Sibylle Mohr schüttelte den Kopf. „Kann ich ihn sehen?“

„Später, er ist in der Obduktion.“

„Wie…, ich meine, wer… Was ist überhaupt geschehen?“ fragte Sibylle Mohr.

Wenzel erzählte ihr, wie der Tote gefunden worden war und was inzwischen bekannt war, und er verbarg nicht, daß er augenblicklich noch ziemlich ratlos war. Der erste Punkt, der auf bisher unbekannte Zusammenhänge deutete, war diese Einladung. „Da ja nun dieser Brief ahnen läßt, daß hier langfristige Entwicklungen eine Rolle spielen – vielleicht könnten Sie mir ein Bild von dem Toten geben.“

„Es wird aber in einigen Punkten dem Bild widersprechen, das Ihnen andere geben werden, zum Beispiel… Hiesige…“

„Warum das?“

„Nun, sie haben hier auf jeden Fall eine bessere Meinung von Otto als von mir.“

„Weil Sie ihn verlassen haben?“

„Ja, oder vielmehr wegen der Gründe dafür. Was sie für die Gründe hielten.“ Es sei doch so, erklärte die Physikerin, daß die meisten Menschen von den drei Tätigkeitsbereichen – Dienst, Handwerk und Kunst – den letzteren am wichtigsten nehmen, so auch die Leute im Vorwerk. Sie hingegen sei mit Leib und Seele Wissenschaftlerin. Kunst sei fast immer mit dem Ort, der Gegend, allenfalls mit dem Sprachbereich verwachsen, Physik aber müsse man da betreiben, wo die Experimente gemacht werden. Nicht unbedingt immer und lebenslänglich, doch jeder Lebenslauf eines Physikers ziele letzten Endes darauf. So wurde auch sie auf Grund einer Veröffentlichung zum Projekt Raumkrümmung berufen – und nahm an.

„Aus Ehrgeiz?“

„Das dachten die andern auch. Aber das dort ist das Lebenswerk von zehntausend Wissenschaftlern. Ich bin einer davon. Und auch die Art zu arbeiten läßt keinen Raum für Ehrgeiz. Wer ehrgeizig wird, kann nicht gedanklich mit andern kooperieren und schon gar nicht unbefangen kritisieren. Man wird unschöpferisch, das geht sehr schnell.“

„Hielt Otto Sie auch für ehrgeizig?“ fragte Wenzel, um das Gespräch wieder auf den eigentlichen Gegenstand zu lenken.

„Gerade Otto“, sagte sie. „Obwohl er es hätte besser wissen müssen. Aber daß er es tat, hat mir das Weggehen erleichtert.“ Sie lachte auf, es klang ein bißchen bitter. „Und wissen Sie, was sie mir hier am meisten übelgenommen haben? Daß ich mit meinem Fortgehen unser Streichquartett gesprengt habe. Wir hatten nämlich schon einen Europapreis.“

„Hätte Ihr Mann nicht mitgehen können?“

„Von den Arbeitsbedingungen her wahrscheinlich“, antwortete die Physikerin, „Gagarin ist ja eine richtige Stadt, in der alle Dienste und Handwerke gebraucht werden. Doch er konnte hier nicht weg. Er hatte seine Wurzeln hier. Merkwürdig, seiner Kunst merkt man das auf den ersten Blick gar nicht an. Haben Sie schon die Schmuckfenster hier im Vorwerk gesehen?“

„Am besten wird sein, Sie zeigen sie mir!“ sagte Wenzel. „Aber vorher erzählen Sie mir doch etwas von Otto. Wenn es Ihnen nicht zu schwer fällt.“

„Nein, nein“, erwiderte Sibylle, „ich bin nur kein Psychologe…“

„Das macht nichts“, sagte Wenzel ermunternd, „erzählen Sie ein paar Geschichten. Begebenheiten. Familienanekdoten.“

Wenzel erfuhr nun doch eine Menge von solchen Einzelheiten, die das Bild eines Menschen wenigstens umrißhaft entstehen lassen. Die Physikerin fand sich, nach anfänglichem Stocken, ins Erzählen, und Wenzel verstand zuzuhören.

Da war die Geschichte, wie Otto Mohr vom Arbeitstisch aufstand und erklärte, er werde jetzt in den Himalaja fahren, dort sei eine ähnliche Züchtung gelungen wie die, mit der er sich gerade beschäftige, und wie es ihr eben noch gelang, ihm eine wetterfeste Jacke aufzunötigen. Zwar hatte sich die Sache mit der Züchtung dann als Mißverständnis herausgestellt, aber er hatte so viel gelernt und erfahren, daß ihn die Zeit und die Mühe nicht dauerten. Eine andere Episode berichtete, daß er einmal drei Wochen lang fast nicht aus der Werkstatt herausgekommen sei und nur das Allernötigste in Dienst und Kunst getan habe, einzig, um eine uralte Tischuhr eigenhändig wieder in Gang zu setzen und sie ihrer Tochter zur Jugendweihe zu schenken – die sie übrigens heute noch habe. Einem Wanderer schließlich, mit dem er ins Gespräch gekommen und der ihm sympathisch gewesen sei, habe er einmal ein Glasfenster mit bestimmten historischen Motiven versprochen, er habe Monate daran gearbeitet. Und als ihn Fachkollegen dann beschworen, das Werk in die Bezirksausstellung zu geben, habe er sich geweigert und sich an die Absprache gehalten, und das, obwohl sich der Fremde nicht einmal, wie das doch üblich sei, mit einer Gegengabe aus seiner Kunst oder seinem Handwerk revanchiert habe.

„Er konnte also einem Impuls mit großer Beharrlichkeit folgen“, stellte Wenzel fest.

„Und ob!“ bestätigte die Physikerin. „Leicht hatte man es nicht mit ihm. Aber schön.“ Ihre Stimme wurde wieder traurig. „Ich hab ihn immer dafür bewundert, daß er trotzdem in allen drei Arbeitsbereichen tüchtig war.“

„Und nun muß ich Sie noch mal fragen: Haben Sie nicht die geringste Vorstellung, wie die Einladung zu deuten wäre? Der Text klingt ja ganz – nun, wie soll ich sagen, auf mich wirkt er heiter, gelassen. Diese Haltung könnte natürlich auch vorgetäuscht sein. Ein rachsüchtiger, von Haß erfüllter Mensch, der den anderen mit einem Selbstmord schocken wollte – jaja, natürlich trauen Sie ihm das nicht zu, aber wissen Sie, wie er sich psychisch inzwischen verändert hat? Sie waren ja nicht hier, soviel ich weiß, und viel Briefverkehr haben Sie wohl auch nicht gepflegt? Sehen Sie, Menschen in normalen Umständen halten all diese Dinge, mit denen ich mich ständig beschäftigen muß, für unmöglich, aber ich sage Ihnen: So etwas ist durchaus möglich. Na gut, wenn ich auch in diesem Fall nicht daran glaube. Das jedoch aus anderen Gründen. Selbstmord oder nicht – lassen wir das mal beiseite. Was könnte sonst der Grund für die Einladung sein? Arbeitsergebnisse, große, gewichtige, entweder im Dienst, im Handwerk oder in der Kunst? Wissen Sie davon etwas?“

„Haben Sie im Haus nichts gefunden?“

„Ich habe es nur flüchtig angesehen, mit Paulines Hilfe. Sie war wohl öfter dort gewesen.“

Die Physikerin schien einen Entschluß gefaßt zu haben. Sie stand auf. „Lassen Sie uns hingehen“, sagte sie. „Irgend etwas finde ich.“

Die automatisch gesteuerten Bläschen-Durchläufe hatten ergeben, daß tatsächlich jener Eingriff in der fünfzehnten Sekunde die Schrumpfung hervorgerufen hatte. Rubens Idee war angenommen worden und sollte bei den nächsten zehn Bläschen-Durchläufen praktiziert werden – wiederum mit ihm als Außenseiter. Dann, nach einer entsprechenden Pause, wollte Esther den Außenseiter übernehmen, und Ruben sollte zum erstenmal wieder im Ensemble sitzen – für weitere zehn Durchläufe, falls sich bis dahin nichts wesentlich Neues ergeben haben sollte. Das war das Programm für den heutigen Tag.

Ruben fühlte sich jetzt schon etwas wohler in seiner Rolle. Esther hatte recht, so ganz unnütz war der Außenseiter wirklich nicht, und für sein Nichtstun wurde er ja entschädigt durch die Möglichkeit, wichtige Einzelheiten des Ablaufs als erster genauer untersuchen zu können.

Die Zahl von zehn Durchläufen je Serie war nicht technisch bedingt, sondern aus Erfahrungen mit der EGI abgeleitet: Ein Durchlauf von etwa einer Minute, zwei Minuten Pause, und das zehnmal hintereinander, eine halbe Stunde also im ganzen, dann war die Kreativität erschöpft, denn trotz oder vielleicht sogar wegen der starken Begeisterung, die der einzelne dabei spürte, stellte das Ganze eine sehr hohe seelische Beanspruchung dar. Bei ununterbrochenem Betrieb waren in früheren Jahren schon nach fünf Minuten EGI leichte psychische Störungen bei einzelnen Teilnehmern aufgetreten. Dank den Pausen ließ sich die Zeitspanne auf eine dreiviertel Stunde ausdehnen; eine halbe Stunde hatte sich jedoch als das Optimum herausgestellt.

Ruben nutzte seine Außenseiterposition bei der ersten Serie nach Kräften. Immer wieder ließ er Aufzeichnungen von den Schrumpfungen in Zeitlupe laufen, natürlich nicht, weil er diesen Effekt als erster gesehen hatte, sondern weil der augenblicklich die interessanteste Erscheinung im Dasein der Bläschen war, so wie die Bläschen die interessanteste Erscheinung in der ganzen physikalischen Forschung waren – nach seiner Meinung jedenfalls.

Beim neunten Durchlauf hatte er wieder gegen Ende die Aufzeichnung auf Zeitlupe geschaltet und wartete auf die Schrumpfung des Bläschens. Plötzlich wußte er, ohne auf die Uhr zu sehen, daß die Zeit schon überzogen war. Und war da nicht ein leichtes Flimmern gewesen, an der Stelle, wo sonst die Schrumpfung begann? Und immer noch keine Explosion…?

Er blickte zur Seite – die andern schauten wie gebannt auf ihre Schirme, also auch in Realzeit noch keine Explosion, eine halbe Minute bereits darüber.

Ruben holte noch einmal die Aufzeichnung auf den Schirm, aber jetzt nicht die Computergrafik, die ja eine geometrische Übersetzung der Meßwerte war, sondern die Werte selbst, die konnten noch langsamer ablaufen, ja im Extremfall sogar Wert für Wert. Als er an den Punkt kam, wo ihm vorhin das Flimmern aufgefallen war, las er von den Werten nun doch eine kleine Schrumpfung ab, allerdings fiel sie bedeutend kürzer aus, so kurz, daß sie in der Zeitlupe nicht deutlich wurde.

Ein erneuter Blick zur Seite zeigte ihm, daß die andern immer noch das Bläschen beobachteten, allerdings schien ihm, daß sie nicht mehr aktiv steuerten, was ja auch ganz vernünftig war. Er fuhr jetzt die Aufzeichnung zu dem von ihm schon markierten Punkt zurück und ließ sie dort stehen. Jetzt wollte er sich einen Überblick verschaffen, was die andern Meßgeräte anzeigten, die der automatischen Steuerung eingeschlossen. Er prägte sich die angezeigten Werte ein und ging dann Schritt für Schritt vorwärts, jeweils um zehn Nanosekunden.

Was war denn mit dem Magnetfeld los? Die Werte stiegen plötzlich steil an. Nach etwa hundert Nanosekunden hörte der Anstieg auf, die Werte blieben – auf dem nun höheren Niveau – gleich. Mit dem Bläschen mußte etwas vor sich gegangen sein, was die anderen Meßgeräte nicht registriert hatten.

Ein Blick zu den Gefährten zeigte ihm abermals, daß noch keine Explosion stattgefunden hatte. Zweieinhalb Minuten existierte das Bläschen bereits! Nahm es überhaupt noch Energie auf? Ruben holte sich die gegenwärtigen Werte zum Vergleich auf den Schirm und erkannte, daß sich die Parameter des Bläschens schon seit diesem Sprung, den er eben entdeckt hatte, nicht mehr geändert hatten. Eigentlich könnte man die Laser abschalten, dachte er, aber das war Sache der EGI-Mannschaft, er konnte sie dabei nicht stören. Also zurück zur Sprungzeit. Was war da geschehen? Wo konnte er suchen? Klar, das Magnetfeld hatte reagiert, und das, worauf es reagiert hatte, mußte ebenfalls gemessen worden sein, also wahrscheinlich wohl von den Meßfühlern der Feldsteuerung, die normalerweise nicht im Versuchsprotokoll erschienen, weil sie zu vielen lokal bedingten Schwankungen unterlagen, die aber selbstverständlich gesondert aufgezeichnet und abrufbar waren.

Her damit! Es war nicht so leicht, diese Werte aus dem Computer herauszukitzeln, wenn man nicht ständig damit umging – da waren die Computerdialoge des Navigators in seinem großen Raumschiff einfacher gewesen. Doch er schaffte es, und als er sie endlich auf dem Schirm hatte, sah er sofort, daß sich die Mühe gelohnt hatte. Das Bläschen mußte sprungartig eine Zunahme an Masse erfahren haben. Oder an Energie. Oder an beiden. Sprungartig, das hieß hier: innerhalb von zehn Nanosekunden. Und, alles in Masse umgerechnet, um ungefähr zehn Prozent. Aus dem Nichts. Ein Schöpfungsakt? Ein Mini-Urknall?

Ruben mußte über sich selbst lächeln; der Eifer hatte ihn gepackt. Neuer Auftrag an den Computer: in der Umgebung des fixierten Zeitpunktes von plus minus zwanzig Nanosekunden alle Meßwerte auszugeben, die Veränderung zeigten.

Das war aber nun doch mehr, als Ruben erwartet hatte, und weit mehr, als er im Augenblick und ohne Suchprogramme verarbeiten konnte. Noch ein Blick deshalb zu den andern und in die Realzeit: Das Bläschen existierte noch immer, jetzt schon vier Minuten. Sollten sie es stabil bekommen haben? Aber die Kollegen, deren Gesichter sein Blick streifte, sahen gar nicht freudig erregt aus. Dann wischte ein neuer Gedanke den Eindruck fort: Wenn nun das Bläschen ein neutrales Teilchen eingefangen hatte? Ein Neutron zum Beispiel? Bruder Zufall, wieder hättest du uns geholfen! Ein Zufall freilich wäre das, der ebensogut erst in zehn Jahren hätte auftreten können und der sich so schnell nicht wiederholen dürfte, aber er würde uns dennoch den Weg zeigen.

Eine große Ruhe überkam Ruben, so eine tiefe, kräftige Ruhe, nur ganz im Hintergrund bohrte etwas und wollte ins Bewußtsein dringen, irgend etwas, was er gesehen hatte in den letzten Minuten, gesehen und nicht beachtet… Na gut, gib dich zufrieden, es waren zu viele Werte – aber das gute Zureden half nichts, er war jetzt auch schon nicht mehr ruhig, nein, eigentlich war er unruhig geworden. Und er wurde immer noch unruhiger. Meßwerte waren es nicht, die ihm im Kopf herumspukten, was dann, was hatte er sonst gesehen, ja nun, die Gesichter seiner Gefährten…

Ruben war alarmiert. Er blickte jetzt aufmerksam zu der EGI-Mannschaft hinüber, irgend etwas stimmte da nicht. Daß sie nicht steuerten, gut, das war in Ordnung. Also blieb ihnen nur das Zusehen. Oder der Abbruch der EGI. Aber wie bricht man die EGI ab? Wenn der Versuch zu Ende ist, das Teilchen explodiert, taucht man von selbst aus der kollektiven Versunkenheit wieder auf. Wenn aber, wie jetzt, der Versuch nicht zu Ende geht…? Der Fall war, soweit Ruben wußte, bisher nicht eingetreten.

Und jetzt erkannte Ruben, was ihn so tief im Innern gestört hatte: der unglückliche Ausdruck der Gesichter. Was war denn mit denen los? Sahen sie überhaupt noch, was auf den Bildschirmen gezeigt wurde? Waren sie noch im Experiment, oder waren sie längst ausgestiegen? Er hielt den Atem an und lauschte. Doch ja, sie atmeten noch im gleichen Rhythmus, die EGI lief noch. Aber zeigten die Gesichter jetzt nicht schon fast eine Art Qual, bei einigen wenigstens?

Ruben wischte die Experimentaldaten von seinem Bildschirm und schaltete statt dessen die Biodaten der Gefährten drauf. Außer Übereinstimmung sagten diese Daten jedoch gar nichts aus, innerlich schimpfte Ruben auf die Psychologen, wußte aber ganz genau, daß er ihnen unrecht tat. Es lag nicht an ihnen, wenn sich die höchstorganisierte Bewegung der Materie, das Psychische, immer noch quantitativen Messungen entzog.

Ja, die Gesichter verrieten mehr als die feinsten Meßinstrumente. Erschöpfung breitete sich auf ihnen aus, und nun, als er dies erkannte, erschrak Ruben tief. Natürlich waren sie erschöpft! Es war schon am Ende der halben Stunde gewesen, als dieses Bläschen stabil blieb, und seitdem, schon fast fünf Minuten, waren die andern in der EGI geblieben, sie waren längst überbeansprucht, vielleicht waren sie zu schwach, selber herauszufinden. Und er, konnte er ihnen helfen? Er wußte keine Antwort. Nur eins war klar: Von außen unterbrechen durfte er die EGI nicht, das konnte erfahrungsgemäß zum Schock führen, der um so schwerer sein dürfte, je erschöpfter die fünf waren.

Was also konnte er tun?

Ruben schloß den Helm, um die andern nicht aufzuschrecken, und rief den raummedizinischen Dienst in Gagarin an, schilderte die Situation und bat um Hilfe. Als der Ruf abgegangen war, rechnete er: Fünf Minuten ging der Spruch hin, fünf Minuten zurück, mindestens drei Minuten, ehe der Diensthabende eine vorläufige Antwort formuliert hatte. Er sah in die Gesichter der fünf Gefährten und wußte, so lange durfte er nicht warten.

Das probate Mittel bei psychischen Störungen aller Art war im Raumschiff von jeher Schlafgas. Aber wenn das nun schadete?

Ruben setzte sich ein Ziel von zwei Minuten. Innerhalb dieser Zeit mußte er zu einem vernünftigen Schluß kommen. Medizinische oder psychiatrische Fachkenntnisse hatte er nicht, doch die EGI kannte er, hatte sie selbst oft erlebt, auch noch in ihren Anfangszeiten, und er hatte alles gelesen, was darüber publiziert worden war. Er entsann sich, daß sie einmal sehr erschöpft gewesen waren, sie hatten die Zeit weit über das normale Maß hinaus gedehnt, auch um festzustellen, wie lange man den Zustand aufrechterhalten könne. Sie hatten zwar das Experiment noch selbst abgebrochen, waren dann aber sofort schlafen geschickt worden. Jetzt waren die Gefährten noch in der EGI, gemeinsam, aber der Schlaf verschloß die Sinnesorgane, und damit mußte die Synchronisation der fünf zerfallen und zugleich Erholung einsetzen.

Ob das stimmte? Das konnte ihm im Augenblick keiner sagen. Wenn er aber bei jedem Entschluß auf vollständige Information gewartet hätte, dann wäre sein Raumschiff nicht mal bis zum Minos gekommen, geschweige denn zurück.

Ruben war entschlossen. Er zog sein Visier wieder herunter und ließ Schlafgas in die Zentrale. Aufmerksam beobachtete er die Anzeige der Körperwerte aller fünf: normale Schlafanzeichen. Und langsam schwand die Parallelität, jeder bekam seine eigenen charakteristischen Kurven.

Im Archiv mußten die Schlafkurven der fünf gespeichert sein. Ruben holte sie auf die Schirme – die jetzigen Kurven stimmten mit den archivierten überein.

Nun sah er in die Gesichter und atmete auf. Die Qual und die Unruhe waren aus ihnen verschwunden, alle sahen wie normale Schlafende aus.

Ruben blies das Schlafgas aus der Zentrale, öffnete sein Visier und stand auf. Mit Gurten sicherte er die Schlafenden in ihren Sesseln. Und dann endlich kam die Antwort aus Gagarin. Eine gutaussehende, aber nicht mehr allzu junge Frau erschien auf dem Bildschirm. „Geben Sie Schlafgas, und wenn eine Beruhigung eingetreten ist, kommen Sie nach Gagarin zurück. Inzwischen übermitteln Sie mir bitte die Biowerte der Patienten, ich melde mich dann wieder.“

Ruben war ungeheuer erleichtert, daß er anscheinend das Richtige getan hatte. Er schaltete die Körperwerte der fünf auf den Sender. Jetzt zum erstenmal dachte er wieder an das Experiment und seinen merkwürdigen Ausgang. Was war mit dem Bläschen geschehen? Existierte es noch? Er blickte auf die Bildschirme der anderen. Sie waren leer. Irgendwann mußte es explodiert sein. Nun, das würde er sich später anschauen. Er schaltete, aber von der Anlage Blastron I kamen überhaupt keine Werte mehr. Was war denn da los?

Er schaltete das Radar des Zollstocks ein und suchte die Anlage. Sie war nicht schwer zu finden, vor allem wegen der riesigen Kollektorschirme, in deren geometrischer Mitte sie lag. Moment mal…, das war doch nicht möglich… Ruben schaltete zum Radar das Infrarotbild. Tatsächlich, die Anlage taumelte. Die Steuerdüsen wurden gezündet, unregelmäßig, mal die, mal jene. Und in den Abgasen der Düsen zeichnete sich für den Bruchteil einer Sekunde ein schmaler weißer Streifen ab: die Laser arbeiteten noch!

„Wir können jetzt nicht nach Gagarin kommen“, sprach Ruben ins Mikrofon.