Zweites Capitel

Gottes Strafgericht

Ganz droben im wilden Gebirge, nahe an der Grenze, stand auf einer kleinen Lichtung eine Hütte – Haus war es ja nicht zu nennen. Rohe, ungetünchte Mauern, kleine, enge Fenster, eine niedrige Thür, das Dach von Schindeln, dem Allem sah man es an, daß es keinen übermäßigen Reichthum berge.

Dennoch sah es nicht etwa gar zu ärmlich aus. Daran mochte vielleicht der dichte, undurchdringliche Buchenzaun schuld sein, welcher den anstoßenden Garten mehrere Ellen hoch einrahmte. Und dem Erbauer hatte es wohl auch nicht an einem gottesfürchtig heiteren Gemüth gefehlt, denn in dem oberen Querbalken der Thür waren die Worte eingegraben:

»Dies Häuschen steht in Gottes Hand,

D’rum ist’s auch noch nicht abgebrannt.«

 

Jetzt wohnte der Kohlenbrenner Hendschel mit seiner Frau darin – ganz allein, wie man in der Umgegend meinte; wer aber Gesicht und Gehör besaß, so scharf, daß es durch den Buchenzaun zu dringen vermochte, der hätte bald erfahren, daß es hier auch noch andere Leute gebe.

Die Sonne war untergegangen. Im freien Felde war es gewiß noch leidlich hell; hier aber unter den riesigen Tannen und Fichten lag bereits das Dunkel der Nacht ausgebreitet. In dem Stübchen erklangen blecherne Löffel – die Abendsuppe wurde verzehrt.

Drei Männer und eine Frau saßen am Tische. Der eine der Männer war der Köhler; die beiden anderen wohnten zu Gaste bei ihm.

Als die Suppe zu Ende war, griff der Köhler über die Thür, langte ein altes, abgegriffenes Buch herab und sagte: »Ist der Leib satt geworden, so soll auch die Seele nicht hungern. Mutter, lies den Abendsegen!«

Die Alte setzte die Hornbrille auf die Nase, schlug das Buch auf und begann:

 

»Der lieben Sonne Licht und Pracht

Hat nun den Lauf vollführet;

Die Welt hat sich zur Ruh gemacht;

Thu’, Seel’, was Dir gebühret!

Tritt an die Himmelsthür,

Und bring’ ein Lied herfür;

Laß Deine Augen, Herz und Sinn

Auf Jesum sein gerichtet hin!«

 

Der eine der beiden Gäste ließ ein Räuspern vernehmen, welches nicht zu der Stimmung der Alten paßte. Sie sah ihn forschend an und fragte: »Gefällt Ihnen das Lied nicht?«

»O, es ist sehr gut, sehr gut!« beeilte er sich zu antworten. Aber seine Stimme klang kalt, vielleicht sogar ein wenig spöttisch. Glücklicherweise bemerkte die Leserin dies nicht. Sie fuhr fort:

»Ihr Höllengeister, packet Euch!

Hier habt ihr nichts zu schaffen,

Dies Haus gehört in Jesu Reich;

Laßt es nur sicher schlafen!

Der verlorne Sohn
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