ZWÖLF PAAR SCHUH

Das Trippeln und Trappeln durchs Treppenhaus, und Stimmen von Frauen und Kindern, zwitschernd und zwatschernd – wie jeden Mittwochmorgen um diese Zeit! Dann das Schellen an der Wohnungstür einen Stock höher, und in höchsten Stimmlagen nun die vielfach sich verschlingenden Begrüßungsgirlanden.

Wieder werde ich es einen Tag lang über mir haben, ihr unaufhörliches Schwatzen und Lachen. Kinderweinen ist selten zu hören, und falls doch, mit fast gleichzeitig einsetzendem, vielstimmig tröstendem Singsang. Streit oder auch nur ein lautes Wort scheint es nicht zu geben; aber manchmal fällt etwas zu Boden, oder Stühle werden gerückt über mir, und immer wieder sind ihre Schritte zu hören, mal hier, mal dort. Gegen Abend dann brechen sie auf. Dann wird im Treppenhaus wieder das Trippeln zu hören sein, abwärts; und, wenn sie unten sind und die Letzte raus aus dem Haus, der Knall, zu ist die Tür, dann wird wieder Stille sein über mir.

Noch ist Morgen, der Tag noch frisch und auch das Wetter nicht schlecht, etwas trüb zwar, aber mild. Heute werde ich nicht in der Wohnung ausharren, nicht mich in Geduld und Gleichmut üben oder in der Kunst des Überhörens. Wohin könnte ich mich verziehen? In einen Park – dort ist es ruhig mitten in der Woche – oder, falls es doch zu nieseln anfängt, in die Bibliothek.

Aber heute will ich, bevor ich aus dem Haus gehe, endlich einmal nachschauen, wie viele es denn eigentlich sind, die sich wöchentlich treffen über mir – und sehe ein Stockwerk höher auf dem Treppenabsatz vor der Wohnungstür: ein Schuh-Ornament!

Frauen- und Kinderschuhe, die nicht paarweise aufgereiht stehen, sondern bunt durcheinander, mehr oder weniger ausgetretene Pumps, Sandalen, Sandaletten, Ballerinas – dass es so viele sind!

Und bestimmt sind es noch mehr; ihre Kleinsten, die Schuhlosen, haben sie ja alle auch mitgenommen.

Hinter der Wohnungstür ist Reden und Lachen von Frauen zu hören und Kichern und Tuscheln von Kindern – wie unbekannt mir ihr Leben ist!

Allein, dass sie ihre Schuhe vor der Tür stehen lassen!

Da wo ich in dieser Stadt aus und ein gehe, behalten sie die Schuhe an den Füßen.

Es sind Leute vom Dorf, wird mir gesagt, die sich benehmen, als ob ihnen noch immer der Steppenstaub an den Schuhen haftete, selbst wenn sie in der zweiten oder dritten Generation hier leben!

Meine Mutter, als sie mich in Istanbul besuchte, staunte, dass vieles noch immer ist, wie es offenbar war, als sie vor vierzig Jahren zum ersten und einzigen Mal die Stadt besichtigt hatte – eine Reise per Schiff, im Jahr 1954, klassisches Griechenland und entlang der türkischen Ägäis, geführt von einem Kunsthistoriker aus Zürich.

Aber die Frauen, sagte sie; damals waren in Istanbul die Frauen städtische Frauen, modisch, modern, elegant. Höchstens in einer Gasse irgendwo eine schwarz verhüllte Alte, die um eine Ecke huschte, und wir dachten damals, die stürben langsam aus.

Kindergeschrei hinter der Wohnungstür, Weinen dann und Frauengekeife gleich danach – nun also doch!

Ich raffe mich auf, gehe treppabwärts und hinaus auf die Straße.

Mitte der Welt
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