Kapitel 5 - James Tecumseh Logan

 

Als das Telegramm von Judge die Stadt Dead City erreichte, befand sich sein Freund James Tecumseh Logan gerade in seiner Werkstatt.

In dieser seiner eigenen Welt, tüftelte Logan Stunden und Tage vor sich hin, um Verbesserungen an diversen Waffen auszuprobieren oder ganz neue Modelle zu kreieren. Und wenn Logan einmal in seine Arbeit vertieft war, vergaß er vollends die Umwelt um sich herum und wollte dann auch unter keinen Umständen gestört werden.

An diesem Tag erregte das Klopfen an der Werkstatttür Logans ganz besonderen Unmut und so reagierte er erst gar nicht auf das störende Geräusch. Als das penetrant wirkende Klopfen aber nicht aufhören wollte, murmelte Logan schließlich ein lautes »Herein«.

Als sich die Tür erst nach seiner zweiten Aufforderung zaghaft öffnete, sah Logan missmutig auf und bemerkte, wie ein Junge vorsichtig den Raum betrat, in dem Logan emsig wie eine Biene arbeitete.

Der Junge sah sich verstohlen und etwas schüchtern um. Er traute sich erst gar nicht so recht, den Raum zu betreten, war er für  ihn doch so etwas wie ein geheimnisvoller, ja fast schon magischer Ort, der  mit allerlei seltsamen Dingen bestückt war, die der Junge zuvor noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Sie versetzten ihn nicht nur in Erstaunen, sondern schüchterten  ihn auch aufgrund ihrer Seltsamkeit ein bisschen ein.

Als Logan den Jungen erkannte, hellte sich sein düster wirkendes Gesicht schnell wieder auf. »Komm ruhig herein, Peter. Keine Angst, ich beiße nicht.« Der Junge schaute sich um. »Und auch die Sachen, die hier herumliegen, tun es nicht!«

Logan legte das merkwürdig geformte Gewehr vor sich auf den hölzernen Tisch, der schon etliche Spuren aufwies, und fixierte den Jungen, der seine Schüchternheit schließlich doch überwand, und langsam näher trat. Scheu und ohne ein einziges Wort zu sagen, legte er ein Telegramm vor Logan auf den Tisch.

Logan kramte unterdessen in der vorderen Tasche seiner ledernen Schürze herum und holte einen Silberdollar hervor, der auch schon bessere Tage gesehen hatte. Doch das schien Peter nicht im Geringsten zu stören. Für ihn war das Silberstück ein kleiner Schatz. Denn, um einen einzigen Silberdollar zu verdienen, mussten viele Bewohner in Dead City hart schuften.

Zwar gab es in der Stadt durchaus Arbeit in Hülle und Fülle, die aber nicht gerade gut bezahlt wurde, weil die meisten Arbeiter im Westteil der Stadt durch die Zombiesklaven ersetzt worden waren. Nur die schwierigsten Arbeiten in den Fabrikationshallen des Luftschiffbaus wurden noch von Menschen verrichtet.

Nachdem der Junge mit dem Trinkgeld in der Hand die Werkstatt wieder verlassen hatte, musterte Logan in Ruhe die Worte in dem Telegramm, die in einem Code verfasst waren, den sich Logan und Judge vor einigen Jahren für sich und einen eingeweihten Kreis der Ira Dei ausgedacht hatten.

Er holte Bleistift und Papier aus einer Schublade hervor und begann langsam Wort für Wort die Nachricht zu lesen. Als er den Namen Lone Wolf entzifferte, wusste Logan instinktiv, dass sich sein langjähriger Freund in großer Gefahr befand.

Er legte daraufhin Bleistift und Papier wieder zurück, drückte einen versteckten Knopf unterhalb des Holztisches und wartete ungeduldig. Sekunden später tauchte einer seiner Gesellen auf.

»Wie lange brauchst du, um das Luftschiff startklar zu machen?«

Heinrich überlegte kurz. »Wenn alle mit anpacken, müsste es in vier Stunden flugbereit sein.«

»Gut. Nimm Hans, Michael und Boris zur Unterstützung. Die sollten zwar einige Kisten zum Warenlager von Dupont transportieren, aber das können die drei auch später noch machen. Waffen, Munition und Verpflegung müssen auch noch mit an Bord geschafft werden. Nehmt euch noch ein paar zusätzliche Leute aus der Stadt, die euch helfen können. Und seid nicht so knauserig mit der Bezahlung. Und vergesst nicht, Erika ebenfalls mit an Bord zu bringen!«

»Wird gemacht, Boss«, erwiderte Heinrich und verschwand danach wieder aus der Werkstatt, um alles nötige zu veranlassen.

Logan wandte sich wieder dem Gewehr zu, einer eigenen, aber seltsam geformten Kreation von ihm, die er vor sich auf dem breiten Holztisch abgelegt hatte. Aber Logan konnte sich nach dem Telegramm nicht mehr so recht auf seine Arbeit konzentrieren, kreisten seine Gedanken doch ständig um Judge und Lone Wolf hin und her.

Er schaute auf die Kisten, die in der Ecke der Werkstatt standen, die Modelle und Prototypen für die Armee der Konföderierten Staaten von Amerika enthielten, die diese noch testen mussten, bevor sie vielleicht irgendwann in Produktion gehen konnten und danach zum Einsatz kamen

Logan lächelte innerlich. Es hatte manchmal doch schon seine Vorteile, diverse Aufträge im größeren Umfang für das Militär und die Regierung der Konföderierten Staaten von Amerika auszuführen.

Durch seine langjährigen Geschäftsbeziehungen sowie seine sehr guten Kontakten zu hochrangingen Militärs, war Logan schließlich auch in den Besitz seines eigenen Luftschiffes gekommen.

Normalerweise waren diese »fliegenden Schiffe«, wie Logan sie scherzhaft nannte, nur für den militärischen Gebrauch oder für den Transport von Gütern gestattet.

Logan hatte allerdings eine Ausnahmegenehmigung seitens des Militärs und der Regierung erhalten, die es ihm ermöglichte, ein eigenes Luftschiff zu besitzen und es sowohl für den geschäftlichen als auch für den privaten Gebrauch zu nutzen. Was normalerweise nur dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten sowie dem Außenminister der Konföderierten Staaten von Amerika vorbehalten war. Es war somit schon ein großes Privileg für Logan, zu diesem durchaus elitären Kreis zu gehören.

Der Verkauf von Luftschiffen war nicht nur innerhalb der Konföderierten Staaten von Amerika verboten, sondern auch jegliche Ausfuhr sowie die Veräußerung an den einstigen Erzfeind, die Union.

Auch wenn Friede zwischen den beiden Staaten herrschte, waren sich doch weder die Konföderierten Staaten noch die Nordstaaten grün, so dass der Verkauf an die Union unter strengsten Strafen untersagt war. Schon mancher war vor dem Erschießungskommando gelandet, der versucht hatte, sich darüber hinweg zu setzen.

Das schien die zuständigen Regierungsbehörden der Union, insbesondere deren Geheimdienste, aber nicht im Geringsten zu stören. Und so war schon das eine oder andere Luftschiff über dubiose Kanäle in den Besitz des Militärs der Nordstaaten gelangt.

Aber alle Versuche, ein Luftschiff in den speziell dafür eingerichteten Militärbasen der Union nachzubauen, waren alle gescheitert. Was seine Gründe hatte.

Denn alle Nachbauten hatten einen entscheidenden Haken. Die Schiffe flogen nicht. Die nachgebauten Unions-Luftschiffe wollten sich ums Verrecken nur wenige Meter in die Höhe heben. Mehr aber auch nicht.

Grund hierfür war, dass der Union der besondere gasförmige Stoff sowie der spezielle Antrieb fehlte, damit sich das fliegende Schiff auch vollends in die Lüfte erheben und fortbewegen konnte und somit auch manövrierfähig war.

Um an die Formel für den gasförmigen Stoff  und an die Baupläne des Antriebes der Luftschiffe zu gelangen, war der Union jedes Mittel recht. Selbst vor Mord schreckten die Agenten des einstigen Erzfeindes nicht zurück. Doch bis jetzt war es ihnen nicht gelungen, weder das eine noch das andere in ihren Besitz zu bringen.

Zumal der Antrieb des Luftschiffes einen weiteren Haken besaß. Er konnte nicht nachgebaut werden, sondern wurde für jedes Luftschiff in den Werften und Fabrikationshallen der Südstaaten einzeln hergestellt und danach Vorort zusammengesetzt, was die zuständigen Stellen in der Union, insbesondere deren Geheimdienste, natürlich nicht wussten und bisweilen zur Verzweiflung trieb.

Daher war es für den Geheimdienst der Konföderierten Staaten von Amerika immer ein wahres Vergnügen, ihren Gegenspielern gefälschte Pläne über ausgesuchte Mittelsmänner in die Hände zu spielen.

Für James Tecumseh Logan waren diese Spielereien seitens des Geheimdienstes zwar reine Kinderei, aber solange sie verhinderten, dass die Union in den Besitz der korrekten Pläne sowie des gasförmigen Stoffes gelangte, konnten die Spione und deren Vorgesetzten seinetwegen machen, was sie wollten.

Logan erhob sich und verließ seine Werkstatt, um seine eigenen Vorbereitungen für den Flug in die Wege zu leiten.

 

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James Tecumseh Logan liebte es, sich mit seinem eigenen fliegenden Schiff in die Lüfte zu erheben, das speziell für seine Bedürfnisse gebaut und eingerichtet worden war. Mit dem Flug in einem Luftschiff verband der sehr umtriebige Mann das Gefühl von Freiheit, was er neben dem Fliegen nur noch beim Durchstreifen der Wälder Nordamerikas empfand.

Logan stand persönlich am Steuer seines fliegenden Schiffes. Einen eigenen Kapitän brauchte er zwar nicht, aber zwei von ihnen waren an Bord, die später, wenn er das Luftschiff verlassen hatte, abwechselnd das Ruder übernehmen konnten.

Logan  manövrierte das fliegende Schiff in Richtung der Grenze des Konföderierten  Staates von Missouri, genauer gesagt, er flog nach St. Louis, wo ein sicherer und vom Militär bewachter Landeplatz für sein Luftschiff zur Verfügung stand. Von dort aus musste er allerdings über kleinere Umwege per Pferd die Grenze zur Union überschreiten.

Logan musste vorsichtig sein, wurde er doch auf dem Gebiet der Nordstaaten nach wie vor wegen mehrfachen Mordes steckbrieflich gesucht, da er die Mörder seiner Frau und seiner Kinder getötet hatte. Was den Behörden in den Nordstaaten natürlich völlig egal war. Sie sahen in ihm nur einen bösen Südstaatler und Indianerfreund, der hinterhältig ein paar gute Nordstaatler ermordet hatte.

Das Leben eines Indianers zählte in der Union nicht sehr viel. Was hatte der Unionsgeneral Philip Henry Sheridan zu der Indianerproblematik einst gesagt: »Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.« Und nach dieser Devise lebten immer noch sehr viele Weiße in den Bundesstaaten der Union.

James T. Logan hatte aber bereits Vorbereitungen getroffen, um durch die Staaten der Union problemlos reisen zu können. Logan besaß Originalpapiere, die ihn als Bürger der Union auswiesen. Sein Name lautete darin auf Henry T. Edwards, seines Zeichens Waffenhändler im Auftrag des Waffenherstellers E. Remington & Söhne. Eine perfekte Tarnung, machte doch Logan in Bezug auf Waffen keiner so schnell etwas vor.

Für Judge hatte er ähnliche Papiere besorgt. Darin wurde der Ira Dei als Logans Leibwächter ausgewiesen. Somit war auch das Problem mit dessen Brustpanzer gelöst, den Judge bei seinen Aufträgen immer trug.

Denn sowohl bei den Leibwächtern im Süden als auch bei denen im Norden waren diese Schutzpanzer äußerst beliebt, boten sie doch einen durchaus angemessenen Schutz gegen Geschosse jedweder Art.

Logan hatte sich selbst schon einmal monatelang an so einem Brustpanzer versucht. Doch er war kein sehr guter Schmied, dafür ein besserer Tüftler und Handwerker, so dass es ihm nie gelungen war, die verschiedenen Schichten des Panzers so perfekt zu verschmelzen und zu schmieden, dass dieser auch tatsächlich Pfeile, Kugeln und ähnliche Geschosse stoppen konnte. Er war sozusagen kläglich gescheitert. Was Logan natürlich nie zugeben würde.

Logan kannte allerdings nur wenige Meister der Schmiedekunst, die solche Brustpanzer herstellen konnten. Perfektioniert hatten sie einige Schmiede aus dem Königreich England, die im Auftrag der Regierung der Konföderierten Staaten von Amerika nach Charleston gekommen waren, um dort ein neues Leben zu beginnen, da sie von den britischen Behörden in ihrem Land wegen staatsfeindlicher Umtriebe gesucht wurden.

Den Schmiedemeistern war es schließlich gelungen,  Brustpanzer in großen Stückzahlen für die beiden ersten schweren Kavallerie-Regimenter der  konföderierten Armee herzustellen, die bei Atlanta siegreich gekämpft hatten.

Nachdem Logans fliegendes Schiff im sicheren Luftschiffhafen von St. Louis gelandet war, half ihm die Besatzung unter Führung von Hans und Boris sein Reitpferd, ein Ersatzpferd sowie zwei Packesel auszuladen.

Die Vorräte und Waffen, die er für seine Reise benötigte, wurden entsprechend auf die beiden Packtiere verteilt. Danach machte sich Logan mit seinen Tieren auf die Reise, um pünktlich zum vereinbarten Treffpunkt zu gelangen.

 

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Als Logan endlich die Grenze nach Nebraska erreichte, hatte er schon eine längere Strecke hinter sich gebracht. Nach wenigen Metern betrat er schließlich ohne Zwischenfälle oder ohne von Grenzposten der Union aufgehalten zu werden, den Boden der Nordstaaten.

Doch er verharrte keine Sekunde, sondern beschleunigte sein Tempo, um endlich die Stadt Fremont zu erreichen, wo er sich mit Judge treffen sollte. Danach würde die Reise weitergehen, um Lone Wolf und seine Geisterkrieger ausfindig zu machen. Und Logan wusste auch schon, wo er suchen musste, um sie zu finden.