6. Kapitel
»Du siehst einfach wunderschön aus!« Margaret de Lacey klang ein winziges bisschen neidisch. Sie stand an Roselynnes Seite und wartete ab, bis zwei andere Ehrendamen letzte Hand an das Festgewand von Prinzessin Mathilda gelegt hatten. »Irgendwie anders als sonst.«
Der Nachsatz zauberte eine Spur von Röte auf die blassen Wangen der Demoiselle von Hawkstone. Roselynne war sich der Tatsache nur zu bewusst, dass sie zwar elegant, aber ausgesprochen herausfordernd gewandet war. Breite silberne Bänder fassten die knisternden Falten ihres Untergewandes zusammen. Sie waren unter dem Busen gekreuzt und ihre Enden, von winzigen Perlen besetzt, fielen fast bis auf den Boden. Das fliederfarbene Übergewand aus morgenländischer Seide glich eher einem ärmellosen Mantel, denn es wurde zwischen den Brüsten mit einer alten keltischen Brosche als einzigem Verschluss gehalten.
Bei jeder Bewegung klaffte der glatte Stoff auf und gab Wellen von zarten Silberfalten frei, die wie Quellwasser über ihre Glieder glitten. Die raffiniert langen Ärmel des Untergewandes waren an den Handgelenken mit Bändern geschlossen und bauschten sich bei jeder Bewegung Roselynnes wie glänzende Nebelschwaden.
Absoluter Blickfang indes war die altehrwürdige silberne Fibel, beinahe handtellergroß und zu einem heidnisch heiligen Knoten ohne Anfang und Ende geschlungen, die zwischen ihren Brüsten schwebte. Das ungewöhnliche, archaische Schmuckstück lenkte an dieser Stelle die Aufmerksamkeit natürlich auch auf das blasse Tal zwischen Roselynnes halb enthüllten Brüsten.
Zusammen mit dem silbernen Stirnreif, der einen nebelfarbenen Mondstein in seiner Mitte trug, war es die einzige Zierde ihrer Erscheinung.
Der glatte Reif bändigte die Flut ihrer tiefschwarzen Haare, die über ihre Schultern und ihren Rücken fielen und sie in einen zweiten Mantel hüllten. Maud hatte lediglich die kürzeren Strähnchen an ihren Schläfen zu dünnen Zöpfchen geflochten und mit Silberdraht umwickelt. Jetzt ringelten sie sich gleich den geheimnisvollen Zeichen eines alten Kultes auf ihrer durchscheinenden Haut.
»Findet Ihr es gut, Euch zur Feier eines christlichen Festes wie eine Priesterin aus fernen Tagen zu gewanden?«, hatte sich die Prinzessin bei Roselynnes Anblick ein wenig kritisch erkundigt.
Roselynne hatte die schmale Hand auf die Brosche gelegt und den Blick ihrer Herrin gemieden. »Ich werde mich sofort umziehen, wenn ich Euch missfalle«, hatte sie gewispert, wohl wissend, dass die Prinzessin ein solches Angebot nicht annehmen würde.
Bereits in frühester Jugend hatte sie festgestellt, dass besonders eifrig angebotener Gehorsam bei den anderen meist dazu führte, dass sie ihn nicht annahmen, weil sie ihre Forderungen plötzlich selbst für übertrieben hielten. Auch Prinzessin Mathilda ließ sich auf diese Weise überlisten. Die Schwester des Königs hatte nach einem kurzen Stirnrunzeln sogar gelacht.
»Lasst nur. Es wird unsere sächsischen Edelmänner freuen, Euch so zu sehen. Vielleicht findet ja einer von ihnen eher Gnade vor Euren sonst so gestrengen Augen, Dame Roselynne!«
Auch Margaret de Laceys Gedanken kreisten um eine solche Möglichkeit. Sie klatschte aufregt in die Hände. »Wer ist der glückliche Ritter, für den du dich so schön gemacht hast? So viel Mühe hast du dir noch nie gegeben. Verrat mir seinen Namen!«
Roselynne verdrehte die Augen, um sich über so viel vermeintliche Einfältigkeit zu entsetzen. »Du redest Unsinn, Margaret, und du weißt es!«
Die junge Hofdame blinzelte ihr mutwillig zu. »Ich wette, das Rätsel löst sich, wenn ich sehe, mit wem du beim Bankett das Mahl teilst! Pass aber auf, dass du nicht dem schottischen Grafen in die Hände fällst, er vertreibt alle anderen Ritter mit seinem finsteren Blick!«
Die Prinzessin ersparte Roselynne eine Antwort, denn die Fanfaren aus der großen Halle riefen zum Festmahl. Sie ordnete sich an ihrem üblichen Platz im Gefolge der hohen Frau ein und raffte mit angeborener Grazie ihr spektakuläres Gewand. Es fiel ihr nicht auf, dass die Gewebe und Stickereien das Licht der Fackeln und Kerzen, die in verschwenderischer Fülle brannten, förmlich anzogen. Sie leuchtete in dem Kreis der Ehrendamen wie eine strahlende Lichtquelle auf einer Waldlichtung.
Sie zog auch die Augen des Seigneurs von Luthais wie magisch auf sich, obwohl er sich geschworen hatte, nicht nach ihr Ausschau zu halten. Aber wie sollte er es vermeiden, wenn sie aussah wie eine Gestalt aus den alten Sagen? Eine höchst lebendige Göttin, denn seine Hände erinnerten sich wie von selbst an die seidige Glätte ihres Fleisches und die verwirrende Festigkeit ihrer Brüste. Himmel, jene Brüste, die nun fast aus dem Rahmen ihres Ausschnitts quollen und nur von einer barbarischen Brosche im Zaum gehalten wurden, deren Form sich so schwer in ihre Haut drückte, dass er sie am liebsten davor geschützt hätte.
Er vernahm ein unterdrücktes Knurren neben sich und entdeckte erst jetzt, dass ausgerechnet jener Mann neben ihm stand, dessen Aufmerksamkeit er auf diplomatische Weise bisher vergeblich gesucht hatte. Der schottische Graf von Duncan war indes völlig verloren im Anblick der Ehrendamen. Kam es ihm nur so vor, oder gingen auch die Augen des Schotten in die eine, ganz besondere Richtung? Und konnte er es ihm verübeln, dass er so viel provozierende Weiblichkeit ebenfalls anziehend fand?
Der blonde Normanne ertappte sich bei dem wütenden Wunsch, einen Mantel um Roselynne de Cambremer zu legen. Am besten einen weiten, blickdichten und dunklen, damit nicht jeder gierige Laffe seine sabbernden Blicke auf diesen hinreißenden Ausschnitt heften konnte. Jetzt neigte sie das Knie vor dem König, und der Gedanke daran, was Rufus aus dieser Perspektive von ihrem verführerischen, mädchenhaften Busen zu sehen bekäme, fachte seinen Zorn nur noch mehr an.
Dass es in Rouen ebenfalls begehrenswerte Edelfrauen gab, die sich weit provozierender kleideten und benahmen, wollte ihm in diesem Moment nicht einfallen. Er bekam schmale Augen, während Rufus der Schönen einen Platz an der hohen Tafel zuwies und suchend seine Augen durch die Halle gleiten ließ.
Der König behielt es sich höchstpersönlich vor, einen Ritter zu suchen, dem er die Ehre zuteil werden lassen konnte, das Mahl mit der liebreizenden Ehrendame seiner Schwester zu teilen.
Dass ihm selbst diese Ehre zuteil wurde, begriff der Seigneur von Luthais erst, als der Haushofmeister des Königs vor ihm stand, um ihn an die Tafel zu führen. Rufus bedachte seinen Gast mit einem leicht zynischen Lächeln, das ihm zu eigen war und hinter dem er so vortrefflich seine wahren Gefühle zu verbergen verstand.
»Erlaubt, dass ich Euch für diesen Abend eine der schönsten Rosen meines Hofes anvertraue, Seigneur«, sagte er trocken. »Roselynne de Cambremer ist die Tochter eines Waffengefährten meines Vaters und mir und meiner Familie lieb und teuer.«
Der Seigneur de Luthais quittierte die unerwartete Ehre mit einer ebenso eleganten wie knappen Reverenz. Als er sich aufrichtete, streifte sein Blick für einen Herzschlag lang das bärtige Gesicht des Grafen von Duncan.
Er wirkte noch finsterer als sonst, ein mürrischer, bedrohlicher Fremdkörper inmitten eines fröhlichen Festes. Wenn er so weiter machte, würde er sich allein mit dieser Miene als Feind des Königs verraten. Die Kaledonier aus dem Norden besaßen weder Manieren noch diplomatisches Feingefühl.
Am liebsten wäre er zu ihm geeilt und hätte ihn ermahnt, sich zusammenzureißen, aber das kam natürlich nicht infrage. Der König wartete darauf, dass er Roselynne de Cambremer seine Komplimente entbot und sich für die erwiesene Gnade dankbar zeigte. Er neigte sich über die unmerklich bebende weiße Hand, die sich ihm entgegen reckte, und küsste die zarten Fingerspitzen. Ein feiner Duft nach Rosen und Lavendel lag über ihrer Haut, und die Hand wog nicht mehr als ein Lufthauch.
»Ihr seht mich entzückt von einer unerwarteten Ehre, Sire!«, murmelte er an den König gewandt und nutzte die Worte, um endlich den Atem auszustoßen, den er seit geraumer Zeit angehalten hatte, ohne dass es ihm selbst zu Bewusstsein gekommen wäre. »Erlaubt, dass ich Euch zur Tafel führe, Dame Roselynne!«
Er sah, wie die Blässe auf ihren Wangen feiner Röte wich, als er auf der Bank neben ihr Platz nahm und sie in einer Mischung aus unterdrücktem Zorn und aufflammender Erregung ansah. Der zarte Frühlingsduft ihrer Person setzte sich mühelos über die Wärme des Festsaals und den Dunst der zahllosen anderen Körper hinweg. Er trieb ihm das Blut schneller durch die Adern, und am liebsten hätte er das Band seines Wamses gelockert und mehr Abstand von ihr gehalten.
Allein, an der königlichen Tafel wurde mit jeder Handbreit Raum gegeizt, damit alle Ehrengäste Platz fanden. Sie mussten so eng nebeneinander sitzen, dass die Säume ihres Gewandes seine Schuhe bedeckten und ihre Oberschenkel unter der bestickten Seide bei jeder Bewegung viel versprechend die seinen berührten.
»Ich weiß nicht, wie ich zu der unverhofften Ehre komme, werte Dame«, knurrte er. »Es lag nicht in meiner Absicht, Euch noch einmal meine Gegenwart aufzuzwingen.«
»Ich habe den König darum gebeten«, sagte Roselynne in entwaffnender Ehrlichkeit und mit einem so unschuldigen Augenaufschlag, dass ihm die Worte fehlten. »Er ist mir verbunden, und hin und wieder erfüllt er mir aus Zuneigung zu meinem Vater kleine Wünsche. Findet Ihr nicht auch, dass wir miteinander reden sollten?«
Justin d'Amonceux, der stolze normannische Graf, biss die makellosen weißen Zähne zusammen. Der kleine Wunsch einer einflussreichen Dame zu sein gefiel ihm nicht. Wofür hielt sie ihn? Für eine Art Schoßhündchen? Welches Spiel wollte sie mit ihm wagen?
Dann jedoch gelang es ihm mit der Übung langer Jahre, seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen und eine Miene unveränderlicher Gelassenheit zu zeigen, die ebenso attraktiv wie geheimnisvoll wirkte.
»Ich bin Euer Diener«, entgegnete er in hartnäckiger Wohlerzogenheit und hol? ihr den juwelenverzierten Pokal entgegen, den ein Page soeben mit Wein gefüllt hatte. »Auf Euer Wohl und Eure Gesundheit, Dame Roselynne!«
Ihr Diener? Roselynne sah ihn unter dem Fächer ihrer dichten Wimpern an. Er war alles andere als ein gehorsamer Lakai. Er hasste es, manipuliert zu werden, und hätte er nicht den Unwillen des Königs gefürchtet, säße sie schon längst allein an dieser Tafel. Sie nippte vorsichtig am Wein und reichte das schwere Trinkgefäß mit beiden Händen an ihn zurück. »Auf ein schönes Fest, Seigneur!«
Die Bewegung presste ihre Brüste noch eine Spur herausfordernder gegen den Rand des Ausschnitts und die ungewöhnliche Silberschließe. Seidig glänzendes, festes Fleisch, an dessen unverwechselbare Beschaffenheit er sich in plötzlicher Hitze entsann. Justin d'Amonceux stürzte den Burgunder des Königs in unziemlicher Hast hinunter.
Roselynne bemerkte die Spannung, die sich unaufhaltsam zwischen ihnen aufbaute, ebenso sehr wie sein Bemühen, sie zu leugnen. Er wappnete sich mit makelloser Höflichkeit und eisig überheblicher Distanz. Ein Holzklotz zeigte nicht mehr Gefühle als dieser Kerl! Wie konnte er es wagen, sie wie eine Fremde zu behandeln? Er hatte sie geküsst, gestreichelt, berührt! Woher nahm er die Stirn, so zu tun, als wäre nichts vorgefallen?
Der Ritter seinerseits hatte alle Mühe, nicht wie ein behexter Dorftölpel auf die alabasterfarbenen Wölbungen ihres Busens zu starren. Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen und schmeckte weder die schwere Süße des Weines noch die Köstlichkeiten der königlichen Tafel. Dafür empfand er die Anwesenheit seiner Tischgenossin wie eine berauschende Droge. Ihre Stimme, ihr Duft und ihre Gegenwart umschmeichelten seine Sinne auf eine Weise, die ihn am eigenen Verstand zweifeln ließ.
Was war so Besonderes an der Anmut, mit der sie ihre Fingerspitzen in das Rosenwasser tauchte, das ihr ein Page hinhielt, und sie danach an einem makellosen Leinentuch trocknete? Auch andere Damen des Adels handhabten das kleine silberne Messer, mit dem sie das Fleisch schnitten, voller Eleganz und vermieden es, die tropfende Soße überall zu verteilen. Aber wenn er aus den Augenwinkeln verfolgte, wie sie die Bissen zum Munde führte und mit einer winzig rosigen Zungenspitze die schönen Lippen säuberte, vergaß er selbst zu kauen.
Niemand, nicht einmal ihre wahrhaft schöne Schwester, hatte jemals diese unerklärliche Wirkung auf ihn ausgeübt. Es musste an der gefährlichen Anspannung seines Auftrags liegen, dass er dem Blendwerk ihrer Anziehungskraft so hilflos ausgeliefert war. Wie gut, dass er die Gefahr unter den Apfelbäumen erkannt hatte, bevor er einen verhängnisvollen Fehler beging.
An diesem Punkt seiner Überlegungen angelangt, beschloss er, seinen Hunger auf andere Art zu stillen. Er griff herzhaft zu und tat sich an dem Wildschweinbraten ebenso gütlich wie an den gefüllten Fasanen. Die riesige Brotscheibe, die ihnen als gemeinsamer Teller diente, saugte sich mit den Fleischsäften voll und der Page musste immer öfter den Wein im Pokal nachfüllen.
Roselynne warf ihm unter ihren langen Wimpern einen vorwitzigen Blick zu. Es war an der Zeit, die Schlacht zu eröffnen.
»Gegen die prächtigen Gastmähler am Hofe Eures Herzogs muss Euch unser bescheidenes Fest ärmlich Vorkommen, Seigneur«, sagte sie betont liebenswürdig. »Ich hoffe, Ihr werdet wenigstens satt.«
»Ihr scherzt, Demoiselle«, sah er sich zu einer höflichen Antwort gezwungen. »Die Gastfreundschaft des Königs sucht Ihresgleichen!«
»Auf dieser Insel vielleicht, aber bestimmt nicht in der Normandie«, beharrte Roselynne auf ihrem Einwurf. »Unsere Großmutter pflegt bei ihren seltenen Besuchen die feine Lebensart und das gute Benehmen des normannischen Hofes als leuchtendes Beispiel hinzustellen. Ich bin in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass der simple sächsische Geist kaum für derlei Feinheiten geschaffen ist. Nicht einmal ein ausreichend kultiviertes Tischgespräch vermögen wir zu führen, Ihr müsst mir verzeihen ...«
Ein flüchtig aufblitzendes Koboldlächeln verriet ihm, dass sie es wagte, sich über ihn lustig zu machen. Noch ein Charakterzug, der sie deutlich von ihrer Schwester unterschied. Sophia-Rose war stets von untadeliger Haltung und makelloser Erziehung gewesen, bis zu jener Reise, die sie und ihr Leben verändert hatte.
Oh, zum Henker, musste er ausgerechnet jetzt daran denken? Welche Laune des Geschicks hatte ihn an die Seite dieses sinnlich aufreizenden Teufelchens verschlagen, das bei jeder Begegnung eine andere verblüffende Facette seiner Person vorstellte?
»Es steht mir nicht zu, Eure Großmutter zu kritisieren«, sagte er ihr mit mühsam unterdrücktem Grimm. »Aber ich bin sicher, dass keine Person von Vernunft Euch je für einfältig halten könnte. Sächsisches und normannisches Blut vermischen sich auf das Vollkommenste in Eurer Person, Mylady Roselynne,«
Ihr Lächeln vertiefte sich und weckte den unwiderstehlichen Wunsch in ihm, diese wohlgeformten, ausdrucksstarken Lippen zu küssen. So lange, bis sie sich weich und zärtlich gaben und jene Fähigkeit zum Spott verloren, die ihn so erboste.
»Wie freundlich Ihr sein könnt, wenn Ihr Euch bemüht, Seigneur. Ich hatte schon befürchtet, ich hätte Euch missfallen ... heute ...«
Das letzte Wort setzte sie mit so unmissverständlicher Bedeutung hinter eine winzige Pause, dass er nicht umhin konnte, das Geschick zu bewundern, mit dem sie ihn zu einer Stellungnahme zwang, die nur eine Entschuldigung der eigenen Rüpelhaftigkeit sein konnte.
»Würdet Ihr meine demütigste Entschuldigung für mein unverzeihliches Verhalten annehmen, Dame Roselynne?«, wählte er seinerseits den Angriff anstelle der Verteidigung. »Es ist nicht meine Art, mich von einem Paar hübscher Beine um den Verstand bringen zu lassen, sogar wenn sie von nie gesehener Vollendung sind.«
Roselynne spürte, wie feine Röte in ihre Wangen stieg, als er so verblüffend ungeniert auf die Ereignisse im Apfelgarten zu sprechen kam. Dann freilich durchschaute sie seine Taktik. Er wollte sie in Verlegenheit bringen, damit sie das Thema von sich aus fallen ließ. Aber damit würde er keinen Erfolg haben. Der Hof hatte sie gelehrt, mit derlei Angriffen fertig zu werden.
»Ich vergebe Euch«, entgegnete sie mit der fürstlichen Arroganz, die allen Töchtern Lady Lilianas zur Verfügung stand, wann immer sie nötig wurde. »Eure angegriffenen Manieren sind sicher eine Folge davon, dass Euer Herzog so innigliche Kontakte mit Schotten, Dänen und anderen Barbaren pflegt. Die Grobheiten der nordischen Krieger sind ansteckend, nicht wahr? Wie schade, dass es nur einen wahren Eroberer gegeben hat, der mit seinen kriegerischen Talenten ein Königreich zu schmieden vermochte.«
Sie spürte den Schock, der ihn durchrieselte, und wusste, dass sie ahnungslos mit einem Pfeil ins Schwarze getroffen hatte. Die Frage war nur: mit welchem? Was hatte sie gesagt, um ihn so zu erschrecken?
Er verriet sich mit keiner Silbe. Er senkte lediglich in vollendeter Komödie das Haupt und die Kerzen entzündeten goldene Reflexe in den dichten honigfarbenen Haaren. Ein Blick, kühl wie das gefrorene Wasser des Winters, glitt über sie hinweg, gefolgt von einem Lächeln, so unschuldig heiter, dass sie es jederzeit für echt gehalten hätte, wäre es ihr nicht gegeben gewesen, den heißen Zorn unter dieser strahlenden Fassade zu erspüren.
»Schönste Dame, Ihr seht mich untröstlich zerknirscht. Was soll ich tun, um Euch zu versöhnen? Mich unter das Futter jenes Zotteltiers dort legen und meine Seele dem Himmel befehlen?«
Seine Kinnbewegung deutete auf den dressierten Bären, der zusammen mit den Gauklern die geschmückte Halle betreten hatte, um die Gäste des Königs zu unterhalten. Es war ein räudiges, krankes Tier, dessen Sehnsucht nach Ruhe und Tod Roselynne ebenso spürte wie den angespannten Geist des Edelmannes, der nur mit ihr tändelte, um sie von einer Spur abzulenken. Aber genau das machte sie umso neugieriger.
Es lag ihr auf der Zunge zu antworten: >Ihr könntet mir verraten, weshalb Ihr Euch unter fremdem Namen unter die Gefährten des Königs gemischt habt!< Aber das ging natürlich nicht an. So beschränkte sie sich lediglich darauf, das Lächeln zu erwidern, während sie im Moment scheinbar ganz vertieft darin war, aus einer Schale mit gezuckerten Mandeln die appetitlichste auszuwählen.
Der Seigneur ertappte sich schon wieder beim Zähneknirschen, als sie das Naschwerk zwischen die roten Lippen schob und sich danach auch noch hingebungsvoll die Fingerspitzen ableckte. Auf der hastigen Suche nach vorübergehender Ablenkung kreuzte sein Blick erneut jenen des schottischen Grafen.
Der König hatte Robert Duncan zwar den Ehrenplatz auf der Empore verweigert, aber er saß als Erster an der rechten Längsseite der Tafel. Umgeben von seinen schottischen Gefährten, lockerte kein einziges Frauengewand die beunruhigende Männergruppe auf. Es waren bärtige, finstere Gestalten, die mit gefährlich aussehenden Dolchen ihr Fleisch teilten und das frische Ale dem französischen Wein vorzogen. Die düsteren Augen des Grafen glitten über die hohe Tafel, und wie es aussah, blieben auch sie an Roselynne de Cambremer hängen.
Ich kann es dir nicht nachtragen, mein schottischer Kamerad, teilte der Seigneur de Luthais in Gedanken diese Aufmerksamkeit. Es ist etwas Besonderes an der jungen Dame. Ein Geheimnis, das sie von der übrigen Heerschar hübscher Edeldamen unterscheidet. Das Mädchen mit den schwarzen Seidenhaaren besaß jene unerklärliche Ausstrahlung, die Männer anzog wie das Licht der Kerzen die Insekten eines Sommerabends.
Im nächsten Augenblick verschwand das Bild des Schotten jedoch hinter einer Gruppe wagemutiger Akrobaten, die, einer auf den Schultern des anderen stehend, eine menschliche Pyramide formten und den jubelnden Beifall der Festgesellschaft einheimsten. Münzen flogen in das Stroh, das den Boden bedeckte, und die Gaukler und Musikanten versuchten ihrer habhaft zu werden, ohne die Vorstellung zu unterbrechen.
Auch Roselynne warf eine großzügige Hand voll Pennies in das Halbrund, aber sie achtete darauf, dass sie in die Richtung des Bärenführers flogen. Vielleicht bekam das arme Tier ja wenigstens etwas mehr Futter ab. Ihr Tischgefährte sah die Geste und deutete sie überraschend richtig.
»Es gefällt Euch nicht, wenn Tiere dressiert und angekettet werden«, sagte er leise, während der Jubel um sie aufbrandete.
Roselynne hob das Kinn im Bewusstsein, sich einmal mehr verteidigen zu müssen. Die wenigsten Menschen in ihrer Umgebung verstanden, dass sie Tiere für schätzenswerte Lebewesen hielt.
»Ist es nicht traurig, dass ein so mächtiges und stolzes Tier gebrochen und zur Schau gestellt wird?«, sagte sie eindringlich. »Ginge es nach mir, ich würde keine Pennies, sondern einen Dolch schleudern. Man sollte den Ärmsten von seiner Qual erlösen. Die Menschen haben kein Recht, ihn zu ihrem Vergnügen zu peinigen.«
»Besser, Ihr unterlasst das mit dem Dolch. Ihr würdet vielleicht den Grafen von Duncan treffen und unübersehbare diplomatische Schwierigkeiten für uns alle heraufbeschwören. Dem König liegt viel daran, mit den Schotten in Frieden zu leben.«
»Daran liegt jedem vernünftigen Menschen«, bestätigte Roselynne, wenngleich ihr der Gedanke durchaus zusagte, den Grafen von Duncan für immer zu beseitigen. Sie mochte die Blicke nicht, die er in ihre Richtung warf. Seine Drohungen hatte sie nicht vergessen.
»Wobei ich vermutlich nicht für Euren Fürsten, den Herrn von Anjou, sprechen kann«, berichtigte sie ihre spontane Antwort nach kurzem Nachdenken. »Ginge es nach ihm, so würde er diese Insel mit Krieg überziehen, nur damit er endlich seine Krone bekommt. Er scheint ein Mann zu sein, dem die Macht alles bedeutet.«
»Woher wollt Ihr das wissen?«
Der Seigneur versuchte seine Verblüffung zu verbergen. Mit Ausnahme der beeindruckenden Dame Elisabetta de Cambremer hatte er noch nie ein weibliches Wesen kennen gelernt, das seine Meinung zu politischen Dingen so ungeschminkt zur Kenntnis gab.
Frauen kümmerten sich gewöhnlich nicht um solche Angelegenheiten. Wie sollten sie auch, da der Himmel den wenigsten von ihnen den nötigen Verstand gegeben hatte, um die Zusammenhänge zu erfassen?
»Ich bin nicht einfältig«, entgegnete Roselynne ein wenig trotzig, denn sie las seine Gedanken wie die Seiten eines Stundenbuches. Er dachte wie alle anderen Männer, mit Ausnahme ihres Vaters. »Warum akzeptiert der Herzog das Testament des Königs nicht? Es ist der Wille des Eroberers, und schon die normale Sohnespflicht müsste ihn dazu veranlassen, es zu tun.«
»Robert ist der Erstgeborene«, rief er ihr die Tatsachen in Erinnerung.
»Ein Erstgeborener, der das Vertrauen seines Vaters in zahllosen Revolten verspielt hat und dem dieser sein neues Königreich nicht anvertrauen wollte«, beharrte Roselynne auf ihrem vernichtenden Urteil. »Würdet Ihr wirklich wünschen, dass auf dieser Insel Krieg geführt wird?«
»Warum nicht, wenn es dazu dient, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen?«
»Nennt Ihr das Gerechtigkeit, andere Menschen in Not und Kummer zu stürzen? Vielleicht sogar Menschen, die Ihr selbst schätzt?«
Er ging nicht in die gestellte Falle, sondern lächelte kalt. Nur er selbst wusste, wie schwer es ihm fiel, sich dem Flehen in den schönen Augen zu verweigern. »Auf dieser Insel gibt es keine Menschen, die ich so schätze, dass mich ihr Schicksal sonderlich bekümmern würde.«
»Himmlische Mutter! Ihr wisst nicht, was Ihr sagt, Seigneur!« Die anmaßende Abfuhr traf Roselynne wie ein Hieb. »Ihr fordert das Schicksal heraus!«
»Das tue ich, seit ich zu denken und begreifen gelernt habe, Mylady. Es ist nicht nötig, dass Ihr Euch deswegen um mich sorgt.«
»Ich mich um Euch sorgen? Pah!«
Es war mehr, als sie ertragen konnte. Warum verleugnete er sich selbst und die edle Seite seines Gemütes so rücksichtslos? Sie stand abrupt auf, hob die Säume ihres Gewandes und rauschte wortlos davon. Sie brauchte frische Luft und einen ungestörten Platz, an dem sie sich beruhigen konnte, ehe sie etwas unverzeihlich Falsches sagte und das ohnehin schon dünne Eis zwischen ihnen noch mehr belastete.
Der normannische Ritter sah ihr ebenso verblüfft hinterher wie alle anderen in ihrer Nähe. Was hatte sie nur so wütend gemacht? Denn wütend war sie, dafür sprachen das jähe Feuer in den Veilchenaugen und der stürmische Aufbruch. Welch ein befremdliches Benehmen für eine edle Dame! Man musste schon eine Cambremer sein, um dergleichen im Angesicht des Königs zu wagen, sogar wenn sich das Bankett schon dem Ende zuneigte.
Freilich wollte er nicht zugeben, dass sie den Glanz des Festes mit sich genommen hatte. Auf der Suche nach Ablenkung von den eigenen Gedanken entdeckte er den schottischen Grafen, der ebenfalls aus der Halle strebte. War es schon so spät? Welche Macht hatte dieses Frauenzimmer über ihn, dass er Zeit und Raum vergaß, wenn sie ihn mit dem Bann ihrer Persönlichkeit belegte?
Er sollte zufrieden sein, dass es ihm endlich gelungen war, Roselynne de Cambremer so zu verärgern, dass sie ihn von selbst mied. Dennoch wusste er im geheimsten Winkel seines Verstandes, dass es nicht so war.