Während Gibril sich in das Unvermeidliche fügt und schwerlidrig auf Traumbilder seiner Engelwerdung zugleitet, kommt er an seiner Mutter vorbei, die ihm einen anderen Namen gibt, Schaitan nennt sie ihn, genau wie Schaitan, gleich und gleich gesellt sich gern, denn er hat mit den Tiffins gespielt, die zu den Büroangestellten als Mittagessen in die Stadt getragen werden sollten, unseliger Bengel, sie durchschneidet die Luft mit der Hand, der Schlingel hat Behälter mit islamischem Fleisch auf die hinduistischen, nichtvegetarischen Tiffin-Tabletts geschmuggelt, die Kunden proben den Aufstand.

Satansbraten, schilt sie ihn, und schließt ihn dann in die Arme, mein kleiner Farishta, Buben sind eben Buben, und er fällt an ihr vorbei in den Schlaf, wird während des Fallens größer und größer, und das Fallen mutet allmählich an wie Fliegen, die Stimme der Mutter weht von Ferne zu ihm hinauf, Baba, schau, wie du gewachsen bist, ungeheuerlich wah-wah, Applaus Applaus. Er ist riesig, flügellos, steht auf dem Horizont und umarmt die Sonne. In den ersten Träumen sieht er die Anfänge, Schaitan wird aus dem Himmel gestoßen, greift nach einem Zweig des Allerhöchsten, des Lotusbaums am äußersten Ende, der unterhalb des Throns steht, Schaitan verfehlt ihn, fällt wie ein Stein, patsch. Aber er lebte weiter, war nicht tot, konnte nicht tot sein, sang aus tiefster Hölle seine leisen, verführerischen Lieder. Ach, die lieblichen Lieder, die er sang.

Mit seinen Töchtern als teuflischem Hintergrundchor, ja, mit den dreien, Lat Manat Uzza, mutterlosen Mädchen, die mit ihrem Abba in Gelächter ausbrechen, sich hinter vorgehaltener Hand über Gibril lustig machen, was für einen Streich wir dir spielen werden, kichern sie, dir und diesem Geschäftsmann auf dem Hügel. Aber vor der Geschichte mit dem Geschäftsmann gibt es noch andere Geschichten, da ist er, der Erzengel Gibril und zeigt Hagar, der Ägypterin, die Quelle von Zamzam, damit sie, vom Propheten Ibrahim mit ihrem gemeinsamen Kind in der Wüste sitzengelassen, von der kühlen Quelle trinken kann und so am Leben bleibt. Und später, nachdem der Jurhum Zamzam mit Lehm und goldenen Gazellen zugeschüttet hat, so dass sie eine Weile nicht zu finden war, erscheint er wieder und zeigt sie jenem anderen, Muttalib von den Scharlachroten Zelten, Vater des Kindes mit dem Silberhaar, das seinerseits den Geschäftsmann zeugte. Der Geschäftsmann: da kommt er.

Manchmal, wenn er schläft, wird sich Gibril, ohne den Traum zu träumen, bewusst, dass er schläft, dass er sein eigenes Bewusstsein von seinem Traum träumt, und dann überfällt ihn Panik, O Gott, ruft er, O allgütiger Allahgott, jetzt hab’ ich ausgespielt, ich Ärmster. Hab’ nicht alle Tassen im Schrank, bin vollkommen verrückt, irrer Gesang, Affenklang. Genau das gleiche Gefühl, das er der Geschäftsmann, hatte, als er den Erzengel zum ersten Mal sah: er dachte, er sei übergeschnappt, wollte sich von einem Felsen stürzen, von einem hohen Felsen, von einem Felsen, auf dem ein verkrüppelter Lotusbaum wuchs, einem Felsen, der so hoch war wie das Dach der Welt.

Er kommt: auf dem Weg zum Gipfel des Cone Mountain, zur Höhle. Alles Gute zum Geburtstag: heute wird er vierundvierzig.

Aber obwohl die Stadt hinter und unter ihm von Festivitäten wimmelt, steigt er hinauf, allein. Kein neuer Geburtstagsanzug, sauber gebügelt und zusammengelegt am Fußende seines Bettes. Ein Mann mit asketischen Neigungen. (Was für ein merkwürdiger Geschäftsmann ist das?)

Frage: Was ist das Gegenteil von Glaube?

Nicht Unglaube. Zu endgültig, gewiss, hermetisch. Selbst eine Art Glaube.

Zweifel.

Die menschliche Befindlichkeit, aber wie steht es mit den Engeln? Haben sie je Zweifel gehegt auf halbem Weg zwischen Allahgott und Homosap? Durchaus: Eines Tages forderten sie den Willen Gottes heraus, versteckten sich murrend unter seinem Thron, wagten es, verbotene Fragen zu stellen: Antifragen. Ist es richtig, dass. Könnte man nicht einwenden, dass. Freiheit, das alte Antistreben. Selbstverständlich beschwichtigte er sie, unter Einsatz von Managementtalent à la Gott. Schmeichelte ihnen: ihr werdet das Werkzeug meines Willens auf Erden sein, der Erlösungverdammung der Menschen, et cetera pp. Und Simsalabim, Einspruch Ende, die Heiligenscheine wieder aufgesetzt, zurück an die Arbeit. Engel sind leicht zu besänftigen; man macht sie zu Werkzeugen, und sie tanzen einem nach der Pfeife. Der Mensch ist da eine härtere Nuss, imstande, alles zu bezweifeln, sogar das, was er mit eigenen Augen sieht. Das, was hinter den eigenen Augen vor sich geht. Das, was hinter geschlossenen Glotzern ausgebrütet wird, wenn sie schwerlidrig zufallen… Engel haben nicht gerade einen eisernen Willen. Einen Willen haben, heißt widersprechen; sich nicht unterwerfen; anderer Meinung sein.

Ich weiß; hier spricht der Teufel. Schaitan fällt Gibril ins Wort.

Mir?

Der Geschäftsmann: sieht aus, wie er soll, hohe Stirn, Adlernase, breite Schultern, schmale Hüften. Nicht zu groß, nicht zu klein, nachdenklich, in zwei Bahnen einfachen Tuchs gekleidet, jede vier Ellen lang, eine um den Körper drapiert, die andere über die Schulter. Große Augen; lange Wimpern wie ein Mädchen. Seine Schritte mögen zu lang scheinen für seine Beine, aber er geht leichtfüßig. Waisenkinder lernen, ein bewegliches Ziel zu sein, entwickeln einen raschen Gang, schnelle Reaktionen, Pass-auf-was-du-sagst-Vorsicht. Hinauf durch Dornbüsche und Balsambäume steigt er, krabbelt über Felsblöcke, der Mann ist fit, kein dickwanstiger Wucherer, o nein. Und um es nochmals zu betonen: es muss ein seltsamer Geschäftswalla sein, der in die Wildnis abhaut, hinauf auf den Mount Cone, manchmal für einen ganzen Monat, nur um allein zu sein.

Sein Name: ein Traum-Name, verändert durch die Vision.

Korrekt ausgesprochen, bedeutet er Der-für-den-man-Dank-sagen-soll, aber darauf reagiert er hier nicht; ebenso wenig - obwohl er sich durchaus bewusst ist, wie man ihn nennt - auf seinen Spitznamen, den man ihm unten in Jahilia anhängt: Der-den-alten-Coney-rauf-und-runter steigt. Hier ist er weder Mahomed noch MoeHammered; hat stattdessen das Teufels—Etikett angenommen, das ihm die Farangis um den Hals hängten. Um Kränkungen in Stärke zu verwandeln, haben Whigs, Torys, Schwarze sich dazu entschlossen, stolz die Namen zu tragen, die ihnen voller Verachtung gegeben wurden; auf ebendiese Weise wird unser bergsteigender, prophetenberufener Einzelgänger zum mittelalterlichen Kinderschreck, zum Synonym für den Teufel werden: Mahound.

Das ist er. Mahound, der Geschäftsmann, wie er auf seinen heißen Berg im Hidschas steigt. Die Luftspiegelung einer Stadt schimmert unter ihm in der Sonne.

 

Die Stadt Jahilia ist gänzlich aus Sand erbaut, ihre Strukturen von der Wüste geformt, aus der sie sich erhebt. Sie ist ein erstaunlicher Anblick: von Mauern umgeben, mit vier Toren versehen ganz und gar ein Wunder, gewirkt von seinen Bewohnern, die gelernt haben, den feinen weißen Dünensand dieser verlassenen Gegend - der Stoff aus dem die Unbeständigkeit ist, die Quintessenz der Nichtseßhaftigkeit, der Veränderung, des Verrats, des Mangels an Form -

umzuwandeln, und ihn, mittels Alchimie, zum Grundstoff ihrer neu ersonnenen Sesshaftigkeit gemacht haben.

Diese Menschen haben erst vor drei oder vier Generationen ihre nomadische Vergangenheit aufgegeben, während derer sie entwurzelt wie die Dünen waren, oder vielmehr verwurzelt in dem Wissen, dass das Umherwandern selbst das Zuhause ist.

Wogegen der Auswanderer auf die Reise verzichten kann -

es ist nicht mehr als ein notwendiges Übel; wichtig ist anzukommen.

Vor nicht allzu langer Zeit also und gemäß der Art der gewitzten Geschäftsleute, die sie waren, ließen sich die Bewohner von Jahilia am Schnittpunkt der großen Karawanenrouten nieder und unterwarfen die Dünen ihrem Willen. Jetzt dient der Sand den mächtigen Kaufleuten der Stadt. Zu Kopfsteinen gehauen, pflastert er Jahilias gewundene Straßen; nachts lodern goldene Flammen aus Kohlenpfannen aus poliertem Sand. Die Fenster, die länglichen, schlitzförmigen Fenster in den unendlich hohen Sandwänden der Kaufmannspaläste sind verglast; in den Gassen Jahilias rollen Eselskarren auf glatten Siliziumrädern dahin. Ich, in meiner Bosheit, stelle mir manchmal vor, wie sich eine riesige Woge nähert, eine hohe Wand schäumenden Wassers, die durch die Wüste braust, eine flüssige Katastrophe voll von berstenden Booten und ertrinkenden Armen, eine Flutwelle, die diese eitlen Sandburgen wieder zu dem Nichts macht, zu den Sandkörnern aus denen sie errichtet sind. Aber hier gibt es keine Wellen.

Wasser ist der Feind Jahilias. Es wird in irdenen Töpfen getragen und kein Tropfen darf verschüttet werden (das Strafgesetzbuch verfährt streng mit Zuwiderhandelnden), denn wo es hintropft, wird die Stadt in besorgniserregendem Maße ausgelöscht. Die Straßen werden löchrig, Häuser neigen sich und schwanken. Die Wasserträger von Jahilia sind eine verabscheute Notwendigkeit, Parias, auf die man nicht verzichten kann und denen deswegen nichts vergeben wird. Es regnet nie in Jahilia; keine Brunnen stehen in den Siliziumgärten. Ein paar Palmen wachsen in den von Mauern umgebenen Innenhöfen, auf der Suche nach Feuchtigkeit schlagen sie ihre Wurzeln tief in die Erde. Das Wasser der Stadt kommt aus unterirdischen Wasserläufen und Quellen; eine davon ist die sagenumwobene Quelle von Zamzam im Herzen der konzentrisch angelegten Sandstadt, neben dem Haus des Schwarzen Steins. Hier, in Zamzam, gibt es einen Beheschti, einen verachteten Wasserträger, der die lebensnotwendige, gefährliche Flüssigkeit heraufholt. Er hat einen Namen: Khalid.

Eine Stadt der Geschäftsleute, Jahilia. Der Name des Stammes lautet Schark.

In dieser Stadt begründet der zum Propheten gewordene Geschäftsmann Mahound eine der großen Religionen der Welt; und an diesem Tag, seinem Geburtstag, beginnt die Krise seines Lebens. Eine Stimme flüstert ihm ins Ohr: Was für eine Art Idee bist du? Mann oder Maus? Wir kennen diese Stimme, wir haben sie schon einmal gehört.

Während Mahound auf den Coney steigt, feiert Jahilia ein anderes Jubiläum. Vor langer Zeit kam der Patriarch Ibrahim mit Hagar und Ismail, ihrem gemeinsamen Sohn, in dieses Tal.

Hier, in dieser wasserlosen Wildnis, verließ er sie. Sie fragte ihn, kann das Gottes Wille sein? Er antwortete, ja, das ist er.

Und machte sich davon, der Dreckskerl. Von allem Anfang an benützten die Menschen Gott, um das nicht zu Rechtfertigende zu rechtfertigen. Seine Wege sind unerforschlich: sagen die Männer. Kein Wunder also, dass sich die Frauen mir zugewandt haben. Aber ich will nicht abschweifen; Hagar war keine Hexe.

Sie baute auf ihn: dann wird Er mich gewiss nicht untergehen lassen. Nachdem Ibrahim sie verlassen hatte, gab sie dem Kind die Brust, bis sie keine Milch mehr hatte. Dann kletterte sie auf zwei Hügel, zuerst auf Safa, dann auf Marwah, lief in ihrer Verzweiflung vom einen zum anderen und hielt Ausschau nach einem Zelt, einem Kamel, einem menschlichen Wesen. Sie erblickte nichts. Da kam er zu ihr, Gibril, und zeigte ihr die Wasser von Zamzam. So überlebte Hagar; aber warum versammeln sich jetzt die Pilger? Um Hagars Errettung zu feiern? Nein, nein. Sie feiern die Ehre, die dem Tal durch den Besuch von - Sie haben es erraten - Ibrahim zuteilwurde. Im Namen dieses liebevollen Gemahls versammeln sie sich, huldigen ihm und geben vor allem Geld aus.

Heute besteht Jahilia ganz aus Düften. Alle Wohlgerüche von Arabien, von Arabia Odorifera, hängen in der Luft; Balsam, Kassie, Zimt, Weihrauch, Myrrhe. Die Pilger trinken den Wein der Dattelpalme und wandeln auf dem großen Jahrmarkt zu Ehren Ibrahims. Und unter ihnen wandelt einer, dessen gefurchte Stirn ihn von der fröhlichen Menge abhebt: ein hochgewachsener Mann in einem losen, weißen Gewand, ist er fast einen ganzen Kopf größer als Mahound. Der Bart folgt den Konturen der schrägen, hohen Backenknochen; sein Gang ist behände und federnd, die tödliche Eleganz der Macht. Wie heißt er? Die Vision gibt schließlich seinen Namen preis; auch er ist vom Traum verändert. Hier ist er, Karim Abu Simbel, Grande von Jahilia, Ehemann der wilden, schönen Hind. Oberhaupt des herrschenden Rates der Stadt, über alle Maßen reich, Eigentümer der einträglichen Tempel an den Stadttoren, gesegnet mit unzähligen Kamelen, Herrscher über die Karawanen, seine Frau die Schönste im ganzen Land: was konnte die Gewissheiten eines solchen Mannes erschüttern?

Und dennoch naht auch für Abu Simbel eine Krise. Ein Name quält ihn, und Sie können sich denken, wie er lautet: Mahound Mahound Mahound.

Ach, die Pracht und die Herrlichkeit des Jahrmarktes von Jahilia! In riesigen, duftenden Zelten werden Gewürze feilgeboten, Sennesblätter, wohlriechende Hölzer; hier konkurrieren die Duftverkäufer um die Nasen der Pilger und um ihre Brieftaschen. Abu Simbel bahnt sich einen Weg durch die Menge. Jüdische, monophysitische, nabatäische Händler kaufen und verkaufen Gold und Silber, wägen es in der Hand, beißen auf Münzen mit kundigen Zähnen. Hier liegt Leinen aus Ägypten, Seide aus China, Waffen und Getreide aus Basra. Es wird gespielt, getrunken und getanzt. Sklaven werden zum Verkauf angeboten, Nubier, Anatolier, Äthiopier. Die vier Parteiungen des Stammes der Schark kontrollieren vier voneinander getrennte Bereiche des Marktes, Duftstoffe und Gewürze in den Purpurroten Zelten, Stoffe und Leder in den Schwarzen Zelten. Die Silberhaarige Gruppe beaufsichtigt den Handel mit Edelmetallen und Schwertern. Die Vergnügungen - Würfelspiel, Bauchtänzerinnen, Palmwein, Haschisch-und Afeemrauchen - sind Vorrecht des vierten Teils des Stammes, der Besitzer der Scheckigen Kamele, die auch den Sklavenhandel betreiben. Abu Simbel wirft einen Blick in ein Tanzzelt. Pilger sitzen herum, halten krampfhaft Geldbeutel in der linken Hand; hin und wieder wandert eine Münze aus dem Beutel in die rechte Hand. Die Tänzerinnen schütteln sich und schwitzen, nie lassen sie die Fingerspitzen der Pilger aus den Augen; wenn der Münzfluß zum Stillstand kommt, endet auch der Tanz. Der große Mann verzieht das Gesicht und wendet sich ab.

Jahilia wurde konzentrisch in unregelmäßigen Ringen errichtet, die Häuser erstrecken sich vom Haus des Schwarzen Steins nach außen, in etwa gemäß Reichtum und Rang. Abu Simbels Palast liegt im ersten Kreis, dem innersten Ring; er geht durch eine der gewundenen, zugigen, strahlenförmig angelegten Straßen, vorbei an den vielen Sehern der Stadt, die als Gegenleistung für Pilgergeld zirpen, gurren, zischen und abwechselnd von Vogel-, Raubtier-und Schlangendschinns besessen sind. Eine Zauberin, einen Augenblick unachtsam, hockt sich ihm in den Weg: »Wollen Sie das Herz eines Mädchens erobern, mein Lieber? Wollen Sie einen Feind im Staub zertreten? Versuchen Sie es mit mir; versuchen Sie es mit meinen kleinen Knoten!« Und sie hält eine Schnur mit Knoten in die Höhe, lässt sie baumeln, die Fängerin menschlichen Lebens - aber jetzt, da sie sieht, mit wem sie spricht, sinkt ihr enttäuschter Arm, und sie schleicht vor sich hinbrummend fort, in den Sand.

Überall Lärm und Gedränge. Dichter stehen auf Kisten und deklamieren, während Pilger ihnen Münzen zu Füßen werfen.

Barden sprechen Rajaz-Verse, deren viersilbiges Versmaß der Sage nach auf die Gangart des Kamels zurückgeht; andere rezitieren die Qasidah, Gedichte über unberechenbare Geliebte, Wüstenabenteuer, die Jagd auf den Onager. In ein paar Tagen wird der jährliche Dichterwettstreit stattfinden, nach dessen Beendigung die sieben besten Verse an die Wände des Hauses des Schwarzen Steins genagelt werden. Die Dichter bringen sich in Form für ihren großen Tag; Abu Simbel lacht über die Sänger, die boshafte Satiren zum besten geben, gehässige Oden, die von einem Stammesführer gegen den anderen in Auftrag gegeben wurden. Und nickt grüßend, als einer der Dichter neben ihm herzugehen beginnt, ein junger, schmaler Mann mit scharfen Zügen und nervösen Fingern.

Dieser junge Verfasser von Schmähschriften hat bereits die gefürchtetste Zunge in ganz Jahilia, aber zu Abu Simbel ist er nahezu ehrerbietig. »Warum so nachdenklich, Grande? Wenn Euch nicht die Haare ausgingen, dann würde ich Euch raten, sie offen zu tragen.« Abu Simbel grinst sein schiefes Grinsen.

»Ein solches Ansehen«, sinnt er. »So viel Ruhm, noch bevor dir die Milchzähne ausgefallen sind. Pass auf, oder wir werden sie dir ziehen müssen.« Er spricht im Spaß, leichthin, aber selbst diese Leichtigkeit ist mit Drohung verbrämt, aufgrund des Ausmaßes seiner Macht. Der Junge ist ungerührt. Im Gleichschritt mit Abu Simbel antwortet er: »Für jeden, den du ziehst, wird ein stärkerer nachwachsen, der tiefer beißen und heißeres Blut herausschießen lassen wird.« Der Grande nickt kaum merklich. »Du magst den Geschmack von Blut«, sagt er.

Der Junge zuckt die Achseln. »Die Aufgabe des Dichters«, antwortet er. »Das Unnennbare zu benennen, Betrug aufzudecken, Stellung zu beziehen, Auseinandersetzungen in Gang zu bringen, die Welt zu gestalten und sie am Einschlafen zu hindern.« Und wenn aus den Wunden, die seine Verse reißen, Ströme von Blut fließen, so werden sie ihn nähren. Er ist Baal, der Satiriker.

Eine Sänfte mit zugezogenen Vorhängen gleitet vorbei; irgendeine vornehme Dame der Stadt, auf den Schultern von acht anatolischen Sklaven getragen, um den Jahrmarkt zu sehen. Abu Simbel nimmt den jungen Baal am Ellbogen, unter dem Vorwand, ihn aus dem Weg zu ziehen; murmelt: »Ich habe gehofft, dich zu treffen; wenn du gestattest, auf ein Wort.« Baal bewundert das Geschick des Granden. Auf der Suche nach einem Mann kann er seine Jagdbeute glauben machen, dass sie ihrerseits den Jäger gejagt hat. Abu Simbels Griff um den Ellbogen wird fester; er lenkt seinen Begleiter auf das Allerheiligste im Mittelpunkt der Stadt zu.

»Ich habe einen Auftrag für dich«, sagt der Grande. »Eine literarische Angelegenheit. Ich kenne meine Grenzen; die Fähigkeit zu gereimter Bosheit, die Kunst metrischer Verleumdung liegen nicht in meiner Macht. Du verstehst.«

Doch Baal, der stolze, hochmütige Kerl, gibt sich unnachgiebig, besteht auf seiner Würde. »Es ist nicht recht, wenn ein Künstler sich in den Dienst des Staates stellt.«

Simbels Stimme wird leiser, geht zu einem seidigeren Rhythmus über. »Ach, ja. Wogegen es etwas vollkommen Ehrenhaftes ist, sich Mördern zur Verfügung zu stellen.« Ein Totenkult wütet in Jahilia. Wenn ein Mann stirbt, geißeln sich gekaufte Trauernde, zerkratzen sich die Brust, reißen sich die Haare aus. Ein Kamel, dem die Kniesehnen durchgeschnitten wurden, wird zum Grab gebracht, damit es dort verendet. Und wenn der Mann ermordet wurde, dann schwört sein nächster Verwandter asketische Eide und verfolgt den Mörder, bis Blut durch Blut gerächt ist; danach, so will es der Brauch, wird zur Feier ein Gedicht verfasst, doch nur wenige Rächer sind begabt im Reimen. Viele Dichter verdienen sich mit dem Schreiben von Mörderliedern ihren Lebensunterhalt, und man ist sich einig, dass der beste dieser blutpreisenden Verseschmiede der frühreife Polemiker Baal ist. Dessen Berufsstolz verhindert, dass er sich jetzt durch die Spöttelei des Granden verletzt fühlt. »Das ist eine kulturelle Angelegenheit«, erwidert er. Abu Simbel versinkt noch tiefer in Seidigkeit. »Vielleicht«, flüstert er am Tor des Hauses des Schwarzen Steins, »aber gib zu, Baal: habe ich nicht einen kleinen Anspruch auf dich? Dienen wir doch beide - so scheint mir - derselben Herrin.«

Jetzt weicht das Blut aus Baals Gesicht; seine Dreistigkeit bekommt Sprünge, fällt von ihm ab wie eine Schale. Der Grande scheint diese Veränderung nicht zu bemerken und schiebt den Satiriker vor sich her ins Haus.

In Jahilia behauptet man, dass dieses Tal der Nabel der Welt ist; dass der Planet, als er erschaffen wurde, sich um diesen Punkt drehte. Adam kam hierher und gewahrte ein Wunder: vier Smaragdsäulen, die oben in der Höhe einen riesigen glühenden Rubin trugen, und unter diesem Baldachin war ein ungeheuer großer weißer Stein, der ebenfalls aus sich heraus glühte, wie ein Traumbild seiner Seele. Er baute starke Mauern um diese Vision, um sie auf ewig an die Erde zu bannen. Dies war das erste Haus. Es wurde oftmals wiedererrichtet - einmal von Ibrahim, nach Hagars und Ismaels engelsunterstütztem Überleben -, und allmählich wurde die Farbe des weißen Steins durch die zahllosen Pilgerberührungen vieler Jahrhunderte schwarz. Dann begann die Zeit der Götzen; zur Zeit Mahounds drängten sich dreihundertsechzig Steingötter um Gottes eigenen Stein.

Was hätte wohl der alte Adam gedacht? Seine Söhne stehen jetzt hier; der Koloss Hubal, von den Amalekiten aus Hit gesandt, steht über der Schatzkammer, der Schafhirt Hubal, der zunehmende Mond; auch der finster blickende, gefährliche Kain. Er ist der abnehmende Mond, Schmied und Musiker; auch er hat seine Anhänger.

Hubal und Kain schauen auf Grande und Dichter herab, während diese vorbeischlendern. Und der nabatäische Proto-Dionysos, Er-aus-Shara; der Morgenstern, Astarte, und der düstere Nakruh. Hier ist Manaf, der Sonnengott! Sieh, hier schlägt der riesenhafte Nasr seine Flügel, der Gott in Adlergestalt! Und da ist Quzah, der den Regenbogen hält… ist das nicht eine Schwemme von Göttern, eine Steinflut, um den unersättlichen Hunger der Pilger, ihren unheiligen Durst zu stillen. Um die Reisenden zu verführen, kommen die Gottheiten - wie die Pilger - von nah und fern. Auch die Götzen sind Abgesandte auf einer Art internationaler Messe.

Es gibt hier einen Gott namens Allah (das bedeutet schlicht und einfach der Gott). Fragen Sie die Jahilier, und sie werden zugeben, dass dieser Bursche so etwas wie eine übergreifende Autorität besitzt, aber er ist nicht sehr beliebt: ein Generalist in einem Zeitalter von Spezialistenstatuen.

Abu Simbel und der neuerdings schwitzende Baal sind bei den nebeneinanderstehenden Schreinen der drei in Jahilia beliebtesten Göttinnen angelangt. Sie verneigen sich vor allen dreien: Uzza mit dem strahlenden Antlitz, Göttin der Schönheit und Liebe; die dunkle, rätselhafte Manat - das Gesicht abgewandt, die Absichten geheimnisvoll - die Sand durch die Finger rinnen lässt; sie ist zuständig für das Schicksal, die Schicksalsgöttin; und schließlich die Höchste der drei, die Muttergöttin, die die Griechen Lato nannten. Ilat nennt man sie hier, oder, häufiger, Al-Lat. Die Göttin. Schon ihr Name macht sie zu Allahs Gegenstück und stellt sie ihm gleich. Lat die Allmächtige. Mit plötzlich erleichtertem Ausdruck wirft sich Baal vor ihr auf den Boden. Abu Simbel bleibt stehen.

Die Familie des Grandes, Abu Simbel - oder, um genauer zu sein, die Familie seiner Frau Hind - überwacht den berühmten Tempel der Lat am Südtor der Stadt. (Sie kassiert auch die Einnahmen des Tempels der Manat am Osttor und des Tempels der Uzza im Norden.) Diese Privilegien bilden die Grundlage des Reichtums des Granden, daher ist er natürlich, so sieht es Baal, der Diener der Lat. Und des Satirikers Ergebenheit dieser Göttin gegenüber ist in Jahilia wohlbekannt.

Das war es also, was er gemeint hat! Zitternd vor Erleichterung bleibt Baal zu den Füßen seiner Schutzpatronin liegen und dankt ihr. Diese blickt ihn gütig an; doch auf die Miene einer Göttin ist kein Verlass. Baal hat einen schwerwiegenden Fehler begangen.

Ohne Vorwarnung tritt der Grande dem Dichter in die Nieren.

In dem Augenblick angegriffen, da er sich sicher wähnt, schreit Baal auf, wälzt sich herum, und Abu Simbel folgt ihm und tritt weiter auf ihn ein. Man hört eine Rippe brechen. »Du lächerlicher Knilch«, bemerkt der Grande mit weiterhin leiser und freundlicher Stimme, »fistelstimmiger Zuhälter mit winzigen Eiern. Hast du gedacht, der Herr über Lats Tempel würde sich als dein Freund bezeichnen nur wegen deiner pubertären Leidenschaft für sie?« Und weitere Tritte, regelmäßig, systematisch. Baal weint zu Abu Simbels Füßen. Das Haus des Schwarzen Steins ist beileibe nicht leer, aber wer würde sich zwischen den Granden und seinen Zorn stellen? Unvermittelt hockt sich Baals Peiniger hin, packt den Dichter an den Haaren, reißt seinen Kopf hoch und flüstert ihm ins Ohr: »Baal, sie war nicht die Herrin, die ich meinte«, und daraufhin bricht Baal in grässliches Heulen voll Selbstmitleid aus, weil er weiß, dass er sein Leben verwirkt hat, wo er doch noch so viel erreichen könnte, der arme Kerl. Der Grande streift mit den Lippen sein Ohr. »Stinkende Scheiße eines feigen Kamels«, haucht Abu Simbel, »ich weiß, dass du meine Frau vögelst.« Mit Interesse registriert er, dass Baal eine nicht zu übersehende Erektion bekommen hat, ein ironisches Denkmal seiner Angst.

Abu Simbel, der gehörnte Grande, steht auf und befiehlt:

»Auf die Beine«, und Baal, verwirrt, folgt ihm ins Freie.

Die Gräber von Ismail und seiner Mutter Hagar, der Ägypterin, liegen an der Nordwestseite des Hauses des Schwarzen Steins, in einer von einer niedrigen Mauer umgebenen Einfriedung. Abu Simbel nähert sich diesem Bereich, bleibt ein wenig entfernt davon stehen. In der Einfriedung befindet sich eine kleine Gruppe von Männern. Der Wasserträger Khalid ist dabei und irgend so ein Tippelbruder aus Persien, der auf den ausländischen Namen Salman hört, und die Dreifaltigkeit des Abschaums wird vervollständigt durch den Sklaven Bilal, den Mahound freigekauft hat, ein riesiges schwarzes Monster mit einer Stimme, die seiner Größe entspricht. Die drei Müßiggänger sitzen auf der Mauer der Einfriedung. »Dieses Gesindel«, sagt Abu Simbel. »Sie sind deine Zielscheibe. Schreibe über sie; und über ihren Anführer.«

Trotz seiner Angst kann Baal seine Ungläubigkeit nicht verbergen. »Grande, über diese Schafsköpfe - diese verdammten Hanswurste? Ihretwegen braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen. Was glaubt Ihr denn? Dass Mahounds einziger Gott Eure Tempel in den Bankrott treiben wird?

Dreihundertsechzig gegen einen, und der eine soll gewinnen?

Unmöglich.« Er kichert, der Hysterie nahe. Abu Simbel bleibt ruhig: »Spar dir die Beleidigungen für deine Verse.« Der kichernde Baal kann sich nicht bezähmen. »Eine Revolution von Wasserträgern, Einwanderern und Sklaven… ach, Grande.

Da fürchte ich mich wirklich.« Abu Simbel sieht den kichernden Dichter prüfend an. »Ja«, antwortet er, »da hast du recht, du solltest dich fürchten. Mach dich bitte ans Schreiben, und ich erwarte, dass diese Verse dein Meisterstück werden.« Baal sackt zusammen, jammert. »Aber, mein geringfügiges Talent an sie verschwenden…« Er sieht, dass er zu viel gesagt hat.

»Tu, was ich dir sage«, sind Abu Simbels letzte an ihn gerichtete Worte. «Du hast keine Wahl.«

 

Der Grande räkelt sich in seinem Schlafzimmer, während sich Konkubinen seiner Bedürfnisse annehmen. Kokosnussöl für sein sich lichtendes Haar, Wein für seinen Gaumen, Zungen für seine Lust. Der Junge hatte recht. Warum fürchte ich Mahound? Müßig beginnt er, die Konkubinen zu zählen, gibt bei fünfzehn auf und lässt die Hand sinken. Der Junge. Hind wird ihn weiterhin treffen, keine Frage; was für eine Chance hat er gegen ihren Willen? Das ist eine seiner Schwächen, darüber ist er sich im Klaren, er sieht zu viel, toleriert zu viel. Er hat seine Gelüste, warum sollte sie nicht die ihren haben? Solange sie diskret ist; und solange er Bescheid weiß. Er muss Bescheid wissen; Wissen ist sein Rauschgift, seine Sucht. Er kann nicht tolerieren, was er nicht weiß, und aus diesem Grund, wenn schon aus keinem anderen, ist Mahound sein Feind, Mahound mit seiner Lumpenbande, der Junge hatte recht, als er lachte.

Er, der Grande, lacht weniger leicht. Wie sein Gegenspieler ist er ein vorsichtiger Mann, er geht auf leisen Sohlen. Er denkt an den Großen, den Sklaven Bilal: wie sein Herr ihn vor dem Tempel der Lat dazu aufforderte, die Götter aufzuzählen. »Es gibt nur einen Gott«, antwortete er mit dieser gewaltigen, musikalischen Stimme. Blasphemie, darauf steht die Todesstrafe. Er musste sich auf den Marktplatz legen, seine Brust wurde mit einem Steinblock beschwert. Wie viele, sagtest du? Einer, wiederholte er, einer. Ein zweiter Stein wurde dem ersten hinzugefügt. Einer einer einer. Mahound zahlte seinem Besitzer einen hohen Preis und schenkte dem Sklaven die Freiheit.

Nein, denkt Abu Simbel, der junge Baal hatte unrecht, diese Männer sind unsere Zeit wert. Warum fürchte ich Mahound?

Darum: seiner erschreckenden Einzigartigkeit wegen. Wogegen ich mich immer aufteile, immer zwei oder drei oder fünfzehn bin.

Ich kann sogar seinen Standpunkt verstehen; er ist so wohlhabend und erfolgreich wie wir alle, wie alle Ratsmitglieder, aber weil ihm die angemessenen Familienbeziehungen fehlen, haben wir ihm keinen Platz in unserer Gruppe angeboten.

Ausgeschlossen aus der Elite der Händler, weil er Waise ist, und er fühlt sich betrogen, um das, was ihm zusteht, geprellt. Er war schon immer ein ehrgeiziger Bursche. Ehrgeizig, aber ein Einzelgänger. Man kommt nicht an die Spitze, wenn man mutterseelenallein auf einen Hügel steigt. Außer, vielleicht, man begegnet dort einem Engel… ja, das ist es. Ich begreife, was er vorhat. Er würde mich allerdings nicht begreifen. Was für eine Art Idee bin ich? Ich beuge mich. Ich schwanke. Ich berechne die Chancen, ich hänge mein Mäntelchen nach dem Wind, manipuliere, überlebe. Deshalb will ich auch Hind nicht des Ehebruchs anklagen. Wir sind ein gutes Paar, Eis und Feuer.

Das Wappenschild ihrer Familie: der legendäre rote Löwe, der vielzahnige Mantikor. Soll sie sich mit ihrem Satiriker amüsieren; zwischen uns war es nie der Sex. Ich mache ihn fertig, wenn sie mit ihm fertig ist. Das ist eine große Lüge, denkt der Grande von Jahilia, während er in den Schlaf sinkt: die Feder ist mächtiger als das Schwert.

 

Die Geschicke der Stadt Jahilia gründeten sich auf der Überlegenheit des Sandes über das Wasser. In alten Zeiten hatte es als sicherer gegolten, Waren durch die Wüste und nicht über das Meer zu transportieren, wo jederzeit die Monsunwinde einsetzen konnten. Damals, vor der Meteorologie, waren solche Dinge nicht vorhersagbar. Aus diesem Grund florierten die Karawansereien. Die Güter der Welt kamen von Zafar herauf nach Saba und von dort nach Jahilia und der Oase Yathrib und dann weiter nach Midian, wo Moses lebte; von da nach Aqabah und Ägypten. Von Jahilia nahmen andere Wege ihren Ausgang: in den Osten und Nordosten, nach Mesopotamien und dem großen persischen Reich. Nach Petra und Palmyra, wo Salomo einst die Königin von Saba liebte. Das waren fette Jahre. Aber jetzt sind die Flotten, die die Gewässer rund um die Halbinsel befahren, ausdauernder geworden, ihre Besatzungen kundiger, ihre Navigationsinstrumente genauer. Die Kamelzüge verlieren das Geschäft an die Boote. Wüstenschiff und Meeresschiff, die alte Rivalität, sie erlebt ein Kippen im Kräftegleichgewicht. Jahilias Herrscher sorgen sich, aber sie können nicht viel daran ändern.

Manchmal hegt Abu Simbel den Verdacht, dass lediglich die Pilgerreisen noch zwischen der Stadt und ihrem Ruin stehen.

Der Rat sucht die Welt nach Statuen fremder Götter ab, um neue Pilger in die Stadt aus Sand zu locken; aber auch darin haben sie Konkurrenten. Unten in Saba hat man einen großen Tempel errichtet, einen Schrein, um dem Haus des Schwarzen Steins den Rang streitig zu machen. Viele Pilger sind nach Süden gelockt worden, und der Umsatz auf dem Jahrmarkt von Jahilia sinkt.

Auf Anraten von Abu Simbel haben die Herren von Jahilia den religiösen Bräuchen die verführerischen Gewürze der Profanität beigefügt. Die Stadt ist jetzt berühmt für ihre Zügellosigkeit, als Spielhölle, Hurenhaus, als Ort obszöner Lieder und wilder, lauter Musik. Bei einer Gelegenheit gingen einige Mitglieder des Stammes der Schark in ihrer Gier nach dem Geld der Pilger zu weit. Die Torwächter des Hauses begannen, von erschöpften Reisenden Bestechungsgelder zu verlangen; vier von ihnen, verärgert, nicht mehr als ein Almosen erhalten zu haben, stießen zwei Pilger die große, steile Treppe hinunter in den Tod. Dieser Schuss ging nach hinten los und dämmte den Besucherstrom merklich ein… Heute werden weibliche Pilger oft wegen eines Lösegeldes entführt oder als Konkubinen verkauft. Banden junger Scharks patrouillieren durch die Stadt, halten sich an ihre eigenen Gesetze. Es wird behauptet, dass Abu Simbel sich heimlich mit den Bandenführern trifft und ihre Machenschaften organisiert. Das ist die Welt, in die Mahound seine Botschaft getragen hat: einer einer einer. Unter so viel Vielfalt klingt das wie ein gefährliches Wort.

Der Grande setzt sich auf, und sofort nähern sich Konkubinen, um die Ölungen und Massagen wieder aufzunehmen. Er winkt sie fort, klatscht in die Hände. Der Eunuch tritt ein. »Schick einen Boten zum Haus des Kahin Mahound«, befiehlt Abu Simbel. Wir werden ihm eine kleine Aufgabe stellen. Einen fairen Wettstreit: drei gegen einen.

 

Wasserträger Einwanderer Sklave: Mahounds drei Jünger waschen sich am Brunnen von Zamzam. In der Sand-Stadt gelten sie aufgrund ihrer Besessenheit vom Wasser als Freaks.

Waschungen, immerzu Waschungen, die Beine bis zu den Knien, die Arme bis zu den Ellbogen, der Kopf bis zum Hals.

Wie absonderlich sie aussehen, mit dem trockenen Rumpf, den nassen Gliedern und dem feuchten Kopf! Plitsch, platsch, waschen und beten. Kniend schieben sie Arme, Beine, Kopf wieder zurück in den allgegenwärtigen Sand, und dann fängt der Kreislauf von Wasser und Gebet von vorne an. Sie sind ergiebige Zielscheiben für Baals Feder. Ihre Wasserliebe ist so etwas wie Verrat; die Leute von Jahilia fügen sich der Allmacht des Sandes. Er klebt zwischen Fingern und Zehen, überzieht Wimpern und Haar, verstopft Poren. Sie öffnen sich der Wüste: komm, Sand, wasch uns in Trockenheit. So halten es die Jahilier, vom höchsten Bürger bis zum Niedrigsten der Niedrigen. Es sind Menschen aus Silizium, und Wasser-Liebhaber sind unter sie geraten.

Baal umkreist sie aus sicherer Entfernung - mit Bilal ist nicht gut Kirschen essen - und höhnt lauthals: »Wenn Mahounds Ideen auch nur einen Pfifferling wert wären, glaubt ihr dann, sie wären nur bei Abschaum, wie ihr es seid, beliebt?« Salman hält Bilal zurück: »Wir sollten uns geehrt fühlen, dass der mächtige Baal uns als Zielscheibe auserwählt hat«, lächelt er, und Bilal entspannt sich, gibt nach. Khalid der Wasserträger ist nervös, und als er die behäbige Gestalt von Mahounds Onkel Hamza näherkommen sieht, läuft er ihm besorgt entgegen. Mit sechzig ist Hamza immer noch der namhafteste Kämpfer und Löwenjäger der Stadt. Obzwar die Wahrheit weniger ruhmreich ist als die Lobreden: Hamza ist oftmals im Zweikampf besiegt, von Freunden oder durch glückliche Zufälle aus dem Rachen der Löwen errettet worden. Er hat das Geld, um die dunklen Punkte nicht an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Und Alter sowie die Tatsache, überlebt zu haben, verleihen einer kriegerischen Legende so etwas wie Gültigkeit. Bilal und Salman vergessen Baal und folgen Khalid. Alle drei sind leicht erregbar, jung.

Er ist noch nicht wieder zu Hause, berichtet Hamza. Und Khalid, beunruhigt: »Aber es ist schon Stunden her, was macht dieser Schweinehund mit ihm, Folter, Daumenschrauben, Peitschen?«

Wieder ist Salman der Ruhigste: »Das ist nicht Simbels Art«, sagt er, »es ist eine Hinterlist, darauf könnt ihr euch verlassen.«

Und Bilal brüllt treu ergeben: »Hinterlist oder nicht, ich glaube an ihn, an den Propheten. Er wird nicht nachgeben.« Hamza übt nur sanften Tadel: »Ach Bilal, wie oft muss er es dir noch sagen? Heb dir deinen Glauben für Gott auf. Der Verkünder ist nur ein Mensch.« Die Spannung bricht aus Khalid heraus: er pflanzt sich vor dem alten Hamza auf, fragt fordernd: »Willst du damit sagen, dass der Verkünder schwach ist? Du magst sein Onkel sein…« Hamza versetzt dem Wasserträger einen Backenstreich. »Lasse ihn deine Angst nicht sehen, nicht einmal, wenn du dich halb zu Tode fürchtest.«

Die vier waschen sich gerade wieder, als Mahound eintrifft; sie scharen sich um ihn, werwaswarum. Hamza tritt zurück.

»Neffe, das ist verdammt schlecht«, schnauzt er ihn in militärisch barschem Ton an. »Wenn du vom Coney herunterkommst, ist etwas Strahlendes um dich. Heute ist es etwas Dunkles.«

Mahound sitzt am Brunnenrand und grinst. »Man hat mir ein Geschäft angeboten.« Abu Simbel? ruft Khalid. Undenkbar.

Ablehnen. Der gläubige Bilal ermahnt ihn: »Halte dem Verkünder keine Vorträge. Selbstverständlich hat er abgelehnt.« Salman der Perser fragt: »Was für ein Geschäft?«

Wieder lächelt Mahound. »Zumindest einer von euch will es wissen.«

»Es ist eine Kleinigkeit«, beginnt er von neuem. »Ein Sandkorn. Abu Simbel bittet Allah, er möge ihm einen einzigen kleinen Gefallen erweisen.« Hamza sieht ihm die Erschöpfung an. Als ob er mit einem Teufel gerungen hätte. Der Wasserträger ruft: »Auf keinen Fall! Nie und nimmer!« Hamza bringt ihn zum Schweigen.

»Wenn unser großer Gott es übers Herz bringen könnte einzuräumen - er gebrauchte dieses Wort, einzuräumen - , dass drei, nur drei der dreihundertsechzig Götzen im Haus der Verehrung würdig sind…«

»Es gibt keinen Gott außer Gott!« ruft Bilal. Und seine Freunde stimmen ein: »Ya Alah!« Mahound wird zornig.

»Wollen die Gläubigen den Verkünder anhören?« Sie verstummen und scharren mit den Füßen im Staub.

»Er bittet um Allahs Anerkennung von Lat, Uzza und Manat.

Als Gegenleistung garantiert er, dass wir geduldet, ja sogar offiziell anerkannt werden; und zum Zeichen dessen soll ich in den Rat von Jahilia gewählt werden. So lautet das Angebot.«

Salman der Perser sagt: »Es ist eine Falle. Wenn du auf den Coney steigst und mit einer solchen Botschaft zurückkommst, wird er fragen, wie konntest du Gibril dazu bringen, für genau die richtige Offenbarung zu sorgen? Dann wird er dich einen Scharlatan, einen Betrüger nennen können.« Mahound schüttelt den Kopf. »Du weißt, Salman, ich habe gelernt zuzuhören. Dieses Zuhören ist kein gewöhnliches; es ist auch eine Art Fragen. Oft, wenn mir Gibril erscheint, ist es, als ob er wüsste, was mein Herz bewegt. Meist scheint mir, als ob er aus meinem Herzen käme: aus meinen tiefsten Tiefen, aus meiner Seele.«

»Oder es ist eine andere Falle«, beharrt Salman. »Wie lange schon tragen wir das Glaubensbekenntnis vor, das du uns gebracht hast? Es gibt keinen Gott außer Gott. Was sind wir noch, wenn wir es jetzt aufgeben? Das wird uns schwächen, lächerlich machen. Wir werden keine Gefahr mehr darstellen. Niemand wird uns je wieder ernstnehmen.«

Mahound lacht, aufrichtig belustigt. »Vielleicht bist du noch nicht lange genug hier«, sagt er freundlich. »Hast du es nicht bemerkt? Die Leute nehmen uns nicht ernst. Wenn ich spreche, habe ich nie mehr als fünfzig Zuhörer, und die Hälfte davon sind Touristen. Liest du die Schmähschriften nicht, die Baal in der ganzen Stadt anschlägt?« Er rezitiert: Verkünder, hör gut zu. Dein Glaube an nur einen Gott Bringt dir nichts als Hohn und Spott. In Jahilia bist der Dumme du.

»Überall verspotten sie uns, und du nennst uns eine Gefahr«, ruft er.

Hamza sieht jetzt besorgt aus. »Nie zuvor hat dich ihre Meinung gekümmert. Warum also jetzt? Nachdem du mit Simbel gesprochen hast?«

Mahound schüttelt den Kopf. »Manchmal denke ich, ich muss es den Leuten einfacher machen zu glauben.«

Ein beklommenes Schweigen legt sich über seine Jünger; sie tauschen Blicke aus, treten von einem Fuß auf den anderen.

Mahound erhebt wieder die Stimme: »Ihr alle wisst, was geschehen ist. Es ist uns nicht gelungen, andere zu bekehren.

Die Menschen wollen ihre Götter nicht aufgeben. Sie wollen einfach nicht.« Er steht auf, verlässt sie, wäscht sich allein am anderen Ende der Quelle von Zamzam, kniet nieder, um zu beten.

»Die Menschen sind in Dunkelheit versunken«, sagt Bilal traurig. »Aber sie werden sehen. Sie werden hören. Es gibt nur einen Gott.« Große Not kommt über die vier, selbst Hamza ist niedergeschlagen. Mahound ist ins Wanken geraten, und seine Anhänger erbeben.

Er steht auf, verbeugt sich, seufzt, kommt zurück und gesellt sich wieder zu ihnen. »Hört mir zu, ihr alle«, sagt er und legt einen Arm um Bilals Schultern, den anderen um die seines Onkels. »Hört zu: es ist ein interessantes Angebot.«

Der nicht umarmte Khalid unterbricht verbittert: »Das Angebot ist eine Versuchung.« Die anderen blicken entsetzt.

Hamza spricht sehr sanft mit dem Wasserträger. »Warst nicht du es, Khalid, der vorhin mit mir kämpfen wollte, weil du fälschlicherweise annahmst, dass ich den Verkünder, als ich ihn einen Menschen nannte, in Wirklichkeit einen Schwächling nannte? Also was jetzt? Ist es nun an mir, dich zu einem Kampf herauszufordern?«

Mahound bittet um Friedfertigkeit. »Wenn wir streiten, gibt es keine Hoffnung.« Er versucht, die Diskussion auf eine theologische Ebene zu heben. »Es wird nicht vorgeschlagen, dass Allah die drei als ihm ebenbürtig akzeptieren soll. Nicht einmal Lat. Nur dass ihnen eine Art niedrigerer Vermittlerstatus zugestanden werden soll.«

»Wie den Teufeln«, platzt Bilal heraus.

»Nein.« Salman der Perser begreift, worum es geht. »Wie den Erzengeln. Der Grande ist ein schlauer Mann.«

»Engel und Teufel«, sagt Mahound. »Schaitan und Gibril. Wir alle erkennen bereits ihre Existenz irgendwo auf halbem Wege zwischen Gott und den Menschen an. Abu Simbel fordert nicht mehr, als dass wir diese zahlreiche Gesellschaft um drei erweitern. Nur drei, und - so deutet er an - alle Seelen Jahilias werden uns zufallen.«

»Und das Haus wird von den Statuen gesäubert werden?«

fragt Salman. Mahound erwidert, dass dies nicht genau bestimmt wurde. Salman schüttelt den Kopf. »Das geschieht, um dich zu vernichten.« Und Bilal fügt hinzu: »Es kann keine vier Götter geben.« Und Khalid, den Tränen nahe: »Verkünder, was sagst du? Lat, Manat, Uzza - lauter Frauen! Um Himmels willen! Sollen wir jetzt Göttinnen haben? Diese alten Kraniche, Reiher, hässlichen Weiber?«

Not Anstrengung Erschöpfung, tief eingegraben ins Gesicht des Propheten. Das Hamza, wie ein Soldat, der einen verwundeten Freund auf dem Schlachtfeld tröstet, in seine Hände nimmt. »Das können wir nicht für dich entscheiden, Neffe«, sagt er. »Steig auf den Berg. Geh und frag Gibril.«

Gibril: der Träumer, dessen Perspektive manchmal die der Kamera ist und dann wieder der des Zusehers entspricht. Wenn er eine Kamera ist, ist der Sucher ständig in Bewegung, er hasst statische Einstellungen, deshalb schwebt er auf einem hohen Kran und blickt hinunter auf die verkürzten Figuren der Schauspieler, oder er stürzt herab und steht unsichtbar zwischen ihnen, dreht sich langsam auf dem Absatz, um einen Schwenk um dreihundertsechzig Grad zu machen, oder versucht es mit einer Fahraufnahme und fährt neben Baal und Abu Simbel her, während sie dahinspazieren, oder er erforscht mit einer Handkamera die Geheimnisse des Schlafzimmers des Granden. Aber meist sitzt er wie ein zahlender Kunde im ersten Rang auf dem Mount Cone, und Jahilia ist die Leinwand. Er sieht zu und achtet auf die Handlung wie jeder Filmfan, genießt die Kämpfe Treulosigkeiten moralischen Krisen, aber es gibt nicht genug Mädchen für einen echten Hit, Mann, und wo sind die verdammten Lieder? Sie hätten diese Jahrmarktszenerie aufbauen sollen, vielleicht eine Nebenrolle für Pimple Billimoria in einem Vergnügungszelt, wo sie ihre berühmten Brüste hüpfen lässt.

Und dann, ohne Vorwarnung, sagt Hamza zu Mahound:

»Geh und frag Gibril«, und er, der Träumer, spürt, wie sein Herz vor Angst einen Sprung macht, wer, ich? Ich soll hier die Antworten wissen? Ich sitze hier und sehe mir diesen Film an, und jetzt zeigt dieser Schauspieler mit dem Finger auf mich, wer hat je so etwas gehört, wer verlangt vom verdammten Publikum eines »Theologicals«, es soll die verdammte Handlung auflösen? Aber während der Traum sich verändert, verwandelt er ständig seine Gestalt, er, Gibril, ist nicht mehr ein bloßer Zuseher, sondern der Hauptdarsteller, der Star. Mit seiner alten Schwäche, zu viele Rollen zu übernehmen: ja, ja, er spielt nicht nur den Erzengel, sondern auch ihn, den Geschäftsmann, den Verkünder Mahound, der den Berg heraufkommt, wenn er kommt. Ein raffinierter Schnitt ist erforderlich, um die Doppelrolle zu schaukeln, die beiden dürfen nie gemeinsam in derselben Einstellung zu sehen sein, jeder muss zur Luft sprechen, zu der vorgestellten Inkarnation des anderen, und der Technik vertrauen, die das fehlende Bild erschaffen soll, mit Schere und Klebestreifen oder, exotischer, mit Hilfe einer Reisematte. Nicht zu verwechseln, haha, mit einem fliegenden Teppich.

Er hat verstanden: dass er sich vor dem anderen fürchtet, dem Geschäftsmann, ist das nicht verrückt? Der Erzengel steht bebend vor einem gewöhnlichen Sterblichen. Das stimmt, aber: diese Art Angst empfindet man, wenn man zum allerersten Mal in einem Film mitspielt und da, im Begriff, ihren Auftritt zu machen, ist eine der lebenden Legenden des Kinos; man denkt, ich werde mich blamieren, den Mund nicht aufbringen, alles verpatzen, man möchte ihrer um jeden Preis würdig sein. Man wird vom Sog ihrer Genialität mitgerissen, sie kann einen gut aussehen lassen, wie einen Erfolgsmenschen, aber man merkt, wenn man das eigene Gewicht nicht tragen kann, und noch schlimmer, sie merkt es auch… Aus Angst, der Angst vor dem Ich, das sein Traum erschafft, wehrt sich Gibril gegen Mahounds Ankunft, versucht, sie hinauszuzögern, aber da kommt er, keine Frage, und der Erzengel hält den Atem an.

Diese Träume, in denen man auf die Bühne gestoßen wird, auf der man nichts zu suchen hat, man kennt die Handlung nicht, hat den Text nicht gelernt, aber ein volles Haus, sieht zu: so fühlt er sich jetzt. Oder die wahre Geschichte von der weißen Schauspielerin, die in einem Stück von Shakespeare eine Schwarze spielt. Sie betrat die Bühne und merkte erst dann, dass sie immer noch ihre Brille aufhatte, o Gott, und sie hatte vergessen, ihre Hände zu schwärzen, so dass sie nicht hingreifen und die Brille abnehmen konnte, o Gott o Gott: auch so fühlt er sich. Mahound kommt zu mir um Offenbarung, verlangt von mir, mich zwischen Monotheismus und Henotheismus zu entscheiden, und ich bin nichts als ein idiotischer Schauspieler, der einen Bhaenchud-Alptraum hat, was zum Teufel weiß ich denn schon, yaar, was soll ich sagen, Hilfe. Hilfe.

 

Um von Jahilia aus den Mount Cone zu besteigen, muss man durch dunkle Schluchten gehen, wo der Sand nicht weiß ist, nicht der reine Sand, der vor langer Zeit durch den Körper von Seegurken gefiltert wurde, sondern schwarz und eigensinnig und das Licht aus der Sonne saugt. Cone kauert über einem wie ein wildes Fabelwesen. Man steigt über sein Rückgrat auf.

Man lässt die letzten Bäume mit weißen Blüten und dicken, milchigen Blättern hinter sich und klettert über die Felsblöcke, die umso größer werden, je höher man gelangt, bis sie wie riesige Mauern aussehen und die Sonne verdunkeln. Die Eidechsen sind blau wie Schatten. Dann steht man auf dem Gipfel, Jahilia liegt hinter einem, die gestaltlose Wüste vor einem. Man steigt auf der zur Wüste gelegenen Seite ab, und knapp zweihundert Meter weiter unten erreicht man die Höhle, die hoch genug ist, dass man aufrecht darin stehen kann, und deren Boden mit wundersamem Albinosand bedeckt ist.

Während er hinaufsteigt, hört er die Wüstentauben seinen Namen rufen, und auch die Felsen grüßen ihn in seiner eigenen Sprache und rufen Mahound, Mahound. Wenn er bei der Höhle anlangt, ist er müde und schläft ein.

Aber nachdem er geruht hat, fällt er in einen anderen Schlaf, eine Art Nicht-Schlaf, den Zustand, den er Zuhören nennt, und er spürt einen ziehenden Schmerz in den Eingeweiden, wie etwas, das versucht, geboren zu werden, und jetzt empfindet Gibril, der Oben-Schwebende-Hinunterschauende, eine Verwirrung, wer bin ich, in diesen Augenblicken beginnt es den Anschein zu haben, als wäre der Erzengel tatsächlich im Propheten, ich bin das Ziehen in den Eingeweiden, ich bin der Engel, der aus dem Nabel des Schlafenden gepresst wird, ich komme heraus, Gibril Farishta, während mein anderes Ich liegt und zuhört, in Trance, ich bin an ihn gebunden, Nabel an Nabel, durch eine leuchtende Lichtschnur, unmöglich zu sagen, wer von uns den anderen träumt. Entlang der Nabelschnur fließen wir in beide Richtungen.

Heute spürt Gibril sowohl die überwältigende Stärke Mahounds wie auch seine Verzweiflung: seine Zweifel. Auch, dass er in großer Bedrängnis ist, aber Gibril kennt seinen Text immer noch nicht… er hört auf das Zuhören-das-auch-ein-Fragen ist.

Mahound fragt: Sie sahen Wunder, aber sie glaubten nicht. Sie sahen, die ganze Stadt sah, wie du zu mir kamst und meine Brust öffnetest, sie sahen, wie du mein Herz wuschest in den Wassern von Zamzam und es wieder in meinen Körper einsetztest. Viele von ihnen sahen es, aber immer noch verehren sie Steine. Und als du des Nachts kamst und mit mir nach Jerusalem flogst und ich über der heiligen Stadt schwebte, bin ich damals nicht zurückgekommen und habe sie genau beschrieben, bis in die kleinste Einzelheit? So dass es keinen Zweifel am Wunder geben konnte, und dennoch gingen sie zu Lat. Habe ich denn nicht mein Bestes getan, um es ihnen einfach zu machen? Als du mich zum Thron selbst hinauftrugst und Allah den Gläubigen die große Bürde von vierzig Gebeten pro Tag auferlegte. Auf dem Rückweg traf ich Moses, und er sagte, die Bürde ist zu schwer, kehre um und bitte um weniger.

Viermal kehrte ich um, viermal sagte Moses, noch immer zu viel, kehre noch einmal um. Aber beim vierten Mal hatte Allah die Gebühr auf fünf herabgesetzt, und ich weigerte mich umzukehren. Ich schämte mich, um noch weniger zu bitten. In seiner unermesslichen Großzügigkeit verlangte er fünf statt vierzig, und immer noch lieben sie Manat, wollen sie Uzza. Was kann ich tun? Was soll ich vortragen?

Gibril bleibt still, weiß keine Antworten, um Himmels willen, Bhai, frag mich doch nicht. Mahounds Qualen sind schrecklich.

Er fragt: Ist es möglich, dass sie Engel sind? Lat, Manat, Uzza…

kann ich sie engelsgleich nennen? Gibril, hast du Schwestern?

Sind sie die Töchter Gottes? Und er geht mit sich ins Gericht: ach, meine Eitelkeit, ich bin ein hoffärtiger Mensch, ist es Schwäche, ist es nur der Wunsch nach Macht? Muss ich an mir wegen eines Sitzes im Rat Verrat begehen? Ist das vernünftig und weise oder ist es eitel und zeugt von Eigenliebe? Ich weiß nicht einmal, ob der Grande es ehrlich meint. Weiß er es denn?

Womöglich nicht. Ich bin schwach und er ist stark, sein Angebot verleiht ihm viele Möglichkeiten, mich zu ruinieren. Aber ich habe auch viel zu gewinnen. Die Seelen der Stadt, der Welt, die sind doch gewiss drei Engel wert? Ist Allah so unbeugsam, dass er nicht weitere drei annehmen kann, um die Menschheit zu retten? - Ich weiß nichts. - Sollte Gott stolz oder demütig sein, majestätisch oder einfach, nachgiebig oder un-? Was für eine Art Idee ist er? Was für eine Art bin ich?

 

Halb schlafend oder wieder halb wach ist Gibril Farishta oft erfüllt von Groll über das Nicht-Erscheinen des Einen in seinen ihn verfolgenden Traumbildern, dessen, der angeblich die Antworten kennt. Er taucht nie auf, der eine, der sich fernhielt, als ich im Sterben lag, als ich ihn brauchte, so brauchte. Der eine, um den sich alles dreht. Allah Ishvar Gott. Abwesend wie immer, während wir in seinem Namen leiden und dulden.

Der Allerhöchste hält sich fern; was immer wiederkehrt, ist diese Szene, der Prophet in Trance, das Ausstoßen, die Lichtschnur, und dann Gibril in seiner Doppelrolle als der Von-oben-Herabblickende und der Von-unten-Hinaufstarrende. Und beide in Todesangst wegen dieser Transzendenz. Gibril fühlt sich gelähmt durch die Gegenwart des Propheten, durch seine Größe, denkt, ich bringe keinen Ton heraus, ich wirke wie der größte Narr. Hamzas Rat: zeige nie deine Angst: Erzengel brauchen einen solchen Rat ebenso wie Wasserträger. Ein Erzengel muss gelassen wirken, was würde der Prophet denken, wenn der von Gott Erhöhte vor Lampenfieber zu bibbern begänne?

Es geschieht: Offenbarung. Folgendermaßen: Mahound, noch immer in seinem Nicht-Schlaf, wird steif, die Adern in seinem Nacken treten hervor, er hält sich krampfhaft den Bauch. Nein, nein, kein epileptischer Anfall, so einfach kann man das nicht wegerklären; welcher epileptische Anfall machte jeden Tag zur Nacht, ließ die Wolken sich zusammenballen, die Luft sich zu einer Waschküche verdichten, während ein Engel, völlig verstört vor Angst, im Himmel über dem Leidenden hing, wie ein Drache an einer goldenen Schnur? Das Ziehen, wieder das Ziehen, und jetzt beginnt das Wunder in seinen meinen unseren Eingeweiden er presst mit aller Macht etwas heraus, erzwingt etwas, und Gibril beginnt diese Stärke diese Kraft zu spüren, hier müht sie sich ab mit meinem eigenen Mund, öffnet schließt ihn; und die Kraft, die von Mahound ausgeht, steigt auf zu meinen Stimmbändern, und die Stimme kommt.

Nicht meine Stimme ich hätte nie solche Worte gewusst ich bin kein großer Redner war nie einer werde nie einer sein aber das ist nicht meine Stimme es ist die Stimme.

Mahounds Augen öffnen sich weit, er sieht eine Art Vision starrt sie an, ach, stimmt ja, erinnert sich Gibril, mich. Er sieht mich. Meine Lippen, die sich bewegen, die bewegt werden von.

Was, wem? Weiß ich nicht, kann ich nicht sagen. Trotzdem, hier ist es, kommt aus meinem Mund, durch meine Kehle, an meinen Zähnen vorbei; das Wort Gottes.

Gottes Briefträger zu sein, macht keinen Spaß, yaar.

Aberaberaber: Gott spielt in diesem Film nicht mit.

Gott weiß, wessen Briefträger ich bin.

In Jahilia warten sie am Brunnen auf Mahound. Khalid, der Wasserträger, wie immer der Ungeduldigste, läuft zum Stadttor, um Ausschau zu halten. Hamza, wie alle Soldaten daran gewöhnt, sich selbst Gesellschaft zu leisten, hockt sich in den Staub und spielt mit Kieselsteinen. Es eilt nicht; manchmal ist er tagelang, sogar wochenlang weg. Und heute ist die Stadt so gut wie ausgestorben, alle sind zu den großen Zelten auf dem Marktplatz gegangen, um dem Dichterwettstreit beizuwohnen.

Die Stille wird nur durch das Geräusch von Hamzas Steinen und das Gurren zweier Felsentauben, Besuchern vom Mount Cone, unterbrochen. Dann hören sie die laufenden Füße.

Außer Atem und mit unglücklicher Miene trifft Khalid ein. Der Verkünder ist zurückgekehrt, aber er kommt nicht nach Zamzam. Jetzt sind sie alle auf den Beinen, verblüfft wegen dieses Bruchs mit der Gewohnheit. Diejenigen, die mit Palmwedeln und Stelen gewartet haben, fragen Hamza: Dann gibt es also keine Botschaft? Aber Khalid, der noch immer nach Atem ringt, schüttelt den Kopf. »Ich glaube, doch. Er sieht so aus, wie er immer aussieht, wenn Gott zu ihm gesprochen hat.

Aber er hat nicht mit mir geredet und ist stattdessen zum Jahrmarktsplatz gegangen.«

Um einer Debatte vorzubeugen, übernimmt Hamza die Führung und geht voran. Die Jünger - etwa zwanzig haben sich versammelt - folgen ihm zu den Fleischtöpfen der Stadt, mit dem Ausdruck frommen Abscheus, allein Hamza scheint sich auf den Jahrmarkt zu freuen.

Vor den Zelten der Besitzer der Scheckigen Kamele finden sie Mahound, der mit geschlossenen Augen dasteht, sich für die Aufgabe rüstet. Sie stellen besorgte Fragen; er antwortet nicht. Nach wenigen Augenblicken betritt er das Dichterzelt.

 

Im Zelt reagiert das Publikum auf die Ankunft des unbeliebten Propheten und seiner armseligen Anhänger mit Hohn und Spott. Aber während Mahound nach vorn geht, die Augen fest geschlossen, verstummen die Buhrufe und Pfiffe, und Stille tritt ein. Mahound öffnet die Augen nicht für eine Sekunde, aber seine Schritte sind sicher, und er erreicht die Bühne ohne Stolpern oder Zusammenstöße. Er geht die wenigen Stufen hinauf ins Licht; noch immer sind seine Augen geschlossen. Die versammelten Lyriker, Verfasser von Meuchelmord-Elogen, Verserzählungen und Satiren - Baal ist natürlich auch hier -

blicken belustigt, aber auch mit ein wenig Unbehagen, auf den schlafwandelnden Mahound. In der Menge kämpfen seine Anhänger um gute Plätze. Die Schreiber drängen sich in seine Nähe, um festzuhalten, was immer er sagen wird.

Der Grande Abu Simbel lehnt sich an Polster auf einem Seidenteppich neben der Bühne. Bei ihm, mit golden glänzendem, ägyptischen Halsschmuck, ist seine Frau Hind, das legendäre griechische Profil mit den schwarzen Haaren, die so lang sind wie ihr Körper. Abu Simbel steht auf und ruft Mahound zu: »Willkommen.« Er ist ganz Liebenswürdigkeit.

»Willkommen Mahound, der Seher, der Kahin.« Es ist eine öffentliche Ehrenbezeigung, und sie beeindruckt die versammelte Menge. Die Jünger des Propheten werden nicht mehr beiseitegeschoben, sondern durchgelassen. Verwirrt, halb erfreut, kommen sie nach vorn. Mahound spricht, ohne die Augen zu öffnen.

»Dies ist eine Zusammenkunft vieler Dichter«, sagt er klar und deutlich, »und ich beanspruche nicht, einer von ihnen zu sein. Aber ich bin der Verkünder und ich bringe Verse von einem Größeren als allen, die hier zugegen sind.«

Das Publikum wird ungeduldig. Die Religion gehört in den Tempel; Jahilier wie Pilger sind zum Vergnügen hier. Bringt den Kerl zum Schweigen! Werft ihn hinaus! Doch Abu Simbel spricht nochmals: »Wenn dein Gott wirklich zu dir gesprochen hat«, sagt er, »dann muss es die ganze Welt hören.« Und im Nu herrscht in dem großen Zelt vollkommene Stille.

»Der Stern«, ruft Mahound aus, und die Schreiber beginnen zu schreiben.

»Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!

Bei den untergehenden Plejaden: Euer Freund ist nicht im Irrtum, noch weicht er von der Wahrheit ab.

Noch spricht er nach eigenem Begehren. Eine Offenbarung ist ihm enthüllt worden: ein Mächtiger hat sie ihm zuteilwerden lassen.

Er stand auf dem hohen Horizont: der Herr der Stärke. Dann kam er näher, näher als zwei Bogenlängen, und offenbarte seinem Diener das, was offenbart ist.

Des Dieners Herz war rein, als er sah, was er sah. Wagt ihr es also zu bezweifeln, was er sah?

Ich sah ihn auch beim Lotusbaum am äußersten Ende, in dessen Nähe der Garten der Ruhe liegt. Als der Baum von seiner Umhüllung umhüllt war, wandte sich mein Auge nicht ab, noch wanderte mein Blick, und ich sah einige der größten Zeichen des Herrn.«

Dann trägt er, ohne zu zaudern, und frei von Zweifeln zwei weitere Verse vor.

»Hast du an Lat und Uzza, und an Manat, die dritte, die andere, gedacht?« - Nach dem ersten Vers erhebt sich Hind; der Grande von Jahilia steht bereits aufrecht da. Und Mahound trägt mit schweigenden Augen vor: »Sie sind die erhabenen Vögel, und ihre Fürbitte ist wahrlich erwünscht.«

Während der Lärm - Schreie, Beifallsrufe, Lästerungen, an Al-Lat gerichtete Rufe der Verehrung - im Zelt anschwillt und explodiert, gewahrt die bereits verblüffte Menge das in zweifacher Hinsicht aufsehenerregende Schauspiel, wie der Grande Abu Simbel die Daumen an die Ohrläppchen legt, die Finger beider Hände fächerförmig spreizt und mit lauter Stimme die Formel spricht: »Allahu Akbar.« Worauf er auf die Knie fällt und eine besonnene Stirn auf den Boden drückt. Seine Frau Hind folgt unverzüglich seinem Beispiel.

Der Wasserträger Khalid hat sich während dieser Ereignisse am Zelteingang aufgehalten. Jetzt beobachtet er entsetzt, wie alle, die hier versammelt sind, sowohl die Menge im Zelt als auch die Männer und Frauen davor, sich hinknien, Reihe um Reihe, die Bewegung pflanzt sich von Hind und dem Granden wellenartig nach außen fort, als ob sie Steinchen wären, die in einen See geworfen wurden; bis die gesamte Versammlung außerhalb wie innerhalb des Zeltes mit den Hinterteilen in der Luft vor dem schlafenden Propheten kniet, der die Schutzgöttinnen der Stadt anerkannt hat. Der Verkünder selbst bleibt stehen, als ob er keine Lust hätte, sich der Versammlung bei ihrer Andacht anzuschließen. Der Wasserträger bricht in Tränen aus und flüchtet sich ins leere Herz der Stadt aus Sand.

Während er läuft, brennen seine Tränen Löcher in die Erde, als ob sie eine scharfe, ätzende Säure enthielten.

Mahound verharrt reglos. Keine Spur von Feuchtigkeit ist auf den Wimpern seiner geschlossenen Augen zu erkennen.

 

In jener Nacht des einsamen Triumphes des Geschäftsmannes im Zelt der Ungläubigen finden gewisse Morde statt, und die First Lady von Jahilia wird Jahre warten müssen, um sie auf schreckliche Weise rächen zu können.

Hamza, der Onkel des Propheten, ist allein auf dem Weg nach Hause, den Kopf geneigt und grau im Dämmerlicht jenes traurigen Sieges, als er ein Brüllen vernimmt, aufblickt und einen riesigen purpurroten Löwen sieht, der im Begriff ist, sich von der hohen Festungsmauer der Stadt auf ihn zu stürzen. Er kennt das Tier, die Sage. Das Schimmern seines purpurroten Fells verschmilzt mit der flimmernden Helligkeit des Wüstensandes. Durch seine Nüstern atmet es den Schrecken der einsamen Orte der Erde aus. Es speit Pestilenz, und wenn Heere sich in die Wüste wagen, frisst es sie mit Haut und Haar.

Durch das blaue, letzte Licht des Abends schreit er das Untier an und bereitet sich, unbewaffnet wie er ist, auf seinen Tod vor.

»Spring, Mantikor, du Schweinehund. Zu meiner Zeit habe ich Großkatzen mit bloßen Händen erwürgt.« Als ich jünger war.

Als ich jung war.

Hinter ihm ertönt Gelächter, und entferntes Lachen hallt, so scheint es zumindest, von den Festungsmauern wider. Er schaut sich um; der Mantikor ist vom Wall verschwunden. Er wird von einer Gruppe kostümierter Jahilier umzingelt, die kichernd vom Jahrmarkt zurückkehren. »Jetzt, da diese Mystiker unsere Lat in die Arme geschlossen haben, sehen sie hinter jeder Ecke neue Götter, oder etwa nicht?« Hamza, der begreift, dass die Nacht voller Schrecken sein wird, geht nach Hause und verlangt nach seinem kampferprobten Schwert.

»Mehr als alles in der Welt«, knurrt er den zerknitterten Kammerdiener an, der ihm seit vierundvierzig Jahren im Krieg wie im Frieden dient, »hasse ich es, zugeben zu müssen, dass meine Feinde gute Argumente haben.

Da ist es verdammt noch mal besser, die Schweinehunde umzubringen. War schon immer meine Meinung. Das ist die sauberste Lösung.« Seit dem Tage seiner Bekehrung durch seinen Neffen ist das Schwert in seiner Lederscheide geblieben, aber heute Nacht, vertraut er dem Diener an, »ist der Löwe los. Der Friede muss warten.«

Es ist die letzte Nacht der Feierlichkeiten zu Ehren Ibrahims.

Jahilia ist ganz Maskerade und Tollheit. Die fetten, geölten Leiber der Ringer haben ihre Verrenkungen beendet, und die sieben Gedichte sind an die Wände des Hauses des Schwarzen Steins genagelt worden. Jetzt treten singende Huren an die Stelle der Dichter, und auch tanzende Huren, mit ebenfalls geölten Leibern, sind am Werk; das Nacht-Ringen ersetzt die Spielart des Tages. Die Kurtisanen tanzen und singen in goldenen Masken mit Vogelschnäbeln, und das Gold spiegelt sich in den glänzenden Augen ihrer Kunden wider.

Gold überall Gold, in den profitgierigen Händen der Jahilier und ihrer wollüstigen Gäste, in den lodernden Kohlenpfannen, an den glühenden Wänden der nächtlichen Stadt. Hamza geht geschmerzt durch die goldenen Straßen, an Pilgern vorüber, die bewusstlos daliegen, während Taschendiebe sich ihren Lebensunterhalt verdienen. Er hört die weinseligen Zechereien in jedem goldschimmernden Eingang und spürt, wie das Singen und das brüllende Gelächter und das Klimpern der Münzen ihn wie tödliche Beleidigungen verletzen. Aber er findet nicht, was er sucht, nicht hier, und so entfernt er sich von dem golden erleuchteten, lärmenden Trubel und beginnt, sich an die Schatten heranzupirschen, die Erscheinung des Löwen zu jagen.

Und findet nach Stunden der Suche das, von dem er wusste, dass es lauern würde, in einem finsteren Winkel der äußeren Stadtmauern, das Ding aus seiner Vision, den roten Mantikor mit den drei Zahnreihen. Der Mantikor hat blaue Augen und ein männliches Gesicht, und seine Stimme klingt halb wie eine Trompete und halb wie eine Flöte. Er ist schnell wie der Wind, seine Nägel sind Korkenzieherkrallen, und sein Schwanz schleudert vergiftete Stacheln aus. Er liebt Menschenfleisch…

eine Rauferei ist im Gange. Messer zischen in der Stille, manchmal das Klirren von Metall gegen Metall. Hamza erkennt die Männer, die angegriffen werden: Khalid, Salman, Bilal. Jetzt selbst ein Löwe, zieht Hamza sein Schwert, zerstückelt die Stille mit seinem Brüllen, stürmt vorwärts, so schnell ihn seine sechzig Jahre alten Beine tragen. Die Angreifer seiner Freunde sind unter ihren Masken nicht zu erkennen.

Es war eine Nacht der Masken. In den verkommenen Straßen von Jahilia hat Hamza, das Herz voller Galle, Männer und Frauen gesehen, verkleidet als Adler, Schakale, Pferde, Greife, Salamander, Warzenschweine, Vögel Rok gesehen; aus der Düsternis der Gassen stürzten zweiköpfige Schlangen und geflügelte Stiere, die als assyrische Sphinxen bekannt sind.

Dschinns, Houris, Dämonen bevölkern die Stadt in dieser Nacht der Trugbilder und der Lust. Aber erst jetzt, an diesem dunklen Ort, sieht er die roten Masken, die er gesucht hat. Die Menschenlöwenmasken: er stürzt seinem Schicksal entgegen.

 

In den Klauen eines selbstzerstörerischen Elends hatten die drei Jünger zu trinken begonnen, und infolge ihrer mangelnden Vertrautheit mit Alkohol waren sie bald nicht nur berauscht, sondern völlig besoffen. Sie standen auf einem kleinen Platz und beschimpften die Vorübergehenden, und nach einer Weile schwenkte Khalid prahlerisch seinen Wasserschlauch. Er könne die Stadt zerstören, er besitze die entscheidende Waffe.

Wasser: es würde Jahilia, die Schmutzige, säubern, sie wegwaschen, so dass man mit dem gereinigten weißen Sand einen Neuanfang machen könne. In diesem Augenblick begannen die Löwen-Männer, sie zu hetzen, und nach einer langen Verfolgungsjagd wurden sie in die Enge getrieben, vor Angst tropfte die Trunkenheit aus ihnen und als Hamza, gerade rechtzeitig, eintraf, starrten sie in die roten Masken des Todes.

…Gibril schwebt über der Stadt und beobachtet den Kampf.

Nachdem Hamza den Schauplatz betreten hat, ist er bald zu Ende. Zwei maskierte Angreifer laufen weg, zwei liegen tot am Boden. Bilal, Khalid und Salman sind verletzt, aber nicht ernst.

Schlimmer als die Wunden ist die Überraschung hinter den Löwenmasken der Toten. »Hinds Brüder«, sagt Hamza. »Es geht mit uns zu Ende.«

Als Mantikorschlächter, Wasserterroristen sitzen Mahounds Anhänger da und weinen im Schatten der Stadtmauer.

Was ihn betrifft, den Propheten Verkünder Geschäftsmann: seine Augen sind nun offen. Er schreitet im Innenhof seines Hauses auf und ab, des Hauses seiner Frau, und will nicht zu ihr hinein. Sie ist fast siebzig und fühlt sich gegenwärtig mehr als Mutter denn als Ehefrau. Sie, die reiche Frau, die ihn vor langer Zeit anstellte, damit er ihre Karawanen beaufsichtigte.

Seine Managementfähigkeiten waren das erste, was sie an ihm mochte. Und nach einer Weile verliebten sie sich ineinander. Es ist nicht leicht, eine hochintelligente, erfolgreiche Frau zu sein in einer Stadt, in der die Götter zwar Frauen sind, die Frauen dagegen lediglich Ware. Die Männer hatten sich entweder vor ihr gefürchtet oder sie für zu stark gehalten, um ihrer Rücksichtnahme zu bedürfen. Er hatte sich nicht gefürchtet und ihr das Gefühl von Beständigkeit gegeben, das sie brauchte.

Wogegen er, der Waise, in ihr viele Frauen in einer fand: Mutter Schwester Geliebte Seherin Freundin. Wenn er sich für verrückt hielt, war sie diejenige, die an seine Visionen glaubte. »Es ist der Erzengel«, sagte sie zu ihm, »nicht irgendein Hirngespinst.

Es ist Gibril, und du bist der Verkünder Gottes.«

Er kann sie will sie jetzt nicht sehen. Sie beobachtet ihn durch das steinerne Gitterwerk eines Fensters. Er kann nicht stehenbleiben, läuft im Hof herum in einer ziellosen Abfolge unbewusster Geometrien, seine Schritte zeichnen Ellipsen, Trapeze, Rauten, Ovale, Ringe. Während sie sich daran erinnert, wie er von den Karawanenwegen zurückkehrte, voller Geschichten, die er in Oasen am Wegrand vernommen hatte.

Ein Prophet namens Isa, geboren von einer Frau namens Maryam, geboren von keinem Mann unter einer Palme in der Wüste. Geschichten, die seine Augen leuchten und sie dann in die Ferne schweifen ließen. Sie entsinnt sich seiner Erregbarkeit: die Leidenschaft, mit der er, wenn nötig die ganze Nacht, behauptete, dass die alten, nomadischen Zeiten besser gewesen seien als diese Stadt aus Gold, in der die Menschen ihre neugeborenen Töchter in der Wildnis aussetzen. Bei den alten Stämmen war sogar für das ärmste Waisenkind gesorgt worden. Gott ist in der Wüste, sagte er immer, nicht hier in dieser Fehlgeburt von einem Ort. Und sie antwortete, niemand bestreitet das, Liebster, es ist spät, und morgen müssen wir die Bücher führen.

Ihren Ohren entgeht nichts; sie hat bereits gehört, was er über Lat, Uzza, Manat sagte. Na und? Früher wollte er die neugeborenen Töchter Jahilias schützen; warum sollte er nicht auch die Töchter Allahs unter seine Fittiche nehmen? Aber nachdem sie sich diese Frage gestellt hat, schüttelt sie den Kopf und lehnt sich schwer an die kühle Wand neben ihrem steinvergitterten Fenster. Während unter ihr ihr Mann in Fünfecken, Parallelogrammen, sechseckigen Sternen geht und dann in abstrakten und zunehmend verschlungenen Mustern, für die es keine Namen gibt, als ob er keine einfache Linie finden könnte.

Als sie jedoch ein paar Augenblicke später in den Hof hinunterblickt, ist er verschwunden.

Der Prophet erwacht zwischen seidenen Laken, mit schrecklichen Kopfschmerzen, in einem Zimmer, das er nie zuvor gesehen hat. Vor dem Fenster steht die Sonne fast in ihrem mörderischen Zenit, und von der Weiße hebt sich eine große Gestalt in einem schwarzen Mantel mit Kapuze ab, die leise mit kräftiger, tiefer Stimme singt. Das Lied ist dasjenige, das die Frauen von Jahilia im Chor singen, wenn sie die Männer trommelnd zum Krieg aufrufen.

Rückt vor, und wir umarmen euch, umarmen euch, umarmen euch, rückt vor, und wir umarmen euch im weichen Licht.

Flieht, und wir verlassen euch, verraten euch, verlassen euch, weicht zurück, und wir hassen euch und lieben euch nicht.

Er erkennt Hinds Stimme, setzt sich auf und merkt, dass er unter dem sanften Laken nackt ist. Er ruft ihr zu: »Bin ich überfallen worden?« Hind wendet sich ihm zu und lächelt das Lächeln der Hind. »Überfallen?« ahmt sie nach und klatscht in die Hände, um das Frühstück kommen zu lassen. Lakaien treten ein, stellen ab, tragen auf, servieren ab, trippeln davon.

Mahound wird in ein schwarzgoldenes Gewand geholfen; übertrieben wendet Hind die Augen von ihm ab. »Mein Kopf«, fragt er nochmals. »Habe ich einen Schlag bekommen?« Sie steht am Fenster, mit gesenktem Haupt, spielt die sittsame Frau. »Ach, Verkünder, Verkünder«, verspottet sie ihn. »Was für ein ungalanter Verkünder er doch ist. Könntet Ihr nicht absichtlich in mein Zimmer gekommen sein, aus eigenem Antrieb? Nein, natürlich nicht, ich bin sicher abstoßend für Euch.« Er hat keine Lust, sich auf ihr Spiel einzulassen. »Bin ich ein Gefangener?« fragt er, und wieder lacht sie ihn aus.

»Seid kein Dummkopf.« Und dann lässt sie sich achselzuckend erweichen. »Gestern Abend bin ich durch die Straßen der Stadt gegangen, maskiert, um mir die Festlichkeiten anzusehen, und worüber bin ich da gestolpert - über Euren bewusstlosen Leib.

Wie ein Betrunkener in der Gosse, Mahound. Ich ließ meine Diener eine Sänfte holen und Euch hierher bringen. Bedankt Euch.«

»Danke.«

»Ich glaube nicht, dass man Euch erkannt hat«, sagt sie.

»Sonst wärt Ihr vielleicht tot. Ihr wisst, wie es gestern Nacht in der Stadt zuging. Die Leute übertreiben. Selbst meine Brüder sind noch nicht nach Hause gekommen.«

Jetzt fällt es ihm wieder ein, sein verstörter, bekümmerter Gang durch die gottlose Stadt, wie er die Seelen anstarrte, die er angeblich gerettet hatte, die Simurg-Puppen, die Teufelsmasken, die Behemoths und Hippogryphen. Die Müdigkeit nach dem langen Tag, an dem er vom Mount Cone heruntergestiegen und in die Stadt gegangen war, sich der Anstrengung der Ereignisse im Dichterzelt unterzogen hatte -

und danach der Zorn seiner Anhänger, die Zweifel -, all das hatte ihn überwältigt. »Ich bin ohnmächtig geworden«, erinnert er sich.

Sie geht zu ihm und setzt sich neben ihn aufs Bett, streckt einen Finger aus, findet eine Öffnung in seinem Gewand, streichelt seine Brust. »Ohnmächtig«, murmelt sie. »Das bedeutet Schwäche, Mahound. Seid Ihr im Begriff, schwach zu werden?«

Sie legt ihm den streichelnden Finger auf die Lippen, bevor er antworten kann. »Sagt nichts, Mahound. Ich bin die Frau des Granden, und beide sind wir nicht Eure Freunde. Mein Mann ist allerdings ein schwacher Mann. In Jahilia glaubt man, er sei klug, aber ich weiß es besser. Er weiß, dass ich mir Liebhaber nehme, und unternimmt nichts dagegen, weil die Tempel meiner Familie unterstehen. Lats, Uzzas, Manats Tempel. Die -

soll ich sie Moscheen nennen? - Eurer neuen Engel.« Sie bietet ihm Melonenwürfel auf einem Teller an, versucht, ihn zu füttern.

Er gestattet nicht, dass sie ihm die Früchte in den Mund schiebt, nimmt die Stückchen mit der eigenen Hand, isst. Sie fährt fort.

»Mein letzter Liebhaber war der Junge, Baal.« Sie bemerkt die Wut in seinem Blick. »Ja«, sagt sie zufrieden. »Ich habe gehört, er hat Euch verärgert. Aber er ist nicht wichtig. Weder er noch Abu Simbel sind Euch ebenbürtig. Aber ich bin es.«

»Ich muss gehen«, sagt er. »So schnell?« antwortet sie und kehrt ans Fenster zurück. Am Stadtrand bauen sie die Zelte ab, die langen Kamelzüge rüsten zum Aufbruch, Kolonnen von Lastkarren ziehen bereits durch die Wüste; der Karneval ist vorbei. Sie dreht sich wieder zu ihm um.

»Ich bin Euch ebenbürtig«, wiederholt sie, »und zugleich Eure Gegenspielerin. Ich will nicht, dass Ihr schwach werdet. Ihr hättet nicht tun sollen, was Ihr getan habt.«

»Aber Ihr werdet davon profitieren«, entgegnet Mahound verbittert. »Die Einnahmen aus Euren Tempeln sind nicht mehr gefährdet.«

»Ihr begreift nicht«, sagt sie leise, nähert sich und bringt ihr Gesicht nah an das seine. »Ihr seid für Allah, und ich bin für Al-Lat. Und sie glaubt Eurem Gott nicht, wenn er behauptet, dass er sie anerkennt. Ihre Gegnerschaft zu ihm ist unversöhnlich, unwiderruflich, grenzenlos. Der Krieg zwischen uns kann nicht mit einem Waffenstillstand enden. Und mit was für einem noch dazu! Euer Gott ist gönnerhaft, herablassend. Al-Lat verspürt nicht den leisesten Wunsch seine Tochter zu sein. Sie ist ihm ebenbürtig, genau wie ich Euch. Fragt Baal, er kennt sie. So wie er mich kennt.«

»Also wird der Grande seine Zusage brechen«, sagt Mahound.

»Wer weiß?« höhnt Hind. »Er kennt sich nicht einmal selbst.

Er muss Für und Wider gegeneinander abwägen. Ein Schwächling, wie ich schon sagte. Aber Ihr wisst, dass ich die Wahrheit sage. Zwischen Allah und den Dreien kann es keinen Frieden geben. Ich will ihn nicht. Ich will den Kampf. Bis zum Tod; diese Art von Idee bin ich. Von welcher Art seid Ihr?«

»Ihr seid Sand und ich bin Wasser«, sagt Mahound. »Wasser überspült den Sand.«

»Und die Wüste saugt das Wasser auf«, gibt ihm Hind zur Antwort. »Seht Euch um.«

Bald nach seinem Aufbruch treffen die verwundeten Männer beim Palast des Granden ein, nachdem sie ihren ganzen Mut zusammengenommen haben, Hind davon zu unterrichten, dass der alte Hamza ihre Brüder getötet hat. Aber da ist der Verkünder nirgends mehr zu finden; ist wieder einmal, langsam, auf dem Weg zum Mount Cone.

 

Wenn Gibril müde ist, möchte er am liebsten seine Mutter dafür umbringen, dass sie ihm einen so verdammt idiotischen Kosenamen gegeben hat, Engel, was für ein Wort, er bittet waswen?, ihn mit der Traumstadt zerfallender Sandburgen und den Löwen mit den drei Zahnreihen zu verschonen, kein Waschen der Herzen von Propheten mehr, keine Anweisungen mehr, etwas vorzutragen, keine Verheißungen des Paradieses mehr, Schluss mit den Offenbarungen, finito, khattamshud.

Wonach er sich sehnt: nach schwarzem, traumlosen Schlaf.

Scheißträume, Ursache allen Unglücks der Menschheit, Scheißfilme, wenn ich Gott wäre, würde ich die Phantasie einfach aus den Menschen herausschneiden, und dann könnten arme Schweine wie ich vielleicht endlich ruhig schlafen. Er kämpft gegen den Schlaf an und zwingt sich, die Augen offenzuhalten, ohne zu blinzeln, bis der Sehpurpur auf der Regenbogenhaut verblasst und ihn erblinden lässt, aber er ist nur ein Mensch, schließlich fällt er in das Kaninchenloch, und da ist er wieder, im Wunderland, auf dem Berg, und der Geschäftsmann wacht auf, und abermals beginnt sein Verlangen, sein Bedürfnis zu arbeiten, diesmal nicht an meinem Kiefer und an meiner Stimme, sondern an meinem ganzen Körper; er verkleinert mich bis auf seine eigene Größe und zieht mich in sich hinein, sein Kraftfeld ist unglaublich, stark wie das eines verdammten Riesensterns… und dann ringen Gibril und der Prophet miteinander, beide nackt, wälzen sich herum in der Höhle des feinen weißen Sands, der sich wie ein Schleier um sie herum erhebt. Als ob er mir etwas beibringen, mich erforschen will, als ob ich derjenige bin, der einer Prüfung unterzogen wird.

In einer Höhle zweihundert Meter unterhalb des Gipfels von Mount Cone ringt Mahound mit dem Erzengel, schleudert ihn von einer Seite zur anderen, und ich muss sagen, er kommt überall hin, seine Zunge in mein Ohr seine Faust an meine Eier, nie zuvor hat es einen so wütenden Menschen gegeben, er muss es wissen muss es WISSEN, und ich habe ihm nichts zu sagen, er ist körperlich doppelt so fit wie ich und viermal so intelligent, mindestens, wir haben vielleicht beide viel durch Zuhören gelernt, aber - es liegt auf der Hand - er ist ein besserer Zuhörer als ich; so wälzen wir uns treten kratzen, er wird ziemlich mitgenommen, aber meine Haut bleibt natürlich glatt wie die eines Babys, man kann einen Engel nicht in einen verdammten Dornbusch werfen, man kann ihn nicht gegen einen Felsen schmettern. Und sie haben Zuschauer: Dschinns und Afrits und alle möglichen Geister sitzen auf den Felsen und beobachten den Kampf, und am Himmel schweben die drei geflügelten Wesen, die aussehen wie Reiher oder Schwäne oder einfach Frauen, je nachdem, wie das Licht einfällt…

Mahound macht Schluss. Er gibt den Kampf auf.

Nachdem sie stunden-oder sogar wochenlang miteinander gerungen hatten, wurde Mahound unter dem Engel festgenagelt, er wollte es so, es war sein Wille, der mich erfüllte und mir die Kraft gab, ihn niederzuhalten, denn Erzengel können solche Kämpfe nicht verlieren, es wäre nicht richtig, nur Teufel werden unter solchen Umständen besiegt; in dem Augenblick also, in dem ich obenauf war, begann er, vor Freude zu weinen, und dann spielte er seinen alten Trick aus, er zwang meinen Mund auf und brachte es zuwege, dass die Stimme, die STIMME abermals aus mir drang, sich über ihn ergoss, wie Erbrochenes.

 

Nach seinem Ringkampf mit dem Erzengel Gibril sinkt der Prophet Mahound in den üblichen, erschöpften, postrevelatorischen Schlaf, aber diesmal erwacht er schneller als sonst. Als er in dieser hochgelegenen Wildnis wieder zu sich kommt, ist niemand zu sehen, keine geflügelten Wesen kauern auf Felsen, er springt auf, von der Dringlichkeit der Neuigkeiten erfüllt. »Es war der Teufel«, sagt er laut zu der leeren Luft, macht es wahr, indem er es ausspricht. »Das letzte Mal, das war der Schaitan.« Das ist es, was er beim Zuhören gehört hat, dass er getäuscht wurde, dass der Teufel als Erzengel verkleidet zu ihm gekommen war, so dass die Verse, die er auswendig lernte, die er im Dichterzelt vortrug, nicht das Wahre waren, sondern sein diabolisches Gegenteil, nicht göttlich, sondern satanisch. So schnell er kann, kehrt er in die Stadt zurück, um die unreinen Verse auszumerzen, die nach Schwefel stinken, um sie für alle Ewigkeit aus den Akten zu streichen, so dass sie nur in ein oder zwei unzuverlässigen Sammlungen alter Überlieferungen überdauern werden, und orthodoxe Exegeten werden darangehen, sie ungeschrieben zu machen, aber Gibril, der im höchsten Kamerawinkel schwebt und von dort aus zusieht, weiß ein kleines Detail, nur eine Winzigkeit, die etwas problematisch ist, nämlich dass es beide Male ich war, Baba, das erste Mal ich und das zweite Mal auch ich. Aus meinem Munde stammen Rede und Widerrede, Verse und Antiverse, Welten und Gegenwelten, alles, und wir alle wissen, wer sich an meinem Mund zu schaffen gemacht hat.

»Zuerst war es der Teufel«, murmelt Mahound, während er nach Jahilia eilt. »Aber diesmal der Engel, keine Frage. Er hat mich zu Boden gerungen.«

 

Die Jünger halten ihn in den Schluchten am Fuß des Mount Cone auf, um ihn vor der Wut Hinds zu warnen, die weiße Trauerkleidung trägt und ihr schwarzes Haar gelöst hat, es wie einen Sturmwind wehen lässt oder es im Staub nachzieht und dabei ihre Fußspuren verwischt, so dass sie wie eine Inkarnation des Racheengels selbst erscheint. Sie sind aus der Stadt geflohen, und auch Hamza hält sich versteckt; aber es geht das Gerücht, dass Abu Simbel bisher noch nicht den Forderungen seiner Frau nach dem Blut, das Blut auswäscht, stattgegeben hat. Er wägt noch immer die Vor-und Nachteile ab, was Mahound und die Göttinnen betrifft… Entgegen dem Rat seiner Anhänger kehrt Mahound nach Jahilia zurück und geht direkt zum Haus des Schwarzen Steins. Die Jünger folgen ihm trotz ihrer Angst. Eine Menge versammelt sich in der Hoffnung auf weitere skandalöse Ereignisse oder Verstümmelungen oder solcherlei Vergnügungen. Mahound enttäuscht sie nicht.

Er steht vor den Statuen der Drei und verkündet die Auslöschung der Verse, die Schaitan ihm ins Ohr geflüstert hat.

Diese Verse werden aus dem wahren Vortrag alqur’an, getilgt.

Neue Verse werden an ihrer Statt mit Donnerstimme gesprochen.

»Soll Er Töchter haben und ihr Söhne?« spricht Mahound.

»Das wäre eine schöne Einteilung!

Dies sind nichts als Namen, von denen ihr geträumt habt, ihr und eure Väter. Allah misst ihnen kein Gewicht bei.«

Er verlässt das sprachlose Haus, bevor es irgendjemandem einfällt, den ersten Stein aufzuheben - oder zu werfen.

 

Nach der Widerrufung der Satanischen Verse kehrt der Prophet Mahound nach Hause zurück, wo ihn eine Art Strafe erwartet. Eine Art Rache - wessen? Des Lichts oder der Finsternis? Des Guten oder des Bösen? -, verübt an einer Unschuldigen, was nicht selten vorkommt. Die siebzigjährige Frau des Propheten sitzt unter einem steinvergitterten Fenster, aufrecht, mit dem Rücken zur Wand, tot.

In seinem Schmerz zieht sich Mahound zurück, spricht wochenlang kaum ein Wort. Der Grande von Jahilia ordnet Verfolgungen an, die Hind nicht streng genug sind. Der Name der neuen Religion ist UNTERWERFUNG; Abu Simbel verfügt, dass sich ihre Anhänger der Kasernierung im erbärmlichsten Stadtviertel voller Bruchbuden unterwerfen müssen; einem Ausgangsverbot, einem Arbeitsverbot. Und es kommt zu tätlichen Angriffen, Frauen werden in Geschäften angespuckt, die Gläubigen werden von Banden von Jungtürken misshandelt, die der Grande im geheimen kontrolliert, nachts werden Brandsätze durch Fenster geworfen, die zwischen nichtsahnenden Schläfern landen. Und gemäß einem bekannten Paradox der Geschichte vervielfacht sich die Zahl der Gläubigen, wie eine Saat, die auf wundersame Weise aufgeht, während die Boden-und Klimabedingungen sich zunehmend verschlechtern.

Von den Bürgern der Oase Yathrib im Norden kommt ein Angebot: Yathrib will diejenigen-die-sich-unterwerfen aufnehmen, wenn sie Jahilia zu verlassen wünschen. Hamza ist der Meinung, dass sie gehen müssen. »Hier wirst du deine Botschaft nie zu Ende führen, Neffe, glaub mir. Hind wird nicht ruhen, bis sie dir die Zunge herausgerissen hat, ganz zu schweigen von meinen Eiern, verzeih.« Mahound, allein und voller Nachklänge im Haus seines schmerzlichen Verlustes, gibt seine Zustimmung, und die Gläubigen versammeln sich, um Pläne zu machen. Khalid der Wasserträger zaudert und der hohläugige Prophet wartet darauf, dass er etwas sagt. Verlegen meint er: »Verkünder, ich habe an dir gezweifelt. Aber du warst weiser, als wir dachten. Zuerst sagten wir, Mahound wird niemals Zugeständnisse machen, aber du tatest es. Dann sagten wir, Mahound hat uns verraten, aber du brachtest uns eine tiefere Wahrheit. Du brachtest uns den Teufel persönlich, damit wir Zeugen des Wirkens des Bösen und seiner Vernichtung durch den Rechten sein konnten. Du hast unseren Glauben bereichert. Es tut mir leid, was ich gedacht habe.«

Mahound entfernt sich vom Sonnenlicht, das durch das Fenster fällt. »Ja.« Bitterkeit, Zynismus. »Wundervoll, was ich da tat. Tiefere Wahrheit. Euch den Teufel bringen. Ja, das sieht mir ähnlich.«

 

Auf dem Gipfel des Mount Cone sieht Gibril zu, wie die Gläubigen aus Jahilia fliehen, die Stadt der Trockenheit aufgeben für den Ort von kühlen Palmen und Wasser, Wasser, Wasser. In kleinen Gruppen, mit nahezu leeren Händen, durchqueren sie das Reich der Sonne, an diesem ersten Tag des ersten Jahres des Neubeginns der Zeit, die selbst neu geboren ist, während das Alte hinter ihnen stirbt und das Neue vor ihnen wartet. Und eines Tages macht auch Mahound sich davon. Als seine Flucht entdeckt wird, verfasst Baal eine Abschiedsode:

Was für eine Art Idee Scheint UNTERWERFUNG heut’? Eine Religion in spe, Eine Idee der Furchtsamkeit.

Mahound hat seine Oase erreicht: Gibril hat nicht so viel Glück, oft sitzt er jetzt allein auf dem Gipfel des Mount Cone, benetzt von kalten Sternschnuppen, und dann fallen sie vom nächtlichen Himmel über ihn her, die drei geflügelten Wesen, Lat Uzza Manat, flattern um seinen Kopf, zielen mit ihren Klauen nach seinen Augen, beißen ihn, peitschen ihn mit ihrem Haar, ihren Flügeln. Er hebt die Hände, um sich zu schützen, aber ihre Rache ist unermüdlich, geht weiter, sobald er ausruht, sobald er nicht auf der Hut ist. Er kämpft gegen sie, aber sie sind schneller, beweglicher, geflügelt.

Er hat keinen Teufel, den er widerrufen könnte. Da er träumt, kann er sie nicht fortwünschen.