Ich schlief, bis El Arab wieder vor meinem Bett stand. Es war nun kalt geworden in meiner Kammer, die Hitze des Wasserdampfes war aufgebraucht, und El Arab konnte seinen dunklen Rock nicht ablegen, vielmehr zog er ihn fester um sich. Ich hatte glücklicherweise dicke Decken, die mich wärmten und unter denen ich meinem geliebten Neugeborenen die geschuldete Hitze bieten konnte. El Arab setzte sich auf die Bettkante und seufzte. Und dies also ist der Bericht, den ich von ihm über die Disputation in der Universität erhielt.

Es waren nämlich die fortgeschrittenen Studenten und viele höhergestellte Bürger der Stadt anwesend. Zur Überraschung aller trat jedoch nicht der große Albertus gegen Pater Bueno an, sondern ein junger Schüler von Albertus, ebenfalls Dominikaner, der aus Aquin stammte und Bruder Thomas genannt wurde. .(Heute, da dies niedergeschrieben wird, ist der verstorbene Magister Thomas von Aquin, Gott sei seiner Seele gnädig, fast ebenso berühmt und weitaus umstrittener als Albert.)

Ein Student sagte: »Wir wollen von euch wissen: Ob wir als Christen die Bücher der Vernunft von den antiken Philosophen lesen dürfen, um die Wahrheit mit der Kraft unserer eigenen Vernunft zu suchen, oder ob wir uns allein auf die geoffenbarte Schrift stützen müssen?«

Pater Bueno war sich wohl durchaus bewusst, dass er hier nicht vor dem Straßenpöbel predigte und fing sehr ordentlich an, seine These darzulegen:

»Es scheint, dass nichts dagegen eingewandt werden könne, wenn irgendetwas getan wird, um die Wahrheit zu suchen. Denn die Wahrheit ist ein Gut. Dies kann niemand bestreiten, denn Gott hat uns die Wahrheit offenbart. Es wäre aber blasphemisch, von Gott zu sagen, er hätte etwas getan, das nicht gut ist. Dagegen aber spricht, dass Gott uns die Wahrheit offenbart hat. Er hat sie nicht versteckt und uns suchen lassen. Darum ist die Wahrheit, die gut ist, die Wahrheit, die wir nicht suchen, sondern die wir glauben, weil sie uns von Gott offenbart wurde.«

Dies schien den Zuhörern sehr einleuchtend gesagt und es gab viel zustimmendes Gemurmel, als Bruder Thomas sich erhob, eine leichte Verbeugung vor seinem Widersacher machte und bedächtig fragte:

»Ihr meint also, Pater Bueno, dass es nicht rechtens sei, die Wahrheit mit der Vernunft zu suchen, sondern sich ausschließlich auf die geoffenbarten Worte zu stützen? Habe ich Euch da wohl verstanden?«

»Ja, das habt Ihr durchaus, Bruder Thomas.«

»Ihr habt zudem gesagt, Pater Bueno, wenn ich das ebenso wohl verstanden habe, dass es blasphemisch wäre, von Gott zu sagen, er hätte etwas getan, was nicht gut ist. Stimmt Ihr mir auch hier zu?«

Langsam verlor Pater Bueno seine Geduld: »Bruder Thomas, allein die Frage ist eine Frechheit.«

Der Student, der die Disputation leitete, griff ein: »Verehrungswürdiger Pater Bueno, ich hoffe, Euch sind die Regeln einer scholastischen Disputation gegenwärtig. Es ist erlaubt, jede, auch eine hypothetische, Frage zu stellen. Euch als Widersacher steht es dann völlig frei, wie Ihr darauf eingeht; aber Ihr müsst sie doch auf jeden Fall beantworten.«

Pater Bueno murrte. »Ich werde also antworten: So wahr ich ein Christ bin und die Wahrheit kenne, glaube ich, dass es ganz und gar unmöglich ist zu denken, dass Gott etwas tun könnte, was nicht gut ist.«

»Danke, Pater Bueno«, sagte Bruder Thomas milde. »Dies vorausgeschickt, würdet Ihr dann nicht auch zustimmen müssen, dass Gott, als er uns die Vernunft gab, etwas Gutes tat?«

»Auf die übelste Sophisterei versteht Ihr Euch, Bruder Thomas. Fürwahr! Ich aber bekenne, dass die Lehren der Vernunft von Heiden stammen, deren Denken vom Teufel gelenkt wird.«

»Stimmt Ihr mir nun zu, Pater Bueno, dass ein Mann, der geboren wurde, bevor der neue Bund geschlossen ward, nicht in die Gnade der Offenbarung hat kommen können?«

»Auch dies kann ich als Christ nicht bestreiten.«

»So stimmt Ihr mir dann auch zu, dass diejenigen Philosophen, die wir die Alten nennen, die Wahrheit nicht anders als durch ihre Vernunft suchen konnten?«

»Ich stimme zu. Aber ich wende ein, dass das, was sie gefunden haben, für uns wertlos ist.«

»Dann würdet Ihr also zustimmen, dass es wertlos für uns ist, das, was geschrieben steht, etwa Im Anfang war der logos, mit Hilfe dessen zu verstehen, was die Alten uns über den logos zu sagen haben, so wie es der heilige Augustinus getan hat?«

»Nein, dem stimme ich nicht zu. Der heilige Augustinus hatte keine anderen Vorbilder als die der Philosophen, so dass er die Wahrheit im Gewande von deren Lehrgebäude darstellen musste. Seine Autorität reicht auch für das, was wir verstehen sollen. Es bedarf nicht der Nachforschung eines jeden Christen, aufs Neue die Wahrheit zu suchen. Denn die Wahrheit ist nur eine. Wenn sie gefunden ist, braucht niemand mehr nach ihr zu suchen.«

»Stimmt Ihr mir dann zu, dass es, weil einmal die Wahrheit geoffenbart wurde, keine Ketzer und Häretiker gibt, weil jeder das Wort Gottes richtig versteht? Dass wir keine Argumente benötigen, die darlegen, warum sie unrecht haben und wir recht?«

»Ein für allemal: Ich sage Euch, dass die Ketzer des Teufels sind, und die gottgefällige Art, mit ihnen umzugehen, ist, sie in der rechten Weise zu strafen. Es hat gar keinen Zweck, mit ihnen zu disputieren, so wie es überhaupt nie Zweck hat, zu disputieren. Es ist gut vor Gott, die Schrift zu lesen, sie so zu verstehen, wie es ihm gefällt, und sich jeder Zusätze zu enthalten, die nicht von den anerkannten Autoritäten stammen.«

Nun griff der Magister Albertus selbst ein, sichtlich ungehalten: »Es dient vor allem keinem Zweck, mit Pater Bueno zu disputieren, der einen Geist hat wie einen Holzklotz. Es ist unzweifelhaft, dass wir die Vernunft von Gott haben und dass sie gut ist. Es ist unzweifelhaft, dass die Gnade der Offenbarung nicht die Gnade der Vernunft aufhebt, sondern zu ihr hinzutritt. Das ist die Bedingung dafür, dass wir überhaupt disputieren. Wer diese Bedingung bestreitet, ist nicht nur kein Christ, sondern obendrein noch ein Narr.«

Als El Arab mir das erzählte, sagte ich schwach: »Ihr habt mir nicht zuviel versprochen. Das war spannend genug. Aber sagt, hat am Ende Magister Albertus nicht ebenso geredet wie der eifernde Bueno, nämlich ohne jede Begründung?«

»Ein wenig. Es ist sehr schwer, mit Leuten wie Pater Bueno zu disputieren, die den Willen des Herrn bezüglich unseres Vernunftgebrauches so schändlich missachten. Wer die Vernunft nicht liebt, liebt den Herrn nicht, da er die reine Vernunft ist.«

»Ich halte mich lieber an die schlichte Tiefe einer Vision, wie sie uns Gott heute durch den Mund meiner Herrin gegeben hat. Das steht über all den gelehrten Disputationen, in denen so wenig von der Gnade des Lebens steckt.«

»Gern gestehe ich, dass auch ich mich nach der Vereinigung mit Gott im Erleben sehne, das keine Worte hat.«

Wie, als erinnerte ihn das an die fehlende Wärme, schickte El Arab den langsamen Gisbert, um einen neuen Kessel mit heißem Wasser zu bereiten und zu bringen.