Epilog

Maggie MacFarlane, die lustige Witwe von Pollockshields, nahm das spurlose Verschwinden von Jack Collins genauso unerschütterlich auf wie das Ableben ihres Gatten. Ich vermutete, dass ich nie erfahren würde, wie viel sie von seinen Geschäften gewusst hatte und inwieweit sie daran beteiligt gewesen war. Als ich Lorna besuchte, wurde Jack Collins mit keinem Wort erwähnt, und zwischen den beiden MacFarlane-Damen schien Burgfriede zu herrschen. Ich nahm an, dieser Friede hätte ungefähr die gleiche Chance auf Dauerhaftigkeit wie der neue Waffenstillstand in Indochina.

Ich sagte Lorna, ich wäre für sie da, wenn sie etwas bräuchte. Es war ein Abschied, und wir wussten es beide. Sie war ein großes Mädchen und kam allein zurecht – dass wir beide aus dem gleichen Holz geschnitzt waren, gehörte zu den Dingen, die uns zusammengebracht hatten –, aber ich stellte immer mehr infrage, wie ich mit Frauen umging.

Willie Sneddon spuckte mein Honorar in voller Höhe aus. Ich war zusammen mit Singer zu ihm gegangen, und wir hatten ihm die ganze Geschichte erzählt. Genauer gesagt, ich hatte erzählt, und Singer hatte mir mit Kopfnicken den Rücken gestärkt, wann immer Sneddon ihn mit einem Blick um Bestätigung bat. Sneddon nahm seine Verluste tapfer hin, äußerte aber seinen Unmut, als ich berichtete, was ich mit Kirkcaldy gemacht hatte, anstatt den Boxer an ihn zu übergeben. Doch Sneddon war so besser dran: Ein paar Tage später waren alle Zeitungen voll von der Entdeckung der Leiche Bobby Kirkcaldys, die lang anhaltender brutaler Gewalt ausgesetzt gewesen sei. Ich wappnete mich für einen Besuch Jock Fergusons oder, schlimmer noch, Superintendent McNabs.

In Glasgow grassierte eine plötzliche Epidemie von Gedächtnisschwund: Die Zeugen, die in der Nacht des Mordes Tommy Gun Furie unweit von Small Change MacFarlanes Haus gesehen haben wollten, zogen ihre Aussagen zurück. Die Anklage gegen Furie wurde fallen gelassen. Ich fragte mich, wie viele Zeugen auf der Türschwelle ein kleines Präsent vorgefunden hatten.

***

Im Widerspruch zu ihrer Bedingung suchte ich ein paar Tage später May Donaldson auf. Ich hatte vor ihrer Wohnung gewartet, bis sie von der Arbeit kam, damit ich sicher sein konnte, dass sie allein war. Als sie die Tür öffnete und mich sah, verdüsterte sich ihr Gesicht.

»Lennox, ich habe dir doch gesagt ...«

»Keine Sorge, May«, sagte ich. »Ich möchte nicht hineinkommen. Ich wollte dir nur das hier geben.« Ich reichte ihr einen weißen Velinumschlag. Es war ein hübscher Umschlag. Sah richtig klasse aus. Als sie ihn öffnete, machte sie große Augen.

»Was ist das?«

»Das sind fünfhundert Pfund. Betrachte es als Hochzeitsgeschenk. Noch eins. Du hast einen guten Start verdient.«

»Das kann ich nicht annehmen, Lennox. Das weißt du.« Sie reichte mir den Umschlag, doch ich schob ihn zurück.

»Doch, kannst du. Ich habe das Geld verdient, aber ich bin nicht glücklich damit, was ich tun musste, um es zu verdienen. Keine Sorge«, fügte ich hinzu, als ich ihr Gesicht sah, »es ist kein schmutziges Geld. Im Gegenteil, es stammt aus der Schatulle der globalen Strafverfolgung.«

»Trotzdem kann ich es nicht annehmen«, widersprach sie, aber mit erheblich weniger Nachdruck. »Wie erkläre ich das George?«

»Sag ihm, du hättest es von einem Verwandten geerbt, von dem du nichts wusstest. Ich schicke dir ein Schreiben mit meinem offiziellen Briefkopf, wenn du willst.«

Sie blickte den von vielen Banknoten aufgeblähten Umschlag an. Er sah aus wie eine aufgeplatzte Frucht. Vom Geldbaum vermutlich.

»Lennox ...«

»Okay«, sagte ich. »Da wäre etwas, worum ich dich bitten möchte. Vielleicht sollte ich reinkommen und es erklären ...«

***

Als Davey Wallace entlassen wurde, wartete ich vor dem Krankenhaus. Sein Gesicht war abgeschwollen, aber es zeigte noch immer eine ganze Bandbreite blauer Flecken. Er ging langsam und vorsichtig, als würde er über glühende Kohlen schreiten. Ich nahm an, dass ihm jeder Schritt einen stechenden Schmerz durch die gebrochenen Rippen sandte. Irgendwie schaffte er es, mir sein übliches Grinsen zuzuwerfen. Es tat mir mehr weh als ein Schwinger mit der Faust.

Ich hielt ihm die Wagentür auf. Er stieg ein, und wir fuhren durch die Stadt. Davey sagte mir, er wolle nicht, dass ich mir Sorgen um ihn machte; in zwei Wochen könne er sicher wieder für mich arbeiten. Und er hätte auch genug Zeit, verriet er mir: Die Werft habe ihn entlassen.

Ich sagte nichts. Stattdessen fuhr ich hinunter zum Fluss und parkte auf einem schmuddeligen Flecken zerbombten Geländes. Ich half Davey ans Ufer, und wir setzten uns unter den gesträubten schwarzen Ästen der Werftkräne auf eine Mauer. Ein Clyde Puffer, ein schottisches Binnenfrachtschiff, rülpste schwarzen Qualm aus, als es an uns vorbeizog.

Mehr als eine Stunde saßen wir da, während ich ohne Pause redete. Ich sprach von meiner kanadischen Heimat und vom Krieg. Ich sprach davon, wie ich in Daveys Alter gewesen war und über das, von dem ich geglaubt hatte, die Welt hielte es für mich bereit. Ich sprach von Dingen, über die ich noch nie mit jemandem geredet hatte, und auch das sagte ich Davey. Ich sprach über Sizilien und über Aachen, über die Freunde, die ich hatte sterben sehen, und über die Feinde, die von meiner Hand gestorben waren. Über die schlimmen Dinge, die ich getan hatte, weil sie im Krieg getan werden mussten, und die schlimmen Dinge, die ich mir aufgeladen hatte, ohne dass es nötig gewesen war. Mein ganzes Leben breitete ich vor ihm aus. Und vor mir selbst.

Nachdem ich geendet hatte, reichte ich ihm einen Briefumschlag. Einen klassischen Velinumschlag wie der, den ich May gegeben hatte. Ich erzählte Davey von Saskatchewan, von der weiten, offenen Prärie, den heißen Sommern und dem kinnhohen Schnee im Winter. Ich sagte ihm, er solle sich keine Gangsterfilme mehr ansehen, sondern sich auf Western verlegen.

»Zwei Freunde von mir ziehen dorthin. May und George. Sie haben eine große Farm da draußen, und sie brauchen jemanden, der ihnen hilft. In dem Umschlag sind eine Schiffskarte für dich, damit du mitfahren kannst, und fünfhundert Pfund. Dafür bekommst du eine Menge kanadische Dollar, Davey.«

»Warum tun Sie das, Mr. Lennox?«

»Weil du ein guter Junge bist, Davey, und weil ich auch mal ein guter Junge war. Oder weil ich mir wenigstens gern einrede, dass ich mal ein guter Junge gewesen bin. Du hast etwas Besseres verdient ...« Ich wies auf den schwarzen, öligen Clyde, auf die Kräne ringsum, auf die dunkle Stadt hinter uns. »Ich habe einen Brief dort reingesteckt. Darin findest du die Adresse meiner Familie in New Brunswick. Ich habe meinem Dad telegrafiert. Er bürgt für dich bei der Einreise, falls nötig.« Ich legte Davey die Hand auf die Schulter. »Aber das wird nicht nötig sein. Kanada braucht gute junge Männer wie dich.«

»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Mr. Lennox. Wenn ich je irgendwas für Sie tun ...«

»Wenn du etwas für mich tun willst, dann führe ein gutes, ordentliches Leben. Heirate eine der starken, hübschen Ukrainekanadierinnen mit himmelblauen Augen, rosigen Wangen und buttergelbem Haar, wie es sie in Saskatchewan gibt, und zieh ein Dutzend blonde Kinder auf.«

Auf der Rückfahrt saß Davey schweigend im Wagen, den weißen Umschlag auf dem Schoß. Er sagte kein Wort, bis ich vor seiner Bleibe hielt.

»Das werde ich Ihnen nie vergessen, Mr. Lennox. Nie.« Sein Gesicht war entschlossen, beinahe grimmig.

Ich grinste. »Gut. Das hätte ich auch nicht von dir gedacht. Eines Tages komme ich vielleicht und besuche dich.«

Nachdem ich Davey abgesetzt hatte, fuhr ich weiter zur Great Western Road. In meinem Magen brodelte es, und ich wusste, es kam daher, dass ich draußen am Fluss mit Davey gemeinsam Dingen ins Gesicht geschaut hatte, denen ich seit dem Krieg ausgewichen war. Es hatte mich befreit und belastete mich dennoch. Doch wenigstens wusste ich dieses eine Mal, was ich als Nächstes tun würde.

Ich parkte den Atlantic vor meiner Bleibe, ging zur Haustür, schloss auf und betrat den Flur.

Ich ging aber nicht zu meiner Wohnung hinauf.

Stattdessen klopfte ich ohne zu zögern an Fiona Whites Tür.

ENDE