Kapitel 7
Madeline Drummond - einst auch bekannt als Herrin von Abercairn Castle, gehorsame, trauernde Tochter und leidenschaftliche, fast immer furchtlose Rächerin der Schwachen, aber heimgesucht von einer Gabe, die sie hasste, und hoffnungslos in einen Mann verliebt, der eine andere liebte - starrte über den steinigen Boden des St. Thenewer Kirchhofs auf das Objekt ihrer Bewunderung und fragte sich, ob ihr Herr der Highlands womöglich auch ein erfahrener Praktiker der dunkleren Künste war.
Der alten, von ihren keltischen Vorfahren verehrten Wege.
Groß, dunkel und grimmig wie eine sturmgepeitschte Nacht stand er da und kehrte ihr den Rücken zu, und ihr Mund war bei seinem Anblick mit einem Mal wie ausgedörrt.
Sein blauschwarzes, seidig glattes Haar fiel ihm jetzt offen über den Rücken, und die ausgeprägten Muskeln an seinem Nacken und seinen Schultern spannten sich sichtlich an, als er den Kopf zurückwarf, um zum Himmel aufzublicken, und sein ausdrucksvolles Profil verriet Madeline, wie fest er die Zähne zusammenbiss und wie grimmig seine männlich schönen Züge waren.
Die stolze Art, wie er sein Plaid trug, und seine leicht gespreizten Beine kennzeichneten ihn als einen Mann, der es gewohnt war, seinen Willen zu bekommen.
Für einen spannungsgeladenen Augenblick schien sogar die Luft zum Leben zu erwachen. Sie knisterte und knackte um Madeline, der eben noch strahlend blaue Himmel war plötzlich schiefergrau und bedeckt von dichten, sich hin und her verlagernden Nebelschleiern.
Madeline erschauderte. Ihr war, als striche eine kalte Hand über ihren Rücken, unter der sich die feinen Härchen auf ihrer Haut aufrichtete und von der sie eine Gänsehaut bekam, aber sie konnte einfach den Blick nicht von ihm abwenden.
Nie hatte sie einen schöneren Mann gesehen.
Oder einen beeindruckenderen.
»Dort ist ein Mann mit der nötigen Kraft und Energie, um andere seinem Willen zu unterwerfen«, wisperte Nella neben ihr und legte, bewusst oder unbewusst, stützend eine Hand in Madelines Kreuz.
Madeline nickte in nahezu ehrfürchtiger Bewunderung. Und dann zog sie ihre Freundin näher an sich heran, schloss ihre kalten Finger um Nellas warmes Handgelenk und hielt sich an ihr fest, denn ein eisiger Wind war plötzlich im Kirchhof aufgekommen, der ihre Röcke peitschte und selbst die mächtigen alten Eiben schüttelte.
Ihre raschelnden Blätter und knackenden Zweige Veranstalteten einen höllischen, grauenhaften Lärm, der unheimlich genug war, um Madeline einen kalten Schauer über den Rücken zu jagen und sie in ihrer Überzeugung zu bestärken, dass ihr Schattenmann - wer immer er auch wirklich sein mochte - irgendeinen uralten heidnischen Zauber anwandte, um sie von ihrer Zeit zu trennen.
Eine wunderliche Magie, die er benutzte, um sie in eine rauere Zeit als ihre eigene zu versetzen ... eine Welt, in der es niemand wagen würde, sich den Launen und Wünschen eines Manns wie ihm zu widersetzen.
In dem Moment, als sie schon befürchtete, der heulende Wind und nächtlich dunkle Himmel würden sie ihres gesamten Muts berauben, begann sie plötzlich einen Hauch von Melancholie in ihrem Herzen zu verspüren.
Der seinen, wie sie wusste, weil die bereits vertraute Traurigkeit, die sie durchströmte, ihren gewohnten Weg beschritt und wie immer von Verlustgefühlen und Verzweiflung durchdrungen war. Aber dann senkte er den Kopf, und die Empfindung - und die sie begleitende Finsternis - verblassten wieder.
Verschwand so schnell, wie sie gekommen war ... und so unwiederbringlich, dass Madeline sich sicher war, dass keine anderen Augen und Ohren als die ihren von dem Sturm etwas bemerkt haben konnten.
Noch immer ganz durchfroren von dem eisigen Wind, warf sie Nella einen Blick zu und sah, dass ihre Freundin zwar recht beeindruckt zu sein schien, aber keineswegs beunruhigt oder ängstlich.
Sie wirkte nicht mal überrascht.
Kein bisschen.
Und auch der Freund ihres Schattenmanns schien weder verwundert noch besorgt zu sein.
Vielmehr kam der Mann, der Gavin MacFie genannt wurde, bereits mit großen Schritten über das Gras auf Nella zu, ein ganz normales Lächeln auf seinem offenen, bärtigen Gesicht.
Nur er trug Spuren dessen, was sie gesehen hatte, denn die Falten seines Plaids waren verrutscht, als wäre ein starker Wind hineingefahren, und sein wundervolles Haar war so zerzaust und durcheinander, als hätte es gerade einen wilden, ausgelassenen Tanz mit den Elementen hinter sich.
Dann fuhr er herum, und sein dunkler Blick suchte den ihren, während er auf sie zukam, und Madeline Drummond - obwohl vermutlich kaum geeignet für den Eintritt in ein Nonnenkloster und ohne große Sympathie für Kirchendiener - verspürte plötzlich ein geradezu überwältigendes Bedürfnis, sich zu bekreuzigen.
Er überbrückte die Entfernung zwischen ihnen erstaunlich schnell und griff nach ihr, bevor sie Atem holen geschweige sich wieder sammeln konnte. Nervös befeuchtete sie ihre Lippen und bemühte sich, ihre Fassung wiederzugewinnen. Grundgütiger, aber er überragte sie um Längen ... und sie war schon eine relativ große Frau, größer als die meisten ihrer Geschlechtsgenossinnen.
Sie legte den Kopf zurück, um zu ihm aufzuschauen, während ihr Herz schmerzhaft hart gegen ihre Rippen pochte und die Emotionen, die sie in diesem Augenblick durchfluteten, ganz allein die ihren waren und niemand anderem gehörten.
Nach einem tiefen Atemzug erwiderte sie seinen Blick, doch falls ihre verfluchte Gabe versuchte, die Gedanken zu absorbieren, die sich hinter dem entschlossenen Glitzern seiner braunen Augen verbargen, so hatte ihr Herr der Highlands undurchdringliche Barrieren vor ihnen errichtet und ließ ihr keine andere Wahl, als zu erraten, was er vorhatte.
Und das war auch schon alles, was sie erkennen konnte - dass er etwas vorhatte ... und sich durch nichts davon abbringen lassen würde.
Madeline, die sich unter seinem eindringlichen Blick ziemlich unbehaglich fühlte, hob die Hand an die emaillierte Brosche, die sie sich von seinem Umhang ausgeliehen hatte, und legte ihre Fingerspitzen auf ihre kühle, glatte Oberfläche.
Mit der anderen Hand zog sie den warmen Umhang noch ein wenig fester um ihren Körper, als könnte sie durch den abgetragenen, von der Reise vollkommen verschmutzten Stoff etwas von seiner Kraft und Tapferkeit absorbieren.
Kraft und Tapferkeit, die sie unbedingt benötigte, denn ihre eigene schien sie im Stich gelassen zu haben.
Sie warf einen Blick auf Nella, die auf einer nicht weit entfernten Mauer saß, in eine angeregte Unterhaltung mit dem rothaarigen MacFie vertieft, und beide erweckten den Anschein, als hätten sie nur noch Augen füreinander.
Madeline runzelte die Stirn.
Der Herr der Highlands lächelte ... sofern man das leichte Heben seines linken Mundwinkels als Lächeln bezeichnen konnte.
»Gnädiges Fräulein«, richtete er das Wort an sie, und seine angenehme, wie geschmolzenes Gold klingende Stimme nahm ihren Beinen alle Kraft, und ihre Knie drohten nachzugeben. »Es sieht ganz so aus, als würden unsere Begleiter gute ... Freunde.«
Madeline räusperte sich, aus Angst, dass ihre Stimme ihr den Dienst versagen könnte. »Nella erwärmt sich gewöhnlich nicht sehr schnell für Fremde, und schon gar nicht für Männer. Gavin MacFie muss ein vorbildlicher Mann sein, um derart schnell ihr Vertrauen zu gewinnen.«
»Mein Bruder würde Euch aus ganzem Herzen zustimmen«, erwiderte ihr Schattenmann mit einem raschen Seitenblick auf ihre beiden Begleiter. »Ich bin sehr erleichtert, dass sie sich so gut verstehen.«
Erleichtert?
Madeline pustete sich eine lose Haarsträhne von der Wange und betrachtete ihn prüfend, um herauszufinden, was sich hinter seinem unergründlichen Gesichtsausdruck verbarg. Er hatte es so klingen lassen, als sei es von enormer Wichtigkeit, dass Nella und sein Freund sich gut verstanden.
Und auch die Erwähnung eines Bruders weckte Madelines Neugier.
Doch bevor sie ihn dazu befragen konnte, ließ eine leichte Veränderung in seinem Ausdruck, etwas in der Art, wie er sie ansah, ihren Atem stocken.
Ihr Herz reagierte, indem es wie wild gegen ihre Rippen zu schlagen begann.
»Ich möchte, dass auch wir einander gut verstehen«, fuhr er fort, worauf eine leise, aber prickelnde Erregung Madeline erfasste. Wieder fühlte sie sich wie durchflutet von seiner angenehmen Stimme, deren samtene Weichheit sie mit der gleichen Mühelosigkeit betörte, mit der er das Blau des Himmels verhext zu haben schien.
Madeline befeuchtete ihre Lippen. »Einander gut verstehen?«, echote sie, und ihre eigene Stimme klang im Vergleich zu seiner wie ein albernes Quieken.
Zustimmend neigte er seinen dunklen Kopf. »Sollen wir damit beginnen, dass ich mich für das Verschweigen meines vollen Namens entschuldige?«, schlug er mit einer angedeuteten Verbeugung vor. »Ich bin ...«
»Ihr seid mein Schattenmann.« Bestürzt schlug Madeline eine Hand vor ihren Mund.
Jetzt wusste sie, dass er sie verzaubert hatte. Grundgütiger Himmel, fast wäre sie mit all den intimen Details herausgeplatzt, die sie bereits miteinander geteilt hatten ... wie seine nächtlichen Erscheinungen in ihren Träumen und die bestgehüteten Geheimnisse seines eigenen Herzens.
Alles, was ihre verfluchte Gabe ihr offenbart hatte.
Er beobachtete sie aufmerksam, eine dunkle Augenbraue wie zufällig erhoben, und irgendetwas Kühnes, beunruhigend Begehrliches und seltsam Wissendes glimmte in den unergründlichen Tiefen seiner schönen braunen Augen auf.
Dann nahm er ihre Hand, führte sie an seine Lippen und drückte einen sanften, aber versengend heißen Kuss auf ihre Fingerknöchel.
Einen Kuss, den sie bis in ihre Zehenspitzen spürte.
Einen Kuss, wie ihn ihr noch kein Mann gegeben hatte.
Die Wahrheit war, dass sie überhaupt noch nie geküsst worden war.
Oder zumindest noch nicht richtig.
»Erlaubt mir, meine Unterlassung zu berichtigen«, begann er wieder, während er ihre Hand freigab. »Ich bin Iain MacLean, Mylady.« Die Worte kamen überraschend schnell über seine Lippen.
Und ein erstaunlicher Anflug von Nervosität verfärbte das warme Gold seiner schönen Stimme auf undefinierbare Weise.
»Nicht einfach nur Iain«, fügte er hinzu, und es klang fast so, als müsste er zuerst sich selbst überzeugen. »Mein Name ist Iain MacLean.«
Nachdem er den leichtesten Teil seiner Aufgabe hinter sich gebracht hatte, holte er tief Luft, was er jedoch augenblicklich bereute, denn damit hatte er seine Lungen mit dem ungemein betörenden Duft von ihr gefüllt.
Und dabei war ihm doch längst bewusst gewesen, dass ihr Duft ihm zum Verhängnis werden konnte.
Ein zarter, frischer Duft, mit einem Hauch von Moschus und gerade feminin genug, um ihn mit seiner sinnlichen Verheißung zu betören, seine Sinne zu verwirren und ihn - fast - vergessen zu lassen, dass sie ihn als ritterlich bezeichnet hatte.
Eine Vielzahl von Emotionen huschte über ihr bezauberndes Gesicht, von denen manche irritierend waren und andere wiederum so einladend, dass er geradezu darauf brannte, ihr ein verführerisches Lächeln zu schenken... eins, das durchdrungen war von all dem liebenswerten Charme, den er einst im Bruchteil von Sekunden hatte aufbringen können. Doch wie er schon erwartet hatte, brachte er nichts Besseres zustande als sein gewöhnliches halbes Lächeln ... mit dem er vermutlich nicht einmal das naivste junge Mädchen hätte blenden können.
Und so straffte er einfach nur die Schultern und hoffte, dass sie ihre Meinung in Bezug auf seinen Mut und seine Ritterlichkeit nicht ändern würde, nachdem er sich dazu gezwungen hatte, den Kirchhof zu überqueren und ihr seinen vollen Namen zu nennen, was mehr Mut von ihm erfordert hatte, als er bei einem gefährlichen Schwertkampf zeigen musste.
Und hoffte vor allem, dass sie nicht erblasste - oder gar versuchte, ihm die Augen auszukratzen - wenn er ihr den Rest erzählte.
»MacLean?«, wiederholte sie seinen Namen, als ob sie ausprobieren wollte, wie er sich auf ihrer Zunge anfühlte.
Ein Funke Hoffnung flackerte in Iain auf. Ein schwacher Funke nur, aber dennoch viel versprechend ... und stark genug, um die Kälte in ihm mit Wärme auszutauschen.
Sie betrachtete ihn mit unverhohlenem Interesse in ihren klaren grünen Augen, und deshalb rang er sich noch ein weiteres halbes Lächeln ab und nickte ermutigend. »Aye, das ist mein Name, Mylady, und ich möchte gern, dass Ihr das wisst.«
Das zumindest kann ich Euch anvertrauen, ohne mich zu schämen.
»MacLean von den Inseln?«, fragte sie mit schief gelegtem Kopf.
»Nein, von Baldoon auf der Insel Doon«, berichtigte er sie und wurde für einen Moment von einer bangen Unruhe erfasst - einer geradezu lächerlichen Welle der Besorgnis, dass sein verhängnisvoller Ruf oder womöglich sogar sein letzter frevelhafter Akt ihr vielleicht schon irgendwie zu Ohren gekommen waren.
Aber sie nickte nur, ihre goldgesprenkelten grünen Augen musterten ihn prüfend, und die Enttäuschung, die er darin wahrgenommen hatte, bevor er zu ihr hinübergegangen war, war inzwischen unverhohlener Neugierde gewichen.
Sie blickte an ihm vorbei zu der Stelle, wo seine abgelegte Pilgertracht auf dem steinigen Boden lag. »Ich wusste ja, dass Ihr kein Pilger seid.«
»Ein Pilger bin ich zwar wirklich nicht«, bestätigte ihr Iain, »aber ich befinde mich auf einem ganz ähnlichen Weg.«
Auf einer Bußreise, drängte sein Gewissen ihn, hinzuzufügen, doch stattdessen wandte er nur den Blick ab. ·
Den Rest seiner Geschichte - oder zumindest doch den größten Teil davon - würde er ihr später erzählen.
Nachdem er ein einigermaßen anständiges Nachtquartier für sie gefunden hatte ... und vielleicht, nachdem er ihr ein paar Schlückchen eines guten, starken uisge beatha angeboten hatte, des »Lebenswassers« eines guten Schotten, das quasi als Allheilmittel für sämtliche bisher bekannte Krankheiten der Menschen galt.
Und hoffentlich auch dazu diente, Enttäuschungen vorzubeugen.
Und plötzlich konnte er gar nicht anders, als ihr sanft eine lose Haarsträhne hinter das Ohr zu streichen.
Es war etwas, das er schon hatte tun wollen, seit sie aus der Friedhofseinfriedung getreten war, seinen Umhang und ihren arg zerrissenen Schleier in ihren -Händen, ihr kupferfarbenes Haar nicht länger unter diesem Schleier verborgen, sondern zu seidig glänzenden Schnecken über ihren Ohren aufgesteckt und ihr reizendes Gesicht umrahmt von einer Fülle rot schimmernder Locken.
Er schluckte heftig, denn die weiche Kühle dieser einen kleinen Haarsträhne und die seidenglatte Wärme ihrer Wange unter seinen Fingerspitzen durchfluteten ihn mit einem nahezu schmerzhaften Begehren.
Sie hielt ihren Blick unverwandt auf ihn gerichtet, aber ein leises Erröten stieg in ihre Wangen, und er hätte schwören können, dass sie bei seiner Berührung leicht zusammengefahren war.
Da er sie weder ernüchtern noch ihr Angst einjagen wollte, zog Iain seine Hand wieder zurück und bemühte sich, seinen Blick von dem zerrissenen Mieder fern zu halten, das unter ihrem offenen Umhang zu erkennen war.
Zwei Broschen hielten das ganz und gar ruinierte Kleid zusammen, ihre eigene und die seine, denn er hatte ganz vergessen, dass er die emaillierte Brosche an der Innenseite seines Pilgerumhangs verborgen und sie dazu benutzt hatte, das verhasste Kleidungsstück zusammenzuhalten, ohne an den Wert des Schmuckstücks zu denken.
Ohne es zu wollen, starrte er auf seine Brosche und die Überreste des einst so feinen Tuchs, das sie zusammenhielt. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, und jäher Zorn erfasste ihn, als er daran dachte, was ihr angetan worden war - und an die noch viel schlimmeren Niederträchtigkeiten, mit denen sie sich ohne sein Eingreifen womöglich konfrontiert gesehen hätte.
Zähneknirschend unterdrückte er einen Fluch und hoffte, dass die langen Schatten, die die nahen Eiben warfen, den Muskel verbargen, der an seinem Kinn zuckte.
Und auch seine zunehmende Nervosität darüber, dass er ihr seinen Schutz als ihr Begleiter anbieten musste ... und das auch noch in Gestalt ihres Ehemanns.
Zu seiner Bestürzung begannen seine Wangen zu prickeln und zu brennen, und er betete zu allen Göttern, die ihn vielleicht hören mochten, dass es kein Erröten war, was er da spürte.
Betete auch, dass ihre Reaktion es nicht notwendig machen würde, ihr Einverständnis zu erzwingen. Weiß Gott, er wäre lieber in Schnee und Regen nackt durchs finsterste und tiefste Tal gelaufen, als irgendetwas von ihr zu erzwingen.
Eine Frau zu zwingen, etwas gegen ihren Willen zu tun, hieße, den einzigen Ehrenkodex zu verletzen, den er noch nie gebrochen hatte.
Den einzigen seiner Charakterzüge, an dem er nie aufgehört hatte zu arbeiten seit dem Moment, als er einen Unterschied zwischen sich und dem schöneren Geschlecht bemerkt hatte.
Mit wachsendem Unbehagen warf einen hilflosen Blick in MacFies Richtung und war froh, als der Insulaner ihn erwiderte. Aber der Blödmann verzog wie immer keine Miene, zuckte nur mit seinen breiten Schultern ... und war offensichtlich nur zu gern bereit, Iain die Aufgabe zu überlassen, die beiden Frauen von der Notwendigkeit zusammenzubleiben zu überzeugen.
Der Notwendigkeit, so zu tun, als wären sie mit ihnen verheiratet.
Iain, der sich von Minute zu Minute unbeholfener fühlte, holte tief Luft, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Madeline richtete.
Und als er sich ihr erneut zuwandte, durchflutete ihn blanke männliche Bewunderung, sein Blick widersetzte sich seinen besten Vorsätzen und glitt geradewegs zu seiner Brosche, diesmal dort verweilend.
Und welcher richtige Mann hätte die Augen bei diesem. Anblick auch abwenden können, denn der großzügige Ausschnitt ihres Mieders war derart stark zerrissen, dass ein ganzes Dutzend Broschen den Schaden'nicht hätten beheben können.
Schlimmer noch - der Anblick eines seiner persönlichen Gegenstände so dicht an ihrer Haut war mehr, als er ertragen konnte, denn durch ihre Bemühungen, das Kleid über ihrer Brust zu schließen, legte sich der zerrissene Stoff nun noch straffer um ihre vollen Brüste und unterstrich ihre Üppigkeit, statt sie zu verdecken.
Ein oder zwei nicht zu behebende Risse klafften auf und erlaubten Iain Einblicke, die so herrlich waren, dass kein heißblütiger Mann ihnen jemals ausgesetzt werden sollte ... oder zumindest nicht, so lange er die Leidenschaft nicht stillen durfte, die ein so verführerischer Anblick in ihm weckte.
Iains Kehle wurde eng ... und auch andere Körperteile von ihm wurden von einer nahezu schmerzhaften Anspannung erfasst.
Tatsächlich hatte es nicht mehr als einen flüchtigen Blick auf eine einzige harte kleine, rosafarbene Brustspitze erfordert, um seinen Körper vergessen zu lassen, dass er unter allen Umständen vermeiden wollte, sie zu beunruhigen.
Und sie hielt ihn für einen Kavalier!
Während er sich nervös mit den Fingern durch das Haar fuhr, dankte er im Stillen dem Himmel für die losen Falten seines Plaids.
Dennoch, wenn sie jetzt auf die Idee käme, einen ebenso prüfenden Blick auf seinen Unterleib zu werfen wie den, mit dem sie sein Gesicht studierte, würde sie schon sehr bald sehen, wie ungalant er war.
Und deshalb wandte er sich ab.
Und hoffte, ein weiterer Blick auf MacFies hässliches Gesicht würde die deutliche Schwellung unter seinem Plaid ein wenig abschwächen.
Glücklicherweise wurde sein Wunsch erfüllt, und er drehte sich gleich wieder zu ihr um, als er wusste, dass er es tun konnte, ohne ihre mädchenhafte Scham noch mehr zu kompromittieren.
»Iain von Baldoon«, sagte sie zu seiner Überraschung, als wollte sie wieder einmal ausprobieren, wie sich sein Name auf ihrer Zunge anfühlte.
»Das sagte ich«, bestätigte Iain und war erstaunt, dass seine Stimme dabei nicht brach wie die eines verliebten Knappen, da die Art, wie sie seinen Namen sagte, unglaublich bezaubernd war. Der singende Tonfall ihrer Highlandzunge war wie ein süßer Balsam, den zu hören er niemals müde werden würde, und wenn er tausend Jahre alt werden würde. »Aber da ist noch mehr, was ich Euch sagen muss.«
Sie sah ihn fragend an. »Aye?«
Ein Anflug von Neugier erschien auf ihrem Gesicht. Keine Schüchternheit oder gar Kritik ... einfach nur ein Ausdruck schlichten, aufrichtigen Interesses.
Iains Herz zog sich zusammen, und dann begann es schmerzhaft hart gegen seine Rippen zu pochen.
Wie lange war es her, seit eine Frau ihn mit etwas anderem als Vorwurf oder Mitleid in den Augen angesehen hatte?
Und sogar vorher schon, mit Ausnahme seiner süßen Lileas, war es immer nur der Glanz des MacLean sehen Golds gewesen, der die Frauen dazu veranlasst hatte, sich ihm zuzuwenden.
Das oder der kitzelnde Reiz, mit dem Bruder eines Clanoberhaupts das Bett zu teilen.
Denn einen solchen Coup zu landen war für so manch ehrgeiziges junges Mädchen mehr als erstrebenswert.
Und Iain hatte sich nie viel daraus gemacht... bis jetzt.
Er straffte seine Schultern und verschränkte die Hände hinter seinem Rücken. Er war nahezu sicher, dass sie zu zittern begonnen hatten, und wollte sich nicht in Verlegenheit bringen, indem er der langen Liste seiner Fehler auch noch Schwäche hinzufügte.
Und so hielt er sich so gerade, wie er konnte, wartete darauf, dass die schöne Fremde aufhörte, ihn zu mustern, und hoffte, keinen berechnenden Glanz in den Tiefen ihrer wundervollen, dicht bewimperten Augen erblicken zu müssen.
»Ich weiß, was Ihr mir sagen wollt«, sagte sie, und in ihren wundervollen Augen lag nichts als Unschuld und Erstaunen.
Iain zog eine Augenbraue hoch und wartete.
»Ihr seid das Oberhaupt des Clans«, sagte sie, und Iains Herz rutschte ihm fast in die Zehen.
Er gab sich Mühe, seine Beunruhigung zu unterdrücken, und nahm allen Mut zusammen, um ihre falschen Schlussfolgerungen richtig zu stellen. »Mein schönes Kind, ich würde mit nichts als Brot und Wasser leben, wenn ich Euch dafür die Freude machen könnte, dergleichen behaupten zu können, aber ich bin nicht das Oberhaupt des Clans, sondern nur der jüngere Bruder«, sagte er.
Zu seinem Erstaunen zuckte sie nur mit den Schultern.
»Das macht nichts«, entgegnete sie mit ernstem Blick. »Aber ich wette, Euer Bruder ist einer der beneidenswertesten Lehnsherren im ganzen Land.«
Iain musterte sie prüfend. Er hatte sie sicherlich missverstanden.
Oder aber er träumte.
Sie hob die Hand und legte ihre Finger sanft an seine Wange. »Ich möchte Euch gern besser kennen lernen, werter Herr«, sagte sie leise, und ein Schatten fiel über ihr Gesicht. »Aye, das wünschte ich wirklich sehr.«
Iain starrte sie an, und seine Haut begann unter ihrer Berührung zu prickeln. Eine nie gekannte goldene Wärme durchflutete ihn, und ihre Süße überdeckte den leisen Anflug von Bedauern in ihren Augen und den Hauch von Schwermut, der in ihren letzten Worten mitklang.
Ihre unausgesprochenen Worte griffen ihm direkt ans Herz und ließen ihn wünschen, all die lästigen Ketten seines Schuldbewusstseins abwerfen zu können, sie an sich zu reißen und ihre süßen Lippen zu einem glutvollen, nicht endenden Kuss in Besitz zu nehmen.
Einem wundervollen, herzerschütternden Kuss, um sie beide die unglückliche Vergangenheit vergessen zu lassen und die vor ihnen liegende glückliche Zukunft mit wunderbaren Verheißungen zu erfüllen.
Eine Zukunft, die vor ihnen hätte liegen sollen.
Ein Glück, das sich nie entfalten würde.
Iain blinzelte, um diese Gedanken zu verdrängen, unterdrückte ein Stirnrunzeln und schaffte es beinahe, seine Ohren vor den Stimmen einer Vergangenheit zu verschließen, der er nicht entfliehen konnte.
Und schon erinnerte ihn ein unverkennbar schroffes Räuspern in seiner unmittelbaren Nähe an die Aussichtslosigkeit, entkommen zu können.
»Ich dachte, Amicias Plaid würde besser zu unserer Verkleidung passen als ein zerrissenes und beschmutztes Postulantinnengewand«, erklärte Gavin MacFie, der Amicias exquisit gewebten Umhang in seiner ausgestreckten Hand hielt.
»Verkleidung?« Madelines Augenbrauen schössen in die Höhe, ihr Blick flog zu ihrer Freundin, dann zu dem Kleidungsstück von Iains Schwester ... demselben, das er benutzt hatte, um einige der unbezahlbarsten Stücke des MacLean sehen Schatzes darin einzuschlagen.
Kostbarkeiten, die er ganz unten in seiner Satteltasche aufbewahrte.
Ein wütendes Knurren stieg in Iains Kehle auf, und es zuckte ihm geradezu in den Fingern, sie um MacFies Hals zu legen.
Um einen Nacken, der allmählich genauso rot wurde wie der Bart des Kerls. »Du hast es ihr noch nicht gesagt«, stammelte er und war ausnahmsweise einmal anständig genug, ein verwundertes Gesicht zu machen.
Grundgütiger, aber er sah ausnahmsweise mal richtig durcheinander aus!
Ein Zustand, über den Iain sich unter anderen Umständen köstlich amüsiert hätte.
»Was soll er mir gesagt haben?« Madeline fuhr zu ihm herum, und ihre weit aufgerissenen Augen und ihre Blässe waren eine unmissverständliche Warnung, dass er im Begriff war, jeden Zentimeter Boden, den er bislang bei ihr gewonnen hatte, wieder zu verlieren.
Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, irgendetwas - aber kein Wort drang über seine Lippen, seine Zunge schien auf einmal wie gelähmt zu sein. Mit beiden Händen fuhr er sich durchs Haar und wünschte, der steinige Boden möge sich unter seinen Füßen auftun und ihn verschlingen.
Sein Blut kochte, und er funkelte Gavin böse an.
Madeline stieß gereizt den Atem aus und fuhr herum zu ihrer Freundin. »Was wurde mir noch nicht gesagt?«, wiederholte sie, und eine Ader pochte deutlich sichtbar am Ansatz ihres Halses. »Und was redet ihr da von Verkleidung? Wer ist Amicia?«
Nella begegnete ihren Fragen mit einem wohlmeinenden, aber vorsichtigen Lächeln. »Amicia ist die Schwester deines Schattenmannes«, sagte sie, auf Iain deutend.
Mit erstaunlicher Behändigkeit nahm sie dann den Plaid aus MacFies Händen und drückte ihn Madeline in die Arme, bevor ihre Freundin Widerspruch erheben konnte.
Genauso schnell ergriff sie Iains gefütterten Pilgerumhang und gab ihn ihm zurück.
Er nahm ihn, und er bemerkte, dass der Stoff noch immer leicht nach Heidekraut roch, bevor er ihn in hohem Bogen zu den anderen abgelegten Überresten seiner Pilgertracht warf.
»Was man Euch noch nicht gesagt hat«, erklärte Nella, »ist, dass diese beiden Kavaliere so freundlich waren, uns ihre Begleitung anzubieten.« Kaum hatte sie es ausgesprochen, sah sie so zufrieden mit sich aus, dass Iain sich vorübergehend fragte, auf welcher Seite sie wohl stand.
Madeline hingegen sah alles andere als begeistert aus. Ihre Augen weiteten sich auf beunruhigende Weise, und jede Sommersprosse, die ihre hohen Wangenknochen schmückte, stand in krassem Gegensatz zu der auffallenden Blässe ihrer Haut.
Ihre Begleiterin sprach hastig weiter, scheinbar völlig unbesorgt ... oder vielleicht war sie auch nur an den Zorn ihrer Freundin gewöhnt. »Um den Anstand zu wahren und unserer eigenen Sicherheit zuliebe haben sie vorgeschlagen, sich als unsere Ehemänner auszugeben, bis wir unser Ziel erreicht haben.«
Blanke Panik - und nur mühsam unterdrückter Ärger - erschienen auf Madelines Gesicht. Mit schmalen, nahezu weißen Lippen starrte sie ihre Freundin an, und ihre Augen verdunkelten sich zu einem intensiven dunklen Grün, aus dem die hübschen goldenen Sprenkel nun vollkommen verschwunden waren.
Iain starrte sie offenen Mundes an.
Wäre er nicht so unmittelbar für ihre Verärgerung verantwortlich, hätte er vor Belustigung gejohlt, denn noch nie hatte er eine Frau gesehen, deren Wut seinem eigenen unbeherrschten Naturell so ähnlich war.
Nicht bis zu diesem Augenblick.
Ihr empörter Blick glitt zwischen den dreien hin und her, bevor er schließlich bei ihrer Begleiterin verweilte. »Wir brauchen keine Eskorte«, stieß sie spürbar aufgebracht hervor. »Und ich will kein Wort mehr von dieser Geschichte mit den angeblichen Ehemännern hören.«
Sie umklammerte Amicias Umhang so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten, und mit ihren vor Zorn hochroten Wangen sah sie wie eine unbezwingbare, kriegerische keltische Prinzessin aus.
Ärgerlich strich sie sich eine Haarsträhne aus den Augen. »Du weißt, dass wir allein reisen müssen ... und warum.«
Nella verschränkte ihre Arme vor der Brust, ganz offenbar nicht minder kühn und wagemutig als ihre Gefährtin. »Und Ihr, Myl...« Sie brach ab, und nun färbten auch ihre Wangen sich flammend rot. »Ihr könnt nicht behaupten, ich wäre je damit einverstanden gewesen. Zwei Frauen, die ganz allein im Land herummarschieren!«
Dann beugte sie sich zu Madeline vor und hielt deren schmal- äugigem Blick gelassen stand. »Egal, aus welchem Grund.«
»Und was ist der Grund?« Die Frage entschlüpfte Iain, bevor er es verhindern konnte ... Zu spät erinnerte er sich daran, wie gefährlich es sein konnte, jemanden während eines derartigen Wutanfalls auch noch zu provozieren.
Sie fuhr zu ihm herum. »Nichts, was ich gern mit Euch erörtern würde, Sir«, versetzte sie, und auf ihrem anmutigen schlanken Hals und dem Ansatz ihrer Brüste zeigte sich nun die gleiche entzückende Röte wie auf ihren Wangen. »Nicht einmal angesichts Eurer Ritterlichkeit, die ich nie vergessen und stets in liebevoller Erinnerung bewahren werde.«
Diese letzten Worte und der Anflug von Bedauern, der über ihr Gesicht huschte, als sie es sagte, gaben ihm neue Hoffnung ... und verschafften ihm den Mut, den er brauchte, um seinen momentanen Vorteil auszunutzen.
Er trat vor, bevor seine Kühnheit ihn wieder verlassen konnte, und hob die Hände, mit den Handflächen nach oben. »Ich gebe Euch mein —« Er unterbrach sich, um MacFie einen warnenden Blick zuzuwerfen - »Ehrenwort, dass Euch und Eurer Gefährtin von jetzt an kein Leid mehr zugefügt werden wird, Mylady«, versuchte er sie zu beruhigen.
»Nicht, so lange Ihr in unserer Obhut seid«, fügte er mit leiser Stimme hinzu ... und genügend ruhiger Überzeugung, um sie zu beschwichtigen, wie er hoffte. »Wir werden Euch sicher an Euer Reiseziel geleiten.«
»Nein.« Sie winkte ab und begann vor ihm zurückzuweichen, und ihr überstürzter Rückzug ließ sie über einen umgestürzten Grabstein stolpern.
Sie fing sich gerade noch rechtzeitig, aber eine der Broschen löste sich dabei von ihrem Mieder und fiel zu Boden.
Die Brustspitze, die Iain vorher kurz gesehen hatte, kam wieder in Sicht, der Riss in ihrem Mieder war breit genug, um sie nahezu vollkommen zu entblößen. Und obwohl sie diesmal ganz entspannt war, erwiesen ihre Größe und die Rundung ihres erstaunlich großen Warzenhofes sich als nicht minder aufreizend als in erigiertem Zustand.
Fast augenblicklich ging ein scharfes Ziehen durch Iains Lenden.
Und sein Gewissen regte sich.
Sie schnappte nach Luft und legte blitzschnell eine Hand über die auf solch entzückende Art entblößte Körperstelle.
»Ach, du liebe Güte, was habe ich bloß getan, um so gestraft zu werden!«, rief sie, und ein verräterischer Glanz erschien in ihren Augen. »Lasst mich doch einfach nur in Ruhe, ihr alle«, bat sie und legte Amicias Tuch um ihre Schultern.
Mit einem letzten, aufgebrachten Blick auf ihre drei Begleiter hob sie die Brosche auf, drehte sich auf dem Absatz um und stürzte aus dem Kirchhof.
Gavin MacFie pfiff leise durch die Zähne und wandte sich ab. Kopfschüttelnd nahm er Nellas Arm und begann sie zu seinem Pferd zu führen. Zu verblüfft, um sich zu rühren, sah Iain ihnen nach und wusste, ohne erst danach fragen zu müssen, dass sie mit Gavin zu MacNab reiten würde.
Und er wusste auch, dass er nirgendwohin reiten würde ohne seinen ganz speziellen Ruin vor sich im Sattel... ob sie ihn nun begleiten wollte oder nicht.
Es ist zu ihrem eigenen Besten, beruhigte er sich und begann ihr nachzugehen.
Mit acht mühelosen Schritten holte er sie ein.
»Schönes Fräulein, Ihr habt mich soeben dazu gebracht, den einzigen Ehrenkodex zu brechen, von dem ich nie gedacht hätte, ich würde es einmal tun«, knurrte er und hob sie ohne jede Vorwarnung auf seine Arme.
Nun war er es, der ein finsteres Stirnrunzeln zur Schau trug, als er zum Kirchhoftor zurückging und sie zu seinem wartenden Pferd hinübertrug. Und bei jedem Schritt des Wegs versuchte, nicht an die Schwere seiner Tat zu denken.
Denn er hatte soeben nicht nur gegen ihren Willen eine Frau entführt, sondern darüber hinaus auch noch den letzten unbefleckten Winkel seines Stolzes arg beschmutzt.