VIERTES KAPITEL

Eine Tänzerin

Die sechs Comanchen hatten unterdessen am Ufer der Bucht gesessen und die Rückkehr des Sekretärs erwartet. Die Küste bildete hier einen zwanzig Schritt breiten Sandstrich, an den der Wald stieß, gebildet von fieberatmenden Wurzelbäumen, die von einem dichten Lianennetz umschlungen waren.

Am Rand des Waldes weideten die Pferde, während die Comanchen hart am Wasser saßen. Ihr Anführer hatte sein neues Gewehr, das er von Alfonzo erhalten hatte, vorgenommen und betrachtete es mit den Augen eines Mannes, der sich freut, ein solches Eigentum zu besitzen.

Da schnaubte eines der Pferde, und er wandte den Kopf.

„Ugh!“ rief er erschrocken.

Dieses Wort war sein letztes gewesen, denn soeben blitzten vom Wald her zwei Schüsse auf, und er sank tot nieder. Der, der neben ihm gesessen hatte, streckte den Arm aus und legte sich langsam in den Sand; auch er hatte eine Kugel in den Kopf erhalten.

Die Comanchen sprangen empor. Da krachten abermals zwei Schüsse, und zwei andere stürzten nieder. Nun waren nur noch zwei übrig. Diese hatten ihre Büchsen schnell gefaßt und strengten nun ihre Augen an, um dort, wo der Pulverrauch sich kräuselte, den Feind zu erkennen, und kaum hatte der eine von ihnen bemerkt, daß sich hinter einem Baum etwas bewegte, so hob er das Gewehr empor, zielte und drückte ab.

Er hatte getroffen, denn sogleich rief es hinter dem Baum, nach dem der Comanche gezielt hatte: „Ugh!“

Es war ‚Büffelstirn‘, der dort stand. Er fuhr sich mit der Hand nach der Hüfte.

„Ist mein Bruder verwundet?“ fragte ihn ‚Bärenherz‘, der sich hinter dem nächsten Baum postiert hatte.

„Ja“, antwortete der Mixteka.

„Wo?“

„Hier an der Hüfte.“

„So mögen diese beiden Hunde der Comanchen schnell sterben!“

Im nächsten Augenblick schossen ‚Büffelstirn‘ und ‚Bärenherz‘ wieder, und die beiden Comanchen fielen.

„Ugh!“ sagte der Apache. „Nun lebt von diesen keiner mehr, um die Kunde nach ihren Weideplätzen zu bringen. Mein Bruder zeige mir seine Wunde!“

Es war ein Streifschuß, den ‚Büffelstirn‘ erhalten hatte, der zwar nicht gefährlich, aber doch sehr schmerzhaft war.

„Wir müssen schnell weiterreiten“, riet der Apache.

„Warum?“ fragte der Mixteka.

„Weil hier am Salzwasser nicht das Wundkraut wächst!“

„Wir werden morgen wohl welches finden. Jetzt aber wollen wir uns die Toten betrachten.“

Damit traten sie aus dem Wald hervor und nahmen den Comanchen die Skalpe.

„Jeder hat zwei Büchsen!“ versetzte der Apache verwundert.

„Eine alte und eine neue!“

„Von wem mögen sie die gestohlen haben?“

„Die Gewehre sind nicht gestohlen. Sie haben sie von dem Grafen dafür erhalten, daß sie ihn begleiteten.“

„Wir nehmen sie ihnen.“

„Oh“, rief ‚Büffelstirn‘, „sie haben auch noch anderes erhalten, was wir gebrauchen können. Wir nehmen ihnen alles. Mein Bruder hole unsere Pferde herbei.“

Der Apache ging und brachte nach einiger Zeit ihre Pferde, die sie versteckt hatten.

„Was tun wir mit den Tieren?“ fragte ‚Bärenherz‘.

„Eines nehmen wir.“

„Wozu?“

„Es soll alles tragen, was wir diesen Comanchen wegnehmen. Aber wo ist der Weiße, der bei ihnen war?“

‚Büffelstirn‘ betrachtete den Rand der Küste und antwortete, auf die weiche Erde deutend:

„Erblickt mein Bruder nicht die Spur eines Bootes, das hier gewesen ist?“

„Ja, es war kein Kanu, sondern ein Boot, wie es die Schiffe der Bleichgesichter haben“, antwortete der Apache, nachdem er den Eindruck untersucht hatte, den das Boot zurückgelassen hatte.

„Der Weiße ist nach einem der Schiffe gefahren, die im Hafen liegen.“

„Er hat den Korb mitgenommen, den wir gesehen haben.“

„Wird er zurückkehren?“

„Danach brauchen wir nicht zu fragen“, sagte der Apache. „Er ist der Schreiber des Grafen; er hat uns nichts getan, wir haben keine Blutrache mit ihm und werden ihm nichts tun.“

„Mein Bruder hat recht“, antwortete der Mixteka. „Wir werden ihm nur die Pferde nehmen, damit wir vor ihm nach Mexiko kommen und er den Grafen nicht warnen kann.“

Damit zog er das Messer und stieß es einem der Pferde nach dem anderen in das Herz. Es war dies eine Grausamkeit, die aber einen triftigen Grund in seiner indianischen Vorsichtigkeit hatte.

Sie bepackten nun dasjenige Pferd, dem sie das Leben geschenkt hatten, mit den vorgefundenen Waffen und anderen Gegenständen, stiegen dann auf ihre Tiere und ritten davon, indem sie sich gar keine Mühe gaben, die skalpierten Leichen der Comanchen zu verbergen.

Gerade um dieselbe Zeit war es, da Pablo Cortejo vom Schiff zurückkehrte. Er war durch die Stadt gegangen und schlenderte längs des Waldes am Strand dahin, als er nahenden Hufschlag vernahm. Rasch versteckte er sich in den Büschen und erblickte die beiden Häuptlinge, die an seinem Versteck vorbeiritten.

Sie waren noch nicht zehn Schritte vorbei, so hielt der Apache sein Pferd an.

„Uff!“ rief er, auf den Boden deutend.

Auch ‚Büffelstirn‘ bückte sich von seinem Pferd herab und erblickte die frische Fußspur Cortejos. Ein anderer hätte sie unmöglich sehen können, aber die Augen dieser beiden Häuptlinge waren so scharf geübt, daß kein solcher Fußabdruck ihnen entgehen konnte.

„Ein Weißer!“ sagte der Mixteka, indem er zur Büchse griff.

Der Apache blickte umher und war mit einem raschen Sprung vom Pferd. Er hatte nur einen Zweig sich leise bewegen sehen, stand aber bereits im nächsten Augenblick vor Cortejo, der vor Schreck völlig erstarrt war und keinen Versuch zur Flucht machte. ‚Bärenherz‘ zog ihn hervor.

Sie erkannten ihn sofort, denn sie waren ihm von Mexiko bis hierher unablässig gefolgt und konnten sich also gar nicht täuschen. Dennoch fragte ‚Büffelstirn‘:

„Wer bist du?“

„Ich bin aus Mexiko“, antwortete der Gefragte angstvoll.

„Ich habe gefragt, wer du bist!“

„Ich bin der Sekretär des Grafen de Rodriganda.“

„Und wie heißt du?“

„Pablo Cortejo.“

„Wir kennen dich. Wenn du nicht besser bist als dein Graf, so werden wir uns einst deinen Skalp holen. Kennst du uns?“

„Nein.“

„Ich bin ‚Büffelstirn‘, der Häuptling der Mixtekas, und dieser ist ‚Bärenherz‘, der Häuptling der Apachen. Wenn du nach Mexiko kommst, haben wir bereits mit deinem Grafen gesprochen. Er soll uns Rede stehen über die Hacienda del Erina. Warum versteckst du dich?“

„Ich wußte nicht, wer kam.“

„Uff! So hast du ein böses Gewissen. Du suchst deine Freunde, die Comanchen?“

„Ja.“

„Du wirst sie finden. Es waren die letzten der Hunde, die die Hacienda überfielen. Sie werden die ewigen Jagdgründe der tapferen Toten niemals sehen. Ugh!“

Hierauf ritten die Indianer weiter und ließen den Sekretär unbeschädigt stehen. Dieser blickte ihnen nach, bis er sie nicht mehr zu sehen vermochte, und nun erst verlor sich sein Schreck.

„Sie haben ein Pferd von uns und die Waffen der Comanchen. Was ist geschehen?“ fragte er sich. „Es sind die beiden berühmten Häuptlinge, von denen Alfonzo mir erzählt hat. Alle Wetter, die sind den Comanchen gefolgt, um sich an ihnen zu rächen, und sie wollen auch nach Mexiko zu Alfonzo. Ich muß ihnen zuvorkommen. Dieser ‚Büffelstirn‘ ist verwundet. Vielleicht macht ihm seine Verletzung Beschwerden, und dann steche ich sie aus.“

Er eilte nach dem Ort, wo er die Comanchen verlassen hatte. Dort fand er ihre Leichen und auch die toten Pferde. Nun hielt er sich keinen Augenblick hier auf, sondern begab sich schleunigst nach Vera Cruz, um sich mit einem guten Pferd zu versehen und die Rückkehr sofort anzutreten.

Es gelang ihm, zwei tüchtige Renner zu bekommen, deren einen der Führer bestieg, den er sich vorsichtigerweise mietete. Der Ritt ging in höchster Eile über Soledad, Lómalo, Paso del Macho, Córdova, Orizaba, Puebla nach Mexiko.

Cortejo hatte während des ganzen Rittes stets die Befürchtung gehegt, daß er den beiden Indianern begegnen werde, doch war dies nicht der Fall. Die Häuptlinge hatten eine weniger bewohnte Richtung eingeschlagen, und dabei stellte sich heraus, daß die fieberschwangere Niederung des Meeres in der Gegend von Vera Cruz der Wunde des Mixteka schädlich gewesen war. Er fühlte sich so ermattet, daß sie zwei Tage ruhen mußten, und erst, als sie in höher liegender Gegend das berühmte Wundkraut fanden und auflegten, konnte er das Pferd wieder besteigen. So kam es, daß sie volle zwei Tage nach Cortejo in Mexiko anlangten.

Cortejo wurde von dem Grafen Alfonzo natürlich mit der allergrößten Spannung erwartet. Sobald er ihn kommen sah, ließ er ihn zu sich rufen.

„Nun, wie ist es gegangen?“ fragte er.

„Gut, sehr gut“, lautete die Antwort.

„Ah, da ist mir ein Stein vom Herzen. Es ist keine Kleinigkeit, einen scheintoten Menschen von hier bis an die Küste zu transportieren. Habt Ihr ihn unbemerkt bis auf das Schiff gebracht?“

„Ja.“

„Und die Indianer? Sie sollen ihren Lohn erhalten. Wo sind sie?“

„Tot.“

„Tot?“ fragte Alfonzo überrascht. „Wieso?“

„Das ist es eben, weshalb ich sagte, daß es sehr gut gegangen sei. Wir haben keine Zeugen mehr zu fürchten, denn diese Comanchen sind alle erschossen worden.“

„Erschossen! Von wem?“

„Von ‚Büffelstirn‘ und ‚Bärenherz‘.“

„Ah!“ rief Alfonzo. „Von diesen beiden verdammten Kerlen? Wo ist es geschehen?“

„In unserem Versteck an der Küste bei Vera Cruz.“

„Donnerwetter, so sind sie ihnen gefolgt!“

„Ja, ihnen und dir.“

„Das steht zu erwarten, sie sind uns von der Hacienda aus auf dem Fuß nachgeritten.“

„Und haben zunächst die Comanchen genommen, da du ihnen sicherer bist. Jetzt, da sie mit ihnen fertig sind, wirst du an die Reihe kommen.“

„Das ist verdammt! Erzähle!“

Cortejo erzählte darauf den ganzen Verlauf seiner Reise und auch das Zusammentreffen mit den beiden Häuptlingen und fügte hinzu:

„Dieser ‚Büffelstirn‘ sagte, daß sie mit dir bereits gesprochen haben würden, wenn ich nach Mexiko käme. Du siehst also, daß sie die Absicht haben, dich aufzusuchen. Ich habe mir zwei schnelle Pferde gekauft und bin ihnen zuvorgekommen. Die Wunde des Mixteka wird sie aufgehalten haben.“

„So gilt es, ihnen schleunigst aus dem Weg zu gehen, denn gegen solche Menschen gibt es selbst hier in unseren doch ziemlich geordnete Verhältnissen keinen genügenden Schutz.“

„Du mußt ja nach Spanien hinüber!“

„Allerdings, ich habe vom ‚Vater‘ einen Brief erhalten.“

„Ah! Kann ich ihn lesen?“

„Ja. Er ist sehr kurz. Hier ist er.“

Alfonzo nahm das nur einige Zeilen lange Schreiben von seinem Schreibtisch und reichte es Cortejo hin. Dieser las:

„Mein lieber Alfonzo!

Ich ließ Dir bereits durch Señor Cortejo sagen, daß ich Dich hier in Rodriganda mit großer Sehnsucht erwarte. Seitdem stellt sich fast die Hoffnungslosigkeit meiner Augenkrankheit heraus, und ich bitte Dich, daran zu denken, daß ich in Dir als meinem Sohn meine einzige verläßliche Stütze sehen muß und Dich also sehr bald hier erwarte. Dein Vater

Emanuel, Graf de Rodriganda y Sevilla.“

„Das klingt alles sehr dringend“, sagte der Sekretär. „Was gedenkst du zu tun?“

„Ich reise natürlich!“

„Auch ich rate dir dazu. Unsere Angelegenheit läßt sich jeden Augenblick vorteilhafter an. Hier bist du bereits der Erbe, und drüben wirst du nach deiner Ankunft auch die ganze Leitung der Grafschaft in die Hand bekommen. Die Erblindung Don Emanuels ist ein Glück für uns.“

„Ich habe oft schon Sorge getragen, daß er meine Ähnlichkeit mit deinem Bruder erkennen werde“, erwiderte Alfonzo. „Nun aber bin ich von dieser Angst befreit.“

„Hm, man müßte freilich Vorkehrungen treffen, daß er nicht wiederhergestellt werden kann.“

„Das werde ich natürlich mit allen Kräften tun.“

„Und Rosa? Sie wird natürlich die Ähnlichkeit bemerken.“

„Pah, diese fürchte ich nicht.“

„So schlage ich vor, daß du sofort abreist. Deine Angelegenheiten sind bei mir ja gut aufgehoben.“

„Zuvor werde ich nach der Hacienda reiten.“

„Ah! Diesen Plan hast du wirklich noch?“

„Ja. Ich muß Rache nehmen für alles, was uns dort angetan worden ist.“

„Die beiden Häuptlinge werden dir aber folgen.“

„Sie können mir nichts tun, denn ich befinde mich unter einem sehr guten Schutz.“

„Du meinst die Lanzenreiter?“

„Ja.“

„Du müßtest, um eine solche Begleitung zu erhalten, zuvor mit dem Präsidenten sprechen.“

„Das habe ich während deiner Abwesenheit bereits getan.“

„Und er hat dir die Erfüllung dieses Wunsches zugesagt?“

„Ja. Ein Graf de Rodriganda ist natürlich ein Mann, dessen Wünsche man berücksichtigen muß.“

„Welche Gründe hast du angegeben?“

„Ich erzählte von dem Überfall der Comanchen, ohne natürlich zu erwähnen, daß ich dieselben selbst nach der Hacienda führte, und sprach die Vermutung aus, daß nun eine bedeutendere Truppe der Wilden kommen werde, um den Tod der Ihrigen zu rächen.“

„Und was wurde dir versprochen?“

„Ich habe bereits zwei Befehle in den Händen, den einen an den Gouverneur und den anderen an den Divisionär von Durango, mir eine Schwadron Lanzenreiter sofort zu verabfolgen.“

„Oh, das ist gut! Ich habe diesen alten Pedro Arbellez nie geliebt!“

„Er wird Augen machen, wenn ich komme. Er hatte die Frechheit, mir zu sagen, daß ich nur sein Gast, nicht aber sein Gebieter sei, da er die Pacht der Hacienda auf Lebenszeit besitze.“

„Davon weiß ich nichts.“

„Ich auch nicht. Don Ferdinando hat nie davon gesprochen, und in den beiden Testamenten wurde die Hacienda mit Stillschweigen übergangen.“

„Ich habe nicht einmal einen Pachtkontrakt auf die Zeit nur eines Jahres in den Händen gehabt. Don Ferdinando hat sein Verhältnis zu Arbellez niemals klar darlegen wollen.“

„So brauche ich mich also nach gar nichts zu richten und kann tun, was mir beliebt.“

„Wann wirst du abreisen?“

„Sogleich.“

„In welcher Begleitung?“

„Ich erhalte einige Mann Militär.“

Jetzt warf Cortejo dem Neffen einen scharfen, forschenden Blick zu und fragte:

„Wie steht es mit Josefa? Habt ihr miteinander gesprochen und euch geeinigt?“

„Geeinigt?“ fragte Alfonzo, indem er tat, als wisse er gar nicht, was Cortejo meinte. „Sind wir entzweit oder uneinig gewesen?“

„Hm! Du nimmst doch Abschied von uns, ehe du gehst?“

„Das versteht sich!“ antwortete der Gefragte zögernd.

„Gut, so will ich Josefa begrüßen, denn ich habe sie noch gar nicht gesehen, seit ich angekommen bin.“

Cortejo ging und suchte seine Tochter in ihrem Zimmer auf. Sie freute sich seiner glücklichen Rückkehr, schien aber nicht gut bei Laune zu sein.

„Ich sah dich kommen“, sagte sie. „Du warst bei Alfonzo?“

„Ja.“

„Sprach er von mir?“

„Nur nebenbei. Ihr habt euch in diesen Tagen gemieden?“

„Er mich, nicht aber ich ihn. Weißt du, daß er nach Rodriganda gehen will?“

„Ich weiß es. Zuvor aber will er nach der Hacienda del Erina.“

„Auch das habe ich gehört. Ich glaube, daß er von der Hacienda gar nicht wiederkommen wird, sondern von da gleich direkt nach Spanien geht, um mir auszuweichen.“

„So müssen wir die Sache jetzt sofort in Richtigkeit bringen.“

„Wann geht er?“

„Sogleich; er sagte aber, daß er sich verabschieden würde.“

„Ich glaube es ihm nicht. Ich werde zu ihm gehen.“

„Wird er sich zwingen lassen?“

„Ja“, sagte sie in einem sehr bestimmten und selbstbewußten Ton.

„Ich zweifle!“

„Laß mich nur machen. Du gehst doch mit?“

„Das versteht sich!“

„So komm.“

Vater und Tochter gingen nun miteinander nach der Wohnung Alfonzos, den sie mit dem Einpacken beschäftigt fanden. Er machte ein sehr unangenehm überraschtes Gesicht, als er sie erblickte, und schien Lust zu haben, sie fortzuweisen. Josefa aber kam ihm zuvor, indem sie fragte: „Du wirst verreisen, Alfonzo?“

„Allerdings.“

Seine Miene war bei dieser Antwort eine zornige. Das Mädchen aber kümmerte sich nicht darum.

„Ohne an das zu denken, was ich dir sagte, als der Vater nach Vera Cruz ging?“

„Hm, ich besinne mich wirklich nicht“, heuchelte er.

„So muß ich deinem Gedächtnis zu Hilfe kommen. Ich sagte dir offen und ehrlich, daß ich dich liebe und daß ich deshalb erwarte, Gräfin de Rodriganda zu werden.“

Jetzt legte sich ein sichtbarer Hohn über sein Gesicht, und er antwortete:

„Donnerwetter, ja, jetzt besinne ich mich, daß du dir diesen unsinnigen Spaß erlaubtest. Ich hoffe jedoch, daß er abgetan ist!“

„Abgetan? Das fällt mir gar nicht ein! Ich erklärte dir ja schon, daß ich dir bis zur Rückkehr des Vaters Zeit geben würde, mir meine Frage zu beantworten. Jetzt ist diese Frist verstrichen. Wie steht es?“

„Ah, du redest also wirklich im Ernst?“ fragte er.

„Ja“, antwortete sie mit blitzenden Augen.

„Und willst eine Antwort?“

„Ich verlange sie!“

„Nun, so sollst du sie hören: Ich heirate, wen ich will, dich aber niemals, nie, nie, nie!“

Alfonzo hatte erwartet, daß Josefa aufbrausen werde, dies war aber keineswegs der Fall. Sie war sich ihrer Sache so gewiß, daß sie ruhig blieb und ihm nur mit einem scharfen Lächeln antwortete:

„Und dennoch wirst du mich heiraten!“

„Pah! Wer will mich zwingen?“

„Ich.“

„Du?“ fragte er mit verächtlichem Ton. „Mache dich nicht lächerlich! Ich errate deine Absichten und auch deine Gründe, die du gegen mich loslassen willst. Sie taugen aber nichts.“

„Du irrst; sie sind die besten, die es gibt.“

Alfonzo blickte ihr überlegen in das scharfe Gesicht mit den Eulenaugen und antwortete:

„Du willst mich zwingen, dich zur Gräfin de Rodriganda zu machen, indem du mir drohst, zu verraten, daß ich gar nicht ein Rodriganda bin?“

„Ja“, antwortete sie gelassen.

„So bitte ich dich abermals, dich nicht lächerlich zu machen! Über diese Waffe lache ich, denn du kehrst sie gegen dich selbst und gegen deinen Vater. Ihr seid ja meine Mitschuldigen.“

„Das müßte erst bewiesen werden. Dir wenigstens dürfte es schwerfallen, es zu beweisen. Du irrst dich übrigens, wenn du glaubst, daß ich eine Lächerlichkeit begehe. Wie nun, wenn das zweite Testament noch vorhanden wäre?“

Alfonzo lachte höhnisch.

„Das ist verbrannt“, sagte er.

„Nein, es ist noch da“, entgegnete sie, und ihre Miene war bei diesen Worten so ernst, und ihre Stimme klang so siegesgewiß, daß er sich doch unsicher und betreten zu fühlen begann. Auch der Sekretär war überrascht.

„Was, du hast es nicht verbrannt, Josefa?“ fragte er.

„Nein.“

„Aber ich habe es doch mit meinen eigenen Augen gesehen.“

„Ein Zeitungsblatt hast du brennen sehen“, lachte sie. „O ihr klugen Männer! Vater, du wolltest das Testament vernichten, ohne daran zu denken, welch vortreffliche Waffe es gegen diesen sogenannten Grafen de Rodriganda ist.“

„Ah, das ist schlau! Das ist allerdings ein Meisterzug!“ rief Cortejo.

„Sie lügt!“ behauptete Alfonzo.

„Ich rede die Wahrheit!“ antwortete sie.

„Wo ist es?“

„Hier in meiner Tasche!“

Josefa klopfte mit der Hand triumphierend auf die Stelle ihres Kleides, an der sich die Tasche befand. Die Augen Alfonzos leuchteten heimtückisch auf. Er sagte:

„Zeige es her, sonst glaube ich es nicht!“

„Da, siehe es!“ rief Josefa und griff nicht nur in eine, sondern in alle beide Taschen. Als Alfonzo das Dokument in ihrer linken Hand erblickte, faßte er schnell zu, um es ihr zu entreißen, aber er hatte nicht den Dolch gesehen, den sie mit der rechten aus der Tasche gezogen hatte und jetzt gegen ihn zückte, darum fuhr er erschrocken zurück und rief:

„Donnerwetter, du willst mich stechen?“

„Nein“, lachte sie, „aber du wirst es mir nicht übelnehmen, wenn ich mein Eigentum verteidige.“

„Dein Eigentum?“ zürnte er. „Dieses Testament gehört mir!“

„Nein. Es gehört in die Hand des Präsidenten. Und ich schwöre es dir bei allen Heiligen, daß er es bekommt, wenn du dich vor deiner Abreise nicht schriftlich mit mir verlobst.“

„Das ist unverschämt!“ erklärte er wütend.

„War es etwa nicht unverschämt, als du mich alt, häßlich und verbrecherisch nanntest?“

„Du wirst es nicht auf das äußerste treiben!“

„Das werde ich sicher, darauf kannst du dich verlassen, und ich hoffe, daß ich die Unterstützung meines Vaters finde.“

„Das versteht sich“, antwortete dieser. „Das Testament ist in unserer Hand eine Waffe, gegen die du nicht aufkommen kannst. Du wurdest uns als der kleine Graf Rodriganda herübergeschickt, und ich habe den Teufel gewußt, daß du verwechselt worden bist. Die in meiner Hand befindlichen Briefe werde ich verbrennen, und so will ich sehen, wie du es anfangen willst, die Waffe auch gegen mich zu kehren!“

„Ihr seid beide schlecht!“ rief Alfonzo.

„Möglich. Aber ich habe keine Lust, mit einem Undankbaren zu arbeiten. Was wir getan haben, muß belohnt werden. Du erhältst aus meiner Hand die unermeßliche Herrschaft der Rodrigandas in Mexiko. Es versteht sich ganz von selbst, daß wir teil daran nehmen, indem du Josefa heiratest.“

„Den Teufel werde ich tun!“

Da trat Josefa hart an ihn heran und fragte mit zornig blitzenden Augen:

„Ist das dein wirklicher Entschluß?“

„Ja“, antwortete er.

„Gut!“ Nur dieses eine Wort sagte sie, dann wandte sie sich um und schritt nach der Tür. Er sah es ihr an, daß sie im Begriff stand, einen ernsten Vorsatz auszuführen. Es wurde ihm nun doch angst, und er rief sie zurück:

„Halt, wohin willst du?“

„Zum Präsidenten“, sagte sie, stehenbleibend.

„Bist du denn des Teufels! Bildest du dir denn wirklich ein, daß du als meine Frau glücklich sein wirst?“

„Ja. Du sollst freie Hand haben in allem, aber Gräfin de Rodriganda will ich sein.“

„Das geht ja nicht! Was wird Graf Emanuel sagen, wenn ich mich ohne seinen Willen mit der Tochter des Sekretärs seines Bruders verheirate!“

„Das verlange ich noch gar nicht. Du kannst mit der Hochzeit bis nach seinem Tod warten, aber jetzt gibst du mir eine schriftliche Erklärung, daß ich deine Verlobte bin.“

Alfonzo besann sich.

„Wirst du mir gegen diese Erklärung das Testament aushändigen?“ fragte er.

„Nein. Das Testament gebe ich dir erst am Tag unserer Hochzeit. Aber gegen diese Erklärung erhältst du deine Freiheit und kannst reisen, wohin es dir beliebt.“

Alfonzo nickte mit verschlagener Miene und antwortete:

„Gut, du sollst die Schrift haben.“

„Sofort?“

„Sofort!“

„So wirst du endlich klug, aber denke ja nicht, daß nun alles gut ist und daß du dein Wort nicht zu halten brauchst, wenn du fort bist von uns. Ich würde mich zu rächen wissen, wenn du es brichst.“

Alfonzo warf den Kopf trotzig zurück und unterschrieb. Kurze Zeit später ritt er mit einigen Soldaten zur Stadt hinaus, um sich nach Durango zu begeben. Es waren zwischen der Ankunft Cortejos und der Abreise Alfonzos nur einige Stunden vergangen, so groß war die Furcht des letzteren vor den beiden Indianerhäuptlingen.

Erst zwei Tage später erreichten die Indianer die Mauern der Hauptstadt. Dort warteten sie den Abend ab, und dann begab sich ‚Büffelstirn‘ nach dem Palast Rodriganda. Er schwang sich, wie vorher, über die Mauer und fand die alte Marie Hermoyes bereits seiner wartend.

„Uff, du hältst Wort!“ sagte er zu ihr.

Und sie, in ihrer Freude, ihn wiederzusehen, nannte ihn auch gleich du.

„Ja, ich habe alle Tage auf dich gewartet, jedoch vergeblich.“

„Ist dieser Cortejo zurück von dem Meer?“

„Bereits seit zwei Tagen.“

„Uff! Ich war krank und konnte nicht schnell folgen. Wo ist der Graf der Bleichgesichter?“

„Du meinst Graf Alfonzo? Der ist fort!“

„Uff! Wohin?“

„Es sollte niemand wissen, aber ich habe es erlauscht. Er ist nach der Hacienda del Erina.“

Der Indianer machte eine Bewegung der Überraschung.

„Wann ist er fort?“ fragte er.

„Seit vorgestern. Er will Señor Pedro Arbellez von der Hacienda vertreiben.“

„Weißt du dies gewiß?“

„Ja, ich habe Señor Cortejo mit seiner Tochter belauscht, die davon sprachen!“

„Das wird ihm aber nicht allein gelingen.“

„Oh, er nimmt eine ganze Schwadron Lanzenreiter mit, um sich bei den Ciboleros und Vaqueros Respekt zu verschaffen. Er ist nun der Erbe, da Graf Ferdinando gestorben ist.“

„Uff! Weißt du nicht, was dieser Cortejo jetzt in einem Korb nach der Küste geschafft hat?“

„Nein.“

„So haben wir hier nichts mehr zu tun. Wir müssen sofort nach der Hacienda reiten.“

„Ihr wolltet mich doch mitnehmen!“

„Willst du denn noch zu Pedro Arbellez?“

„O wie gern!“

„So sollst du mit. Habt ihr Pferde im Palast?“

„Wir haben nur zwölf der besten hier, die anderen sind stets auf der Weide.“

„Werden diese zwölf Tiere bewacht?“

„Ein Knecht ist stets im Stall.“

„Du wirst nicht viel Sachen mitnehmen dürfen. Kannst du reiten?“

„Ja. Es sind Damensättel im Stall.“

„Wie lange brauchst du, um das Notwendige einzupacken?“

„Keine Stunde.“

„So gehe und tue es. In einer Stunde sind wir hier.“

‚Büffelstirn‘ sprang wieder über die Mauer, und Marie kehrte in den Palast zurück, hoch erfreut darüber, daß sie ein Haus verlassen konnte, das ihr seit dem Tod Don Ferdinandos verhaßt geworden war. Rasch packte sie ihre Ersparnisse und das Allernotwendigste an Kleidern und Wäsche zusammen und war damit in der angegebenen Zeit fertig. Als sie mit diesem Paket die Laube wieder betrat, fand sie die beiden Indianer bereits ihrer wartend.

Der Apache ließ kein Wort hören, ‚Büffelstirn‘ aber sagte:

„Unsere Pferde sind müde, die eurigen aber sind frisch. Wir werden die eurigen nehmen. Wo ist der Stall?“

„Aber der Stallknecht ist darin“, warnte sie.

Der Mixteka machte eine geringschätzige Bewegung mit der Hand und antwortete nur:

„Komm!“

Die Alte führte ihn nun nach dem Stall, der nicht verschlossen war. Es brannte dort ein Licht, und im Schein desselben erblickten sie den Knecht, der auf einer Decke lag und schlief.

Im nächsten Augenblick kniete der Apache bei ihm, um ihn zu knebeln und zu binden, was mit einer solchen Schnelligkeit und Sicherheit gelang, daß der Mann gefesselt war, ehe er nur ganz erwachte. Nun wählten sich die beiden Indianer fünf der vortrefflichsten Pferde aus, zwei für sich, eines für die Amme und zwei für das Gepäck und zum Umwechseln.

Trotzdem sie mit dieser Auswahl sehr bedächtig vorgegangen, waren doch kaum fünf Minuten vergangen, als sie bereits im Galopp durch die Straßen sprengten, um zu ihren vor der Stadt gelassenen Tieren zu kommen. Von diesen luden sie alles auf die frischen Pferde über und ließen sie frei.

Als am anderen Morgen dem Sekretär Pablo Cortejo die Meldung gemacht wurde, daß die alte Marie Hermoyes in Begleitung von zwei Indianern mit zwei Pferden verschwunden sei, hätte niemand es vermocht, die drei Flüchtigen einzuholen. –

Unterdessen hatte sich auf der Hacienda nichts wesentlich geändert. Die Spuren des Kampfes waren längst verwischt, und es ging alles nach seinem gewöhnlichen Gang.

Der Zustand des Deutschen war nur insofern ein anderer geworden, als der Patient das Lager verlassen hatte. Er lebte still und tiefsinnig vor sich hin, und wenn er einmal etwas sagte, so waren es nur die Worte: „Ich bin erschlagen worden!“

Eines Tages saß er auch so dumpf vor sich hinbrütend am offenen Fenster, und Emma lehnte an ihm, den Blick in träumerischer Trauer nach Süden gerichtet, da erblickte sie fünf dunkle Punkte, die sich in großer Eile näherten, und bald sah sie, daß es zwei Reiter und eine Reiterin mit zwei Packpferden seien. Endlich erkannte sie die beiden Häuptlinge mit ihrer alten Freundin Marie Hermoyes, und mit einem Jubelruf sprang sie auf, um ihnen entgegenzueilen.

Ihr Ruf war auch von anderen gehört worden, und als sich die Angekommenen vom Pferd schwangen, waren bereits sämtliche Bewohner des Hauses bei ihnen versammelt. Sie wurden mit Freuden empfangen, und besonders Emma führte ihre treue Marie förmlich im Triumph nach dem Salon, wohin auch die Häuptlinge kamen, um dort Rede und Antwort zu stehen.

„Nun, wie ist es gegangen?“ fragte Pedro Arbellez.

„Wir haben die Skalpe der Comanchen“, entgegnete ‚Büffelstirn‘.

„Und der Graf?“

„Graf Ferdinando ist gestorben!“

Pedro und seiner Tochter entfuhr ein Ruf des Schrecks.

„Tot! Ist's wahr?“ fragte der erstere.

„Ja“, antwortete die Amme. Und dann erzählte sie den ganzen Verlauf der Sache, soweit sie ihn kannte.

„So ist also Alfonzo Nachfolger?“ fragte Emma.

„Ja. War er noch nicht hier?“

„Will er denn nach der Hacienda kommen?“ erkundigte sich Arbellez.

„Ja“, antwortete die Amme in dringendem Ton. „Wenn er noch nicht hier war, so ist er doch bereits unterwegs, und zwar mit einer ganzen Schwadron Lanzenreiter.“

„Was sollen diese?“

„Ihr sollt sofort vertrieben werden.“

„Ich? Ah!“ sagte Arbellez mit stolzem Lächeln. „Das soll ihnen schwer werden.“

„Wir beschützen unsere weißen Brüder“, erklärte der Apache.

„Wir holen die Ciboleros und Vaqueros zusammen“, meinte ‚Büffelstirn‘.

„Ich danke euch“, entgegnete ihnen der Haziendero. „Ich werde eure Hilfe vielleicht brauchen, aber ich habe noch eine andere Waffe.“

„Welche?“

„Das werdet ihr später genauer erfahren. Können die Soldaten bald kommen?“

„Sehr bald!“ erklärte die besorgte Amme. „Alfonzo hat Mexiko zwei Tage vor uns verlassen. Er will die Lanzenreiter in Durango holen.“

„So will ich meine Leute schnell zusammenrufen!“

Der Haziendero verließ rasch das Zimmer, und gleich darauf hörte man ein Signal weithin über die Felder und Weiden schallen. In nicht ganz einer Viertelstunde waren gegen vierzig Ciboleros und Vaqueros zusammen, und es war, als hätte es nicht anders sein sollen, denn kaum hatte sich das starke Hoftor hinter ihnen geschlossen, so sah man eine dunkle Wolke von Reitern angesprengt kommen, über der ein Wald spitzer Lanzen empor starrte.

„Da sind sie schon!“ rief Arbellez. „Verhaltet euch still, ich werde sie empfangen.“

Die Schwadron kam herangebraust und hielt draußen vor dem Tor. Der Graf war mit den Offizieren an der Spitze geritten. Er klopfte an das Tor. Arbellez trat hinzu und fragte von innen, was man begehre.

„Öffnet!“ gebot Alfonzo.

„Wem?“

„Mir, dem Besitzer dieser Hacienda.“

„Wer seid Ihr?“ fragte Arbellez, der mit Absicht den Guckschieber nicht geöffnet hatte.

„Graf Alfonzo de Rodriganda.“

„Der die Damen überfällt? Ah, ich kenne keinen Grafen de Rodriganda, der Herr dieser Hacienda ist. Ich werde es Euch beweisen. Wartet einen Augenblick.“

Arbellez schritt über den Hof zurück und trat in das Haus, um bald darauf mit einem großen Pergament zurückzukehren.

„Legt die Gewehre an“, gebot er, „aber schießt nicht eher, als bis ich es euch befehle!“

Sofort bildeten die halbwilden Rinderhirten zu beiden Seiten des Tores ein dichtes Spalier, mit ihren Büchsen nach dem Eingang gerichtet. Diesem gegenüber stand der Haziendero und hinter ihm die beiden Indianerhäuptlinge, das Gewehr bei Fuß.

„Öffnet!“ gebot Arbellez.

Der tapfere Ferdinando, der dem Tor am nächsten stand, öffnete nun dasselbe, und sofort wollten die Lanciers in den Hof reiten, wichen aber erschrocken zurück, als sie vierzig geladene Gewehre auf sich gerichtet sahen. Den größten Schreck hatte Graf Alfonzo. Er hatte die beiden Indianer, denen er entgehen wollte, nicht hier vermutet, und als er sie erblickte, riß er sein Pferd aus der Nähe des Tores und hinter die Mauer zurück, wo ihn keine Kugel treffen konnte.

„Was soll das?“ fragte der Rittmeister streng.

„Daß ein freier Mexikaner auf der ihm gehörigen Hacienda nur solchen Besuch empfängt, der ihm angenehm und willkommen ist.“

„Diese Hacienda gehört Euch nicht. Der Besitzer ist bei uns, und wir werden uns den Zutritt erzwingen, wenn er uns verweigert wird.“

„So nehmt Euch in acht! Die Hacienda gehört mir. Dieser Graf hat Euch belogen und wird sterben, sobald er meinen Hof betritt. Die beiden Señores hinter mir sind Häuptlinge der Apachen und Mixtekas und haben eine Blutrache mit ihm. Gegen Euch aber habe ich nichts, Señor. Ich bin Pedro Arbellez, der Herr dieser Besitzung. Darf ich Euren Namen erfahren?“

„Ich bin Haro de la Vega, Rittmeister dieser Schwadron.“

„Haro de la Vega? Ah, seid Ihr vielleicht verwandt mit dem Präsidenten General Diaz de la Vega?“

„Ja. Er ist mein Vater.“

„Oh, dann seid Ihr der Rechte! Reitet näher und seht Euch dieses Pergament an! Es ist von Don Diaz, Eurem Vater, und dem General Carrera unterzeichnet.“

„Ah, zeigt her!“

Der Rittmeister drängte sein Pferd näher, ergriff das Schriftstück und las es.

Während er die Urkunde durchsah, nahmen seine Gesichtsmienen einen immer ernsteren Ausdruck an, und als er das Schriftstück gelesen, wandte er sich an die hinter ihm wartenden Chargierten seiner Schwadron zurück und bat auch seine Offiziere: „Señores, kommt näher. Dieser brave Señor Pedro Arbellez hat die Hacienda del Erina als Pacht erhalten mit der Bedingung, daß er sofort und vollständig Eigentümer wird, sobald Graf Ferdinando de Rodriganda stirbt. Graf Alfonzo scheint gar nichts davon gewußt zu haben. Señor Arbellez, darf ich ihm das Pergament zeigen?“

„Nur unter der Bedingung, daß ich es sogleich und unbeschädigt zurückerhalte.“

„Verlaßt Euch darauf.“

„Gewiß, da Ihr mir für die Zurückgabe der Urkunde Bürgschaft leistet, denn einem Grafen Alfonzo würde ich sie in keinem Fall in die Hand geben, selbst dann nicht, wen er sein Ehrenwort verpfändete.“

„Oho! Habt Ihr so wenig Vertrauen zu ihm? Nun denn, die von mir verlangte Bürgschaft sollt Ihr haben.“

Señor Arbellez gab hierauf seine Zustimmung durch eine bejahende Handbewegung, und der Rittmeister wandte sein Pferd und ritt aus dem Tor hinaus zu Alfonzo. Nach einer Weile hörte man einige kräftige Flüche von Alfonzos Stimme. Dann kehrte der Rittmeister in den Hof zurück und gab Arbellez sein Pergament.

„Señor, Ihr seid unbestrittener Besitzer dieser Hazienda, und da Graf Alfonzo unter diesen Umständen keinen Augenblick länger verweilen wird, so sage ich Euch ein Lebewohl!“

In der nächsten Minute donnerte die Schwadron über die weite Ebene dahin. Kaum aber war sie verschwunden, so trabten ihr zwei Reiter nach, ‚Bärenherz‘ und ‚Büffelstirn‘, die jetzt nur an das strenge indianische Gesetz der Rache dachten.

Señor Arbellez kehrte mit den Seinen in das Haus der Hacienda zurück, deren Eigentümer er durch den Tod des Grafen Ferdinando de Rodriganda geworden war. –

Hat der freundliche Leser bisher zwei so verschiedene Brüderpaare kennengelernt, wie die Grafenbrüder Emanuel und Ferdinando de Rodriganda und die Beamtenbrüder Gasparino und Pablo Cortejo, so wird es ihm sicher ein sehr großes Rätsel sein, warum die beiden Grafen trotz ihrer freundlichen und hochherzigen Eigenschaften von den beiden Cortejos auf eine Weise und mit einer Grausamkeit verfolgt und betrogen wurden, die selbst vor dem ärgsten und unmenschlichsten Verbrechen nicht zurückbebte. Dieses Rätsel soll jetzt gelöst und der bisher so dunkle Schleier gelüftet werden. –

Es war zu Saragossa, kurze Zeit, nachdem die schöne Zigeunerin Zarba sich mit Gasparino Cortejo entzweit und der Hauslehrer Sternau seine Señorita Wilhelmi den Händen des Herzogs von Olsunna entrissen hatte. Da traten dort zwei Persönlichkeiten auf, die beide, eine jede auf ihre Weise und in ihrem Kreis, ein gerechtes Aufsehen erregten.

Die eine dieser beiden Persönlichkeiten war der alte Graf Manfredo de Rodriganda, der Vater der damals noch jungen Brüder Emanuel und Ferdinando.

Er hatte lange Zeit als Vizekönig der spanischen Besitzungen in Ostindien gelebt, und man sagte sich, daß er aus diesen Ländern geradezu ungeheure Schätze mitgebracht habe. Jetzt hat er sich in den Ruhestand versetzen lassen und war nach Madrid gekommen, um die letzten Studien seiner beiden Söhne zu überwachen. Da er in der Nähe von Saragossa reiche Güter besaß, so verweilte er nur vorübergehend in dieser Stadt, um die Administration dieser Besitzung einer Prüfung zu unterwerfen.

Einer der hervorragendsten Administratoren war Henrico Cortejo, der Vater der beiden Brüder Gasparino und Pablo Cortejo. Überhaupt waren die Cortejos seit Menschengedenken bei den Rodrigandas bedienstet gewesen, und man sagte sich, daß dieser Henrico ein ganz besonderer Liebling des alten Vizekönigs Don Manfredo sei.

Don Manfredo trat mit einem ungewöhnlichen Glanz auf. Er war eine hohe, volle, imponierende Erscheinung. Zwar war sein Haupt- und Barthaar weiß gebleicht und sein Gesicht von der Sonne Indiens dunkel gebräunt, aber dies gab ihm ein schönes, frisches und ehrwürdiges Aussehen.

Ein noch schönerer Mann freilich war der erwähnte Administrator Henrico Cortejo. Er war in den kräftigsten Mannesjahren und stand, obgleich er zwei ziemlich erwachsene Söhne hatte, in dem Ruf, daß er der Löwe der Damenwelt von Saragossa sei. Gasparino, der eine seiner Söhne, der sich mit ihm in Saragossa befand, konnte ihm hierin keine Konkurrenz machen.

Die andere Person, die ein solches Aufsehen erregte, war die Primaballerina, die erste Tänzerin des dortigen Theaters.

Wie ein Komet, wie ein leuchtender Meteor war sie plötzlich und unerwartet am Himmel von Saragossa erschienen, und so schnell, wie sie gekommen war, so schnell hatte sie alle Welt erobert und sich zu ihren Füßen gelegt.

Sie hieß Hanetta Valdez und sollte, der Sage nach, von ganz armen, obskuren Eltern abstammen, hatte also ihre Erfolge allein nur ihrer Schönheit und Geschicklichkeit zu verdanken. Zu ihren Bewunderern gehörte bald auch der Herzog von Olsunna, doch sagte man sich, daß es ihm nicht gelänge, in ihrer Gunst große Fortschritte zu machen.

Ihr erklärter Liebling, so flüsterte man sich zu, solle Henrico Cortejo, der Vater der zwei Söhne, sein.

Graf Manfredo de Rodriganda war von seinen Geschäften zu sehr in Anspruch genommen, um während der ersten Zeit viel an Zerstreuungen und Vergnügungen zu denken, sobald er jedoch die notwendigsten derselben erledigt hatte, mußte er auch seine hohe Stellung berücksichtigen und seinen gesellschaftlichen Verpflichtungen Rechnung tragen.

Er machte und empfing Visiten, veranstaltete Soireen, besuchte das Theater, war aber noch nicht dahin zu bringen gewesen, das Ballett zu sehen. Seine echt spanische ernste Lebensanschauung sträubte sich dagegen. Je mehr er aber über die berühmte Ballerina hörte, desto weniger energisch wurde sein Widerstand, und als er einst in einem Kunstladen die Photographie der Tänzerin erblickte, folgte er einer unwillkürlichen Eingebung, kaufte sie und nahm sie mit nach Hause.

Dort saß er nun oft allein, in die Betrachtung der herrlichen Gestalt und der reizenden Züge ganz versunken, und es war ihm, als ob er von den faszinierenden Augen des Bildes förmlich bezaubert werde.

Einige Zeit später hatte sein Kammerdiener im Zimmer zu tun. Es war der kleine, dürre Juan Alimpo, den wir später als Kastellan auf Rodriganda gesehen haben. Als dieser das Porträt erblickte, blieb er ganz erstaunt stehen, und da er der erklärte Günstling seines Herrn war und sich schon eine Freiheit gestatten durfte, nahm er die Photographie in die Hand, um sie zu betrachten, und fragte erstaunt:

„Donnerwetter, Exzellenz, wer ist das?“

„Die Valdez“, antwortete sein Herr leutselig.

„Die Valdez? Wer ist denn die?“

„Sie ist die Primaballerina hier, die erste Ballettänzerin am Theater.“

„Hm!“

Der kleine Kammerdiener stieß die Silbe mit einer so eigentümlichen Betonung hervor, daß sein Herr ihn ansah und fragte:

„Was meinst du?“

Abermals erfolgte ein „Hm!“

„Nun?“

„Schade, daß eine solche Schönheit eine Tänzerin ist.“

„Eine Tänzerin muß ja schön sein!“

„Ja, aber diese ist so schön, daß sie eine Gräfin sein könnte. Ist es dieselbe, von der die Leute so viel sprechen?“

„Ja.“

„Ich habe längst gewünscht, sie einmal zu sehen.“

„So gehe, ich gebe dir frei.“

„Danke, Exzellenz! Ein braver Diener geht einer Tänzerin wegen nicht von seinem Herrn fort. Etwas anderes freilich wäre es – hm!“

„Nun?“

„Wenn – wenn Sie selbst einmal das Ballett besuchen wollten.“

Jetzt endlich waren die Worte heraus, und Alimpo blickte seinen Herrn forschend von der Seite an, um den Eindruck derselben zu beobachten. Dieser schien kein so schlimmer zu sein, als er erwartet hatte, denn der Graf hielt den Blick zum Fenster hinaus gerichtet und fragte nur, freilich mit sehr gleichgültiger Stimme:

„Meinst du wirklich, Alimpo?“

„Ja“, antwortete dieser schnell.

„Nun, wir werden ja einmal sehen!“

Mit diesem Wort schien der Graf das Gespräch als beendet zu betrachten; aber Alimpo war damit nicht zufrieden, sondern räusperte sich ein klein wenig und sagte:

„Man müßte warten, bis ein recht schönes Stück gegeben wird, wie zum Beispiel ‚Die Königin der Sonne‘, das mit einem Ballett ausgestattet ist.“

„Du hast es wohl einmal gesehen?“

„Nein.“

„Wie kommst du dann auf dieses?“

„Hm, es wird heute gegeben.“

Jetzt drehte sich der Graf rasch zu dem Kammerdiener herum und sagte:

„Caracho, du bist ein Schlaukopf. Erst tust du, als ob du die Tänzerin nicht kennst, und nun weißt du auf einmal, welches Stück heute gegeben wird.“

„Es steht ja in allen drei Blättern der Stadt.“

„So! Und du willst das Stück gern sehen?“

„O sehr gern, Exzellenz! Ich habe gehört, daß es ganz außerordentlich schön sein soll. Es kommen darin Engel und Teufel, Geister, Elfen, Feen und lauter Königinnen vor.“

„So kannst du also gehen!“

„Und Sie, gnädiger Herr?“

„Ist es dir wirklich unmöglich, allein zu gehen?“

„Ganz unmöglich!“

„Nun gut! Welcher Besuch ist für heute abend bei uns angesagt, oder sind wir irgendwo eingeladen?“

„Weder das eine noch das andere.“

„Gut, so werden wir in die Oper fahren.“

Das Gesicht des kleinen Alimpo glänzte vor Freude, und er küßte seinem gütigen Herrn vor lauter Dankbarkeit die Hand.

Es war jetzt dem Grafen sehr willkommen, daß Juan Alimpo die Initiative ergriffen hatte. Das Bild der Tänzerin hatte ja einen solchen Eindruck auf ihn gemacht, daß er die Stunde der Vorstellung kaum erwarten konnte.

Und wie so ganz anders war es doch dann, als er sie endlich sah, als die Musik eine rauschende Einleitung beendet hatte, der Vorhang sich hob und die Ballerina erschien. Ja, sie strahlte in Wahrheit, als sie auf die Bühne trat, wie eine Sonne! Ihre Formen, ihre schöne Gestalt waren von unwiderstehlichem Reiz, sie schienen einer Juno, einer Venus anzugehören, und ihr prachtvoller Kopf, die feine Rundung ihres Profils und das Feuer ihrer Augen waren geradezu sinnbetörend.

Graf Manfredos Blicke hingen nun an ihr. Er sah sie nicht tanzen; er sah auch die anderen nicht. Er achtete nicht der Szene und der Verwandlungen, er befand sich wie im Traum, und als am Schluß der Vorstellung der Vorhang fiel, wäre er noch lange wie bezaubert stehengeblieben, wenn nicht Alimpo ihm den Hut gebracht und ihn dadurch an das Gehen erinnert hätte.

Da erst holte er tief Atem und sagte:

„Schicke den Wagen nach Hause!“

„Wir fahren nicht, Exzellenz?“ fragte der kleine Diener, ganz erstaunt über seine so ungewöhnliche Extravaganz.

„Nein. Wir gehen, und sobald die Läden offen sind, führst du mich zum ersten Juwelier!“

Alimpo wußte sich den Befehl seines Herrn gar nicht zu deuten, aber er mußte ihn erfüllen. Beim Juwelier angekommen, kaufte der Graf einen kostbaren Brillantschmuck, den er draußen auf der Straße dem Diener gab.

„Weißt du, was du sollst?“ fragte er ihn.

„Nein, Exzellenz“, antwortete Alimpo ebenso wahr wie naiv.

„Weißt du die Wohnung dieser Valdez?“

„Nein, ich weiß sie nicht; ich kann sie aber erfahren, und zwar jetzt gleich, wenn es sein muß.“

„Es muß sein! Du gehst in ihre Wohnung, zu ihr selbst! Verstanden?“

„Sehr wohl!“ nickte Alimpo.

„Und gibst ihr selbst den Schmuck und sagst, ein Bewunderer der Sonnenkönigin sende ihn, obgleich er viel zu arm für eine solche Herrscherin sei.“

„Donnerwetter, Exzellenz! Er kostet ja fünfzehntausend Duros!“

„Das geht dich nichts an! Wirst du bei ihr nicht vorgelassen, so bringst du den Schmuck wieder mit.“

„Das wird klüger sein, gnädiger Herr! Was aber soll ich sagen, wenn man mich nach dem Namen des Gebers fragt?“

„Nichts. Du verschweigst ihn.“

„Soll ich auf Antwort warten?“

„Nein. Sobald du den Schmuck abgegeben hast, kommst du nach Hause, denn ich bin begierig, zu erfahren, was sie gesagt hat. Jetzt gehe!“

Der Graf ging zu Fuß nach seiner Wohnung zurück; der Diener aber schritt noch ein Stück in die Straße hinein und erkundigte sich bei einem ihm Begegnenden nach der Wohnung der Tänzerin, die zufälligerweise nicht sehr weit entfernt lag, was auch der Grund war, daß er sogleich bei der ersten Frage Auskunft erhielt.

Alimpo schritt auf ein hohes Haus zu, durch dessen Tor er trat, stieg eine hell erleuchtete Treppe hinan und gelangte an eine Tür, an der eine Karte mit dem Namen ‚Hanetta Valdez‘ befestigt war. Auf sein Klingeln wurde geöffnet, und das freundliche Gesicht einer Dienerin erschien.

„Was wünscht Ihr?“ fragte sie.

„Ist Señorita Valdez schon daheim?“

„Nein.“

„So muß ich warten, denn ich habe einen Auftrag.“

„Noch so spät? Kann ich es nicht besorgen?“

„Nein. Ich habe etwas abzugeben.“

„Von wem?“

„Das ist Geheimnis. Darf ich nicht eintreten, Señorita?“

„Eigentlich nicht. Aber wenn Ihr hübsch ruhig warten wollt, so mögt Ihr immerhin kommen.“

Die Dienerin öffnete nun die Tür vollends und ließ Alimpo in ein Vorzimmer treten, wo sie Gelegenheit hatte, ihn zu betrachten. Dem guten Alimpo war es unter dem Blick dieser hübschen Augen ganz so, wie es vorhin im Ballett seinem Herrn bei den zündenden Blicken der Tänzerin zumute gewesen war; er fühlte sein Herz klopfen, aber nicht ängstlich, sondern wohltuend und selig.

„Aber“, sagte sie im Ton der Überraschung, „was ist denn das! Ich glaube, ich täusche mich. Heißt Ihr nicht Juan Alimpo, Señor?“

„Ja, der bin ich.“

„So seid Ihr wohl gar der kleine, gute Juan Alimpo aus Rodriganda?“

„Klein?“ fragte er ein wenig unzufrieden. „Nun, so ganz klein bin ich doch wohl nicht. Ihr seid noch einen ganzen Fingerbreit kürzer als ich.“

„Das ist möglich“, lachte sie. „Aber, Señor, seht mich doch einmal genauer an. Erkennt Ihr mich denn nicht wieder?“

„Nein“, sagte er verlegen. „Habe ich Euch etwa einmal gekannt, Señorita?“

„Na – und ob.“

„Wer seid Ihr denn?“

Ihre hellen, schelmischen Augen lachten ganz glücklich, als sie erwiderte:

„Ich bin vier Jahre jünger als Ihr –“

„Ah! Auch aus Rodriganda?“

„Ja. Kennt Ihr das kleine, unartige Nachbarskind nicht mehr, das so oft auf Eurem Rücken geritten ist?“

„Verdammt! So seid Ihr am Ende gar –“

Alimpo hielt mit offenem Mund inne. Nein, das unartige, kleine Nachbarskind, diese kleine, böse, abscheuliche Hummel konnte doch unmöglich ein so hübsches, dralles Mädchen sein!

„Nun, so redet doch nur weiter, Señor!“ lachte sie, indem sie ihm zwischen den purpurnen Lippen hindurch zwei prachtvolle Reihen allerliebster kleiner Zähnchen zeigte.

„Hm“, brummte er, halb froh und halb verlegen. „Ihr seid doch nicht etwa Nachbars Elvirita?“

„Freilich bin ich die, die Elvira, wie ich jetzt heiße.“

„Donnerwetter!“ fluchte er bewundernd. „Ihr seid verdammt hübsch geworden!“

„Geht, Señor Alimpo!“ sagte sie verschämt.

„Bei der heiligen Madonna, es ist wahr!“ beteuerte er.

„Oh, auch Ihr seid anders geworden, und zwar ein bißchen hübscher!“ lächelte sie.

„Nur ein bißchen? Donnerwetter, das ist nicht genug! Ich wollte, daß ich unendlich hübscher geworden wäre, damit ich Euch vielleicht ein bißchen gefiele.“

Es war auf einmal ein ungewöhnlicher Mut über den wackeren Alimpo gekommen. Er faßte das Mädchen bei der Hand und blickte ihm in die Augen.

„Geht, Señor“, sagte sie da erglühend. „Was kann Euch daran liegen, ob Ihr mir gefallt!“

„O sehr, sehr viel, Elvira. Aber wollen wir nicht wieder ‚du‘ zueinander sagen, wie früher?“

„Nein, denn Ihr seid ja jetzt ein so vornehmer Herr geworden.“

„Ich? Ah! Inwiefern?“

„Ihr tragt doch die Livree des Grafen von Rodriganda!“

Da blickte Alimpo an sich herab, schlug sich mit der Hand vor die Stirn und rief:

„O heilige Madonna, bin ich dumm!“

„Warum?“ fragte Elvira, erstaunt über diese unerwartete Aufrichtigkeit.

„Ja. Und mein Herr, der Graf, ist noch dümmer!“

„Ah!“ lachte jetzt das Mädchen auf. „Das sollte er hören!“

„Oh, er würde mir ganz recht geben. So dumm wie heute sind wir beide seit langer Zeit nicht gewesen.“

„Inwiefern denn, Alimpo?“

„Weil ich nicht wissen lassen soll, wer ich bin und von wem die Diamanten kommen, und trage doch diese Livree.“

„Diamanten?“ rief das Mädchen erstaunt.

„Ja, für fünfzehntausend Silberduros.“

„O mein Gott, mir wird ganz – ganz dumm im Kopf!“ rief Elvira, indem sie die Hände zusammenschlug. „Für wen sind sie denn?“

„Für die Ballerina.“

„Für meine Herrin? Und von wem kommen sie?“

„Das darf ich ja eben nicht sagen.“

„Und trägst doch seine Livree? Also vom Vizekönig?“

„Ich sage es nun gerade nicht!“ meinte er trotzig.

„Das hast du auch nicht nötig“, lachte sie. „Es ist wohl ein Geschenk?“

„Freilich.“

„O du heilige Mutter Gottes! Ein Geschenk von Diamanten für fünfzehntausend Duros? Wofür denn?“

„Hm, für das Tanzen jedenfalls. Ich weiß es nicht.“

„Hat er sie denn tanzen sehen?“

„Heute. Dann rannte er zum Juwelier, kaufte die Steine und schickte mich her, um sie ihr persönlich zu überreichen. Aber ich soll nicht sagen, von wem sie sind.“

„Höre, Alimpo, er ist verliebt in sie!“

Der Diener machte ein ganz perplexes Gesicht.

„Verliebt! Du bist nicht gescheit!“

„Nicht? O ich sage dir, daß wir Frauenzimmer in solchen Sachen sehr gescheit sind!“

„So?“ fragte er, einigermaßen unruhig. „Warum denkst du, daß er verliebt ist?“

„Weil er ihr ein solches Geschenk gibt. Einen solchen Reichtum gibt man nur, wenn man ganz und gar verliebt ist.“

„Donnerwetter!“

„Ja!“ sagte sie triumphierend.

„Ich dachte, ein Geschenk gäbe man nur, wenn man geradezu verrückt ist“, meinte Alimpo.

„Geh, du bist wenig höflich!“ schmollte sie.

„O doch, gegen dich zum Beispiel vorzugsweise gern.“

„Also, wenn du nun zum Beispiel in mich verliebt wärest?“

„Hm, das wäre sehr leicht möglich“, schaltete er schnell ein.

„Würdest du mir Diamanten geben?“

„Ich habe ja keine!“

„Aber wenn du reich wärest?“

„Ah! Oh! Hm! Ja, ich würde dir vielleicht welche geben! Ganz gewiß!“

„Na siehst du, daß es nur auf die Liebe ankommt? Er ist verliebt in sie, das ist gewiß.“

„Alle Teufel! Was soll daraus werden?“

„Ja, das ist nun allerdings eine schlimme Sache! Kann ich die Brillanten einmal sehen?“

„Nein. Wenn die Ballerina käme!“

„Oh, die kommt noch lange nicht.“

„Ah! So muß ich also diese lange Zeit hier warten!“ meinte er.

„Freilich. Das ist dir wohl nicht lieb?“

Alimpo warf einen verräterischen Seitenblick auf Elvira und entgegnete:

„O doch, sehr lieb!“

„Nun, so siehst du also, daß wir Zeit haben, uns die Steine zu betrachten. Bitte, zeige sie mir!“

„Umsonst? Da zeige ich sie nicht her!“ versetzte er entschieden.

„Ja, was willst du denn haben?“

„Hm“, schmunzelte er mutig, „einen Kuß wenigstens!“

„Geh, du Böser!“ sagte sie errötend.

„Gut, so packe ich nicht aus, und nun verlange ich sogar drei.“

„Das ist zuviel, ganz entschieden zuviel!“ rief sie empört.

„Zuviel – für Diamanten im Wert von fünfzehntausend Duros?“

„Hm“, besann sie sich. Sein Argument schien Eindruck zu machen. „Gut“, erwiderte sie, „aber du bekommst die Küsse erst, wenn ich die Steine gesehen habe.“

„Nein, darauf gehe ich nicht ein. Ich will es jedoch gnädig machen; einen zuvor, einen beim Angucken und einen hinterher. Basta!“

„Gut! Hier hast du den ersten. Aber nun setze dich auch hier neben mich auf das Sofa. So etwas muß man sich in aller Ruhe und Bequemlichkeit betrachten können.“

Damit reichte sie ihm ihre frischen roten Lippen hin, und er gab ihr einen langen, herzhaften Kuß auf dieselben. Dann nahmen sie nebeneinander Platz und er öffnete das sorgfältig verschnürte Paket, entnahm demselben das Etui und ließ die Brillanten im Strahl des Lichtes funkeln.

„Ah!“ rief sie, vor Entzücken so weg, daß sie den Kuß gar nicht bemerkte, den er ihr abermals gab. „Welch eine Pracht und Herrlichkeit! Diese Diamanten!“

„Fast so hell wie deine Augen!“ fuhr er fort und gab ihr dabei den dritten Kuß.

„Diese Rubine!“

„Gerade so schön wie deine Lippen!“ Dabei gab er ihr den vierten Kuß.

„Hier auch Perlen!“ rief sie entzückt.

„Schöner nicht als deine Zähne!“ Nun erhielt sie den fünften Kuß, und jetzt erst merkte sie, daß er sich gar nicht mehr an ihren Kontrakt hielt. Sie schob ihn also fort und sagte: „Hier ein Saphir, und hier zwei Smaragde! Geh, du Böser, das haben wir nicht ausgemacht.“

„Allerdings nicht“, entschuldigte er sich. „Aber ich habe auch nicht gedacht, daß der Schmuck so schön ist. Ich bin viel zu billig gewesen. Ich verlange jetzt für jeden Stein einen Kuß!“

„Packe dich!“

Elvira wollte den Ungestümen abwehren, aber es gelang ihr nicht. Er drückte sie herzhaft an sich und küßte sie nach Herzenslust. Endlich erhielt sie ein wenig Atem und rief:

„Aber du störst mich ja! Wann soll ich da die Steine betrachten!“

„Ach was, Steine! Ein Kuß von dir ist mir lieber als alle Steine der Welt.“

„Ist das wahr?“ fragte sie.

„Ja. Höre, Elvira, lege einmal den Schmuck weg und gib mir deine beiden Hände.“

„Warum?“

„Das wirst du gleich hören.“

Sie erglühte und erwiderte abwehrend:

„Aber so vergeht die Zeit, und ich habe mir den Schmuck nicht ansehen können.“

„Tue mir eine kurze Minute den Willen, dann sollst du ihn betrachten können, solange es dir beliebt!“

„Nun gut. Hier hast du meine Hände!“

Das Mädchen legte nun den Schmuck neben sich auf das Sofa und reichte ihm die Hände. Er aber ergriff dieselben, blickte ihr treu in die Augen und fragte:

„Weißt du noch, Elvira, daß wir als Kinder immer gute Freunde waren und uns liebhatten?“

„Ach, ja!“

„Dann mußten wir auseinander, aber ich habe stets an dich gedacht.“

„Ich auch an dich.“

„Bist du mir noch so gut wie früher, Elvira? Ich bitte dich darum!“

„Nun, so will ich dir noch gut sein. Und du?“

„Oh, ich habe dich so lieb, daß – daß – daß ich dir gleich diese Steine schenken würde, wenn sie mir gehörten!“

Da lachte sie in glücklicher Lust hell auf und sagte: „Da wärest du ja sinnlos verrückt, Alimpo!“

„Nein, meine Elvira. Ich war sehr dumm, als ich das vorhin sagte.“

„Und nun willst du gescheiter sein?“

„Gewiß. Aber nur unter einer Bedingung, daß du meine Braut, meine Frau werden willst.“

„Heilige Lauretta, bist du rasch, Alimpo!“

„Ja. In so wichtigen Dingen darf man keine Zeit versäumen. Antworte mir, Elvira.“

„Hm. Wirst du mir aber auch gehorchen?“

„Ja. Und du mir?“

„Gewiß!“

„So sind wir also einig?“

„Einig!“ lachte sie glücklich.

„Hurra! So ist's recht! Nun ist's gut! Nun gibst du mir noch einen tüchtigen Kuß, und dann kannst du dir die Steine vollends betrachten.“

Der Kuß wurde gegeben und die Steine wieder vorgenommen, aber das Beschauen derselben ging doch nicht ohne die verschiedensten Zärtlichkeiten ab, und als Elvira ganz zufälligerweise nach der Uhr blickte, bemerkte sie zu ihrem Schreck, wie weit der Zeiger bereits vorgeschritten war.

„Mein Gott, eine Viertelstunde vor Mitternacht!“ rief sie.

„Verdammt!“

„Packe schnell wieder ein! Meine Herrin kann jeden Augenblick kommen.“

„Wird sie meine Uniform, meine Livree, kennen?“

„Wohl kaum.“

„Nun, das ist gut, denn sie soll nicht wissen, von wem das Geschenk ist. Oder wirst vielleicht du es ihr sagen? Ich bitte, es nicht zu tun.“

„Gut, so werde ich schweigen.“

„Auch wenn sie dich fragt?“

„Ja. Heute wird sie mich überhaupt gar nicht fragen, da sie jedenfalls nach dem Theater noch Besuch empfängt.“

„Wer sind die Herrschaften, die vielleicht noch kommen?“ fragte er.

„Der Herzog von Olsunna oder Señor Cortejo.“

„Wenn nämlich Henrico Cortejo kommt, so darf ich nicht hier bleiben. Er kennt nicht nur meine Livree, sondern auch mich selbst und würde der Ballerina sogleich sagen können, von wem das Geschenk kommt. Weißt du keinen Ausweg?“

„Hm! Es steht drüben ein kleines, unbewohntes Zimmerchen; aber es ist finster.“

„Das schadet nichts.“

„Gut, so führe ich dich hinüber, und wenn die Herrin kommt, hole ich dich!“

„Oder noch besser, du bringst sie hinüber. Er könnte mich doch sehen oder hören.“

„So muß ich dir auch eine Lampe geben. Komm!“

Elvira brannte eine der vorrätigen Lampen an und geleitete Alimpo in ein kleines, einfach ausgestattetes Gemach, zu dem sie den Schlüssel bei sich trug.

„Wer ist der Besitzer dieses Raumes?“ fragte er.

„Augenblicklich niemand. Es hat ein armer Maler hier gewohnt, der vor zwei Wochen ausgezogen ist. Ich habe den Schlüssel erhalten, um immer abzustauben.“

„Abzustauben? Hm! – Oh! – Hm!“ machte er mit einem sehr listigen Gesicht.

„Was hast du?“ fragte sie.

„Einen Gedanken, einen sehr, sehr schönen, guten und auch einen außerordentlich praktischen Gedanken. Du wünscht doch, daß wir uns zuweilen wiedersehen, meine Elvira?“

„Ja, das wünsche ich allerdings.“

„Aber wo soll das geschehen?“

„Vielleicht in der Kirche?“

„Geht nicht, da können wir nicht miteinander sprechen.“

„Oder auf dem Markt, wenn ich einkaufen gehe?“

„Da beobachten uns die Leute, und die Zeit ist zu kurz.“

„Oder des Abends auf der Promenade?“

„Das ginge eher, aber ich weiß nie, wann ich dem Herrn Grafen entbehrlich bin.“

„Ja, so weiß ich wirklich weiter keinen Ort.“

„Aber ich weiß einen, und eben dieses Stübchen ist es, das ich meine.“

„Ah! Wie sollte das wohl gemacht werden?“

„Ich kann nur des Abends kommen, da läßt du die Stube offen, daß ich sofort eintreten kann. Ist von innen verriegelt, so ist dies ein Zeichen, daß ich drinnen stecke. Du darfst dann nur zuweilen nachsehen und ganz leise drei langsame Schläge mit dem Finger tun, so mache ich auf.“

„Aber wenn du entdeckt wirst?“

„Das wird nicht so leicht geschehen!“

„Nun gut, so wollen wir es einmal ausprobieren. Ah, horch! Ich glaube, sie kommen! Ich muß hinüber.“

Man hörte in der Tat Schritte auf der Treppe; es waren eine männliche und eine weibliche Person deutlich zu unterscheiden.

„Das ist sie, und Cortejo ist bei ihr“, flüsterte Elvira. „Sie kommen aus dem Theater.“

Im nächsten Augenblick war Elvira aus dem Gemach verschwunden. Als sie das Vorzimmer betrat, war die Künstlerin mit ihrem Begleiter bereits in das andere Zimmer getreten, wohin Elvira ihr nachging, wie sie es zu tun gewöhnt war, um den Herrschaften beim Ablegen behilflich zu sein.

Die Tänzerin zeigte sich jetzt als eine mittelhohe, volle Gestalt von geradezu unbeschreiblicher Schönheit der Gesichtszüge; aber über dieses Gesicht zuckte es zuweilen wie über das eines unbekannten Dämons, der in ihrem Herzen wohnen mußte.

Als Elvira ihr einen Wink gegeben hatte, wies die Ballerina ihren Besucher nach dem Boudoir und sagte zu ihm:

„Treten Sie ein, Señor. Ich habe noch eine Kleinigkeit mit dem Mädchen. Was sollte der Wink?“ fragte sie dann, als sie sich unbelauscht wußte.

„Es will Sie jemand sprechen, Señorita, und zwar ein fremder Diener.“

„Wer ist sein Herr?“

„Ich weiß es nicht.“

„Ah, ein Geheimnis! Ist er ein Saragossaner oder ein Fremder?“

„Der Sprache nach ist er ein Spanier, er hat mir aber nicht gesagt, was er mit der Señorita zu sprechen hat. Er wartet bereits seit zwei Stunden und behauptete, er habe etwas direkt an Señorita abzugeben und dürfe nicht eher fortgehen.“

„Ah, jedenfalls ein Geschenk! Wo ist er?“

„Drüben im kleinen Kabinett. Er läßt Señorita bitten, sich zu ihm zu bemühen, weil er von Señor Cortejo nicht gesehen oder gehört sein will.“

„Ah, so ist er diesem bekannt! Nun, ich werde ihm den Willen tun. Warte!“

Die Ballerina ging hinüber in das kleine Zimmer. Alimpo saß erwartungsvoll auf seinem Stuhl, als sie eintrat.

„Wer sind Sie?“ fragte sie ihn mit einer Stimme, die mild wie der Ton einer silbernen Glocke klang.

„Señorita, ich bitte, dies verschweigen zu dürfen“, bat er mit einer tiefen Verbeugung.

„Warum?“

„Es ist mein Auftrag so!“

„So sprechen Sie weiter!“

„Ich habe den Befehl, der Königin der Sonne diesen Tribut zu überreichen, und zwar mit der Bitte um Entschuldigung, da jede irdische Gabe für eine solche Herrscherin unbedeutend sein muß.“

Der wackere Alimpo hatte seine poetische Ader noch mehr angestrengt, als es in der Weisung des Grafen gelegen hatte. Er gab ihr das Paket und wollte sich mit einer Verbeugung entfernen. Sie aber hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.

„Warten Sie!“ gebot sie ihm, dann löste sie die Hüllen, die Alimpo sorgfältig wieder befestigt hatte, öffnete das Etui und rief: „Ah!“

Es war nur dieser eine Laut, den sie ausstieß, aber es lag eine ganze Welt von Glück, Überraschung und stolzer Genugtuung darin. Ihre Augen leuchteten; ihre Lippen öffneten sich, so daß die Zähne wie farblose Tautropfen zwischen ihnen erschienen; ihr Busen wogte, und als sie jetzt ein Collier ergriff und den Arm hoch emporhob, um es im Schein des Lichtes brillieren zu lassen, da war durch die verschobene Mantille ein Reichtum von Schönheit zu erblicken, im Vergleich zu welcher der Wert dieses Colliers eine Bagatelle war.

„Herrlich!“ rief sie. „Und das soll mein sein?“

Ihre erregten Augen glühten wie Feuerbrände auf das Angesicht des Dieners.

„Ja, wenn Señorita es annehmen wollen“, antwortete er.

„Und ich darf nicht wissen, von wem es kommt?“

„Nein.“

Da warf die Tänzerin den Kopf stolz in den Nacken und sagte:

„Dies Geschenk ist kostbar, sehr kostbar, aber ich weise es dennoch zurück, wenn Sie mir nicht einige Fragen beantworten.“

„Ich darf nicht, Señorita!“

„Sie haben die Weisung, den Namen des Gebers zu verschweigen?“

„Hm!“ sagte er langsam. „Es ist allerdings kein weiterer Zusatz gemacht worden.“

„So werde ich einige Fragen aussprechen, die Sie mir mit gutem Gewissen beantworten können.“

„Ich werde es tun, wenn ich kann.“

„Nun wohl. Ist Ihr Herr ein Spanier, von Adel und reich?“

„Alles dies. Er ist im übrigen Witwer, nicht mehr jung und hat zwei Söhne.“

„In welchem Alter stehen diese?“

„Ich bitte, diese Antwort zurückhalten zu dürfen, weil in ihr eine Andeutung liegt, die es Ihnen leichtmacht, den Geber zu erraten.“

„Gut. Wohnt der Geber in Saragossa?“

„Für jetzt, ja.“

„Hat er mich öfters gesehen?“

„Nein, heute zum ersten Mal im Theater, und er ist sofort nach der Vorstellung zum Juwelier gegangen, um diesen Schmuck einzukaufen.“

„Auf welchem Platz war er im Theater?“

„Auch dies, bitte ich, verschweigen zu dürfen.“

Ihr Gesicht glänzte und glühte förmlich von Triumph und Genugtuung, und jetzt trat jener dämonische Zug, der schon vorhin auf ihrem Gesicht bemerkbar gewesen war, noch mehr hervor. In ihren Augen und um ihre Lippen lag nämlich eine Härte, die erraten ließ, daß dieses wunderherrliche Weib imstande sei, alles niederzutreten und zu vernichten, ohne Gnade und Barmherzigkeit, was sich der Befriedigung ihrer Leidenschaften und Begierden in den Weg stelle.

„Sie sind sehr verschwiegen“, sagte sie. „Verschwiegener, als ich gewöhnt bin; aber ich will nicht weiter in Sie dringen. Hier ist ein Douceur!“

Damit griff die Tänzerin in die Tasche der Mantille und streckte Alimpo eine wohlgespickte Börse entgegen. Er aber verbeugte sich dankend und erwiderte:

„Ich bitte um Entschuldigung, Señorita; aber ich würde meine Stellung sofort verlieren, wenn ich nur einen einzigen Maravedí annähme.“

„Ihr Herr sieht es ja nicht!“

„Ich tue nie etwas, was er nicht sehen darf!“

„So ist er besser und treuer bedient als mancher andere! Nehmen Sie also anstatt des Geldes meine Hand als Dank.“

Sie streckte ihm den schönen, vollen, bloßen Arm mit dem kleinen, verführerischen Händchen entgegen. Alimpo wagte es, die Spitzen ihrer Finger mit einem Kuß zu berühren.

„Diese Güte, Señorita“, sagte er, „ist mir wert als alles Gold. Ich werde von ihr meinem Herrn berichten.“

„Ja, sagen Sie Ihrem Herrn, daß ich gewöhnt bin, gütig und dankbar zu sein!“ erwiderte sie zweideutig. „Ich nehme das Geschenk an, erwarte aber, daß er aus seinem geheimnisvollen Dunkel heraustritt. Beim nächsten Balletabend werde ich den Schmuck anlegen, und ich ersuche Ihren Herrn, sich zu überzeugen, ob ich ihn zu tragen weiß.“

Mit diesen Worten rauschte sie hinaus.

Alimpo blieb zurück in der Hoffnung, Elvira noch einmal zu sehen. Er hatte sich auch nicht getäuscht, denn da sie drüben nicht weiter gebraucht wurde, trat sie bald ein.

„Nun?“ fragte sie.

„Donnerwetter!“ fluchte er. „Ein schönes Weib!“

„Schöner als ich?“ erkundigte sie sich ein wenig spitz.

„Ja, viel, viel schöner!“ entgegnete er aufrichtig.

„Du, du, Alimpo!“ drohte sie.

„Ach was! Schön ist schön, aber gut ist gut, und beides ist zweierlei. Ich lobe mir meine Elvira.“

„Wirklich?“ fragte sie lächelnd und den Arm um ihn legend. „Wird es aber auch so bleiben?“

„Sicher! Schöner als die Tänzerin kann zwar keine sein, aber dennoch möchte ich sie nicht zur Frau, denn sie kommt mir vor, als hätte sie die Hölle hinuntergeschluckt mit Millionen von Teufeln. Ist Cortejo wirklich bei ihr?“

„Ja. Er wartet im Boudoir auf sie.“

„So wollte ich, er wartete in alle Ewigkeit und auch noch etwas länger! Nun aber, gute Nacht, meine gute Elvira!“

„Du mußt fort?“

„Freilich! Mein Herr hat über zwei Stunden warten müssen; das ist er nicht gewöhnt.“

„So gehe! Aber morgen kommst du wieder?“

„Sicher. Gute Nacht!“

„Gute Nacht, mein Alimpo!“

Sie umarmten und küßten sich noch einige Male, endlich riß Alimpo sich los, um seinen Herrn aus der ihn verzehrenden Ungeduld zu reißen.

Die Ballerina aber war inzwischen zu Cortejo in ihr Boudoir eingetreten, hatte die Mantille abgeworfen und neben ihrem Gast Platz genommen. Sie wußte, daß der Sender dieses Schmucks ihm bekannt sein müsse, aber sie konnte warten. Endlich, als er von der neuen Livree eines Genueser Edelmannes, die ihm sehr gefallen hatte, sprach, ergriff sie die Gelegenheit und bemerkte:

„Auch mir fiel heute während des Tages eine Livree auf, die ich im Theater noch nicht gesehen hatte. Der Besitzer muß kein Freund des Theaters oder wenigstens des Balletts sein.“

„Ich kenne alle hiesigen Livreen; vielleicht kann ich dich orientieren. Beschreibe sie mir.“

„Sie war einfach. Grau mit amarantfarbenen Aufschlägen und Kragen.“

„Ah, weiße Binde, amarantfarbene Gamaschen, die mit silbernen Knöpfen besetzt sind?“

„Ja.“

„Hast du die Knöpfe erkennen können?“

„Ja. Sie zeigten eine Grafenkrone und ein verschlungenes R und S.“

„Und diese Livree hast du noch nicht gesehen?“ fragte er erstaunt.

„Nein.“

„Aber meine Liebe, das ist ja die unsrige!“

„Die eurige?“ rief sie im höchsten Grad überrascht.

Sie wußte nun sofort, wer der Geber war, denn sie hatte von Cortejo bereits gehört, daß Graf Manfredo in Saragossa weile.

„Es wird einer der Diener im Theater gewesen sein“, sagte er. „Der Graf kommt sicherlich nicht in das Ballett, denn seine Anschauungen sind zu streng.“

Sie wußte es allerdings besser. Sie wußte, daß sie diesen strengen Mann bezaubert hatte und daß es vielleicht nur auf sie ankam, ihn festzuhalten und seine Reichtümer zu teilen. Darum erkundigte sie sich:

„Du sprachst einst davon, daß er Söhne habe?“

„Ja, zwei, sie sind jetzt in Madrid.“

„Er ist ein Witwer?“

„Ja. Er führte ein sehr glückliches Leben mit seiner Frau und ließ sich nach ihrem Tod, um seinem Schmerz zu entgehen, nach Indien versetzen.“

„Hat er dort prosperiert?“

„Als Vizekönig?“ lachte er. „Reichtümer, ungeheure Reichtümer hat er sich erworben.“

„Die er nun hier im Mutterland verzehren wird?“

„Jedenfalls.“

„Vielleicht verbindet er sich zum zweiten Mal?“

„Ah, du hättest vielleicht Lust, Gräfin Rodriganda zu sein?“ lachte er. „So versuche doch, ihn zu erobern!“

„Hältst du dies für etwas so Unmögliches?“

„Beinahe, mein Kind, denn dieser Mann ist für Frauen vollständig unzugänglich.“ –

Unterdessen war der Graf ruhelos in seinem Zimmer auf und ab geschritten. Er wollte es sich nicht gestehen, daß eine gefährliche, ja unwiderstehliche Zauberin ihre Banden bereits um ihn geschlungen habe. Er glaubte – oder vielmehr er redete es sich ein, unter einem vorübergehenden Eindruck zu stehen, dennoch erwartete er die Rückkehr seines Dieners mit beinahe fieberhafter Ungeduld.

Als Stunden vergingen und die Mitternacht nahte, wollte er fast zornig werden, aber er kannte seinen treuen Alimpo zu gut, um zu wissen, daß dieser ihn nicht unnötigerweise warten lasse, und darum war auch die Sorge des Dieners, seinen Herrn unmutig zu finden, überflüssig gewesen.

„Du bist sehr lange fort“, das war alles, was der Graf bemerkte.

„Ich konnte nicht eher, Exzellenz“, entschuldigte sich Alimpo.

„Willst du damit sagen, daß du warten mußtest?“

„Ja, und zwar über zwei Stunden.“

„Dann erst kam sie?“

„Ja. Als ich ihr das Geschenk überreichte, wollte sie es zuerst nicht annehmen, ohne zu wissen, wer der Geber ist, ich habe mich aber nicht verraten, und sie gab sich schließlich zufrieden und bot mir eine Börse mit Gold, die ich aber nicht annahm.“

„Das ist recht, ich werde dich entschädigen.“

„Sie reichte mir aber ihre Hand. Und als ich diese Güte lobte, sagte sie, ich solle meinem Herrn sagen, daß sie gewohnt sei, gütig und dankbar zu sein.“

Bei diesen Worten zogen sich die Brauen des Grafen finster zusammen.

„Weiter sagte sie nichts?“

„Sie läßt Sie bitten, den Schleier des Geheimnisses bald fallen zu lassen, und wird am nächsten Ballettabend den Schmuck anlegen, damit Exzellenz sehen sollen, ob sie ihn zu tragen verstehe.“

„Gut, ich werde das Ballett besuchen. Sonst sagte sie nichts?“

„Nein.“

Der wackere Alimpo hielt es nicht für nötig, die Fragen und Antworten aufzuzählen, die er mit ihr gewechselt hatte. Doch der Graf erkundigte sich weiter:

„Wo hast du auf sie gewartet?“

„In einem kleinen Zimmer, in das mich ein Dienstmädchen brachte, denn ich wollte in dem eigentlichen Vorzimmer nicht bleiben, weil mich dort Señor Henrico Cortejo gesehen hätte.“

Der Graf war während des Gesprächs auf und ab geschritten, jetzt hielt er plötzlich an.

„Cortejo?“ fragte er. „Wieso?“

„Er war dort.“

„Ah! Bereits als du kamst?“

„Nein. Er kam mit ihr zusammen.“

„So ist er gar wohl jetzt noch dort?“

„Allerdings.“

Der Graf legte seine Faust schwer auf den Tisch und blickte finster vor sich hin.

„Er ist sehr oft dort“, bemerkte Alimpo weiter. „Das Dienstmädchen sagte es, die ich ausgehorcht habe.“

„Was sagte sie denn sonst noch?“

Es mußte mit dem Herzen des Grafen eigentümlich stehen, da er bereits nach der Plauderei eines Dienstboten forschte. Das merkte Alimpo recht gut. Er antwortete:

„Sie sagte, daß auch der Herzog von Olsunna sehr oft kommt, ebenso noch mehrere, deren Namen ich nicht weiß.“

Der Tisch krachte jetzt unter dem Druck, den die Faust des Grafen auf ihn ausübte, und als er nicht weiterfragte, machte Alimpo die Bemerkung:

„Schön ist sie, schön wie ein Engel, aber hundert Teufel hat sie im Leib, Exzellenz!“

Da fuhr des Grafen Kopf rasch empor, und sein Auge blitzte zornig auf.

„Wer sagt das?“ fragte er streng.

„Ich habe es gesehen, und meine Elvira sagte es auch!“

„Deine Elvira? Ah, wer ist das?“ fragte der Graf verwundert.

Alimpo stockte verlegen. Er hatte in diesem Augenblick ein Wort zum allerersten Mal gesprochen, das ihn nachher, ganz ohne seine Absicht, durch das ganze Leben begleitete und von seiner Elvira getreulich erwidert wurde. Er antwortete:

„Meine Elvira? Exzellenz, das ist Nachbars Elvirita aus Rodriganda.“

„Ich kenne sie nicht. Aber sie kennt die Tänzerin?“

„Ja, sehr gut! Sie ist ja das Dienstmädchen, das sie bedient und mir das Stübchen angewiesen hat.“

Des Grafen Gesicht wurde milder und milder, endlich lächelte er freundlich und sagte:

„Und die nennst du deine Elvira?“

„Ja“, antwortete Alimpo stockend.

„Ah, so ist sie deine Geliebte?“

„Ja, seit heute sogar meine Braut, wenn Exzellenz uns gnädige Erlaubnis erteilen. Wir haben uns versprochen.“

„So hast du gewußt, wo die Tänzerin wohnt?“

„Nein.“

„Aber du hast dein Mädchen dort besucht.“

„Auch das nicht. Wir beide haben uns nicht gesehen, seit ich die Schule verlassen habe.“

„Das wäre ja wunderbar! Ihr habt euch erst heute wiedergesehen – zum ersten Mal – und euch auch gleich verlobt?“

„Ja. Ich habe es gar nicht geglaubt, daß es möglich ist, Exzellenz, daß man einem Mädchen gleich so gut ist, daß man weiß, diese muß deine Frau werden und sonst keine.“

„So war es bei dir?“

„Geradeso – bei mir und meiner Elvira auch.“

Der Graf blickte sinnend vor sich hin. Es bewegte sich kein Zug seines Gesichtes, aber sein Herz ging mit wichtigen Gedanken schwer. Dachte er vielleicht, daß es ihm heute ganz ebenso gegangen sei wie seinem Alimpo? Endlich holte er tief Atem und fragte:

„Kannst du dich auf diese Elvira verlassen?“

„Ganz gewiß, Exzellenz.“

„Gut, so suche morgen früh zu erfahren, wann Henrico Cortejo fortgegangen ist.“

„Darf ich denn morgen früh schon hingehen?“

„Ja, aber in Zivil, damit man dich nicht erkennt. Hier hast du meine Börse. Du kaufst das seltenste und teuerste Bukett und bringst es der Tänzerin, sagst jedoch abermals nicht, von wem es ist. Wirst du dabei mit deiner Elvira zusammenkommen können?“

„Ich hoffe es.“

„So ist es gut. Wenn ich mit dir zufrieden bin und deine Elvira ein gutes Mädchen ist, werde ich für euch sorgen. Jetzt gute Nacht.“

Alimpo steckte die volle Börse mit einer tiefen Verbeugung des Dankes ein und ging. Er konnte in dieser Nacht vor Seligkeit nicht schlafen, während der Graf auch nicht schlief, allerdings nicht aus ganz demselben Grund. Auch er trug zwar eine Art von Seligkeit in der Brust, aber daneben auch eine Hölle, nur daß er sich dies nicht eingestehen wollte.

Am Vormittag, als kaum die schickliche Stunde zum Besuch angebrochen war, machte Alimpo sich mit einem riesigen Bukett auf. Er hatte Zivilkleider angezogen.

Als er das Haus erreichte, stand Elvira unter der Tür. Sie kam ihm heute am Tag so sauber und schmuck vor, daß er sie am liebsten gleich hier hätte umarmen mögen.

„Guten Morgen, meine Elvira!“ grüßte er sie.

„Ah, guten Morgen, mein Alimpo“, antwortete sie ganz erstaunt. „Was tust du hier?“

„Ich muß zur Tänzerin, um ihr ein Bukett zu bringen.“

„Ist's wahr? Das muß ich sehen. Komm.“

Elvira führte ihren Schatz hinauf in das Stübchen, wo er das Bukett enthüllte.

„O wie herrlich!“ rief sie.

„Das habe ich selbst ausgelesen“, sagte er stolz.

„Du? Da muß ich deinen Geschmack loben.“

„Ja, meine Elvira, der ist von je her fein gewesen“, versetzte er anzüglich.

„Wieso?“ fragte sie verschämt.

„Nun, an der Liebsten erkennt man den Geschmack am sichersten.“

„Und du denkst wirklich, daß der deinige fein ist?“

„Ganz gewiß, besonders wenn ich einen Kuß bekomme.“

„Den sollst du haben, du appetitlicher Mensch. Hier! Aber hatte ich gestern nicht recht?“

„Womit?“ fragte er, nachdem er sich den Kuß genommen hatte.

„Mit deinem Grafen, daß er in die Tänzerin verliebt ist?“

Da machte der gute Alimpo ein ernstes Gesicht und sagte beinahe traurig:

„Höre, meine Elvira, das ist eine schlimme Sache, die mir gar nicht recht ist, denn er ist nicht verliebt, sondern er liebt wirklich.“

„Wo liegt der Unterschied?“

„Das Verlieben liegt in den Sinnen, die Liebe aber im Herzen.“

„Und dies ist bei ihm der Fall?“

„Ja. Ich glaube, er könnte sterben, wenn er Unglück hat in der Liebe. Und ich bleibe dabei, sie hat den Teufel im Leib.“

„Sie ist nicht gut!“ stimmte auch Elvira bei. „Aber er wird sie ja nicht heiraten.“

„Nicht – und was denn?“

„Er wird sie besuchen, mit ihr speisen und spazierenfahren wie die anderen, weiter nichts.“

„Nein, das wird er nicht tun, denn er ist nicht wie die anderen. Wenn er ein Weib liebt, so wird es seine Frau.“

„Ah, so dauert er mich.“

„Mich auch. Aber wir können nichts tun, wir müssen es gehen lassen. Übrigens habe ich mit dem Grafen von dir gesprochen.“

„Du bist nicht klug.“

„Nicht? So hast du einen schlechteren Geschmack als ich“, lachte er. „Ich habe ihm gesagt, daß ich dir gut bin und daß ich dich heiraten werde.“

„Und weiter?“

„Und er hat gesagt, daß er für uns sorgen will, wenn du ihm gefällst.“

„Oh, so brauchen wir ja gar keine Sorge zu tragen!“ rief sie glücklich.

„Ja. Nun aber sage mir, wie lange der Sachwalter hiergeblieben ist.“

„Nur kurze Zeit. Bis zwei Uhr. Ich war noch wach, als er ging, denn ich dachte an dich, und da hörte ich, daß sie keinen sehr freundlichen Abschied nahmen.“

„So haben sie sich vielleicht entzweit?“

„Nein, so schlimm war es nicht. Übrigens mußte ich heute zum Herzog von Olsunna gehen, um ihm zu sagen, daß die Señorita heute Migräne habe und also nicht zu sprechen sei.“

Alimpo lachte in sich hinein.

„Weißt du, wer schuld ist an dieser Migräne?“

„Nun?“

„Der Graf. Der hat mit seinem Schmuck Eindruck gemacht. Sie wittert einen reichen, vornehmen Anbeter und will sich keine Blöße geben. Ist sie wirklich krank?“

„Nicht im geringsten.“

„So kann ich zu ihr?“

„Ja. Ich werde dich sogleich anmelden. – Kommst du heute abend?“

„Das versteht sich, aber jetzt kann ich nicht länger plaudern.“

Elvira führte Alimpo in das Vorzimmer, in dem sie gestern sich getroffen hatten, und öffnete ihm bald darauf eine zweite Tür. Dort lag die Tänzerin auf einer Ottomane und blickte ihm erwartungsvoll entgegen.

„Ah, Sie sind es“, sagte sie, als sie ihn erkannte. „Was bringen Sie?“

„Diesen Morgengruß, Señorita.“

„Von demselben Unbekannten? Will er mir auch heute seinen Namen nicht nennen und sich mir nicht zeigen?“

„Er wird das nächste Ballett besuchen.“

„So sagen Sie ihm, daß mein Herz ihn zu finden wissen wird, die Stimme des Herzens ist untrüglich.“

Die Tänzerin erkannte sehr wohl, daß sie einem großen Sieg entgegengehe, und entließ den Diener mit einem huldvollen Nicken ihres schönen Kopfes.

Alimpo berichtete dem Grafen den Erfolg seiner Sendung, und dieser schien mit demselben zufrieden zu sein. Dann ging der Diener wieder eines Tages mit einem Bukett zu der Ballerina und des Abends zu Elvira, und was er nun erfuhr, schien durchaus des Grafen Wohlgefallen zu erregen. Die Tänzerin ging nämlich nicht mehr aus, sie empfing Cortejo nur noch einmal des Nachmittags auf wenige Minuten und den Herzog von Olsunna gar nicht. –

Endlich nahte der Tag, wo die Tänzerin wieder aufzutreten hatte. Das Haus war ausverkauft; Cortejo und der Herzog wollten, wie gewöhnlich, sie hinter der Szene aufsuchen, wurden aber abgewiesen. Graf Manfredo de Rodriganda war an seinem Platz.

Der Vorhang hob sich, und die Ballerina erschien. Gleich bei der ersten Verbeugung, mit der sie das Publikum begrüßte, warf sie einen hellen, zündenden Blick nach dem Platz hinüber, an dem der Graf saß. Dieser fühlte den Blick, der ihm das Blut aufwühlte, er fühlte auch, daß er bereits erkannt und durchschaut sei.

Er hatte abermals nur Augen für diese Künstlerin. Die Bewegungen ihrer sinnberückenden Gestalt gruben sich wie Schlangen in seine Seele ein; er wäre am liebsten hinabgesprungen zu ihr auf die Bühne, um sie vor aller Welt zu umarmen und diesen tausend Augen zu entreißen, die trunken an ihrer Schönheit hingen.

Endlich sollte der letzte Aufzug zu Ende gehen. Die Tänzerin sollte in den Wolken verschwinden. Schon hob sie die Schwingen, die sie als Engel trug, schon schwebte sie einige Fuß über der Erde, da – war es etwas an der Mechanik, oder trug sie selbst die Schuld – wankte sie und stürzte herab, zwar nicht hoch, aber scheinbar doch so unglücklich, daß sie sich nicht erheben konnte.

Ein fürchterlicher Tumult erhob sich im Zuschauerraum. Der Vorhang fiel sofort, die Ballerina wurde nach ihrer Garderobe getragen, und der Theaterarzt beeilte sich, ihre Verletzung zu untersuchen. Eben eilte auch der Direktor herbei, als sich die Treppentür öffnete und ein ihm unbekannter Herr hereingestürzt kam.

„Wo ist Señorita Valdez?“ fragte derselbe kurz und gebieterisch.

„Jedenfalls in guten Händen. Was wollen Sie?“

„Ich muß zu ihr!“

„Das geht nicht!“

Da richtete sich der Fremde stolz empor und fragte:

„Wer will es mir verbieten?“

„Ich bin der Direktor.“

„Gut, und ich bin der Graf de Rodriganda, Vizekönig von Indien.“

Da riß es die Gestalt des Direktors zur tiefsten Referenz zusammen. „Ah, Exzellenz, das ist etwas anderes“, rief er. „Folgen Sie mir!“

Er führte den Grafen darauf bis zur Garderobentür, warf einen Blick durch dieselbe und sagte:

„Die Señorita ist wieder bei Besinnung. Treten Sie ein.“

Als der Graf den kleinen, aber luxuriös eingerichteten Raum betrat, zuckte ein Blitz der Genugtuung über das Gesicht der Ballerina. Niemand ahnte, daß sie mit Fleiß gestürzt sei, um durch diesen Fall den reichen Anbeter in Aufregung zu versetzen und dadurch zu einem Schritt zu verleiten, der nicht wieder zurückgetan werden konnte.

„Mein Gott“, rief sie, „wer ist der Fremde? Man lasse mich doch allein!“

Der Arzt wandte sich um und sah den Grafen.

„Mein Herr“, sagte er streng. „Hier gibt es zunächst nur Zutritt für mich.“

„Ich bin Graf Manfredo de Rodriganda und bleibe!“ erwiderte der Abgewiesene kurz. „Hat Señorita Valdez sich gefährlich verletzt?“

Der Arzt schlug, da er den Namen gehört hatte, einen anderen Ton an:

„Eine äußere Verletzung hat nicht stattgefunden; ob eine innere vorliegt, muß sich erst zeigen.“

„So bitte ich, die Señorita mir zu überlassen!“

Der Arzt warf einen fragenden Blick auf die Tänzerin, und da diese durch einen leichten Niederschlag ihrer Wimpern ihre Zustimmung gab, so sagte er:

„Ich stimme bei, da ich überzeugt bin, sie in guten Händen zu wissen.“ Er ging, und nun war der Graf mit der Tänzerin allein.

„Señorita, Sie kennen mich?“ fragte er.

„Ja“, antwortete sie mit einem verschämten, aber unendlich reizenden Aufschlag ihrer Lider.

„Warum wollten Sie mich hinausweisen?“

„Exzellenz, das galt nicht Ihnen, sondern dem Direktor, der hinter Ihnen eintreten wollte“, entschuldigte sie sich.

„Werden Sie sich erheben können?“

„Wohl schwerlich.“

„So gestatten Sie mir, Sorge zu tragen, daß Sie schmerzlos nach ihrer Wohnung gebracht werden, Señorita.“

„Ich gebe mich gern unter Ihre Obhut.“

Der Graf eilte hinaus, und bald wurde die Tänzerin von einigen Theaterdienern in des Grafen eigene Equipage gehoben, die mit ihr im Schritt davonfuhr. Die Diener folgten, um sie vor der Tür ihrer Wohnung wieder auf die Arme zu nehmen und nach ihrem Schlafzimmer zu tragen. Der Graf war auf das zärtlichste besorgt um sie. Er saß, als die Fremden fort waren, bei ihr, um auf seinen eigenen Arzt zu warten, nach dem er gesandt hatte.

Im Vorzimmer aber wachte Alimpo mit seiner Elvira.

„Hat sie sich etwas gebrochen?“ fragte das Mädchen leise.

„Leider nein“, antwortete er.

„Alimpo, du bist recht grausam und gefühllos.“

„Nein, aber ich sehe, was Wahrheit und was Komödie ist.“

„Was, du denkst, sie spielt Komödie mit solchen Schmerzen?“

„Schmerzen? Pah!“

„Ich habe es ja gesehen.“

„Aber nicht gefühlt, meine gute Elvira.“

„Hast du nicht die Gesichter gesehen, die sie vor Schmerzen schnitt?“

„Das kann ein jeder, ich auch. Sie ist gar nicht gestürzt.“

„Was denn sonst? Alle sagen, daß sie aus der Luft herabgestürzt sei!“

„Nein, sie ist nicht gestürzt, sondern sie hat sich gestürzt, sie hat sich recht sanft und behutsam drei Fuß hoch herabgleiten lassen. Ich habe es deutlich gesehen. Sie brachte das sehr täuschend fertig, denn sie ist eine Schauspielerin.“

„Denkst du das wirklich, Alimpo?“

„Ich bin überzeugt davon, daß sie damit den Grafen fangen wollte. Nun hat sie ihn und wird Gräfin de Rodriganda.“

„Mein Gott, eine Tänzerin!“

„So etwas soll öfters vorkommen.“

„Was werden die beiden jungen Herren sagen?“

„Das ist es ja, was mich so erzürnt. Ich habe beide herzlich lieb, ich habe mit ihnen Unterricht genossen, ich weiß, was sie in dieser Sache denken und fühlen werden. Ich sage dir, meine gute Elvira, die tausend Teufel, die diese Tänzerin im Leib hat, wird sie nun bald auf Rodriganda loslassen.“

„Da möchte ich nicht dabeisein.“

„Warum nicht? Der Graf will für uns sorgen. Jetzt ist er vor Liebe ganz selig, und wenn er mir eine Stellung bietet, über die ich mich freuen kann, so nehme ich sie an, ohne nach den tausend Teufeln zu fragen, die mich nichts kümmern.“

In diesem Augenblick hatte es da drinnen im Schlafzimmer allerdings nicht das Aussehen, als ob die Ballerina tausend Teufel im Leibe habe. Sie lag vielmehr so ergeben und geduldig auf ihrem weichen Bett, als wolle sie einem Maler zum Bild der personifizierten Sanftmut sitzen oder liegen. Elvira hatte sie vorhin umkleiden müssen, und nun ruhte sie, nur in das feine weiße Negligé gehüllt, mit müde geschlossenen Augen.

Der Graf hielt eine ihrer Hände in der seinigen und verwandte keinen Blick von ihr. Er hatte noch kein anderes als nur notwendiges Wort mit ihr gesprochen und horchte zuweilen nach der Tür hin, ob sich nichts vernehmen lasse.

Da endlich erklangen halblaute, schnelle Schritte, und sein Hausarzt trat ein. Er wußte bereits von der Anwesenheit des Grafen und zeigte sich also nicht verwundert darüber. Er hatte in kurzer Zeit die Kranke untersucht und riet achselzuckend zur möglichsten Ruhe und Schonung, verschrieb auch ein Medikament, das nichts schadete, er erkannte wohl, daß die Patientin vollständig rüstig sei, hielt es aber nicht für seine Aufgabe, dies zu äußern.

Als er sich entfernt hatte, bog der Graf sich zu der Ballerina nieder und fragte:

„Macht Ihnen das Hören Schmerzen, Señorita?“

„Nein“, lispelte sie.

„So darf ich sprechen?“

Sie nickte müde und fuhr sich mit der feinen Hand nach der Stirn.

Seine Hand bebte leise in der ihrigen; sie fühlte es und freute sich darüber.

„Sie wissen“, fragte er, „von wem die Buketts waren, die Sie jetzt täglich des Morgens erhielten?“

„Ja.“

„Sie wußten auch, wer Ihnen den Schmuck sandte?“

„Ich ahnte es.“

„Woher, Señorita?“

„Ich hatte Sie in der Vorstellung gesehen und mich nach der Farbe Ihrer Livree erkundigt.“

„Ah“, sagte er glücklich, „da mußten Sie also meinen guten Alimpo sofort erkennen. Zürnten Sie mir?“

Sie versuchte ein leises, mildes Lächeln und antwortete:

„Im Gegenteil, Don Manfredo.“

„Sie freuten sich also?“

„Ja.“

„Ich höre, daß Sie sogar meinen Rufnamen wissen.“

Ein glückliches Lächeln umspielte ihre Lippen.

„Sind Sie mir böse“, fragte er weiter, „daß der Schreck und die Angst meines Herzens mich heute zu Ihnen hinter die Szene trieben?“

Sie schüttelte den Kopf und erwiderte:

„Nein, das war nur ritterlich.“

„Ja, Ihr Ritter möchte ich sein, jetzt, stets, allezeit, für das ganze Leben.“

Die Tänzerin schloß die Augen, als müsse die Seligkeit, die sie über seine Worte empfand, vor jeder profanen Berührung mit der äußeren Sinneswelt bewahrt werden.

„Und darf ich heute bei Ihnen wachen, Señorita?“

„O nein“, hauchte sie, aber ein schneller Augenaufschlag bat ihn gerade um das Gegenteil. „Was würde man dazu sagen?“

„Oh, man sollte nur ein einziges Wort wagen!“ drohte er.

„Ich bin müde“, lispelte sie, ihre Hand aus der seinigen ziehend und nun beide Hände wie zum Nachtgebet faltend.

„Schlafen Sie! Ich bleibe!“

Der Sturz schien sie ganz widerstandslos gemacht zu haben. Sie sprach nicht mehr, und bald verkündigten ihre leisen, ruhigen Atemzüge, daß sie eingeschlafen sei.

Und nun saß der Graf während der ganzen langen, einsamen Nacht neben ihr, während die Ampel ihren purpurnen, verklärenden Schein über das Lager warf.

Nur mit Mühe vermochte sich der Graf endlich von dem bezaubernden Anblick der Ballerina loszureißen, um sich leise zu erheben und in das Vorzimmer zu treten. Er hatte gar nicht wieder daran gedacht, daß er Alimpo befohlen hatte, dort zu wachen, und daß der Arzt auch Elvira gebeten hatte, in der Nähe ihrer Herrin zu bleiben.

Da saßen nun beide auf dem Sofa, im tiefen Schlaf aneinandergeschmiegt. Ihre ehrlichen, treuen Gesichter machten einen guten, vertrauenerweckenden Eindruck, und der Graf murmelte vor sich hin:

„Sie lieben sich, sie sollen glücklich sein, so wie ich glücklich bin.“ Dann ließ er sich wieder neben dem Lager der Tänzerin nieder und wachte bis zum Morgen, wo eine Bewegung der Ballerina andeutete, daß sie ausgeschlafen habe.

Der Graf hatte freilich nicht bemerkt, daß sie ihn bereits seit einiger Zeit unter den Wimpern hervor beobachtete.

Endlich öffnete sie langsam die Augen.

Es hatte den Anschein, als besinne sie sich zunächst gar nicht auf das Geschehene, bis ihr Blick den seinen traf und sie nun mit einem leisen Schrei zusammenfuhr.

„Mein Gott, Graf, Sie noch hier?“ fragte sie erstaunt.

„Ich hielt es für meine Pflicht, bei Ihnen zu wachen“, antwortete er lächelnd.

„Oh, mein Leben und meine Gesundheit sind doch nicht so kostbar!“

„Versündigen Sie sich nicht an der Gottheit, Señorita!“ warnte er. „Sie haben Gaben erhalten, die eine jede zur Fürstin, zur Königin machen.“

Da legte sie sich auf die Seite, stemmte den Kopf in die Hand, blickte ihn fest und fast finster an und entgegnete:

„Pah, eine Tänzerin!“

„Aber dennoch wert, eine Königin zu sein!“ behauptete er.

„Wagt es ein Herr, bei einer Königin zu wachen, Don Manfredo?“ fragte sie. „Er wagt es nur bei der Ballerina!“

Ihr Auge leuchtete dabei in einem eigentümlichen drohenden Feuer.

„Tat ich Ihnen unrecht, Señorita?“ fragte er leise.

„Ja. Ich bat Sie, mich zu verlassen.“

„Ich konnte unmöglich gehorchen.“

„Warum nicht?“

„Fragen Sie einen Seligen, warum er nicht aus dem Himmel will!“

„Und dennoch werden Sie diesen Himmel verlassen!“

„Niemals!“

„Sind Sie denn dieses Himmels würdig?“

Bei dieser Frage richtete die Tänzerin einen Blick auf ihn, dessen Hingebung ihn trunken machte.

„Prüfen Sie mich!“ bat er.

Jetzt lagerte sich ein tiefer Ernst über ihr morgenfrisches Gesicht.

„Prüfen?“ fragte sie. „Ich Sie? Das Weib ist schwach, es lebt nur für die Liebe, aber der Mann ist stark. Prüfen Sie sich selbst, ob Sie würdig sind.“

Da kniete er vor ihr nieder, faßte ihre beiden Hände und erwiderte: „Ich bin es, Señorita.“

„Beweisen Sie es!“

„Ich will diesen Himmel nicht geschenkt haben; ich will mir ihn nicht erbetteln, sondern erringen und erkaufen.“

„Wodurch?“

„Dadurch, daß ich Ihnen alles zu Füßen lege, was ich bin und was ich habe.“

„Auch die Grafenkrone?“ fragte sie mit ungläubiger Miene, indem ihr Herz im geheimen vor Erwartung bebte.

„Auch die Grafenkrone!“

Da entzog sie ihm ihre Hände und machte eine Bewegung, als ob sie ihn von sich stoßen wolle.

„Gehen Sie, Graf!“

„Wie, Sie glauben mir nicht?“ fragte er erregt.

„Nein. Ich glaube keinem Mann.“

„So lernten Sie noch niemals einen Mann kennen, Señorita!“

Nun erhob sie sich aus der liegenden in die sitzende Stellung, und ihre Augen blickten ihn blitzend an, um aber nach und nach einen schwärmerischen, ja begeisterten Ausdruck anzunehmen.

„Ja“, sagte sie, „Sie haben recht, Graf; ich lernte noch nie einen Mann kennen. Und warum? Weil es keinen gibt! Oh, auch ich habe geträumt und geschwärmt von dem alten Bild des Epheus um die Eiche; auch ich habe mich nach einem Starken, Treuen gesehnt, an dessen Brust mein Herz seine Pulse klopfen lassen dürfe, und ich habe nicht nach Reichtum, Schönheit und Stellung geblickt; ich wollte nur einen Mann, nichts als einen Mann, dessen Haupt ich bewahren könnte vor Sorge und Kummer. Pah, was habe ich gefunden!“

„Señorita, suchen Sie noch! Sie werden einen Mann finden!“

„Sie meinen sich?“

„Ja.“

„Wie wollen Sie beweisen, daß Sie wirklich derjenige sind, den ich suche?“

„Indem ich Sie an mein Herz nehme und nimmer davon lasse; indem ich Sie im Triumph nach Rodriganda führe und meinen Vorfahren anreihe; indem ich Sie von der Bühne hinweg bis hinauf zu den höchsten Stufen des Thrones geleite; indem ich für Sie wage, opfere und vollbringe, alles, was ein Großer der Erde für das Weib seiner Wahl und Liebe nur zu tun vermag.“

„Weib sagen Sie?“

„Ja.“

„Und Ihre beiden Söhne?“

„Diese werden Sie anbeten, ganz so wie ich.“

„Fast möchte ich Vertrauen fassen. In meinem Herzen wohnt ein ganzes Meer von Glück und Liebe, fast möchte ich es wagen für das, was Sie mir versprachen.“

„Tun Sie es, Señorita!“ bat er.

„Nun wohl, Sie sind kein Knabe mehr, sondern ein Mann, der mit dem Leben gerungen hat. Ich will mich prüfen, ob ich Ihnen vertrauen kann. Gehen Sie jetzt und kommen Sie heute abend wieder.“

Die Tänzerin erhob sich und schob ihn nach der Tür zu. –

Hatte schon der Sturz der Ballerina gestern bedeutendes Aufsehen erregt, so wurde dieses Aufsehen geradezu verzehnfacht durch die Nachricht, daß Graf Manfredo Rodriganda, der Vizekönig von Indien, die Tänzerin in seiner eigenen Equipage habe nach Hause fahren lassen. Heute früh nun verbreitete sich gar die Kunde, daß er die ganze Nacht bei ihr zugebracht habe, und so war es gar nicht zu verwundern, daß bereits vor der gewöhnlichen Visitenstunde ein Mann vor ihrer Wohnung aus dem Wagen sprang, dem diese Gerüchte nicht gleichgültig sein konnten – der Herzog von Olsunna.

Er eilte in förmlicher Hast die Treppe hinan, und als Elvira hineinging, um ihn anzumelden, wartete er gar nicht, bis das Mädchen wieder zurückkehrte, sondern trat sofort ein.

Er fand die Ballerina angekleidet auf der Ottomane sitzen.

„Hanetta!“ rief er, die Arme ausbreitend.

„Eusebio!“ antwortete sie, ziemlich kalt, beinahe ironisch.

„Was, du fliegst mir nicht entgegen?“ fragte er.

„Nein“, antwortete sie sehr ernsthaft.

„Nicht? Was habe ich dir getan?“

„Nichts, mein Lieber.“

„Aber einen Grund muß es doch haben!“

„Allerdings!“

„Darf man ihn erfahren?“

„Gewiß. Ich fliege dir heute nicht entgegen, weil ich gestern während der Vorstellung erfahren habe, wie gefährlich das Fliegen ist.“

„Gut, so werde ich mir erlauben, an dein Herz zu fliegen!“

„O bitte, lassen wir lieber alles Fliegen!“ wehrte sie ihn ab.

„Aber weshalb auf einmal so kalt, Hanetta? Tod und Teufel, so ist es wirklich wahr, was die Leute reden?“

„Was reden sie?“

„Daß du nach dem Grafen Rodriganda angelst!“

„Hm! Oder er nach mir. Du weißt, mein lieber Eusebio, daß ich nie nötig habe, die Angel auszuwerfen!“

„Ja, eine verdammte Hexe bist du“, lachte er gepreßt. „Also du gibst zu, daß etwas Wahres an dem Gerücht ist?“

„Ja, ich gebe es zu.“

„Donnerwetter! So hole der Teufel den Rodriganda!“

„Ich wünsche ihm im Gegenteil alles Gute, weil er es ehrlich mit mir meint.“

„So! Meine ich es etwa nicht ehrlich und gut mit dir? Ich liebe dich zum Rasendwerden und bin zu jedem Opfer bereit.“

„Nun gut, so heirate mich!“

Der Herzog blickte sie groß an und rief:

„Dummheit!“

„Ah, du hältst also eine Heirat zwischen uns für eine Dummheit?“

„Natürlich! Verlange, was du willst von mir, nur das nicht! Übrigens weißt du ja selbst ebensogut wie ich, daß eine Tänzerin in unseren Kreisen eine Unmöglichkeit ist.“

„Ich werde dir das Gegenteil beweisen. Graf Rodriganda würde mich heiraten.“

„Unsinn!“

„Ich versichere es dir! Er, der Vizekönig!“

„Abermals Unsinn!“

„Und wenn ich dir nun sage, daß er mir bereits den Antrag gemacht hat?“

„Ich glaube es nicht!“

„Er hat sich für heute abend meine Antwort erbeten.“

„So ist er einfach ein Tor!“

„Nein, er ist sehr bei Sinnen. Er trägt eine große, wirkliche Liebe im Herzen, deren Gegenstand ich bin. Leider aber möchte ich um seinetwillen wünschen, daß ich einer solchen Liebe würdiger wäre.“

„Na, siehst du!“

„Ich will aufrichtig sein: Er ist ein alter Mann, keiner kommt aus Indien zurück, ohne durch Beulen und dergleichen Schaden an seinem Körper gelitten zu haben; er ist kein Mann für ein schönes junges Weib. Wolltest auch du mich heiraten, so hätte ich die Wahl zwischen euch beiden, und ich würde dich wählen.“

„Sehr schmeichelhaft“, nickte der Herzog zornig. „So aber wählst du ihn?“

„Höchstwahrscheinlich. Kannst du es mir verdenken, Eusebio?“

„Hm, eigentlich nicht, wenn ich gerecht sein will. Aber was wird aus mir?“

Sie lachte und meinte: „Was aus dir wird? Du bleibst natürlich Herzog von Olsunna.“

„Das ist ein schlechter Witz, an dem mir nichts liegt. Du bist das schönste Weib, das ich je gesehen habe; wir sind gute Kameraden gewesen bisher, und das soll nun auf einmal aufhören?“

„Wer sagt denn, daß es aufhören soll?“

„Na, wenn du den Rodriganda nimmst!“

„So kommst du nach Rodriganda, wenn du dich einmal nach mir sehnst.“

Der Herzog sprang auf und holte tief Atem.

„Ah, ist das dein Ernst, Hanetta?“ fragte er.

„Das versteht sich!“

„Gib mir einen Kuß darauf!“

„Zehn anstatt nur einen!“

„Hurra, nun ist alles wieder gut“, jubelte er.

„Also sind wir einig, nun so geh jetzt, Eusebio!“

„Gehen? Donnerwetter! Warum?“

„Weil ich jetzt sehr ehrbar sein muß. Verstehst du?“

„Hm, ja. Ich will dir gehorchen. Lebe wohl, Hanetta!“

„Lebe wohl, mein Eusebio!“

Auch Henrico Cortejo wäre gern am Vormittag zu der Ballerina gekommen, um sie zur Rede zu stellen. Er hatte gestern nicht zu ihr hinter die Szene gedurft. War es da ein Wunder, daß in ihm bei der Erinnerung an seine Unterredung mit ihr, deren Gegenstand der Graf gewesen war, die Eifersucht in ihrer ganzen Gewalt erwachte, als er erfuhr, daß Graf Rodriganda mit ihr gefahren und während der ganzen Nacht bei ihr gewesen sei?

Aber er hatte heute eine sehr dringende Konferenz mit Manfredo, und so mußte er warten, bis diese vorüber war, zumal es unter den gegenwärtigen Verhältnissen die Vorsicht gebot, sich sehr in acht zu nehmen, daß er nicht mit dem Grafen bei ihr zusammentraf.

Endlich war er frei, aber erst als er sich genau überzeugt hatte, daß der Graf noch für einige Stunden beschäftigt sei, machte er sich zu der Ballerina auf den Weg.

Hanetta empfing ihn mit großer Zärtlichkeit. Wie schon angegeben, war er zwar kein Jüngling mehr, aber ein sehr schöner Mann, und die Ballerina liebte ihn wirklich.

„Ich habe dich erwartet“, sagte sie, indem sie sich innig an ihn schmiegte.

„Wie kommt das?“ fragte er ernst, beinahe finster.

„Weil ich dich liebe. Welchen anderen Grund sollte es sonst wohl haben?“

„Und gestern wiesest du mich fort!“

„Ich mußte, weil mich die Klugheit dazu zwang.“

„So habe ich also recht gehört? So ist es also aus mit der Treue, die du mir tausendmal zugeschworen hast?“

„Nein, Henrico, auf meine Treue kannst du stets bauen“, sagte sie, indem sie ihn wiederholt küßte.

„Das reime sich der Teufel zusammen. Mir schwörst du Treue, und diesem alten Rodriganda gewährst du sogar in der Nacht Audienz.“

„Ah, du bist eifersüchtig?“ lachte sie.

„Ja, allerdings.“

„Wirklich? Ah, das ist köstlich!“

Jetzt lachte sie so herzlich und ausgelassen, daß er fast Miene machte, mit einzustimmen, aber er beherrschte sich und zürnte:

„Ich denke doch nicht, daß ich es bin, über den du dich lustig machst, Hanetta?“

„Das fällt mir gar nicht ein.“

„Über wen sonst?“

„Über keinen Menschen. Aber ich sage dir, daß dieser Rodriganda während der ganzen Nacht an meinem Lager gesessen wie eine barmherzige Schwester und keinen Blick von mir verwandt hat, denn er hielt mich für todkrank. Heute morgen allerdings hat er mich doch noch umarmt und geküßt.“

„Der Schurke!“ brauste Cortejo auf.

„Warum Schurke?“

„Weil du mein bist!“

„Beweise es!“

„Hast du es mir nicht viele hundert Male geschworen?“

„Ja – und ich werde mein Wort auch halten. Aber wer sagt denn, daß ich ganz ausschließlich dein sein kann?“

„Ah, das heißt, du liebst andere neben mir?“

„So meine ich das nicht. Aber erlaube mir eine Frage: Willst du etwa mich zur Frau nehmen?“

„O verdammt, wenn ich nur könnte!“ knirschte er. „So ein entzückendes Wesen und solche Einkünfte als Ballerina. Ich würfe mein Amt sofort unter die Lumpen.“

„Nun, so sei also ruhig und unparteiisch, Henrico.“

„Der Teufel mag das sein“, zürnte er.

„Aber anhören mußt du mich doch! Du hast ein Weib, eine kranke, elende Frau, die vielleicht nicht lange mehr leben wird, aber du hast sie doch. Es ist also ungerecht, mich an dich zu binden.“

„So willst du wohl gar los von mir?“

„Nein. Ich liebe dich wie vorher; aber ich denke, wenn ich mir einen alten, schwächlichen Mann nehmen würde, so könntest du nichts sagen, denn dann wären unsere Chancen gleich. Rechne dazu noch, daß dieser alte Mann der Graf de Rodriganda ist, so wirst du sofort erkennen, wie viele und große Vorteile für dich daraus entspringen müssen.“

„Ah, es soll also aus dem damaligen Spaß wirklich Ernst werden?“

„Wahrscheinlich.“

„Ahntest du dies schon damals?“

„Er schickte mir an jenem Abend einen kostbaren Schmuck.“

„Donner und Doria, ist das möglich?“

„Ja. Er war zum erstenmal im Ballett gewesen, und ich hatte ihn da gleich so hingerissen, daß er direkt vom Theater zum Juwelier gegangen ist, um mir den Schmuck zu kaufen.“

„Ist das Geschenk bedeutend?“

„Es hat einen Wert von fünfzehntausend Duros; ich habe es taxieren lassen.“

„Alle Wetter! So ist es ihm Ernst?“

„Gewiß.“

„Und dir?“

„Henrico, könntest du mich zum Weib nehmen, o wie gern würde ich die Deine! Da dies aber nicht der Fall ist, so wäre ich die größte Törin, wollte ich den Mann abweisen, der Graf, Vizekönig, hundertfacher Millionär und ein alter Mann ist, der wohl nicht mehr lange zu leben hat.“

„Ah, du rechnest gut.“

„Je leidenschaftlicher du bist, desto nüchterner muß ich handeln.“

Henrico Cortejo schritt einige Male in dem Zimmer hin und her; dann blieb er vor ihr stehen und fragte:

„Du liebst mich also wirklich, Hanetta?“

„Von ganzem Herzen“, versicherte sie, ihn küssend. „Wahr und treu.“

„Diesen Grafen aber liebst du nicht?“

„Nicht im mindesten.“

„Es sind nur der Reichtum und die Machtstellung, die dich veranlassen, ihm deine Hand zu geben?“

„Nur das allein.“

„Du wirst auch als Gräfin mich lieben und mir treu sein?“

„Geradeso wie jetzt.“

„Gut, so will ich dich nicht halten. Nimm ihn! Ich weiß, daß von deiner Macht und von deinem Besitz auch einige Körner auf mich herabfallen werden. Wann gedenkst du ihm dein Jawort zu geben?“

„Heute abend.“

„So nimm ihn fest, daß er nicht weichen kann.“

„Sorge dich nicht um mich! Aber dich muß ich warnen. Der Graf weiß, daß du bei mir verkehrtest. Sein Diener verriet es mir.“

„Alimpo?“

„Ja. Rodriganda ahnt natürlich, daß uns ein inniges Verhältnis verbindet; diese Meinung müssen wir ihm nehmen.“

„Auf welche Weise?“

„Indem wir ihn wissen lassen, daß du nur zweimal, und zwar in Gesellschaft, bei mir gewesen bist, als man bei mir wie gewöhnlich eine kleine Bank legte.“

„Gut.“

„Übrigens versteht es sich ganz von selbst, daß wir uns weiter nicht kennen.“

„Einverstanden.“

„Später werden wir uns in den neuen Verhältnissen orientiert haben, und dann kann es nicht schwer sein, Zeit und Ort zu finden, wo und wann wir sicher sind. Jetzt aber geh, Henrico, man könnte uns beobachten.“

Auch Cortejo gehorchte. Sie nahmen einen innigen Abschied, und dann ging er, um dieses Zimmer nicht wieder zu betreten.

Jetzt war das schöne Weib entschlossen, für seine Reize eine Grafschaft einzutauschen.

Als Don Manfredo des Abends kam, lag Hanetta zwar nicht mehr nieder, doch sie sah noch immer sehr angegriffen von dem gestrigen Sturz aus; aber diese feine, leidende Blässe, durch die doch das Rot des Lebens schimmerte, machte sie so reizend, daß der Graf fast seine vorgenommene Zurückhaltung vergessen und sie geküßt hätte.

Sie begrüßte ihn mit einem matten, aber freundlichen Lächeln und bot ihm einen Sitz ganz in ihrer Nähe an.

„Sie haben sich noch nicht völlig erholt?“ fragte er.

„Nicht ganz. Ich werde einige Zeit der Zurückgezogenheit bedürfen.“

„So säumen Sie nicht, Señorita. Die Gesundheit ist ein köstliches Gut, und es gibt Leute, denen die Ihrige doppelt teuer ist.“

Da richtete sie einen ihrer unbeschreiblichen Blicke auf ihn und fragte: „Welchen Ort halten Sie für vorteilhaft zur körperlichen Erholung für eine einfache und einsame Dame, mein lieber Don Manfredo?“

Bei diesen in einem liebevollen Ton gesprochenen Worten zog es wie heller Sonnenschein über sein Gesicht und er antwortete:

„O meine teure Señorita, welcher Ort könnte da wohl besser gelegen sein als mein Stammschloß Rodriganda.“

„Ich kenne es nicht.“

„Es liegt bei Manresa, am Wald – und doch wieder in solcher Nähe von mehreren Städten, daß man Stadt- und Landleben zu gleicher Zeit genießt.“

„Und diesen schönen Ort stellen Sie mir zur Verfügung?“

„O wenn Sie dieses Anerbieten annehmen wollten!“

„Ich will!“ sagte sie mit strahlendem Lächeln und streckte ihm die Hand entgegen, die er ergriff und feurig an seine Lippen führte.

„Ist das genug?“ fragte sie.

„Señorita, mit der Erhörung steigt der Mut. Soll ich Sie nur als Gast nach Rodriganda bringen; oder –“

Er stockte doch; dieses Glück schien ihm zu groß zu sein.

„Nun, oder –?“ fragte sie in ermunterndem Ton.

„Oder als meine Braut, die dann mein angebetetes Weib werden will?“

Er blickte ihr erwartungsvoll in die Augen; sie hielt diesen Blick aus und entgegnete:

„Manfredo, ich will dir vertrauen. Nimm mich hin, aber mache mich nicht unglücklich!“

„Unglücklich!“ rief er. „Lieber will ich tausend Tode sterben, ehe ich dir das geringste Weh bereite, du Herrliche! Aber ist es wahr, ist es wirklich wahr?“

„Ja“, flüsterte sie verschämt, indem sie ihren Kopf an seiner Schulter barg.

„So habe Dank, vieltausend, tausendmal. Du sollst diese Stunde nie bereuen, sondern den Himmel auf Erden haben, soweit Menschenhände ihn bereiten können. Aber ich fühle mich durch dich so unendlich glücklich, daß ich auch andere glücklich machen muß. Erlaubst du es mir, meine Hanetta?“

„Gern“, lächelte sie. „Aber wen?“

„Meinen Diener und dein Mädchen.“

„Ah“, fragte sie verwundert, „diese kennen einander?“

„Sie sind beide in Rodriganda geboren und haben sich zufälligerweise hier wiedergefunden. Darf ich sie holen?“

„Sind sie da?“

„Ich wette, sie stecken miteinander in dem kleinen Zimmerchen da drüben.“

„Ich sehe, daß du hier bei mir ebensogut Bescheid weißt wie ich. Komm, laß uns einmal nachsehen.“

„Leise!“ bat der glückliche Mann. „Vielleicht überraschen wir sie.“

Sie schlichen sich hinaus auf den Korridor und öffneten dann plötzlich die Tür zu dem Stübchen. Richtig, da saß Alimpo mit seiner Elvira, eng umschlungen, Seite an Seite, und es schien, als seien sie gerade bei einem herzhaften Kuß gestört worden. Sei erschraken fürchterlich und sprangen empor.

„Hallo, was treibt ihr denn hier für Allotria!“ sagte der Graf in einem scheinbar ernsten Ton.

„O Exzellenz, Sie wissen ja –!“ stotterte Juan Alimpo.

„Was weiß ich denn?“

„Nun, daß diese hier – daß sie –“

„Na, was denn?“

„Daß sie die Elvira ist.“

„Aber was geht denn dich das an?“

„Exzellenz, ich meine, daß – daß dies – daß dies meine Elvira ist!“

„Aber was sagt denn nun Elvira dazu?“

Diese war schnell entschlossen. Sie machte einen sehr resoluten Knicks und erwiderte:

„Exzellenz, Herr Graf, dieser hier ist mein Juan Alimpo.“

„So seid ihr also einig?“

„Ganz und gar.“

„Und eure Eltern?“

„Wir haben keine, ich nicht und er nicht.“

„So habt ihr also niemand zu fragen. Aber was werdet ihr denn nun miteinander beginnen?“

Das brave Mädchen lachte im ganzen Gesicht und entgegnete:

„Das überlassen wir dem Herrn Grafen.“

„Mir?“ fragte er verwundert.

„Ja. Weil Exzellenz meinem Alimpo versprochen haben, für uns zu sorgen, wenn – wenn – wenn – ich Ihnen gefalle.“

„Ach so! Und du meinst nun, daß du mir gefällst?“

Elvira blickte verschämt zu Boden und antwortete nicht.

„Nun, so antworte doch!“ drängte der jetzt zu einem Scherz aufgelegte Graf.

Sie bemerkte, daß er guter Laune sei, und faßte sich ein Herz.

„Meinem Alimpo gefalle ich“, sagte sie, „und da denke ich, daß ich – hm!“

„Nur weiter, weiter!“

„Daß ich Exzellenz auch gefalle!“

„Endlich! Und weil du dies so hübsch sagst, so will ich dir gestehen, daß du auch mir gefällst.“

„Nicht wahr, sie ist nicht übel, Exzellenz?“ rief da der glückliche Alimpo.

„Ja, sie ist gut, und darum will ich für euch sorgen. Was meinst du denn, Alimpo, was dir lieber ist: Feldhüter mit fünfzig Duros Gehalt oder Kastellan auf Schloß Rodriganda mit freier Station und dreihundert Duros Gehalt?“

„Exzellenz, der Kastellan ist mir lieber!“ rief da Alimpo rasch.

„So nimm ihn!“

„Tausend Dank, Exzellenz. Komm, meine gute Elvira, mache einen Knicks und bedanke dich bei dem Herrn Grafen.“

„Das kann ich schon ganz von selbst.“

Mit diesen ernstgemeinten Worten produzierte sie ihre schönste Verbeugung.

„Und bei der zukünftigen gnädigen Frau Gräfin auch“, bemerkte Alimpo.

„Was?“ fragte der Graf. „Wer hat dir denn davon gesagt?“

„Exzellenz, das habe ich gleich das erste Mal im Theater gedacht. Sie machten es geradeso wie ich: Sie guckten immer nur die eine an. Nun haben wir beide die unsrige.“

Der Graf lachte und ging mit der Ballerina wieder hinaus. Die beiden jungen Leute standen da und sahen einander an.

„Nun, da hast du es!“ sagte Alimpo. „Unser Hochzeitsgeschenk! Freut es dich?“

„Das versteht sich. Herr Kastellan kann nicht jeder sein.“

„Und Frau Kastellanin auch nicht eine jede. Nur eines freut mich dabei nicht.“

„Was?“

„Die Schloßherrin.“

„Ja. Sahst du, daß sie nur gezwungen freundlich war? Sie wird uns niemals liebhaben. Er nimmt sie ihres Gesichtes und ihrer schönen Glieder wegen, und doch, wie bald kann das alles vergangen sein! So ein vornehmer Mann ist zuweilen viel weniger klug, als man denken sollte.“

Während dieser kurzen Unterredung zwischen den Dienern saß das Brautpaar wieder drüben, scheinbar in der innigsten Liebe, beieinander. Der Graf war so glücklich, daß er seiner Verlobten die höchsten Wünsche erfüllt hatte, und da er auch bei ihr dieselbe Stimmung voraussetzte, sagte er:

„Glaubst du, daß ich eine Bitte an dich habe?“

„Sprich sie aus, Manfredo“, entgegnete sie freundlich.

„Sie betrifft meinen Sachwalter.“

Manfredo blickte die Tänzerin dabei scharf an; sie aber ließ sich nicht das mindeste merken und fragte nur: „Deinen Sachwalter? Wer ist das?“

„Es ist Henrico Cortejo.“

„Cortejo? Hm, diesen Namen muß ich bereits gehört haben.“

„Ich denke“, lächelte er.

„Ah, es ist ein Mann in den mittleren Jahren; ich besinne mich auf ihn.“

Er wurde wirklich irre an ihr; sie hatte die Unschuldsmienen meisterhaft einstudiert.

„Nicht wahr, du kennst ihn?“ fragte er.

„Nicht so, was man eigentlich kennen nennt. Er war drei- oder viermal bei mir, und das war an den Abenden, an denen ich Kollegen bei mir sah. Diese pflegen gewöhnlich eine kleine Bank aufzulegen, und da schienen sie diesen Cortejo gern dabei zu sehen. Er wurde mir zu diesem Zweck mitgebracht und vorgestellt.“

Der Graf war beruhigt, konnte aber, wenn er sich nicht verraten wollte, das Thema nicht gut abbrechen; darum sagte er:

„Ich hörte das, und da ich es nicht liebe, daß meine Beamten Spieler sind, so wollte ich mich bei dir nach der Höhe seiner Verluste erkundigen.“

„Das ist nicht bedeutend, mein Lieber“, sagte sie mit ruhigem Lächeln, während sie im Inneren den Liebhaber verachtete, daß er sich von ihr hatte täuschen lassen. „Man spielte nicht hoch, und so konnte Verlust oder Gewinn nur wenige Duros betragen.“

„Sahst du den Herzog von Olsunna auch in diesen Kreisen?“

„Ja. Zweimal nur. Dieser Señor schien sich bald unheimlich zu fühlen, weil die Künstler selten oder nie gewillt sind, Standesvorurteilen Weihrauch zu streuen.“

„Sie mögen in mancher Beziehung recht haben. Auch die Kunst adelt, allerdings nur den einzelnen, nicht aber ganze Geschlechter.“

Auch in diesem Punkt war der Graf von der gewandten Fechterin geschlagen worden. Er ging nun zu dem Näheren über:

„Du wirst zweifelsohne nicht mehr auftreten?“

„Nein.“

„Wann gedenkst du, nach Rodriganda zu gehen, meine Hanetta? Ich bin leider noch einige Zeit hier gebunden.“

„Das läßt sich arrangieren, mein Lieber.“

„Ganz nach deinem Willen.“

„Ich muß für einige Tage nach Madrid, und während dieser Zeit kannst du deine Arbeiten hier beenden.“

„Ah, du willst allein in die Hauptstadt?“ fragte er mehr besorgt als verwundert.

„Allerdings.“

„Trotz deiner gegenwärtigen Schwäche?“

„Diese hat nicht viel zu bedeuten. Das ruhige Sitzen im Coupé oder in der Diligence kann mir nicht schaden, wohl aber das Tanzen auf der Bühne.“

„Möchtest du nicht lieber warten, bis ich dich begleiten kann?“

„Dies geht nicht, mein Lieber. Erstens ginge eine kostbare Zeit verloren, und zweitens müßtest du dich da mit einem Gegenstand beschäftigen, den ich gern so fern wie möglich von dir halten möchte.“

„Welcher ist es?“

„Das Theater. Ich konnte natürlich nicht ahnen, daß mein Schicksal eine so plötzliche und ungeahnte Änderung erfahren würde, und so habe ich einen Kontrakt mit einer Bühne in Madrid unterzeichnet und auch bereits abgesandt. Dieser muß gelöst werden, und deshalb will ich nach der Hauptstadt reisen.“

„Und doch wäre es vielleicht vorteilhafter, wenn ich diese Sache in die Hand nähme, mein liebes Kind. Man wird dir Schwierigkeiten machen, während mich die Lösung des Kontraktes wohl nur ein Wort kostet.“

„Ich sagte dir bereits, daß es mir geradezu eine Ehrensache ist, dich nicht mit Bühnenverhältnissen zu belästigen. Du sollst mich erst dann bekommen, wenn ich frei von diesem Staub bin, mein lieber Manfredo.“

„Eigentlich muß ich dir für diese zarte Rücksichtnahme dankbar sein“, gestand er zu. „Aber wirst du die Reise auch wirklich aushalten können?“

„Ohne Zweifel!“

„So wirst du mir erlauben, für das Pekuniäre Sorge zu tragen.“

„Nur, um dir ein Vergnügen zu machen, mein Lieber. Ich bin nicht arm.“

„So nimmst du eine Anweisung an meinen Bankier an?“

„Ja.“

„Und wann reist du?“

„Morgen. Je eher ich aufbreche, desto eher kehre ich zu dir zurück, mein Geliebter.“

Die Ballerina umschlang den Grafen zärtlich und küßte ihn auf den ergrauten Bart. Er war so glücklich und hatte keine Ahnung davon, daß sie gar keinen Kontrakt mit dem Theater in Madrid abgeschlossen hatte, sondern nur deshalb die Residenz besuchte, um vor ihrer Vermählung noch eine kurze Zeit mit ihren früheren Freundinnen in Lust und Schwelgerei zu verbringen. Gerade in Madrid hatte sie ja die wildeste Zeit ihres Lebens verbracht. In den dunklen und verrufenen Gäßchen dieser Hauptstadt hatte sie auch Henrico Cortejo und den Herzog von Olsunna kennengelernt.

„Soll ich dich in der Hauptstadt abholen?“ fragte der Graf.

„Nein, mein Lieber. Ich werde nur kurze Zeit dort verweilen.“

„Ich möchte dich bitten, meine Söhne mit zu besuchen.“

„O nein, das möchte ich nicht tun. Jetzt bin ich noch im Engagement. Sie sollen mich erst dann sehen, sobald ich nichts anderes mehr bin als nur die Eurige.“

„So wirst du mich hier abholen?“

„Ja.“

„Dann verweile nicht gar zu lange, meine Geliebte, denn ich werde dich mit großer Sehnsucht erwarten. In einer Woche sind meine Arbeiten beendet.“

„Dann bin ich bereits wieder bei dir.“

Fast zu derselben Zeit wurde im Palais des Herzogs von Olsunna auch von Madrid gesprochen. Der Herzog saß in seinem Sessel, und bei ihm befand sich Gasparino Cortejo, sein Haushofmeister.

„Ja“, sagte der erstere. „Wir haben jetzt verdammtes Pech.“

„Es muß ertragen werden!“

„Da letzthin der Skandal wegen der deutschen Hauslehrerin und wegen deiner Zarba oder wie diese kleine Zigeunerin hieß.“

„Ich denke nicht mehr an sie!“

„Das glaube ich dir! Und jetzt wird mir wieder diese grandiose Ballerina weggekapert.“

„Das ist freilich unangenehm. Dieser Rodriganda konnte Besseres tun, als sich auf diese Weise an seinem grauen Haar zu versündigen!“

„Na, für Hirschgeweihe wird man wohl sorgen! Und dein Adonis-Vater auch mit.“

„Fällt ihm nicht ein!“

„Leugne nicht! Ich habe mir sagen lassen, daß er um die Ballerina herumgelaufen ist, leider aber ohne erhört zu werden. Hahahaha! Ein Sachwalter, der mit dem Herzog von Olsunna in die Schranken tritt. Ich hätte ihn für gescheiter gehalten.“

„Ich nicht“, sagte der Sohn, der recht wohl wußte, daß sein Vater dem Herzog den Rang abgelaufen hatte.

Der letztere fuhr fort:

„Nun ist eine tote Zeit eingetreten. Wie bringt man diese am besten hin? Willst du nicht einiges vorschlagen?“

„Wenn es auf mich ankäme, ich reiste nach Madrid. Der König von Portugal kommt auf Besuch; da gibt es Festlichkeiten und manches Schaugepränge, mit dem man sich die Zeit vertreibt.“

„Nicht übel. Wann kommt der König?“

„Sonnabend.“

„So reisen wir zusammen, und zwar schon morgen.“

So war mit leichtem Sinn eine Disposition getroffen worden, die für die Betreffenden nur verhängnisvoll werden sollte.

Als die Ballerina Madrid erreicht hatte, stieg sie in einem der ersten Hotels ab, denn sie besaß die Mittel dazu, vertiefte sich aber gar bald in die engen Gäßchen des südwestlichen Stadtteiles, in denen man des Abends kein ehrbares Frauenzimmer zu treffen vermag. Hier suchte sie sich frühere Bekannte zusammen, um die Dispositionen zu ihren zweifelhaften Belustigungen zu entwerfen. –

Am Tag des Königsempfangs blickten aus einem Palast der herrlichen Straße de la Almudena Platerías zwei hübsche, frische Jünglingsgesichter auf das Menschengewühl herab. Es waren die beiden Brüder Emanuel und Ferdinando de Rodriganda, die nicht die geringste Ahnung davon hatten, daß ihr Vater im Begriff stehe, ihnen eine Tänzerin als Stiefmutter zu geben, und daß diese Tänzerin heute im Lorettenviertel von Madrid umherschweife.

„Was tun wir? Werfen wir uns auch in das Gewühl?“ fragte Emanuel.

„Ja“, antwortete sein Bruder Ferdinando, „aber jetzt noch nicht.“

„Warum?“

„Ich will meine Karte von Mexiko vollends fertig machen.“

„Wie du dich für Mexiko nur so begeistern kannst!“

„Zürne nicht, mein Bruder! Es ist das mehr als eine bloße Schrulle. Ich fühle eine ganz besondere Zuneigung für dieses ebenso eigenartige wie reiche Land, und da ich der zweitgeborene Sohn bin, so ist es sehr leicht möglich, daß ich den Fuß einmal in das alte Land der Inkas und der Tolteken setze.“

„Wann wird die Karte fertig sein?“

„Beim Sonnenuntergang.“

„Ah, noch zwei volle Stunden! Dies dauert mir viel zu lange.“

„So gehe einstweilen und hole mich zur Dämmerung ab, wenn man die Larven hervorzusuchen beginnt.“

„Vielleicht hätte ich da zu weit zu gehen. Willst du nicht lieber zur angegebenen Zeit an den Palast Panadería kommen?“

„Gut.“

„Aber vergiß nicht, dein Messer oder deinen Revolver einzustecken; du weißt, daß bei solchen Gelegenheiten ein jeder selbst Polizist sein muß.“

„Keine Sorge, Emanuel!“

„Also adieu, Ferdinando!“

„Adieu!“

Der fleißige Jüngling trat vom Fenster zurück und bückte sich über seine Arbeit. Das bunte Fenstergetriebe existierte nicht mehr für ihn, und er legte Stift und Pinsel nicht eher wieder weg, als bis er die Karte gefertigt hatte.

Nun kleidete auch er sich an, und da er bemerkte, daß nach der eigentümlichen spanischen Sitte das Publikum bereits mit Halbmasken versehen war, so streckte auch er eine solche vor und trat darauf zum Waffenschrank.

„Was wähle ich? Eine Kugel tötet leicht, ein Messer ebenso. Ich nehme meine Boxringe, die sind Schutz genug für einen Boxer von meiner Übung.“

Damit steckte er die mit eisernen Stacheln versehenen Ringe zu sich und begab sich der Verabredung gemäß zunächst nach dem Palast Panadería, um den Bruder zu finden. Er suchte vergebens und stand schon im Begriff, den Ort zu verlassen, als Emanuel, den er sofort an den Kleidern erkannte, sich durch die Menge Bahn brach.

„Gut, daß ich dich finde“, sagte dieser. „Um eines Abenteuers willen konnte ich dich nicht hier erwarten. Komme schnell mit, ich erzähle dir unterdessen.“

Emanuel zog den Bruder mit sich fort, bis das Gewühl ein wenig lichter geworden war, dann begann er:

„Ich stand dort am Palazzo und wartete auf dich. Da schwebten vier Sylphiden vorüber, eine immer reizender als die andere. Ich folgte ihnen mit den Augen, sie bemerkten es und blieben stehen. Nach einer kurzen Rücksprache untereinander kam eine von ihnen auf mich zu und fragte: ‚Señor, erwarten Sie hier jemand? Vielleicht ein Liebchen?‘ – ‚Nein, vielmehr einen Freund.‘ – ‚Lassen Sie den Freund und kommen Sie lieber mit uns, wohin es Ihnen beliebt.‘ – ‚Sie suchen sich also Caballeros? Von welchem Rang?‘ – ‚Vom höchsten.‘ – ‚Ah, dann schließe ich mich Ihnen an, mache aber die Bedingung, daß wir uns zunächst in der Nähe halten, bis mein Freund kommt.‘ – Darauf wurde sogleich eingegangen, und so promenierte ich mit den vier Damen, bis nach und nach weitere zwei Herren dazukamen. Nun ist nur noch eine der Damen übrig, nämlich die am meisten wählerische, wie mir scheint. Sie wollte bei keinem anbeißen. Versuche nun auch du dein Heil. Du bist ja ein hübscher Junge.“

„Vielleicht sind es Grisetten!“

„Nein, sie sind von Familie und machen sich unter der Halbmaske einen Scherz. Komm! Dort an der improvisierten Pulqueschenke stehen sie.“

„Du hast doch keinen Namen genannt? Auch nicht gesagt, daß wir Brüder sind?“

„Nein. Ich habe nur von einem Freund gesprochen.“

„So werden wir ‚Sie‘ zueinander sagen, um auch den letzten Faden zu durchschneiden.“

Da, wo die Straße breiter wurde, hatte sich eine imitierte Pulqueschenke etabliert. An derselben standen vier Damen und zwei Herren, die den beiden Brüdern entgegensahen.

„Señoritas und Señores, dies ist mein Freund, den ich erwartete“, sprach Emanuel sie an. „Er verspätete sich, weil er beim russischen Gesandten aufgehalten wurde.“

Diese wohlberechneten Worte gaben dem Angekommenen einen Nimbus, der nicht ohne Wirkung blieb. Man verbeugte sich ungewöhnlich tief vor ihm.

Ferdinando hatte inzwischen die Gestalt der vierten Dame mit Kenneraugen überflogen. Sie trug einen langen, fledermausartigen Mantel, der von ihrer Gestalt nichts sehen ließ, aber das Haar war prachtvoll, das Ohr klein, die Lippen zum Küssen schön und das Kinn von jener schönen Rundung, die auf einen vollen Körperbau schließen läßt, und eben jetzt, als sie sich verbeugte und ihre Lippen sich ein wenig öffneten, erblickte Ferdinando zwei Reihen kleiner Zähne, die gar nicht prächtiger gedacht werden konnten. Sein Entschluß war gefaßt; er wandte sich ausschließlich nur an sie:

„Señorita, bitte, Ihren Arm!“

Er sprach nur die vier Worte, ohne alle Phrase, aber es lag in seiner Stimme ein eigenartiger Wohlklang, dem man nicht gut widerstehen konnte.

„Sie sollen ihn haben, Señor.“

Auch ihre Stimme hatte etwas unendlich Weiches und Sympathisches an sich. Sie legte ihren Arm in den seinigen, und nun brachen die vier Paare auf.

Es wurde zunächst wacker umhergetollt, zuweilen eine Tasse Schokolade und ein Glas Wein getrunken. Die vier Paare hielten sich einzeln, aber doch immer in einer Gruppe, so daß man sich sah, jedoch gegenseitig keines der Zwiegespräche verstehen konnte.

Ferdinando hatte längst erkannt, daß er es mit einer ausgezeichneten Schönheit zu tun hatte. Schon als sie ihm den Arm gab und er die elektrisierende Fülle und Rundung desselben fühlte, war es wie eine glückliche Ahnung über ihn gekommen. Sodann war ihm der unendlich leichte, schwebende Gang sehr bald aufgefallen, und endlich hatte er an dem Faltenwurf des Mantels bemerkt, daß dieser eine Venus verhüllen müsse.

Jetzt schritten sie hinter den anderen drei Paaren langsam dahin, leise, trauliche, abgebrochene Worte flüsternd.

„Werden Sie mir sagen, wer Sie sind?“ bat sie.

„Jetzt nicht, erst dann, wenn Sie mir auch Ihren Namen nennen.“

„Vielleicht werde ich es tun, darf ich raten?“

„Ja, bitte, Señorita!“

„Sie sind adelig. Dies vermute ich bei Ihrem Benehmen. Ferner sind Sie sehr reich.“

„Hm! Woraus ziehen Sie diesen Schluß?“

„Aus dem Brillantring, den ich hier fühle und immer funkeln sehe.“

Ferdinando hatte seinen rechten und ihren linken Handschuh ausgezogen, so daß sie sich jetzt barhändig führten. Dabei hatte er das kleine und doch so kräftige Händchen bewundert, das sie ihm so widerstandslos überlassen hatte.

„Wollen Sie nicht auch raten, was ich bin?“ fragte sie.

„Nein.“

„Ah! So bin ich also ganz ohne Interesse für Sie?“

„Nicht so, Señorita! Es ist mir, als wandle eine Fee, ein lichter Engel neben mir; das will ich glauben und diesen Traum nicht durch triviale Fragen zerstören.“

„So träumen Sie also?“ fragte sie in einem Ton, der beinahe innig genannt werden konnte.

„Ja.“

„Ich hätte Sie eher für einen Mann der Tat gehalten.“

„Das bin ich auch ganz gewiß; aber sobald ein sympathisches Wesen sich an meiner Seite befindet, dann spreche ich nicht viel, dann fühle und empfinde, dann denke und träume ich lieber.“

„Gut, auch ich bin so. Kommen Sie also, und lassen Sie uns träumen.“

Damit gab sie sich und ihm eine plötzliche Schwenkung, so daß sie, ungesehen von den anderen, in ein Seitengäßchen einbogen.

„Aber, Señorita, wir verlieren die Freunde.“

„Freunde? Pah! Kommen Sie nur!“

Ihre Stimme klang halb traurig und halb hart; es lag etwas Magisches in dem Klang derselben. Sie führte ihn durch viele Straßen und Gassen langsam auf den Manzanares zu, dessen Wellen im Mondesstrahl wie Silber funkelten. Dort blieb sie stehen.

„Wir wollen träumen“, sagte sie. „Das geht auf dem Wasser am besten. Können Sie rudern?“

„Ja, aber wir nehmen uns trotzdem einen Schiffer.“

„Warum?“

„Ich will heute nur Ihnen gehören, nicht aber meine Zeit dem Fahrzeug widmen.“

„Dann werden wir aber nicht allein sein.“

„Diese Leute sind aus Gewohnheit taub. Kommen Sie!“

Ferdinando führte seine schöne Begleiterin zu einem der Kähne und half ihr hinein. Sofort kam der Bootsmann herbei und griff nach den Rudern.

„Wohin?“ fragte er.

„Spazieren.“

Nun wußte er, daß er nach eigenem Belieben rudern und fahren konnte. Er kannte diese Art von Leuten, die mit jeder Richtung zufrieden sind, sobald man nur nicht sieht und nicht hört, was sie tun und sprechen.

Ferdinando setzte sich neben seine Dame, und sie sagte nichts dagegen, daß er noch näher an sie heranrückte, als es eigentlich notwendig war. Gleich darauf stieß der Kahn vom Ufer.

Ja, nun träumten sie! Sie sprachen kein Wort. Ferdinando hatte ihre Hände ergriffen und bedeckte sie mit Küssen. Dann lehnte er den Kopf an ihre Schulter und träumte hinaus in die stille, helle Nacht.

Als er wieder zu ihr aufblickte, erschrak er beinahe, und doch war es eine große Seligkeit, die ihn durchzuckte, denn sie hatte die Maske abgenommen, und nun blickten ihm aus einem zauberisch schönen Angesicht zwei herrliche, beinahe phosphoreszierende Augen entgegen. Er holte ein-, zwei-, dreimal tief Atem.

„Wie schön, o wie schön!“ flüsterte er.

„Bin ich wirklich so schön?“ fragte sie ihn leise.

„Ja, sinnbetörend schön.“

„Und Ihr Antlitz, darf ich es nicht auch sehen?“

„Was sind meine Züge gegen Ihr Bild! Aber dennoch will ich es Ihnen zeigen.“

Auch er nahm jetzt die Maske ab, und nun schauten sie sich einander in die Augen, und diese Blicke drangen in ihre Herzen.

Er zog sie an sich, ohne zu fragen. Er drückte sie an sein Herz, sie ließ es sich gefallen.

„Du bist herrlich, du bist unvergleichlich“, gestand er endlich.

„Auch du bist schön“, flüsterte sie.

„Laß uns nicht zum letzten Mal beisammen sein.“

„Und doch müssen wir scheiden“, klagte sie, „denn ich bin die Braut eines anderen.“

„Ich kämpfe mit ihm, ich töte ihn!“

„Nein.“

Dieses Nein klang so fest, so schroff und bestimmt, daß er aufblickte. „Du liebst ihn?“ fragte er.

„Nein, ich liebe ihn nicht.“

„So opferst du dich.“

„Auch nicht.“

„So weiß ich nicht, was ich denken soll.“

„Denke, wie du vorhin sagtest, daß ich eine Fee bin, die heute herniedergestiegen ist, um dir die Seligkeit aller Himmel zu zeigen, und dann wieder gehen muß.“

„So wollte ich, ich verschwände mit dir.“

„Du würdest dich auf einem einsamen Schloß wiederfinden, wo weder Glück noch Liebe wohnen. Suche nie, niemals nach mir.“

Damit befahl sie dem Ruderer, wieder umzulenken und stromaufwärts zu fahren, und als er es getan, da saßen sie abermals nebeneinander, innig umschlungen und süße Worte und süße Küsse tauschend. Da kam ihnen ein Boot entgegen, in dem sich außer den Bootsführern zwei Herren und zwei Damen befanden.

Der Mond schien Ferdinando und seiner Dame hell und voll in das Gesicht.

„Lege die Maske vor“, bat er sie und tat dasselbe, sie aber schüttelte verächtlich mit dem Kopf. Sie dachte nur der süßen Regungen, die sie jetzt durchfluteten, sie dachte nicht daran, daß ihr ein Bekannter hier in diesem Boot begegnen könnte.

Die anderen kamen näher, jetzt waren sie da, und eine Stimme rief: „Donnerwetter, Hanetta, ist's wahr?“

Und eine zweite fiel sogleich ein:

„Ja, sie ist's! Sie ist in Madrid!“

„Halt, halt!“ riefen dann beide Stimmen zu gleicher Zeit.

Und in demselben Augenblick ließen sie auch den Kahn umlenken.

„Um Gottes willen, fort!“ bat die Ballerina. „Es ist der Herzog von Olsunna und sein Wicht!“

„Kennst du sie?“ fragte Ferdinando.

„Ja. Sie haben mich gesucht, um mich zu belästigen.“

„Sie sollen es nicht tun“, sagte er.

„Heilige Madonna, nur keinen Kampf!“

„Nein, eine Zurechtweisung. Habe keine Angst. Nimm die Maske vor.“

Ferdinando stand aufrecht im Boot und gebot, direkt an das Ufer zu steuern. Es geschah, und währenddessen schlug die Ballerina die Mantille um und legte die Maske vor.

Aber das andere Boot hatte zwei Ruderer, es erreichte das Ufer eher, wo der Herzog und Gasparino Cortejo auf die Nahenden warteten. Ferdinando bewehrte seine Faust mit dem Schlageisen.

„Halt!“ rief jetzt der Herzog. „Aussteigen!“

Ferdinando bezahlte seinen Bootsmann und stieg mit Hanetta aus. Der Herzog und Gasparino taten desgleichen.

„Ich bitte, die Masken abzunehmen!“ rief Olsunna.

„Mit welchem Recht?“ fragte Ferdinando.

„Mit dem Recht der Freundschaft.“

„Mit Zudringlichen hege ich keine Freundschaft. Geht, Señores!“

„Ah! Wir verlangen diese Dame!“

Da stellte sich Ferdinando vor die Ballerina und rief:

„Holt Sie Euch!“

„Gut!“

Olsunna streckte seine Rechte aus, erhielt aber sogleich einen so kräftigen Hieb auf den Kopf, daß er zusammenbrach.

„Der eine ist abgetan“, sagte der mutige Jüngling. „Und nun der andere.“

Im nächsten Augenblick hatte Gasparino Cortejo, ehe er es sich versah, einen ähnlichen Hieb, und auch er stürzte zu Boden.

„Nun kommt, Señorita, die Bahn ist frei.“

Ferdinando gab Hanetta seinen Arm und führte sie davon. Keiner der Zurückbleibenden wagte es, ihn zu belästigen.

Zunächst beeilten sie ihre Schritte, als sie aber einige Gassen hinter sich hatten, gingen sie langsamer.

„O heilige Madonna“, sagte Hanetta aufatmend, „welche Angst hatte ich!“

„Um wen?“ fragte er.

Da schlang sie die Arme um ihn und drückte ihn heiß und fest an sich. „Um dich! Aber du warst ein Held!“

„An deiner Seite wird jeder zum Helden.“

„Aber, Geliebter, die zwei hast du erschlagen.“

„Nein, sie sind nur ohne Besinnung. Ich kenne meinen Hieb.“

„Laß uns nach meinem Hotel eilen; obwohl ich nicht fremd bin hier, so wohne ich doch jetzt in einem solchen.“

„So komm!“

Arm in Arm erreichten sie in so kurzer Zeit das Hotel, daß Ferdinando wünschte, der Weg wäre länger gewesen.

„Wirst du nun befehlen, daß ich mich verabschiede?“ fragte er, als sie vor dem Portal standen.

„Willst du denn fort?“ erwiderte sie leise.

„Fort! Ich? Ich möchte jede Viertelstunde bei dir mit meinem Leben kaufen!“

„So komm!“

Hanetta führte Ferdinando nunmehr eine breite Treppe empor, sodann einen Korridor entlang bis an eine Tür, die sie öffnete, und bat: „Tritt ein! Hier wohne ich!“

Ferdinando sah ein fein ausgestattetes Zimmer, neben dem ein Kabinett lag.

„Gehe einstweilen in das Kabinett, ich werde klingeln. Bis jetzt hat dich niemand gesehen.“

Er gehorchte. Als er nach einiger Zeit von ihr geholt wurde, fand er ein lukullisches Souper aufgetragen.

„Du hast mich deine Fee genannt“, lächelte sie, „ich muß dich also speisen und tränken, wie es Pflicht und Sitte guter Feen ist. Setze dich.“

„Welchen Platz weist du mir an?“ fragte er.

„Hm! Soll ich die Wirtin sein oder die Hausfrau?“

Er erglühte vor Glück bei dieser Frage und antwortete:

„Bitte, die Hausfrau!“

„Gut, so bedienen wir einander.“

Sein Auge hing ganz trunken an ihr, und je länger das Nachtmahl währte, desto fester fühlte er sich gefangen im Bann dieser Zauberin. Der Wein goß ganze Feuerströme in seine Adern, ihre Blicke, die unwillkürliche Berührung ihrer Hände und Füße, der leise, süße Flüsterton ihrer Stimme, das Geheimnisvolle zwischen ihnen, das alles wirkte zusammen, dem jungen Grafen die Selbstbeherrschung zu rauben.

Nach dem Mahl nahm er auf dem Sofa Platz, und benommen von den reichlich genossenen schweren Weinen schlief er bald ein. Und als er am Morgen erwachte, da wußte er nicht, ob die Wirklichkeit Traum oder der Traum Wirklichkeit gewesen sei.

„Und nun bist du mein und wirst mir sagen, wer du bist!“ bat er.

„Jetzt noch nicht“, entgegnete sie lächelnd.

„Wann denn?“

„Heute abend.“

„Darf ich da wiederkommen?“

„Ja, du darfst, jetzt aber gehe, du lieber, lieber Herzensschatz!“

Sie umarmten sich noch heiß und innig und schieden. Ferdinando ging.

Er sah nicht, daß sie am Fenster stand und ihn so lange wie möglich mit trüben, verzehrenden Blicken verfolgte. Er sah auch nicht, daß gegenüber dem Hotel ein alter Vagabundo (Bummler) lag, den Eingang mit scharfen Blicken überwachend, und, als Ferdinando heraustrat, sich erhob und ihm folgte, um seine Wohnung und seinen Namen zu erkunden.

Emanuel hatte inzwischen seinen Bruder mit Schmerzen erwartet und bat ihn jetzt, ihm sein Abenteuer zu erzählen. Beide Brüder hatten keine Geheimnisse voreinander, und so erfuhr Emanuel alles, was Ferdinando erlebt hatte.

Der erstere schüttelte ernst den Kopf.

„Mein Bruder, du hast ein sehr großes Unrecht begangen“, sagte er.

„Ich weiß es, aber siehe sie erst und dann verurteile mich.“

„Ich verurteile dich nicht. Aber ich bitte dich, sie nicht wieder aufzusuchen!“

„Nicht? Oh, ich würde sie aufsuchen mitten unter dem Lavaregen des Vesuvs.“

„Du bist krank!“

„Ja, aber im Herzen.“

„Und du weißt wirklich noch nicht, wer sie ist?“

„Nein.“

„Du konntest im Hotel fragen.“

„Das tut kein Kavalier. Heute abend wird sie es mir freiwillig sagen.“

Emanuel gab sich alle Mühe, den Bruder anderen Sinnes zu machen, es gelang ihm jedoch nicht. Sie waren noch über diesem Thema, als der Diener den Herzog von Olsunna meldete.

Beide Brüder blickten einander auf das höchste überrascht an, hatten aber noch kein Wort sprechen können, so trat der Genannte bereits ein, verbeugte sich freundlich, reichte jedem die Hand, die auch angenommen wurde, und meinte dann, als er Platz genommen und die Brüder einen Moment forschend angeblickt hatte, in leichtem Ton:

„Ich konnte meine kurze Anwesenheit in Madrid nicht vorübergehen lassen, ohne Sie aufzusuchen, Señores, zumal ich mich nach einem ganz eigentümlichen Vorkommnis bei Ihnen erkundigen möchte. Darf ich Ihnen einige Fragen vorlegen, Don Ferdinando?“

„Immerhin“, antwortete dieser. „Natürlich aber behalte ich mir vor, ob ich zu antworten habe oder nicht.“

Der Herzog verbeugte sich zustimmend und begann:

„Sie unternahmen gestern abend eine Kahnfahrt auf dem Manzanares mit einer Dame?“

„Ja.“

„Kannten Sie diese Dame?“

„Nein.“

„Aber heute kennen Sie dieselbe?“

„Nein. Soweit es sich mit der Ehre und der Diskretion eines Edelmannes verträgt, bin ich jedoch bereit, einem jeden Kavalier Auskunft zu erteilen. Ich sage Ihnen daher, daß ich erst heute abend erfahren werde, wer die Señorita ist.“

Der Herzog lächelte überlegen.

„Sie werden es heute nicht erfahren, weil sie eine Viertelstunde nach Ihrem Fortgang Madrid verlassen hat.“

„Alle Teufel!“ brauste Ferdinando auf. „Ich hoffe nicht, daß Sie lügen!“

„Lügen? Pah! Einer Dirne wegen!“

„Herr! Durchlaucht!“

„Gemach, gemach! Ich kenne sie besser, als Sie sie kennen. Sie waren es, der mir gestern den Boxring an den Kopf schlug?“

„Ja.“

„Das war sehr tapfer von Ihnen. Ich werde später mit Ihnen weiter darüber sprechen. Also Sie werden Ihre Schönheit hier nicht wiederfinden; aber einen sehr großen Trost kann ich Ihnen geben, sie wird Ihnen sehr bald in sehr intimer Weise wieder begegnen.“

„Durchlaucht, welchen Zweck hat denn eigentlich Ihr Besuch? Den Zweck der Beleidigung?“

„Nicht im mindesten. Ich wollte nur wissen, wer mich gestern niedergeschlagen hat.“

„Und wie kamen Sie da auf mich?“

„Weil einer unserer Schiffer Ihnen heimlich ins Hotel folgte; ich ließ es bewachen und hörte, daß Sie herausgetreten seien. Das ist alles. Adieu, Señores!“

Der Herzog ging, und die Brüder gaben sich keine Mühe, ihn zurückzuhalten.

„Was war das? Was wollte er?“ fragte Emanuel.

„Darüber zerbreche ich mir den Kopf nicht, das werden wir schon erfahren. Jetzt muß ich vor allen Dingen nach dem Hotel.“

„Sei nicht zu schnell, nimm mich mit.“

„So komm!“

Die Brüder fanden die Worte des Herzogs bald bestätigt. Die Ballerina war abgereist, ohne eine Spur zu hinterlassen. Papiere hatte sie gar nicht besessen, es fehlte also jeder Nachweis, da es Fremdenbücher nicht gab. Unverrichteter Sache kehrten sie wieder nach ihrer Wohnung zurück.

Ferdinando aber dachte an die fremde Señorita wie an einen Stern, der ihm in dunkler Nacht erschienen war, und träumte von ihr und hoffte von Tag zu Tag fester, daß er sie wiedersehen werde. –

In Rodriganda war mittlerweile ein sehr reges Leben eingezogen. Der gute Alimpo war mit seiner Elvira gekommen, um das Schloß zu dem Empfang des Grafen Manfredo einzurichten. Da sich dort stets alles in der musterhaftesten Ordnung befand, so verursachte diese Einrichtung nicht sehr viel Arbeit, und bereits am dritten Tag kam der Graf angefahren.

An seiner Seite saß im Wagen eine Dame von wahrhaft wunderbarer Schönheit, von der aber niemand wußte, wer sie sei. Und die es wußten, hatten den strengsten Befehl, es niemand zu sagen.

Gleich am Tag der Ankunft führte der Graf diese Dame durch das ganze Schloß, den Park und das Dorf. Man sah, daß sie sehr freundlich und beinahe zärtlich miteinander waren, aber weiter erfuhr man nichts.

Dann wurde der Pfarrer in das Schloß bestellt. Er fand den Grafen mit der Dame ganz allein.

„Herr Pfarrer“, sagte derselbe, „ich stelle Ihnen hiermit meine Braut vor.“

Der Pfarrer war zunächst vor Überraschung ganz perplex, dann gratulierte er untertänigst. Der Graf nickte sehr gnädig und fuhr fort:

„Sehen Sie die Dokumente durch, die dort auf dem Tisch liegen! Sind sie zur Trauung genügend?“

„Vollständig!“ sagte der Geistliche, als er sie geprüft hatte.

„So halten Sie sich jeden Augenblick bereit, die Trauung zu vollziehen.“

„Und das Aufgebot, Exzellenz?“

„Sie haben ja dort gelesen, daß ich dispensiert bin. Übrigens verbiete ich Ihnen, jetzt von der Sache zu sprechen. Ich will die Welt mit der vollendeten Tatsache überraschen. Beiwohnen werden der Trauung nur meine beiden Söhne mit einigen Freunden. Adieu!“

Der Pfarrer ging.

Mehrere Tage später kamen des Nachmittags einige Herren angeritten, unter ihnen auch der Herzog von Olsunna. Dieser letztere kam nicht allein; an seiner Seite befand sich Gasparino Cortejo, sein Spießgeselle.

Als beide ihre Pferde abgegeben hatten und langsam durch das Portal traten, fragte der Herzog den Gefährten:

„Du hast doch die Pistolen nicht vergessen?“

„Nein, sie sind in meiner Tasche.“

„Recht so! Ich weiß, daß es ein Duell oder etwas dem Ähnliches geben wird, sobald ich mit meiner Rache beginne. Dieser kleine Graf Ferdinando soll mich nicht umsonst niedergeschlagen haben.“

„Und mich ebensowenig!“ brummte Gasparino Cortejo und begab sich zunächst zu seinem Vater. Henrico Cortejo war nämlich auch mit auf Rodriganda, denn die Trauung gab viel Veranlassung zu allerhand Schreibereien, die er anzufertigen hatte. Er wohnte neben dem Grafen, dessen Zimmer wieder an diejenigen der Ballerina stießen.

Diese letztere hielt sich heute recht einsam und ließ sich gar nicht sehen.

Am Abend waren alle zur Tafel versammelt; da trat der Graf mit der Ballerina ein. Das hatte man allgemein erwartet, denn weshalb man nach Rodriganda geladen war, das war ja ein öffentliches Geheimnis.

Der Graf teilte den Versammelten in kurzen Worten mit, daß er beabsichtige, jetzt seine Verlobung mit Doña Hanetta Valdez zu begehen. Er erwarte am späten Abend seine Söhne aus Madrid, und dann solle sofort morgen die Vermählung gefeiert werden.

Man war nach Kräften lustig und guter Dinge, man erging sich in Toasten und Wünschen, aber man konnte sich nicht erwärmen, denn es lag wie fühlbarer Druck auf der Gesellschaft, und es war ganz so, als ob sich heute noch irgend etwas Schlimmes ereignen müsse.

Nach der Tafel zog sich die Braut zurück, und die Herren blieben beim Wein. Später hörte man das Rollen eines Wagens, und der Graf ging hinab, die Gäste zu empfangen. Es waren seine beiden Söhne. Er führte sie in sein Kabinett.

Sie hatten nur die kurze Weisung erhalten, wegen einer dringenden Familienangelegenheit nach Rodriganda zu kommen, und wußten nicht, um was es sich handele. Sie saßen daher jetzt dem Vater mit Spannung gegenüber.

„Ihr wißt“, begann dieser, „daß ich nie ein Freund von vielen Worten gewesen bin, und so will ich auch jetzt keine Einleitung vorausschicken. Vernehmt, daß ich im Begriff stehe, mich zum zweiten Mal zu vermählen!“

Wäre ein Blitzschlag in die Erde gefahren, so hätten die beiden Söhne kaum mehr erschrecken können als jetzt.

„Vermählen?“ fragte Emanuel.

„Eine zweite Frau?“ rief Ferdinando. „Jetzt noch!“

„Ja, jetzt noch!“ antwortete der Graf mit schwerer Betonung. „Es ist augenblicklich nicht die Zeit zu langen Auseinandersetzungen. Darum wollen wir uns rasch klarwerden. Beantwortet mir einige Fragen. Zunächst: Könnt ihr mir es verwehren, mich nochmals zu verheiraten?“

„Nein“, antwortete Emanuel.

„Oder wollt ihr es mir verwehren?“

„Nein“, sagte auch Ferdinando.

„Nun, so könnt ihr sicher sein, daß von euch beiden keiner in seinen wohlberechtigten Interessen geschädigt werden wird. Ich hoffe jedoch, daß meine Gemahlin bei euch die Achtung und Liebe, die Rücksicht und das Entgegenkommen finden wird, die das Kind der Mutter schuldet!“

„Wer ist sie, Vater?“ fragte Emanuel.

„Sie ist nicht von Adel.“

„Ah!“ rief Emanuel.

„Nicht?“ rief Ferdinando.

„Nein“, sagte der Graf. „Ich habe nicht notwendig, nach neuem Glanz zu sehen. Übrigens ist sie allerdings von einer Art Adel. Ich meine den Geistesadel. Sie ist Künstlerin.“

Die beiden Brüder sahen einander ganz erschrocken an.

„Was für eine?“ fragte endlich Emanuel.

„Eine Ballerina.“

„Donnerwetter!“ rief Ferdinando.

„Paßt das nicht?“ fragte der Graf ihn scharf.

„Nein.“

„Was sagst du?“ fuhr da der Vater empor.

„Nein, das sage ich aufrichtig. Paßt eine Balletteuse etwa in das bisher unentweihte Schloß unserer Väter?“

„Schweige, Knabe!“ gebot Graf Manfredo. „Ihr folgt mir jetzt zu ihr. Ich werde euch vorstellen.“

„Eigentlich müßte eine Balletteuse uns vorgestellt werden und nicht wir ihr; aber du bist der Vater, und so gehorchen wir“, sagte Ferdinando. „Wir werden uns dir nicht im geringsten in den Weg stellen, aber wir machen dich für alles verantwortlich.“

„Die Verantwortung werde ich tragen“, sagte der Graf. „Übrigens bist du der Jüngere von euch beiden. Emanuel hätte eher das Recht zu sprechen.“

„Ich werde jetzt nicht sprechen“, erklärte der Genannte. „Zeige uns die Dame, Vater, dann werden wir ja ein Urteil finden.“

„Recht so, mein Sohn! Ich bin überzeugt, sobald ihr sie seht, ist euer Vorurteil sofort besiegt. Kommt!“

Mit diesen Worten führte er beide bis zur Tür, hinter der Hanetta wohnte, öffnete rasch und sagte:

„Meine beiden Söhne, Hanetta!“

Die Ballerina hatte auf einem Fauteuil gesessen und erhob sich. Ihr Blick fiel zunächst auf Emanuel, und ihr Gesicht nahm einen überaus herzlichen Ausdruck an. Dann aber erblickte sie Ferdinando – und eine leichenhafte Blässe bedeckte ihr Gesicht, sie griff mit den Händen konvulsivisch in die Luft und sank ohnmächtig zu Boden.

„Was ist das?“ rief der Graf, indem er ihr zu Hilfe sprang.

Auch Ferdinando war erbleicht, fürchterlich erbleicht, aber er raffte sich sofort wieder auf.

„Vater“, fragte er, „wann hat dir diese Person ihr Wort gegeben?“

„Gestern waren es drei Wochen.“

Da streckte der Sohn die Hand zur Abwehr aus.

„So rühre sie nicht an, sie ist eine Dirne! Olsunna hat recht!“

„Wie?“ fragte Emanuel. „Dieses Weib ist die Fremde vom Manzanares, Ferdinando?“

„Ja.“

Da faßten die beiden Söhne den Vater fest und zwangen ihn, das Zimmer zu verlassen.

Erst nach längerer Zeit erschien ein Diener im Speisesaal und meldete, daß sein Herr verhindert sei, zu kommen.

„Und die jungen Herren?“ fragte der Herzog von Olsunna.

„Sind beim Gnädigen.“

„Ah, ich ahne, was geschehen ist! He da, Diener, sagen Sie einmal den drei Herren, daß ich sie augenblicklich zu sprechen verlange, wenn ich sie nicht öffentlich für ehrlose Wichte erklären soll.“

Der Diener verschwand augenblicklich. Alle Gäste waren erbleicht.

„Olsunna!“ rief einer warnend.

„Schon gut. Ich weiß genau, was ich tue.“

Schon nach kurzer Zeit trat der Graf mit seinen Söhnen ein. Sie schritten bis an die Tafel vor, und dann fragte Graf Manfredo mit hohler Stimme:

„Weshalb läßt uns Durchlaucht rufen?“

„Erlaucht“, antwortete der Gefragte, „wir sind hier, um eine Verlobung zu begehen. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein.“

„Haben Sie darüber eine Frage zu stellen?“

„Allerdings. Man führt uns eine Dirne als Braut vor, man verschwindet dann; man läßt sagen, daß man nicht wiederkommt. Ich will wissen, ob hier ein Scherz, eine Mystifikation oder etwas anderes vorliegt.“

„Hier liegt weder ein Scherz noch eine Mystifikation vor, aber eine unerhörte und freche Beleidigung von Ihrer Seite!“ rief Graf Manfredo. „Ich fordere Sie!“

„Ich schlage mich mit Ihnen nicht“, entgegnete der Herzog.

„Warum nicht?“

„Der Verlobte einer Tänzerin ist nicht satisfaktionsfähig!“

Graf Manfredo wollte sich auf ihn werfen, aber seine beiden Söhne hielten ihn zurück.

„Halt, Vater!“ sagte Ferdinando. „Du hast zwei Söhne, die diese Schmach nicht sitzenlassen werden. Hinaus mit dir, Bube!“

Der mutige Jüngling trat auf den Herzog zu und erhob die Faust.

„Schön, ich gehe“, sagte dieser mit wüstem Lachen. „Vorher aber werde ich die schöne Ballerina noch einmal besuchen, um zärtlichen Abschied zu nehmen.“

Dann verließ er den Saal.

Graf Manfredo stieß einen Schrei der Wut aus. Er stürzte zur entgegengesetzten Tür hinaus nach seinen Gemächern. Dort riß er den Waffenschrank auf und nahm einen Revolver, der geladen war. Mit diesem schritt er durch mehrere Räume, bis er an dasjenige Zimmer kam, das an die Gemächer der Ballerina stieß. Hier gab es eine Tapetenwand, von der Hanetta nichts wußte. Er glaubte wirklich, daß Olsunna so frech sein werde, die Zimmer der Tänzerin in roher Weise zu betreten. Er öffnete also geräuschlos die Tapetentür und trat leise ein. –

Unterdessen hatte sich die Ballerina von ihrer Ohnmacht erholt.

„O mein Gott“, seufzte sie. „Er, er mein Stiefsohn! Welch eine Strafe! Hin ist die Grafschaft, hin sind die Millionen! Was tue ich?“

Sie war ganz außer sich, sie rang die Hände; sie konnte keinen Gedanken fassen. Endlich kam ihr doch ein Einfall.

„Nur Cortejo kann hier helfen!“

Rasch klingelte sie und befahl dem Mädchen, Señor Henrico Cortejo sofort zu ihr zu senden.

Als dieser eintrat, hatte er noch keine Ahnung von dem, was geschehen war, aber er sah es ihr an, daß sie sich in einer ungewöhnlichen Stimmung befinde.

„Mein Gott, was hast du, was ist mit dir?“ fragte er, sie besorgt bei der Hand nehmend.

„Ich bin verloren!“ rief sie in verzweifeltem Ton. „Es ist aus mit dieser Heirat, denn der Graf tritt zurück, und daran ist Graf Ferdinando schuld. Ich traf in Madrid einen jungen Señor oder Don – mit dem ich einige Stunden beisammen war. Oh, ich hatte ihn wirklich lieb! Wir mußten uns trennen. Jetzt komme ich hierher; heute wurden mir die beiden Söhne des Grafen vorgestellt, und da ist – er dabei!“

„Verdammt! Welcher ist es?“

„Ferdinando. Er erkannte mich!“

„Wann war das interessante Zusammentreffen in Madrid? Vor einigen Jahren?“

„Nein, vor vierzehn Tagen.“

„Da ist es allerdings aus. Da ist alles verloren. Hm, eigentlich sollte ich mich gar nicht um dich kümmern, weil du es nicht wert bist; dennoch setze dich her, wir wollen die Angelegenheit besprechen.“

Cortejo zog die Ballerina auf das Sofa nieder, hielt sie fest an sich gedrückt und preßte einen Kuß auf ihre Lippen, den sie erwiderte. Da – stießen beide einen Schrei aus, denn vor ihnen stand, den Revolver in der Hand, Graf Manfredo!

„Ah!“ knirschte er. „Den einen suche ich, den anderen finde ich. Fahrt hin!“

Damit zielte er auf Cortejo und schoß ihm direkt in die Schläfe, so daß dieser augenblicklich tot niederstürzte, dann wollte er die Mündung auch auf die Ballerina richten; diese aber war ihm in den Arm gefallen, ergriff den Revolver und hielt ihn mit der Kraft der Todesangst fest. Sie wollte ihm die Waffe aus der Hand winden, da ging der Schuß los, und der Graf sank, mitten in die Brust getroffen, leblos zusammen.

Als der erste Schuß erklang, war der junge Cortejo eben zur Treppe heraufgekommen. Er erschrak und trat sofort ein. Im Vorzimmer war niemand; er eilte in das Nebenzimmer. Dort stand die Ballerina, den Revolver in der Hand, zwischen zwei Leichen.

„O Gott, mein Vater!“ rief er.

„Ja, Ihr Vater“, wiederholte sie tonlos.

„Das ist fürchterlich, das ist –“ Er wollte niederknien, aber er faßte sich in die Haare und beherrschte sich mit fast dämonischer Gewalt. „Nein, nein, nur die Besinnung nicht verlieren, sie ist hier notwendig.“

„Der Graf kam durch diese Tapetentür und schoß ihn nieder“, jammerte sie.

Gasparino Cortejo fragte hastig:

„Mein Vater kam zu Ihnen?“

„Ich ließ ihn holen.“

„Sie saßen mit ihm auf dem Sofa?“

„Ja.“

„Er hat ihn aus Eifersucht erschossen?“

„Ja.“

„Oh, ein Gedanke, ein Gedanke! Lassen Sie mich machen! Man kommt schon.“

Rasch drückte er dem auf dem Boden liegenden Grafen den Revolver in die Hand und bückte sich zur Erde, um sich auch mit seinem Vater zu beschäftigen.

„Was geht hier vor? Wer schießt hier?“ ließen sich jetzt Stimmen vernehmen.

„Hierher“, rief Cortejo.

In der Zeit von einer Minute war das ganze Zimmer mit Menschen gefüllt. Auch die beiden Grafen kamen und waren zunächst ganz untröstlich beim Anblick des toten Vaters, doch faßten sie sich und begannen mit Cortejo ein Verhör anzustellen, da die Ballerina unter Krämpfen sich auf dem Sofa wand und gar nicht sprechen konnte.

„Wer ist es, der zuerst geschossen hat?“ fragte Graf Emanuel.

„Graf Manfredo, Ihr Vater“, antwortete Cortejo.

„Ah, das klingt unwahrscheinlich.“

„Ist aber wahr. Señorita Valdez hatte das Mädchen nach meinem Vater geschickt, um sich in der heutigen Angelegenheit Rat zu holen. Der Graf hingegen dachte, der Herzog von Olsunna werde wirklich die Zimmer der Ballerina aufsuchen. Er nahm den Revolver und drang durch diese Tapetentür herein. In der Aufregung und Wut unterscheidet er nicht genau und schießt meinen unschuldigen Vater nieder. Nun erst merkt er den Irrtum und richtet in der Verzweiflung, in der gewaltigen Revolution seiner Gefühle, die Waffe auf sein eigenes Herz.“

Dies war die Aussage des schlauen Gasparino Cortejo. Auch die Ballerina mußte endlich sprechen, und sie bestätigte die Kombinationen Cortejos.

Es ist nicht viel hinzuzufügen:

Die Tänzerin Hanetta Valdez verschwand. Graf Emanuel trat die Regierung in Rodriganda an; Graf Ferdinando aber litt es in Europa nicht, er ging nach Mexiko.

Die beiden Grafenbrüder, die immerfort glaubten, daß Henrico Cortejo von ihrem Vater unschuldig erschossen worden sei, hielten sich für verpflichtet, diese Tat quitt zu machen, und so teilten sich Graf Emanuel und Graf Ferdinando in die beiden Brüder Gasparino und Pablo Cortejo.

Und diese beiden Cortejos wieder konnten nicht vergessen, daß ihr Vater durch die Hand eines Rodriganda gefallen, und zwar absichtlich erschossen worden war, und beschlossen, sich zu rächen. Sie betrieben die Rache wie echte Teufel, wie wir bereits gesehen haben, und der fernere Verlauf wird uns zeigen, ob diese Teufel den Sieg davontrugen.

43 - Waldröschen 02 - Der Schatz der Mixtekas
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