Scharfe Techniken

 

Sie scheren ihre Bärte, und es sprossen nach dem Scheren nur abscheuliche Stoppeln. (Mitglied einer arabischen Gesandtschaft über die Bartmode der Franken im Jahr 973)

 

Im Gegensatz zu einem Buch ist eine Rasur dann optimal, wenn sie nur an der Oberfläche kratzt. Wie das geht, erläutert dieses Kapitel mit möglichst viel Tiefgang. Wenn du dich schon seit Jahren nass rasierst, dann könnte dir der Einstieg etwas langatmig erscheinen, aber lies ihn bitte trotzdem, denn die meisten von uns haben das Rasieren als Autodidakten gelernt und uns dadurch manchmal ungünstige Gewohnheiten angeeignet, die man an dieser Stelle gut ablegen kann.

 

Wenn du gerade einen Systemwechsel vollführst, also zum Beispiel von Bart auf glatt, von trocken auf nass oder von Systemrasierer auf Hobel, dann ist dieses Kapitel ohnehin ein Muss. Auf weitere Besonderheiten des Rasierhobels (also des klassischen Klingenrasierers) geht das Hobel-Kapitel ab Seite 104 ein, setzt aber den Inhalt dieses Kapitels voraus. Und noch etwas: Bei vielen Tipps in diesem Kapitel beziehe ich mich direkt auf den Rasierhobel, weil man dort eine viel präzisere Technik haben muss. Denn wie beim Fahrtraining im Auto gilt auch hier: wer die Sondersituationen richtig beherrscht und auch unter schwierigen Bedingungen kontrolliert fahren kann, ist in Alltagssituationen und im Opel Kombi ebenfalls sicherer.

 

Eingesetztes Material

 

Beim Übergang vom routinierten Selbstrasierer zum Aficionado sammelt sich in aller Regel in kurzer Zeit ein großes Arsenal an allerlei Bartwaffen an, angefangen von veschiedensten Systemrasierern über eine Hobelflotte bis zu einem kleinen Badezimmer voll Döschen und Tübchen. Die Döschen und Tübchen kann man nach Herzenslust tageweise wechseln, aber bei dem Rasierer sollte man konservativer sein: Wenn man jeden Tag einen anderen Rasierer einsetzt, dann kommt der Bewegungsablauf ziemlich sicher auch bei viel Routine durcheinander.

 

Daher empfehle ich dringend, mindestens für die Nutzungsdauer einer Klinge den Rasierer nicht zu wechseln. Ausnahme: Wenn man in der Woche auf Geschwindigkeit geht und am Wochenende auf Genuss.

 

Strichtechnik 

 

Das eigentliche Abtrennen der Barthaare ist eine feinsinnige Tätigkeit, die volle Konzentration und Zuwendung verlangt. Wann immer man versucht, seine Klinge zu hintergehen, etwa indem die Gedanken abschweifen, wird sie sich rächen, im einfacheren Fall durch ungründliche Rasur, im schlimmeren Fall durch Schnitte.

 

Fasse daher den Griff deines Rasierers locker zwischen Daumen und Fingerspitzen oder vorderen Fingergliedern, ähnlich einem Essbesteck oder Füllfederhalter. Fasse den Griff eher lang an. Das führt erstens zu geringerem Andruck und zweitens ermöglicht es eine vielseitigere Führung. Es ist ähnlich wie bei anderen Werkzeugen auch: Werden sie zu kurz gefasst, nimmt man sich Möglichkeiten der Steuerung. Allerdings verlangt das dann auch mehr Technik, weshalb Einsteiger instinktiv kurz fassen.

 

Bei Rasier-Aufwärtsbewegungen verwenden viele Männer die Haltung eines Bleistifts (aber nicht aus Versehen die einer Zigarette). Weder sollten die Finger vollständig gestreckt sein noch sollte man den Griff mit der Faust umklammern. Es gibt zwar keine von Knigge vorgeschriebene Haltung wie bei Messer und Gabel, aber nur mit einer eleganten Haltung lässt sich der Rasierer sanft über die Haut führen und mit der notwendigen Detailgenauigkeit dirigieren. Die hauptsächliche Bewegung kommt aus dem gesamten Arm, wogegen die Feinheiten der Führung und die nuancenhaften Druckunterschiede aus den Fingerspitzen stammen – ähnlich wie bei der Kalligraphie.

 

Im Gegensatz zu offenen Rasiermessern wird unsere Klinge zu gewissem Grad durch die Kopfgeometrie des Rasierers geführt. Insofern ähnelt ein Klingenrasierer eher einem Füllfederhalter als einem Kalligraphiepinsel, und ein Systemrasierer ähnelt einem Kugelschreiber. Um von der Führung zu profitieren, wird der Rasierkopf in ganzer Länge aufgesetzt und dann in der Grundtechnik senkrecht zur Schneide parallel zur Haut gezogen. Die Idealbewegung besteht nach der klassischen Lehre aus langen, gleichmäßigen Zügen, die von der Strichlänge her einen gesamten Bereich abdecken, also zum Beispiel die komplette Wange oder den Hals in ganzer Länge. In freien Regionen beträgt die Länge eines Zuges etwa fünf bis zehn Zentimeter. Wenn du es nicht schon beherrscht, dann probiere, diese Art der Züge zu erlernen, denn nur so ist ein guter Rasierstil gewährleistet – Abweichungen solltest du erst erproben, wenn du diese Basistechnik gemeistert hast.

 

Wer sich etwas anderes angewöhnt hat, dem erscheinen die langen, langsamen Züge anfangs ungewohnt und vielleicht auch unsinnig. Aber sie verhindern, dass man ständig über dieselbe Hautstelle streicht und damit die Haut reizt, unter anderem weil man immer wieder entseifte Stellen rasiert. Selbst als geübter Autodidakt wird man feststellen, dass es einige Zonen gibt, in denen man eine lange Strichlänge nicht durchhalten kann, sondern aus Angst vor Schnitten kurze Strichelchen an- und übereinander reiht oder aus Ärger über nicht abrasierte Stoppeln auch den ganzen Strich mehrfach raspelnd wiederholt.

 

Ziemlich sicher werden das die Stellen sein, an denen man entweder ungründlich rasiert ist oder die Rötungen aufweisen. Achte daher darauf, an welchen Stellen es tagsüber brennt: Es werden oftmals die sein, an denen du eine schlechte Technik hattest. Merke sie dir und versuche, die Technik besonders dort zu verbessern.

 

Setze die Klinge an, ohne zu "hacken". Also nicht die Klinge auf die Haut aufschlagen lassen, sondern den gesamten Rasierkopf sanft auf die Haut aufsetzen, die Klinge in einen steilen Winkel zu den Haaren stellen und dann in einem gleichmäßigen Zug ohne Andruck streichen. Am Ende jeden Zugs ist es wichtig, dass die Klinge nach oben von der Haut weggezogen wird und sich nicht noch einmal in Haut und Haare verkrallt. Bei Rasierern mit festem Kopfwinkel erreicht man das am einfachsten, indem man den Griff des Rasierers etwas von der Haut wegbewegt, sodass die Schneide angehoben wird, indem sich der obere Rand des Rasiererkopfes auf der Haut aufstützt. Bei flexiblen Köpfen (wie beim Gillette Mach3 oder dem Wilkinson Quattro) muss man den gesamten Kopf nach oben von der Haut wegziehen.

 

Auch der Rhythmus ist wichtig. Manchmal schleichen sich Gewohnheiten ein wie am Ende eines langen Zuges noch einmal ein kurzes Stück zurückzugehen und dann noch einen Kratzer zu wiederholen, sodass sich ein Schaaaaaab-schabbb ergibt, bei dem die Klinge geradezu in die Haut eingehackt wird.

 

Der nächste zu erlernende Punkt ist der Winkel, mit dem man die Klinge anstellt und die Technik, ihn beim Folgen der Gesichstkonturen konstant zu halten. Bei Systemrasierern mit schwingendem Kopf ist das recht einfach, weil der breite Kopf von allein den richtigen Winkel zur Haut einnimmt, wenn man den Griff nicht grob falsch hält. Bei Systemen wie dem Gillette GII oder bei Rasierhobeln muss man den Winkel dagegen selbst bestimmen. An den Gesichtskonturen wie der Kinnlinie muss man in den ersten Tagen nach einem Systemwechsel lernen, wie der Griff zu führen ist, damit der Winkel bei der Kontur korrekt bleibt. Es lohnt sich, das einige Tage lang genau zu beobachten, denn nur dann automatisiert man einen korrekten Bewegungsablauf, der zum eigenen Gesicht passt. Mehr zum korrekten Winkel auf Seite 109 beim Rasierhobel.

 

Wichtig ist häufiges Zwischenspülen des Rasierkopfes. Unabhängig von der Art der Züge, achte darauf, dass die Haut vor jedem Zug noch nass ist, denn eine nasse Klinge gleitet besser als eine trockene. Die Klinge vor jedem Strich abzuwaschen hat daher nicht nur den Zweck, den Schaum zu entfernen, sondern auch, Wasser hinzuzufügen. Wenn man das mit heißem Wasser macht, dann fühlt sich die Klinge so gut an, also würde man mit einem Laserschwert durch Butter schneiden. Dabei muss das Wasser nicht aus dem laufenden Wasserhahn stammen, sondern kann auch aus einem Scuttle oder einer Rasierschale kommen. Wichtig ist aber, dass du einen Wasserstrom erzeugst, der durch die Schlitze zwischen den Lamellen des Rasierkopfes strömt, weil sich diese andernfalls sehr schnell zusetzen und nicht mehr richtig rasieren.

 

Bei vielen Männern wachsen die Haare im Bereich des Kinns kreuz und quer, wodurch es in Verbindung mit der Kinnkante dort zunächst unmöglich scheint, längere Züge zu bewerkstelligen. Versuche auch hier, Wege zu finden, auf denen es mit längeren Zügen geht. Nur falls das nicht möglich ist, wende dort den Kurzstrich-Stil an.

 

 

Der Kurzstrich-Stil ist ähnlich verpönt wie das "Drücken" beim Motorradfahren, bei dem der Fahrer in der Kurve mit dem Motorrad nicht eine Linie bildet, sondern es in die Kurve hineindrückt und selber aufrecht sitzen bleibt. Er gilt als Anfängerfahrstil, wird aber in Sondersituationen auch von den Könnern eingesetzt und hat eine geheime Fangemeinde. Das ist das gleiche bei den Kurzstrichlern (mit L).

 

Die Kurzstriche funktionieren so, dass man die Haut spannt (mehr dazu weiter unten), einen kurzen Zug von ca. zwei Zentimetern Länge macht, die Klinge aufgesetzt lässt, mit der spannenden Hand nachgreift und die nächste Hautstelle spannt, wieder einen schnellen Kurzzug macht usw. Erfahrende Friseure, die noch mit dem offenen Rasiermesser rasieren, wenden diese Technik oft an, und ebenso gehen erfahrene Rasur-Liebehaber öfters dazu über, zumindest in bestimmten Gesichtspartien. Wenn man den Wechsel zwischen Spannen und Schneiden gut beherrscht, dann ist dieses Verfahren sehr schnell und genau.

 

Aber kurze Züge sollen nicht zu einem unmotivierten Hexeln verführen, bei dem man winzige Striche im Millimeterbereich macht, und an deren Anfang man mit der Klinge auf die Haut hackt. Daher sollte die Klinge aufgesetzt bleiben und auch Kurzzüge sollen nicht kurzer als 2 Zentimeter sein.

 

 

Eine weitere besondere Technik ist die Schrägschnitt-Technik. Bei dieser Technik ist die Vorschubrichtung des Rasierers nicht exakt senkrecht zur Klinge, sondern um einige Grad verschoben. Der Vorschub hat also auch eine Bewegungskomponente in Längsrichtung der Klinge, was die Verletzungsgefahr nicht unerheblich erhöht. Aber der Vorteil besteht darin, dass die Barthaare nicht einfach nur gekappt werden, sondern auch etwas geschnitten, weil die Klinge ein kurzes Stück wie ein schneidendes Brotmesser am Haar eingesetzt wird und daher ein klein wenig in ihrer Längsrichtung am Haar arbeitet.

 

Es gibt zwei Möglichkeiten, den Schrägschnitt zu erzeugen: 1. Halte den Rasierer normal, bewege aber die Hand nicht wie gewohnt, sondern etwas seitlich versetzt, also mit besagter Bewegungskomponente in Längsrichtung der Schneide (genau das, wovor du normalerweise gewarnt wirst, weil man sich dadurch leichter schneiden kann). 2. Halte den Rasierer so, dass die Klinge schräg zur normalen Haltung steht (wie bei einem Schneepflug) und bewege die Hand wie gewohnt. Die zweite Methode wirkt meistens natürlicher und ist daher leichter zu erlernen. In der Tat verwenden sie viele Fortgeschrittene, ohne es überhaupt zu merken. Allerdings funktioniert sie nur bei Rasierern gut, bei denen man volle Kontrolle über den Klingenkopf hat, am besten bei Klingenrasierern. Bei Systemerasierern eignet sich zum Beispiel der Gillette Sensor dafür, nicht aber der Mach3, weil dessen Kopf schleppend angebracht ist. Beim Wilkinson Quattro wiederum sprechen die Anti-Hautschneide-Drähte dagegen.

 

Eine Variante des Schrägschnitts ist, die Bahnen nicht gerade verlaufen zu lassen, sondern gekrümmt, und die Klinge gleichzeitig in Krümmungsrichtung zu bewegen. Gekrümmte Bahnen eigenen sich ohnehin gut, wenn die Wuchsrichtung der Haare einem Bogen folgt, was nicht selten der Fall ist. Wir kommen darauf noch bei der Gesichtslandkarate zurück. Als Nebeneffekt gekrümmter Bahnen ist die Bahngeschwindigkeit der verschiedenen Stellen der Schneide unterschiedlich: im Kurvenäußeren bewegt sie sich schneller als im Kurveninneren, ähnlich einer Sense. Die Schneidebewegung ähnelt somit auch der eines klassischen offenen Rasiermessers. Man kann auf diese Weise den Schnitt noch präziser steuern.

 

Der Schrägschnitt mit seinen Varianten ist die vielleicht wichtigste Technik des Rasur-Aficionados. Denn an engen Stellen kann man oftmals die Klinge nicht in der gewünschten Richtung zum Haar führen, ohne sie schräg einzusetzen. An anderen Stellen, wie dem Hals, bei Bartverwirbelungen oder bei besonders festen Haaren kommt man vielfach ohne diese Technik nicht an Rötungen vorbei. Es gibt Fälle, in denen es Männern über Jahre nie gelungen ist, Pickel im Halsbereich zu vermeiden, bis sie den Schrägschnitt angewandt haben.

 

Andruck 

 

Das Gute an Laserschwertern ist, dass man sie nicht anzudrücken braucht – und das haben sie mit Nassrasierern gemeinsam. Mache dir immer klar, dass bei zu hohem Andruck ein Teilverlust der oberen Hautschicht das wahrscheinlichste Szenario wird. Druck ist daher das falsche Wort. Richtig muss es heißen schweben oder führen (und physikalisch handelt es sich hier auch gar nicht um Druck, wie du auf Seite 172 sehen wirst).

 

Die Kunst besteht tatsächlich darin, die Klinge über die Haut schweben zu lassen. Wie schon ganz zu Beginn gesagt: Stelle dir dafür vor, der Rasierer sei eine Feder, mit der du dich lediglich ganz leicht streicheln willst. Fasse anfangs den Griff lang und nur mit den Fingerspitzen an, so wie du es mit einer Feder machen würdest. Durch den langen (wegsparenden) Hebel wird der Andruck des Rasierkopfes auf die Haut bei gleicher Kraft geringer. Auf diese Weise werden die Haare rasiert und die Haut bleibt ungeschoren. Da dies bei langen Griffen leichter geht, sollte man beim Kauf eines Rasierhobels oder eines Extra-Griffes längere Modelle bevorzugen, besonders als Einsteiger. (Entsprechende Hobelmodelle sind zum Beispiel Merkur 23c und 25c, mehr dazu in einem eigenen Kapitel.)

 

Etwa 48% aller Probleme mit Nassrasur entstehen durch zu hohen Andruck (weitere 48% entstehen durch Fehler in der Vorbereitung der Barthaare, der Rest entfällt auf alle anderen Fehler – zugegebenermaßen ist das nicht wissenschaftlich, sondern meine Schätzung). Es ist ähnlich wie beim Mähen mit einer Sense. Auch dort muss man die Sense über dem Boden schweben lassen. Macht man es nicht und versucht anzudrücken, dann führt das zu Kerben im Sensenblatt und zu Löchern im Boden, aber nicht zu einem besseren Schnitt. Und ebenso wie beim Rasieren denken auch dort nur Anfänger, man müsse mit der Sense weit ausholen und in das Gras von oben her hacken; dagegen ist die korrekte Technik, die Sense von Anfang an exakt über den Boden zu führen, gleichmäßige Züge zu machen und am Ende das Blatt leicht nach oben wegzuziehen.

 

In den ersten Wochen wirst du dir das Schwebenlassen immer wieder in Erinnerung rufen müssen. Männerhände sind in ungeschultem Zustand und am frühen Morgen nicht für feinmotorische Glanzleistungen bekannt, daher muss man in den ersten Wochen einen Automatismus aufbauen. Immer, wenn es irgendwie ruckt, dann erinnere dich daran, locker zu halten und den Rasierkopf über der Haut gleiten zu lassen.

 

Haut spannen 

 

Wenn schallendes Gelächter aus dem Nebenraum kommt, während du den Arm mit verbogenen Gelenken über den Kopf führst, um die Gesichtshaut entgegen der Wuchsrichtung der Gesichtsbehaarung zu ziehen, dann bist du vermutlich auf dem richtigen Weg. Schon vor einem guten Jahrhundert konnten Väter ihre kleinen Kinder köstlich und lang anhaltend amüsieren, indem sie sie beim Rasieren zusehen ließen. Eine routinierte Abfolge von Fratzen und verzerrten Gesichtsmuskeln war damals wie heute ein erfolgversprechender, wenn auch nicht unbedingt eleganter, Weg zur guten Rasur.

 

Denn die Haut muss an der gerade rasierten Stelle immer gespannt sein, damit sich die Haare aufrichten und etwas aus den Poren heraustreten, ohne dass die Haut Falten schlägt, in die die Klinge einschneiden könnte. Die modernen Multiklingen-Systemrasierer funktionieren unter anderem deshalb so viel einfacher als Rasierhobel, weil sie durch die Bauweise (Größe des Rasierbereichs und Gummilippen) bei Andruck von selbst eine gute Hautspannung aufbauen. Bei anderen Rasierwerkzeugen muss man dagegen die Spannung selbst erzeugen.

 

An vielen Stellen, zum Beispiel im Halsbereich, geht das schon allein dadurch, dass man den Kopf anhebt oder die Backen aufbläst und damit die Haut spannt. An anderen Stellen muss man die Haut mit der freien Hand vorspannen, und zwar möglichst gegen die Wuchsrichtung der Haare. Denn dadurch stellen sich die einzelnen Haare auf und lassen sich leichter von der Klinge erfassen. Spannt man dagegen die Haut in die andere Richtung (also mit dem Strich), dann legt man die Haare flach, sodass sie der Klinge eher entkommen können und höher abrasiert werden oder ausfransen.

 

Beim Rasieren quer zum Strich funktioniert das Spannen gegen die Wuchsrichtung bei einigen Hauttypen nicht gut, weil sich dann Hautfalten bilden können, in die die Klinge schneidet. Das ist ähnlich wie wenn man ein Bettlaken spannt: Von den Stellen ausgehend, an denen man anfasst, bilden sich Falten in Zugrichtung. Daher ist es beim Rasieren quer zum Strich manchmal besser, in Rasierrichtung zu spannen, also quer zur Wuchsrichtung der Haare. Man muss hier etwas herumexperimentieren, denn jede Haut reagiert anders und ändert sich auch im Laufe des Lebens. Im Zweifelsfall sollte auch hier eher leicht gegen den Strich als mit ihm gespannt werden, damit wieder die Haare aufgerichtet und nicht flachgelegt werden. Falls dir die eigene Wuchsrichtung noch nicht überall bekannt ist, dann gilt zunächst die einfache Regel, die Haut immer nach oben hin zu spannen, denn an vielen Stellen wachsen die Haare tendenziell nach unten.

 

Versuche gleich von Anfang an, diese Art der Hautspannung zu erlernen, denn es ist ziemlich schwierig, einmal eingefahrene Gewohnheiten wieder loszuwerden, besonders wenn es sich um schlechte Gewohnheiten handelt. Viele Männer beginnen damit, die Haut ausschließlich nach unten zu spannen, weil das zunächst von der Bewegung her einfacher ist. Falls du in diese Gruppe fällst, dann gewöhne dich ans Umgewöhnen. Das gleiche gilt, wenn du auch beim Rasieren mit dem Strich in Bewegungsrichtung der Klinge spannst – manchmal kann man sich schon durch die andere Hautspannrichtung einen weiteren Rasurdurchgang sparen.

 

Wenn du auf Erheiterung deiner Kinder aus bist oder Morgengymnastik magst, dann kannst du die freie Hand zum Spannen über den Kopf führen, ähnlich wie beim alten Schulreifetest, bei dem das Schulkind vorführen muss, dass es mit der linken Hand über den Kopf ans rechte Ohr fassen kann. Der klare Vorteil dieser Methode ist, dass der Blick in den Spiegel nicht vom Arm verdeckt wird. Das geht aber auch, indem man die spannende Hand flach unter die Augen hält und mit dem Zeigefinger spannt. Allerdings wäre dann der Unterhaltungseffekt geringer.

 

Einige schwören auch darauf, die beiden Gesichtshälften mit unterschiedlichen Händen zu rasieren, damit die spannende Hand nicht im Blickfeld ist. Einen Versuch ist es wert, aber für ausgeprägte Rechtshänder ist das schwierig, wogegen es Linkshändern meist leicht fällt, weil sie in unserer rechtshändig orientierten Welt ohnehin gewohnt sind, öfters mal die rechte Hand einsetzen zu müssen.

 

Scheue dich nicht, an den typischen Problemstellen Kinn und Kinnkante die Haut weit genug wegzuziehen, damit du auch dort eine glatte Schnittfläche vorfindest. Bei Grübchen kannst du etwas mit der Zunge von innen dagegen drücken oder die Backen aufblasen. Den Bereich zwischen Oberlippe und Nase spannt man am besten, indem man diesen Bereich mit den Gesichtsmuskeln über die Schneidezähne spannt.

 

Jedoch: Manche Männer zerren an ihrer Gesichtshaut herum wie sie es sich bei keinem Fahrradschlauch trauen würden. Zuviel ist auch hier zu viel. Es kommt nur darauf an, dass die Klinge keine Falten vorfindet und man alle Stellen erreicht. Einen Belastungstest mache lieber mit anderen Materialien als mit der eigenen Haut.

 

Strichrichtung und Durchgänge 

 

Es ist keine Frage: Rasieren gegen den Strich (also gegen die Wuchsrichtung der Haare) ist gründlicher als mit dem Strich. Es gibt viele Männer, bei denen eine wirklich gründliche Rasur nicht möglich ist, ohne gegen den Strich zu rasieren.

 

Leider ist eine Rasur gegen den Strich unsanft und hinterlässt oft kleine Schnitte in der Haut, die man später als Rasurbrand wahrnimmt. Zudem franst es die Barthaare an den Spitzen aus, und der Schnitt kann so kurz werden, dass die Haare einwachsen, weil sie ungünstig unterhalb der Hautoberfläche abgeschnitten werden. Ein Großteil der Kunst des gründlichen Rasierens besteht daher darin, zu lernen, wie man gegen den Strich rasiert und gleichzeitig diese Probleme vermeidet.

 

Glücklicherweise ist das gar nicht schwer, wenn man den Trick kennt: Gegen den Strich rasiert man nicht im ersten Durchgang, sondern erst in einem späteren. Genial, oder?

 

Manch einer hat an dieser Stelle möglicherweise zwei Einwände: 1. Ich habe einen Babypopo auch mit dem Strich. 2. Mir macht es nichts, gleich gegen den Strich zu rasieren. Vermutlich ist beides auf einen sehr unproblematischen Bart zurückzuführen, höchstwahrscheinlich mit nicht so festen Haaren. Wenn es bei dir so ist, dann freue dich. Aber probiere das Rasieren mit mehreren Durchgängen sicherheitshalber dennoch einmal aus. Ich sage vorher, dass du positiv überrascht sein wirst.

 

Das hat folgende Gründe: Wer sich nur mit dem Strich rasiert, merkt oft, dass es nicht richtig gründlich wird und reagiert darauf mit immer mehr Andruck und mehr Zügen über dieselbe Stelle, die dann aber vergleichsweise wenig bewirken, außer einer Hautreizung. Bei mehreren Durchgängen in verschiedenen Winkeln zur Wuchsrichtung der Haare benötigt man dagegen an jeder Stelle nur maximal drei Züge und ist dennoch gründlicher. Zudem sind die Züge über schon kurze Stoppeln wesentlich weniger aggressiv als über lange Haare. Bei meinen Blindtests (Seite 274) ist mir aufgefallen, dass ich beim dritten Durchgang selbst gegen den Strich eine stumpfe Klinge kaum noch von einer neuen unterscheiden konnte, wogegen beim ersten Durchgang mit noch langen Stoppeln der Unterschied eklatant ist. Das zeigt, wie sanft und gründlich zugleich die Abfolge verschiedener Durchgänge ist. Diese Abfolgen gehen so:

 

         Erster Durchgang immer mit dem Strich.

 

         Wenn nur zwei Durchgänge, dann den zweiten quer zum Strich oder gegen den Strich.

 

         Wenn drei Durchgänge, dann den zweiten quer, den dritten bei Bedarf gegen den Strich.

 

         Abschließend noch einige Korrekturzüge an Problemstellen und zusätzliche Feinarbeiten an Narben, Pickeln, Leberflecken, Mundwinkeln usw.

 

Anstelle der Rasur gegen den Strich kann man auch eine steile Querrasur verwenden, die also zwar quer zum Strich verläuft, aber schon deutlich in die Richtung gegen den Strich.

 

Für den Einstieg ins Leben mit Nassrasur, besonders mit Klingenrasierer, empfehle ich zwei Durchgänge, den zweiten quer zum Strich. Das ist zwar sicherlich noch nicht so gründlich wie es sein könnte, aber andernfalls kann es leicht passieren, dass man sich gleich die Haut abschabt und den Spaß verliert, bevor er richtig anfängt.

 

Zwischen den Durchgängen wasche den übriggebliebenen Schaum einigermaßen ab, dann schäume dich erneut ein; es geht hier besonders um das nass machen, nicht um das Entfernen des Schaums. Auch brauchen die Haare kein zweites Mal eingeweicht zu werden, du kannst also ohne Wartezeit sofort mit dem zweiten Durchgang beginnen.

 

Es gibt Männer, die für jeden Durchgang mit Inbrunst neuen Schaum aufschlagen, aber normalerweise verbleibt noch genug Schaum in Pinsel oder Tiegel, um damit die nächsten Durchgänge zu absolvieren. Angenehmer wird es, wenn man den Pinsel in der Zwischenzeit schön warm hält, aber auch einige Tropfen heißen Wassers aus der Leitung machen die nächsten Einschäumungen angenehmer (wobei allerdings das fein säuberlich errechnete Verhältnis von Wasser zu Rasierseife etwas gestört wird). Denke auch an den schönen Schaum aus dem Pinselinneren, achte aber auf jeden Fall darauf, dass auch bei den weiteren Durchgängen genug Schaum vorhanden ist, andernfalls werden die Rasuren unangenehm. Notfalls lieber nachschäumen und noch mehr Rasierseife oder –creme aufnehmen als zu ungeschäumt rasieren.

 

Mehrfachüberstreichen. Ein guter Rasierstil verlangt, nicht zu oft über dieselbe Stelle zu streichen. Der Grund dafür ist, dass jeder Zug nicht nur Haare kappt, sondern auch etwas Haut abschabt. Bei einer sanften Rasur besteht der abgeschabte Teil überwiegend aus ohnehin abgestorbenen Hautzellen, die täglich entstehen und die auch entfernt werden sollten. Nassrasur ist dann gleichzeitig ein kosmetisches Hautpeeling. Aber natürlich kann dieses Peeling auch zu viel werden und könnte die oberste Hautschicht beschädigen.

 

In der Regel ist das eine Folge zu festen Andrucks und falschen Anstellwinkels. Mit einem federleichten Andruck und gutem Klingenwinkel haben die meisten Männer auch dann keinerlei Probleme, wenn sie mehrfach über eine Stelle streichen; bei festerem Andruck dagegen kann schon ein einziger Zug unangenehme Reizungen hinterlassen. Die Regel "über jede Stelle nur einmal streichen" ist von daher eher eine Hilfsregel, die man zwar so weit wie möglich einhalten sollte, die aber auch nicht den Rang eines Glaubensbekenntnisses bekommen darf. Die Wichtigkeit der Regel hängt auch vom verwendeten Rasierer ab. Bei einem Merkur Futur sollte man sich dem Ideal stärker annähern als bei einem Zahnkammrasierer Merkur 25c, der bauartbedingt (durch die Zahnung) nicht alle Haare des überstrichenen Streifens kappen kann und von daher zumindest weit überlappende Züge erforderlich macht. Übrigens wird auch beim Mähen mit der Sense mit deutlich überlappenden Bahnen gearbeitet.

 

Auch sollte man vorsichtig in der Beurteilung sein, wann genau eine Stelle mehrfach überstrichen wurde. Jede Klinge hat eine seitliche Ausdehnung, und besonders ein Rasierhobel liegt daher häufig nur auf einer viel kleineren Bahn auf als die Breite des Kopfes suggeriert; Systemrasierer mit einzeln beweglichen Klingen decken dagegen eine effektiv viel breitere Bahn ab. Bei kantigen Gesichtskonturen ist daher die wirksame Bahn manchmal nur zwei Zentimeter breit, weil die Klinge an den anderen Stellen praktisch in der Luft schwebt. Das tritt zum Beispiel häufig am Kinn und der Kinnlinie auf. Man erkennt die tatsächliche Bahnbreite auch nicht immer an dem Schaumstreifen.

 

Dies alles soll kein Freibrief für eine chaotische Technik sein, sondern ein Plädoyer für eine etwas lockerere Interpretation des Pro-Stelle-und-Druchgang-nur-ein-Zug-Prinzips. Denn praktisch jeder Mann bildet nach einiger Zeit einen eigenen Stil mit wechselnden Überlappungen und Zuglängen aus ohne dass das gleich „schlechter Stil“ sein muss. Dennoch gilt während der Phase der Ausprägung des eigenen Stils: Wenn der erste Durchgang noch nicht so gründlich ist wie erhofft, widerstehe der Versuchung, immer wieder über dieselbe Stelle zu streichen. Dafür gibt es ja die weiteren Durchgänge. Erst wenn du Gesichtsstellen identifiziert hast, an denen die effektive Bahnbreite schmal ist, dann erhöhe dort die Überlappung. Übrigens ist anzumerken, dass Multiklingenrasierer pro Strich weniger Haare stehen lassen als Rasierhobel, sodass bei Hobeln viel eher mit Mehrfachüberstreichen oder Bahnüberlappungen gearbeitet werden muss. (Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich hier an den Grundsätzen der Rasierhobelfraktion rüttele, aber jeder der es nicht glaubt, kann es ja einfach einmal selbst ausprobieren; mehr dazu folgt noch später).

 

Falls es mit den Rasierdurchgängen Probleme geben sollte, hier noch einige Tipps:

 

Wenn dir der Durchgang gegen den Strich zu hart ist und du auch ohne diese Richtung eine glatte Rasur hinbekommst, dann ist alles in Ordnung, und du lässt den Durchgang gegen den Strich einfach komplett weg.

 

Manchmal hilft schon eine Variation des Winkels: Wenn man nicht ganz gegen den Strich rasiert, sondern nur steil dazu, dann gibt es vielleicht kein Brennen, aber der Effekt ist schon fast der gleiche.

 

Für Hobelanwender:

 

Versuche es auch mit einem Schrägschnitt-Hobel (Merkur 37c) oder mit der Schrägschnitt-Technik (Seite 44).

 

Nimm für den Gegen-den-Strich-Durchgang eine andere Klinge (in einem zweiten Rasierer). Manchmal hilft eine neue, noch sehr scharfe Klinge wie die Feather oder auch die Personna; Andere bevorzugen für diesen Durchgang aber auch eine sanfte Klinge wie die Derby Extra, die sie in den ersten Durchgängen nicht so gern mögen. Die Variante, bei der du dich bitte nicht von Zuschauern sehen lässt, erlaubt Systemrasierer ab dem zweiten Durchgang, Klingenrasierer im ersten; oder auch einen einfachen Systemrasierer im ersten Durchgang, den Fusion für den letzten.

 

Gesichtslandkarte 

 

Beim Erlernen der Rasur als Autodidakt entsteht meist eine eher zufällige Reihenfolge der Bartbearbeitung, die man sich im Laufe der Jahre angewöhnt, ohne weiter darüber nachzudenken. Leider passiert es dabei allzu oft, dass man über einige Passagen viel zu oft streicht, andere vergisst, und jeden Tag ein anderes Ergebnis erzielt. Besser ist es, eine systematische Reihenfolge zu wählen.

 

Hierfür ist es ein guter Ausgangspunkt, zunächst einmal ohne besondere Beachtung der eigenen Kanten, Bartwuchsrichtungen und sonstiger Besonderheiten mit einer Standardvorgehensweise zu beginnen. Nachdem man die eigene Gesichtslandkarte besser erforscht hat und mehr Erfahrung gesammelt hat, kann man zum Feintuning der Rasursystematik übergehen. Besagter Standard geht so:

 

Teile das Gesicht gedanklich in drei Zonen ein: 1) die Wangen, 2) die Halsregion bis hoch zur Kinnlinie, 3) Kinn und Oberlippe. Beginne bei den Wangen, weil dort die Haare am dünnsten sind und es große glatte Flächen gibt, bei denen die Rasur am einfachsten ist. Dann gehst du über zum Hals, dann zu Kinn und Oberlippe, wo der Schaum ruhig noch ein wenig länger einwirken kann, weil dort die Haare meist dicker sind und die Rasur feinere Bereiche betrifft. (Das gilt bei kürzerer Einweichdauer der Rasierseife – bei längeren Einweichzeiten ist der Unterschied nur gering, im Gegenteil, dann kann es an den späteren Stellen sogar schon wieder zu trocken geworden sein, wenn der Schaum nicht perfekt geschlagen wurde).

 

Rasiere im ersten Durchgang immer von oben nach unten. Achte hier zunächst nicht auf die Gründlichkeit, sondern auf die Sanftheit, also darauf, die Klinge schweben zu lassen und jede Stelle möglichst nur einmal zu überfahren. In den einfachen Zonen kann die Strichlänge gute fünf Zentimeter oder mehr betragen, in den Problembereichen wird sie anfangs eher bei einem Zentimeter liegen. Sie sollte aber auch hier im Lauf der Zeit länger werden, damit du nicht zu oft über dieselbe Hautstelle streichst.

 

Wenn alle Stellen auf diese Weise alle einmal rasiert wurden, kommt der nächste Durchgang, diesmal in seitlicher Richtung. Schäume dich dazu erneut ein und rasiere dann von der Nase zu den Ohren bzw. umgekehrt und vom Kehlkopf zu den Halsrändern hin. In einem dritten Durchgang kann dann noch eine Richtung senkrecht oder fast senkrecht nach oben folgen.

 

In Amerika wird diese Art manchmal "methodisches Rasieren" genannt, die senkrechte Rasurrichtung heißt dann Nord-Süd, die seitliche West-Ost. Zutreffender wäre allerdings die Bezeichnung „schematisches Rasieren“, denn jeder wird sehr schnell feststellen, dass die Barthaare in alle mögliche Richtungen wachsen und sich nicht an einfache Regeln halten. Manchmal findet man daher auch alternative Wuchsregeln vom Typ "der Bart wächst immer zum Kinn" oder "immer zum Kehlkopf", aber meist helfen sie genauso viel wie die Regel "von oben nach unten": Der Bart hält sich einfach nicht daran. Daher bleibt nichts anderes übrig, als sich im Laufe der Zeit eine virtuelle Gesichtslandkarte für das eigene Gesicht zu erstellen, in der alle Bartwuchsrichtungen und Wirbel verzeichnet sind. Erst wenn das gelungen ist, kann man effektiv zwei oder drei schonende Durchgänge aneinander reihen.

 

Wenn du Schwierigkeiten hast, die Bartwuchsrichtung richtig zu identifizieren, dann lasse dir einen Dreitagebart stehen und mache ein Ölrasur. Dabei verdeckt kein Schaum die Haare und du kannst genau sehen, wo mit und wo gegen den Strich ist. Du kannst auch einmal bei anderen Dreitagebartträgern durch verstohlene Blicke die Wuchsrichtungen studieren und versuchen, Schlüsse für dich selbst zu ziehen, aber du wirst sehen, dass sich anderer Männer Wirbel nur schlecht auf deine eigenen übertragen lassen.

 

Problemstellen 

 

Bei der "methodischen Rasur" haben wir so getan, als bestünde das gesamte Gesicht nur aus gut ausgeschilderten Rasurautobahnen, aber in Wahrheit gibt es auch viele kleine Landstraßen und verwinkelte Gässchen.

 

Oft ist das ein scharfes Kinn oder die Kontur, die die Wange vom Hals trennt, manchmal sind es auch Bereiche von Bartverwirbelungen, Vertiefungen, Grübchen, Pickel, Warzen, Narben oder Muttermale. Hier muss jeder seine eigene Methode finden. Anfangs wird es unmöglich erscheinen, dort in gleichmäßigen, langen Zügen zu arbeiten und man neigt dann dazu, mit einer Aneinanderreihung winziger, sich überlappender Strichelchen zu arbeiten. Das ist für die ersten Tage in Ordnung, dauert aber auf Dauer zu lange und ist normalerweise weder hautschonend noch gründlich. Versuche deshalb, Wege zu finden, wie du auch diese Stellen mit langen und eleganten Strichen überstreichen kannst. Die Kunst dabei besteht darin, die Haarwuchsrichtung genau zu erkennen und den Anstellwinkel der Klinge (besonders beim Klingenrasierer) genau zu lernen.

 

Auch kann es passieren, dass die Klinge wegen ihrer Länge Mulden einfach überstreicht ohne sie zu berühren, sodass die eigentlich optimale Rasierrichtung technisch nicht möglich ist. Es kann Monate dauern, bis man für jede Stelle einen guten Weg gefunden hat, aber wenigstens kann man dann sicher sein, ein markantes männliches Gesicht zu haben.

 

Noch einige Tipps zu Problemstellen:

 

Wer von einem anderen System umsteigt, der sollte sich sehr langsam an seine Problemzonen herantasten und für den Feinschliff eventuell noch das alte System verwenden. Ansonsten wird der Umstieg manchmal so frustrierend, dass man zu verzweifelt aufgibt, was man schon wenige Tage später als sehr schade empfunden hätte, wenn man jemals so weit gekommen wäre.

 

Um dicht an Leberflecken heranzukommen, sollte man dort die Klinge sehr steil zum Haar anstellen. Bei einem verstellbaren Hobel wie dem Progress 500 kann man ihn dafür auf einen etwas höheren Wert einstellen. Bei einem Hobel mit festem Klingenspalt entspannen Einige die Klinge etwas, wodurch sie ebenfalls steiler steht. Das geht, indem man den Griff um etwa eine halbe Umdrehung löst. Bei Systemrasierern hat Gillette mit dem Fusion begonnen, eine Trimmklinge auf der Rückseite anzubringen. An diese Trimmklingen sollte man sich an besagten Problemstellen erinnern. Allerdings hat besonders der Fusion eine so gute Straßenlage, dass man kleinere Hautunebenheiten einfach überfahren kann, ohne dass etwas passiert (aber nur mit dem Strich, in der Gegenrichtung gibt es auch beim Fusion ein hässliches Gemetzel).

 

Problematisch ist es oft, die genaue Höhe zu finden, in der man an den Koteletten die Rasur beginnt. Wische dafür mit dem Rasierer oder mit einem Handtuch dort den Schaum weg und richte dich an markanten Stellen des Ohrs aus. Wenn du mit beiden Händen rasieren kannst, dann nimm für beide Seiten unterschiedliche Hände, dadurch wird es bei Einigen leichter, in derselben Höhe anzusetzen.

 

Bei Vielen wachsen die Haare in einem Bogen. Daher wird es Regionen geben, die du am besten durch gebogene und nicht durch gerade Züge abdeckst. Sehr oft ist das im Bereich unterhalb der Kinnlinie bis zum Hals der Fall: Die Bahn führt dann erst senkrecht nach unten und geht im Bogen weiter, bis sie am Ende im unteren Halsbereich waagerecht verläuft.

 

An einigen Stellen wechselt die Haarwuchsrichtung sogar unvermittelt mitten auf einer Rasur-Autobahn, zum Beispiel mitten am Hals. Es ist dann sinnvoll, eigentlich zusammenhängende Zonen in mehrere Bereiche zu unterteilen und beispielsweise den oberen Teil des Halses bis zur Mitte von oben nach unten zu rasieren, den Rest des Halses von innen nach außen (sofern sich so etwas nicht zu einer geschwungenen Bahn wie eben beschrieben zusammensetzen lässt). Oft wachsen die Haare auch innerhalb einer Zone in verschiedene Richtungen ("Bartverwirbelungen"). Diese sind insofern problematisch als es dann keine Möglichkeit gibt, alle Haare mit dem Strich zu rasieren. Das ist ein typischer Fall für den ansonsten meist verpönten Kurzstrich-Stil (Seite 44) und den Schrägschnitt (Seite 44).

 

Die Oberlippe lässt sich leichter rasieren, wenn man sie aus eigener Muskelkraft über die Zähne klappt und damit eine fast ebene Fläche unterhalb der Nase bildet. Narben, Pickel usw. können leichter umschifft werden, wenn man mit der Zunge von innen eine Ausbeulung genau unter dem Pickel schafft oder die Backen aufbläst.

 

Pickel und Muttermale an Stellen, die man nicht im Spiegel sehen kann, sind am schwierigsten zu meistern. Es bleibt hier nichts anderes übrig, als zu lernen, die Stelle exakt zu erfühlen, sodass man wirklich alle Haare erwischt und gleichzeitig unverletzt bleibt. Lege dir einen Rasierstift bereit.

 
Männersache Rasieren - Handbuch für den Rasur-Aficionado
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