* 16

 

Am Montagmorgen fiel das Sonnenlicht durch Banks' Küchenfenster und ließ die an der Wand hängenden Kupferpfannen schimmern. Banks saß mit einer Tasse Kaffee und einem Marmeladentoast am Kieferntisch. Vor sich hatte er die Zeitung, und aus dem Radio erklang Variations on a Theme by Thomas Tallis von Vaughan Williams. Doch Banks las nicht, noch lauschte er der Musik.

  Er war schon seit vier Uhr wach; hunderttausend Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf, und obwohl er hundemüde war, wusste er, dass er nicht wieder einschlafen konnte. Wie froh er sein würde, wenn der Chamäleon-Fall vorbei war, wenn Gristhorpe an seinen Schreibtisch zurückkehrte und er wieder seine alte Arbeit als Detective Chief Inspector aufnehmen konnte. Die Verantwortung der letzten anderthalb Monate hatte ihn erschöpft. Er kannte die Symptome: zu wenig Schlaf, schlechte Träume, zu viel Fastfood, zu viel Alkohol und zu viele Zigaretten. Er steuerte geradewegs auf ein Burnout-Syndrom zu, der Erschöpfungszustand, unter dem er vor einigen Jahren bei der Metropolitan Police gelitten hatte. Damals hatte er London verlassen und war in der Hoffnung auf ein ruhigeres Leben nach North Yorkshire gezogen. Er liebte die Ermittlungsarbeit, aber manchmal hatte er das Gefühl, die moderne Polizei sei etwas für junge Männer. Wissenschaft, Technologie und eine veränderte Verwaltungsstruktur hatten das Leben nicht einfacher gemacht, sondern komplizierter. Banks war an die Grenzen seines Ehrgeizes gestoßen, denn an diesem Morgen zog er zum ersten Mal ernsthaft in Erwägung, den Job an den Nagel zu hängen.

  Der Postbote kam. Banks ging zur Tür, um die Briefe vom Boden aufzuheben. Unter der üblichen Sammlung aus Rechnungen und Postwurfsendungen befand sich ein mit der Hand adressierter Umschlag aus London, dessen saubere, schwungvolle Schrift er sofort erkannte.

  Sandra.

  Sein Herz schlug ein bisschen zu schnell, als er den Stapel in die Küche trug, seinen Lieblingsraum im Cottage, hauptsächlich weil er von dieser Küche geträumt hatte, bevor er je hier gewesen war. Was er in Sandras Brief las, genügte allerdings, um den hellsten Raum noch dunkler zu machen, als ihn seine Laune schon vorher verdüstert hatte.

 

Lieber Alan,

  wie ich erfahren habe, hat Tracy dir erzählt, dass Sean und ich ein Kind erwarten. Ich wollte nicht, dass du es so erfährst, aber jetzt ist es nicht mehr zu ändern. Ich hoffe, dass dieser Umstand dir nun zu verstehen hilft, wie dringend es angeraten ist, unsere Scheidung in die Wege zu leiten, und dass du dich dementsprechend verhältst. Mit freundlichen Grüßen, Sandra

 

Das War es. Nur eine kalte, förmliche Mitteilung. Banks musste gestehen, dass er nicht gerade prompt auf die Bitte um Scheidung reagiert hatte, aber er hatte keinen Grund gesehen, sich zu beeilen. Vielleicht, war er nun sogar bereit einzuräumen, hatte er sich tief im Innern an Sandra geklammert, vielleicht hatte ein uneinsichtiger, verängstigter Teil seiner Seele stur an der Überzeugung festgehalten, das Ganze sei ein Albtraum oder ein Missverständnis, und er würde eines Morgens wieder in der Doppelhaushälfte in Eastvale aufwachen und Sandra läge neben ihm. Nicht dass er das immer noch wollte, jetzt nicht mehr, aber wenigstens war er gewillt zuzugeben, dass er solch irrationale Gefühle gehegt hatte.

  Und jetzt das.

  Banks legte den Brief zur Seite. Die Zeilen strahlten Kälte aus. Warum konnte er seine Vergangenheit nicht einfach abschütteln und zu neuen Ufern aufbrechen, wie Sandra es getan hatte? Lag es an seinen Schuldgefühlen wegen Sandras Fehlgeburt, an seiner Erleichterung danach, von der er Annie erzählt hatte? Banks wusste es nicht; es kam ihm bloß seltsam vor, dass die Frau, mit der er zwanzig Jahre verheiratet gewesen war, die Mutter seiner Kinder, kurz davor war, das Kind eines anderen Mannes zur Welt zu bringen.

  Er schob den Brief beiseite, nahm seine Aktentasche und ging zum Wagen.

  Am späten Vormittag musste er nach Leeds, zuerst aber wollte er in seinem Büro vorbeischauen, ein bisschen Schreibtischarbeit erledigen und mit Winsome sprechen. Die Strecke von Gratly nach Eastvale gehörte zu den schönsten in der Gegend. Das hatte Banks schon gedacht, als er sie zum ersten Mal gefahren war: eine schmale Straße auf halber Höhe der Hügel, die zu seiner Linken einen spektakulären Blick auf das Tal mit seinen verschlafenen Dörfern und dem sich hindurchschlängelnden Fluss bot und rechts von steil ansteigenden Feldern mit Trockenmauern und Schafen begrenzt wurde. Aber heute nahm er die Schönheit der Natur nicht wahr, zum einen, weil er die Gegend schon zur Genüge kannte, und zum anderen, weil seine Stimmung immer noch von Sandras Brief und seiner unbestimmten Depression getrübt war.

  Nach dem chaotischen Wochenende herrschte auf dem Polizeirevier wieder das übliche Treiben; die Journalisten waren fort, genau wie Lucy Payne. Banks machte sich keine allzu großen Sorgen über Lucys Verschwinden. Er schloss die Tür hinter sich und stellte das Radio an. Sie würde schon wieder auftauchen, und wenn nicht, gab es auch keinen wirklichen Grund zur Beunruhigung. Erst wenn sie einen konkreten Beweis für ihre Schuld fanden. Bis dahin konnte man sie immerhin über Geldautomaten und Kreditkartenquittungen verfolgen. Wo sie auch war, Geld würde sie brauchen.

  Nachdem er seinen Papierkram erledigt hatte, ging Banks ins Großraumbüro. Winsome Jackman saß an ihrem Tisch und kaute auf einem Bleistift.

  »Winsome«, sagte er, denn ihm war eine der Kleinigkeiten eingefallen, die ihn so früh geweckt hatten. »Ich habe noch eine Aufgabe für Sie.«

  Und nachdem er erklärt hatte, was sie für ihn erledigen sollte, verließ er das Revier durch den Hintereingang und machte sich auf nach Leeds.

 

Kurz nach Mittag betrat Annie das Gebäude des Crown Prosecution Service. Sie hatte noch nichts gegessen. Der für den Fall zuständige Staatsanwalt, Jack Whitaker, war jünger, als sie erwartet hatte, Ende zwanzig oder Anfang dreißig, vermutete sie. Außerdem lispelte er leicht und verlor schon sein Haar. Er hatte einen festen Händedruck, seine Hand war etwas feucht. Das Zimmer war weitaus ordentlicher als das von Stafford Oakes in Eastvale, der jede Akte verbummelte oder mit olympischen Ringen aus Kaffee verzierte.

  »Gibt's was Neues?«, fragte er, als Annie sich gesetzt hatte.

  »Ja«, entgegnete Annie. »Janet Taylor hat heute Morgen ihre Aussage geändert.«

  »Darf ich?«

  Annie reichte ihm die überarbeitete Aussage von Janet Taylor, und Whitaker las sie. Anschließend schob er das Papier über den Tisch zu Annie zurück. »Was meinen Sie?«, fragte sie.

  »ich meine«, sagte Jack Whitaker langsam, »dass wir Janet Taylor wohl des Mordes anklagen.«

  »Was?«, rief Annie ungläubig. »Sie hat in Ausübung ihrer Pflicht als Polizeibeamtin gehandelt. Ich dachte an rechtmäßige Tötung im Strafvollzug oder allerhöchstens an Körperverletzung mit Todesfolge. Aber Mord?«

  Whitaker seufzte. »Oje. Dann haben Sie noch keine Nachrichten gehört, was?«

  »Was für Nachrichten?« Auf der Fahrt nach Leeds hatte Annie das Radio nicht eingeschaltet, weil sie viel zu sehr mit Janets Fall und ihren wirren Gefühlen für Banks beschäftigt war, um sich auf die Nachrichten oder ein Interview zu konzentrieren.

  »Im John-Hadleigh-Fall sind die Geschworenen kurz vor Mittag von der Beratung zurückgekommen. Sie wissen schon, der Bauer aus Devon.«

  »Ich kenne den Hadleigh-Fall. Wie lautet das Urteil?«

  »Schuldig des Mordes.«

  »Du meine Güte«, sagte Annie. »Aber trotzdem, das ist doch was ganz anderes, oder? Ich meine, Hadleigh war Zivilist. Er hat einen Einbrecher von hinten erschossen. Aber Janet Taylor ...«

  Whitaker hob die Hand. »Ausschlaggebend ist, dass es ein eindeutiges Statement ist. Es muss gewährleistet sein, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich behandelt werden. Wir können uns nicht leisten, dass es einen Aufschrei in der Presse gibt, weil wir Janet Taylor mit Samthandschuhen anfassen, nur weil sie bei der Polizei ist.«

  »Dann ist es also Politik?«

  »Ist es doch immer, oder? Der Gerechtigkeit muss Genüge getan werden.«

  »Der Gerechtigkeit?«

  Whitaker hob die Augenbrauen. »Hören Sie«, sagte er. »Ich verstehe Ihre Gefühle; wirklich, tue ich. Aber laut eigener Aussage hat Janet Taylor Terence Payne mit Handschellen an ein Metallrohr gefesselt, nachdem sie ihn bereits überwältigt hatte, und hat ihn dann noch zweimal mit dem Knüppel geschlagen. Heftig. Überlegen Sie mal, Annie! Das ist Vorsatz. Das ist Mord.«

  »Das heißt nicht unbedingt, dass sie ihn töten wollte. Es war kein Vorsatz.«

  »Das müssen die Geschworenen entscheiden. Ein guter Staatsanwalt könnte behaupten, dass sie ganz genau wusste, wie die beiden nächsten Schläge auf den Kopf wirken würden, nachdem sie ihn vorher schon siebenmal geschlagen hatte.«

  »Ich glaube einfach nicht, was Sie da sagen«, sagte Annie.

  »Es tut niemandem mehr Leid als mir«, entgegnete Whitaker.

  »Höchstens Janet Taylor.«

  »Dann hätte sie Terence Payne nicht töten dürfen.«

  »Was wissen Sie denn schon? Sie waren ja nicht da, in dem Keller, wo der Kollege auf dem Boden verblutete und ein totes Mädchen gefesselt auf einer Matratze lag. Es waren ja nicht Sie, der nur wenige Sekunden hatte, um auf einen Mann zu reagieren, der mit einer Machete auf Sie losging. Das ist Schmierentheater! Reine Politik, mehr nicht.«

  »Beruhigen Sie sich, Annie!«, sagte Whitaker.

  Annie stand auf und ging mit verschränkten Armen auf und ab. »Warum? Ich will mich nicht beruhigen. Diese Frau ist durch die Hölle gegangen. Ich habe sie überredet, ihre Aussage zu ändern, weil ich dachte, es würde sich positiver für sie auswirken, als wenn sie behauptet, sie könne sich an nichts erinnern. Wie stehe ich denn jetzt da?«

  »Ist das Ihre einzige Sorge? Wie Sie dastehen?«

  »Natürlich nicht.« Annie ließ sich wieder auf den Stuhl sinken. Sie war wütend und aufgebracht, atmete stoßweise. »Aber ich stehe wie eine Lügnerin da. Es sieht aus, als hätte ich sie ausgetrickst. Das gefällt mir nicht.«

  »Sie haben nur Ihre Arbeit gemacht.«

  »Meine Arbeit gemacht. Die Befehlsempfängerin. Vielen Dank. Jetzt geht's mir wirklich besser.«

  »Hören Sie, Annie, vielleicht werden wir einen gewissen Spielraum haben, aber es muss zum Prozess kommen. Das muss offiziell werden. Einwandfrei. Hier wird nichts unter den Teppich gekehrt.«

  »Das hatte ich auch nicht vor. Was für einen Spielraum?«

  »Ich gehe mal nicht davon aus, dass Janet Taylor sich schuldig bekennt.«

  »Wohl kaum, und ich würde es ihr auch nicht raten.«

  »Ratschläge tun hier nichts zur Sache. Außerdem ist das nicht Ihre Aufgabe. Was glauben Sie, worauf sie plädiert?«

  »Auf entschuldbare Tötung.«

  »Es war keine Notwehr. Nicht, als sie einen Schritt zu weit gegangen ist und Payne noch zweimal einen verpasst hat, obwohl er nicht mehr in der Lage war, sich zu verteidigen oder sie erneut anzugreifen.«

  »Was dann?«

  »Totschlag im Affekt.«

  »Wie lange würde sie dafür bekommen?«

  »Zwischen achtzehn Monaten und drei Jahren.«

  »Das ist immer noch eine lange Zeit, besonders für einen Polizeibeamten im Knast.«

  »Aber weniger als John Hadleigh.«

  »Hadleigh hat ein Kind von hinten mit einem Gewehr erschossen.«

  »Janet Taylor hat einem wehrlosen Mann mit dem Knüppel auf den Kopf geprügelt, und daran ist er schließlich gestorben.«

  »Er war ein Serienmörder.«

  »Das hat sie damals nicht gewusst.«

  »Aber er ist mit einer Machete auf sie losgegangen!«

  »Nachdem sie ihn entwaffnet hatte, wandte sie mehr Zwang als notwendig an, um ihn zu überwältigen, und das hat seinen Tod herbeigeführt. Annie, es ist uninteressant, ob er ein Serienmörder war. Es wäre sogar scheißegal, wenn er Jack the Ripper gewesen wäre.«

  »Er hatte ihren Kollegen lebensbedrohlich verletzt. Sie war durcheinander.«

  »Nun, es freut mich wirklich zu hören, dass sie nicht ruhig und gefasst war, als sie es tat.«

  »Sie wissen, was ich meine. Sie brauchen nicht zynisch zu werden.«

  »Entschuldigung. Der Richter und die Geschworenen werden gewiss die Situation und ihren Zustand einbeziehen.«

  Annie seufzte. Ihr war schlecht. Sobald diese Farce vorbei war, würde sie sehen, dass sie nichts wie rauskam aus Interne Ermittlungen, zurück zur wahren Polizeiarbeit, Bösewichte schnappen.

  »Gut«, sagte sie. »Und jetzt?«

  »Sie wissen es doch, Annie. Fahren Sie zu Janet Taylor. Nehmen Sie sie fest, bringen Sie sie zum Revier und klagen Sie sie des Totschlags im Affekt an.«

 

»Da möchte Sie jemand sprechen, Sir.«

  Warum grinste der Constable mit dem Milchgesicht so anzüglich, der gerade den Kopf in Banks' provisorisches Büro in Millgarth steckte? »Wer ist es?«, fragte Banks.

  »Das sehen Sie sich besser selbst an, Sir.«

  »Kann sich nicht jemand anders darum kümmern?«

  »Sie hat ausdrücklich darum gebeten, denjenigen zu sprechen, der den Fall mit den vermissten Mädchen leitet, Sir. AC Hartnell ist beim Stellvertretenden in Wakefield, und DCI Blackstone ist außer Haus. Bleiben nur Sie, Sir.«

  Banks seufzte. »Na gut. Bringen Sie sie rein!«

  Wieder grinste der Constable anzüglich und verschwand. Das Grinsen blieb im Raum stehen, wie bei der Grinsekatze aus Alice im Wunderland. Kurz darauf sah Banks den Grund.

  Ganz sanft klopfte es an der Tür, dann wurde sie so langsam aufgeschoben, dass die Angeln quietschten, und schließlich stand die Frau vor ihm. Ein Meter fünfzig groß und dünn wie eine Bohnenstange. Das grelle Rot von Lippenstift und Nagellack stand im starken Kontrast zu der fast durchscheinenden Blässe ihrer Haut. Die zarten Gesichtszüge sahen aus wie Porzellan, das sorgfältig bemalt und auf ihren runden Kopf geklebt worden war. Sie hielt ein Handtäschchen aus Goldlamee umklammert und trug ein grellgrünes Oberteil, das direkt unter ihren Brüsten aufhörte, die trotz Push-up-BH klein waren. Das Top gab den Blick frei auf einen blassen, nackten Bauch und einen Ring im Bauchnabel. Dazu trug sie einen extrem kurzen Mini aus schwarzem Latex. Sie hatte keine Strumpfhose an, und ihre nackten Beine steckten in kniehohen Stiefeln mit klobigen Plateausohlen, in denen sie wie auf Stelzen ging. Ihr Gesicht verriet Angst und Nervosität, ihre erstaunlich schönen kobaltblauen Augen schweiften ruhelos durch das langweilige Büro.

  Banks hätte sie für eine heroinabhängige Prostituierte gehalten, konnte aber keine Einstichstellen in den Armen sehen. Dennoch konnte sie von irgendwas abhängig oder eine Prostituierte sein. Es gibt andere Möglichkeiten als die Spritze, um sich Drogen zu verabreichen. Kurz musste Banks an Emily, die Tochter des Polizeipräsidenten Riddle, denken, aber das verging schnell wieder. Die hier hatte mehr Ähnlichkeit mit den berühmten Models im Heroin-Chic, die vor ein paar Jahren en vogue gewesen waren.

  »Sind Sie das?«, fragte sie.

  »Was?«

  »Der Verantwortliche. Ich habe gefragt, wer hier verantwortlich ist.«

  »Ich. Für meine Sünden«, sagte Banks.

  »Was?«

  »Schon gut. Setzen Sie sich.« Langsam und argwöhnisch ließ sie sich nieder. Ihre Augen schossen ruhelos durchs Büro, als hätte sie Angst, es könne jemand auftauchen und sie an den Stuhl fesseln. Offenbar hatte es sie viel Überwindung gekostet, herzukommen. »Möchten Sie einen Tee oder Kaffee?«, fragte Banks.

  Das Angebot schien sie zu überraschen. »Ähm ... ja. Bitte. Kaffee wäre schön.«

  »Wie trinken Sie ihn?«

  »Was?«

  »Den Kaffee! Wie trinken Sie ihn?«

  »Mit Milch und ganz viel Zucker«, sagte sie, als sei ihr unbekannt, dass es noch andere Möglichkeiten gab.

  Banks bestellte am Telefon zwei Kaffee - einen schwarzen für sich - und wandte sich wieder der Frau zu. »Wie heißen Sie?«

  »Candy.«

  »Wirklich?«

  »Warum? Stimmt was nicht damit?«

  »Nein, nein, Candy. Waren Sie schon mal auf einem Polizeirevier?«

  Angst huschte über Candys zarte Züge. »Warum?«

  »Nur eine Frage. Sie scheinen sich hier ziemlich unwohl zu fühlen.«

  Sie brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Hm, tja ... kann schon sein. Vielleicht ein bisschen.«

  »Keine Angst. Ich fress Sie nicht auf.«

  Falsche Wortwahl, dachte Banks, als er ihren anzüglichen, wissenden Blick bemerkte. »Ich meine, ich tue Ihnen nichts«, verbesserte er sich.

  Der Kaffee kam, hereingebracht vom selben, immer noch grinsenden Constable. Banks behandelte ihn kurz angebunden, denn ihm missfiel die blasierte Arroganz, die das Grinsen verriet.

  »Gut, Candy«, sagte Banks nach dem ersten Schluck. »Möchten Sie mir sagen, um was es geht?«

  »Kann ich rauchen?« Sie öffnete die Handtasche.

  »Tut mir Leid«, erwiderte Banks. »Rauchen ist hier nicht gestattet; sonst würde ich eine mitrauchen.«

  »Können wir nicht nach draußen gehen?«

  »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre«, sagte Banks. »Fangen wir einfach an.«

  »Ich rauch nur wirklich gerne eine Ziggie zum Kaffee. Ich rauche immer beim Kaffeetrinken.«

  »Aber jetzt nicht. Warum sind Sie hergekommen, Candy?«

  Sie druckste noch etwas herum und machte ein eingeschnapptes Gesicht. Dann schloss sie die Handtasche und schlug die Beine übereinander. Dabei stieß sie mit der Plateausohle so heftig gegen den Tisch, dass Banks' Kaffee überschwappte und einen sich schnell ausbreitenden Fleck auf dem Papierstapel vor ihm hinterließ.

  »'tschuldigung«, sagte sie.

  »Schon gut.« Banks zog sein Taschentuch heraus und beseitigte den Fleck. »Sie wollten mir erzählen, warum Sie gekommen sind.«

  »Ja?«

  »Ja.«

  »Hm, also«, sagte Candy und beugte sich vor. »Zuerst mal müssen Sie mir Strafbefreiung garantieren oder wie das heißt. Sonst sag ich kein einziges Wort.«

  »Meinen Sie Straffreiheit?«

  Sie errötete. »Wenn das so heißt. Ich bin nicht groß zur Schule gegangen.«

  »Straffreiheit wovon?«

  »Vor Strafverfolgung.«

  »Aber wieso sollte ich Sie strafrechtlich verfolgen?«

  Ihre Augen blickten überall hin, nur nicht zu Banks. Mit den Händen knautschte sie die Tasche auf ihrem Schoß. »Wegen dem, was ich mache«, sagte sie. »Sie wissen schon ... mit Männern. Ich bin Prostituierte. Nutte.«

  »Donnerwetter«, antwortete Banks. »Da wär ich nicht drauf gekommen.«

  Sie schaute ihn an, und in ihren Augen glänzten Tränen der Wut. »Sie brauchen gar nicht so ironisch sein. Ich schäme mich nicht für das, was ich bin. Wenigstens geh ich nicht los und sperre unschuldige Leute ein und lasse die schuldigen laufen.«

  Banks kam sich wie ein Stück Scheiße vor. Manchmal kapierte er einfach nicht, wann er besser den Mund hielt. Mit seiner sarkastischen Bemerkung hatte er sich nicht besser benommen als der grinsende Constable. »Es tut mir Leid, Candy«, sagte er. »Aber ich bin ein viel beschäftigter Mann. Können wir zur Sache kommen? Wenn Sie mir irgendwas zu sagen haben, dann tun Sie es.«

  »Versprechen Sie es?«

  »Was verspreche ich?«

  »Dass Sie mich nicht einsperren.«

  »Ich sperre Sie nicht ein. Ehrenwort. Es sei denn, Sie wollen ein schlimmes Verbrechen gestehen.«

  Sie sprang auf. »Ich habe nichts getan!«

  »Schon gut. Schon gut. Setzen Sie sich. Bleiben Sie ruhig.«

  Langsam nahm sie wieder Platz, diesmal achtete sie auf ihre Absätze. »Ich bin hier, weil Sie sie laufen gelassen haben. Ich hab nichts für Bullen übrig. Aber ihr habt sie laufen lassen.«

  »Von wem reden Sie, Candy?«

  »Von diesem Pärchen aus der Zeitung, das die Mädchen entführt hat.«

  »Was ist mit denen?«

  »Es war nur, einmal... da haben sie ... wissen Sie ...«

  »Die haben Sie mitgenommen?«

  Sie senkte den Blick. »Ja.«

  »Beide?«

  »Ja.«

  »Wie lief das ab?«

  »Ich war einfach, na ja, auf der Straße, und die beiden kamen mit dem Auto an. Er hat verhandelt, und als wir uns einig waren, haben sie mich mitgenommen.«

  »Wann war das, Candy?«

  »Letzten Sommer.«

  »Können Sie sich an den Monat erinnern?«

  »August, glaube ich. Ende August. Jedenfalls war es warm.«

  Banks versuchte, den Zeitpunkt genauer zu berechnen. Die Vergewaltigungen in Seacroft hatten aufgehört, als die Paynes fortzogen, ungefähr ein Jahr vor Candys Erlebnis. Blieb ein Zeitraum von rund sechzehn Monaten, bis Payne Kelly Matthews entführte. Hatte er in der Zwischenzeit vielleicht versucht, seine Neigungen zu kanalisieren, indem er sich an Prostituierte hielt? Und welche Rolle hatte Lucy dabei gespielt?

  »Wo war das Haus?«

  »Auf The Hill. Es ist das Haus, das ständig in der Zeitung ist. Ich bin da gewesen.«

  »Gut. Wie lief das ab?«

  »Also, zuerst haben wir was getrunken und uns unterhalten. Ich sollte locker werden, denke ich. Ich fand sie eigentlich ganz nett.«

  »Und dann?«

  »Was glauben Sie wohl?«

  »Es wäre mir lieber, wenn Sie es erzählen.«

  »Er meinte, gehen wir nach oben.«

  »Nur Sie und er?«

  »Ja. Hab ich jedenfalls zuerst gedacht.«

  »Weiter!«

  »Also, wir sind hoch ins Schlafzimmer und ich ... na ja ... ich hab mich ausgezogen. Ähm, nicht ganz. Er wollte, dass ich ein paar Sachen anbehalte. Schmuck. Unterwäsche. Am Anfang wenigstens.«

  »Was geschah dann?«

  »Es war dunkel, man konnte nur Umrisse erkennen. Ich sollte mich aufs Bett legen, und eh ich mich versah, war sie auch dabei.«

  »Lucy Payne?«

  »Ja.«

  »Neben Ihnen beiden im Bett?«

  »Ja. Splitterfasernackt.«

  »Hat sie bei dem mitgemacht, was sexuell ablief?«

  »Und wie. Die wusste ganz genau, was sie tat, oh ja. Richtiges kleines Luder.«

  »Sie wurde zu nichts gezwungen, musste nichts Bestimmtes machen?«

  »Nein. Ganz und gar nicht. Sie hatte das Sagen. Und sie fand es toll. Sie hat sogar selbst was vorgeschlagen ... Sie wissen schon, was man noch machen könnte. Andere Stellungen.«

  »Haben die beiden Ihnen wehgetan?«

  »Nicht richtig. Ich meine, sie hatten so ihre Spielchen, aber sie wussten genau, wie weit sie gehen konnten.«

  »Was für Spielchen?«

  »Er hat gefragt, ob es mir was ausmachen würde, wenn er mich ans Bett fesselt. Er hat versprochen, dass sie mir nicht wehtun würden.«

  »Haben Sie es ihm erlaubt?«

  »Die beiden haben gut gezahlt.«

  »Und sie machten einen netten Eindruck.«

  »Genau.«

  Banks schüttelte staunend den Kopf. »Gut. Weiter bitte!«

  »Wagen Sie nicht, sich ein Urteil über mich zu bilden!«, sagte sie. »Sie wissen überhaupt nichts über mich und mein Leben, also halten Sie sich zurück!«

  »Gut«, sagte Banks. »Weiter, Candy! Die beiden fesselten Sie ans Bett.«

  »Sie hat was mit heißem Kerzenwachs gemacht. Hat mir was auf den Bauch getröpfelt. Und auf die Nippel. Tat ein bisschen weh, aber nicht sehr schlimm. Wissen Sie, was ich meine?«

  Banks hatte noch nie mit Kerzenwachs experimentiert, aber er hatte sich schon mehr als einmal Wachs auf die Hand geschüttet und kannte das Gefühl, die kurze, brennende Hitze und den Schmerz und dann das rasche Abkühlen, das Erstarren und Trocknen. Er wusste, wie Wachs in die Haut kniff und sie in Falten legte. Kein unbedingt unangenehmes Gefühl.

  »Hatten Sie Angst?«

  »Ein bisschen. Aber nicht richtig. Hab schon Schlimmeres erlebt. Aber die beiden waren ein Team. Deshalb bin ich hier. Deshalb hab ich mich gemeldet. Ich kann nicht glauben, dass Sie sie laufen gelassen haben.«

  »Wir haben keinen Beweis gegen sie vorliegen, keinen Beweis, dass sie etwas mit der Ermordung dieser Mädchen zu tun hat.«

  »Verstehen Sie das denn nicht?«, flehte Candy. »Sie ist genau wie er. Sie sind ein Team. Sie arbeiten zusammen. Machen alles zusammen.«

  »Candy, ich weiß, dass Sie bestimmt eine Menge Mut aufgebracht haben, um herzukommen und mit mir zu reden, aber was Sie gesagt haben, ändert nichts an den Tatsachen. Wir können nicht losgehen und sie verhaften, nur weil ...«

  »Nur weil eine Nutte irgendwas erzählt, wollen Sie sagen?«

  »Das wollte ich nicht sagen. Ich wollte sagen, dass wir nicht einfach losgehen und sie aufgrund der Indizien verhaften können, von denen Sie mir gerade erzählt haben. Sie waren einverstanden. Sie wurden für Ihre Dienste bezahlt. Die beiden haben Ihnen nicht über das Maß hinaus wehgetan, auf das Sie vorbereitet waren. Sie haben einen riskanten Beruf. Das wissen Sie, Candy.«

  »Aber was ich gesagt habe, ändert doch was, oder?«

  »Ja, es ändert was. Bei mir. Aber wir arbeiten mit Tatsachen, mit Beweisen. Ich zweifle nicht an Ihren Worten, dass es so war, aber selbst wenn wir es auf Video hätten, wäre Lucy deshalb; noch keine Mörderin.«

  Candy dachte kurz nach, dann sagte sie: »Sie hatten es aber. Auf Video.«

  »Woher wissen Sie das?«

  »Weil ich die Kamera gesehen habe. Die beiden dachten wohl, sie wäre gut hinter einer Trennwand versteckt, aber ich hab was gehört, so ein leises Surren, und als ich aufgestanden und zum Klo gegangen bin, hab ich eine Videokamera hinter einer Trennwand gesehen. In der Wand war ein Loch.«

  »Wir haben keine Videos im Haus gefunden, Candy. Aber wie gesagt, selbst wenn, würde das nichts ändern.« Tatsächlich fand es Banks spannend, dass Candy eine Videokamera gesehen hatte. Wieder fragte er sich, wo das Gerät war und wo sich die Kassetten befanden.

  »Also war alles umsonst? Dass ich hergekommen bin?«

  »Nicht unbedingt.«

  »Klar. Sie tun doch gar nichts. Sie ist genauso schuldig wie er, und Sie lassen sie davonkommen.«

  »Candy, wir haben keine Beweise gegen sie. Nur weil sie mit ihrem Mann und Ihnen einen flotten Dreier gemacht hat, ist sie noch keine Mörderin.«

  »Dann finden Sie einen Beweis.«

  Banks seufzte. »Warum sind Sie hergekommen?«, fragte er. »Jetzt mal ehrlich. Ihr Mädchen meldet euch doch nie freiwillig, um mit der Polizei zu sprechen.«

  »Was soll das heißen, ihr Mädchen? Sie bilden sich schon wieder ein Urteil über mich, stimmt's?«

  »Candy, Himmel noch mal... Sie sind eine Nutte. Das haben Sie selbst gesagt. Sie verkaufen Sex. Ich urteile nicht über Ihren Beruf, aber ich sage, dass die Mädchen, die ihn ausüben, nur selten der Polizei behilflich sind. Also, warum sind Sie hier?«

  Sie warf ihm einen verstohlenen Blick zu, der von so viel Humor und Intelligenz zeugte, dass Banks auf eine Kiste steigen und sie bekehren wollte, zur Uni zu gehen und einen Abschluss zu machen. Schnell änderte sich ihre Miene. »Sie haben Recht, was meinen Beruf angeht, wie Sie das nennen«, sagte sie traurig. »Er ist sehr riskant. Es gibt das Risiko, sich eine Geschlechtskrankheit einzufangen. Das Risiko, auf die falsche Sorte Freier zu treffen. Auf einen gemeinen. So was passiert uns ständig. Wir setzen uns damit auseinander. Die beiden damals waren nicht besser oder schlechter als andere. Besser als manche. Immerhin haben sie gezahlt.« Candy beugte sich vor. »Aber als ich in der Zeitung gelesen habe, was in dem Keller gefunden worden ist...« Sie schüttelte sich und zog die knochigen Schultern hoch. »Mädchen verschwinden«, fuhr sie fort. »Mädchen wie ich. Und keinen juckt es.«

  Banks wollte etwas sagen, aber sie fegte seinen Einwand zur Seite.

  »Klar, Sie wollen sagen, Sie kümmern sich drum. Sie wollen sagen, egal, wer vergewaltigt, geschlagen oder ermordet wird. Aber wenn es ein kleines Schulmädchen ist, dem keine Butter im Höschen schmilzt, dann setzen Sie Himmel und Erde in Bewegung, um herauszufinden, wer es getan hat. Wenn es eine wie mich trifft... tja ... sagen wir mal, wir haben nicht unbedingt oberste Priorität. Ja?«

  »Wenn das stimmt, Candy, dann gibt es Gründe dafür«, antwortete Banks. »Und es liegt nicht daran, dass es mir egal wäre. Denn es ist uns nicht egal.«

  Sie musterte ihn eine Weile und entschied offenbar zu seinen Gunsten. »Ihnen vielleicht nicht«, sagte sie. »Vielleicht sind Sie anders. Und vielleicht gibt es Gründe. Aber damit sind Sie nicht aus dem Schneider. Die Sache ist, warum ich gekommen bin und so ... nicht einfach dass Mädchen verschwinden. Mädchen sind wirklich verschwunden. Tja, eine insbesonders.«

  Banks spürte, wie sich die Haare in seinem Nacken aufrichteten. »Ein Mädchen, das Sie gekannt haben? Eine Freundin?«

  »Nicht unbedingt eine Freundin. In diesem Beruf hat man nicht viele Freundinnen. Aber ich hab sie gekannt, ja. Hab mit ihr rumgehangen. Mit ihr geredet. Einen getrunken. Ihr Geld geliehen.«

  »Wann war das?«

  »Weiß ich nicht mehr genau. Vor Weihnachten.«

  »Haben Sie Anzeige erstattet?«

  Ihr schneidender Blick ließ erkennen, dass er gerade beträchtlich in ihrer Achtung gesunken war. Seltsamerweise störte ihn das. »Hören Sie doch auf!«, sagte sie. »Die Mädchen kommen und gehen. Ziehen weiter. Hängen sogar manchmal den Beruf an den Nagel, haben genug Geld gespart, gehen zur Uni, machen einen Abschluss.«

  Banks merkte, dass er rot wurde, weil sie genau das aussprach, was ihm kurz zuvor durch den Kopf gegangen war. »Also, was spricht dafür, dass diese Vermisste nicht einfach auf und davon ist wie die anderen?«, fragte er.

  »Nichts«, entgegnete Candy. »Vielleicht ist es verlorene Liebesmüh.«

  »Aber?«

  »Aber Sie haben gesagt, dass es keine Beweise waren, was ich Ihnen eben erzählt habe.«

  »Stimmt.«

  »Es hat Sie aber zum Nachdenken gebracht, oder?«

  »Es hat mir zu denken gegeben, ja.«

  »Was wäre also, wenn dieses Mädchen nicht einfach weitergezogen ist? Was wäre, wenn wirklich was mit ihr passiert ist ? Finden Sie nicht, dass Sie das wenigstens mal überprüfen müssen? Man weiß ja nie, vielleicht finden Sie einen Beweis.«

  »Was Sie da erzählen, ergibt einen Sinn, Candy, aber haben Sie dieses Mädchen mal zusammen mit den Paynes gesehen?«

  »Nicht unbedingt mit denen, nein.«

  »Haben Sie die Paynes ungefähr zu der Zeit gesehen, als das Mädchen verschwunden ist?«

  »Ich hab die beiden hin und wieder gesehen, wenn sie die Straße entlanggefahren sind. Ich kann mich nicht an die genauen Tage erinnern.«

  »Aber es war zu der Zeit?«

  »Ja.«

  »Beide?«

  »Ja.«

  »Ich brauche einen Namen.«

  »Kein Problem. Ich weiß ihren Namen.«

  »Aber kein Name wie Candy.«

  »Was stört Sie an Candy?«

  »Ich glaube nicht, dass es Ihr richtiger Name ist.«

  »Na gut. Jetzt verstehe ich, warum Sie so ein wichtiger Bulle sind. Also gut, ist er nicht. Mein richtiger Name ist Hayley, und der ist noch schlimmer, wenn Sie mich fragen.«

  »Och, ich weiß nicht. Er ist gar nicht übel.«

  »Sparen Sie sich die Komplimente. Wissen Sie nicht, dass man uns Nutten keine Komplimente machen braucht?«

  »Ich wollte nicht ...«

  Sie lächelte. »Weiß ich doch.« Dann beugte sie sich vor und legte die Arme auf den Tisch. Das blasse Gesicht war dreißig, vierzig Zentimeter von Banks entfernt. Er konnte Kaugummi und Rauch in ihrem Atem riechen. »Aber dieses Mädchen, das verschwunden ist. Ich weiß ihren Namen. Ihr Künstlername war Anna, aber ich weiß ihren richtigen Namen. Was halten Sie davon, Mr. Detective?«

  »Ich glaube, wir kommen ins Geschäft«, sagte Banks und griff zu Block und Stift.

  Sie lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Oh nein. Erst mal rauche ich eine Zigarette.«

 

»Was ist jetzt noch?«, fragte Janet. »Ich hab meine Aussage doch schon geändert.«

  »Ich weiß«, sagte Annie. Ihr war übel. Zum Teil lag es an Janets stickiger Wohnung. »Ich hab mit dem Staatsanwalt gesprochen.«

  Janet goss sich reinen Gin aus einer fast leeren Flasche ein. »Und?«

  »Ich soll Sie verhaften und ins Präsidium bringen, um Anklage zu erheben.«

  »Aha. Was wird mir vorgeworfen?«

  Annie schwieg, holte tief Luft und sagte: »Der Staatsanwalt wollte zuerst, dass ich Sie des Mordes anklage, aber ich konnte ihn auf Totschlag im Affekt runterhandeln. Sie müssen mit ihm darüber reden, aber es wird bestimmt glimpflich für Sie ablaufen, wenn Sie sich schuldig bekennen.«

  Der Schock und die Wut, mit denen Annie gerechnet hatte, stellten sich nicht ein. Janet wickelte sich lediglich eine Haarsträhne um den Zeigefinger, runzelte die Stirn und trank einen Schluck Gin. »Das ist wegen dem Urteil von John Hadleigh, stimmt's? Ich hab's im Radio gehört.«

  Annie schluckte. »Ja.«

  »Hab ich mir gedacht. Ein Bauernopfer.«

  »Hören Sie«, sagte Annie, »wir können da was machen. Wie gesagt, die Staatsanwaltschaft wird wahrscheinlich einen Deal anbieten ...«

  Janet hob die Hand. »Nein.«

  »Was soll das heißen?«

  »Was haben Sie an >Nein< nicht verstanden?«

  »Janet...«

  »Nein. Wenn die Schweine Anklage gegen mich erheben wollen, dann bitte. Ich gönne denen nicht die Genugtuung und bekenne mich schuldig, nur weil ich meinen Job gemacht habe.«

  »Das ist jetzt nicht die Zeit für Spielchen, Janet.«

  »Wie kommen Sie darauf, dass das Spielchen sind? Ich meine es ernst. Ich werde mich nicht schuldig bekennen, ganz egal, was für eine Anklage erhoben wird.«

  Annie spürte eine Eiseskälte. »Janet, hören Sie mir zu! Das können Sie nicht machen.«

  Janet lachte. Sie sah schlecht aus, fand Annie: ungewaschenes, ungekämmtes Haar, teigige Haut voller Pickel, dazu eine Dunstwolke aus altem Schweiß und frischem Gin. »Reden Sie keinen Blödsinn«, sagte Janet. »Klar kann ich das. Die Leute wollen, dass wir unsere Arbeit machen, oder? Sie wollen sich nachts in ihren hübschen kleinen Spießerbetten sicher fühlen oder wenn sie morgens zur Arbeit fahren oder abends was trinken gehen. Etwa nicht? Na, dann werden sie jetzt erfahren, dass es was kostet, die Mörder von der Straße zu holen. Nein, Annie, ich werde mich nicht schuldig bekennen, nicht mal des Totschlags im Affekt.«

  Annie beugte sich vor, um dem Folgenden mehr Gewicht zu verleihen: »Denken Sie gut darüber nach, Janet! Es könnte eine der wichtigsten Entscheidungen Ihres Lebens sein.«

  »Glaub ich nicht. Die hab ich letzte Woche in dem Keller getroffen. Aber ich hab drüber nachgedacht. Seit einer Woche denke ich über nichts anderes nach.«

  »Sie sind also fest entschlossen?«

  »Ja.«

  »Glauben Sie, ich tu das gerne, Janet?«, fragte Annie, als sie sich erhob.

  Janet lächelte sie an. »Nein, natürlich nicht. Sie sind ein anständiger Mensch. Sie tun gerne das Richtige, und Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Sache zum Himmel stinkt. Aber wenn es hart auf hart kommt, machen Sie Ihren Job. Den verfluchten Job. Wissen Sie, ich bin fast froh, dass es so gekommen ist, dass ich aus dem Verein raus bin. Die verdammten Heuchler. Los, bringen wir's hinter uns!«

  »Janet Taylor, ich verhafte Sie wegen Mordes an Terence Payne. Sie haben das Recht zu schweigen. Wenn Sie sich vor Gericht auf etwas berufen, was Sie bei der Vernehmung nicht erwähnen, so kann das gegen Sie verwendet werden. Alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden.«

 

Als Annie vorschlug, sich nicht im Queen's Arms, sondern in einem anderen Pub auf ein Glas zu treffen, schöpfte Banks sofort Verdacht. Das Queen's Arms war ihre Stammkneipe. Da gingen sie immer auf ein Glas nach der Arbeit hin. Als sie ihm einen anderen Pub nannte, den Pied Piper, ein beliebter Touristentreff auf Castle Hill, begriff Banks, dass sie eine ernste Nachricht für ihn hatte. Das ging über eine belanglose Unterhaltung hinaus. Oder sie machte sich Sorgen, dass Detective Superintendent Chambers ihnen auf die Schliche gekommen war.

  Banks kam zehn Minuten zu früh, holte ein Pint an der Theke und setzte sich mit dem Rücken zur Wand an einen Tisch unweit des Fensters. Die Aussicht war atemberaubend. Die architektonischen Gärten waren ein purpurner, scharlachroter, indigoblauer Farbrausch, und auf der anderen Seite des Flusses verdeckten die großen Bäume auf der Dorfwiese fast vollständig die Sozialbausiedlung East End Estate, den Schandfleck. Banks konnte zwar ein paar von den furchtbaren Mietwohnungen erkennen, und die beiden zwölf Stockwerke hohen Türme stachen in den Himmel, als würden sie der Welt den Finger zeigen, aber es gelang ihm, sie zu ignorieren und die saftige Ebene mit den strahlend gelben Rapsfeldern zu bewundern. Er bildete sich sogar ein, in der Ferne die dunkelgrünen Buckel der Cleveland Hills ausmachen zu können.

  Jenny Füllers Haus an der Dorfwiese konnte man von hinten sehen. Manchmal machte er sich Sorgen um Jenny. Abgesehen von der Arbeit, schien in ihrem Leben nicht viel zu passieren. Gestern hatte sie einen Witz über ihre Beziehungen gemacht, aber Banks hatte ein paar davon miterlebt. Das war nicht lustig gewesen. Er erinnerte sich, wie schockiert, enttäuscht und - ja - eifersüchtig er vor einigen Jahren gewesen war, als er einen Loser namens Dennis Osmond aufgesucht hatte, um ihn zu vernehmen, und Jenny den Kopf aus dessen Schlafzimmer gesteckt hatte, das Haar durcheinander, lediglich einen dünnen Morgenmantel um die Schultern. Er hatte ihr zugehört, als sie sich über den untreuen Randy ausheulte. Immer wieder geriet Jenny an Loser, Schwindler oder schlicht ungeeignete Männer. Das Traurige war, dass sie es wusste, aber trotzdem nicht damit aufhörte.

  Annie kam eine Viertelstunde zu spät, was ihr gar nicht ähnlich sah, und ihr fehlte der sonst so federnde Gang. Nachdem sie sich etwas zu trinken geholt hatte, setzte sie sich zu Banks an den Tisch. Er merkte, dass sie aufgewühlt war.

  »Schlimmer Tag?«, fragte er.

  »Das kannst du wohl laut sagen.«

  Banks fand, seiner sei auch nicht berauschend gewesen. Auf Sandras Brief hätte er schon mal gut verzichten können. Und auch wenn Candys Informationen interessant waren, fehlte trotz allem - es war zum Verrücktwerden - der schlagende Beweis, den er brauchte, um Lucy Payne zur Strecke zu bringen und sie für etwas Schlimmeres als das Ansprechen von Prostituierten zu verhaften. Das war das Problem: die verschiedenen Erkenntnisse kamen tröpfchenweise herein - Lucys Kindheit, der satanische Hokuspokus in Alderthorpe, der Mord an Kathleen Murray und jetzt Candys Aussage. Das alles war beunruhigend und deutete auf ernstere Hintergründe, aber letztendlich kam nichts dabei heraus, wie AC Hartneil längst erkannt hatte.

  »Irgendwas Bestimmtes?«, fragte er.

  »Ich habe gerade Janet Taylor verhaftet.«

  »Lass mich raten. Das Hadleigh-Urteil.«

  »Ja. Kommt mir vor, als wüssten alle Bescheid, nur ich nicht. Die Staatsanwaltschaft will, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Alles nur beschissene Politik, mehr nicht.«

  »Ist oft so.«

  Annie sah ihn mürrisch an. »Das weiß ich, aber es hilft nicht.«

  »Die werden ihr einen Deal anbieten.«

  Annie erzählte, was Janet ihr gerade gesagt hatte.

  »Dann wird es wohl ein interessanter Prozess. Was hat Chambers gesagt?«

  »Dem ist das doch scheißegal. Der sitzt nur noch die Zeit ab, bis er in Pension geht. Ich bin fertig mit diesem Dezernat. Sobald es eine freie Stelle bei der Kripo gibt, komme ich zurück.«

  »Und wir würden uns freuen, wenn du so schnell wie möglich wieder bei uns wärst«, sagte Banks lächelnd.

  »Hör mal, Alan«, sagte Annie und schaute durch das Fenster auf die Landschaft. »Es gibt noch was, das ich mit dir besprechen wollte.«

  Wie er sich gedacht hatte. Er zündete sich eine Zigarette an. »Gut. Was denn?«

  »Es geht nur um ... keine Ahnung ... es funktioniert nicht. Mit uns beiden. Ich finde, wir sollten kürzer treten. Es ausklingen lassen. Mehr nicht.«

  »Du willst unsere Beziehung beenden?«

  »Nicht beenden. Nur den Schwerpunkt verlagern, sonst nichts. Wir können doch Freunde bleiben.«

  »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, Annie. Wie kommst du darauf?«

  »Einfach so.«

  »Ach, ich bitte dich! Du kannst nicht von mir erwarten, dir zu glauben, dass du mich einfach ohne ersichtlichen Grund abschießt.«

  »Ich schieße dich nicht ab. Hab ich doch schon gesagt. Es ändert sich nur.«

  »Aha. Werden wir weiterhin zusammen romantisch essen gehen, Galerien oder Konzerte besuchen?«

  »Nein.«

  »Werden wir weiterhin miteinander schlafen?«

  »Nein.«

  »Was genau werden wir dann zusammen machen?«

  »Freunde sein. Du weißt schon, auf der Arbeit. Uns gegenseitig helfen und so.«

  »Ich helfe dir jetzt auch schon und so. Warum kann ich dir nicht helfen und so und trotzdem mit dir schlafen?«

  »Es liegt nicht daran, dass es mir nicht gefallen würde, Alan. Mit dir zu schlafen. Der Sex. Das weißt du.«

  »Dachte ich jedenfalls. Vielleicht bist du auch nur eine verdammt gute Schauspielerin.«

  Annie zuckte zusammen und trank einen Schluck Bier. »Das ist gemein. Das habe ich nicht verdient. Es fällt mir nicht leicht, weißt du.«

  »Warum machst du es dann? Du weißt genau, dass das mit uns mehr ist als Sex.«

  »Weil ich muss.«

  »Nein, du musst gar nichts. Liegt es daran, worüber wir uns neulich abends unterhalten haben? Ich wollte damit nicht sagen, dass wir ein Kind bekommen sollen. Das wäre das Letzte, was ich im Moment will.«

  »Ich weiß. Daran liegt es nicht.«

  »Hat es was mit der Fehlgeburt zu tun und wie ich mich dabei gefühlt habe?«

  »Herrgott, nein. Vielleicht. Also gut, ich gebe zu, dass es mich getroffen hat, aber nicht so, wie du denkst.«

  »Wie denn?«

  Annie schwieg. Sichtlich unwohl, rutschte sie auf dem Stuhl herum, schaute weg, sprach mit leiser Stimme. »Es hat mich nur an Dinge erinnert, an die ich lieber nicht denken möchte. Mehr nicht.«

  »Was für Dinge?«

  »Musst du denn alles wissen?«

  »Annie, du bedeutest mir was. Deshalb frage ich.«

  Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, schaute ihn an und schüttelte den Kopf. »Nach der Vergewaltigung«, sagte sie, »vor über zwei Jahren, da ... ähm ... er hatte kein ... der es machte, der hatte kein ... Scheiße, das ist schwerer, als ich gedacht hab.«

  Langsam dämmerte es Banks. »Du bist schwanger geworden. Das willst du sagen, stimmt's? Darum geht dir die ganze Sache mit Sandra so nahe.«

  Annie lächelte dünn. »Sehr scharfsinnig von dir.« Sie berührte seine Hand und flüsterte: »Ja, ich war schwanger.«

  »Und?«

  Annie zuckte mit den Schultern. »Ich hab abgetrieben. Das war nicht meine größte Tat, aber auch nicht meine schlechteste. Ich hatte keine Schuldgefühle anschließend. Genau genommen, hatte ich so gut wie gar keine Gefühle. Aber das jetzt alles ... weiß nicht... ich will das einfach hinter mir lassen, aber wenn ich mit dir zusammen bin, kommt immer wieder alles hoch und stellt sich direkt vor meine Nase.«

  »Annie ...«

  »Nein. Lass mich ausreden. Du hast zu viel Ballast, Alan. Zu viel, als dass ich damit zurechtkommen würde. Ich dachte, es würde besser werden, würde vielleicht verschwinden, tut es aber nicht. Du kannst nicht loslassen. Du wirst niemals loslassen. Deine Ehe war so lange ein so großer Teil deines Lebens, dass du es nicht kannst. Du bist verletzt, und ich kann dich nicht trösten. Ich kann nicht gut trösten. Manchmal fühle ich mich von deinem Leben, deiner Vergangenheit, deinen Problemen einfach erdrückt, dann will ich nur noch abhauen und allein sein. Ich hab nicht genug Luft zum Atmen.«

  Banks drückte die Zigarette aus. Seine Hand zitterte leicht. »Ich hab nicht gewusst, dass es dir so geht.«

  »Na, deshalb erzähle ich es dir ja. Ich hab Schwierigkeiten, mich zu binden, mich emotional zu öffnen. Im Moment wenigstens noch. Vielleicht für immer. Keine Ahnung, aber es nimmt mir die Luft und macht mir Angst.«

  »Können wir nicht zusammen daran arbeiten?«

  »Ich will nicht dran arbeiten. Mir fehlt die Kraft dazu. Ich kann es im Moment nicht gebrauchen. Und das ist der zweite Grund.«

  »Was?«

  »Meine berufliche Laufbahn. Abgesehen von diesem Fiasko mit Janet Taylor liebe ich die Arbeit bei der Polizei, ob du's glaubst oder nicht, und ich bin gut darin.«

  »Ich weiß ...«

  »Nein, warte! Lass mich ausreden. Was wir getan haben, ist unprofessionell. Ich kann kaum glauben, dass nicht schon das halbe Präsidium weiß, was wir privat so treiben. Ich hab sie bereits hinter meinem Rücken kichern hören. Meine Kollegen bei der Kripo und in meinem Dezernat wissen es auf jeden Fall. Chambers hat, glaube ich, auch darauf angespielt, als er mich gewarnt hat, du wärst ein Schürzenjäger. Es würde mich nicht wundern, wenn McLaughlin auch Bescheid wüsste.«

  »Beziehungen auf der Arbeit sind nichts Ungewöhnliches, und verboten sind sie schon gar nicht.«

  »Das nicht, aber es wird nachdrücklich davon abgeraten und argwöhnisch beobachtet. Ich will Chief Inspector werden, Alan. Mensch, ich will Superintendent, Chief Constable werden. Wer weiß? Ich hab meinen Ehrgeiz wiederentdeckt.«

  Es war Ironie des Schicksals, dass Annie ihren Ehrgeiz gerade in dem Moment wiederentdeckte, als Banks an die Grenzen seines eigenen gestoßen war. »Und ich stehe dir dabei im Weg?«

  »Du stehst mir nicht im Weg. Du lenkst mich ab. Ich kann keine Ablenkung gebrauchen.«

  »Immer nur Arbeit und kein Vergnügen ...«

  »Dann bin ich jetzt eben langweilig. Mal was anderes.«

  »Das war's dann also? Einfach so? Aus und vorbei. Schluss. Weil ich ein Mensch bin und eine Vergangenheit habe, die manchmal ihren hässlichen Kopf erhebt, und weil du beschlossen hast, dich verstärkt um deine Karriere zu kümmern, deshalb treffen wir uns nicht mehr?«

  »Wenn du es so ausdrücken willst: ja.«

  »Wie soll man es denn sonst ausdrücken?«

  Annie trank schneller. Banks merkte, dass sie gehen wollte. Verflucht noch mal, er war gekränkt und sauer und wollte sie nicht einfach so davonkommen lassen.

  »Bist du sicher, dass es nicht noch was gibt?«, fragte er.

  »Was denn?«

  »Keine Ahnung. Du bist doch auf niemanden eifersüchtig, oder?«

  »Eifersüchtig? Auf wen denn? Warum sollte ich?«

  »Auf Jenny vielleicht?«

  »Oh, Himmel Herrgott noch mal, Alan. Nein, ich bin nicht eifersüchtig auf Jenny. Wenn ich auf jemanden eifersüchtig bin, dann auf Sandra. Verstehst du das nicht? Sie hat mehr Macht über dich als alle anderen.«

  »Das stimmt nicht. Nicht mehr.« Aber Banks fiel wieder der Brief ein und wie er sich gefühlt hatte, als er die kühlen, unpersönlichen Worte gelesen hatte. »Gibt es vielleicht einen anderen? Geht es darum?«, schob er schnell nach.

  »Alan, es gibt niemanden. Glaub mir. Das hab ich doch gerade gesagt. Ich habe in meinem Leben im Moment keinen Platz für einen anderen Menschen. Ich kann die emotionalen Ansprüche anderer nicht erfüllen.«

  »Was ist mit sexuellen Ansprüchen?«

  »Was meinst du damit?«

  »Es muss ja kein Sex mit Gefühlen sein, oder? Ich meine, wenn es zu anstrengend ist, mit jemandem zu schlafen, der ein bisschen was für dich übrig hat, dann wäre es ja vielleicht einfacher, in einer Kneipe irgendeinen Stecher anzumachen für eine schnelle anonyme Nummer. Ohne Ansprüche. Ihr müsst noch nicht mal wissen, wie ihr heißt. Willst du das?«

  »Alan, ich weiß nicht, worauf du hinauswillst, aber ich möchte jetzt gerne aufhören.«

  Banks rieb sich die Schläfen. »Ich bin einfach durcheinander, Annie, sonst nichts. Entschuldige. Ich hatte auch einen schlechten Tag.«

  »Das tut mir Leid. Ich will dir wirklich nicht wehtun.«

  Er sah ihr in die Augen. »Dann lass es. Mit wem auch immer du dich einlassen wirst, du musst dich den Dingen stellen, denen du aus dem Weg gehst.«

  Er sah die Tränen in ihren Augen. Bisher hatte er sie nur weinen sehen, als sie ihm von der Vergewaltigung erzählt hatte. Er wollte ihre Hand berühren, aber sie zog sie weg. »Nein. Nicht.«

  »Annie ...«

  »Nein.«

  Sie stand so abrupt auf, dass sie gegen den Tisch stieß und ihr Glas Banks auf den Schoß fiel. Dann eilte sie aus dem Pub, noch bevor er etwas sagen konnte. Er saß einfach da, die kalte Flüssigkeit sickerte in seine Hose und alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Er war froh, dass sie nicht im Queen's Arms waren, wo ihn jeder kannte. Und er hatte geglaubt, der Tag könnte nicht noch schlimmer werden.