9

Wenn Fabien ihr jede Chance auf ein Leben verweigerte - ein Leben, das rechtmäßig ihr selbst gehören sollte - dann würde sie sich schadlos halten, sich heimlich alles nehmen, was nur ging.

Auf dem Weg zum Untergang.

Bei allem Trotz war Helena von Zweifeln geplagt, von Schuldgefühlen zerrissen. Denn wenn sie plante, Sebastian zu berauben, und gleichzeitig ihre Lust bei ihm befriedigte, dann war das eine schreckliche Sünde - gleichgültig, wie viel Lust sie ihm zurückgab.

Sie musste den Dolch so schnell wie möglich finden. Und dann fliehen.

Das Haus schlief bereits, obwohl es erst elf Uhr war. Irgendwo hatte sie eine Uhr schlagen hören, als sie aus ihrem Zimmer schlich. Helena hatte überlegt, ob sie bis zwölf Uhr warten sollte; aber bis dahin wären sicher alle Lampen gelöscht. Die meisten waren es bereits; aber noch brannten genug, um zu sehen, wohin sie ging.

Somersham Place war zu groß und noch zu fremd. Sie konnte nicht riskieren, in totaler Dunkelheit herumzuirren. Und sie war sich sicher, dass Sebastian, der einzige, den sie fürchtete zu treffen, sich erst spät schlafen legte. Wahrscheinlich war er in seinem Arbeitszimmer und sah Papiere durch. Das hoffte sie zumindest inständig.

Ein reich verzierter Dolch von nicht unbeachtlichem Wert - wo würde er ihn aufbewahren?

Nicht in einem der Räume, die sie bis jetzt gesehen hatte. Bei einer im Flüsterton abgehaltenen Konferenz mit Louis hatte sie erfahren, dass er ihn auch noch nicht entdeckt hatte. Weder er noch dieses Frettchen von Villard hatten eine Ahnung, wo er stecken könnte. So viel zu Louis Hilfe.

Sie war an der Galerie angelangt, bog in die Richtung ab, in der Sebastian immer verschwand, wenn er sich zum Essen umzog. Ein solches Objekt bewahrte er wohl kaum in seinem Schlafzimmer auf; aber in seiner Suite gab es zweifellos ein Privatzimmer - einen Raum, in dem sich seine Kostbarkeiten versammelten, die Dinge, die ihm etwas bedeuteten.

Ob der Dolch unter diese Kategorie fiel, wusste sie nicht, aber … angesichts der Neigungen mächtiger Männer vermutete sie es. Fabien hatte nicht erwähnt, wie Sebastian in den Besitz eines Erbstücks der Familie de Mordaunt gelangt war. Louis hatte davon auch keine Ahnung. Helena hätte es gerne gewusst - abgesehen von allem anderen; wenn sie wüsste, wie Sebastian den Dolch einschätzte, dann würde ihr das bei ihrer Suche helfen. Außerdem wüsste sie dann, wie schnell sie rennen müsste, sobald sie ihn in Händen hätte.

Sebastians Räume zu finden war nicht schwer. Die Üppigkeit der Vorhänge, Möbel und Vasen sagten ihr, dass sie den richtigen Gang erwischt hatte; das Wappen, das in die massive Eichentür am Eingang geschnitzt war, bestätigte es.

Kein Licht schimmerte unter der großen Tür oder der kleinen rechts hervor. Ladys nach links, Gentlemen nach rechts - sie betete, dass die Engländer derselben Tradition folgten. Mit angehaltenem Atem öffnete sie die kleine Tür, die geräuschlos aufging. Sie spähte hinein.

Mondlicht strömte durch die offenen Vorhänge der Fenster, erleuchtete einen großen Salon, luxuriös eingerichtet, aber definitiv maskulin.

Der Raum war leer.

Helena huschte eilig hinein. Aufmerksam schaute sie herum und entdeckte, worauf sie gehofft hatte. Einen Trophäenschrank. Sie stellte sich auf Zehenspitzen davor und betrachtete die Gegenstände: eine Peitsche mit Silbergriff; ein gravierter Pokal; ein Goldteller mit einer Inschrift; verschiedene Gegenstände, Schleifen, Orden - aber kein Dolch.

Sie sah sich um, begann den Raum abzugehen, prüfte die Oberflächen kleiner Konsolen und Anrichten, durchsuchte alle Schubladen. Am Schreibtisch angelangt, überflog sie die Platte, dann kontrollierte sie auch hier die Schubladen. Keine war zugesperrt, keine enthielt einen Dolch.

»Peste!« Sie richtete sich auf, sah sich ein letztes Mal um und bemerkte, dass das, was sie auf einem Podest für eine Uhr im Glasgehäuse gehalten hatte, sich aus diesem besseren Winkel als etwas anderes herausstellte.

Sie ging rasch zu dem Podest, wurde langsamer, als sie sich näherte. Das Objekt da unter dem Glas war kein Dolch. Es war …

Neugierig untersuchte sie es genauer.

Das silbrige Licht lag wie eine Vergoldung auf den schlanken Blättern eines getrockneten Mistelzweiges.

Diesen Zweig hatte sie schon einmal gesehen. Kannte den Baum, an dem er gewachsen war.

Erinnerte sich - allzu gut - an die Nacht, in der er genommen wurde, abgebrochen, in Sebastians Tasche gesteckt.

Ein Teil ihres Verstandes blieb ungläubig - wie konnte sie sicher sein, dass es derselbe Zweig war? Was für ein Unsinn - und dennoch …

Ich habe dich nie vergessen.

Seine Worte vor zwei Abenden. Wenn sie ihren Augen traute, hatte er die Wahrheit gesagt.

Was bedeutete … dass er möglicherweise tatsächlich von Anfang an vorgehabt hatte, sie zu heiraten …

Fingerspitzen berührten das kalte Glas. Helena starrte die schlanken Blätter, die schmalen Zweige an, während etwas in ihrem Inneren anschwoll und anschwoll, überlief …

Während die Schleier wogten, sich hoben, sah sie die Wahrheit - kostete ihren Schmerz.

Und erkannte vollkommen und endgültig, was sie alles verlieren würde, indem sie Ariele rettete.

Das tiefe Läuten einer Uhr ließ sie zusammenzucken. Das Echo dröhnte durchs ganze Haus. Blinzelnd trat sie zurück. Helena hatte das Gefühl, das Schicksal herauszufordern.

Mit einem letzten, sehnsüchtigen Blick auf den Mistelzweig, der für alle Ewigkeit unter Glas bewahrt würde, wandte sie sich zur Tür.

Sie schaffte es ohne Zwischenfall bis zu ihrem Schlafzimmer, aber ihr Herz hämmerte ihr im Hals. Hastig huschte sie hinein und blieb mit den Handflächen an den Paneelen stehen, damit ihr Puls sich beruhigte.

Dann holte sie Luft, drehte sich um …

Sebastian saß in dem Lehnstuhl neben dem Kamin. Beobachtete sie.

Die arme Helena erstarrte - ihr Verstand kam zum Stillstand.

Er erhob sich lässig und ging über den dicken Teppich zu ihr. »Ich habe gewartet, mignonne, auf dich!«

Sie spürte, wie ihre Augen groß wurden, als er vor ihr stehen blieb. Und klammerte sich an ihre Überraschung. »Ich … ich habe Euch nicht erwartet.«

Eine Untertreibung. Eisern zwang sie sich nicht zu den Briefen zu schauen, die sie gefaltet auf dem Toilettentisch liegen gelassen hatte.

Der Duke hob eine Hand; lange Finger umrahmten ihr Gesicht. »Ich habe dich gewarnt!«

Bis später. Sie erinnerte sich an seine Worte, erinnerte sich an seinen Tonfall. ›Später‹, wie es schien, war jetzt gekommen. »Aber …«

Schweigend musterte er ihre Miene, wartete ab. Sie schluckte, machte eine vage Geste in Richtung Tür. »Ich war spazieren.« Ihre Stimme wankte; trotz eines Lächelns zeigte sich ihre Nervosität. Doch sie gab nicht auf. »Euer Haus ist so groß und im Dunkeln…ein bisschen beängstigend.« Sie zuckte die Achseln, ihr Puls raste. Helenas Blick streifte seinen Mund, sie erinnerte sich an den Mistelzweig. »Ich konnte nicht schlafen.«

Seine Mundwinkel zuckten, aber sein Ausdruck blieb hart, unnachgiebig. »Schlafen?« Sein tiefes Murmeln erreichte sie, als er ihr Gesicht losließ. Sie spürte, wie seine Hände zu ihrer Taille glitten. »Ich muss zugeben, mignonne« - er zog sie an sich, beugte den Kopf - »dass Schlaf das Letzte ist, woran ich jetzt denke.«

Ihr Kopf fiel von alleine zurück. Sein Mund traf auf ihren - und sie wehrte sich nicht, zögerte nicht, in seine Umarmung zu sinken.

Verlangen loderte auf und sie klammerte sich an ihn. Hielt sich an ihm fest, als wäre er ihre einzige Rettung.

Wusste, dass dem nicht so war, wusste, dass es für sie keinen Retter gab, keine Erlösung. Kein Happy End.

Aber sie schaffte es nicht, sich zurückzuziehen, mochte ihm nicht verweigern, was er wollte. Wollte sich selbst nicht das einmalige Glück verweigern.

Wenn sie es versuchte, würde er Verdacht schöpfen; aber nicht die Angst, Fabiens Plan zu enthüllen, trieb sie zur Zustimmung. Ihre Finger glitten in sein Haar, hielten ihn fest. Sie erfüllte seine Forderungen, stellte ihre eigenen - ihre Zungen verstrickten sich, liebkosten, deuteten kühn an, was kommen würde, von beiden gesucht und begehrt. Es waren nicht Gedanken an Ariele, die sie warnten; sie unterstützten sie eher für diesen Moment, in dem sich ihre Münder voneinander lösten und sie seine Finger an ihren Verschlüssen spürte.

Ihr stockte der Atem. Seine Lippen strichen über ihre Schläfen, eine beruhigende Liebkosung - aber seine Finger ruhten nicht.

Die Macht, die sie durchbrandete, die ihren Verstand überflutete und ihre Bewegungen dirigierte, die ihr die Kraft gab, seine gemurmelten Anweisungen zu befolgen: stehen zu bleiben, wenn auch etwas schwankend, als er zuerst ihr Oberteil, dann ihre Röcke und Unterröcke abstreifte und letztendlich ihr Hemd - das war nicht einmal Verlangen. Nicht ihres, nicht seines.

Sondern mehr als das.

Als sie nackt vor ihm stand, ihre Haut wie Perlmutt im Mondlicht schimmerte, war es diese transzendentale Macht, die ihre Augen öffnete, die sie in der reinen Sehnsucht in seinen Augen schwelgen ließ, in der Leidenschaft, die darin brannte. Sie spürte seinen Blick wie eine Flamme, als er von ihrem Gesicht zu ihren Zehen glitt, dann zurückkehrte.

Seine Augen glühten, hielten ihre fest, dann nahm er ihre Hände, breitete sie aus, hob erst die eine, nachher die andere an seinen Mund.

»Komm, mignonne - sei mein!«

Sein Ton - dunkel, rau, gefährlich - ließ sie erzittern. Er legte ihre Hände auf seine Schultern, ließ sie los, griff nach ihr. Sie holte Luft, spürte, wie ihre Brust schwoll, spürte, wie ihr Herz leicht wurde. Vertrauensvoll begab sie sich in seine Arme, begierig, freudig.

Dafür war sie gemacht, sie spürte es in ihren Knochen, in ihrem Mark, in ihrer Seele. Er zog sie enger an sich, küsste sie zärtlich, dann legte er seine Hände auf ihre nackte Haut.

Helena war unschuldig, kannte den Weg nicht; aber natürlich kannte er ihn; bedingungslos vertraute sie auf das, was er tun würde, wie er sie behandeln, nehmen, wie er sie zur Seinen machen würde. Sie konnte nicht gegen die Macht ankämpfen, die sie steuerte - dachte auch gar nicht daran - denn sie war sich einfach zu überwältigend sicher. Helena gab sich dem hin, überließ sich vollkommen der Gegenwart mit allem was sie war, was er war, was sein würde.

Seine Berührungen waren eine Lust, seine Hände bewegten sich langsam und genüsslich; dennoch verströmte jede Liebkosung Hitze, unverhohlene Sinnlichkeit, die lichterloh brannte. Leidenschaft und Verlangen waren Zwillingsflammen, befehligt von ihm durch seine Gefühle, seine Führung - das Bedürfnis, das ihn trieb, war, Besitz zu ergreifen.

Sie entnahm es den harten Flächen seines Gesichtes, die sie verwundert berührte, und deren so unnachgiebige Kanten sie nachzeichnete. Eindeutig vibrierte Höchstspannung in seinem Körper, zügelte er die Kraft seiner Hände, die sie hielten. Helena spürte sie in der unnachgiebigen Härte seiner Erektion, die sich gegen ihren weichen Bauch presste. Sah, wie sie in seinen Augen aufloderte.

Sein Blick berührte den ihren, fegte über ihr Gesicht, dann beugte er seinen Kopf und nahm ihren Mund, plünderte, überwältigte ihre Sinne. Seine Hände umfingen ihre Brust, seine Finger pressten sich um die kieselharten Nippel, dann ließ er sie los, gab ihre Lippen frei und raffte sie in seine Arme.

Er trug sie zum Bett, kniete sich darauf, legte sie auf die seidene Decke. Seine Jacke und Schuhe flogen beiseite. Sie erwartete, dass er sich zur Gänze auszog, aber er tat es nicht. Mit seinem feinen spitzenbesetzten Leinenhemd und den Seidenhosen warf er sich neben sie, halb über sie, und nahm erneut ihren Mund. Ließ ihre Sinne schwinden, als er sie bewegte, arrangierte, sie förmlich unter sich begrub; dann griffen seine tückischen Finger nach ihrer nackten Haut, um jeden Widerstand wegzustreicheln.

Sie wehrte sich nicht, hatte nicht die Absicht, unnötige Mühe zu vergeuden; denn sie war sich seines Ziels bewusst, spürte deutlich ihre Reaktion auf jede seiner Berührungen, auf jede Liebkosung, jedes Kitzeln. Seine Lippen spielten auf ihren, seine langen Finger tanzten auf ihrer Haut, neckten ihre Nerven, ihre Sinne, strichen über ihre Brüste, bis sie schmerzten, glitten davon, um ihre Rippen nachzuzeichnen, ihre Taille; dann strichen sie über ihren Bauch, bis er sich zusammenzog. Drückten ein wenig. Wissend.

Er ließ ihre Lippen los, lauschte ihrem Keuchen; sie tat es auch. Ihre Hüften begannen zu kreisen; er knetete sanft, sein Mund kehrte wieder zu ihrem zurück und seine Finger wanderten davon, folgten der Linie ihrer Schenkel nach unten. Hinauf und hinunter, außen entlang - die sensiblen Innenseiten hoch, bis sie sich regte und sie nervös öffnete, ihn einlud, sie dort zu berühren, wo sie vibrierte. Doch vorerst war er abgelenkt von den weichen Locken am Ansatz ihres Bauches, fädelte seine Finger durch sie, kämmte sie zart, bis sie ihre Finger in seinen Arm krallte, ihn wahnsinnig küsste und ihre Schenkel weiter öffnete.

Die Luft berührte sie, kühl auf ihrem fiebernden Fleisch, dann umfing sie seine Hand. Verlangen, unerlaubte Lust durchfuhren sie. Ihr Rückgrat spannte sich. Sie wartete, verkrampft vor Erwartung, mit sinnlicher Vorfreude …

Seine Hand bewegte sich, seine Finger wanderten. Über jede einzelne Falte, immer und immer wieder, bis er sie schließlich öffnete. Die Pforte zu ihrem Körper berührte.

Erneut verkrampfte sie sich; aber er drängte sie nicht. Stattdessen glitt diese forschende Fingerspitze weiter, verlegte sich auf tasten, ihre Weiche liebkosen. Reizte ihre Nerven. Er spielte, aber überlegt, konzentrierte sich auf jedes Keuchen von ihr, stimmte sich ein auf jedes Zittern, jede rastlose Bewegung. Nun entfernte er jede letzte Spur von Scham mit gnadenlos sanfter Hartnäckigkeit, bis sie hechelte, begehrte, schmerzlich und verzweifelt nach mehr gierend.

Sie hörte es an ihrem Atem, fühlte, wie das Bedürfnis in ihr wuchs, bis sie darin schwamm, davongetrieben wurde. Mit beiden Händen griff sie nach ihm, mit ihrem Körper, ihren Lippen. Er küsste sie - tief, fordernd. Er bewegte sich über ihr, sein Körper drückte sie in die Laken.

Sie versuchte, ihn auf sich herunterzuziehen, aber er hielt jetzt inne, stützte sich seitlich von ihr auf einen Ellbogen; seine andere Hand strich immer noch über das nasse Fleisch zwischen ihren Schenkeln, die sie spreizte. Seine Hüften lagen in der Mitte von ihnen; sie schlang ihre Beine um seine, ihre Haut glitt über die Seide seiner Hosen, als ihre Waden seine Flanken umklammerten. Helena versuchte, ihn zu sich zu locken - er küsste sie wieder, so eindringlich, dass sie nicht mehr denken konnte, nicht mehr planen; sie konnte sich nur noch zurücklegen und seinem Willen unterwerfen.

Ein Seufzer zitterte über ihr; sie merkte, dass es ihr eigener war. Sein Mund hatte den ihren verlassen und zog jetzt eine Spur über ihr Kinn, über die empfindliche Haut ihres Halses, zu dem Fleck an seinem Ansatz, wo ihr Puls raste. Dort kostete er sie, lange, langsam. Seine Finger nahmen ihr Spiel zwischen ihren Schenkeln wieder auf. Dann bewegten sich seine Lippen tiefer, strichen über die obere Rundung einer Brust. Bis zu ihrer Spitze. Zu der fest zusammengezogenen Knospe, die pulsierte und als er sie küsste, heftig schmerzte. Explodierte vor Empfindung, als er sie tief in die heiße Nässe seines Mundes zog. Und nuckelte.

Sie bäumte sich auf, hilflos im Bann seines Könnens. Er ließ ihren Nippel los, drückte heiße Küsse auf ihre erhitzte Haut, beschwichtigte, ließ sie wieder locker werden, bevor er sie erneut an sich zog.

So ging es weiter. Helena verlor jede Beziehung zur Zeit, gefangen von der sündhaften Lust seines Mundes, seiner Lippen, seiner heißen Zunge, dem leichten Kratzen, der erhitzten Nässe, der verlockenden Berührung zwischen ihren Schenkeln. Inzwischen gierte sie nach allem, ihre Brüste schmerzten und pulsierten voll und fest, als seine Zunge weiterzog zu ihrem Nabel.

Sie zuckte, aber er hielt sie mit einer Hand um die Taille fest. Keiner hatte sie je so berührt wie er jetzt, mit dem Mund auf dem Bauch und den Fingern, die sie tiefer unten streichelten.

Dann presste er seine Lippen auf ihre Locken, seine Zunge berührte sie zwischen - sie schrie auf.

»Schsch!« Sebastian flüsterte in die schwarzen Locken, die ihn so faszinierten, die Lust in ihm noch steigerten. »Ich würde dich zwar nur zu gerne schreien hören, mignonne, aber heute Abend darf das nicht sein.« Er hob den Kopf nur so weit, dass er das Funkeln ihrer Augen unter den schweren Lidern sehen konnte. Ihre Lippen waren von seinen Küssen geschwollen. Die elfenbeinerne Vollkommenheit ihrer Brüste trug die Male seines Besitzergreifens; er empfand keinerlei Reue.

Sie atmete hektisch, flach, mit offenem Mund - bald würde sie überhaupt nicht mehr atmen können. Er sah, wie sie die Augen aufriss, als hätte sie seine Absicht erraten, spürte, wie sie nach ihm griff.

Er sah nach unten, atmete tief. Ihr Duft drang bis in seine Knochen, als er ein kleines Stück tiefer rutschte, mit seinen Schultern ihre Schenkel noch weiter spreizte; dann ließ er seine Finger, tropfnass von ihrer Begierde, noch einmal, ein letztes Mal über ihr geschwollenes Fleisch gleiten - und erlöste sie. Er beugte den Kopf und ersetzte sie durch seine Lippen, Mund, Zunge. Packte ihre Hüften und hielt sie fest, während er sich labte.

Unter ihm wand sie sich, musste den nächsten Schrei unterdrücken, als er die feste Knospe ihres Verlangens suchte und fand, erigiert, in Erwartung seiner Lippen. Er erwies ihr seine Reverenz, und sie wand sich keuchend, eine Hand vor dem Mund; mit der anderen tastete sie blind um sich und verkrampfte sich im Laken.

Er sah keinen Grund zur Eile, sah keinen Grund, sich oder ihr irgendeine der Wonnen, die zu haben waren, zu versagen. Derer gab es viele, und er kannte jede einzelne. All diese schickte er sich an, sie zu lehren.

Helena keuchte, hechelte, hielt mit Mühe ihre Stimme in Schach. Ihre Sinne waren überlastet, überschwemmt von der Intimität, der Liebkosung seiner Lippen, dem geschickten, raffinierten Bohren seiner Zunge.

Sebastian hatte sie an den Abgrund gebracht - die Schwelle, hinter der die Welt abfiel und nichts mehr existierte außer Gefühl, wie schon vorhin mit seinen Fingern. Jetzt machte er dasselbe mit seinem Mund, seinen Lippen, seiner sündigen Zunge. Sie wusste, was kommen würde - das Zerbersten ihrer Sinne und der Sturz in die glühende Hitze des Nichts; trotzdem krallte sie sich in das Laken und versuchte es aufzuhalten - versuchte auf der Flut zu reiten. Dieses Mal war die Intensität beängstigend.

Ihr hilflos ausgeliefert - konnte sie nichts aufhalten, konnte sich ihm nicht versagen.

Eine Woge von Hitze durchbrach ihre Mauern, erfasste sie, schwemmte sie hoch, hinauf auf eine sinnliche Ebene unerträglicher Wonne. Sie spürte seine Befriedigung, spürte, wie seine Hände fester zupackten, fühlte das sanfte Streicheln seiner Haare an der Innenseite ihrer Schenkel, als er sich erneut über sie beugte.

Spürte das Bohren seiner Zunge, als er sie teilte, das langsame Gleiten ihres Eindringens.

Dann stieß er zu.

Sie zerbarst. Verlor sich. Fiel kopfüber, sich schlängelnd und drehend in einen Brunnen der Lust, der so tief und heiß war, dass er jeden Knochen schmolz.

Körperlich konnte sie sich nicht mehr bewegen, zu keinem Denken war sie mehr fähig. Intensiver als je zuvor in ihrem Leben regierten sie Gefühle. Sie spürte, wie Hitze sich unter ihrer Haut ausbreitete, spürte die Kräuselwellen von Entzücken, die sich in ihrem Körper ergossen.

Nach einem letzten genüsslichen Kuss hob er den Kopf und brandete über sie. Sie konnte fühlen, sehen, es aufnehmen, sogar verstehen - aber reagieren konnte sie nicht. Ihre Muskeln waren passiv. Ihr Körper hatte kapituliert.

Kein Widerstand, als er seinen Schaft aus seiner Hose befreite und ihn bei ihr ansetzte. Dann presste, prüfte er, schob ihn hinein - nur ein bisschen. Ihre Augen waren groß geworden, als sie einen Blick auf ihn erhaschte, auf seine Größe. Wäre sie fähig gewesen, irgendeine Meinung zu äußern, hätte sie vielleicht nein gesagt. Aber sie brachte nicht einmal so viel Willen auf, lag nur da und erlebte - spürte, wie sich der Druck steigerte, als er ein kleines Stück weiter eindrang. Sie holte Luft und schloss die Lider, aber nicht, ehe sie seinen Blick auf ihr Gesicht gesehen hatte. Während sie sich konzentrierte, ein bisschen rutschte, als das nächste Schaukeln seiner Hüfte Schmerz brachte, war sie sich bewusst, dass er ihre Reaktionen beobachtete, alles, was sie fühlte, nachempfand.

Sebastian zog sich ein Stück zurück, nicht ganz, nur bis zu ihrer Pforte. Er bewegte sich und zog ihre Knie hoch, drückte sie nach oben. Dann lüpfte er ihre Hüften ein wenig, sein Gewicht kehrte zurück, seine Arme hielten ihre Knie hoch.

Hielten sie fest, als er in sie glitt.

Sie keuchte, bäumte sich auf, aber sein Gewicht drückte sie hinunter. Er stieß noch einmal zu und sie schrie auf, drehte ihren Kopf weg. Jetzt ragte er über ihr auf, die Bewegung drückte ihn tiefer in sie, ein Brandmal, das sich in ihren Körper prägte. Ihr nächstes Keuchen war eher ein Schluchzen.

»Nein, mignonne, schau mich an!« Er stützte sich auf seine Ellbogen, nahm ihr Gesicht in seine Hände, und drehte es sanft, aber bestimmt in seine Richtung. »Mach deine Augen auf, mein Herz! Liebes - ich muss dich sehen!«

Seine Stimme hatte einen Unterton, den sie nie bei ihm erwartet hätte, eine Bitte, kehlig und herrisch, aber trotzdem eine Bitte. Sie zwang sich, sie ihm zu erfüllen - ihre schweren Lider zu heben, zu blinzeln, in das leuchtende Blau zu blicken. Spürte, wie sie in ihrer Dunkelheit ertrank.

Er ließ ihr Gesicht los und stützte sich ab, bäumte sich über ihr. »Bleib bei mir, mignonne

Sein Blick heftete sich auf ihren, er stieß tiefer und tiefer. Allmählich gab ihr Körper nach, öffnete sich, kapitulierte vor seinem Angriff. Sie wollte sich wehren, aber dazu war sie absolut unfähig, als er noch tiefer in sie eindrang. Sie mühte sich, seinem Blick standzuhalten, als Unbehagen zu Schmerz wurde und sich steigerte, steigerte …

Ihre Lider fielen zu und sie keuchte, wand sich heftig unter ihm.

Er zog sich zurück und stieß ein letztes Mal mit aller Macht zu.

Sie schrie, er dämpfte das Geräusch mit einer Hand über ihrem Mund. Helena stieß sie keuchend beiseite, holte tief Luft, kämpfte darum, zu begreifen - einen Sinn in dem zu finden, was ihre Sinne ihr mitteilten.

So tief konnte er doch gar nicht in ihr sein.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn an; der Schmerz verebbte, und die Tiefe stimmte tatsächlich.

Zitternd hielt sie den Atem an und ließ sich langsam zurücksinken. Es fühlte sich … sehr seltsam an.

»Sch - es ist getan!« Er beugte den Kopf, seine Lippen wanderten über ihre Stirn.

Instinktiv legte sie den Kopf zurück. Seine Lippen fanden ihre. Er küsste sie - und es schmeckte anders - anders, jetzt wo er auch noch in ihr war.

Seine Position erwies sich als schwierig. Er zog sich zurück. »Verzeih mir, Süßes, aber das ist nicht so einfach.«

In seiner Stimme schwang ein Hauch von maskulinem Stolz - Helena war sich nicht sicher, wie sie darauf reagieren sollte. Sie hob eine Hand und strich gedankenverloren die Locke, die ihm ins Gesicht gefallen war, beiseite. Der Rest ihres Verstandes war voll, mit dem seltsamen Gefühl ihn in sich zu haben, beschäftigt.

Offenbar spürte er es, las es in ihrem Gesicht. Er zog sich ein Stück zurück, nicht einmal die halbe Länge; dann stieß er langsam wieder in sie, wie um sie zu prüfen. Sie verkrampfte sich, erwartete Schmerz, aber …

Zärtlich beobachtete er ihre Reaktion.

»Tut das weh?«

Er wiederholte die Bewegung, immer noch langsam, beherrscht.

Sie blinzelte, holte Luft, schüttelte den Kopf. »Nein, es fühlt sich an wie …« Fand kein Wort dafür.

Sebastian lächelte, sagte aber nichts, stützte sich einfach über ihr auf die Ellbogen und wiederholte es. Und noch einmal.

Dann beugte er den Kopf, bedeckte ihren Mund. Sie küssten sich und es war wieder anders, noch faszinierender. Ihr Kopf begann, sich lustvoll zu drehen. Dann prüfte sie ihre Muskeln und entdeckte, dass sie sie wieder unter Kontrolle hatte.

Sie begann, sich mit ihm zu bewegen, ahmte die wiederholte Wellenbewegung nach. Er packte eine Hüfte, führte sie, dann, als sie seinen Rhythmus erfasst hatte, ließ er sie los und hob diese Hand an ihre Brust.

Er bewegte sich über ihr, auf ihr, in ihr; mit einem Mal ging ihr Atem schneller, fühlte sie, wie erneut die Hitze in ihr aufstieg, spürte, wie ihr Körper sich nach seinem reckte, suchend, begehrend …

Doch er wurde langsamer, hielt inne. »Warte.« Er zog sich aus ihr zurück, stand auf und verließ das Bett.

Mit einem Mal fühlte sie sich leer, kalt … beraubt. Helena drehte sich, streckte die Arme aus, senkte ihre Knie, schüttelte die Beine - dann merkte sie, dass er sich nicht weit entfernt hatte.

Er sah sie unverwandt an, während er sein Hemd auszog - er riss es über seinen Kopf und ließ es zu Boden fallen. Eine Sekunde später folgte seine Hose, dann kehrte er zu ihr zurück.

Lächelnd breitete sie die Arme aus, hieß ihn erneut willkommen. Ließ ihre Hände über seine nackten Schultern gleiten, über die warme Haut seines Rückens. Spreizte ihre Finger und hielt ihn fest, als er sich unter ihr in Position begab und wieder mit ihr vereinte.

Diesmal glitt er ohne Schmerz in sie, dennoch spürte sie jeden harten Zentimeter, als er sie durchdrang. Ihr Körper bäumte sich, empfing ihn, bewegte sich aus eigenem Willen. Sie seufzte - vor Erwartung - mit einer Begierde, die er teilte.

Sehnsüchtig flüsterte er: »Schling deine Beine um mich.«

Sie tat es und der Tanz begann erneut. Wieder anders. Haut auf Haut, seine Härte gegen ihre Weiche, ohne dämpfenden Stoff dazwischen. Wenn irgendjemand gesagt hätte, dass ihre Empfindungen noch heftiger werden könnten als er sie ihr bereits entlockt hatte, dann hätte sie nur gelacht. Aber jetzt, als die Hitze aufloderte und wirbelte und sie in ihren Flammen aufsog, entdeckte sie, dass es da in der Tat noch mehr gab.

Was sie erlebte, als er seinen Körper in einem steten, gnadenlosen Rhythmus in sie stieß. Mehr zu fühlen, zu empfinden, darin zu schwelgen. Die Hitze fegte in Wellen durch sie hindurch; dann sammelte sie sich tief in ihrem Inneren, tief drinnen, dort, wo er sie ausfüllte, sich hineindrängte - und berührte ihr Herz.

Das Haar auf seiner Brust kitzelte an ihren Brüsten, als er sich über ihr bewegte, bis sie es nicht mehr ertrug. Sie packte und zerrte, versuchte, ihn zu sich herunterzuziehen. Er sah sie an, tat ihr den Gefallen, senkte sein Gewicht voll auf sie, seine Brust auf ihren verlangenden Busen.

Sie seufzte, warf den Kopf zurück - er musste seinen Kopf drehen, aber fand ihre Lippen, sank in ihren Mund.

Abermals veränderte sich der Tanz.

Es wurden zwei Körper, die sich zu einem Ziel vereint hatten.

… Vereint zu einem Strudel von Empfindung und Gefühl. Von namenlosen Emotionen, dringenden Bedürfnissen und Begierden, elementarem Verlangen und Leidenschaften, einer Wonne, die nie wieder dieselbe sein würde.

Das alles wuchs und wuchs, bis sie sich wand, seinen Namen auf den Lippen, ihr Körper ganz der seine. Schließlich barst das Kaleidoskop und sie wirbelte durch Entzücken, Fragmente greller Empfindungen trudelten durch ihre Adern und schmolzen zu köstlichster Lava, als sie zu guter Letzt alles losließ.

Ließ die letzte Verbindung zur Realität aus ihren Gedanken gleiten, gab ihre Seele der Wonne hin. Endlich war sie sich seiner Stöße tief in ihr bewusst, seines gedämpften Stöhnens, der Lust, die sie durchbrandete, als sein Samen sich tief in sie ergoss, der Freude, die sie durchtränkte, als sein harter Körper erschöpft auf ihr zusammensank.

Mit einer Hand griff sie in sein Haar. Lauschte, wie sein Herz donnerte und dann langsamer wurde.

Spürte in dieser letzten kostbaren Minute verstärkter Klarheit eine unerwartete Verletzlichkeit.

Sie lächelte, schlang ihre Arme um ihn und hielt ihn fest.

Bevor sie sich ermahnen konnte, wie gefährlich das war, glitt sie über die Schwelle des Bewusstseins in Schlaf.


Die Uhren im Haus schlugen drei. Sebastian war bereits wach, aber das Geräusch holte ihn voll in die Gegenwart zurück und in diese tiefe, seelenbefriedigende Wärme, die ihn umfing.

Er lehnte sich mit seinem Rücken ans Kopfende und sah hinunter. Helena lag schlafend da, an ihn gekuschelt und gepresst; ihre kleinen Hände hielten ihn fest, als hätte sie Angst, er könnte sie verlassen. Während er ihre Züge studierte, fragte er sich, was dahinter vorging.

Mignonne, was versteckst du vor mir?

Sebastian artikulierte den Gedanken nicht, wünschte aber, er würde die Antwort kennen.

Etwas war passiert, aber er wusste, verdammt noch mal, nicht, was. Bei ihrer Ankunft war alles noch in Ordnung gewesen …

Später hatte er das Personal befragt; sie wussten nichts, hatten nichts gesehen. Er hatte sich nicht direkt erkundigt; aber Webster hätte es erwähnt, wenn irgendwelche Briefe eingetroffen wären oder sie schon erwartet hätten. Und doch lagen da zwei Schreiben auf ihrem Toilettentisch, sein scharfes Auge hatte Wachsreste auf dem Boden entdeckt. Sie musste sie dort geöffnet haben - mit Sicherheit am ersten Abend, bevor sie zum Dinner heruntergekommen war, darauf hätte er schwören können.

Und genau ab diesem Zeitpunkt hatten sowohl die Atmosphäre als auch sie sich verändert.

Doch wo genau diese Veränderung lag - angesichts der Ereignisse der letzten paar Stunden - konnte er sich nicht erklären.

Etwas hatte sie zutiefst erschüttert. Ein kleines Ärgernis, da hätte sie ihrem Unmut freien Lauf gelassen. Aber dies musste etwas so Beängstigendes sein, dass sie es geheim halten wollte - und nicht nur vor ihm.

Sie hatte es noch nicht erkannt, aber in ihrer Beziehung waren sie bereits an einem Punkt angelangt - auch schon vor den letzten Stunden - an dem sie ihre Gefühle, ihre Emotionen nicht mehr vor ihm verstecken konnte - zumindest nicht ganz. Er las sie in ihren Augen, nicht deutlich, aber wie ein Schatten, der die peridotgrünen Tiefen verdüsterte.

Ihr Verhalten hatte seinen Verdacht nur erhärtet. Als sie sich von ihm umarmen ließ, war sie an der Oberfläche beherrscht gewesen und darunter so zerbrechlich, so schutzlos - so sehnsüchtig. Er hatte es in ihrem Kuss gespürt: eine Art Verzweiflung, als ob das, was zwischen ihnen geschah, was sie in diesen Stunden teilten, schmerzlich kostbar war und doch vergänglich. Zum Scheitern verurteilt. Dass es nicht von Dauer sein würde, egal wie sehr sie es wollte, sich danach verzehrte, ohne seine Wünsche, seine Kraft zu bedenken.

Das gefiel ihm nicht - nichts davon. Zwar kam er ihr, ihren Bedürfnissen in jeder Weise entgegen …

Er schnitt eine Grimasse bei der Erinnerung, was alles passiert war. Wusste, dass sie es nicht vollständig begreifen würde.

Natürlich hatte er ihr Verlangen nach Schutz gespürt, ihr Verlangen, besessen und behütet zu werden - hatte reagiert und sie zur Seinen gemacht auf die einzige Weise, die ihm wirklich etwas bedeutete. Und offensichtlich auch ihr.

Die Seine.

Sie würde nicht verstehen, was das bedeutete - nicht sofort, doch letztendlich dann schon. Helena konnte kaum durchs Leben gehen und nicht erkennen, dass sie von diesem Moment an die Seine war und zwar auf immer.

Das war ein Problem, für sie beide.

Mit einem stillen Seufzer sah er hinunter auf die dunklen Locken; dann hauchte er einen Kuss auf ihre Stirn, schloss die Augen - und überließ es dem Schicksal, seine bösen Fäden zu spinnen.


Am nächsten Morgen war Helena nicht stolz auf sich. Sie wachte auf und stellte fest, dass sie alleine war; aber das Bett sprach Bände über die vergangenen Stunden. Die zerknüllten Laken waren noch warm von Sebastians Körper. Ohne ihn fror sie bis ins Mark.

Sie umklammerte ein Kissen und starrte ins Leere. Was hatte sie sich dabei gedacht, sich so intim mit einem so mächtigen Mann einzulassen? Hatte sie denn völlig den Verstand verloren? Aber irgendwie schien es jetzt sinnlos, sich mit Reue herumzuschlagen.

Reue, die sie trotz allem nicht empfand.

Das Einzige, was sie wirklich bedauerte, war, dass sie ihm nicht alles erzählen, sich nicht auf seine Kraft stützen konnte, sich an seiner unbestreitbaren Macht stärken. Nach dieser Nacht wäre es eine solche Erleichterung, sich seiner Gnade zu unterwerfen, ihn um Hilfe anzuflehen. Aber das kam nicht in Frage. Ihr Blick fiel auf die Briefe auf ihrem Toilettentisch.

Fabien hatte dafür gesorgt, dass sie und Sebastian auf entgegengesetzten Seiten standen.

Aber bevor sie noch tiefer in den Morast ihrer Ängste sank und sich in Verzweiflung suhlte, läutete sie nach ihrer Zofe.


Sebastian saß am Kopfende des Frühstückstisches, nippte an seinem Kaffee und überflog gerade eine Zeitung, als Helena den Raum betrat.

Er hob den Kopf. Ihre Blicke begegneten sich. Eilig wandte sie sich ab, lächelte Clara locker zu und ging zur Anrichte. Seine Augen wanderten ihr nach. Sie sah entzückend aus in einem gemusterten Batistkleid. Und er dachte an die vergangene Nacht, an die Leidenschaft und Erfüllung, beides so intensiv, und dann an die Frage - die Fragen -, auf die er noch keine Antworten wusste.

Helena drehte sich um, er beobachtete sie weiter, wartete …

Mit ihrem Teller in der Hand näherte sie sich dem Tisch. Tauschte belanglose Bemerkungen mit Marjorie aus, dann steuerte sie auf den Stuhl rechts von ihm zu.

Auch gut.

Er wartete, bis sie sich gesetzt und ihre Röcke zurechtgerückt hatte, dann holte er Luft.

In diesem Moment hob sie den Kopf. Er erhaschte einen Blick auf die Schatten, die in ihren Augen wirbelten, die peridotgrünen Tiefen verdüsterten. Spontan wollte er nach ihrer Hand greifen, hielt aber inne, als sie den Kopf senkte.

»Ich habe mich gefragt …« Sie spielte mit ihrem Löffel in einer Portion Haferbrei. »Glaubt Ihr, wir könnten wieder reiten gehen - wie gestern?« Sie sah zum Fenster hinaus. »Es ist noch klar - und wer weiß, wie lange das halten wird.«

In ihrer Stimme schwang Wehmut, weckte die Erinnerung daran, wie entspannt, wenn auch nicht sorglos, aber doch zumindest vorübergehend befreit von der dunklen Last, sie gestern Morgen gewirkt hatte, als sie mit dem Wind um die Wette über seine Felder geflogen waren. Wieder hob sie den Kopf, wölbte die Brauen.

Und er erhaschte den nächsten Blick in ihre Augen.

Monsieur le Duc zügelte seine Ungeduld und neigte den Kopf. »Wenn Ihr es wünscht! Es gibt eine schöne Strecke in Richtung Norden, die wir uns vornehmen könnten.«

Sie lächelte flüchtig, ein hübscher Anblick, der allzu schnell von ihren Lippen schwand. »Das wäre … angenehm.«


Sebastian verstand nicht, warum sie nicht einfach »eine Erleichterung« sagte. Dass ihr gemeinsamer Ritt das war - eine Erleichterung, eine Ablenkung von ihren Sorgen - lag für ihn auf der Hand. Doch er würde es nicht fertig bringen, unterwegs, wenn sie diese innere Last vergaß, die Stimmung zu zerstören und sie mit Nachforschungen zu drangsalieren.

Folglich kamen sie drei Stunden später ins Haus zurück und er war den Antworten auf seine Fragen kein Stück näher. Er musste abwarten, bis sie ihm alles aus freien Stücken erzählte; Vertrauen ließ sich nicht erzwingen, das konnte man nur wachsen lassen. Zumindest zwischen ihnen. Von anderen erwartete er es, aber nicht von Helena.

Da blieb nur die vordringliche Frage, die er ihr stellen musste. Es gab keinen Grund mehr, um den heißen Brei herumzureden, die Karten nicht auf den Tisch zu legen.

Wenn er einmal das Vertrauen hatte, das er gewinnen wollte, würde es vielleicht auch bei der anderen helfen.

Als sie sich alle gemeinsam vom Mittagstisch erhoben, nahm er ihre Hand und zog sie beiseite. »Falls Ihr mir ein paar Minuten Eurer Zeit schenken könntet, mignonne, würde ich gerne ein paar Einzelheiten klären.«

Er konnte nichts in ihren Augen lesen, als sie sein Gesicht musterte. Dann schaute sie zu den Fenstern hinaus, die von starkem Regen getrübt waren. Marjorie und Clara gingen an ihnen vorbei, als hätten sie nichts bemerkt. Thierry und Louis waren bereits im Billardzimmer verschwunden. Sie holte Luft, als müsse sie sich wappnen, und nickte schließlich: »Wenn das Euer Wunsch ist.«

Sebastian wünschte sich…sehr viele Dinge; aber jetzt nahm er ihre Hand und führte sie ins Arbeitszimmer.

Helena mühte sich ihre Anspannung, ihre Angst nicht zu zeigen - nicht vor ihm, sondern dass er sie dazu bringen könnte, etwas zu sagen, zu tun. Zu beichten. Er führte sie durch eine Tür, die ein Lakai aufriss, in sein Arbeitszimmer. Der große Schreibtisch war in Benutzung, den Stapeln von Papieren und Büchern darauf nach zu schließen - auch mit dem großen Lederstuhl dahinter und der Fülle von Dokumentenschachteln und Akten, die sich in den Regalen rings an den Wänden stapelten. Unerwarteterweise kam ihr der Raum angenehm, sogar gemütlich, vor. Breite Fenster mit Aussicht auf die Rasenflächen; nachdem es draußen bereits dunkelte, waren die Lampen angezündet, ihr goldener Schein fiel auf das polierte Holz, auf Samt und Leder.

Sie ging zu dem Feuer, das fröhlich im Kamin knisterte und die Kühle, die von draußen hereinsickerte, vertrieb. Gleichzeitig sah sie sich verstohlen um, suchte nach einem Schrank oder einer Vitrine - nach irgendeinem Platz, wo Fabiens Dolch versteckt sein könnte. Sie musste danach suchen, auch wenn sie an der Tatsache verzweifelte, Sebastian so tückisch zu hintergehen.

Vor dem Kamin streckte sie ihre Hände über die Flammen. Als er sich zu ihr gesellte, straffte sie die Schultern.

Er blieb neben ihr stehen, nahm ihre Hände in die seinen. Sah ihr ins Gesicht, in die Augen. Die seinen konnte sie nicht ergründen, war überzeugt, dass auch ihre nichts verrieten. Wie in Anerkennung ihrer gegenseitigen Schutzwälle hoben sich seine Mundwinkel zu einem ironischen, leicht schiefen Lächeln.

»Mignonne, nach den Ereignissen der gestrigen Nacht weißt du genau wie ich, dass wir bereits die ersten Schritte auf unserem gemeinsamen Weg getan haben. Was Entscheidungen angeht, haben wir sie jeweils getroffen - du deine und ich meine. Trotzdem besteht bei Menschen wie uns das Bedürfnis nach einem förmlichen Ja oder Nein - eine schlichte, klare Antwort auf eine schlichte, klare Frage.«

Forschend schaute er sie wieder an. Sie wandte sich nicht ab, wich seinem Blick nicht aus, sondern versuchte zu ergründen, welche Richtung er einschlug. Fragte sich, ob ihre innere Unsicherheit von ihm oder ihr selbst ausging.

Nun verzog sich sein Mund. Er sah hinunter, hob ihre beiden Hände, küsste die Linke und die Rechte.

»Wie auch immer«, - seine Stimme war tiefer geworden, hatten diesen Tonfall angenommen, den sie jetzt mit Intimität assoziierte - »ich möchte dich nicht bedrängen. Ich werde dir eine einfache Frage stellen, sobald du bereit bist, mir eine einfache Antwort zu geben.« Abermals musterte er sie aufmerksam. »Bis dahin solltest du wissen, dass ich hier bin und warte« - wieder zuckte sein Mund - »wenn auch nicht geduldig. Aber auf dich, mignonne … da kannst du sicher sein, werde ich ewig warten!«

Das klang wie ein Schwur. Scheinbar verriet ihr Gesicht, ihr Blick, ihre Überraschung - in seinem glühte ein selbstverachtendes Licht, so, als schüttle er den Kopf über seine Milde ihr gegenüber.

Und milde war er. Mehr als die meisten verstand sie, dass es sein natürlichster Impuls wäre, sie mit seinem Antrag zu bedrängen, bis sie sich geschlagen gäbe. Zuzugeben, dass sie bereits die Seine war und er nicht mehr lange betteln müsste.

Sie hatte mit der Forderung nach einer offiziellen Kapitulation gerechnet, hatte sich innerlich gewappnet, hatte sich, falls notwendig, Ausflüchte zurechtgelegt, wollte jede weibliche Tücke einsetzen, um eine solche Erklärung hinauszuzögern. Wenn sie nachgab, und ihn in dem Glauben ließ, er hätte triumphiert und könnte sich damit brüsten - am Ende öffentlich - dann würde der Schaden noch immer verschlimmert durch ihre Flucht.

Der Zorn, den sie damit heraufbeschwöre, wäre kaum mehr zu bändigen.

Sie hatte den Raum betreten, bereit, ihren Gefühlen jede Art von Gewalt anzutun, die nötig war, um ihre Ziele zu erreichen - Arieles Rettung und die Schonung von Sebastians Stolz. »Ich …« Was konnte sie angesichts solch eines Dilemmas sagen? Er wusste nichts von ihren Problemen; trotzdem hatte er gespürt, dass sie in Schwierigkeiten war und davon Abstand genommen, ihre Situation noch zu verschärfen - obwohl er sie nicht begriff.

Die Worte lösten sich mit einem sanften Seufzer von ihren Lippen. Sie hob den Kopf, schaute ihm ins Gesicht, ließ es zu, dass ihre Augen und ihre Miene Erleichterung sowie Dankbarkeit verrieten. Sie holte Luft - und es ging auf einmal ganz leicht. Behutsam entzog sie ihm ihre Hände und verschränkte sie. »Ich werde … ich melde mich bei dir, sobald ich deine schlichte Frage beantworten kann.«

Dazu würde es nie kommen - aber leider war sie nicht im Stande, das zu ändern.

Sein durchdringender blauer Blick heftete sich wieder auf sie, aber da gab es nichts mehr, was sie bereit war, preiszugeben. Sie hielt ihre Traurigkeit über diesen letzten Beschluss gut versteckt; um Arieles willen musste sie sich stets vergegenwärtigen, dass sie jetzt tatsächlich Gegner waren.

Seine bereits harten Züge wurden noch härter. Mit steinerner Miene neigte er den Kopf. »Bis später!«

Sie spürte die Wucht seines gezügelten Zorns und hob instinktiv ihr Kinn. Er sah sie einen Moment lang an, dann sagte er, ruhig, beherrscht, fast abweisend: »Clara hält sich bestimmt im hinteren Salon auf. Es wäre klug, wenn du zu ihr gehst.«

Die Warnung hätte nicht direkter sein können. Sie schaute noch einmal auf, beugte jedoch gleich wieder den Kopf. »Gut - ich verlasse dich.«

Anmutig drehte sie sich im Kreis, registrierte mit einem Blick, was alles in diesem Raum stand. Es gab vier große Truhen, an jeder Wand eine, alle mit Schlüssellöchern.

Sie durchschritt die Tür und zog sie hinter sich zu. Entfloh der unheilvollen Wärme von Sebastians Blick. Sie würde sein Arbeitszimmer durchsuchen müssen.

Irgendwann.