. Selbst wenn ich in einem aus klarem Wasser bestehenden See landen sollte, von denen es in der Tiefe der Erde nur so wimmelt, wäre es um mich geschehen. Mit der Fallgeschwindigkeit, die ich bereits erreicht hatte, bräche ich mir jeden Knochen im Leib.

Es sollte ein wildes Brüllen werden, das ich da von mir gab, doch heraus kam eine leise, belegte Stimme. »Herren der Sterne! Everoinye!«

Möge Opaz dafür sorgen, daß sie mich erhören! dachte ich im stillen. »Herren der Sterne! Holt mich hier heraus! Setzt mich bei den Numim-Zwillingen ab, damit ich meinen Auftrag erfüllen kann!«

Es kam keine Antwort. Ich stürzte weiter hilflos auf das rote Glühen zu.

Nun, sollte dies das Ende sein, dann war es das eben.

Soviel zu den grandiosen Plänen der Herren der Sterne, die mich zum Herrscher aller Herrscher, zum Herrscher von ganz Paz machen wollten!

Wenn ich als blutige Pfütze endete, hatten sie Pech gehabt.

Etwas Weiches streifte mein Gesicht. Ein Faden wie aus Spinnenseide spannte sich unter meiner Nase und riß. Dann kam ich mit dem nächsten Faden in Berührung, mit dem übernächsten. Ich hörte auf, wie wild mit Armen und Beinen zu rudern, und breitete sie statt dessen aus.

Ich wußte nicht, ob dies nun das Werk der Everoinye war oder nicht. Wie es ihre Art war, würden sie es mir auch nicht verraten, bis der Zeitpunkt gekommen wäre, an dem sie mich damit auf meinen Platz verweisen konnten.

Die Fäden wurden dicker. Einzeln waren sie nur schwer auszumachen, doch im Bündel erkannte ich sie. Ich fiel durch eine immer dichter werdende Masse von feingesponnenen Fäden und ließ sie dabei hinter mir zurück wie ein Samenkorn sein Gespinst. Nahm meine Geschwindigkeit ab?

Während meines Sturzes mußte es zu weiteren Beben gekommen sein. Von einer der Wände, die ich in dem düsterroten Licht ausmachen konnte, lösten sich Steine, die an meinem Ohr vorbeisausten. Sie überholten mich mit einer viel größeren Geschwindigkeit, als ich sie hatte. Mein verrückter Sturz schien langsamer zu werden, und zwar von diesen in der Luft befindlichen, sich zusammenballenden Fäden, die wie ein Fallschirm wirkten. Eingehüllt in eine weiche Wolke, fiel ich weiter. Ich hoffte nur, daß sie sich bei meiner Landung nicht in ein Leichentuch verwandeln würde.

Der blutige Schein in der Tiefe verlagerte sich. Ich fiel langsamer, und die seidenen Fäden in meinem Schlepptau ließen mich vermutlich wie einen Komet aussehen. Das rote Licht kam aus einem brodelnden Lavasee, und die Hitze erwärmte die unterirdische Luft. Die Spinnenseide ballte sich unter meinem Körper zusammen. Ich bereitete mich auf den schrecklichen Aufprall vor.

Ich landete in einer aufgetürmten, nachgiebigen Masse, und zwar auf dem Rücken. Es war eine seltsame Erfahrung, wie der von allem losgelöste Fall in einem Traum. Ich war am ganzen Körper voller Fäden und tauchte in sie ein. Sofort ruderte ich wie wild mit Armen und Beinen, um wieder nach oben zu gelangen. In dieser Masse hätte man ersticken können, bei Krun!

Die Kombination aus abschüssiger Bewegung und meinen Bemühungen führte dazu, daß ich durch die Masse schräg weiterrutschte.

Schließlich landete ich atemlos, keuchend und ununterbrochen damit beschäftigt, klebrige Fäden aus dem Gesicht zu entfernen, auf einem moosbewachsenen Abhang.

Ich taumelte auf die Beine. Die Luft war von einem roten Glühen erfüllt. Die hoch aufgetürmte Spinnenseide befand sich genau zwischen mir und dem Feuersee.

»Opaz sei Dank!« sagte ich, und zur Herrelldrinischen Hölle mit der durch nichts gerechtfertigten Vorstellung, daß mich die Everoinye gerettet hatten.

Soweit ich von dem Seidenturm und dem Feuersee aus sehen konnte, ging es am Rand der Felswände noch weiter in die Tiefe. Sie spiegelten das rote Glühen wider. Das Moos unter meinen Füßen hatte eine kränkliche, grauweiße Färbung und fühlte sich ganz angenehm an.

Mir blieb nur eines übrig. Ich setzte mich in Bewegung und marschierte auf der Suche nach dem Weg nach oben energisch am Rand des Abgrunds vorbei.

Plötzlich versperrte mir eine unheimliche, blaue Feuersäule den Weg. Ich blieb stehen. Das Blau flackerte, verzerrte sich, wechselte die Form, erlosch beinahe und verfestigte sich dann wieder.

Ich verspürte neue Hoffnung.

Das mußte einer der freundlichen Zauberer aus Loh sein – vielleicht auch eine der Hexen –, die gekommen waren, um mich zu retten!

Die Instabilität der Erscheinung brachte mich zu der Überzeugung, daß es sich weder um Deb-Lu, Khe-Hi noch um Ling-Li handelte. Nein, das konnte nur unser Zauberlehrling Rollo sein. Der gute alte Rollo! Eines schönen Tages würde er die magische Kunst, sich ins Lupu zu versetzen und Leute aus großen Entfernungen zu beobachten, bestimmt meistern. Ich wartete mit einer gewissen Ungeduld darauf, daß die Gestalt des Zauberers sich voll ausbildete.

Ein Gesicht schälte sich aus dem Blau, verschwand, und kehrte zurück. Das war keiner meiner Freunde!

Die Augen waren geschlossen. Die Nase war spitz, der Mund schmal, und äußerste Konzentration sorgte für tiefe Falten auf der Stirn. Das hier war zweifellos ein Zauberer aus Loh, dessen Kräfte noch nicht voll entwickelt waren. Ich hatte keinen Zweifel, daß es ein Zauberer aus Loh war, und das nicht nur wegen des roten Haars, das zerzaust unter dem Mützenrand hervorlugte.

Er öffnete die Augen.

Er blickte sich um, registrierte das rote Licht, die Höhle, die riesige Masse Spinnenseide – und dann mich. Ein Ausdruck tiefen Entsetzens huschte über die körperlosen Gesichtszüge.

Der schmale Mund öffnete sich und formte deutlich sichtbar Worte, aber sie waren nicht zu hören. Er hatte noch nicht die Kunst erlernt, im Zustand des Lupu zu sprechen. »Wer bist du, San?« fragte ich.

Seine Reaktion verriet, daß er mich nicht hören konnte. Er blickte mit weitaufgerissenen Augen wild um sich und schüttelte den Kopf.

Dann verschwand er.

»Nun«, sagte ich, »auch dir schlechtes Cess, Dom.«

Ich setzte mich wieder in Bewegung und marschierte tapfer von Höhle zu Höhle. Dabei rechnete ich jede Sekunde damit, den Schöpfern der Seidenfäden zu begegnen. Zweifellos waren es Spinnen, vermutlich riesige Spinnen, die bestimmt nur aus Beinen, Fangzähnen und Augen auf Stielen bestanden. Und hier stand ich, der angeblich so mächtige Dray Prescot, der, nur mit einem braunem Lendenschurz bekleidet – das gelbe Gewand hatte ich schon vor langer Zeit verloren –, nicht einmal eine Waffe sein eigen nennen konnte.

Das Licht von dem Feuersee verblaßte langsam und wurde schließlich von dem allgegenwärtigen Glühen der Flechten ersetzt, mit denen die Wände bewachsen waren. Dimpy hatte mir von diesem Phänomen berichtet, und ich war hocherfreut, daß es mir zur Verfügung stand. Ja, es stimmt, daß die Herren der Sterne meine Nachtsicht so verstärkt haben, daß ich erstaunlich gut im Dunklen sehen kann; an einem solchen Ort kann ein wenig Licht geradezu Wunder für die Moral eines Burschen bewirken.

Zweimal sah ich über den Boden huschende Geschöpfe, die in dem Augenblick, da sie meine Anwesenheit wahrnahmen, mit rasender Geschwindigkeit das Weite suchten. Ich ging lautlos weiter.

Wann immer sich die Möglichkeit zur Richtungsänderung bot, ging ich aufwärts. Zwei- oder dreimal geriet ich an eine Sackgasse und mußte den Rückzug antreten, aber langsam führte mein Weg an den Erdspalten vorbei zur Oberfläche. Es stellte sich nur die Frage, wie die Oberfläche beschaffen war. Ich konnte in den Gräben herauskommen oder aber im Inneren eines Hügels. Schließlich waren sie durchlöchert wie ein Käse, bei Djan.

Einige der Stollen, die den Fels durchzogen, waren schmal, verdammt schmal, bei Krun, und gelegentlich mußte ich mich richtig durchquetschen.

Doch davon einmal abgesehen – wer, zum Teufel, war dieser unfähige Zauberer aus Loh gewesen?

Er hatte jemanden ausspionieren wollen. Statt dessen war er auf mich und meine mißliche Lage gestoßen. Was hatte er bloß vor?

Es war völlig sinnlos, darauf zu hoffen, daß Deb-Lu oder ein anderer meiner Zauberergefährten mir einen Besuch abstatteten. Sie waren ununterbrochen beschäftigt, und der Tag hatte für sie nicht genügend Burs, um all das zu tun, was ihrer Meinung nach erledigt werden mußte. Wir konnten uns glücklich schätzen, daß sie unsere Kameraden waren und uns von Zeit zu Zeit zu helfen geruhten.

Eine Gestalt schob sich schwerfällig hinter einem großen Felsen hervor.

Ich blieb stehen. Das Ding sah aus wie ein gehäuteter Affe, hatte zwei muskulöse Arme und zwei verkümmerte Beine. Wo sich normalerweise die Augen befinden, hatte es nur weiße Knochenplatten. Biegsame Tentakel wuchsen aus seiner Stirn, wanden sich, suchten, und fanden – und zwar mich.

Seine klauenartigen Hände waren fleißig damit beschäftigt, die Überreste eines kleinen Tieres, das jenen ähnelte, die vor mir die Flucht ergriffen hatten, in ein aufklaffendes und reißzahnbewehrtes Maul zu stopfen. Das arme kleine Tierchen wurde mit einem einzigen heftigen Schlucken hinuntergewürgt. Dann wandte der gehäutete Affe seine Aufmerksamkeit der nächsten Mahlzeit zu.

Er war vielleicht eine Handbreit größer als ich. Er sah muskulös und kräftig aus. Seine Blindheit war hier unten nicht von Bedeutung; sobald er seine Klauen in mich geschlagen hatte, war seine Beute gefangen, das war alles, was er wissen mußte. Ich rührte mich nicht.

Die Stille wurde nur von den schweren Atemzügen des nackten Affen und dem schlurfenden Geräusch seiner nach vorn tastenden Füße unterbrochen. In dem Moment, da er springen würde ...

Er kam mit weit ausgestreckten Armen und zum Töten bereiten Klauen auf mich zu, und ich wich zur Seite. Er folgte meinen Bewegungen. Ich sprang in die andere Richtung, hieb ihm die Faust gegen das Ohr und warf mich dann zu Boden.

Es beeindruckte ihn nicht im geringsten. Als ich auf die Füße sprang und sein Gestank mir den Atem raubte, stürzte er sich wieder auf mich. Diesmal schlug ich fester zu. Er schüttelte den Kopf, zweifellos verblüfft.

Diesmal trat ich ihn dorthin, wo es wirklich weh tat. Ich wollte ihn nicht töten. Schließlich tat er wie ein Skorpion nur das, wozu er geschaffen worden war.

Trotz seiner Blindheit war er verdammt schnell. Also kam ich ihm entgegen, wich den wild rudernden Klauen aus und packte seine Tentakel.

Die ganze Zeit hatte er, von seinen Atemzügen abgesehen, keinen Laut von sich gegeben. Als ich wild zupackte, stieß er ein gequältes, schrilles Wimmern aus.

Ich stemmte mich gegen ihn, riß und zerrte an den Tentakeln und trat ihn mehrmals. Das Kreischen wurde noch schriller und schmerzerfüllter. O ja, bei Vox, er tat mir leid. Ich trat hart zu, hielt die Tentakel mit der linken Hand fest, zwang ihn, den Kopf zu senken, und versetzte ihm mit der Rechten einen schmetternden Schlag aufs Kinn. Er brach in die Knie, und als ich losließ, sackte er zusammen und blieb reglos liegen. Ich starrte ihn ungerührt an. Er würde sich wieder erholen.

Ich lockerte die Schultern und ging weiter.

Als ich endlich die ersten Anzeichen der Zivilisation erreichte, fühlte sich mein Magen an wie die Geldbörse eines fingerlosen Beutelschneiders.

Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als ich die Palisade sah, die den Tunnel versperrte. Der nächste Schritt wäre gewesen, eines der kleinen Geschöpfe zu fangen, die hier in der Tiefe lebten, und den kleinen Burschen zu essen. Ich sah mir die Barrikade an.

Sie war offensichtlich dazu gedacht, Leute davon abzuhalten, sich in die Tiefe zu begeben, aus der ich kam. Als ich genug Bretter heruntergerissen hatte, um durchschlüpfen zu können, verschloß ich das Loch wieder hinter mir. Dann ging ich weiter.

Der Ausgang befand sich nur ein paar Schritte weiter. Das vertraute Dämmerlicht der Gräben erwartete mich. Ich befand mich am Ende einer Gasse; es wurden bereits die ersten Fackeln angezündet. Der Mann, der dieser Aufgabe nachging, starrte mich ungläubig mit offenstehendem Mund an.

»Was? Wo kommst denn du her, Dom?«

»Oh«, sagte ich leichthin, »ich bin zufällig in der Gegend.«

Er hatte die meisten seiner Vorderzähne eingebüßt, weswegen er beim Sprechen nuschelte und spuckte. Er war ein Sklave. Ich entschied, mich als Sklave auszugeben; mit dem braunen Lendenschurz war das kein Problem, dazu bemühte ich mich um einen kriecherischen Gesichtsausdruck und hielt den Kopf gesenkt. Ich war offensichtlich unbewaffnet und hatte kein Geld. Meiner Meinung nach war das der sicherste Weg, einem Überfall oder ähnlichen Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen.

Als ich mich in Bewegung setzte, starrte er noch immer hinter mir her und kratzte sich am Kopf. Einer der kleineren Monde Kregens raste am Abendhimmel vorbei und war nur für kurze Zeit zwischen den Hügeln zu sehen.

Ich blieb stehen und drehte mich um. »Oh, Dom, wo bin ich hier eigentlich?«

»Ravelstanstraße. Sei vorsichtig. Die Gassen-Leems sind heute abend auf der Jagd!«

»Danke, 'beree.«

Er murmelte etwas, und ich ging weiter auf der unbeleuchteten Seite der Ravelstanstraße. Leute waren unterwegs und verfolgten die Absichten, die sie in die Tiefe gelockt hatten. Da traf ich eine andere Entscheidung, diesmal eine wesentlich erfreulichere.

Dimpy wohnte nicht weit von hier, nur ein paar Gräben entfernt. Ich würde dem jungen Draufgänger aus Sicce einen Besuch abstatten. Außerdem war es höchste Zeit, meinem laut protestierenden Magen etwas zukommen zu lassen.

Von irgendwelchem Ärger war nichts zu bemerken. Alles amüsierte sich prächtig. Einige der grelleren Etablissements öffneten für die Nacht, Laternen leuchteten einladend über geschmacklos hergerichteten Säulengängen. Die jungen Adligen von den Hügeln würden anwesend sein und in der Atmosphäre schwelgen, die ihrer törichten Einbildung nach das Höchste an Dekadenz darstellte. Zweifellos würden ein paar von ihnen trotz der Anwesenheit ihrer privaten Leibwache eins über den Schädel bekommen und ausgeraubt werden. Aber das gehörte ebenfalls zu ihrer Vorstellung von Vergnügen.

Aufmerksame Höllenhunde standen an den Kreuzungen, die die Grenze ihres Territoriums markierten. Zweifellos hatten sie gehört, daß die Gassen-Leems auf Ärger aus waren. Als Sklave schlurfte ich an ihnen vorbei, ohne daß sie von mir Notiz nahmen.

Eigentlich hatte ich damit gerechnet, mich nach Dimpys Haus erkundigen zu müssen, doch das war gar nicht nötig.

Es war völlig offensichtlich, was da vor sich ging. Dimpy stand vor der schiefen Tür des Verschlages, den er sein Heim nannte, in der einen Hand einen intakten Braxter, in der anderen einen abgebrochenen Schwertstumpf. Ihm gegenüber drängte sich eine johlende, spottende Gruppe junger Raufbolde, die sich in die richtige Stimmung versetzte, um ihn zu überwältigen. Am Fenster waren die entsetzten Gesichter zweier Mädchen und ihrer Mutter zu sehen, die hilflos auf das Geschehen starrten.