3. KAPITEL

Xenia riss sich zusammen und kämpfte die aufsteigende Panik nieder. “Was … was machst du hier?”

Ihre Nervosität schien ihn zu belustigen. Seine grauen Augen blitzten unverkennbar amüsiert, als er gelassen antwortete: “Ich warte natürlich auf dich.”

“Hier und … so?” Ihre Stimme bebte vor Empörung. “Was, wenn ich nicht allein gekommen wäre? Wenn mich zum Beispiel meine Tante begleitet hätte?”

“Dann hättest du genau das erreicht, was du wolltest, oder nicht? Außerdem haben wir beide noch einiges zu besprechen, und ich brauchte unbedingt eine Dusche, deshalb fand ich es nur vernünftig, beides miteinander zu verbinden.”

Er schien sich in ihrer Suite tatsächlich so zu Hause zu fühlen, dass Xenia sich wie der Eindringling vorkam. “Du hättest in deiner Unterkunft duschen können”, sagte sie irritiert. “Und was das Reden betrifft: Ich wollte später sowieso noch zum Strand kommen.”

“Später wäre zu spät gewesen”, erwiderte er ungerührt. “Heute ist mein freier Nachmittag. Was meine Unterkunft angeht, glaubst du wirklich, dass das Hotelpersonal so luxuriös untergebracht ist wie die Gäste?”

Xenia schluckte. “Wie hast du mich überhaupt gefunden? Ich habe dir meinen Namen doch gar nicht genannt, und deinen weiß ich auch noch nicht.”

“Das war nicht so schwierig. Dein Großvater ist hier ein bekannter Mann.”

Xenia sah ihn erstaunt an. “Du kennst ihn?”

“Wäre es einem bloßen Saisonarbeiter überhaupt gestattet, einen Millionär zu ‘kennen’?”

Xenia ignorierte die spöttische Frage. “Wie heißt du eigentlich?”, erkundigte sie sich stattdessen. Täuschte sie sich, oder zögerte er länger als nötig mit der Antwort?

“Blaize”, sagte er schließlich.

“Blaize?”, wiederholte sie überrascht.

“Stimmt etwas nicht mit dem Namen?”, fragte er schroff.

Sie schüttelte den Kopf. “Nein, nein. Ich hatte nur einfach angenommen, dass du Südeuropäer wärst … Italiener, Grieche oder Spanier. Aber dein Name klingt so … englisch.”

“Meine Mutter stammte aus Cornwall”, lieferte Blaize ihr die nötige Erklärung und fügte ironisch hinzu: “Nach allem, was ich von ihr weiß, gehörten ihre Vorfahren zu einer Bande Strandräuber.”

Strandräuber. Piraten. Das passte zu seinem Äußeren und zu seiner verwegenen Ausstrahlung. Wurde den kornischen Strandräubern nicht nachgesagt, von den Galeonen der besiegten spanischen Armada nicht nur das Gold geraubt zu haben, sondern auch die edlen spanischen Damen, die in Begleitung ihrer Ehemänner segelten? Blaize. Der Name passte zu ihm.

“Nachdem wir uns nun vorgestellt sind, könnten wir uns vielleicht einigen praktischen Dingen zuwenden, die deinen Plan betreffen?”

“Ich will jetzt nicht darüber sprechen”, wehrte Xenia rasch ab. “Würdest du dich bitte anziehen und gehen?” Seine Anwesenheit in diesem überaus spärlich bekleideten Zustand machte sie zunehmend nervös.

“Was ist los?”, fragte Blaize aufhorchend. “Hast du deine Meinung geändert? Ist es deiner Familie vielleicht gelungen, dich zu überreden, eine Verbindung mit dem Mann, den man für dich gewählt hat, doch ins Auge zu fassen? Immerhin gibt es ja Schlimmeres als eine Heirat mit einem sehr reichen Mann.”

“Für mich nicht!”, widersprach Xenia scharf. “Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen als eine Heirat ohne Liebe”, fügte sie leidenschaftlich hinzu.

“Bist du schon jemals verliebt gewesen?” Blaize sah sie herausfordernd an und beantwortete seine Frage im nächsten Moment selber: “Nein, natürlich nicht, andernfalls …”

“Ob ich schon einmal verliebt war oder nicht, hat nichts mit unserer geschäftlichen Abmachung zu tun”, fiel Xenia ihm missbilligend ins Wort.

“Wann sollst du eigentlich Rashid vorgestellt werden?”

Sie zuckte die Schultern. “Keine Ahnung. Offiziell weiß ich ja noch gar nichts von den Plänen meines Großvaters. Meine Tante hat zwar einige diskrete Andeutungen über Rashid fallen lassen, wobei sie so tat, als wäre er nur ein Freund der Familie, der sich angeboten hätte, mir den Hotelkomplex zu zeigen, aber …” Sie bemerkte Blaizes fragenden Blick und fügte erklärend hinzu: “Anscheinend ist er nicht nur finanziell an der Anlage beteiligt, sondern auch an der Planung. Laut meiner Tante ist er nämlich Architekt.” Xenia gab sich Mühe, jegliche Bewunderung aus ihrer Stimme fernzuhalten.

“Und wann wird er dich herumführen?”

“Keine Ahnung. Soweit ich von meiner Tante weiß, ist Scheich Rashid gerade in einer geschäftlichen Angelegenheit verreist.”

“Und du hoffst natürlich, bis zu seiner Rückkehr deinem guten Ruf genügend Schaden zugefügt zu haben, dass du als Frau für ihn nicht mehr infrage kommst, ja? Schön, in dem Fall sollten wir keine Zeit verschwenden”, sagte Blaize energisch. “Gegenwärtig trifft sich hier in Zuran alles, was sehen und gesehen werden will, im ‘The Venue’, einem Restaurant in dieser Hotelanlage. Es kann einen Küchenchef mit Michelin-Stern vorweisen und einen separaten Musiksaal, wo die Gäste tanzen können. Ich denke, wir beide sollten dort heute Abend unseren ersten öffentlichen Auftritt machen. Abendkleidung ist vorgeschrieben, und der Einlass ist streng geregelt, aber da du ein Gast des Hotels und dazu eine Frau bist, dürfte das für uns kein Problem sein.”

“Das klingt ziemlich teuer”, meinte Xenia zweifelnd.

“Ist es auch”, bestätigte er. “Aber du hast mir doch gesagt, dass du auf Einladung deiner Familie und als deren Gast hier bist, und die Kosten für das Essen in allen Restaurants in der Anlage kannst du auf deine Zimmerrechnung schreiben lassen, also …”

“Nein! Auf keinen Fall!”, wehrte Xenia pikiert ab, was Blaize zu amüsieren schien.

“Und warum nicht? Du musst doch schließlich etwas essen, oder?”

“Ja, natürlich, aber ich kann unmöglich erwarten, dass meine Familie bezahlt, wenn ich …” Sie verstummte und suchte nach den passenden Worten.

Blaize winkte ungeduldig ab. “Entweder es war dir ernst mit diesem Plan, oder es war nur eine kindische Trotzreaktion, die du bereits bedauerst. In dem Fall verschwendest du nicht nur deine, sondern auch meine Zeit.”

“Es ist mir ernst”, fiel sie ihm ins Wort.

“Schön, hier in Zuran isst man spät. Wir treffen uns also um halb zehn unten im Foyer. Es sei denn, du möchtest, dass ich dich etwas früher hier in deiner Suite abhole, was uns Zeit geben würde …”

“Nein!”, unterbrach sie ihn errötend und ärgerte sich sehr über seinen amüsierten Blick.

“Der Inbegriff einer nervösen Jungfrau! Bist du wirklich noch eine?”

Ihre Wangen färbten sich noch dunkler. “Du hast kein Recht, mir eine derartige Frage zu stellen!”

Blaize schüttelte lachend der Kopf. “Wer hätte das gedacht? Jetzt hast du mich wirklich in Erstaunen versetzt! Eine nervöse Jungfrau, die in der Öffentlichkeit als leichtes Mädchen gelten will. Du willst diese Heirat wirklich um jeden Preis verhindern, stimmt’s?”

“Habe ich dir nicht gerade gesagt, dass ich nicht bereit bin, mein Privatleben mit dir zu diskutieren?”

“Obwohl du von mir erwartest, dass ich alle Welt davon überzeuge, dass ich Teil deines Privatlebens bin – ein sehr wesentlicher Teil sogar?”

Sein unmissverständlicher Blick ließ sie erstarren. Wie konnte dieser Surflehrer es wagen, sich über sie lustig zu machen? Irgendwie war es ihm gelungen, ihre Beziehung umzukehren, sodass jetzt er und nicht sie die Fäden in der Hand zu halten schien. Unwillkürlich jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken, und sie hatte die dumpfe Vorahnung, dass sie möglicherweise in der Gefahr stand, sich auf eine Situation einzulassen, die sie letztendlich nicht mehr würde kontrollieren können. Ehe sie jedoch weiter darüber nachdenken konnte, läutete es an der Tür ihrer Suite, und sie zuckte erschrocken zusammen.

“Schon gut”, meinte Blaize gelassen. “Das wird der Zimmerservice sein. Ich habe etwas zu essen bestellt.”

“Du hast was?” Xenia sah ihn entgeistert an. Im nächsten Moment läutete es erneut, und sie blickte zur Tür. “Du kannst doch nicht einfach …” Sie verstummte errötend, als ihr klar wurde, dass Blaize sie auslachte.

“He, ich glaube, das wird ein richtiger Spaß”, sagte er gut gelaunt. “Hast du eine Ahnung, wie reizvoll es ist, dich zu schockieren, Miss Etepetete?”

Immer noch lachend, beugte er sich vor, umfasste ihr Gesicht und küsste sie zart auf den Mund. Dann ließ er sie los und verschwand im Bad genau in dem Moment, als der Zimmerservice die Tür zur Suite öffnete und das bestellte Essen hereintrug.

“Na, Panik überstanden?”

Xenia drehte sich unwillkürlich zu Blaize um, als er wieder aus dem Bad kam. Er trug immer noch nur das Handtuch um die Hüften, hielt in einer Hand einen elektrischen Rasierapparat und strich sich mit der anderen über das jetzt glatt rasierte Kinn. Rasch wandte Xenia den Blick ab. Ihr Herz pochte. Was war nur mit ihr los?

“Mm, ich könnte mich daran gewöhnen”, bemerkte er nun anerkennend, als er den mit zahllosen Köstlichkeiten beladenen Servierwagen betrachtete. Dann wandte er sich zurück ins Bad und rief Xenia noch über die Schulter zu: “Gieß mir eine Tasse Kaffee ein, ja? Schwarz, ohne Zucker.”

Sie sollte ihm Kaffee eingießen? Wofür hielt der Kerl sich?

“Ach ja …” Er war auf der Schwelle zum Bad stehen geblieben und drehte sich um. “Ich habe bereits einen Tisch im ‘The Venue’ reservieren lassen. Wir hatten Glück, die waren praktisch schon ausgebucht. Bist du sicher, dass du die Dinge nicht abkürzen möchtest? Ich könnte einfach hier einziehen und …”

“Nein!”

Ihre heftige Ablehnung schien ihn im höchsten Maß zu amüsieren. Gelassen lehnte er sich gegen den Türrahmen und sagte spöttisch: “Weißt du, ich habe das Gefühl, es könnte mir richtig Spaß machen, diese Verführung Wirklichkeit werden zu lassen … wenn du es möchtest.”

“Nein!” Ihre grünen Augen funkelten warnend. “Niemals!”

“Ach ja, natürlich … ich hatte vergessen, dass du dich für den Mann deiner Träume aufhebst. Nun, pass auf, dass er sich nicht als Albtraum entpuppt! Ist das mein Kaffee?” Er war mit zwei Schritten bei ihr, um zu verhindern, dass die Tasse, die sie gerade einschenkte, überlief.

Wütend auf sich, weil sie tatsächlich seiner Auforderung gefolgt war und ihm Kaffee eingegossen hatte, nahm Xenia ihm die Tasse sofort wieder aus der Hand. “Nein, die ist für mich. Du kannst dir selber Kaffee einschenken.”

Gleichmütig langte er nach der Kaffeekanne, um sich zu bedienen, und Xenia blieb nichts anderes übrig, als den bitteren schwarzen Kaffee ohne Zucker, den sie für sich beansprucht hatte, auch zu trinken. Missmutig beobachtete sie, wie er sich mit sichtlichem Genuss über die Köstlichkeiten hermachte, die er bestellt hatte. So hatte sie sich das nicht vorgestellt, als sie sich mit ihrem Plan an ihn gewandt hatte. Sie hatte an einen offenen Flirt am Strand gedacht, an einige gemeinsame Ausflüge in aller Öffentlichkeit und vielleicht das eine oder andere gemeinsame Essen in einem Restaurant.

“Komm, setz dich, und iss auch etwas. Ich habe genug für uns beide bestellt”, lud Blaize sie unverfroren ein.

“Das sehe ich!”, erwiderte Xenia spitz. Auf keinen Fall würde sie zulassen, dass die Familie ihrer Mutter auch noch für die Kosten aufkam, die Blaize zusätzlich verursachte. Glücklicherweise hatte sie ihre Kreditkarte und genügend Travellerschecks dabei. Außerdem hatte ihr Patenonkel sie großzügig mit Geld versorgt, bevor er in den Fernen Osten abgereist war … vermutlich aus schlechtem Gewissen. “Müsstest du nicht eigentlich bei der Arbeit sein?”, wandte sie sich an Blaize.

“Keine Sorge.” Er winkte ab. “Mir stand sowieso noch Urlaub zu, also habe ich mir ein paar Tage freigenommen. Auf diese Weise kann ich dir ganz zur Verfügung stehen. Wenn unser Rashid gewillt ist, dich sozusagen unbesehen zu nehmen, dann wird es vermutlich ein hartes Stück Arbeit werden, ihn umzustimmen. Wir beide müssen also schon sehr überzeugend sein. Bist du sicher, dass ich nicht doch bei dir einziehen soll?”, fragte er mit einem wehmütigen Blick auf das große Bett.

“Ganz sicher”, antwortete Xenia mühsam beherrscht. “Und sobald du fertig gegessen hast, möchte ich, dass du dich anziehst und gehst.”

“Gehen? So bald? Ich dachte, wir könnten die Zeit nutzen und uns etwas besser kennenlernen.” Er warf einen Blick in ihr entsetztes Gesicht und lachte. “He, du musst aber noch viel besser werden, wenn du je irgendjemand davon überzeugen willst, dass wir beide eine Affäre miteinander haben.”

“Ich bezahle dich ja gerade deshalb, weil dein Ruf schlecht genug ist, um für uns beide überzeugend zu wirken”, entgegnete Xenia sofort kühl.

Xenia zuckte zusammen, als das Telefon in ihrer Suite läutete. Sie war fast fertig mit ihren Vorbereitungen für die abendliche Verabredung und trug einen eleganten Hosenanzug aus cremefarbenem Satin. Zögernd griff sie nach dem Telefon und atmete erleichtert auf, als sich ihre Tante Soraya am anderen Ende der Leitung meldete.

“Ich wollte dich schon früher anrufen”, sagte Soraya entschuldigend. “Ist alles in Ordnung? Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dich heute früh allein lassen zu müssen. Wenigstens geht es deinem Großvater etwas besser, obwohl der Arzt ihm immer noch Bettruhe verordnet hat. Er möchte dich so gern sehen, Xenia, und …”

Für Xenias Geschmack klang das wenig überzeugend. Aber sie hatte nicht vor, ebenfalls zu lügen und zu behaupten, auch sie könne es nicht erwarten, den alten Mann zu sehen. Augenblicklich hatte sie keine Ahnung, was genau er mit seiner Hinhaltetaktik erreichen wollte, außer sie derart zu isolieren, dass sie sich Scheich Rashid allein aus Dankbarkeit an den Hals werfen würde, weil er sie aus ihrer Einsamkeit befreite!

“Es ist so schade, dass meine eigene Familie, meine Schwestern und deren Kinder, im Moment verreist sind, sodass sich keiner richtig um dich kümmern kann”, fuhr ihre Tante fort. “Aber sobald Rashid zurück ist …”

“Mach dir meinetwegen keine Sorgen”, unterbrach Xenia sie rasch. “Ich kann mich gut selber beschäftigen. Und außerdem …” Sie zögerte, weil sie sich nicht sicher war, wie viel sie ihrer Tante schon andeuten sollte.

Doch Soraya war sowieso zu sehr mit ihren eigenen Überlegungen beschäftigt, um richtig zuzuhören. “Von der Hotelanlage aus werden einige begleitete Ausflüge angeboten, an denen du Spaß haben könntest, solange du auf Rashids Rückkehr wartest. Zum Beispiel ein Ausflug zum Gold-Souk. Oh … dein Großvater ruft nach mir. Ich muss leider Schluss machen.”

Als Xenia sich wieder dem Spiegel zuwandte, um den Lippenstift aufzutragen, bemerkte sie, dass ihre Hand leicht zitterte. Vor Wut, sagte sie sich sofort, und keineswegs weil sie die Vorstellung nervös machte, den Abend mit Blaize zu verbringen. Sie war wütend, weil sie spürte, dass ihre Tante nicht ganz ehrlich mit ihr war.

Wie mochte ihr Großvater aussehen? Aus den Beschreibungen ihrer Mutter und ihrem eigenen Eindruck von den stolzen Beduinen mit ihren langen, wallenden Roben, die sie im Hotel-Foyer gesehen hatte, versuchte Xenia, sich ein Bild von ihm zu machen. Typisch für diese Einheimischen waren der Bart und das scharfe Profil … und sie stellte sich zusätzlich vor, dass Abu Assad sie mit einem unnachgiebigen, ablehnenden Ausdruck betrachten würde, weil sie das Kind jener Ehe seiner Tochter war, die er vergeblich versucht hatte zu verhindern.

Es wollte Xenia einfach nicht in den Kopf, was einen liebenden Vater dazu bringen konnte, sich derart drastisch von seiner Tochter abzuwenden, dass nicht einmal mehr ihr Name in seiner Gegenwart ausgesprochen werden durfte, nur weil sie den Mann geheiratet hatte, den sie liebte. Nachdenklich betrachtete sie sich im Spiegel. Zu Hause in England kam sie sich des Öfteren exotisch und fremd vor – aber hier im Land ihrer Mutter fühlte sie sich merkwürdigerweise sehr keltisch. Ihre Mutter! Was würde sie vom Plan ihrer Tochter halten? Was würde sie von Blaize halten?

Xenia nahm ihre Abendtasche und hielt es für klüger, derart beunruhigende Gedanken erst gar nicht aufkommen zu lassen.

In der Hotellobby herrschte reger Betrieb. Vor dem Eingang zur Pianobar stand eine größere Gruppe exklusiv gekleideter Damen mit ihren männlichen Begleitern, und Xenia machte große Augen, als sie die funkelnden Juwelen der Frauen bemerkte. Sie selbst erntete einige abschätzende Blicke von den Damen und unverhohlen bewundernde von den Herren, während sie sich nach Blaize umsah.

“Da bist du ja! Ich wollte gerade nach oben kommen und dich abholen.”

Xenia drehte sich um und erstarrte überrascht. Blaize war unbemerkt hinter ihr aufgetaucht und trug einen maßgeschneiderten Abendanzug, der zweifellos ein kleines Vermögen gekostet haben musste. Kein Wunder, dass die mit Diamanten behangenen Damen vor der Pianobar ihn so lüstern begutachteten! Von dem Lohn eines Surflehrers konnte er sich eine derartige Kleidung unmöglich leisten, was bedeutete … Xenia beschlich ein unangenehmes Gefühl bei der Erkenntnis, dass sie vermutlich nicht die erste Frau war, die Blaize für seine “Dienste” bezahlte. Wobei sie natürlich etwas ganz anderes von ihm erwartete, als die Frauen es üblicherweise taten.

“Was ist los? Du siehst aus, als wäre dir eine Laus über die Leber gelaufen.”

Sein Scharfblick warnte sie, sich in Zukunft mehr im Griff zu haben. “Nein, nein, ich habe nur überlegt, was heute Abend wohl auf der Speisekarte steht”, antwortete sie betont gleichmütig. Heute Abend würde sie auf der Hut sein und keinen Zweifel daran lassen, dass sie beabsichtigte, die Zügel in der Hand zu halten!

“Du wirst feststellen, dass die Restaurants in Zuran heutzutage den internationalen Vergleich nicht scheuen müssen”, antwortete Blaize und nahm sie beim Arm, um sie durch das Foyer zu geleiten. Xenia unterdrückte den Wunsch, sich seinem Griff zu entziehen, denn schließlich war es ja Sinn und Zweck der ganzen Übung, sich mit ihm in aller Öffentlichkeit sehen zu lassen.

Anstatt sie jedoch wie erwartet zum Ausgang zu führen, geleitete Blaize sie zu den großen Glastüren, die einen direkten Zugang zu jenem Gartenhof bildeten, hinter dem sich das ausgedehnte Netz von Wasserkanälen erstreckte, das den gesamten Komplex durchzog.

“Ich dachte, wir würden zum Essen ausgehen”, sagte Xenia zögernd, als zwei Hotelangestellte in Livree ihnen die Türen aufhielten.

“Das werden wir auch”, versicherte Blaize ihr und schob sie hinaus. “Was ist los?”, fragte er dabei neckend. “Hast du gedacht, ich würde dich in den Hof entführen, um mir eine kleine private Übungsstunde zu gönnen, bevor wir uns in die Öffentlichkeit wagen?” Leise lachend zog er sie ein wenig näher an seine Seite, als sie in die warme Nacht hinaustraten. “Doch nicht in einem Garten, wo uns jedermann sehen kann … Nein, wenn das meine Absicht gewesen wäre, hätte ich uns einen viel ungestörteren Ort gesucht.”

“Wie zum Beispiel deine offizielle Unterkunft?”, warf Xenia spöttisch ein. Er sollte nicht meinen, dass sie sich von ihm beeindrucken ließ!

“Du erinnerst mich an eine kleine Katze, die stets in Abwehr die Krallen zeigt. Pass auf, dass ich nicht versucht werde, dir beizubringen, vor Vergnügen zu schnurren und deine Krallen nur in der Hitze der Leidenschaft zu benutzen!”

Xenia war froh, dass die Dunkelheit ihre geröteten Wangen verbarg. “Wir befinden uns noch nicht in der Öffentlichkeit. Du kannst dir deine Verführungskünste also aufheben, bis es so weit ist.”

Sie hatten den Garten jetzt fast durchquert und näherten sich dem Ufer des Kanals. Blaize winkte einem der Gondolieri, die dort in ihren Booten warteten.

“Dies ist vielleicht nicht der schnellste Weg zum Restaurant, aber bestimmt der entspannendste”, meinte Blaize vielsagend, als er Xenia in die Gondel half.

Ihr blieb nichts anderes übrig, als einzusteigen, wobei sie sich unwillkürlich fragte, ob man sich etwas Romantischeres vorstellen konnte. Eine ausgetüftelte Beleuchtung verwandelte die Ferienanlage bei Nacht in eine geheimnisvolle, zauberhafte Märchenwelt aus Tausendundeiner Nacht. Duftende Dunstwolken schwebten über ihren Köpfen, in der Ferne erhellte gerade ein farbenprächtiges Feuerwerk den Nachthimmel. Als die Gondel an dem Souk vorbeifuhr, zeigte ein Feuerschlucker vor staunendem Publikum seine Kunst, und Xenia beobachtete mit sehnsüchtigem Blick, wie einer der Händler seine Waren auf eine Kamelkarawane auflud.

Vielleicht das Einzige, was sie sich während ihres Aufenthalts in Zuran wirklich von ganzem Herzen wünschte, war ein Ausflug in die Wüste. Mochte ihre Tante ihr auch noch so sehr von Einkaufszentren und dem sagenhaften Gold- und Diamanten-Souk vorschwärmen, es war die Wüste, die Xenia lockte. Es schien ihr Schicksal, sie kennenzulernen.

Tief in Gedanken versunken, zuckte Xenia zusammen, als Blaize sie am Arm berührte. Die Gondel legte gerade an einem kunstvoll verzierten Landungssteg an, von dem aus ein roter Teppich auf ein Gebäude zuführte, das unverkennbar dem Pariser Baustil nachempfunden war. Vor dem Eingang des Restaurants standen bereits einige Leute in Abendkleidung.

Sie erstarrte in Ablehnung, als Blaize ihr die Hände um die Taille legte, um ihr aus der Gondel zu helfen. Dann beugte er sich vor und strich ihr auch noch mit einer vertraulichen Geste das Haar aus dem Gesicht. “Lass das!”, protestierte sie. “Die Frau, die deinen Anzug bezahlt hat, hat sich vielleicht gern in aller Öffentlichkeit begrapschen lassen, aber ich tue das nicht!”

Das eisige Funkeln in seinen Augen verriet ihr, dass sie zu weit gegangen war. “Zu deiner Information: Keine Frau hat mir jemals meine Kleidung bezahlt”, entgegnete er bedrohlich leise. “Und was das ‘Begrapschen’ angeht, sei froh, dass deine Unschuld dich vor den Konsequenzen einer solchen Bemerkung bewahrt. Fürs Erste jedenfalls!”

Ohne etwas darauf zu erwidern, drehte Xenia sich um und betrat mit hoch erhobenem Kopf den roten Teppich. Um nichts in der Welt hätte sie zugegeben, dass sie jetzt dankbar für Blaizes schützende Hand an ihrem Arm gewesen wäre, als sie langsam auf das Restaurant zuging und beobachtete, wie vor ihr die elegant gekleideten Gäste in beneidenswert selbstbewusster Haltung eintraten.

“Noch etwas Wein?”

Blaize sah sie fragend an, während der Ober dienstbeflissen in der Nähe des Tisches mit der Weinflasche wartete. Xenia schüttelte sofort den Kopf. Sie hatten soeben ein ausnehmend köstliches Mahl genossen, und bei jedem Bissen hatte sie sich an ihr erstes richtiges großes Essen in Paris erinnert, eine Geburtstagseinladung von ihren Eltern. Dieses Restaurant hier war vom Dekor und Ambiente bis hin zu den Duftkerzen auf den Tischen ein Spiegelbild der elegantesten Restaurants in Paris, und es hätte Xenia nicht verwundert, wenn man hier tatsächlich Französisch gesprochen hätte.

“Dann Kaffee?” Blaize gab dem Ober einen entsprechenden Hinweis, als sie nickte, und er zog sich zurück.

Den ganzen Abend schon spielte Blaize die Rolle des aufmerksamen und rücksichtsvollen Kavaliers, sodass Xenia sich nicht zum ersten Mal insgeheim warnte, nicht auf ihr eigenes Szenario hereinzufallen. Zweifellos hatte er in diesen Dingen mehr als reichlich Erfahrung! Während sie darauf wartete, dass der Kaffee serviert wurde, fiel ihr plötzlich auf, dass sie von einem Tisch in der Nähe, an dem drei Paare saßen, aufmerksam begutachtet wurde. Da in diesem Moment der Ober kam und den Kaffee servierte, wurde sie kurz abgelenkt. Doch als sie wieder aufblickte, hätte sie schwören können, dass Blaize kaum merklich warnend den Kopf schüttelte, als einer der drei Männer Anstalten machte, aufzustehen und an ihren Tisch zu kommen.

Sobald der Ober fort war, fragte sie: “Wer ist das?”

“Wen meinst du?”, erwiderte Blaize.

“Den Mann, den du gerade angesehen hast. Es sah aus, als wollte er an unseren Tisch kommen, aber du …”

“Ich habe niemanden angesehen”, fiel Blaize ihr ins Wort.

“Doch, das hast du!”, beharrte Xenia. “Ich habe ganz genau gesehen, wie du …”

“Du bildest dir das nur ein”, unterbrach er sie. “Welchen Mann meinst du? Zeig ihn mir.”

Xenia kam seiner Aufforderung ärgerlich nach, doch als Blaize den von ihr bezeichneten Mann ansah, begegnete der gleichmütig seinem Blick, bevor er sich wieder seinen Tischnachbarn zuwandte. Blaize lächelte Xenia spöttisch zu, die errötete. Offensichtlich hatte sie sich tatsächlich geirrt, aber sie gönnte ihm nicht die Genugtuung, dies einzugestehen.

“Vielleicht möchtest du ja tanzen, wenn du den Kaffee getrunken hast”, schlug Blaize nun vor. “Schließlich sollen wir ja als ein Liebespaar gelten, trotz deines jungfräulichen Gehabes.”

Xenia presste die Lippen zusammen. “Das genügt!”, sagte sie gereizt. “Von jetzt an werde ich dir jedes Mal, wenn du meine … meine … das Wort ‘Jungfrau’ erwähnst, fünf Pfund von deinem Honorar abziehen. Ich bezahle dich, damit du mir hilfst, einer Heirat zu entkommen, die ich nicht will, und nicht, um auf etwas herumzureiten, das mit unserer geschäftlichen Abmachung nicht das Geringste zu tun hat!”

“Ach nein? Da bin ich aber anderer Meinung”, widersprach Blaize sanft. “Ich soll den Eindruck schaffen, dass ich dich verführe. Wer wird das glauben, wenn du dich weiterhin gebärdest wie eine …”

“Fünf Pfund!”, warf Xenia warnend ein.

“Wie eine Frau, die keine Ahnung hat, wie es ist, Leidenschaft in den Armen eines Mannes zu erleben?”, vollendete er ungerührt seinen Satz.

Xenia trank schweigend ihren Kaffee aus, und Blaize winkte dem Ober. Sofort griff Xenia nach ihrer Handtasche und zog ihre Kreditkarte heraus.

“Was soll das?”, fragte Blaize schroff.

“Ich kann unmöglich zulassen, dass die Familie meiner Mutter für dieses Essen bezahlt. Das wäre unmoralisch.”

“Unmoralisch? Aber es ist nicht unmoralisch, sie glauben zu lassen, dass du mit mir schläfst … einem Mann, den du am Strand aufgegabelt hast?”

“Mein Körper gehört mir. Ich kann damit tun, was ich will”, erwiderte Xenia in gedämpftem Ton, als der Ober mit der Rechnung zurückkam. Ehe sie jedoch ihre Kreditkarte auf das Tablett legen konnte, hatte Blaize nach der Rechnung gegriffen.

“Ich kümmere mich darum”, sagte er kühl. “Du kannst es mir ja später zurückgeben.” Ohne einen weiteren Einwand zuzulassen, wandte er sich dem Ober zu, wechselte leise ein paar Worte mit ihm, die Xenia nicht verstehen konnte, und reichte dem Ober die Rechnung zurück, der sofort damit verschwand.

Als sie kurz darauf aufstanden und in den angrenzenden Tanzsaal gingen, hatte Xenia das Gefühl, dass alle sie beobachten würden. Aber sie war sicher nur überempfindlich. Und dass die Blicke der anwesenden Frauen Blaize folgten, war ja nichts Besonderes!

Auf der gedämpft beleuchteten Tanzfläche bewegten sich bereits einige Paare selbstvergessen zu der leisen, romantischen Musik. Xenia wich unwillkürlich zurück. Das war nicht Tanzen, sondern ein öffentliches Liebesspiel, und sie konnte auf keinen Fall zulassen, dass Blaize sie so in den Armen hielt!

Andererseits, warum nicht? Worin bestand die Gefahr? Blaize war doch überhaupt nicht ihr Typ, und sosehr er auch mit ihr flirtete, ihr war klar, dass er nichts für sie empfand. Sie waren hier, um einen ganz bestimmten Eindruck zu erwecken, und je eher das geschafft war, desto eher würde sie frei sein, um nach Hause zurückzukehren. Sie nahm also all ihren Mut zusammen und ließ sich von Blaize auf die Tanzfläche führen.

Einen Augenblick später hielt er sie in den Armen, drückte ihren Kopf an seine breite Schulter und ließ die Hand langsam ihren Rücken hinunter zu ihren wohl gerundeten Hüften gleiten. War sie vielleicht etwas zu vorschnell in ihrem Urteil gewesen, was die Beeinflussbarkeit ihrer Gefühle betraf? Dieser Mann war ein geübter Verführer!

“Entspann dich. Vergiss nicht, wir wollen als ein Liebespaar gelten.”

“Ich bin entspannt”, zischte sie ihm zu.

“Nein, das bist du nicht”, widersprach er. “Du hast eine panische Angst, dass ich so etwas tun könnte …” Bei diesen Worten ließ er seine Hand sacht in ihr Haar gleiten und liebkoste ihr Ohr mit den Lippen. Xenia erschauerte verräterisch. “Hast du eine Ahnung, wie sehr ich dich begehre?” Angesichts dieser zärtlich geflüsterten Worte blickte Xenia erstaunt auf, bis ihr einfiel, dass Blaize ja nur die Rolle spielte, für die sie ihn bezahlte. “Soll ich dich zurück ins Hotel begleiten und dir in deinem Zimmer zeigen, wie sehr? Soll ich deinen aufregenden Körper von allen Kleidungsstücken befreien und ihn küssen und streicheln, bevor wir …”

Xenia stockte der Atem, als er nach ihrer Hand griff und sagte: “Fühl selber, was du mir antust.” Ehe sie sich befreien konnte, drückte er schon ihre Hand an seinen Körper, sodass sie das heftige Pochen seines Herzens fühlen konnte. “Komm näher …” Er presste sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr: “Noch näher! So nahe, dass ich mir vorstellen kann, ich hielte dich nackt in den Armen …”

Xenia wusste, dass die Hitze, die in ihr aufwallte, nicht an der mangelnden Luft in dem Saal lag. Doch sie weigerte sich, darüber nachzudenken, was genau das sehnsüchtige Verlangen in ihr hervorrief, das sich ihrer Kontrolle zu entziehen drohte. Mit größter Mühe gelang es ihr, Blaize etwas fortzuschieben und aufzublicken. “Ich möchte gehen”, sagte sie heiser.

“Jetzt schon? Es ist doch erst kurz nach Mitternacht.”

Xenias Panik wuchs. Wenn er sie noch ein wenig länger so in den Armen hielt … sosehr ihre Vernunft ihr auch sagte, dass er nur eine Rolle spielte, ihr Körper schien den Unterschied zwischen Dichtung und Wahrheit nicht zu kennen. Sie reagierte, als würde sie ihn wirklich begehren! “Es war ein langer Tag, und meine Tante wird morgen vermutlich sehr früh anrufen, um mich über den Gesundheitszustand meines Großvaters auf dem Laufenden zu halten.”

“Ich dachte, du wärest nicht an seinem Gesundheitszustand interessiert.”

“Das bin ich auch nicht!”, sagte sie sofort. “Ich möchte lediglich …”

Blaize ließ sie los und sah sie forschend an. Xenia verspürte den unbändigen Wunsch, sich vor seinem Scharfblick zu verstecken, denn ihr wurde zunehmend klar, dass dieser Mann eine größere Gefahr für sie werden könnte, als sie sich eingestehen wollte.

Warum übte er diese starke Wirkung auf sie aus? Er war doch nicht der erste Mann, der sie je geküsst oder eng umschlungen mit ihr getanzt oder ein sexuelles Verlangen in ihr geweckt hatte! Auch wenn sie noch keinen wirklichen Liebhaber gehabt hatte, wusste sie doch, wie es war, sich zu jemand hingezogen zu fühlen. Wie jeder normale Teenager hatte sie für eine ganze Reihe von Idolen geschwärmt und auch einige Male geglaubt, unsterblich verliebt zu sein. Nun aber fühlte sie zum ersten Mal ein so leidenschaftliches Verlangen, dass sie Angst hatte, ihre Gefühle nicht kontrollieren zu können.

“Was möchtest du lediglich?”, hakte Blaize nach und riss sie damit aus ihren Gedanken.

“Darüber will ich nicht reden”, antwortete sie trotzig.

“Schön. Wenn du wirklich gehen möchtest und es nicht nur einfach eine Ausrede ist, um meinen Armen zu entfliehen, weil du Angst hast, es könnte dir bei mir zu gut gefallen …”

Xenia sah ihn wütend an. Wahrscheinlich wollte er sich nur über sie lustig machen. Denn er konnte doch unmöglich wissen, was sie fühlte, oder? “Das könnte mir nie passieren”, erwiderte sie bewusst von oben herab. “Ich hatte schon immer eine Abneigung gegen Massenaufläufe.”

“Und was genau soll das heißen?”, erkundigte er sich ruhig.

“Das soll heißen, dass du für meinen Geschmack schon zu viele Frauen in den Armen gehalten hast”, antwortete sie unverblümt.

Blaize zuckte die Schultern. “Ich bin vierunddreißig Jahre alt. Natürlich habe ich schon einige Beziehungen hinter mir.”

Fast hätte Xenia ihm gesagt, dass sie weniger die “Beziehungen” meinte, sondern vielmehr jene endlose Parade von Frauen, die sich bei ihm vermutlich die Klinke in die Hand gaben. Doch sie wandte sich einfach ab und ging zum Ausgang. Blaize holte sie an der Tür ein, die ihnen von Türstehern in Livree aufgehalten wurde. Als wären wir Mitglieder des Königshauses, dachte Xenia, als sie den roten Teppich betrat, der zum Parkplatz und zum Kanal führte.

“Ich möchte lieber mit einem Wagen zurückfahren”, sagte sie rasch. In ihrer gegenwärtigen verletzlichen Stimmung wäre ihr eine Mondscheinfahrt in der Gondel zu gefährlich gewesen. Überraschenderweise widersprach Blaize ihr nicht, sondern winkte einfach einen der Buggys herbei.

Als sie das Hotel erreichten, begleitete er sie allerdings hinein und rief den Aufzug. “Je öfter wir in der Öffentlichkeit als Paar gesehen werden, desto besser”, sagte er entschieden. “Deshalb sollten wir morgen in dieser Hinsicht einiges in Angriff nehmen. Es stehen da verschiedene Touristenausflüge zur Wahl, die wir gemeinsam unternehmen könnten.”

Xenia machte ein bedenkliches Gesicht. “Aber es ist doch sicher nicht genug, wenn wir von anderen Touristen gesehen werden. Wichtiger sind solche Leute, die auch mit Rashid bekannt sind.”

“Zuran ist ein kleines Land. Ich bezweifle nicht, dass ihm die Nachricht von unserer … Freundschaft schnell zu Ohren kommen wird”, antwortete Blaize, folgte ihr in den Aufzug und drückte auf den Knopf für ihre Etage.

“Du brauchst mich nicht nach oben zu begleiten”, protestierte Xenia, aber die Türen hatten sich bereits wieder geschlossen, und der Lift setzte sich in Bewegung.

“Wovor hast du eigentlich Angst?”, fragte Blaize spöttisch, als der Aufzug stoppte. “Dass ich dich küssen könnte oder dass ich es nicht tun könnte?”

“Keins von beidem!”, wehrte sie heftig ab.

“Lügnerin!”, sagte er neckend. “Du bist auch nur eine Frau, und du willst natürlich …”

“Ich will, dass du nicht vergisst, dass ich dich dafür bezahle, dass du in der Öffentlichkeit meinen Liebhaber spielst, mehr nicht!”, unterbrach sie ihn ärgerlich, blieb vor der Tür ihrer Suite stehen, kramte ihre Karte aus der Handtasche hervor und zog sie durch den Schlitz.

Sie hielt den Atem an, als Blaize die Tür aufstieß. Was sollte sie tun, wenn er darauf bestand, in ihr Zimmer zu kommen? Ihr Herz pochte heftig, und sie legte unwillkürlich eine Hand darüber, als könnte sie es so beruhigen. Sie trat ein, blieb stehen, ohne sich umzudrehen, und schloss die Augen. Blaize knipste hinter ihr das Licht an. Dann hörte sie das leise Klicken, als die Tür ins Schloss fiel. Sie riss die Augen auf und wirbelte herum, um Blaize zu sagen, dass er auf der Stelle ihre Suite verlassen solle … aber sie war allein. Blaize war gegangen. Er war ihr gar nicht ins Zimmer gefolgt, sondern hatte sie allein gelassen und die Tür hinter ihr zugezogen. Genau das hatte sie doch gewollt … oder nicht?