I

Das Schwert-Ritual

A.D. 424-425

 

Britannien brannte.

Artoria Argante zog sich den Schleier halb übers Gesicht, holte vorsichtig Luft und starrte in die Flammen. Sie versuchte sich einzureden, dass der Brand dieser einen Villa nicht die ganze Welt bedeutete, doch selbst die Sonne schien an einem schwelenden Himmel zu lodern, und blauer Rauch hing über den Hügeln. Ihre Base Madrun hustete qualvoll, dann zog sie sich die Kapuze, die das bronzebraune Haar bedeckte, tief ins Gesicht, als wollte sie den Anblick dessen aussperren, was einst ein blühendes Anwesen dargestellt hatte. Nun glich es nur noch einer schwelenden Ruine. Eine weitere Rauchsäule jenseits des Haselhains zeugte vom Schicksal des nächsten Gehöfts entlang der Straße.

»Herrin, Ihr müsst hier weg!« Junius Lupercus griff nach dem Zaumzeug ihres Pferdes. Die Stute begann unruhig zu tänzeln, als Argante sie zurückweichen ließ.

»Noch nicht.« Als Hauptmann ihrer Leibgarde erfüllte er nur seine Pflicht, doch er begriff nicht, weshalb sie es sehen musste.

Sie starrte auf die Toten, die auf der zertrampelten Erde verstreut lagen. Ihr am nächsten befand sich der Leichnam eines alten Mannes. Blut aus einer langen Schnittwunde am Kopf befleckte sein weißes Haar, doch selbst im Tod umklammerte er krampfhaft ein Legionärs-Breitschwert und einen Schild. Ein Veteran, dachte sie, der sich nahe der Feste niedergelassen hatte, die er einst verteidigte. Sie trieb die Stute vorwärts. Abermals trachtete Junius, sie aufzuhalten, doch sie hatte bereits erblickt, was er ihren Augen ersparen wollte.

Hinter dem Mann starrte ein kleines Mädchen, vermutlich seine Enkelin, blicklos in den Himmel. Über ihrer blutigen Hüfte lag der Leichnam eines rothaarigen Barbaren. Zumindest hatte der alte Soldat sie gerächt, bevor er selbst hingemetzelt wurde.

»Wer hat das getan?«, fragte Madrun mit zittriger Stimme und schob den Schleier zurück.

»Dalriadische Beutefahrer aus Hibernia«, erwiderte Junius grimmig und deutete auf einen blutbefleckten Streifen karierten Stoffes. »Gewiss sind sie bei Bremetennacum an Land gegangen und brandschatzend nordwärts gezogen.«

»Das ist da, wo wir dein Schiff getroffen haben«, stellte Argante fest, während ihr Blick von ihrer Base zum Leichnam des kleinen Mädchens und wieder zurück wanderte. Madrun nickte; ihre Augen weiteten sich, als sie begriff.

Der Hauptmann verzog das Gesicht. »Ihr hattet Glück, Herrin. Deren Schiffe bieten zwar keinerlei Annehmlichkeiten, aber sie sind flink und wendig. Das Boot, das Euch hergebracht hat, wäre hoffnungslos verloren gewesen, hätten sie es auf See erwischt.« Offensichtlich hatte er es aufgegeben, den beiden Frauen das Wissen um die Gefahr zu ersparen.

Madrun wurde, obschon kaum vorstellbar, noch blasser, und Argante schluckte. Das fahle Antlitz und die grauen Augen ihrer Base mussten ein Spiegelbild ihrer eigenen Züge sein. Barbarische Beutefahrer, ob von den Skoten oder den Stämmen Albas, die sich nie dem Joch der Römer unterworfen hatten, waren ein Bestandteil ihres Lebens gewesen, solange sie zurückdenken konnten. Aber für Argante, die ihre Erziehung unter den Priesterinnen der Insel der Maiden genossen, und für Madrun, die wohlbehütet am Hof ihres Vaters in Maridunum geweilt hatte, waren ihre Raubzüge nur schreckliche Geschichten gewesen.

Bis jetzt.

»Sie müssen bestraft werden!«, rief Argante aus. »Sie können kaum mehr als einen halben Tag Vorsprung haben! Verfolg sie, Junius!«

»Ich soll Euch schutzlos zurücklassen? Ich werde meinen Eid, die Herrin vom See zu beschützen, auf keinen Fall brechen, selbst auf ihren Befehl hin nicht. Kommt, Herrin, lasst mich Euch nach Hause bringen!« Er deutete gen Norden. »Hier können wir nichts ausrichten.«

Nach Hause… Sie spähte durch den Rauch, als könnte sie durch den schmutzig-grauen Schleier die grünen Berge erkennen, die sich dahinter erhoben. Kein Feind war je in jene Wälder und Felder vorgedrungen. Sogar die Römer hatten dort lediglich einen Vorposten errichtet, den sie alsbald wieder aufgaben. Sie schloss die Augen und rief sich den silbrigen See ins Gedächtnis; den See mit seinem Kreis schützender Anhöhen und die baumüberzogene Insel, die er hütete. Kein Beutefahrer würde je die Insel der Maiden entweihen. Dann schaute sie wieder zu Junius und schüttelte den Kopf.

»Diese Menschen haben darauf vertraut, dass wir sie verteidigen, und wir haben versagt. Ich werde sie auf keinen Fall so zurücklassen, dass die wilden Tiere sie zerreißen können.« Argante richtete sich im Sattel auf und hüllte sich in die Aura der Hohepriesterin, während sie ihm unverwandt in die Augen starrte. »Legt sie in die Asche ihres Heims und stapelt weiteres Holz darüber. Wenn es sie schon nicht mehr beschützen kann, dann soll es ihr Scheiterhaufen sein.«

Sie spürte seinen Widerstand, doch ihr Wille rang ihn nieder. Sogar Madrun, die das stille Kräftemessen beobachtete, beäugte sie unbehaglich, als könnte sie jenen unsichtbaren Mantel der Macht sehen, der ihre Base umgab. Was keine Überraschung wäre, dachte Argante. Madrun war zwar ungeschult, doch ihre Mütter waren Zwillinge gewesen. Der älteren der beiden Töchter oblag es, Herrin vom See zu werden und auf der Druideninsel die Familientradition weiterzuführen, während die jüngere mit Carmelidus, dem König von Maridunum, verheiratet worden war. Argantes Haar war röter, zudem war sie um sieben Jahre älter, dennoch sahen die beiden einander so ähnlich, dass man sie für Schwestern halten mochte. Sie wandte ihr Bewusstsein von den Resten des Zorns und der Furcht ab, die gleich Rauch in der Luft hingen, und richtete es stattdessen auf das Mädchen.

»Fürchte dich nicht«, sandte sie ihr besänftigend zu. »Die Übeltäter sind nicht mehr in der Nähe. Ich weiß es.« Zunächst spürte sie in Madrun Verblüffung, danach Erleichterung.

»Wie konnte dies geschehen?«, sprach ihre Base laut aus. »Wieso hat Gott es geschehen lassen?«

Natürlich, dachte Argante. Madrun war als Christin erzogen worden. Doch ihre Frage ging über Theologie hinaus.

»Gott oder die Götter?«, hakte sie verbittert nach. »Deine Geistlichen behaupten, solche Übel wären eine Strafe für unsere Sünden. Aber was immer der alte Mann verbrochen haben mag, ich kann nicht glauben, dass dieses kleine Mädchen einen solch grässlichen Tod verdient hat. Der Gott der Christen beschützt seine Gläubigen nicht, und die Götter der Römer sind mit den Legionen geflohen.«

»Zu wem willst du dann beten?«, rief Madrun aus. »Wer wird uns nun Gerechtigkeit gewähren?«

»Ich habe mich der Herrin vom See verschworen; sie verkörpert die Seele dieses Landes«, erwiderte Argante bedächtig. »Aber ich glaube, es ist an der Zeit, eine andere Macht zu wecken. Durch meinen Eid bin ich eine Priesterin der Göttin, doch durch mein Blut habe ich das Recht, den Gott im Schwert anzurufen. Zwar ist es gefährlich, dennoch will ich es wagen. Du besitzt dieses Recht ebenso wie ich, Madrun. Wirst du mir beistehen?«

Madrun starrte in die Flammen des Landhauses, in denen die Leiber der Menschen brannten, die hier gelebt hatten. Der Feuerschein verlieh ihren Wangen Farbe und widerspiegelte sich in den Tränen, die in ihren Augen glitzerten. Nach einer Weile schauderte sie und wandte sich wieder Argante zu.

»Ich wurde zwar in keiner der Künste unterwiesen, die du erlernt hast, aber ich hoffe, mein Mut ist dem deinen ebenbürtig. In Gottes Namen schwöre ich, dir beizustehen, Base, und alles in meiner Macht Stehende zu tun, um dabei zu helfen, unser Land zu verteidigen.«

Madrun streckte eine Hand aus, die Argante sogleich ergriff. Wo sie einander berührten, spürte sie ein Kribbeln, und dann jenen seltsamen Wandel des Bewusstseins, der jedes Mal einsetzte, wenn sie die Aufmerksamkeit auf die Götter richtete.

»Möge die Heilige Mutter uns segnen«, flüsterte sie und fühlte Madruns wortlose Zustimmung gleich einem Echo. »Möge sie Britannien segnen!«

 

Das Schwert ragte aufrecht aus dem Steinaltar. Manchmal, wenn ein Luftzug die Flammen der großen Fackeln zu beiden Seiten anfachte, fing sich ihr Licht darin und widerspiegelte sich als zuckendes Flackern auf dem Steinboden, als wäre etwas, das in dem Schwert lebte, kurzzeitig erwacht. Danach war es wieder nur blanker Stahl, der zu einem Drittel im Stein des Altars steckte.

Mit durch langes Üben erworbener Geduld stand Argante davor, reglos wie das Schwert selbst. Hinter ihr scharrten Schritte auf Granit, während die anderen hereinströmten, die schwarz gewandeten Priesterinnen mit offenen Haaren und die Mädchen, die sie unterwiesen, mit dick vermummten Köpfen, um sie vor der Macht zu schützen. Im Rücken spürte Argante den kalten Druck der zornigen Blicke Everdilas, als wollte die alte Priesterin ihren Streit durch bloße Willenskraft fortsetzen.

»Das dürft Ihr nicht tun! Eure Mutter war eine größere Priesterin, als Ihr es je sein werdet, und selbst sie hat nie gewagt, die Macht zu wecken, die in diesem Schwert schlummert! Wäre ich Hohepriesterin, ich würde Euch nie und nimmer gestatten, Euch und den Rest von uns einer solchen Gefahr auszusetzen!«

»Aber das seid Ihr nicht«, hatte Argante entgegnet. Nicht, weil sie die ältere Frau herausfordern wollte – aber als ihre Herrin starb, hatten die Priesterinnen die Tochter der Herrin auserkoren, sie zu leiten. »Und selbst wenn Ihr es wärt, bin ich durch meine Geburt Hüterin dieser Klinge!«

»Dann lasst wenigstens Eure Base aus dem Spiel. Wüsste ihr Vater darum, würde sein Zorn uns alle treffen!« Wodurch Everdila die Waffen streckte, auch wenn sie es nicht zugeben wollte.

»Madrun hat ein Recht, hier zu sein. Das Schwert wird sie erkennen und ihr keinen Schaden zufügen…«

Argante hoffte, es würde so sein, während sie die jüngere Frau musterte, die auf der anderen Seite des Steinaltars stand. So wie sie selbst trug auch Madrun rote Gewänder. Die Züge unter dem leuchtenden Haar wirkten verkniffen und angespannt, die Augen zuckten unbehaglich hin und her, sooft ein Neuankömmling das Haus des Schwertes betrat. Das Bauwerk bot kaum genug Platz für sie alle; es war ein Rundbau, nach althergebrachter Weise, jedoch aus einheimischem Granit anstatt aus lehmbeworfenem Flechtwerk. Die Wände waren niedrig, die Dachsparren hingegen trafen sich gut neun Meter über ihrem Kopf.

Argante sandte dem anderen Mädchen einen wortlosen Schwall Zuversicht. Madruns grauer Blick löste sich von dem Schwert und richtete sich auf ihre Base; sie versuchte zu lächeln.

Plötzlich verspürte die Priesterin Zweifel. Keine Zweifel am Mut ihrer Base, doch ihr wurde zunehmend die Verwundbarkeit des Mädchens bewusst. Andererseits brächte sie Madrun in eine peinliche Lage, wollte sie nun noch versuchen, sie auszuschließen. Zudem vermeinte Argante, der Gott im Schwert würde die Stimmen zweier Menschen, die dem Blut seiner Hüter entsprangen, deutlicher hören als nur eine.

So wie die Frauen den Raum betraten, bewegten sie sich andächtig weiter, und jenes ständige Kreisen im Sonnensinn verwandelte das Gefühl gespannter Erwartung, das Argante für gewöhnlich an diesem Ort verspürte, in ein Gefühl erregter Vorfreude. Diese Kammer bedurfte keines irdischen Schutzes. Vor fünf Jahrhunderten, als römische Legionen das Heiligtum auf der Insel Mona zerstört hatten und die letzten Vertreter der Druidenpriesterschaft nordwärts geflohen waren, war sie von Priesterinnen geheiligt worden, die mächtiger gewesen waren als alle, die Argante je kennen lernen würde.

Zu Lebzeiten ihrer Großmutter war dieser Ort mehr als eine bloße Ritualkammer geworden. Ihre Großmutter hatte ihnen das Schwert gebracht. Und was, fragte die Priesterin sich, würde ihnen das Schwert bringen? Fünfzig Jahre lang hatten es die Druiden der Insel der Maiden gehütet. Jedes Jahr hatten sie pflichtbewusst dem Gott gehuldigt, der darin hauste. Doch dieses Ritual war anders. Dies war das erste Mal, dass Argante es auf sich nahm, den Gott um Hilfe anzuflehen.

 

Die Fackeln flackerten wild, als die großen Türen geschlossen wurden. Nachdem sie sich beruhigt hatten, nickte die Priesterin Madrun zu, die sogleich begann, Kräuter aus einem Korb über die Glut in dem Kohlenbecken vor ihr zu streuen. Binnen weniger Lidschläge erfüllte ein durchdringender Duft den Raum. Gemächlich kräuselte sich Rauch zum Dach empor. Argante holte tief Luft und spürte das vertraute Aufwallen ihres Bewusstseins, als würde ihr gewöhnliches Ich beiseite geschoben, um dem Wesen der Priesterin die Herrschaft zu übergeben.

Madruns Blick wirkte bereits verschwommen. Die Priesterin lächelte ein wenig und sandte ihr Bewusstsein aus, bis es auf jenes der jüngeren Frau stieß, das gleich einem schimmernden Licht vor ihr prangte. Ein wenig weiter, und schon spürte sie den Geist ihrer Base in ihrem eigenen erwachen. Er kam zwar nicht der kraftvollen Unterstützung einer geübten Priesterin gleich, doch er fühlte sich vertraut an, als hätte sie soeben einen vergessenen Teil ihres Selbst wiedergefunden.

Langsam atmete sie aus, entspannte sich, lauschte dem einsetzenden Gesang der übrigen Frauen. Es war ein wortloser Gesang, der einzig aus Lauten bestand, die zu einer Brücke ansteigender Harmonien verschmolzen. Bedächtig hob sie die Arme, zog die Anwesenden in ihren Bann.

»Sehet das Schwert des Krieges!«, rief sie. »Götterstahl, Sternenstahl, der flammend aus dem Himmel stürzte, um sich in den Leib der Erde zu graben. Zauberstahl, geschmiedet von Kurdalagon, Meister der Magie der Sarmaten. Diese unzerbrechliche, unbeugsame und unsterbliche Klinge, die niemals rostet, die nie stumpf wird, lasset uns ehren!«

»Mit welchem Recht?«, hallte Everdilas Stimme aus dem Kreis, erfüllt von einer Inbrunst, die das rituelle Maß überstieg.

»Mit dem Recht der Geburt und des Blutes«, antworteten Argante und Madrun gemeinsam. »Wir sind die Enkelinnen der Rigantona, Tochter von Gutuator, die Hohepriesterin dieser heiligen Insel wurde, und von Artorius Hamicus Sarmaticus, dem letzten Priester dieses Schwertes. Seine Väter brachten es aus dem Land der königlichen Skythen, um es als heiliges Erbe zu hüten, bis es wieder von einem König geschwungen werde.«

»Und wann wird jener König kommen?«, fragte eine der anderen Priesterinnen.

»Der Gott des Schwertes wird einen König erschaffen, um ihm zu dienen, wenn sein Volk ihn am dringendsten braucht«, erwiderte Argante. »Und wer will bezweifeln, dass wir ihn jetzt brauchen? Die Adler sind ausgeflogen, und Britanniens Feinde bedrängen das Land von allen Seiten.« Einen Augenblick vermeinte sie, im Rauch aus dem Kohlenbecken den Gestank der brennenden Villa zu riechen, und der Atem blieb ihr in der Kehle stecken.

»So ist es«, ertönte die gemurmelte Zustimmung. »Ruft an den Gott des Schwertes, und wir werden uns seinem Willen unterwerfen.«

Madrun, die zuvor gewarnt worden war, schloss die Augen. Argante schluckte. Der nächste Teil widerstrebte ihr zutiefst, doch sie hatte gelernt, ihn zu erfüllen. Die hohen Götter verlangten keine Opfer, doch die Macht, die in dem Schwert lebte, stammte aus einer älteren Zeit. In einem Korbkäfig am Fuße des Steinaltars wartete ein roter Gockel, Sieger zahlreicher Wettstreite gegen andere Kampfhähne, die von den Männern gezüchtet wurden, deren Väter den Hadrianswall verteidigt hatten. Murmelnd bückte die Priesterin sich und öffnete den Verschlag des Käfigs.

Der Vogel glarte wild um sich, wehrte sich jedoch in keiner Weise, als sie ihn herauszog und emporhob. Ein gutes Zeichen, denn der zerzauste Kamm zeugte vom Kampfgeist des Gockels, und die Männer, die sonst mit diesen Vögeln arbeiteten, waren gewohnt, Handschuhe zu tragen, um sich vor den scharfen Schnäbeln und Krallen zu schützen.

»Nun denn, mein Krieger, halt still«, flüsterte sie, streichelte das Gefieder und spürte das heftige Pochen des Herzens unter ihrer Hand. »Dies ist ein edlerer Tod, als in der Hahnenkampfarena zu sterben. Du sollst unbesiegt vor den Gott treten.«

Die wachen Äuglein des Gockels hefteten sich auf die ihren, dann, ganz langsam, schlossen sie sich. Argantes eigene Augen brannten vor vermischtem Hochgefühl und Mitleid, und einen Lidschlag lang konnte sie sich nicht bewegen. Es käme einem Sakrileg gleich, hierbei zu versagen, aber schließlich hatte der Koch sie so lange Hühner für den Suppentopf töten lassen, bis sie es gnadenreich kurz und schmerzlos beherrschte, da er der Meinung war, niemand sollte Fleisch essen dürfen, der nicht bereit war, die Verantwortung für die Tat zu übernehmen, durch die sich lebendes Fleisch in Nahrung verwandelte. Argante holte kurz Luft, dann drehte sie dem Tier den Kragen um und hielt den zuckenden Leib fest, als das heiße Blut auf den grauen Stein spritzte.

Während das Blut floss, spürte sie, wie das Leben entwich, zunächst das Bewusstsein, danach die Kraft des Leibes, und schließlich setzte eine namenlose Veränderung ein, die den Hahn um mehr als das Gewicht seines Blutes leichter wirken ließ. Als der Vogel sich in ihren Händen in eine leblose Hülle verwandelte, begann der Steinaltar vor ihr zu pulsieren.

Sie legte den toten Hahn an den Fuß des Steins, richtete sich auf und hob die Hände. Madrun, die das Pulsieren der Macht spürte, schlug die Augen auf und tat es ihr gleich.

»Gott des Schwertes, Gott des Krieges, Gott der Gerechtigkeit, wir rufen dich an. Als Cocidius, den roten Fürsten, rufen wir dich an und als strahlenden Belutacadros, wie das Volk dieses Landes dich nannte, bevor die Römer kamen. Mars der Soldaten, erhöre uns, und vergib uns, dass wir deine weiteren Namen nicht kennen.« Sie streckte die Hände aus und schloss sie um den Griff des Schwertes; Madrun legte die ihren darüber.

Zwar hatte man Argante den geheimen Dreh beigebracht, mit dem man das Schwert zu ziehen vermochte, doch während eine Frau die Klinge hüten durfte, stand es ihr nicht zu, sie zu schwingen. Und fürwahr, als sie fühlte, wie die im Schwert gebündelte Kraft anschwoll, hätte sie es nicht gewagt. Allein es zu halten schien schwierig genug, und sie war froh über die Stärke von Madruns Händen, welche die ihren umschlossen.

»Erhöre uns!«, rief sie. »So wie du deine Diener in uralten Zeiten erhört hast. Gewähre uns eine Offenbarung! Zeig uns den Verteidiger, der diesem Land wieder Frieden bescheren wird!«

Sie spürte, wie Madruns Griff sich lockerte, löste eine Hand und hielt jene ihrer Base über der ihren fest. Die jüngere Frau hatte die Augen geschlossen; sie wankte, Krämpfe durchzuckten ihren Leib. Argante rang aufkeimende Panik nieder. Dies sollte nicht geschehen! Madruns Rolle bestand darin, sie zu unterstützen, ihre Kraft und ihr Verlangen dem Bewusstsein der Priesterin beizugeben, an die der Gott seine Worte richten würde.

Argante war närrisch gewesen zu glauben, ihre Base besäße keine Gabe, weil sie ungeschult war. Sie teilten dasselbe Blut, dieselben Fähigkeiten – und ohne das Wissen einer Priesterin besaß Madrun keinen Schutz gegen die Kraft, die in dem Schwert lebte.

Abermals bewegte sie sich; diesmal versuchte sie, Madruns Finger vom Griff der Waffe zu lösen. Doch das andere Mädchen umklammerte ihn nun so fest, dass es ihr misslang. Argante richtete sich auf und bemühte sich, gleichmäßig zu atmen, während Madrun zuckte und stöhnte.

»Belutacadros!«, rief sie, wobei sie die mildtätigste Erscheinungsform wählte, die sie kannte. »Wir haben dich angerufen und dir unsere Hochachtung erwiesen. Geh sorgsam um mit dieser Frau, der Tochter deiner einstigen Priester. Sprich durch sie, auf dass wir dich hören, und füge ihr keinen Schaden zu!«

Behutsam ließ sie das Schwert los, wich zurück und hob die Hände. Madrun zuckte und keuchte noch eine Weile, gleich einem Pferd, das sich gegen die Zügel auflehnt. Dann entwich die Anspannung ihrem Körper mit einem gedehnten Seufzer. Als das Mädchen wieder Luft holte, konnte Argante sehen, wie mit der Luft etwas anderes in sie strömte. Oder besser jemand anders, denn die Gestalt, die das Schwert hielt, stand plötzlich wie ein Krieger da, aufrecht und grimmig.

»Lange… lange ist es her, seit ich zuletzt im Fleische wandelte…« Die ersten Worte erklangen als Flüstern, dann festigte sich die Stimme. Sie ertönte tief, mit einem leicht kehligen Akzent.

Argante blinzelte, denn über der Gestalt ihrer Base erblickte sie, gleich einem Schleier, jene eines Mannes in einem Kettenhemd mit überlappenden Platten, die Züge halb unter einem Helm verborgen. Eine Weile schaute er sich in der Kammer um. Die Priesterinnen zuckten zusammen und neigten die Häupter, um seinem Blick auszuweichen. Zitternd zwang Argante sich, den eigenen Kopf hochzuhalten, und betete, sie möge den Mut besitzen, sich der Macht zu stellen, die sie heraufbeschworen hatte.

Schließlich heftete der dunkle Blick sich auf sie. »Warum hast du mich gerufen?«

»Mein Volk wird ausgelöscht, von allen Seiten bedrängt. Die Römer haben uns verboten, Waffen zu tragen, und nun haben sie uns aufgegeben. Schick uns einen Kriegsherrn.« Eine Weile musterte er sie, dann lachte er unvermittelt auf. Es war alles andere als ein tröstlicher Laut.

»Du hast um Krieg gebeten, und Krieg sollst du haben. Die Feinde, über die du dich nun beklagst, sind Knaben im Vergleich zu jenen, die nach ihnen kommen werden.«

»Was soll das heißen? Können wir denn gar nichts tun?«

»Ich bin ein Gott der Gerechtigkeit. Was du erflehst, sollst du erhalten. Wenn eure Anführer ehrenvoll handeln, besteht vielleicht noch Hoffnung, doch wenn Gier sie beherrscht, werden sie alles verlieren. Nicht ich bestimme dieses Schicksal; ich lese nur in den Herzen der Menschen und sage dir, was ich sehe.«

»Dann bitte ich dich, uns einen König zu bescheren, der ehrenvoll herrscht, der würdig ist, dieses Schwert zu schwingen!«

Eine lange Weile betrachtete er sie, und die Kraft seines Blickes zwang sie auf die Knie. »Er wird kommen«, erklärte er endlich mit sanfter Stimme. »Nicht aus deinem Leib, aber aus deinem Blut. Du wirst dich einem Mann anvermählen, der die Kunst des Krieges beherrscht und ein reines Herz besitzt und der geschworen hat, sein Blut für dieses Land zu vergießen. Er wird den Norden durch Waffengewalt verteidigen, du durch die Kraft des Geistes. Tigernissa, Königin, wirst du niemals werden, doch ich benenne dich Branwen, die Weiße Rabin Britanniens, die das verborgene Reich regiert. Den Willen dafür hast du. Ob du auch die Weisheit besitzt, bleibt abzuwarten. Nutze deine Macht mit Bedacht.«

Argante spürte, wie alle Farbe aus ihren Wangen wich und wieder zurückfloss.

»Und was ist mit meiner Base, deren Leib dir gerade dient? Welches Schicksal ist ihr vorherbestimmt? «

»Sie ist ein leeres Gefäß, das jede vorbeiziehende Macht zu füllen vermag. Eine wildere Macht als ich wird sich ihrer bemächtigen, doch du kannst sie nicht beschützen. Aber aus Wildheit wird Weisheit erwachsen, und das Kind, das sie austrägt, muss leben; denn durch seine Magie werdet ihr euren König erlangen.«

Abermals schaute er sich um, und als Argante seine Stimme durch die Kammer hallen hörte, begriff sie, dass seine vorigen Worte allein für ihre Ohren bestimmt gewesen waren.

»Erduldet, widersetzt Euch, begegnet Ehre mit Ehre, und aus eurem Kriegsherrn wird ein Friedenskönig werden, dessen Name fortbestehen wird, solange es dieses Land gibt.«

Sein Blick wanderte zurück zu dem Schwert, dessen Griff er bedauernd umfasste. Dann schloss er mit einem leisen Seufzer die Augen. Einen Moment lang war Argante nicht sicher, was sie sah. Dann stand dort nur noch Madrun, benommen und bleich, und in dem Augenblick, als Argante begriff, dass der Gott sie verlassen hatte, wankte das Mädchen und stürzte zu Boden.

 

Du wirst dich einem Mann anvermählen, der die Kunst des Krieges beherrscht und ein reines Herz besitzt und der geschworen hat, sein Blut für dieses Land zu vergießen.

Unter den wunderschönen Wimpern dachte Argante über den Gemahl nach, den der Schwertgott ihr beschert hatte. Zumindest ließ die Schnelligkeit, mit der die Eheverhandlungen abgeschlossen wurden, sie vermuten, dass es sich um das Werk eines Gottes handelte. Amlodius Licinus, Schutzherr von Brigantia, besaß die Größe seiner barbarischen Ahnen, der Stammeskrieger von der Nordküste Germaniens, die den Rhein überquert hatten, um in Roms Dienste einzutreten. Seine blasse Haut war von Wind und Wetter gerötet, sein helles Haar licht, als hätte es der Druck eines Helmes fortgescheuert. Seine harten Züge deuteten auf Entschlossenheit hin, doch ob ihm auch Freundlichkeit innewohnte, wusste sie noch nicht.

Für diejenigen, die den Ehevertrag ausgehandelt hatten, war dies unwichtig gewesen. Für sie zählte nur, dass er die letzte rechtmäßige, von Rom eingesetzte Regierung verkörperte. Amlodius selbst war bewusst, dass die Zeiten sich änderten, und er wollte im Norden eine dauerhafte Dynastie begründen, indem er sich mit dem ältesten Blut des Landes verbündete. Er würde Argantes Geburt achten, und selbst wenn nicht, war sie immer noch die Herrin vom See und wusste sich zu verteidigen.

Argante tunkte ein Stück Brot in die Fleischsauce und kaute bedächtig. Sie hatte eingehend über sämtliche Auswirkungen dieses Bündnisses nachgedacht. Amlodius brauchte ihre Verbindung zu diesem Land, und der Alte Glaube brauchte einen Beschützer. Die Ehe stand unter dem Segen der Götter. Der Tisch war übersät mit den Resten des Hochzeitsfestes; bald würde es an der Zeit sein, sich ins Schlafgemach zu begeben.

Erst jetzt, ob der bevorstehenden körperlichen Vereinigung mit ihrem neuen Gemahl, fragte sie sich, ob neben all den politischen Gründen, die sie verbanden, auch Platz für Liebe sein mochte.

Der große Saal, der einst als Basilika der römischen Friedensrichter von Luguvalium gedient hatte, war mit Girlanden geschmückt und von jenen bevölkert, die sich zu Ehren des Anlasses eingefunden hatten. Argante nahm an, sie sollte sich geschmeichelt fühlen, obschon die Gäste nicht allein gekommen waren, um sie zu ehren, sondern um Amlodius’ Gunst zu erringen.

Coroticus, der erst kürzlich die Herrschaft seines Großvaters über die Feste Dun Breatann in Altacluta erlangt hatte, war ein Platz am Hochtisch zugewiesen worden. Mit von Wein gerötetem Antlitz erging er sich in einem politischen Streitgespräch mit Vitalinus von Glevum. Es hieß, Vitalinus sei so verschlagen wie der Fuchs, aus dessen Pelz die Farbe seiner Haare stammen mochte. Antonius Donatus, Beschützer des Landes der Novantae, beobachtete die beiden mit sauertöpfischer Miene. Mittlerweile war er ein greiser Mann, der von Theodosius, dem letzten Herrscher des vereinigten Reiches, in sein Amt erhoben worden war. Den größten Teil seines langen Lebens hatte er gegen die Pikten und die Skoten gekämpft und mit angesehen, wie die Macht Roms aus Britannien floss wie Blut aus einer Wunde.

An einem der übrigen Tische saß ihre Base Madrun mit einigen der Gemahlinnen der Fürsten. Als hätte sie Argantes Blick gespürt, schaute Madrun auf und lächelte. Als Argante das Lächeln erwiderte, wurde ihr bewusst, dass die meisten Anwesenden Freunde ihres Gatten waren, nicht die ihren. Unvermittelt ertappte sie sich bei dem Wunsch, sich zu den anderen Frauen zu gesellen, und fragte sich, ob irgendjemand am Hochtisch sie vermissen würde, wenn sie es täte.

Aber dann müsste sie auch mit Everdila reden, die ihre Befriedigung nicht ganz zu verbergen vermochte. Argante blieb zwar Hohepriesterin und Herrin vom See, doch zumindest bis Amlodius sie geschwängert hatte, musste sie in Luguvalium verweilen, und abgesehen vom Titel würde in Wahrheit die ältere Frau über die Priesterinnen herrschen.

»Es heißt, Ambrosius läge im Sterben…«

Eine plötzliche Spannung in dem Mann neben ihr holte Argantes Aufmerksamkeit zurück. Es war Coroticus, der gesprochen hatte, doch alle Blicke ruhten auf Vitalinus.

»Wer wird das Purpur nach ihm tragen?«, mischte Argante sich ins Gespräch, da niemand sonst zu fragen bereit schien.

»Spielt das eine Rolle?«, entgegnete Coroticus. »Die Zeit der Kaiser ist vorbei. Es entsprach schon immer der Art unseres Volkes, dass jeder Stamm einen König wählt, so wie wir in Alba. Selbst in Britannien wurde die Befehlsgewalt Ambrosius’ und des Hauses Constantin nicht überall anerkannt, oder?« Abermals schaute er zu Vitalinus, und Argante besann sich, gehört zu haben, der Fürst von Glevum hätte sich Ambrosius so beharrlich widersetzt, dass beinahe ein Bürgerkrieg ausgebrochen wäre.

»Kaiser oder Oberherr, die Bezeichnung spielt keine Rolle«, meinte Vitalinus und schob seinen Teller von sich. »Aber irgendjemand muss die oberste Befehlsgewalt ausüben. Hätte unser Volk zusammengehalten, hätte Rom uns gar nicht erst erobert.« Er hob seinen Kelch an, stellte fest, dass er leer war, und stellte ihn wieder ab. Argante bedeutete einem der Dienstburschen, um den Tisch zu gehen und ihn aufzufüllen.

»Dem pflichte ich bei«, brummte Amlodius. »Britannien steht heute für mehr als nur die britischen Stämme, und die Pikten und Skoten bedrohen uns alle. Was nutzt es, wenn ich sie hier zurückschlage, wenn sie danach nordwärts ziehen und Euch, Coroticus, in der Feste von Dun Breatann angreifen? Wenn Wölfe eine Herde angreifen, trennen sie das schwächste Tier vom Rest und überwältigen es, aber wenn die anderen einen Verteidigungsring bilden, sind die Angreifer machtlos. Wir müssen zusammenhalten, oder sie werden uns Stück für Stück verschlingen.«

Es war die längste Wortfolge, die sie bislang von ihm gehört hatte, dachte Argante. Am Hof oder im Lager wusste er sich unmissverständlich auszudrücken. Sie würde ihm noch beibringen müssen, dass auch Frauen zu sinnvollen Unterhaltungen fähig waren.

»Genau was ich denke!« Dankbar musterte ihn Vitalinus.

»Vielleicht sind solche Maßnahmen im Süden erforderlich«, warf Coroticus ein, »wo es den Männern der Stämme seit Generationen verboten ist, Waffen zu tragen. Aber die Krieger des Nordens wissen noch, wie man ein Schwert handhabt, und wir brauchen keinen Kaiser, der mehr an Steuern erhebt, als der Feind an Beute raubt!«

Amlodius schüttelte den Kopf. »Es gibt sehr wohl starke Arme im Süden – Legionäre mit zwanzig Jahren Erfahrung, die sich nahe der alten Festungen niedergelassen haben. Sie sind zwar keine Briten, aber dies ist ihr Zuhause, und sie können ihre Fähigkeiten an die Söhne weitergeben, die sie in diesem Land gezeugt haben.«

»Wollt Ihr danach streben, Kaiser zu werden, wenn Ambrosius stirbt?«, wollte der alte Antonius Donatus wissen.

»Ich will es!«, antwortete Vitalinus, dessen Blick zu den anderen Männern wanderte. »Nicht Kaiser, aber doch der Erste unter den Königen. Werdet Ihr mich unterstützen?«

Amlodius nickte. »Das werde ich, sofern Ihr meine Herrschaft hier bestätigt…« Seine Augen suchten Argante, als hätte er sich soeben seiner zweiten Quelle der Befehlsgewalt besonnen.

»Ich wäre mit einem Bündnis einverstanden«, meinte Coroticus dazu, »aber mein Volk wurde nie vom Süden regiert und wird keinen Oberherrn anerkennen.«

Antonius Donatus nickte zustimmend. »Aber es sind nicht die Männer des Nordens, Vitalinus, die Ihr überzeugen müsst, dass es Not tut, sich gemeinsam zu verteidigen. Wir lieben unsere Unabhängigkeit, doch der piktische Wolf heult ständig vor unseren Toren. Vielmehr müsst Ihr die Menschen des südlichen Britannien davon überzeugen, die so lange in Frieden gelebt haben, dass sie sich kaum vorstellen können, jemand würde ihnen Böses wollen.«

»Ich werde sie überzeugen«, erwiderte Vitalinus nüchtern. »Und ich werde herrschen.«

Amlodius erhob feierlich seinen Kelch. Schweigen setzte ein, während die anderen die eigenen Becher leerten. Dann schaute Antonius Donatus zu Argante und lachte.

»Na, das sind ja feine Unterhaltungen für ein Hochzeitsfest! Mich wundert, dass Eure Gattin noch nicht eingeschlafen ist, während sie wartet, bis Ihr endlich auch ihr ein wenig Aufmerksamkeit schenkt.«

»Ich versichere Euch, ich bin keineswegs müde«, widersprach Argante scharf. »Erst vor ein paar Monaten habe ich die Ruinen gesehen, welche die Skoten hinter sich zurücklassen. Wir Frauen mögen zwar nicht zum Schwert greifen, doch wir können durch das Schwert sterben. Sollten uns die Pläne, die zu unserer Verteidigung geschmiedet werden, nicht ebenso betreffen wie Euch?«

»Holla, Ihr habt ja eine richtige Feuerstute geheiratet!«, lachte Coroticus. »Gebt Acht, dass Ihr nicht das Bett in Brand setzt!«

Belustigt beobachtete Argante, wie Röte Amlodius’ Hals und Ohren überzog.

Einige der anderen Gäste, die den Wortwechsel mit angehört hatten, begannen zu brüllen, es wäre an der Zeit, die Braut ins Schlafgemach zu geleiten. Argante spürte, wie ihr Hitze in die eigenen Wangen schoss, und fragte sich, ob ihr Antlitz wohl so rot wie ihr Schleier leuchtete. Everdila steuerte mit Madrun und den anderen Frauen im Gefolge auf sie zu.

»Wir geleiten die hohe Herrin in das Brautgemach«, verkündete sie feierlich, »und teilen Euch mit, wann sie bereit ist.«

Es ist wie ein Ritual, dachte Argante, als sie sich erhob. Sämtliche Entscheidungen waren getroffen worden; nun blieb nur noch die Zeremonie zu erfüllen. Wortlos ließ sie sich von den anderen Frauen aus dem Saal führen.

 

In ein Nachthemd gehüllt, saß Argante vor dem Kamin. Ihr hüftlanges Haar flutete gleich einem Schleier über ihre Schultern. Die anderen Frauen bereiteten emsig das Bett vor und rückten die Girlanden zurecht, mit denen sie die Kammer geschmückt hatten. Madrun zog die Bürste durch die letzte Haarsträhne, trat zurück und legte den Kopf schief, um ihr Werk zu bewundern.

»Sieh nur, wie es schimmert!« Madrun hob es an, sodass ihre Base es betrachten konnte. Argante nickte. Als Madrun die Locke zurücklegte, widerspiegelte sich darin das feurige Funkeln der Flammen im Kamin und erinnerte sie unverhofft an das Schwert.

»Herr, ich habe aufgrund deiner Worte in diese Ehe eingewilligt«, betete sie stumm, »gewähre du ihr deinen Segen…«

Madrun, die ihre Stille falsch auffasste, legte ihr eine Hand auf die Schulter.

»Argante, hast du Angst?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe die heiligen Riten der Göttin vollzogen und bin keine Jungfrau mehr. Es ist nur… dieses Leben wird ganz anders als alles, was ich bisher gekannt habe.«

Madrun seufzte. »Das gilt für uns alle. Früher habe ich davon geträumt, einer heiligen Schwesternschaft beizutreten, aber wenn das Geschöpf, das während des Schwertrituals zu dir gesprochen hat, ein göttliches Wesen und kein Dämon war, müssen wir die Kinder austragen, die Britannien braucht. Zweifellos wird mein Vater eine Vermählung für mich einfädeln, sobald ich nach Hause komme.«

»Wahrscheinlich.« Argante schaute zu ihrer Base auf und erblickte in ihren Zügen etwas Verwundbares, nachgerade Verhängnisvolles. Die anderen Frauen steuerten bereits auf die Tür zu. Von plötzlicher Zärtlichkeit erfüllt, ergriff sie die Hand des anderen Mädchens und küsste sie. »Danke, Madrun, dass du geblieben bist, um mir an diesem Tag beizustehen. Möge dein Gott dich segnen und auf der Heimreise behüten.«

Madrun hob Argantes Hand an die Wange und lächelte. »Und möge deine Gottheit deinen neuen Gemahl mit Liebe für dich erfüllen.« Abermals lächelte sie, diesmal brüchig, dann wandte sie sich um und folgte den anderen Frauen aus dem Gemach.

Argante blieb nur kurz alleine.

Ihr war, als sei kaum ein Lidschlag verstrichen, ehe die Tür neuerlich aufschwang und die Männer lachend und grölend Amlodius in die Kammer stießen.

»Und jetzt fort mit euch! Ihr habt gesehen, dass meine junge Frau und ich gemeinsam in der Brautkammer sind. Geht und betrinkt euch oder tut sonst was, aber lasst uns allein!«

Unter einer Salve anrüchiger Bemerkungen fiel die Tür ins Schloss. Amlodius holte tief Luft. Ein wenig der leuchtenden Röte wich aus seinen Zügen. Argante zog die Robe zu und erhob sich. Sie war eine große Frau, dennoch überragte er sie.

Er räusperte sich. »Wir haben noch nicht viel Zeit gehabt, einander kennen zu lernen, aber ich will versuchen, dir ein guter Mann zu sein. Wenn du etwas brauchst, musst du es mir nur sagen.«

Sie nickte. »Mehr als alles andere brauche ich, dass du mit mir sprichst. Ich habe über die Priesterinnen der Insel der Maiden geherrscht, so wie du hier über deine Krieger herrschst. Behandle mich nicht wie eine Frau, die nur ihre Spindel und ihren Herd kennt, Amlodius. So wie du diene auch ich diesem Land. Sind wir uns darin einig?« Argante setzte ab. »Du siehst mich an, als würdest du ein Schlachtfeld abschätzen.«

Belustigung funkelte in seinen blauen Augen, und als er mit einem Schulterzucken die Robe abschüttelte, sah sie, dass dies tatsächlich eine Schlacht und seine Streitmacht bereit war. Argante spürte, wie unter ihrer Haut langsam ein Feuer zum Leben erwachte.

»Dieses Bett ist unser Schlachtfeld, und du sollst meine Kampfgefährtin sein…«

Mit einem flinken Schritt überwältigte er sie; Argante ließ die eigene Robe zu Boden gleiten und bereitete sich auf das Gefecht vor.