Sie schaut leider wirklich wie eine Wurst aus. Die neue Kaiserin nämlich. Die Hochzeitsfeierlichkeiten sind vorüber, und der Kaiser hat angeblich fünf Millionen Francs verbraucht, um Marie-Luises Zimmer in den Tuilerien auszuschmücken. Zuerst wurde der Marschall Berthier im März als Brautwerber nach Wien geschickt. Dann wurde in Wien Hochzeit gefeiert, der Kaiser ließ sich vom Onkel der Braut, dem Erzherzog Karl, der Napoleon seinerzeit bei Aspern geschlagen hat, vertreten. Schließlich wurde Caroline an die Grenze geschickt, um die angetraute Gattin des Kaisers zu empfangen. Bei Courcelles wurden die Wagen der beiden Damen von zwei unbekannten Reitern angehalten. Es regnete in Strömen, die beiden Unbekannten rissen den Wagenschlag auf und drängten sich in die Kutsche. Marie-Luise schrie natürlich auf, aber Caroline beruhigte sie: »Es ist nur Ihr Gatte, der Kaiser, liebe Schwägerin – und mein Mann, der kindische Murat!« Im Schloss von Compiègne wurde übernachtet, und Napoleon frühstückte am nächsten Morgen bereits an Marie-Luises Bett. Als Onkel Fesch das Kaiserpaar in Paris traute, war die Hochzeitsnacht längst vorüber. Während der ersten Monate durfte die Kaiserin keine großen Empfänge abhalten. Aus irgendeinem Grunde bildet sich Napoleon ein, dass Frauen leichter in Hoffnung kommen, wenn sie sich nicht zu sehr überanstrengen. Aber schließlich konnte er es nicht länger aufschieben, und gestern wurden wir gemeinsam mit allen anderen Marschällen, Generälen, Gesandten, Würdenträgern, echten und unechten Fürsten in die Tuilerien gebeten, um der neuen Kaiserin vorgestellt zu werden. Es war alles wie – seinerzeit. Der große Ballsaal und die tausend Kerzen, das Gedränge der Uniformen, Hoftoiletten mit langen Schleppen, über die man stolperte, weil immer irgendjemand irgendjemandem auf die Schleppe trat, Aufklingen der Marseillaise, Auffliegen der Flügeltüren am Ende des Saales, Erscheinen des Kaisers und der Kaiserin. In Österreich bilden sie sich anscheinend ein, dass jungvermählte Frauen Rosa tragen müssen. Marie-Luise war in ein eng geschnittenes rosa Satinkleid gepresst und über und über mit Brillanten behängt. Sie ist viel größer als der Kaiser, und trotz ihrer Jugend hat sie einen schweren Busen, den sie sichtlich einschnürt. Auch ihr Gesicht ist rosa und sehr voll und beinahe gar nicht geschminkt. Sie wirkt sehr natürlich neben den gemalten Hofdamen, aber etwas mehr Puder auf der glänzenden Nase und den roten Wangen hätte nicht geschadet. Ihre Augen sind blassblau, groß, etwas hervorstehend. Schön sind die Haare, goldbraun, sehr dicht und in einer kunstvollen Frisur aufgesteckt. Erinnert sich noch jemand an Josephines flaumleichte Kinderlöckchen?
Marie-Luise lächelte ununterbrochen. Es schien sie nicht anzustrengen. Aber schließlich ist sie die Tochter eines wirklichen Kaisers und dazu erzogen worden, zweitausend Menschen auf einmal anzulächeln. Sie hat die Truppen ihres Vaters gegen Napoleon in den Krieg ziehen sehen und die Besetzung Wiens erlebt. Sie muss den Kaiser von Kindheit an gehasst haben, lange bevor sie ihn sah. Dann hat ihr Vater sie mit Napoleon verheiratet. In Compiègne wurde sie – seien wir ehrlich – mehr oder weniger vergewaltigt. Ein junges Mädchen, das in einem Schloss von ältlichen Gouvernanten erzogen wurde. Marie-Luise hat sicher ununterbrochen gelächelt. Das Kaiserpaar stand vor uns. Ich versank in meinen Knicks. »Und dies ist die Fürstin von Ponte Corvo, die Schwägerin meines Bruders Joseph«, hörte ich Napoleons gelangweilte Stimme. »Der Fürst von Ponte Corvo ist Marschall von Frankreich.« Ich küsste ihren mit Jasminduft parfümierten Handschuh. Ich hätte schwören können, dass sie Jasminduft von allen Düften wählt. Die blassblauen Augen begegneten den meinen. Wie aus Porzellan waren sie und lächelten ausdruckslos. Als das Kaiserpaar auf den Thronsesseln Platz genommen hatte, spielte die Kapelle einen Wiener Walzer. Julie kam auf mich zu. »Reizend –« Gleichzeitig musterte sie meine neue Toilette. Sie trug purpurnen Samt und die Kronjuwelen von Spanien. Ihre Krone saß natürlich schief. »Mir tun die Füße weh«, sagte sie. »Komm, im Salon nebenan können wir uns niedersetzen!« Beim Eingang des Salons stieß ich auf Hortense. Sie trug plötzlich Weiß wie seinerzeit ihre Mutter. Hortense hatte sich dem Grafen Flahault, ihrem Stallmeister, zugewandt und blickte ihm tief in die Augen. Julie ließ sich auf ein Sofa fallen und rückte ihre Krone zurecht. Wir tranken durstig den Champagner, den man uns reichte. »Ob sie daran denkt, dass hier in den Tuilerien früher ihre Tante gewohnt hat?«, fiel mir plötzlich ein. Julie schaute mich erstaunt an. »Ich bitte dich! An diesem Kaiserhof findest du niemanden, der eine Tante hatte, die in den Tuilerien gewohnt hat!«
»Doch, die neue Kaiserin, sie ist die Großnichte der Königin Marie Antoinette.«
»Königin Marie Antoinette«, sagte Julie, und ihre Augen wurden plötzlich weit vor Angst. »Ja, Julie Clary – auch eine Königin! Prost, Liebes, und denk nicht an sie!« Ich trank ihr zu. Marie-Luise hat viele Gründe, uns zu hassen, fiel mir ein. »Sag einmal, lächelt die Kaiserin immer?«, erkundigte ich mich bei Julie, die ihre neue Schwägerin bereits mehrere Male gesehen hat. »Immer«, nickte Julie ernst. »Und ich werde meine Töchter auch dazu erziehen. Prinzessinnen lächeln anscheinend ununterbrochen.« Bittersüßer Duft eines exotischen Parfüms unterbrach uns – Polette. Viel angenehmer als Jasmin. Polette legte ihren Arm um meinen Hals. »Der Kaiser bildet sich ein, dass Marie-Luise in Hoffnung ist.« Sie stöhnte vor Lachen. »Seit wann?«, fragte Julie aufgeregt. »Seit gestern.« Der exotische Duft glitt weiter. Julie stand auf. »Ich muss in den Thronsaal zurück. Der Kaiser sieht seine Familienmitglieder gern in der Nähe des Thrones.« Meine Augen suchten Jean-Baptiste. Er lehnte an einem der Fenster und betrachtete gleichgültig das Gedränge. Ich trat neben ihn. »Können wir nicht nach Hause gehen?« Er nickte und nahm ganz leicht meinen Arm. Plötzlich verstellte uns Talleyrand den Weg. »Ich suche Sie, lieber Fürst, diese Herren hier haben mich nämlich gebeten, Ihnen vorgestellt zu werden.« Hinter ihm standen einige hoch gewachsene Offiziere in ausländischer Uniform. Dunkelblau mit blaugelben Schärpen. »Graf Brahe, ein Mitglied der schwedischen Botschaft. Oberst Wrede, der kürzlich hier eingetroffen ist, um dem Kaiser anlässlich seiner Vermählung die Glückwünsche Seiner Majestät des Königs von Schweden zu überbringen. Und Leutnant Baron Karl Otto Mörner, der heute früh als Kurier mit einer tragischen Meldung aus Stockholm hier angekommen ist. Übrigens ein Cousin jenes Mörner, lieber Fürst, den Sie einst in Lübeck gefangen nahmen. Sie erinnern sich doch an ihn?«
»Wir stehen in Korrespondenz«, sagte Jean-Baptiste ruhig und ließ seinen Blick von einem Schweden zum anderen gleiten. »Sie sind einer der Führer der so genannten Unionspartei in Schweden, nicht wahr, Oberst Wrede?« Der hoch gewachsene Mann verbeugte sich. Talleyrand wandte sich mir zu: »Sie sehen, verehrte Fürstin, wie genau Ihr Gatte über die nordischen Verhältnisse orientiert ist. Die Unionspartei erstrebt nämlich den Anschluss Norwegens an Schweden.« Ein höfliches Lächeln umspielte Jean-Baptistes Mund. Er hielt noch immer meinen Arm. Jetzt betrachtete er Mörner. Der dunkle, stark untersetzte Mann mit dem kurz geschnittenen, an den Schläfen in die Stirn gestrichenen Haar suchte seinen Blick. »Ich bin in tragischer Mission hier, Fürst«, sagte er in fließendem, etwas hartem Französisch. »Ich überbringe die Mitteilung, dass der schwedische Thronfolger, Seine Königliche Hoheit Prinz Christian August von Augustenburg, bei einem Unfall ums Leben gekommen ist.« Ich hätte aufschreien mögen, so fest umspannten plötzlich Jean-Baptistes Finger meinen Arm. Nur den Bruchteil einer Sekunde. »Wie furchtbar«, sagte er ruhig. »Ich drücke den Herren mein tief empfundenes Beileid aus.« Eine Pause entstand. Ein paar Walzertakte wehten herüber. Warum gehen wir nicht? Das Ganze geht uns doch gar nichts an. Jetzt muss sich eben der kinderlose schwedische König nach einem neuen Thronfolger umsehen, gehen wir doch – »Wurde bereits ein Nachfolger des verstorbenen Thronfolgers ausersehen?«, fragte Talleyrand. Es klang beiläufig, höflich interessiert. Da fiel mein Blick zufällig auf Mörner. Wie sonderbar: Der starrte noch immer Jean-Baptiste an. Mit einem eigentümlichen Blick. Als ob er ihm irgendwelche Gedanken übermitteln wollte. Um Gottes willen, was wollen sie denn von meinem Mann? Er kann ihnen ihren verstorbenen Augustenburg nicht wieder zum Leben erwecken, der Unfall interessiert ihn doch gar nicht. Wir haben genug eigene Sorgen, wir sind hier in Paris in Ungnade. Jetzt sah ich den hoch gewachsenen Oberst mit der blaugelben Schärpe an, diesen Wrede oder so ähnlich. Auch er ließ keinen Blick von Jean-Baptiste. Schließlich sagte der Untersetzte, dieser Baron Mörner: »Am 21. August wird der schwedische Reichstag einberufen werden, um über die Wahl eines neuen Thronfolgers zu entscheiden.« Wieder entstand eine dieser unbegreiflichen Pausen. »Ich fürchte, wir müssen uns von diesen schwedischen Herren verabschieden, Jean-Baptiste«, meldete ich mich. Die Offiziere verbeugten sich sofort. »Ich bitte Sie nochmals, Seiner Majestät, dem König von Schweden, mein Mitgefühl auszudrücken und hinzuzufügen, wie sehr ich mit ihm und seinem Volk trauere«, sagte Jean-Baptiste. »Ist das alles, was ich mitteilen soll?«, entfuhr es Mörner. Schon halb zum Gehen gewandt, blickte Jean-Baptiste noch einmal einen nach dem anderen an. Zuletzt und sehr lange haftete sein Blick auf dem jungen Grafen Brahe. Der konnte nicht älter als neunzehn sein. »Graf Brahe, ich glaube, Sie gehören einem der vornehmsten schwedischen Adelsgeschlechter an. Deshalb bitte ich Sie, Ihre Freunde und Offizierskameraden daran zu erinnern, dass ich nicht immer Fürst von Ponte Corvo und auch nicht immer Marschall von Frankreich war. Ich bin das, was man in Ihren Adelskreisen einen ehemaligen Jakobinergeneral nennt. Und ich habe als einfacher Sergeant begonnen. Mit einem Wort – ein Parvenu! Ich bitte Sie, daran zu denken, damit Sie es mir –« Er atmete tief, wieder schlossen sich seine Finger schmerzhaft um meinen Arm. »Damit Sie es mir später niemals vorwerfen.« Und sehr schnell: »Leben Sie wohl, meine Herren!« Merkwürdigerweise begegneten wir Talleyrand noch ein zweites Mal an diesem Abend. Sein Wagen hielt nämlich vor den Tuilerien neben dem unseren. Wir wollten gerade einsteigen, als ich ihn auf Jean-Baptiste zuhinken sah. »Lieber Fürst, dem Menschen ist die Gabe der Sprache gegeben, um seine Gedanken zu verbergen«, sagte er. »Aber Sie, mein Freund, machen von dieser Gabe den umgekehrten Gebrauch. Man kann wirklich nicht behaupten, dass Sie den Schweden gegenüber Ihre Gedanken verborgen haben.«
»Muss ich wirklich einen ehemaligen Bischof daran erinnern, dass in der Bibel geschrieben steht: Deine Rede sei Ja, Ja oder Nein, Nein. Und was darüber ist, ist vom Übel. So ähnlich lautet doch das Bibelwort, Herr – Bischof?« Talleyrand biss sich auf die Lippen. »Ich habe nie gewusst, dass Sie geistreich sind, Fürst«, murmelte er. »Es überrascht mich!« Jean-Baptiste lachte hell auf. »Überschätzen Sie nicht die bescheidenen Scherze eines Sergeanten, der gewohnt ist, mit seinen Kameraden am Lagerfeuer zu spaßen.« Plötzlich wurde er ernst. »Haben Ihnen die schwedischen Offiziere gesagt, wer von Seiten des schwedischen Königshauses als Thronfolger vorgeschlagen wird?« »Der Schwager des verstorbenen Thronfolgers, der König von Dänemark, will kandidieren.« Jean-Baptiste nickte. »Und wer noch?« – »Der jüngere Bruder des Verunglückten, der Herzog von Augustenburg. Außerdem hat der abgesetzte König, der jetzt in der Schweiz in der Verbannung lebt, einen Sohn. Aber da der Vater als irrsinnig gilt, so hält man nicht viel vom Sohn. Nun, man wird ja sehen, der schwedische Reichstag wird einberufen. Das Volk kann selbst entscheiden. Gute Nacht, lieber Freund!«
»Gute Nacht, Exzellenz!« Zu Hause begab sich Jean-Baptiste sofort in sein Ankleidezimmer und riss den hohen, reich bestickten Kragen auf. »Ich sage dir seit Jahren, dass du dir den Kragen weiter machen lassen sollst, die Marschallsuniform ist dir zu eng!«
»Zu eng«, murmelte er. »Mein kleines, dummes Mädchen, das nie weiß, was es spricht. Ja, viel zu eng.« Ohne mich weiter zu beachten, ging er in sein Schlafzimmer. – Ich schreibe, weil ich nicht einschlafen kann. Und ich kann nicht einschlafen, weil ich Angst habe. Große Angst vor etwas, das auf mich zukommt und dem ich nicht entrinnen kann. Jean-Baptiste, hörst du mich nicht? Ich habe solche Angst.