IX.

Aber Ulldrael sah, dass die Menschen auf Ulldart lange nicht so klug waren.

Besorgt um sie schritt er auf und ab, überlegte, was er tun konnte, um ihnen zu helfen, ohne seine Brüder und Schwestern aufmerksam zu machen.

Zwar wollte er sich an die Abmachung halten, aber es rührte ihn sehr, als er die Gefahr sah, die sich anbahnte.

DIE NOT DER GÖTTER, Kapitel I

Ulldart, Königreich Tarpol, Hauptstadt Ulsar, Winter 443 n.S.

Das hat er wirklich gewagt?« Lodrik sprang aus dem Thron und lief die Stufen hinab, wo Paktaï soeben kniend ihren Bericht von den Vorkommnissen in der Verbotenen Stadt abgeschlossen hatte. »Hetrál handelte gegen meine Anweisungen? Sind denn alle wahnsinnig geworden, mit denen ich mich früher einmal gut verstand?«

Mortva Nesreca ordnete die Flut aus langen, silbernen Haaren, bevor er mit traurigem Gesicht antwortete. »Hoher Herr, ich weiß nicht, was in diese Menschen gefahren ist.« Seine beiden Augen signalisierten Betroffenheit über den erneuten Verrat eines vermeintlichen Freundes des Kabcar. »Die Nachricht der letzten Brieftaube ist noch niederschmetternder. Dass er nun mit den restlichen Truppen auch nach Telmaran aufgebrochen ist, lässt nur den Schluss zu, dass das Geeinte Heer vermutlich einen Angriff gegen Tarpol und all seine Verbündeten führt. Ihr seht, ich habe Euch einmal mehr klug beraten.«

Paktaï erhob sich, gleichgültig wie immer, und kreuzte die Arme vor der Brust. »Soll ich ihn für Euch töten, Hoher Herr?«

Lodrik bebte vor Zorn. »Nein«, flüsterte er und schloss die Augen. »Ich werde die Seelen aller Verräter, die mir in Telmaran begegnen, persönlich zu Tzulan schicken. Das schwöre ich bei dem Gebrannten Gott.« Über Mortvas Gesicht huschte ein zufriedenes Lächeln. »Ich werde meine Truppen aufstellen und die Herausgabe der Verbrecher verlangen, die gegen meine Anordnungen verstoßen haben. Und wenn nur einer von ihnen oder einer aus den Reihen des Geeinten Heeres es wagt, einen Bogen abzuschießen oder das Schwert gegen mich zu erheben, bricht die Hölle für alle sechsundsechzigtausend Männer los.«

»Bedenkt, wir sind noch in der Unterzahl. Und die Hohen Schwerter sammeln sich ebenfalls«, warf sein Vetter vorsichtig ein. »Zwar steht das Recht auf unserer Seite, aber es greift in den seltensten Fällen mit Gewalt ein.«

»Ich habe den besten Strategen des Kontinents auf meiner Seite«, hielt der Herrscher dagegen. »Osbin Leod Varész wird mit seinen militärisch erzogenen Tzulandriern überlegen sein. Die Neuordnung, die er vorgenommen hat, ist unwahrscheinlich effektiv. Und die anderen Reiche sind nicht einmal in der Lage, ihren Nachschub zu organisieren. Gegen die Hohen Schwerter müssen wir uns etwas einfallen lassen. Auch wenn ich nicht wirklich daran glaube, dass Nerestro …« Er seufzte. »Aber ich wurde schon eines Besseren belehrt.«

»Gut, dass Ihr auch bei ihm das Schlimmste annehmt. Die Anschläge der Modrak haben übrigens das erwartete Durcheinander ausgelöst, Hoher Herr.« Der Konsultant räusperte sich. »Drei der Befehlshaber verstarben, einer überlebte schwer verletzt. Eure neuen Verbündeten einzusetzen, war eine hervorragende Eingebung. Nun sind zwar die restlichen Heerzüge eingetroffen, jedoch wird es einige Zeit dauern, bis sich ein neues Gremium gebildet hat. Vorher werden wir mit keinem Angriff rechnen müssen.« Er gab Paktaï mit einem Wink zu verstehen, dass sie sich entfernen durfte.

Ohne ein weiteres Wort wandte sich die Kriegerin um und schritt zum Ausgang, während Mortva die Fingerspitzen zusammenlegte und dem Kabcar zuzwinkerte. »Habt Ihr meine Bücher verstanden, die ich Euch zum Studieren überließ? Zugegeben, die Materie der Seelenbeschwörung war noch nie ganz einfach, aber dennoch werdet Ihr damit etwas anzufangen gewusst haben.«

Lodrik schnalzte mit der Zunge und sah ertappt zum gewaltigen Porträt seines Vaters, das an der Wand des Saales hing. »Ach ja, die Bücher. Ich habe noch nicht hineingeschaut. Ich war mit anderen Dingen beschäftigt. Dieses elende Geeinte Heer nimmt meinen ganzen Verstand gefangen wie eine schmerzende Stelle am Körper. Egal, wie man sich setzt, es tut immer weh. Man kann sich auf nichts konzentrieren.«

»Die Heilung ist schon auf dem Weg, Hoher Herr«, sagte sein Konsultant. »Kurz vor dem Jahreswechsel sind unsere Truppen in der Nähe vor Telmaran aufgezogen. Wie ich die anderen Herrscher einschätze, werden sie versuchen, eine Entscheidung noch vor dem Anbruch des Jahres 444 herbeizuführen.«

»Wenn meine Leute und Verbündeten wirklich in der Unterzahl sind, dann sollte ich vielleicht mit meinen magischen Fähigkeiten Beistand leisten«, überlegte Lodrik laut und fasste gedankenverloren nach dem sternförmigen Orden an seiner Uniform. »Und es wäre ein Zeichen, das meine Soldaten zusätzlich anspornen würde.«

»In der Tat«, meinte sein Vetter. »Der Held von Dujulev eilt herbei, um zum zweiten Mal eine siegreiche Schlacht zu schlagen und sein Volk vor einer Bedrohung zu bewahren. Das klingt sehr gut, Hoher Herr.« Ein Lächeln umspielte seine Lippen. »Die Tarpoler werden Euch mindestens auf die gleiche Ebene wie Ulldrael den Gerechten stellen, nach allem, was Ihr für sie getan habt.«

Lodrik wandte den Kopf. Ihm war beim letzten Satz seines Beraters plötzlich wieder etwas in den Sinn gekommen. Am Rande bemerkte er, dass Paktaï zwar verschwunden war, aber keine Tür geklappert hatte. »Apropos Gott, lieber Vetter. Kommt mit. Ich muss Euch etwas zeigen und möchte danach von Euch hören, was Ihr von der Sache haltet.«

Er setzte sich in Bewegung und führte seinen neugierig gewordenen Konsultanten ins Teezimmer. Ein schneller Griff in die Schublade und er reichte dem Mann mit dem Silberhaar das Schreiben des Oberen des Ulldraelordens. Anschließend goss er zwei Gläser mit süßem Dessertwein ein. Geduldig wartete er.

Die Augen Mortvas wurden größer und größer, in seinen Pupillen entstand im Schein des Kaminfeuers ein triumphierendes Glitzern. Dann senkte er das Papier. »Damit haben wir einen Freibrief gegenüber dem Orden, Hoher Herr.«

»Es ist viel besser.« Der Kabcar hielt seinem Konsultanten einen der durchsichtigen Kelche hin, der ihn entgegennahm. »Ich habe damit den indirekten Beweis, dass der erste Attentäter in Granburg vom Ulldraelorden gesandt wurde. Und dass Matuc den Auftrag hatte, mich zu töten. Mich, den Kabcar. Das ist also eine Verschwörung gegen den Thron.« Er nippte an dem Alkohol und schloss für einen Moment die Augen. »Und eine Verschwörung wird nach wie vor mit dem Tode bestraft. Die Unterschrift des Hauptschuldigen haben wir glücklicherweise, dieser Fall ist zumindest eindeutig. Aber vorher werde ich herausfinden lassen, wer noch alles an diesem Vorhaben beteiligt war. Zumindest der Geheime Rat Tarpols muss befragt werden. Unter Anwendung aller Mittel, die dem Richter«, er deutete eine Verbeugung an, »mir, zur Verfügung stehen. Und abhängig vom Ergebnis dieser Untersuchung werde ich weitere Schritte gegen den Orden in meinem Reich in die Wege leiten.«

Der Konsultant hing seinem Schützling gebannt an den Lippen. »Das ist tollkühn. Niemand, bei allen Irrungen und Wirrungen in der Geschichte des Landes, hat es jemals gewagt, Hand an den Orden zu legen.«

»Niemand außer Sinured«, verbesserte Lodrik grimmig lächelnd. »Aber mehr und mehr verstehe ich, warum er das getan hat. Solch eine intrigante Organisation von Heuchlern, die um ein Haar meinen Tod verursacht hätte, hat nicht das Recht, sich als Freund des Volkes aufzuspielen.« Er leerte sein Glas. »Ich werde meine Pläne aber genau anlegen, bevor ich losschlage. Ich werde die Reden für die Ausrufer und Kopien des Briefes anfertigen lassen, und sobald alles Notwendige in die Wege geleitet wurde, rüttele ich an dem mit Gold übersäten Palast des Ordens, dass sie meinen, es sei ein Erdbeben über sie gekommen. Oder der Zorn ihres Gottes für die Taten, die ihre Führer begangen haben.«

»Ein Hoch auf Tarpol!«, sagte Mortva begeistert. »Und ein Hoch auf den größten Kabcar, den das Volk jemals auf dem Thron sah.«

»Sollte hier etwas gefeiert werden, ohne dass mir mein Gemahl Bescheid geben ließ?«, gurrte eine vertraute Stimme von der Tür her. »Verzeiht mir, aber ich habe geklopft. Da ich aber Stimmen hörte …«

Lodrik eilte Aljascha entgegen, deren Anblick ihm beinahe die Sprache raubte. »Es war nur ein ungeplantes Treffen«, beeilte er sich zu erklären und ließ seinen Blick am Körper seiner Cousine entlanggleiten. »Hinreißend«, sagte er und reichte ihr sein Glas. »Wie immer ein Traum von Frau.«

Aljascha betrachtete den Alkohol, und ihre gute Laune war verflogen. »Ich habe eine freudige Nachricht für den Kabcar«, sagte sie in einem Ton, der genau das Gegenteil vermittelte. Aufmerksam sahen die beiden Männer die Rothaarige an. »Ihr werdet Vater, wenn ich und der Hofmedicus die Zeichen richtig interpretiert haben.«

»Das ist ja großartig!«, entfuhr es Mortva, der sofort eine Verbeugung hinterherschickte. »Meine Glückwünsche an die Herrscher von Tarpol. Das Volk wird außer sich sein vor Freude, wenn es hört, dass dem Kabcar Nachwuchs ins Haus steht.«

Lodrik wusste nicht recht, wie er auf diese Eröffnung reagieren sollte. Man konnte meinen, Mortva freute sich mehr als er selbst. Dann machte er beinahe widerstrebend einen Schritt nach vorne und umarmte seine Gemahlin. »Das ist … schön.«

»Ich bedauere es sehr, dass ich in ein paar Monaten nicht mehr den Ansprüchen meines Gatten gerecht werden kann«, knirschte Aljascha. Ihr hübsches Gesicht verzog sich. »Ich werde unansehnlich sein. Dick, aufgedunsen, hässlich. Alle werden über mich lachen.«

Der Kabcar fasste ihre Hände. »Niemand wird über dich lachen. Und wenn es einer wagen sollte, lasse ich ihn auf der Stelle hinrichten. Wer über die Kabcara lacht, lacht auch über mich. Du trägst mein Kind in dir.« Er machte eine Pause, als wollte er an dieser Stelle eine Bestätigung von seiner Cousine hören, dass es auch wirklich die gemeinsam verbrachten Liebesnächte waren, die ihre Schwangerschaft ausgelöst hatten. »Wann genau wird es mit der Niederkunft so weit sein?«

Aljascha wusste nur zu genau, was ihr Gemahl indirekt mit der Frage verband. »Ich versichere dir, dass du der Vater des Kindes bist. Ich habe die Liebe zu dir gefunden, auch wenn ich mich anfangs dir gegenüber mehr als schlecht benommen habe.« Ihre weißen Schultern bebten ein wenig, schnell wandte sie sich ab, sodass nur der Konsultant ihr Antlitz sehen konnte. »Ich wusste, dass du mir nicht vertraust. Vielleicht habe ich das auch verdient, nach allem, was ich dir in der Vergangenheit angetan habe. Aber ich habe mich verändert, das weißt du.« Ihre Stimme schwankte, als kämpfte sie mit den Tränen. Doch sie warf Mortva ein verführerisches Lächeln zu.

Lodriks Gesichtsausdruck wechselte von Misstrauen zu Mitleid und Bedauern. »Verzeih mir, Aljascha.« Er legte seine Hände auf ihre Hüften. »Ich wollte dich nicht kränken.«

Sie schloss kurz die Augen, und eine falsche Träne lief ihre die Wange hinab. Dann wandte sie sich um. »Nein, Lodrik. Ich verstehe deine Zweifel.« Er wischte behutsam den Tropfen von ihrer Haut, was sie mit einem schwachen Lächeln quittierte. »Aber ich schwöre bei dir und deiner Güte, dass es in meinem Leben keinen anderen Mann mehr gibt und geben wird.« Aljascha nahm seine Hand und legte sie auf ihren noch schlanken Bauch. »Da drinnen wächst der neue Thronfolger heran. Und ich bin mir sicher, er wird stolz sein auf das, was sein Vater geschaffen hat. Und er wird alles tun, um deinen Ruhm noch strahlender zu machen, als er ohnehin schon ist.«

Die blauen Augen des Kabcar glühten förmlich auf vor Freude und Glück. »Ich vertraue dir. Und wenn mich jemals wieder der Argwohn befallen sollte, dann weise mich zurecht.« Er nahm Mortvas Hand. »Ihr beiden seid die Einzigen auf dem ganzen Kontinent, auf die ich noch bauen kann. Alle anderen haben mich hintergangen und verraten. Aber sie werden ihre Strafe früher oder später erhalten.« Der Konsultant und die Kabcara warfen sich viel sagende Blicke zu, die von dem jungen Mann nicht bemerkt wurden.

Eilig füllte Lodrik die Gläser. »Lasst uns anstoßen. Auf unsere Zukunft und unsere Pläne. Und den Thronfolger!«

Die Gefäße wurden in die Höhe gereckt und danach in einem Zug geleert. Klirrend zerschellten die gläsernen Kelche an der Kaminwand, Aljascha jauchzte dabei und warf sich dem Kabcar in die Arme. Vorsichtig löste er sich von ihr.

»Ich werde dich aber in den nächsten Wochen allein lassen müssen. Du wirst Tarpol und Tûris lenken, während ich meine Truppen bei Telmaran besuche. Sie brauchen mich, meinen Beistand und meine Magie, wenn sie gegen das Geeinte Heer in der jetzigen Unterzahl bestehen wollen. Ich habe nicht Borasgotan die Stirn geboten, um mich nun unter einem Vorwand von anderen Leuten überrennen zu lassen.«

»Aber natürlich«, versicherte seine Cousine verständnisvoll. »Die Staatsgeschäfte ruhen gut in meinen Händen. Auch ich habe dazugelernt.«

»Sehr gut«, freute sich Lodrik und schritt elanvoll zur Tür. »Entschuldigt mich bitte, aber ich muss noch ein paar Bücher durchsehen. Es gibt Dinge, die ich noch erledigt haben möchte, bevor ich Ulsar den Rücken kehre.«

Mortva und Aljascha verneigten sich leicht, während der Kabcar das Zimmer verließ. Danach wanderte der Blick der rothaarigen Schönheit langsam zum Konsultanten. »Und?«

»Ich bewundere Eure Durchtriebenheit«, lobte Nesreca und trat näher an sie heran. Er schien etwas Unsichtbares abzustrahlen, was Aljascha als Kribbeln auf der Haut zu spüren glaubte. »Eine solche Theatervorstellung würde vom Publikum normalerweise mit stehenden Ovationen gewürdigt werden.«

Sie strich an ihm vorbei, warf sich lachend in den Sessel des Herrschers und räkelte sich ein wenig darin, wobei sie den Konsultanten keine Sekunde aus den Augen ließ. Sie war in dem engen Kleid, das sie trug, eine einzige Verführung.

Genüsslich griff sie nach einer der Flaschen auf dem Beistelltisch, entfernte den Verschluss und nahm einen Schluck daraus. »Er ist mir verfallen. Er ist, bei aller Macht und Magie, die er nun besitzt, immer noch der kleine Junge, den ich damals schon in Granburg um den Finger wickeln konnte. Und daran wird sich nichts ändern.«

»Aber Ihr wünscht Euch, dass ich Euch ebenso verfallen wäre, nicht wahr?« Der Ratgeber lächelte sie wissend an und näherte sich ihrem Platz. Er beugte sich herab, stützte die Hände auf die Sessellehnen und brachte sein attraktives Gesicht ganz nah vor das der Kabcara. »Aber es ist genau umgekehrt«, flüsterte er. Wie ein Vorhang aus Quecksilber rutschten die Haare vom Rücken herab und kitzelten die Haut Aljaschas. »Ihr verlangt nach mir. Ihr könnt es kaum erwarten, dass ich Euch berühre.«

Die Frau schluckte laut, ihre Brust hob und senkte sich schnell. Unwillkürlich reckte sie ihr Kinn empor, um ihre Lippen auf seine pressen zu können. Aber Mortva wich zurück, und ein enttäuschter Laut entfuhr der Herrscherin. »Seht Ihr? Was wärt Ihr für einen einzigen Kuss von mir bereit zu tun?«

»Alles«, raunte sie, ihre grünen Augen, die vorhin noch voller Berechnung gewesen waren, blickten flehend zu dem Berater auf.

Er legte den Zeigefinger an ihre Lippen. »Bald werdet Ihr vielleicht das und noch viel mehr erhalten, hoheitliche Kabcara. Dinge, die Ihr bisher nur in Euren Träumen mit mir tatet.«

»Was muss ich tun? Bitte, sagt es, und ich …« Hastig brachen die Worte aus ihr hervor, wieder kam ihr Kopf ein wenig nach vorne.

»Ihr habt versucht, das Leben in Euch zu töten. Aber es muss das Licht der Welt erblicken«, sagte Mortva leise und genoss den erschrockenen Ausdruck auf dem Gesicht der Frau. »Fast nichts bleibt mir in Ulsar verborgen, warum dann ausgerechnet Euer Tun? Versteht mich nicht falsch, ich verstehe Eure Sorge um Euer Äußeres. Aber das, was Ihr in Euch tragt, ist wichtiger. Es muss geboren werden. Es muss.« Obwohl er beinahe wisperte, drangen die Worte kristallklar in ihren Verstand, setzten sich fest und ließen keinen Widerspruch gegen die Anordnung zu. »Das ist die Bürgschaft für Eure Position als Kabcara, die ich Euch immer noch zusichere. Ihr werdet Tarpol, Tûris und alle anderen Reiche, die bald noch dazukommen werden, regieren. Sinured wird sein Versprechen halten und zurückerobern, was einst Tarpol gehörte.« Er fixierte sie. »Versprecht mir, schwört mir bei Tzulan, dass Ihr keinen weiteren Versuch unternehmen werdet, den Nachwuchs wegmachen zu lassen.«

Aljascha nickte verzückt, berauscht von dem Gedanken an die Macht, die ihr in Aussicht gestellt worden war. »Ich schwöre bei Tzulan.«

Erst jetzt klärte sich ihr Blick ein wenig, und sie verstand, in wessen Namen sie soeben Treue gelobt hatte. Doch bevor sie etwas hinzufügen konnte, spürte sie die Lippen des Beraters auf den ihren.

Ein Rausch erfasste sie augenblicklich, alles in ihr schien zu kribbeln, zu vibrieren. Schnell versuchte sie, ihre Arme um den Nacken des geheimnisvollen Mannes zu legen, aber er entzog sich ihr mit einem triumphierenden Lächeln.

»Nicht so eilig, hoheitliche Kabcara. Alles zu seiner Zeit.« Mortva sah sich um. »Und schon gar nicht im Teezimmer, wo doch der Hohe Herr immer erscheinen könnte. Freut Euch auf unsere gemeinsamen Vergnügungen, die folgen werden.«

»Ihr quält mich«, beschwerte sich die hübsche Frau und verzog enttäuscht den Mund. Sie lehnte sich in die Polster des Sessels und griff nach der Flasche. »Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich warten lässt.«

»Ganz genau. Und das reizt Euch umso mehr«, gab der Konsultant zurück, die Miene wurde kalt, der Zug um seinen Mund hart. »Tut, was Ihr geschworen habt. Ich halte mich ebenfalls an den Teil meiner Abmachung.«

Als der Berater hinausging, fiel seine Aufmerksamkeit auf eines der Bücher, das er Lodrik zum Studieren überlassen hatte. Es stand etwas versteckt hinter einer Urne auf dem Kaminsims. Er registrierte, dass aus dem Buchrand ein Lesezeichen ragte, das nicht von ihm stammte.

Die Kabcara sah Mortva hinterher, als der den Raum verließ. Dann schloss sie die Augen, um sich die Erinnerung an den Kuss des Beraters zurückzuholen. Allein der Gedanke daran jagte einen Schauder des Wohlbefindens durch ihre Adern.

Seufzend nahm sie einen Schluck aus der Flasche und betrachtete wieder das noch eng anliegende Mieder.

Es war der Kabcara ein Rätsel, wie der Konsultant Wind von ihrer Unternehmung bekommen hatte. Sie trug damals andere Kleider, reiste in einer unbekannten Kutsche und fast ohne Gefolge, als sie sich entschlossen hatte, eine »Engelmacherin« aufzusuchen, um das Kind in sich töten zu lassen. Der Cerêler gab ihr den Namen einer Kräuterkundigen außerhalb der Stadt, die sich angeblich mit der Anwendung von solchen Gebräuen und Tinkturen auskannte.

Doch die Mittel hatten nichts bewirkt, außer dass die Kabcara sich sehr undamenhaft eine Stunde lang die Seele aus dem Leib erbrochen hatte. Das Kind dagegen blieb, wo es war.

Die alte Frau wunderte sich so sehr über das Versagen der Arznei, dass Aljascha ihr glaubte, was sie aber nicht vor ihrem nachträglichen Zorn schützte, den sie nun zu entladen gedachte.

Die Kabcara legte die Füße auf den Schemel und betrachtete das Teezimmer. Sie wäre die erste Frau auf dem Thron Tarpols. Hoffentlich ließ sich Mortva mit der Beseitigung ihres Gatten noch etwas Zeit. Sie würde nur ungern bei der Krönungszeremonie wie eine fette Raupe wirken.

Lodrik öffnete die Fenster in seinem Schlafzimmer, nahm das Amulett hervor und bewegte den Stein in der Fassung, um die Modrak zu rufen. Den Auftrag, den er ihnen erteilte, wollte er in aller Stille tätigen, ohne die Anwesenheit seines Beraters und seiner Gemahlin. Nachdem die Beobachter offensichtlich in Telmaran gute Arbeit verrichtet hatten, würde er sie ein zweites Mal auf die Reise schicken.

Schon bald rauschten die ledernen Schwingen durch die pechschwarze Nacht. Die purpurnen Augen der Modrak wurden zu scheinbar herabstürzenden Sternen. Zwei der Wesen landeten fast gleichzeitig vor dem jungen Mann und gingen vor ihm auf die Knie. Je öfter er sie sah, desto mehr gewöhnte er sich an ihren Anblick. Wäre er in Granburg beinahe vor Furcht gestorben, empfand er nun beinahe etwas Familiäres.

Wir sind hier, um Euch zu dienen, Hoher Herr, raunte es mehrstimmig in seinen Gedanken.

»Ich möchte, dass ihr jemanden ausfindig macht«, eröffnete der Kabcar und begann, Norina und Waljakov zu beschreiben. Als er ihre Namen nannte, hakte eine der beiden Kreaturen sofort ein.

Verzeiht, Hoher Herr, aber wir ahnen, wo sich die Menschlinge aufhalten. Einer der Modrak hob den Schädel. Sie sind in Begleitung eines alten Mannes namens Matuc und eines Mädchens, das sich Fatja nennt. Wir haben versucht, die Schicksalsleserin zu bestrafen, und als wir ihre Gedanken lasen, wussten wir, wer die Mitreisenden waren. Lodrik entfuhr ein geschriener Fluch.

Aber wir wissen sehr genau, wohin sie wollten, wisperte es. Sie wollten nach Tularky, um von dort aus nach Rogogard überzusetzen.

Torben Rudgass, schoss es dem Kabcar augenblicklich durch den Kopf. Also auch er. »Dann brecht auf und bringt sie mir! Bringt mir alle!«

Die Wesen duckten sich unter dem wütenden Gebrüll Lodriks, die Flügel falteten sich ganz klein zusammen. »Hoher Herr, habt Gnade. Wir wussten nicht, dass Ihr sie sucht. Und nun ist es zu spät.«

»Was soll das heißen?«, grollte der junge Mann mit tiefer Stimme. Er streckte die Handfläche nach oben und ließ dort einen rot leuchtenden Feuerball entstehen. E swar seiner Meinung nach besser, den Zorn rechtzeitig zu kanalisieren, bevor er in einer unkontrollierten Magieeruption ausbrach. Glücklicherweise war er nun im Gegensatz zu früher dazu in der Lage.

Sie sind bestimmt schon in Tularky und auf dem Weg zu den Inselfestungen. Aber wir können kein Salzwasser überqueren, lautete die Antwort. Es gibt keine von unserem Volk auf Rogogard. »Dann muss ich diese verdammten Inseln einnehmen, um mir die Verräter greifen zu können?« Der Feuerball begann zu zittern, pulsierte, wuchs um das Doppelte an und erreichte die Größe eines menschlichen Kopfes. Die Modrak rutschten ein wenig zurück und wandten das Antlitz von der unnatürlichen Flamme ab. »Geht. Ihr könnt nichts dafür.« Gehorsam schwangen sich die Kreaturen über die Brüstung zurück in die Dunkelheit.

Mit einem Röhren schleuderte der Kabcar den Feuerball hinaus in die Nacht, wo er meteorengleich seine leuchtende Bahn zog, bevor er verblasste und nicht mehr zu sehen war.

Erster Schnee rieselte aus den Wolken, zuerst sanft, dann immer heftiger und dichter.

Abrupt wandte sich Lodrik um und eilte durch die Gänge des Palastes, bis er seinen Konsultanten gefunden hatte. Mortva saß in der Bibliothek und studierte irgendwelche Fertigungspläne.

»Ich will«, sagte der Kabcar, sobald er seinen Vetter entdeckt hatte, »dass Ihr einen Eurer Vertrauten nach Tularky schickt und Rudgass oder die Grazie suchen lasst. Findet sie und arrangiert, dass sie in Tarpol irgendwo an Land gehen. Danach lasse ich sie von den Modrak hierher bringen!«

»Ich vermute, Ihr habt herausgefunden, wohin Eure einstige Geliebte entschwunden ist? Wie erfreulich.« Der Mann mit den silbernen Haaren hatte zunächst aufmerksam gelauscht, nickte und ordnete die Zeichnungen vor sich. »Dann wird es wohl das Beste sein, wenn ich Paktaï sofort auf den Weg schicke, nicht wahr?«

Die Genannte trat in voller Rüstung aus dem Schatten hinter Lodrik wie aus dem Nichts hervor.

Ausdruckslos wie immer sah sie zunächst zu dem Konsultanten, danach verbeugte sie sich vor dem jungen Mann. »Ich werde sie finden und das ausführen, was Ihr mir aufgetragen habt.«

Verwundert blickte Lodrik sie an. »Ich könnte schwören …«

»Denkt nicht weiter darüber nach, Hoher Herr«, kam es beschwichtigend von Mortva. »Sie ist lautlos wie der Gedanke. Und ebenso schnell, wie sie schon öfter bewiesen hat. Du kennst deinen Auftrag.«

Paktaï bewegte sich nicht. »Ich werde Schwierigkeiten bekommen, sobald ich das Meer erreiche. Ich bin zwar schnell, aber ich unterliege gewissen Einschränkungen, die früher nicht galten.«

»Was denn? Ihr auch?« Lodrik schüttelte den Kopf, dass der blonde Pferdeschwanz umherflog. »Seid Ihr etwa verwandt mit den Modrak?«

Die unheimliche Kämpferin wirkte herablassend. »Nein. Gewiss nicht, Hoher Herr. Solche Kreaturen sind zu niedrig, um …«

»… um sich auch nur weiter mit ihnen zu befassen«, ergänzte der Konsultant freundlich und schnitt der Frau somit das Wort ab. »Ich traue dir durchaus zu, dass du eigenständig eine Lösung finden wirst. Nun geh und sei erfolgreich. Benutze die Tür.« Der Kabcar fand die letzte Anweisung zwar merkwürdig, dachte sich aber nichts weiter dabei, als Paktaï hinausging. »Sie wird Euch nicht enttäuschen. Bald haben wir Kundschaft von Ihr«, versicherte ihm sein Vetter.

Einen Augenblick überlegte Lodrik, ob er nach den Plänen schauen sollte, ließ es aber dann doch sein. Er war absolut nicht in der Stimmung, sich mit Technischem herumzuärgern. Lieber wollte er sich noch mit seiner Gattin vergnügen.

»Ich möchte«, gab er Anweisung, während er zur Tür schritt, »dass Ihr morgen Vorbereitungen für unsere Abreise treffen lasst. Es hat zu schneien begonnen, und das soll nicht der Grund sein, weshalb ich nicht nach Telmaran gelange. Übermorgen möchte ich unterwegs sein.«

Mortva erhob sich zufrieden. »Wie Ihr befehlt, Hoher Herr.« Er tippte auf die Papiere. »Das trifft sich übrigens äußerst gut. Wir werden eine böse Überraschung für das Geeinte Heer im Gepäck haben.«

Ulldart, Königreich Ilfaris, Herzogtum Turandei, Königspalais, Winter 443 n.S.

Lubshá Nars’anamm, Gemahl von Alana II., Regentin von Tersion, rollte mit den braunen Augen, die mächtigen Muskeln zuckten unter den teuren Stoffen seiner Kleidung. Die filigranen Schmuckbänder um die Oberarme drohten, von den sich plötzlich auftürmenden Fleischgebirgen gesprengt zu werden.

Beruhigend legte seine Frau die Hand auf sein Bein. Aber auch ihrem Antlitz war sehr leicht zu entnehmen, dass es sie Überwindung kostete, still zu bleiben. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, trug sie ein schlichtes blaues Kleid, Schnitt und Stoff sahen unbekannt aus. Ein Geschenk ihrer Entführer.

König Perdór saß an der Mitte der Tafel, kraulte sich hektisch die grauen Bartlöckchen und blinzelte angespannt zum anderen Ende, an dem ein gelassener Kensustrianer saß.

Moolpár der Ältere hatte einen Berg von Pralinen vor sich stehen, schob sich andächtig eine davon in den Mund und zerbiss sie langsam. Niemand im Verhandlungszimmer sagte etwas, die Kaugeräusche des kensustrianischen Diplomaten klangen damit doppelt so laut. Der Krieger genoss seinen Auftritt, auch wenn er es nicht durch seine Mimik verriet.

Commodore Parai Baraldino seufzte so laut, dass man die Kritik an dem zähen Verhandlungsverlauf unmissverständlich hörte. Genervt wedelte sich der Palestaner mit dem Taschentuch vor dem Gesicht herum. Perücke und Brokatkleider saßen passgenau, und er verbreitete mit seinem Parfüm einen aufdringlichen Geruch.

Als Moolpár nach einem weiteren Konfekt greifen wollte, erzeugte das Tuch des Commodore einen peitschenartigen Knall. »Nun ist es aber genug, Exzellenz Botschafter, mit Verlaub und aller Höflichkeit«, entfuhr es Baraldino verärgert. »Wir sind hier, um ein Waffenstillstandsabkommen zu unterzeichnen. Wenn Ihr Euch auf Kosten unseres Gastgebers mästen wollt, dann macht das außerhalb der Verhandlungen.«

Die Hand des Kriegers hielt wenige Millimeter vor dem Tablett inne, die bernsteinfarbenen Augen fixierten den Kaufmann. »Ich überlege noch, ob wir mit den Vorschlägen einverstanden sind.« Seine Erklärung kam bedächtig über seine Lippen. »Und es spielt dabei keine Rolle, ob ich im Kreis laufe, sitze, jemanden töte oder Pralinen esse.« Er beendete die Bewegung und beförderte die Süßigkeit in den Mund.

Baraldino, der kurz blass geworden war, stützte den Kopf in beide Hände und schaute Hilfe suchend zum ilfaritischen König und dessen Hofnarr. Fiorell grinste ihn an und wackelte mit den Augenbrauen.

»Ich fasse derweil noch einmal die Modalitäten zusammen.« Perdór räusperte sich, um ein drohendes Unheil abzuwenden. Im Gegensatz zum palestanischen Kaufmann war ihm nicht entgangen, dass Moolpárs Begleiter, der noch etwas heißblütige Vyvú ail Ra’az, eine Hand an den Schwertgriff gelegt hatte. »Palestan, Tersion und das verbündete Kaiserreich verpflichten sich, jede weitere Kriegs und Kampfhandlung gegen Kensustria und all seine Bewohner einzustellen, davon auch auf unbestimmte Zukunft abzusehen, es sei denn, Kensustria würde eines der Länder angreifen.« Der dickliche König nahm sich einen Schluck Kakao, verzog das runde Gesicht und rührte einen Löffel Zucker hinein, was ihm einen bösen Blick seines Hofnarren einbrachte. »Palestan ist es weiterhin untersagt, in die Gewässer vor Kensustria mit einem Handelsschiff einzufahren, sondern einen Mindestabstand von fünfzig Meilen zur Küste einzuhalten …«

»Was das Aus für unsere nördliche Handelsroute bedeutet und den Agarsienern einen uneinholbaren Vorsprung verschafft«, warf Baraldino resigniert ein. Doch der Commodore schauspielerte wiederum sehr gekonnt. Schon lange liefen in seiner Heimat die Vorbereitungen, diese Klausel zu umgehen.

»Sollte ein palestanisches Schiff oder ein von Palestan beauftragtes Schiff innerhalb der Zone aufgegriffen werden, wird es versenkt«, fuhr Perdór fort. »Kensustria verzichtet seinerseits auf jegliche Besitztümer und gibt etwaige Eroberungen und Gefangenen an die anderen genannten Reiche zurück.«

»Es ist ungerechter als ungerecht. Ich muss mich nun wirklich echauffieren!« Der Palestaner sprang auf, und eine Puderwolke quoll aus der Perücke. »Wir haben die meisten Verluste erlitten …«

»Verbeugt Euch bloß nicht in meine Richtung«, wehrte Fiorell eilig ab und hielt sich die Nase zu. »Euch soll der Schließmuskel recht locker sitzen, wie man hörte.«

»Die Tersioner und Angorjaner haben in erster Linie geblutet, nicht die Händler«, präzisierte Moolpár die Aussage.

»Und haben viele Männer und Schiffe verloren, jawohl! Da habt Ihr es eben selbst gestanden, Kensustrianer.« Baraldino überhörte den Einwurf des Spaßmachers geflissentlich, stemmte die linke Hand in die Seite und fuchtelte mit dem Tuch herum. »Ihr seid tausendfache Mörder, obwohl es keinen Grund gab, mit solcher Härte vorzugehen.«

»Es bestand auch kein Grund, uns anzugreifen«, hielt der Kensustrianer ruhig dagegen und betrachtete eine Praline.

»Ha! Keinen Grund?«, begehrte der Commodore auf und war voll in seinem Element. »Eure verfluchte Schwarze Flotte hat unsere Schiffe versenkt.«

»Wir haben uns entschuldigt«, gab Moolpár lakonisch zurück. »Und wenn Ihr keine unmöglichen Forderungen erhoben hättet, wäre es niemals zu diesem Krieg gekommen. Das solltet Ihr nicht vergessen.« Sorgfältig legte er die Süßigkeit zurück und stand auf. »Übrigens haben die Palestaner die Tersioner zuerst attackiert, um an das Gold zu kommen. Aber das wissen ohnehin alle in diesem Raum. Lasst das Theater und akzeptiert unsere Forderungen. Unterschreibt das Waffenstillstandsabkommen jetzt und hier. Oder aber lasst es sein, und wir nehmen die Regentin als Sicherheit wieder mit. Betrachtet es als außerordentliches Zugeständnis, dass wir Alana die Zweite bereits vor Abschluss des Vertrags übergeben haben.«

Lubshá Nars’anamm, dritter Sohn des Kaisers von Angor, hielt es nicht mehr auf dem Sitzplatz. »Ihr wagt es, Grünhaar, meiner Gemahlin zu drohen?« Sein Dolch war bereits halb aus der Scheide.

Das Bernstein der Diplomatenaugen funkelte bedrohlich, mit einer knappen Geste hielt Moolpár seinen Begleiter davon ab, sich auf den Sprecher zu stürzen.

Baraldino setzte sich eilig, wurde in seinem Stuhl immer kleiner und machte sich bereit, unter der Tischplatte zu versinken, sollte Gefahr für Leib und Leben anstehen. Von irgendwo aus dem Raum hörte man den Laut einer Blähung.

»Ich mache keine Bemerkungen über Eure schwarze Haut, Ihr unterlasst versuchte Beleidigungen, indem Ihr auf meine Haarfarbe anspielt, Kaisersohn«, schlug der ältere Kensustrianer vor. »Ich habe nur darauf hingewiesen, wie zuvorkommend wir waren. Eine Geste des guten Willens.« Wutschnaubend nahm der Gemahl der Regentin Platz, Vyvú entspannte sich. »Kensustria ist mit den Bedingungen einverstanden. Wir zahlen zudem, ebenfalls als Zeichen unseres Entgegenkommens, für jeden angorjanischen Toten eine Tria.«

»Behaltet Euer Blutgeld«, winkte Lubshá Nars’anamm verächtlich ab. Der Kensustrianer zuckte mit den Schultern.

»Dann unterzeichnen wir den Waffenstillstand, und alles ist erledigt«, meinte Perdór gespielt fröhlich. Fiorell schickte einen Blick zur Decke und reichte die Dokumente am Tisch herum.

Kaum hatte der Angorjaner seinen Namenszug mit großem Schwung daruntergesetzt, sprang er auf und verließ den Raum.

Alana sah ihm besorgt hinterher. »Ich entschuldige mich für meinen Gemahl. Aber er ist es nicht gewohnt, Demütigungen hinzunehmen.« Sie blickte vorwurfsvoll zu Moolpár.

Er lächelte und zeigte seine Reißzähne. »Seid versichert, wir hegen keine Feindschaft mehr gegen Euch. Uns liegt nichts daran, andere Armeen zu vernichten, auch wenn es keine Schwierigkeit bereiten würde. Wir möchten nur in Frieden leben.« Der Botschafter tippte auf das Papier. »Und das garantiert uns wenigstens einen Waffenstillstand.«

»Seid gewarnt«, bemerkte die Regentin, während sie signierte. »Wir sind ein stolzes Reich, das nicht leicht vergisst.«

»Ihr meint wohl, Ihr seid stolz und vergesst nicht so leicht, wenn man Euch besiegt hat?« Das Lächeln des Kensustrianers schwand nicht. »Ihr seid bei uns behandelt worden, wie es sich gehörte, oder? Wir hätten Euch und Euren Gemahl in jener Nacht auch umbringen können. Und wenn Ihr Euch das nächste Mal im Spiegel betrachtet, freut Euch, dass Ihr es noch könnt,« er beugte den Oberkörper ein wenig nach vorne und stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte, »weil Kensustria es zuließ.«

Mit hochrotem Kopf schritt die Frau hinaus. Baraldino tauchte aus seiner Versenkung wieder auf, um ebenfalls seine Unterschrift zu leisten.

»Ich soll Euch übrigens einen schönen Gruß ausrichten.« Moolpár nahm einen Brief aus der Tasche. »Der ist für Euch. Von Commodore Gial Scalida. Ihr kennt ihn doch noch, Euren ehemaligen Vorgesetzten?«

»Ach? Ich dachte, er sei schon tot?«, entschlüpfte es dem Palestaner. »Ihr habt ihn leben lassen? Hat er gewinselt und gewimmert, um sein schäbiges Leben behalten zu dürfen?«

»So wie Ihr es getan hättet?«, meinte der kensustrianische Diplomat hintergründig. »Nein, er hat nicht gebettelt. Er verstand, dass er in seinem Leben einige Fehler gemacht hat. Und er sagte uns damals in Tersion, als es um die Schwarze Flotte ging, exakt voraus, welche Winkelzüge Ihr in den Verhandlungen anwenden würdet.«

»Aber, aber, Wertester«, schwächte Baraldino selbstgefällig ab. »Winkelzüge würde ich es nicht nennen. Verhandlungsgeschick, Gespür, das alles passt doch viel besser.« Er lehnte sich in die Polster und erbrach das Siegel. Ohne großes Interesse überflog er die Zeilen, dann zog sich die Stirn in Falten, das Tuch wedelte hektisch hin und her. Der Palestaner fummelte am Kragen und lockerte ihn ein wenig, bevor er den Blick hob.

»Wo ist denn der gute Scalida in diesem Augenblick?«, fragte er mit gleichgültiger Stimme. »Er schreibt, er habe eine neue Berufung gefunden.«

Der ältere der Kensustrianer nickte. »Er arbeitet in einem unserer Stützpunkte als Quartiermeister und wird, wenn wir uns seiner Loyalität sicher sind, weiter aufsteigen. Vielleicht als Berater bei zukünftigen Treffen. Wir haben festgestellt, dass die Palestaner durchaus ein gewisses Talent fürs Verhandeln haben.«

Baraldino wirkte merkwürdig beruhigt. »Und er hat niemals verlangt, nach Palestan zurückzukehren?«

»Wir haben es ihm freigestellt, was er tun möchte. Aber er meinte, die Schmach sei zu groß, um in sein Heimatland zu gehen. Und er sei von einem Untergebenen verraten worden, was er nicht noch einmal erleben wollte«, erläuterte Moolpár. »Er ist sehr zufrieden, auch wenn er der Kaste der Niederen angehört.«

Der Commodore lächelte erleichtert, tupfte sich den Schweiß von der Stirn und erhob sich von seinem Sitz. Die Brokatfäden reflektierten den Schein der Lampen und Kerzen. »Meine Verehrung. Mögen unsere Reiche niemals mehr miteinander im Krieg liegen.«

Tief verbeugte er sich in der palestanischen Art, die Nase nur wenige Zentimeter vom dicken Teppich entfernt. In diesem Moment ahmte Fiorell das Geräusch einer schallenden Blähung nach.

Indigniert richtete sich Baraldino auf, würdigte den feixenden Hofnarr keines Blicks und verließ den Saal.

Kaum schloss sich die riesige Flügeltür, brachen Perdór und Fiorell in dröhnendes Gelächter aus.

Die beiden Kensustrianer verstanden die laute Heiterkeit nicht, und unter Atemnot erklärte der ilfaritische Herrscher, wie dem palestanischen Diplomaten vor Alana II. die Diarrhöe die Beinkleider gefüllt hatte, nachdem ihm Pasacka-Saft angedreht worden war. Die Vorstellung, wie der geschniegelte und gespornte Baraldino einer solchen Peinlichkeit unterlag, ließ auch die beiden Krieger grinsen.

»Nachdem der offizielle Teil des Zusammenkommens erledigt ist«, begann Perdór nach einer Weile, wischte sich die letzten Lachtränen aus den Augenwinkeln und nippte an seiner Tasse, »kommen wir nun zu dem, was nur Kensustria und Ilfaris betrifft. Ich wäre an einer Fortsetzung der Zusammenarbeit durchaus interessiert.«

»Das kann ich mir gut vorstellen.« Moolpár fischte eine weitere Praline vom Tablett. »Wir würden Euch gerne eine Kiste von diesen vorzüglichen Leckereien abkaufen.«

»Dann würdet Ihr ein wenig abnehmen, Majestät«, gab der Hofnarr zu bedenken. »Schlagt ein.«

Der Herrscher fuhr sich durch den grauen Lockenbart, listig lächelte er den Diplomaten an. »Ich meinte, was den Nachrichtenaustausch anbelangt. Da wir ein Waffenstillstandsabkommen erreichten und Ilfaris sich im Laufe der Auseinandersetzung äußerst kooperativ verhalten hat, dürfte es nun an Kensustria sein, unsere Landsleute, die Ihr gefangen haltet, auf freien Fuß zu setzen.«

»Eure Spitzel. Eure Spione. Eure Augen und Ohren.« Moolpár saß nach wie vor kerzengerade auf seinem Sessel. »Gut. So soll es sein. Wir hatten diese Abmachung, wir halten uns daran. Aber was meintet Ihr damit, dass wir unsere Zusammenarbeit nicht auflösen sollten? Brauchten wir denn die Hilfe von Ilfaris?«

»Ich weiß nicht, wie weit Ihr über die Lage im Norden unterrichtet seid«, rückte Perdór mit der Sprache heraus. »Aber es scheint, als würde sich der Kabcar von Tarpol zu einem außerordentlichen Problem für den Kontinent entwickeln. Vielmehr sein Berater, ein Mann namens Mortva Nesreca.«

Der Kensustrianer lauschte aufmerksam. »Und deshalb haben viele andere Reiche diese Ansammlung von Schwert und Pfeilfutter zusammengerottet. Verzeiht, aber die Bezeichnung Geeintes Heer hat dieser Haufen wahrlich nicht verdient. Bauern, die eine Mistgabel in der Hand halten, sind keine Armee, auch wenn es sechzigtausend sind.«

»Etwas mehr als sechsundsechzigtausend«, verbesserte Fiorell und ließ die Glöckchen seiner Narrenkappe klingeln. »Und wo ist denn bitteschön der Beitrag von Kensustria, um diese Gefahr notfalls eindämmen zu können? Wenn Sinured um die Ecke getrampelt kommt, dann seht Ihr allein verdammt alt aus. Wir haben da Dinge von seinen Truppen gehört, da würden Euch die Haare grün werden.« Er dachte kurz nach. »Oder vielmehr rosa. Und sagt bloß nicht, es sei nicht die Aufgabe Kensustrias, sich in die Belange anderer einzumischen.«

Moolpár hob die Hand. »Es ist nicht die Aufgabe Kensustrias, sich in die Belange anderer einzumischen«, antwortete anstatt seiner Vyvú ail Ra’az.

»Ich sehe, Ihr lernt in Sachen Humor durchaus hinzu«, meinte der ilfaritische Herrscher. »Aber Spaß beiseite, verehrter Moolpár. Die Angelegenheit könnte bald auch zu Eurem Problem werden. Es gehen Dinge in Tarpol vor, die man nicht begreift. Magie, seltsame Wesen, die diesem Berater zur Seite stehen und die Namen der Zweiten Götter tragen, bizarre Erfindungen werden in aller Heimlichkeit hergestellt, die uns unbekannt sind.«

Nun reagierte der Kensustrianer. Seine bernsteinfarbenen Augen zeigten Interesse, die Hände lagen flach auf dem Tisch. »Erzählt weiter, Majestät.«

Etwas geheimnistuerisch kramte der dickliche König einen Flakon heraus und schüttete den Inhalt sorgfältig auf ein von Fiorell bereitgelegtes Blatt Papier. Schwarzes Pulver rieselte aus der Öffnung und verteilte sich feinkörnig auf der Unterlage.

Moolpár befeuchtete den kleinen Finger, tippte auf die Substanz und gab ein wenig davon auf die Zunge.

»Meinen Respekt, Majestät. Ich hätte niemals gedacht, dass Eure Spione doch in unserem Land unerkannt unterwegs sind. Und bis zu unserem geheimen Lager vordringen konnten.« Der Kensustrianer blickte bestürzt auf das Pulver.

Der Hofnarr und sein Herr wechselten schnelle Blicke. »Soll das etwa heißen, Ihr wisst, was das ist?«, fragte Perdór, wohl wissend, dass er seine eigene Unkenntnis damit verriet.

»Ihr meint, Eure Spione rauben unsere Erfindung, ohne Euch zu berichten, was man damit machen und wie es zur Anwendung gebracht werden kann?« Ungläubig starrte er den Herrscher von Ilfaris an.

»Um ehrlich zu sein«, erklärte Perdór, »wissen wir nicht einmal genau, aus was das Pulver besteht. Abgesehen von Holzkohle. Und es stammt nicht aus Kensustria, sondern aus dem Palast des Kabcar von Tarpol.«

Moolpár richtete ein paar Worte in der Heimatsprache an Vyvú, der daraufhin nachdenklich den Kopf schüttelte. »Wenn es wirklich der Kabcar ist, der im Besitz des Pulvers ist, werdet Ihr mit Eurem Geeinten Heer nichts anderes als Zielscheiben sein, sollte es zu einem Kampf kommen. Kensustria besitzt dieses Pulver schon lange, aber wir wenden es nicht an. Es hat in unserer Heimat zu viel Schaden angerichtet, und wir verständigten uns darauf, es zu verbannen und es nur in höchster Not anzuwenden.«

»Demnach saht Ihr die Bedrohung aus Tersion und Angor nicht als echte Gefahr an?«, bemerkte Fiorell.

»Nicht wirklich«, gab der Kensustrianer ehrlich zurück.

»Wenn Ihr nun aber wisst, um was es sich dabei handelt, würdet Ihr es uns sagen? Wir wären Euch zu großem Dank verpflichtet«, köderte sie der König. »Jahrelange kostenlose Konfektlieferungen? Rezepte? Zutatenabgaben? Einen eigenen Pralinenmeister gar?«

»Verlockend«, gestand Moolpár. »Aber ich habe, wie alle Krieger, einen Eid schwören müssen, niemals Wissen unserer Ingenieure an andere weiterzugeben. Und schon gar nicht über dieses Pulver.« Er schwieg eine Weile. »Wenn der Kabcar aber um die rechte Anwendung dieses Mittels weiß, dann ist er in der Lage, das Kräfteverhältnis auf dem Kontinent mit Leichtigkeit zu verändern. Und sollte er dabei Kensustria mit in Bedrängnis bringen, werden wir uns regen.«

Perdór seufzte unzufrieden. »Was kann denn dieses Zeug? Spannt mich nicht auf die Folter.«

Moolpár faltete das Papier mehrmals, konzentrierte die puderige schwarze Substanz in der Mitte und rollte das Blatt fest zusammen. Er drehte die Enden, bis das Pulver zusammengepresst war.

Mithilfe des Federkiels bohrte er ein kleines Loch in das Päckchen, schnitt die Franse eines Teppichs ab und tauchte den Stoff kurz in das flüssige Wachs der Kerze, dann setzte er das Stück in das Loch und dichtete es mit ein wenig Wachs ab. Vyvú ging zum Kamin und reichte seinem Vorgesetzten einen glimmenden Span.

»Ich weiß nicht, ob es funktioniert, aber als Demonstration sollte es genügen«, sagte er und hielt das glühende Holzende an die improvisierte Lunte. Der getränkte Stoff brannte ab und entzündete die Substanz.

Mit einem leisen Knall zerfetzte das Blatt, die Papierränder flogen kokelnd durch den Raum, und Fiorell machte sich auf die Jagd, um zu verhindern, dass die schwebenden Funken einen Brand auslösten, wo sie sich niederließen. Perdór entfernte ärgerlich ein heißes Aschestück aus seinem Bart, in dem es ein Loch hinterlassen hatte.

»Nun, Majestät, stellt Euch vor, dieses Paket sei zehn Mal so groß gewesen«, sagte der ältere der beiden Kämpfer langsam. »Und man kann Waffen damit laden, die eine enorme Vernichtungskraft haben.« Der ilfaritische Herrscher bekam eine ungefähre Vorstellung von der seltsamen Beschreibung, die in Gijuschkas letzter Nachricht zu lesen war. »Große und kleine. Kensustria ist auf alle Fälle nun gewarnt, meinen Dank dafür, Majestät. Auch wir werden das gut geschützte Wissen zum einen noch besser bewahren und den Umgang damit wieder erlernen.« Er erhob sich und ruckte kaum merklich mit dem Oberkörper, die Art der kensustrianischen Kriegerkaste, sich zu verneigen, wenn sie es überhaupt für angebracht hielt.

»Ihr werdet Euch demnach nicht am Geeinten Heer beteiligen?«, wollte Perdór zum Abschied wissen und reichte dem Kensustrianer den versilberten Teller mit den Pralinen. »Auch nach diesen neu gewonnen Einsichten?«

»Nein«, wehrte Moolpár freundlich, aber bestimmt ab. »Noch berührt es die Belange unseres Landes nicht. Und außerdem wäre es kein guter Gedanke, dass sich Kensustrianer in die Nähe der Hohen Schwerter begeben würden. Zwar sind wir ihnen kämpferisch fast alle«, sein Blick glitt kurz zu seinem Begleiter, der daraufhin zu Boden sah, »überlegen. Aber es würde nur für Unruhe im Lager sorgen. Und das ist das Letzte, was die armen Seelen dort benötigen. Wenn Ihr meinen Rat wollt, Majestät: Lasst Euch nicht auf ein offenes Gefecht ein. Nutzt die Strategie, die auch wir bevorzugen. Aber wenn Ihr Eure Freiwilligen diesem Feind, so er es werden wird, ohne Deckung gegenüberstellt, werdet Ihr sie verlieren. Restlos. Und die zweitausend Witwen in Ilfaris wehrden Euren Namen mit Sicherheit verfluchen.« Er zeigte auf das explodierte Briefchen. »Das wird Euer Untergang sein. Und mit der Holzkohle hattet Ihr Recht.«

»Muss man noch Schwefel und Salpeter hinzugeben?«, fragte sich der Hofnarr plötzlich.

Moolpárs bernsteinfarbene Augen schwenkten abschätzend zu Fiorell. »Versucht es. Aber ich empfehle Euch, in Deckung zu gehen, bis Ihr das richtige Mischungsverhältnis gefunden habt.« Er winkte und ging hinaus, Vyvú folgte ihm.

»Er hat mir den Bart verbrannt«, meinte der dickliche Herrscher nach einer Weile, »aber ich denke, dass es das wert war. Nun wissen wir, was der Kabcar mit den Unmengen an Lieferungen vorhat. Und das gefällt mir alles gar nicht.«

»Die Erze sind zum Herstellen der Waffen notwendig«, ergänzte der Hofnarr, der einen letzten Funken mit einem gezielten Spucken löschte. Der letzte Rest Heiterkeit war aus seiner Stimme verflogen. »Wir müssen das Geeinte Heer augenblicklich warnen. Wenn es stimmt, was uns Freund Grünhaar eben gezeigt hat, sind unsere Leute des Todes.«

»Aber warum hat er die Waffen nicht schon viel früher eingesetzt?«, sinnierte Perdór und schritt zum Kamin. »Als er seine Truppen gegen Borasgotan und Hustraban sandte, kämpften sie auf herkömmliche Weise. Nichts wurde von solchen …«, er suchte nach dem rechten Wort. »Wie heißen diese Dinger eigentlich? Gerumpel? Gekrachs?«

»Wir könnten sie ›Bumm‹ nennen«, schlug der Hofnarr vor.

»Lass deine einfältigen Vorschläge, Spaßmütze«, knurrte der Herrscher.

»Ich glaube nicht, dass Eure die besseren waren«, meinte er nur abschätzig. »Wie wäre es mit ›Bombe‹? Er erinnert an den Klang und ist keineswegs albern.«

»Von mir aus«, winkte Perdór ab. »Also, diese Bomben und dieses Pulver tauchten noch nie auf, bis zu jenem Tag im Teezimmer, als uns Gijuschka davon berichtete. Das heißt, die Fertigung von Waffen und Pulver ist noch lange nicht so weit, wie es den Anschein hat. Das wiederum würde bedeuten, dass das Geeinte Heer nicht länger zögern dürfte, um zum Angriff überzugehen. Wenn der Kabcar seine Vorbereitungen abgeschlossen hat, ist es für uns alle zu spät.«

»Angreifen?« Fiorell schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Wir würden damit genau das tun, worauf Nesreca setzt.«

»Und dennoch geht es nicht anders, wie ich fürchte«, sagte der König düster. »Aber letztendlich wird dieser Kriegsrat darüber entscheiden müssen, sobald die Neuwahlen abgeschlossen wurden.«

»Und einmal mehr glaube ich nicht an Zufall.« Fiorell schaute auf die große Landkarte. »Diese Unfälle, die mehreren des Rates das Leben kosteten, kamen dem Kabcar zugute. Es ist schon schwer genug, mehr als sechsundsechzigtausend Männer im Zaum zu halten. Ein Sack Flöhe ist vermutlich einfacher zu hüten.«

»Schicke ein ganzes Geschwader Tauben nach Telmaran und sende die Anweisung, sie sollen das Lager um fünfzig Meilen nach Norden verlegen, bis auf fünf Meilen an die Landesgrenze der Großbaronie heran. An den Ufern des Repol müssten sich genügend Vorräte finden lassen. Auf alle Fälle werden sie dort Wasser haben. Und Fische, wenn ihnen alles andere knapp wird.« Perdór blickte ebenfalls auf die Zeichnung. »Befestigungen sind leicht einzurichten. Das wäre dann eine günstige Ausgangsposition, wenn sie die Armee des Kabcar angreifen müssten. Wissen wir, wo Sinured abgeblieben ist?«

»Nein, Majestät, wissen wir nicht. Nach dem Überfall Hetráls auf die Verbotene Stadt ist dieses Vieh angeblich in der Nähe gesichtet worden.« Der Hofnarr setzte sich auf den Tisch und balancierte den Brieföffner auf der Fingerspitze aus. »Von mir aus soll er dort bleiben und seine Ruine wieder aufbauen. Steinchen für Steinchen.«

»Der Angriff unseres turîtischen Freundes war heldenhaft, mutig und dumm gleichermaßen«, fasste der König zusammen. »Damit dürfte auch er endgültig in der Gunst des Kabcar gesunken sein. Aber die Menschen, die er befreit hat, waren Zeugen der Gräueltaten dieses Ungeheuers. Und damit muss auch der Junge in Tarpol von der Unhaltbarkeit seines Verbündeten überzeugt werden können. Ich sträube mich dagegen, allein auf eine militärische Lösung des Problems zu setzen«, meinte Perdór ungewohnt energisch. »Es muss doch mit ihm zu reden sein.«

»Nach allem, was ich gehört und gesehen habe, vergesst das«, meinte Fiorell, schleuderte den Brieföffner hoch in die Luft und fing ihn mit der Klinge nach unten auf. Nachdenklich sah er auf das schimmernde Metall, in dem sich seine besorgte Miene spiegelte. »Einen Attentäter zu senden, macht nun wohl keinen Sinn mehr.«

»Einmal davon abgesehen, wo ist Gijuschka abgeblieben?« Der König rollte die Karte zusammen. »Nach seiner Festnahme haben wir nichts mehr von ihm gehört. Dabei hätten wir ihn nun umso mehr gebraucht. Im Palast sitzt er nicht mehr, und ich will wissen, was aus ihm geworden ist. Sag unseren Leuten, sie sollen suchen und Gerüchten vom Tod des einstigen Beraters keinen Glauben schenken. Wenn nicht mindestens zwei die Leiche gesehen haben, ist es nur eine Finte Nesrecas. Vermutlich sitzt Gijuschka in irgendeinem weit abgelegenen Winkel des Landes und soll dort verfaulen. Der Kabcar würde diesen Mann nicht hinrichten lassen, da bin ich mir ziemlich sicher.«

»Dafür wird er den Kopf seines ehemaligen Leibwächters und seiner Geliebten fordern«, meinte Fiorell beunruhigt. »Die arme Norina, ich hoffe, sie kam wohlbehalten in Tularky an. Schafft sie es nach Rogogard, sind sie und ihr Gefolge einigermaßen vor Verfolgung sicher. Wenn eines standhält, dann sind es die mächtigen Festungen der Piraten und Halsabschneider, die sich gerne selbst edel als Freibeuter bezeichnen. Diesmal sind sie von Nutzen.«

Perdór legte die Hand an die Stirn und schloss die Augen. »Es muss uns doch gelingen, dieses Pulver herzustellen. Das lässt mir keine Ruhe. Der Alchemist, dem es als Ersten gelingt, diesen Effekt zu bewirken, wird in die Dienste des Hofes aufgenommen und erhält eine feste Bezahlung.« Er deutete zur Tür. »Los, geh und sag diesen Wichtigtuern das. Oh, und lass die Versuchswerkstätten weit außerhalb von Turandei einrichten. Ich will nicht, dass einer dieser Gelehrten meine schöne Stadt aus Versehen zu den Monden bläst. Die Mechaniker sollen sich nach den Beschreibungen Gijuschkas irgendetwas zusammenbauen, das etwas kaputt macht.«

Fiorell legte den Kopf zur Seite. »Majestät, Eure Anweisungen sind dermaßen präzise, dass die Handwerker nichts mehr zu tun haben werden und vor Freude in die Hände klatschen.« Er wandte sich zum Ausgang. »Etwas kaputt macht«, wiederholte er für sich entnervt.

»Sehr viel kaputt macht«, rief ihm Perdór durch die geschlossene Tür nach. Gedankenversunken betrachtete er die Überreste der kleinen Bombe. »Zehnmal so groß«, sagte er leise. »Das Ganze auf eine Schleuder gepackt und in die Reihen der Gegner katapultiert, Eisen und Bleistückchen eingemischt, welch eine verheerende Vorstellung.«

Der ilfaritische König wanderte im Besprechungssaal hin und her, löschte eine Kerze nach der anderen und grübelte aufs Geratewohl. Alle möglichen Überlegungen gingen ihm durch den Kopf, und dennoch kam er in keiner Sache zu einem endgültigen, ihn zufrieden stellenden Entschluss.

»Undurchsichtig. Alles ist so furchtbar undurchsichtig, unvorhersehbar. Und nun, wenn alles schlecht verläuft, steht Ulldart kurz vor der Rückkehr der Dunklen Zeit.«

Er trug die letzte brennende Lichtquelle in der Hand, der Raum lag fast in völliger Dunkelheit.

Ein Schaudern lief dem König über den Rücken, als er das Regenprasseln und Windheulen hörte, das von den Fenstern herübertönte. Zweige und Äste rieben mit einem seltsamen Laut über das Glas. Die Flamme flackerte und zuckte unruhig hin und her. Nach einem letzten Aufbäumen verlosch sie.

Perdór glaubte in der Schwärze auf der anderen Seite des Glases zwei purpurfarbene, ochsengroße Augenpaare ausgemacht zu haben, die ihn von draußen anstarrten.

Beobachter! Ein erschrockenes Keuchen entfuhr ihm, dann stolperte er durch die Dunkelheit, bis er endlich die Klinke fand. Angsterfüllt lief er aus dem Zimmer, in den hell erleuchteten Gang. Die Diener sahen ihn erstaunt an.

»Es ist nichts, gar nichts«, erklärte er. »Ich habe nur Hunger.« Die Lakaien sahen sofort beruhigt aus.

Der König setzte seinen Weg fort. Beobachter vor seinem Fenster. So nahe waren sie noch nie herangekommen. Auch das würde seinen Grund haben. Er würde Wachen aufstellen lassen. Niemand bespitzelte ihn. Es sei denn, er wollte es selbst.

Baraldino schlenderte zurück zu seiner Unterkunft im Palais des Königs. Nicht, dass er ernsthaft unzufrieden mit dem Ausgang der Verhandlungen war. Palestan kam bei der ganzen Sache noch sehr glimpflich davon. Ein paar Ausgaben während des Krieges, ein paar Auflagen danach, die man mit Leichtigkeit umgehen konnte. Tersion und Angor waren die Hauptleidtragenden, was ihn nicht wesentlich bekümmerte. Alana hatte gewusst, auf was sie sich damals einließ.

Die Grünhaare glaubten doch nicht im Ernst daran, dass Palestan einen Bogen machen würde, nur weil sie es gerne hätten. Er roch am parfümgetränkten Taschentuch und zupfte einen losen Brokatfaden am Ärmel ab. Zumal sich im Norden neue Dinge anbahnten. Profitable Dinge.

Der palestanische Kaufmannsrat beabsichtigte, einen Pakt mit dem Kabcar von Tarpol einzugehen. Was auch immer der Knabe vorhatte, die Händler wollten ihm Unterstützung gewähren. Dafür würden sie das Seehandelsmonopol erhalten, so sah es der Entwurf vor, den der Commodore »zufällig« gesehen hatte. Damit wäre die Konkurrenz aus Agarsien endgültig aus dem Rennen um Profit und Erlöse. Aber man wollte warten, wie sich die Dinge in Telmaran entwickelten.

Er faltete den Brief seines ehemaligen Vorgesetzten auseinander und las die Zeilen ein weiteres Mal. Tatsächlich drohte ihm Scalida aus dem weit entfernten Kensustria damit, ihn vor einem palestanischen Kriegsgericht für seinen Verrat in Tersion zur Verantwortung zu ziehen. »Früher oder später wird Euch meine Rache ereilen. Denkt an mich, wenn Ihr im Turm sitzt«, lautete der Abschiedsgruß.

Lachend zerriss Baraldino das Papier und warf es achtlos über die Schulter in den Gang. »Wir beide sehen uns bestimmt nicht mehr wieder.«

Er bog um die Ecke eines Korridors und sah seine Leibgarde, die vor seiner Tür Position bezogen hatte. Das verwunderte ihn ebenso wie der Umstand, dass seine sämtlichen Koffer, Kisten und Truhen vor der Tür standen.

»Was, bei allen geplatzten Wechseln, soll das?« Nun schritt Baraldino aus, sein Zorn wuchs mit jeder Bewegung, die Perücke drückte er vorsorglich etwas fester auf sein Haupt, damit sie gleich bei seinem folgenden Wutausbruch an Ort und Stelle blieb.

»Was«, fauchte er den Befehlshaber an, »hat das zu bedeuten, Hauptmann? Warum stehen meine Sachen hier auf dem Flur? Und was machen Ihr und Eure Männer vor meinem Zimmer? Habe ich etwas von Abreise gesagt?« Er schlug mit dem Tuch nach dem Mann, der den Ausbruch ziemlich gelassen hinnahm. »Habt Ihr aus meinem Mund irgendeine Anordnung dieser Art vernommen?«

Die Tür schwang auf, und als Baraldino sich erbost umdrehte, sah er schon eine flache Hand übergroß vor seinem Gesicht. Im nächsten Moment klatschte es laut auf, als die ausgestreckten Finger auf seiner rechten Wange landeten.

Verblüfft machte der Commodore einen Schritt nach hinten und fiel dabei der Länge nach über einen seiner zahlreichen Koffer und löste eine Gepäcklawine aus, die ihn unter sich begrub.

Keuchend, kochend vor Wut und ächzend räumte er sich einen Weg frei, sprang auf und angelte nach dem Griff seines Degens, um den unbekannten Angreifer zu durchbohren. Wie zur Salzsäule erstarrt hielt er mitten in der Bewegung inne. »Tezza? Ihr?«

»Glotzt nicht so blöde«, begrüßte ihn sein ehemaliger Adjutant. »Damit habt Ihr wohl nicht gerechnet.« Tezza, das ehemalige Geschenk an Alana II. von Tersion, zog blank und benutzte die Spitze seiner Waffe dazu, die wertvolle Halsbinde seines Gegenübers durcheinander zu wirbeln. »Nun rechnen wir ab.«

Teilnahmslos schaute Baraldinos Leibwache zu, wie Tezza, dessen Uniform die Abzeichen eines Commodore zierten, ihren Vorgesetzten vor sich hertrieb, bis der mit dem Rücken an der Wand stand.

»Hauptmann, ich störe Eure Bewegungslosigkeit nur ungern, aber würdet Ihr Eurem Auftrag auf der Stelle nachkommen und mich vor diesem Wahnsinnigen beschützen?«, schrie der Bedrohte. Die fünf Finger, die Tezza mitten in sein Gesicht geschlagen hatte, zeigten sich als deutliche rote Abdrücke.

»Parai Baraldino, ich verhafte Euch hiermit«, sagte stattdessen sein einstiger Adjutant genüsslich. »Im Auftrag des Kaufmarmsrates enthebe ich Euch Eures Amtes als Diplomat«, das geschliffene Ende des Degens trennte die Insignien von der Kleidung, »und Eures Kommandos als Commodore. Ihr seid ebenso des Meineids überführt wie des Verstoßes gegen geltendes Marinerecht, indem Ihr Euren Vorgesetzten an den Feind verraten habt.« Mit der freien Hand nahm er ein Stück Papier heraus. »Gial Scalida hat ein Schreiben aus seiner Gefangenschaft in Kensustria nach Palestan senden dürfen, in dem er Euch schwer belastet. Und da Ihr in Gegenwart von Alana der Zweiten auch mit Eurer Tat prahltet, musste der Kaufmannsrat handeln.« Tezza schlug dem Verhafteten die Waffe aus der Hand. »Darauf habe ich lange warten müssen. Mit dem Gedanken, Euch meine Finger ins Gesicht zu schlagen, hielt ich mich in Tersion über Wasser. Und bei allem Gold Ulldarts, das Warten hat sich gelohnt. Auch wenn es nun etwas schmerzt.« Er schüttelte seine Hand aus, mit der er vorhin zugeschlagen hatte.

Baraldino war zu überrumpelt, als dass er irgendetwas sagen konnte. »Wie …?«

»Eine Erklärung für meine Anwesenheit sollt Ihr auch haben. Ich gelangte durch einen glücklichen Zufall zurück nach Palestan und brachte alles vor. Von der Regentin, die ich hier traf, bekam ich gnädigerweise die Unterschrift zu der Euch belastenden Aussage. Alana macht Euch dafür verantwortlich, dass sich Tersion zum verlustreichen Krieg mit Kensustria verleiten ließ und das mächtige Kaiserreich Angor Schmach erleiden musste. Somit ist Euer Stern endgültig erloschen.« Der einstige Adjutant tippte sich auf die Schulter. »Ach, und von nun an bin ich der Commodore. Ihr seid nur noch der Gefangene Parai Baraldino.« Die Männer der Wache traten sichtlich vergnügt heran und banden dem Gefangenen mit Eisenschellen die Hände auf dem Rücken zusammen, dass er aufstöhnte. »Wir bringen Euch vor den Rat, damit Ihr Euch verantworten könnt.« Tezza beugte sich vor. »Und Ihr werdet den ganzen langen Weg nach Hause Aborte reinigen, Dreck kehren und den Fußboden jeder einzelnen Wirtschaft mit Eurer lügnerischen Zunge wischen, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Freut Euch schon einmal auf Eure künftigen Aufgaben.« Mit einem triumphalen und zufriedenen Grinsen richtete sich der jüngere der beiden Männer wieder auf. »Seid Ihr auch so unendlich froh, mich wiederzusehen?«

»Fahrt zur Hölle!«, kreischte Baraldino los, machte einen Satz nach vorne, versuchte den Commodore zu treten und sammelte Speichel, um ihn zu bespucken. Wie ein groteskes Fabelwesen hüpfte er auf und ab, das Gesicht krebsrot, die Adern standen dick aus dem Hals hervor. »Ihr seid ein …«

»Aber, aber. Ihr verliert die Beherrschung, Baraldino.« Tezza schüttelte das Haupt. »Ihr müsstet Euch sehen.«

Mit einer schnellen Bewegung schnappte der Hauptmann das Taschentuch, mit dem er vor kurzem malträtiert worden war, und zwängte es dem Verhafteten in den Mund, noch bevor er spucken konnte.

»Wie praktisch«, meinte der Commodore. »Nun ist ihm nicht nur das Maul gestopft, er wird auch nie wieder schlecht riechen, wenn er etwas sagt.« Tezza setzte sich an die Spitze des Zuges. »Auf nach Palestan.« Er blieb plötzlich stehen und schaute zu Boden, als habe er etwas entdeckt. »Na sowas. Da, seht. Ein wenig Staub. Baraldino, das ist Eure Aufgabe, wenn ich bitten dürfte.«

Kontinent Ulldart, Königreich Aldoreel, fünfzig Meilen nördlich von Telmaran, Winter 443 n.S.

Das Geeinte Heer lagerte an beiden Ufern eines Seitenarms des Repol, ein Geflecht von Zelten in allen möglichen Formen, Farben und Größen, die von weitem aussahen, als würden merkwürdige Pilze aus dem Boden des kleinen Tals schießen.

Dazwischen schlängelten sich Wege, die durch den feinen Nieselregen, der seit Tagen andauerte, aufgeweicht und matschig wurden. Zur Feuchtigkeit aus den grauen Morgenwolken trugen die Gischtwolken der mächtigen Repolfälle bei, herübergetrieben von einem kühlen, unbeständigen Wind. Ihr ständiges Tosen und Donnern, wo sich der breite Strom mehr als vierhundert Schritt in die Tiefe stürzte, klang wie ferne Meeresbrandung. Niemand, der nicht dringend etwas im Freien tun musste, hielt sich außerhalb der Leinenwände auf.

Die zusammengestellte Schar aus Freiwilligen und Entsandten verzichtete darauf, ihr Lager zu befestigen, was auf Grund der weitläufigen Ausdehnung ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre. Der Kriegsrat, wie sich das Führungsgremium nannte, beschloss daher, dass alle fünfzig Meter eine Wache zu stehen hatte und sich immer eintausend Kavalleristen in Bereitschaft hielten, um einem Überraschungsangriff begegnen zu können.

Auch wenn sich alle Versammelten einig darüber waren, dass man dem jungen Kabcar die Stirn bieten musste, innerhalb des Kriegsrates gab es unterschiedliche Strömungen.

Die Anführer aus Rundopâl und Rogogard machten keinen Hehl daraus, dass sie der Sache recht gleichgültig gegenüberstanden und unterschwellige Sympathien für den jungen Herrscher aus Tarpol hegten. Aus Sicht der Rundopâler rettete Bardri¢ dem kleinen Land sogar die Selbstständigkeit, indem er Borasgotan zurückgeschlagen hatte. Rogogard verstand sich seit jeher gut mit Tarpol. Die zweitausend Männer aus Ilfaris hatten sich ganz dem Beköstigen des Geeinten Heeres verschrieben. Nur mit Mühe war vorstellbar, dass sich diese Einheit mit Schwertern anstatt mit Kochbestecken bewaffnete.

Blieben die fünfzigtausend Bewaffneten aus Agarsien, Palestan, Aldoreel, Hustraban und Serusien, die von ihren Garnisonen und Scharmützelkommandos abgestellt worden waren. Die Mehrheit davon rekrutierte sich jedoch aus Bauern.

Für ein ungutes Gefühl sorgte die Anwesenheit von J’Maal, einem K’Tar Tur, der die Einheiten aus Tersion befehligte. Er hatte sich zum Zeitpunkt der Palastrevolte seiner Freunde außerhalb der Hauptstadt befunden und konnte nicht in die Verschwörung verwickelt gewesen sein.

Selbst wenn es so gewesen wäre, Alana hatte keine anderen Heerführer, die sie auf die Schnelle einsetzen konnte. So befand sich ein Nachfahre Sinureds in den Reihen derer, die sich gegen den Kriegsfürsten stellten.

Und niemand traute dem Krieger mit dem weißen Haar und der Blutsträhne so recht über den Weg. Man fürchtete, dass er während eines eventuellen Gefechts die Seiten wechseln könnte.

Überraschend und erfreulich zugleich war dagegen die Anwesenheit der drei Ritterorden Angors. Die Hohen Schwerter, die Silbernen Äxte und Angors Söhne sorgten als von allen anerkannte Kontrollinstanz für Ruhe im Heer. Sobald eine der blitzenden Rüstungen auftauchte, erstarb jeder Zwist, aus Raufereien wurden brüderliche Umarmungen, aus Schlägen derbe Liebkosungen.

Jeder Orden führte dreihundert Ritter und ein immenses Gefolge heran. Im Gegensatz zu den anderen waren ihre Lager geordnet und befestigt. Der protzige Glanz der arroganten Ritter, einst von allen belächelt, passte sehr gut zu dem harten militärischen Drill. Und wenn die gepanzerten Reiter ihre Manöver auf freiem Feld ritten, waren ihnen staunende Zuschauer immer gewiss. Die drei Orden, das wussten alle, bildeten das geheime Rückgrat des Geeinten Heeres, moralisch und kämpferisch.

Der Kriegsrat hatte sich im Zelt König Tarms, gewählter Oberbefehlshaber, Herrscher von Aldoreel und Gastgeber der Streitmacht, versammelt, um die neuesten Nachrichten zu besprechen. Jedes Land und jeder Orden stellte ein Mitglied.

»Unsere Spione haben gemeldet, dass die Armee des Kabcar mit achtzehntausend Kämpfern etwa fünf Meilen nördlich von uns auf einer Hügelkette Stellung bezogen hat«, erklärte Telisor, ältester Sohn des aldoreelischen Königs, anhand einer ausgebreiteten Karte des Geländes. »Dort ist eigens eine Stadt für die Leute aus Tzulandrien errichtet worden. Und damit sind sie noch auf dem Boden der Großbaronie und somit unerreichbar, wenn wir uns nicht den Vorwurf eines Angriffs einhandeln wollen. Der Kabcar und Sinured sind ebenfalls dort.«

Tarm, ein Mann um die fünfzig Jahre, noch stattlich an Figur und Äußerem, machte ein skeptisches Gesicht. »Perdór, der seine Augen und Ohren wieder einmal überall zu haben scheint, warnt uns in seiner letzten Nachricht vor etwas, das er ›Bombe‹ nennt, die der Kabcar herstellen kann«, sagte er. »Und auch andere Waffen ließen sich, vermutlich dank der gestohlenen Erfindungen aus dem Fundus Kensustrias, herstellen, die seine zahlenmäßige Unterlegenheit ausglichen.«

»Er muss unterwegs zweitausend Leute verloren haben«, sagte der K’Tar Tur mit einer tiefen Stimme abwesend. »Ich erinnere mich daran, gehört zu haben, dass der Knabe zwanzigtausend Mann nach Süden verlagern wollte. Zehntausend sollten die Grenzen bewachen. Es sind aber bloß achtzehntausend angekommen. Entweder die Aufklärer haben sich getäuscht, oder der Heerführer, dieser Osbin Leod Varész, hat etwas Besonderes mit den fehlenden Truppen vor. Wir sollten die Wachen und Bereitschaftseinheiten verdoppeln. Vielleicht plant er einen Hinterhalt.«

Die Bemerkung rief allgemeines Gelächter hervor. »Ich denke, wir werden den Kerl hier mit offenen Armen erwarten. Was glaubt Ihr, meine Herren, sind wir in der Lage, der gewaltigen Übermacht von zweitausend feindlichen Kämpfern zu trotzen?« König Tarms Stimme troff vor Hohn, und wieder brach die Versammlung in lautes Lachen aus, lediglich sein Sohn Telisor blieb merkwürdig still.

Das Gesicht des sinuredischen Nachfahren hatte sich verfinstert. »Ich mag es nicht besonders, verhöhnt zu werden«, warnte er. »Ihr tätet gut daran, Euch ebenfalls Gedanken zu machen, anstatt Euch die Bäuche zu halten.«

»Mein König«, sagte Telisor ruhig, »findet Ihr es nicht seltsam, dass ein Krieger wie Varész eine solche Torheit begehen würde und sich auf einen Kampf eins zu dreißig einlassen würde?« Er zeigte auf die Karte. »Warum sollte er sich aus dem Schutz der Stadt wagen, wo er dort die bessere Position hätte?«

»Ich behaupte, es gab niemals zwanzigtausend dieser Barbaren«, schaltete sich der Anführer der Serusier ein. »Vermutlich stehen diese fehlenden zweitausend zerlumpten Gestalten irgendwo in diesem verfluchten Sicherheitsgürtel und helfen, das Gold aus den Minen zu tragen.« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Und nach allem, was ich gehört habe, bin ich für einen Angriff. Haben wir diese achtzehntausend Krieger überrollt, ist das Beseitigen der übrigen zehntausend auch keine große Arbeit mehr. Danach kehrt wieder Friede auf Ulldart ein.«

»Das könnt Ihr getrost uns überlassen«, meinte der Großmeister der Silbernen Äxte. »Meine Brüder fegen sie mit dem ersten Ritt vom Kontinent.« Die anderen Großmeister nickten bestätigend.

»Verzeiht mir.« Der Anführer der Palestaner stürmte ins Zelt. »Ich habe Neuigkeiten. Soeben kam ein Trupp ausgezehrter Soldaten aus Tûris hier an, ihr Anführer ist ein gewisser Hetrál. Er will sich dem Geeinten Heer anschließen.«

»Sehr gut«, meinte Tarm erfreut. »Mein alter Freund kehrt zurück und bringt die Tapferen mit sich, die sich in der Verbotenen Stadt ihre Sporen verdient haben. Noch mehr Erfahrene, die unser Heer gut gebrauchen kann.« Er wies einen Diener an, dem Turîten und seinen Männern Zelte zuzuweisen. »Und sag ihm, dass wir seinen Bericht sehnsüchtig erwarten.« Der Bedienstete stieß im Durchgang beinahe mit einem Knappen der Silbernen Äxte zusammen, der aufgeregt hereinstolperte.

Der leicht Gerüstete neigte das Haupt. »Verzeiht, werte Herren, dass ich ungefragt eindringe, aber seltsame Dinge gehen vor. Die palestanischen Soldaten bauen ihre Zelte ab und machen sich abmarschfertig.«

»Eine Rebellion, wie mir scheint?«, fragte Tarm mit erhobenen Augenbrauen in Richtung des Kaufmanns. »Eure Männer haben sich anscheinend entschlossen zu gehen?«

Der Mann druckste herum, machte aus Verlegenheit einen tiefen Kratzfuß und zog es vor, sich aus der gebückten Haltung nicht mehr aufzurichten. »Ich sagte, hoheitlicher König Tarm, ich hätte Neuigkeiten. Ich war noch nicht am Ende meiner Ausführungen.« Die Augen weiterhin auf den Boden gerichtet, legte er eine gesiegelte Order auf den Tisch. »Der Kaufmannsrat befahl mir, unsere Leute augenblicklich aus dem Geeinten Heer abzuziehen. Das Geld sei knapp und der Unterhalt nicht mehr möglich. Die Einbußen, resultierend aus dem Krieg mit Kensustria, seien zu hoch.«

»Und da opfert die Krämerseele eher den Kontinent, als dass sie Schulden macht, wie?« Der König von Aldoreel war wütend, die Versammlung geriet in heftigen Aufruhr.

Der Palestaner verharrte noch immer in seiner Verbeugung, blinzelte nach allen Seiten und entfernte sich gebückt und rückwärts gehend in aller Stille aus dem Zelt. Draußen begann er vorsichtshalber, durch den Matsch zu rennen, um sich in die sichere Deckung seiner Leute zu flüchten.

Die Vorbereitungen blieben nicht unentdeckt. Schmährufe flogen hinüber zu den abrückenden Palestanern, die eilig losmarschierten. Erste Dreckklumpen segelten durch die Luft. Unter den Verwünschungen der anderen machten sich zehntausend Mann bereit, im Lauf des restlichen Tages aus dem Geeinten Heer abzuziehen.

Im Zelt beruhigte sich die Stimmung allmählich wieder.

»Bleiben sechsundfünfzigtausend Männer«, knurrte Tarm. »Das sind immer noch genügend, um dem jungen Kabcar den Hintern zu versohlen, wenn er seine Finger an das Wohl Ulldarts legen sollte.«

»Es steht noch immer die Frage im Raum«, meldete sich der Serusier laut zu Wort, »ob wir den Gegner zuerst angreifen sollten. Wenn er wirklich über Waffen verfügt, die jeden Zahlennachteil ausgleichen, müssen wir ihn überraschen und dürfen ihm keine Gelegenheit geben, sie in aller Ruhe aufzustellen, oder was immer man mit diesen ›Bomben‹ macht.«

Zustimmendes Gemurmel setzte ein.

»Wenn wir das tun, werden wir uns in der Geschichte den Vorwurf gefallen lassen müssen, die Schuldigen gewesen zu sein«, gab Telisor zu bedenken.

»Der Sieger schreibt die Geschichte«, wehrte der hustrabanische Befehlshaber unwirsch ab. »Und momentan schreibt der Kabcar mächtig Geschichte, wenn ich in mein eigenes Land blicke. Dazu hatte er kein Recht, aber er rechtfertigt seine Vorgehensweise so geschickt, dass keiner es wagte, ihn dafür zur Verantwortung zu ziehen. Wenn wir nun zögern, kann es uns schlecht bekommen.«

Hetrál betrat das Versammlungszelt, kniete sich vor Tarm nieder und erhob sich auf dessen Zeichen hin. Erfreut über das Wiedersehen, packte der König den Meisterschützen bei den Oberarmen, dann schlug er ihm auf die Schulter. »Euch wieder zu sehen ist eine wahre Freude für mein altes Herz. In der Stunde einer schweren Entscheidung seid Ihr mir herzlich willkommen, lieber Hetrál.« Er ließ den Blick an der Kleidung des Stummen herabgleiten. »Ihr seid völlig abgemagert. War der schwere Marsch so kräftezehrend? Und Eure Augen haben nie ernster und bitterer geschaut! Was habt Ihr gesehen in der Verbotenen Stadt?«

Hetrál klatschte in die Hände, und vier Männer kamen herein. Nach einer kurzen Vorstellung begannen sie auf Geheiß König Tarms mit der Schilderung ihrer Erlebnisse, angefangen bei ihrer Entführung durch Sinured in Borasgotan und der Fahrt mit der fliegenden Galeere des Kriegsfürsten über die Sklavenarbeit für die Kreaturen und die Opferungen der Frauen zu Ehren Tzulans in der Verbotenen Stadt bis hin zur abenteuerlichen Befreiung durch die turîtischen Soldaten, angeführt vom Meisterschützen, der damit gegen den Befehl des Kabcar gehandelt hatte.

Ihre aufwühlenden Erzählungen wurden von den Mächtigen nicht ein einziges Mal unterbrochen. Selbst wenn einer der Redner stockte, um sich zu sammeln, weil ihm die Geschehnisse noch immer präsent waren, erhob niemand die Stimme. Hetrál erklärte die neue Gesetzeslage, die in Tarpol und Tûris bezüglich der Bestien herrschte.

Als die Lampen entzündet wurden und der späte Nachmittag dämmerte, endeten die Berichte.

»Nun denn. Es wird wohl niemand einen Einwand haben, wenn ich in den nächsten Tagen den Angriffsbefehl für das Geeinte Heer ausspreche?« König Tarm sah in die bewegten Gesichter des Gremiums. »Wohin Ulldart sonst steuert, wissen wir nun nur allzu gut.« Er ließ die Kelche mit Wein füllen. »Trinken wir auf den bevorstehenden bedeutenden Sieg unserer Armee, die einzig in den Kampf zieht, um dem Guten zum Sieg zu verhelfen, bevor weiteres Böses geschehen kann.« Die Becher wurden in einem Zug geleert und davongeschleudert. »So, wie diese Pokale zu Boden stürzen, werden die Krieger Sinureds fallen.«

Telisor war der Einzige, der sein Gefäß noch in der Hand hielt und es gedankenverloren hin und her drehte. »Mit Verlaub, mein König, aber ich werde nicht eher schlafen können, bevor ich nicht Gewissheit über den Verbleib der zweitausend Krieger habe. Ich schreibe sie noch nicht ab.« Er stellte den Becher auf die Karte. »Der Kriegsrat gebe mir die Erlaubnis, mit ein paar Männern nach Bardri¢s Feldherr zu sehen. Ich bitte euch darum.«

Tarm schaute in die Runde. »Schaden wird es wohl nicht, Sohn. Hetrál wird dich, nachdem er sich ein wenig ausgeruht hat, begleiten.«

Der Turît verneigte sich und nickte Telisor zu. Beide verließen in Eile das Zelt. Dabei streifte der Umhang des Königssohns den abgestellten Kelch und riss ihn um.

Blutroter Wein ergoss sich über die Landkarte und floss über den Punkt, an dem sich das Lager des Geeinten Heeres befand.

Nachdenklich betrachtete der K’Tar Tur das Missgeschick. »Das ist ein schlechtes Omen. Wenn es stimmt, was die Karte zeigt, werden wir von rotem Wein hinweggespült«, meinte er leise.

»Ha, keine der unangenehmsten Todesarten, wie ich meine«, lachte der Serusier und ließ einen neuen Krug bringen. »Trinken wir auf den Sieg! Mögen die Tzulandrier wie die Fliegen sterben. Und wie der Kabcar so schön sagte: keine Gefangenen!«

Nerestro von Kuraschka trat aus dem Zelt und hob den Kopf. Die Wolken zogen in dichten Schwaden den Himmel entlang und hoben sich durch ihre graue Farbe vom hereinbrechenden Dunkel der Nacht ab. Aus weiter Ferne grollte Donner.

Unscheinbar und klein glitzerten die Sterne am Himmel, selbst die Monde schienen sich mit ihrer leuchtenden Kraft zurückzuhalten. Dafür erstrahlten die Augen Tzulans umso roter. Wann immer sich ein grauer Schleier vor die Zwillingssterne legte, hatte es den Anschein, als würde ein Ungeheuer aus den Wolken gierig auf die Kämpfer des Geeinten Heeres hinabschauen, um sie alle zu verschlingen.

Feuchter, kühler Nebel zog auf, der die Geräusche der vielen Tausend Menschen aus dem Lager dämpfte. Selbst die gewaltigen Repolfälle klangen leiser als sonst.

Mit einem leichten Schmatzen versanken Nerestros Knöchel im Schlamm, das Gewicht seiner schweren Vollrüstung drückte ihn zusätzlich nach unten. Keine gute Ausgangslage für die schwere Reiterei, dachte er und stakste hinüber zu dem Zelt, in dem die Pferde Unterkunft fanden.

Wie er es angeordnet hatte, stand sein Hengst gesattelt bereit. Mithilfe dreier Knechte und eines Flaschenzugs gelangte er auf den Pferderücken und trabte die Linie der Wachen ab, die gespannte Doppelarmbrust in der Rechten haltend. Rastlosigkeit, nicht die Pflicht trieb ihn hinaus.

Seine Aufmerksamkeit wurde durch die Gedanken an die bevorstehende Schlacht abgelenkt. Der Großmeister hatte die Nachricht verkündet, und nun erwartete das Geeinte Heer, dass die Orden mit wehenden Bannern gegen die Tzulandrier anritten.

Doch so leicht würde es nicht werden. Nicht einmal ein Schlachtplan existierte, auch wenn König Tarm sich alle Mühe gab.

Nach allem, was man in Erfahrung gebracht hatte, war aus dem Gegner ein disziplinierter Widersacher geworden, nicht mehr der blindwütig heranstürmende Haufen, wie er ihn bei Dujulev erlebt hatte. Der Stratege Sinureds oder des Kabcar, Varész, teilte sie in Einheiten von mehreren tausend Mann auf, die in sich wiederum in kleinere Gruppen zerfielen, ähnlich wie bei den Ordensrittern. Ein Signalsystem aus farbigen Wimpeln sorgte für die exakte Führung des noch so kleinen Armeeteils.

Das Geeinte Heer dagegen krankte an uneinheitlichen Kommandos, Erfahrungs und Ausbildungsmangel, persönlichen Animositäten und unter dem festen Glauben, Ulldrael der Gerechte würde eingreifen, wenn sich wider Erwarten ein Unglück ereignen sollte, welches das vermeintlich sichere Kriegsgeschick wenden könnte.

Die Hügeltaktik war gegen eine Überzahl das beste Mittel, das wusste Nerestro noch sehr gut aus eigener Erinnerung. Bis eine Bresche in die mit Sicherheit längst aufgebaute Verteidigung geschlagen worden war, müssten Hunderte ihr Leben lassen.

Er hielt das Streitross an und klopfte ihm beruhigend auf den muskulösen Hals. Der Duft von in Kräutern gegartem Fleisch stieg ihm in die Nase. Nach einem kurzen Blick über die vom Schein der Lagerfeuer erhellten Zelte der Ilfariten trabte er wieder an.

Diesmal schweifte er innerlich zu dem Albtraum zurück, den er nur mit eiserner Disziplin überwunden hatte. Die Toten, die ihn nach seinem Sturz ins Wasser ständig besuchten, kehrten nicht mehr zurück. Weder sein Vater noch gefallene Ordensbrüder gaben sich die Ehre, seitdem er aus einem langen Schlaf erwacht war.

Herodin machte die von ihm verabreichten Mittel dafür verantwortlich, aber Nerestro erinnerte sich sehr deutlich an die bernsteinfarbenen Augen seiner einstigen Gefährtin, die ihn voller Güte und Sorge angeblickt hatten. Er wusste genau, wem sein Dank gelten musste, den er aber nicht gewähren durfte.

»Belkala«, seufzte er leise und sah zu den Sternen empor, als könnte er ihr Gesicht dort entdecken.

Er hatte sie zum zweiten Mal in seinem Leben verloren. Zuerst in Granburg, doch sie war zu ihm zurückgekehrt. Dann musste Kensustria ausgerechnet einen Krieg gegen das Kaiserreich Angor beginnen, und damit durfte er keine Frau an seiner Seite dulden, deren Volk gegen die Schöpfung des Gottes, dem er einst sein Leben angeschworen hatte, kämpfte.

Selbst wenn das alles nicht so gekommen wäre, sie hatte ihn belogen, von Anfang an. Sie war niemals eine harmlose Priesterin gewesen, sondern eine Ausgestoßene, die zur Lästerin geworden war. Und nur Angor wusste, welcher Grund sie damals dazu veranlasst hatte, Matuc und ihn zu begleiten.

Dennoch wünschte der Ritter sich, sie in seinen Armen halten zu dürfen, obwohl er sich gleichzeitig einredete, dass er Opfer ihrer Verzauberung geworden war. Noch immer fühlte er die tiefen Kratzer in seinem Genick, die ihre Fingernägel hinterlassen hatten. Narben, die auch in seinem Herzen brannten.

»Es hätte niemals sein dürfen«, sagte er leise. »Seit dieser Nacht, in der ich sie das Fleisch der Toten essen sah, hätte ich es wissen müssen. Vielleicht sandte mir Angor die Geister, um durch sie zur Besinnung zu kommen. Mich zu mahnen.«

Nun war der Ritter beim Geeinten Heer, um das Übel aufzuhalten, dessen Leben er in der Kathedrale zu Ulsar gerettet hatte. Einst hätte er sein Dasein verwettet, dass aus dem Jungen ein guter Kabcar würde. Aber etwas veränderte den Herrscher. Und wenn er, Nerestro, dieses Silberhaar, und seine Helfershelfer in die Finger bekäme, würde sie seine aldoreelische Klinge ins Jenseits schicken.

Nerestro lenkte den schnaubenden Hengst auf den nächsten Posten zu, der dösend an seiner Hellebarde lehnte. Langsam ritt er an den Schlafenden heran und versetzte ihm einen Tritt.

Der Länge nach fiel der Mann in den Schlamm und regte sich nicht. Augenblicklich ruckte die Armbrust des Ritters nach vorne, die Mündung wanderte auf der Suche nach einem Ziel nach rechts und links. Das Pferd stieg wiehernd auf die Hinterhand.

»Er schläft nur«, sagte eine vertraute weibliche Stimme irgendwo aus der Dunkelheit. »Ich benutzte ihn, um dich anzulocken, Geliebter.«

Der Ordensritter schloss die Augen, sein Puls schlug schneller. »Geh weg, Dämonin!«, rief er in die Nacht. »Ich will dich nicht sehen. Wir beide sind miteinander fertig.« Mit hartem Griff hielt er die Zügel, um das Ross vor dem Ausbrechen abzuhalten.

»O nein, Geliebter«, kam der sanfte Widerspruch, gefolgt von einem fröhlichen Lachen. »Ich habe dich noch lange nicht aufgegeben. Tief in deinem Herzen spürst du, dass wir zueinander gehören. Weder Angor noch die Taten meines Volkes ändern etwas daran. Du musst dich nur überwinden, und alles wird wieder so schön wie einst.«

Nerestro glitt aus dem Sattel, rutschte in den feuchten Dreck und sank auf die Knie. Die Armbrust warf er zur Seite, eilig zog er die aldoreelische Klinge und küsste die Blutrinne. »Angor, mein Herr, meine Seele wird gepeinigt von bösem Zauber. Es sind Einbildungen, die mir mein verwirrtes Herz sendet.«

Die Wachen, jeweils etwa, fünfzig Schritt rechts und links von ihm, riefen nach ihm, aber der Ritter antwortete nicht, sondern betete in stets gleichen Worten.

Belkala trat aus der Schwärze der Nacht und kniete sich vor den Mann. Sanft nahm sie sein Gesicht in die verätzten Hände und hob sein Kinn, um ihm in die Augen sehen zu können.

Seine Gebete wurden zu einem Flüstern und versiegten.

»Ich habe keinen Zauber über dich geworfen, Liebster. Es ist nur dein Herz, das die Wahrheit spricht. Deine Seele muss sich noch ausruhen. Sie hat unter der Fahrt zu den Toten, die du gemacht hast, sehr gelitten.« Sie streichelte ihn und küsste ihn auf die Stirn. Nerestros gewaltiger Körper begann zu zittern. »Deine Seele kann aber nicht hier gesunden. Es helfen auch keine Tinkturen, die man dir gegeben hat. Komm mit mir.« Sie stand auf und legte die Finger auf seine kurzen Haare. »Komm mit mir, Geliebter. Ich bringe dich an einen ruhigen Ort, der den kommenden Sturm unbeschadet übersteht. Wenn du nur gesehen hättest, was ich sah. Und bevor wir gehen, musst du die anderen warnen.«

Der Ordenskrieger wuchtete sich umständlich auf die Knie, wankte, packte den Griff der kostbaren Waffe und taumelte rückwärts, die Klinge gegen die Kensustrianerin gerichtet. »Angor, mein Herr, meine Seele wird gepeinigt von bösem Zauber. Es sind Einbildungen, die mir mein verwirrtes Herz sendet.«

Mehrere Reiter preschten heran, an ihrer Spitze Herodin. Belkalas Kopf fuhr herum.

»Ich bitte dich, begleite mich, Geliebter. Oder liebst du mich nicht mehr?« Sie machte einen Schritt auf ihn zu. Die Schwertspitze sank zu Boden. »Sag, dass du mich nicht mehr liebst, und ich kehre niemals mehr zurück.«

Nerestros ganzer Körper wurde von einem Schütteln erfasst. »Ich kann nicht«, knirschte er. »Ich darf nicht. Angor, mein Herr, meine Seele wird gepeinigt von …« Kraftlos brach er zusammen.

»Ich wusste es.« Belkala bückte sich und drückte ihm einen Kuss auf. »Ich werde da sein, wenn du mich brauchst. Wie ich immer da war.« Sie verschwand in der Dunkelheit, während Herodin und die Knappen herbeieilten, um den gestürzten Ritter aufzuheben. Vorsorglich hatte man eine Trage mitgebracht.

»Verschwinde, Dämonin!« Wütend schoss der Unteranführer die Bolzen der Armbrust in die Nacht, dann wandte er sich seinem blassen Herrn zu, der nun über und über voller Schlamm war. »Es hat keinen Sinn.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Wir müssen fort von hier, zurück zur Burg. Nur dort wird er genesen. Meine Hoffnung, dass er im Kreise unserer Mitbrüder gesundet, wurde enttäuscht. Ich werde dem Großmeister unseren Beschluss bekannt geben. Morgen brechen wir auf.«

Herodin spähte in die Finsternis, in der die Priesterin verschwunden war, bevor er sie zu stellen vermochte. »Und wir müssen sie vernichten. Sie ist das Übel, an dem seine Seele krankt. Ich erwische sie bestimmt. Und dann trenne ich ihr den Schädel vom Hals und verbrenne sie zu Asche, vermaledeites Weib.« Er spuckte aus und schwang sich in den Sattel. »Dann findet unser Herr endlich seine Ruhe.«

Die Hüttenstadt, die im südlichsten Zipfel der Großbaronie in aller Eile errichtet worden war, beeindruckte Lodrik. Niemals hätte er geglaubt, dass die Freiwilligen in solcher Geschwindigkeit Unterkünfte, auch wenn sie nur grob behauen worden waren, aufstellen konnten. Und dennoch war dem ein oder anderen Erbauer die Zeit geblieben, ein liebevolles Detail in die Holzbalken zu schnitzen. Die gläubigen Bauern kerbten die Ähre als Zeichen Ulldraels des Gerechten in das Material.

In Reih und Glied standen die Häuschen, streng geordnet und in einer Struktur errichtet, die eine perfekte Übersicht ermöglichte. Im Zentrum lag das größte Gebäude, die Unterkunft des Befehlshabers, in diesem Fall Lodriks Behausung. Zwar ließ sich der Komfort mit dem Palast nicht im Geringsten vergleichen, aber die meisten Gasthäuser hatten weniger zu bieten.

Der junge Mann hatte darauf bestanden, sich auf dem Pferderücken, nicht aus einer Kutsche heraus zu präsentieren, geschützt durch einen schimmernden Brustharnisch, der über der Uniform lag. Das militärische Blut der Bardri¢ regte sich in ihm.

Bei seinem Einzug in die Stadt standen die Truppen an der Hauptstraße Spalier, die Waffen zur Präsentation gezückt, die Gesichter geradeaus gewandt. Bunte Fahnen knatterten im Wind, Tarpols, Tûris’ und die Tzulandriens hingen nebeneinander, und über allen wehte die Standarte der Bardri¢s. Nebelfetzen strichen durch die Straßen und um die Ecken, und ließen die Ankunft des Herrschers beinahe gespenstisch erscheinen. Das Licht wirkte grau und fahl.

Stolz erfüllte Lodrik, als er die vielen Tausend Krieger sah, die ihm unterstanden, die sein Land verteidigt hatten und es nun bald ein weiteres Mal tun müssten.

Und das Gefühl der Macht breitete sich in ihm aus, kroch als wohliges, warmes Empfinden in sein Denken, gepaart mit dem festen Glauben, zusammen mit den magischen Fertigkeiten beinahe unbesiegbar zu sein. Und sich den ganzen Kontinent Untertan zu machen, sollte es notwendig sein. Angesichts des ständigen Verrats um sich herum erschien es ihm fast am sichersten, wenn er allein auf Ulldart herrschte. Wenn er das alleinige Sagen hatte, müsste er sich vor niemand anderem in Acht nehmen. Doch noch sprach er mit niemandem darüber. Er plante, eine letzte Versammlung einzuberufen, um das Geeinte Heer von seinen Angriffsabsichten abzubringen.

An seiner Seite ritt Mortva Nesreca, ähnlich gerüstet wie der Kabcar, wenn auch die Rüstung weniger aufwändig graviert worden war. Sein Gesicht wirkte sichtlich zufrieden. »Es ist erstaunlich, was Osbin aus diesen Männern gemacht hat«, sagte er hinüber zu seinem Schützling.

»Und dennoch sind wir in der Unterzahl«, seufzte Lodrik, dem das Kräfteverhältnis wieder in den Sinn gekommen war. »Ich hoffe, wir müssen die Waffen nicht erheben. Die Vorkehrungen sind dennoch getroffen worden?«

»Ein glücklicher Umstand, dass wir vorzeitig von der Verlegung des Lagers nach Norden erfuhren und schnell handeln konnten. Wenn es sein muss, kann der Feldherr unseren Notplan jederzeit in die Tat umsetzen«, bestätigte sein Konsultant den reibungslosen Ablauf der Vorbereitungen. »Ich hegte von Anfang an meine Zweifel, dass diese verblendeten und dazu noch eroberungswütigen Narren sich durch Verhandlungen zur Vernunft bringen lassen. Zu viel Geld wurde bereits investiert. Und die Gefahr für den Kontinent wird nach wie vor in Euch gesehen, Hoher Herr. Aber dazu sage ich Euch gleich mehr.«

Der Tross hielt vor dem Hauptgebäude an, die beiden Ranghöchsten stiegen etwas steif aus den Sätteln und gingen ins Innere, um sich in der großen Halle bei einer Tasse Tee aufzuwärmen.

Fröstelnd stellte sich Lodrik vor die offene Feuerstelle in der Mitte des Saales. Halbe Baumstämme verbrannten darin, die Flammen zuckten mannsgroß in die Höhe. »Was haben die Verhandlungen gebracht, die ich angeordnet habe? Wann treffen wir uns mit dem Kriegsrat?«

»Ich muss Euch enttäuschen.« Mortva zupfte sich die Handschuhe von den schlanken Fingern, sein Gesicht verzog sich bedauernd. »Es wird kein Treffen geben, Hoher Herr. Die Unterredungen verliefen ergebnislos. Der Kriegsrat weigert sich, den abtrünnigen Hetrál und seine Männer auszuliefern. Und als Zeichen, dass man mit Euch nicht mehr verhandeln will, sandten sie uns die Köpfe der zehn Tapferen, die wohlgemerkt unter dem Neutralitätsbanner ins Lager des Geeinten Heeres ritten. Angeblich hätten die einfachen Soldaten sich nicht mehr zurückhalten lassen. Ich persönlich glaube nicht daran.«

»Wieso erfahre ich das jetzt erst?« Der Kabcar empörte sich und verschränkte die Arme auf dem Rücken. Eine blonde Haarsträhne löste sich aus dem Lederband und hing ihm ins Gesicht. »Das war der letzte Versuch. Ich habe es endgültig satt, wie ein Idiot behandelt zu werden. Ich bin Kabcar, ein Staatsoberhaupt, und das sogar von zwei Reichen gleichzeitig. Aber von Respekt kann ich nichts entdecken.«

Der Berater legte den Harnisch ab und stellte ihn zu Boden. Er nahm auf einem Holzsessel Platz und versuchte, es sich so bequem wie möglich zu machen. »Man hat Euch niemals richtig anerkannt. Ich wollte es Euch zuerst nicht sagen, aber es ergänzt das Bild so herrlich, das ich mehr und mehr von dem Haufen gewinne, der sich so edel Geeintes Heer nennt.« Lodrik bedeutete ihm fortzufahren. »Unsere eigene Patrouille griff zehn Soldaten auf, die sich an den Grenzsteinen zu schaffen machten. Sie gaben in der Befragung zu, die Markierungen im Auftrag des Rates versetzen zu sollen, um unsere Leute sozusagen ›auf fremdem Gebiet‹ zu stellen und den Angriff mit ruhigem Gewissen gegen uns starten zu können. Ihr könnt sie selbst noch einmal verhören, wenn Ihr möchtet.«

»Nein. Nun ist es endgültig genug«, rief der Kabcar wütend. »Ich bin mit meinen siebzehn Jahren gerade erwachsen, aber sie benehmen sich wie kleine Kinder! Schickt einen Läufer zu Varész, er soll anfangen, sobald der Morgen graut. Ich mache mit diesem Spuk ein für alle Mal Schluss.« Er nahm sich eine Flasche vom Tisch und schenkte sich etwas von dem starken Alkohol ein. Hart setzte er sie ab. »Mortva, das wird ein arbeitsreiches Jahr, das uns ins Haus steht.«

Der Mann mit den silbernen Haaren rückte das Kissen zurecht und sah ihm fragend in die blauen Augen, in denen er so etwas wie Bosheit erkennen konnte.

»Von meinen Plänen bezüglich des Ulldraelordens in Tarpol habe ich Euch bereits erzählt. Doch nun sehe ich mich wohl gezwungen, noch anderweitig tätig zu werden.« Er zeigte aus dem Fenster. »Ich werde das Geeinte Heer schlagen, und dann werden sich die Menschen die Frage stellen: Wie konnte Ulldrael das zulassen, wenn sie doch angeblich gegen das Böse ins Feld gezogen sind?« Er schwenkte grimmig die Flasche. »Und ich werde ihnen antworten: Sie sind wohl im Irrglauben gegen den Falschen geritten. Aber dennoch biete ich an, dass meine Soldaten und meine Vertrauten gerne in ihrem Land für Ordnung sorgen werden.« Ein böses Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. »Und alle anderen, die Zweifel an meinen guten Absichten haben, werde ich mit meinen Männern überzeugen. Oder mithilfe der Modrak.«

Kerzengerade saß Mortva im Sessel. »Hoher Herr, Ihr wollt Ulldart erobern?«

Lodrik hob den Finger. »Nein, verehrter Vetter. Ich werde den Untertanen der Länder, die heute ihre Führer und ihre Soldaten verlieren, meinen Schutz anbieten. Und wenn ich es mir recht überlege, werden im Verlauf der Gefechte sehr viele wichtige Menschen ihr Leben verlieren. Und wenn nicht, sorgen wir hinterher dafür. Ich bin es leid. So oft habe ich ihnen meine Hand hingehalten oder meine Hand Hilfe suchend ausgestreckt und niemals etwas bekommen.« Er leerte das Glas in einem Zug. »Diese Schlacht ist ein Geschenk, von wem auch immer. Nun nutze ich meine Vorteile, die sie mir mit ihrem lächerlichen Unternehmen förmlich aufdrängen.«

Als der Kabcar das Glas auf dem Tisch abstellen wollte, fiel sein Blick auf die eingravierte Ähre über den beiden mächtigen Flügeltüren. Nur ein Wimpernschlag der Konzentration war notwendig, und schon bildete sich in der Mitte der Schnitzerei ein dunkler Punkt. Rauch stieg von dort auf, der Brandfleck wuchs, dehnte sich aus, bis er das Zeichen Ulldraels zur Unkenntlichkeit versengt hatte.

Lodrik warf sich den Mantel über und schritt zum Ausgang. »Ich will, dass jede Einzelne dieser Gravuren aus dieser Stadt entfernt wird«, befahl er im Gehen. »Dieser Gott hat nichts dazu beigetragen, dass ich noch auf dem Thron sitze. Ich bin ihm nichts schuldig.«

Mortva stand auf und verneigte sich. Irgendwann fiel das große Portal rumpelnd ins Schloss.

Er hatte sich die Mühe umsonst gemacht. Der Kabcar vertraute ihm vollkommen und mehr, als er es jemals zu hoffen gewagt hätte.

Dabei hatte er alles vorbereitet, die Verhandlungsdelegation erst gar nicht in das feindliche Lager geschickt, sondern die eigenen Männer außerhalb der Sichtweite töten lassen. Das Wagnis, der Kriegsrat könnte in letzter Sekunde während eines Treffens Einigungsgespräche annehmen, wollte er nicht eingehen.

Vier serusische Soldaten des Geeinten Heeres hatte er in aller Heimlichkeit entführen lassen, die nun als vermeintliche Grenzfälscher in einem Erdloch saßen, das als Gefängnis diente. Sie hätten alles bestätigt, wenn sie nur ihr Leben behalten durften.

Der Konsultant stand regungslos, bemerkte die immense Vorfreude auf den Triumph und wollte ihr doch keinen freien Lauf lassen. Er atmete gleichmäßig und versuchte, sie zu unterdrücken.

Doch es wollte ihm nicht gelingen.

Er breitete die Arme aus, legte den Kopf in den Nacken und lachte laut. Es war ein Ton, wie man ihn dem eher schmächtigen Mann niemals zugetraut hätte: ein dunkles, grausames Lachen, beinahe polyphon, das durch Mark und Bein ging. »Hoher Herr, mein Hoher Herr!«, jauchzte Mortva. Die Haut seines Gesichts geriet in Bewegung.

Die Statur des Beraters wuchs, wurde breiter, und die Kleider an seinem Leib begannen sich zu dehnen und zu reißen. Zu spät bemerkte der verzückte Konsultant, dass etwas anderes die Kontrolle über ihn gewann. Oder er sie über sich verlor.

Knirschend und krachend schoss der Mann in die Höhe, ein Schmerzensschrei kam über seine geplatzten Lippen, Teile der Körperhülle baumelten wie zerfetztes Papier herab. Das grüne und das graue Auge glühten auf, vergrößerten sich und steigerten ihre Intensität.

»Nein«, keuchte Mortva und taumelte vorwärts, direkt in die Flammen der Feuerstelle. »Nicht jetzt.«

Mit einem Schmatzen brach die Haut auf dem Rücken, schwarzgelbes Sekret troff zu Boden, und eine gewaltige, gläsern anmutende Schwinge entfaltete sich, in deren Adern die gleiche Flüssigkeit pulsierte, wie sie sich auf der gestampften Erde der Halle sammelte.

Dann schlug das Feuer fauchend über ihm zusammen und hüllte seine deformierte, völlig unproportionierte Gestalt ein.

Lodriks Weg führte ihn direkt zu der Galeere Sinureds, die am westlichen Stadtrand lag. Der wiederauferstandene Kriegsfürst residierte hier, weil kein Haus seinen Ausmaßen gerecht wurde. Umgeben von seiner Leibwache ritt der Kabcar auf das Schiff zu und lenkte sein Pferd die breiten Planken hinauf.

Noch immer haftete dem uralten Holz der Seegeruch an, durch den Nieselregen der letzten Tage wurde der Gestank aus Moder, Salz und Algen sogar noch verstärkt.

Die bewaffneten Krieger mit den merkwürdig bleichen Gesichtern würdigten Lodrik keines Blicks. Ohne dass sie jemand aufhielt, überquerten der Herrscher und seine Leibwache das riesige Deck und stiegen in den Bauch der Galeere.

Der Laderaum glich einem Thronsaal, an dessen hinterer Wand ein kostbarer geschnitzter Sessel aus dem Holz von Ulldraeleichen stand. Dort saß Sinured und beobachtete die Ankömmlinge mit seinen roten Augen. Sofort erhob er sich und ging auf die Knie, als er Lodrik erkannte.

»Es ist mir eine Ehre, den Hohen Herrn an Bord zu begrüßen«, tönte seine laute Stimme durch den Raum. Der Kabcar fragte sich, ob er nicht eben eine Spur Hohn herausgehört hatte.

»Womit kann ich Euch dienen, Hoher Herr?«

Scheinbar gleichgültig ging der junge Mann zu der monströsen und legendären Gestalt, die im Knien immer noch größer war als er. Schwarze, verbrannte Haut, lange weiße Haare, Hände wie Pranken, klauenartige Fingernägel und die muskelbepackten Extremitäten des Kriegsfürsten machten nach wie vor Eindruck auf den Kabcar. Die patinabesetzte Panzerung und die erstarrte Haltung ließen Sinured wie die antike Statue eines Gottes erscheinen. Eines grausamen Gottes.

Und trotz allen Wissens und Vertrauens auf seine magischen Fertigkeiten verlangsamten sich Lodriks Schritte unwillkürlich.

Der Kriegsfürst hob sofort den Kopf, die roten Augen glühten auf, und mit einem Lächeln zeigte er die spitzen, raubtierhaften Zähne. »Ihr müsst keine Angst haben, Hoher Herr. Ich schwor Euch Treue und Gefolgschaft.«

Der junge Mann blieb zwei Meter vor Sinured stehen, die Leibwache fächerte auseinander und sicherte. »Und gerade weil du mir in Dujulev einen Eid leistetest, will ich deine Vertrauenswürdigkeit prüfen. Man sagt, du hättest Worlac abgebrannt, nicht die Borasgotaner.« Prüfend fixierte er die Augen des Wesens, in denen jede Menschlichkeit fehlte. »Stimmt das, Sinured? Du schworst, mein Volk zu schützen, es nicht zu gefährden!«

Der Kriegsfürst schwieg lächelnd.

»Dann wird es Zeit«, Lodrik konzentrierte sich, »für eine Lektion, damit du begreifst.« Er vollführte schnelle, aber sorgfältige Gesten. Bei der vierten Bewegung zogen die Finger schimmernde Bahnen durch die Luft, die magischen Zeichen schwebten im Raum.

Wirbelnd vereinigten sie sich zu einem rotierenden Ball, der sich immer weiter ausdehnte und den verwunderten Sinured einhüllte.

»Wirst du dich in Zukunft an deinen Schwur halten?«, verlangte der Kabcar hart und langte kurz an die schillernde Außenhaut. Im Inneren entlud sich, ausgehend vom Berührungspunkt, ein Blitzschlag, Sinured brüllte vor Schmerz und Überraschung auf.

»Wirst du?« Als er zwei Finger gegen das magische Gefängnis legte, zuckten ebenso viele Energiebahnen auf den Kriegsfürsten hernieder. Die getroffenen Stellen qualmten.

Ohne ein weiteres Wort hob Lodrik als Zeichen seiner Entschlossenheit die rechte Hand, streckte die Finger aus und näherte sich der flimmernden, hauchdünnen und doch undurchdringlichen Wand.

»Hoher Herr, ich werde«, versicherte der Bestrafte. Das Überhebliche war verschwunden.

Er hat Angst vor mir! Endlich! Lodrik senkte die Hand und machte eine wegwerfende Bewegung. Augenblicklich brach die schimmernde Kugel zusammen, und eine Windböe fegte durch den umgebauten Laderaum.

»Wenn ich dich von heute an ein einziges Mal des Eidbruchs überführe, wird meine Magie dich in kleinen Stücken zurück auf den Grund des Meeres befördern. Und diesmal gibt es keinen, der dich von dort zurückholt«, eröffnete er seinem Verbündeten. »Weil du und deine Männer in Dujulev mir geholfen habt, lasse ich Gnade walten. Und als Zeichen dafür, dass ich nicht nachtragend bin, werde ich dich nach dem Ende der Schlacht belohnen. Die einstige Verbotene Stadt wird wieder dir gehören.« Sinured verneigte sich tief. »Und in meinem Namen wirst du Tûris verwalten. Aber meine wachsamen Augen und Ohren werden überall sein. Hüte dich vor falschem Spiel.«

Lodrik drehte sich um, machte ein paar Schritte und blieb stehen. »Schworst du nicht, alle ehemaligen Gebiete Tarpols für mich zurückzuerobern?«, sagte er über die Schulter. »Lass den morgigen Tag vergehen, und wir reden ein zweites Mal darüber.«

»Schneller, ihr Hurensöhne!«, schrie Varész die Soldaten an und schlug vom Pferderücken herab mit der neunschwänzigen Peitsche nach ihnen. »Wenn ihr in zwei Stunden nicht so weit seid, lasse ich euch allesamt häuten und pfählen.«

Die Männer, die seit rund einer Woche fast ohne Unterbrechung arbeiteten, beschleunigten die Grabungen, denn bisher hatte Varész nie leere Drohungen ausgestoßen.

Der Stratege Sinureds richtete sich im Sattel auf und sah sich nach Widock, einem seiner Vertrauten, um. Missmutig zog er den gezackten Zweihänder auf seinem Rücken zurecht. Auch wenn sie ihn etwas behinderte, die schwere Waffe wich nicht von seiner Seite. Zu viele gute Dienste hatte sie ihm in den Schlachten geleistet, die Durchschlagskraft der gewellten Klinge suchte ihresgleichen.

In einiger Entfernung erspähte er Widock bei den Fässern, die sie aus der Stadt organisiert hatten. »Was ist?«, brüllte Varész, um das Tosen der Wassermassen zu übertönen. »Reichen die Behälter oder benötigst du noch mehr?«

Der Mann winkte zur Bestätigung. »Nein, Herr! Wir haben jetzt über dreihundert Gallonen von diesem Zeug. Nach meinen Berechnungen müsste es genügen. Pulver ist ebenfalls ausreichend da.«

»Gut«, murmelte der Feldherr zufrieden. »Sehr gut. Tzulan ist mit uns.« Er lenkte sein Pferd an den Rand des Abgrunds. Geistesabwesend kratzte er an der gespaltenen Unterlippe.

Weit unten im Tal konnte er die Lagerfeuer des Geeinten Heeres als kleine helle Punkte erkennen. Varész wischte sich die Wassertropfen aus dem Gesicht, die von den Gischtschleiern der Repolfälle stammten. Es hatte einige Mühe gekostet, die Posten zügig zu umgehen und die Steilhänge zu erklimmen. Mehr als fünfzig seiner Leute hatte er allein beim Aufstieg eingebüßt, drei Dutzend waren dem Repol zum Opfer gefallen.

Das bereitete ihm die größte Sorge. Nicht dass ihm die Verluste Leid täten, aber wenn eine der Leichen zufällig im Lager entdeckt werden sollte, würde man dort aufmerksam. Und die Gefahr einer vorzeitigen Entdeckung stieg mit jeder Minute, die sich der Plan verzögerte.

Seine Männer hatten ihm gemeldet, eine Frau an den oberen Fällen gesehen zu haben. Als er aber in aller Eile mit einem Spähtrupp nach der unliebsamen Besucherin fahndete, entdeckte er zu seiner großen Erleichterung keine Spuren. Entweder die Leute hatten sich getäuscht oder die Frau machte sich nichts aus den Vorgängen.

Die anderen tausend Mann, die er aus dem Hauptkontingent mit sich führte, schufteten in drei Meilen Entfernung, und zwar mit großem Erfolg, wie er an den rapide schwindenden Wassermassen absehen konnte, die auf den Felsabbruch zutrieben und sich in die Tiefe stürzten.

Der Feldherr wandte sich ab und ritt zurück.

Die Männer stellten die Grabarbeiten ein und bildeten eine Kette. Sie reichten kleine, mit einer Schicht aus Teer versiegelte Holzfässchen durch. Eins nach dem anderen verschwand in den gewaltigen Schächten, die rechts und links des Repolufers in den Fels getrieben worden waren.

»Wollt ihr wohl schneller arbeiten, Ausgeburten der Faulheit!«, hörte er Widock die Soldaten antreiben. »Es wird höchste Zeit.«

Telisor fluchte und stemmte sich aus dem Dreck. Grinsend hielt ihm Hetrál die Hand hin, um ihm aufzuhelfen.

»Wie macht Ihr das, Meister Hetrál?«, wollte der Königssohn wissen. »Seht Ihr selbst im Dunkel und Nebel? Den Ast muss Tzulan dorthin gelegt haben.«

Der Ast, über den Ihr gefallen seid, lag schon sehr lange dort, sprach der Turît mit den Händen. Er ist von Moos bewachsen, und die ersten Ameisen haben sich eingenistet. Tzulan muss ihn vor langer Zeit dorthin geworfen haben. Seid nun leise.

Telisor schlich hinter dem Kunstschützen her und versuchte, keine Geräusche beim Laufen zu machen.

Die Repolfälle hatten sie vor Stunden hinter sich gelassen, die Gruppe aus insgesamt zehn Männern teilte sich danach auf, um in alle Himmelsrichtungen kundschaften zu können.

Hetrál und er bahnten sich einen Weg nach Süden, aber Telisor rechnete nicht damit, hinter den eigenen Linien auf den Feind zu stoßen. Vermutlich würde der gegnerische Stratege seine zweitausend Mann im Osten platziert haben, um einen Flankenangriff durchzuführen. Zumal der Schutzgürtel, der in Hustraban von den Tzulandriern errichtet worden war, nicht allzu weit entfernt lag.

Ihre Vorräte reichten notfalls für eine Woche, sollten sie länger unterwegs sein. Oder sich verirren, was sich der Königssohn durchaus zutraute. Nachts durch einen Wald zu kriechen gehörte nicht zu den Stärken, die er als Thronfolger haben musste. Aber es war ihm ein dringendes Anliegen, nach diesem Varész zu suchen.

Aus dem Nieseln war ein anhaltender Dauerregen geworden, der in den Stoff des wattierten Waffenrocks eindrang und ihn schwerer werden ließ. Telisor fluchte, aber der Turît erklärte ihm mit der Gebärdensprache, die der Königssohn vor Jahren von ihm am heimischen Hof erlernt hatte, dass die Regengeräusche ihre eigenen übertönten.

»Ich hoffe, sie übertönen auch den Husten, den ich mir einfangen werde«, beschwerte sich der junge Mann.

Der Kunstschütze blieb stehen und deutete nach rechts. Wortlos folgte ihm Telisor und stand bald neben ihm am Ufer des Repol. Im breiten Flussbett schlängelte sich ein dünnes Rinnsal. An Stelle des reißenden Stromes floss etwas, das man nicht einmal als Wildbach bezeichnen konnte.

»Wo ist das Wasser hin, Meister Hetrál?«, fragte Telisor mit großen Augen. »Es müsste bei dem Niederschlag sogar angeschwollen, und nicht verschwunden sein.«

Ich habe keine Ahnung, gestand sein Begleiter. Es sah flussaufwärts, wo sich die Umrisse eines Berges abhoben. Was ist da oben? »Da ist der Walgora, wenn ich mich richtig an die Karte erinnere«, gab der Königssohn Auskunft. »Aber den Berg hatte ich anders in Erinnerung. Er war größer. Und auch die Klamm kann ich nicht erkennen.«

Beeilt Euch. Der Turît nahm Schwert und Bogen in die Hand, um sich beim Laufen nicht zu behindern, und verfiel in einen schnellen Trab. Ohne Rücksicht auf die Geräusche, die entstanden, liefen die beiden Männer durchs Unterholz, immer entlang der Flusskante.

Nach wenigen Minuten waren sie so dicht herangekommen, dass sie den Grund für das Versiegen des Repol erkannten.

Die breite Auswaschung im Gestein des Wagora, durch die sich der Strom pressen musste, wurde durch Felsbrocken und Schlamm blockiert, die sich rechts und links von den Hängen gelöst hatten. Nur durch kleine Löcher schoss Wasser in hohem Bogen heraus. Der Druck musste gewaltig sein.

Hetrál packte Telisor plötzlich an der Schulter und zog ihn nach unten. Im Schutz des Farns robbten sie vorwärts, obwohl der Königssohn nicht genau verstand, warum sie sich so vorsichtig an die Unglücksstelle heranbewegten.

Dann entdeckte auch er die Gestalten, die sich an der Vorderseite der natürlichen Talsperre zu schaffen machten. Sie luden große Behälter davor ab, mehrere Fässer befanden sich bereits dort. Der junge Mann zählte zwanzig Stück.

Das war kein Zufall, gestikulierte Hetrál aufgeregt. Sie haben den Felsrutsch absichtlich herbeigeführt, um den Strom zu stauen. Wenn dieser Damm bricht, gibt es im Tal ein Unglück. »Aber wie ist das möglich?«, wunderte sich Telisor. »Wie kann man einen Berg zum Wanken bringen?« Der Turît blieb ihm die Antwort schuldig. »Wir müssen etwas gegen sie tun!«

Es sind zu viele. Und vielleicht machen wir es mit unserem Angriff eher schlimmer als besser. Wir müssen zurück, um die anderen zu warnen. Hetrál schmeckte diese Lösung zwar nicht, aber eine andere kam nicht in Betracht.

Eilig machten sie sich auf den Rückweg. Sie rannten, was ihre Beine hergaben, um rechtzeitig im Lager des Geeinten Heeres anzukommen. Und das Wissen, was den Schlafenden drohte, verlieh ihnen übermenschliche Ausdauer. Kratzer der peitschenden Äste und Ranken spürten sie nicht, kein Hindernis vermochte sie in ihrem Lauf zu bremsen.

J’Maal schreckte aus seinem Lager auf und lauschte. Etwas stimmte nicht. Irgendetwas war anders als sonst, und deshalb war er aus seinem Schlaf erwacht. Die Kriegerinstinkte des K’Tar Tur hatten ihn alarmiert.

In aller Hast warf er sich in den Schuppenpanzer, packte Schwert und Schild und lief nach draußen. Die weißen Haare mit der roten Blutsträhne hingen offen auf die Rüstung herab.

Nur noch Bodennebel war in den frühen Morgenstunden von den dichten grauen Schwaden der Nacht geblieben, ein schwaches, kaum wahrnehmbares Leuchten am Himmel kündigte das baldige Erscheinen der beiden Sonnen an.

Friedlich und still breitete sich das Lager des Geeinten Heeres aus, die Männer ruhten sich vor der bald beginnenden Schlacht aus. Nichts deutete auf Gefahr hin.

J’Maal schloss die Augen und lauschte intensiver. Vorsichtiges Vogelgezwitscher, unterschiedliches Schnarchen, das Rauschen der kahlen Zweige im Wind drang in seine Ohren. Nuancen, die er bisher hier noch nie wahrgenommen hatte. Er vermisste das ständige Brüllen und Donnern des Repolfalls.

Abrupt wandte er sich um, öffnete die Lider und fluchte in der Dunklen Sprache. Die nackten Felshänge lagen klar und deutlich erkennbar vor ihm, die Gischtwolken fehlten, und von den Fluten, die sich normalerweise vierhundert Schritt tief vom oberen Ende herabstürzten, war nichts zu entdecken.

Die ersten Wachen tauschten ihre Meinungen über das Wunder aus, ohne aber Warnzeichen an das restliche Lager zu geben. Anscheinend war das Wasser eben erst versiegt.

Der K’Tar Tur lief zum nächsten Gong, der als allgemeiner Weckruf genutzt wurde, hob den Schlägel mit beiden Händen und wollte zuschlagen, als er ein fernes Rufhorn vernahm. Der Ton kam seiner Meinung nach von hoch oben.

Rechts und links der Felskanten, die den Repol einfassten, schossen plötzlich Funken meterweit in die Luft, eine glitzernde weiße Rauchwolke dehnte sich aus. Dumpf grollte es, als würde ein Gewitter in den Wolken stattfinden.

Ein Donnern jagte das Nächste, bis sich ein Viertel des Berges polternd ablöste und unter mörderischem Getöse in das Wasserbecken stürzte. Das aufgewühlte Nass trat ein wenig über die Ufer des Bassins, ohne jedoch Schaden anzurichten. Dafür waren fast alle Schläfer im Lager des Geeinten Heeres geweckt.

Das steinerne Bett des Repol zeigte sich durch die seltsamen Vorgänge weit über dem K’Tar Tur wesentlich verbreitert. Die Kante des Felsens war nach unten abgerutscht und hatte große Stücke des Ufers mit hinabgezogen. Vom Strom konnte J’Maal immer noch nichts sehen.

Dafür donnerte es wieder, nur viel, viel leiser. Staubwolken, wie bei dem Spektakel eben, waren nicht zu entdecken.

»Was, bei Taralea der Allmächtigen, geht hier vor?«, schrie König Tarm, der auf seinem Pferd angesprengt kam und in die Höhe starrte. »Was für eine Schweinerei wurde da ausgeheckt?«

»Wenn ich das wüsste, Majestät«, wunderte sich der Tersioner und warf den Schlägel achtlos in den Matsch. »Aber ich denke, es ist nichts, was uns zum Vorteil gereicht.«

Tarm deutete auf einen Boten. »Du, richte den Kommandanten aus, sie sollen sofort ihre Männer aus dem Tal schaffen. Sie sollen alles stehen und liegen lassen, nur raus hier.« Der Mann rannte los. »Das gilt auch für Euch, Tersioner. Nehmt die Beine in die Hand.«

J’Maal setzte zu seiner Erwiderung an, aber ein gurgelndes Geräusch aus großer Höhe ließ die beiden Männer herumfahren.

Neue, dreckig braune Wassermassen schossen über den Steilhang hinaus, warfen sich rauschend in die Tiefe und trafen wie der Hammerschlag eines Gottes auf die Oberfläche des Sammelbeckens. Die Wogen, die sich eben fast beruhigt hatten, schwollen an und schwappten diesmal weiter heraus.

Und der Zufluss ebbte nicht ab. Der Repol ergoss sich wütend ins Tal, als habe er seit Jahrhunderten nur auf diese eine Gelegenheit gewartet, und verlor dabei nichts an seiner Stärke. Ganze Baumstämme und Uferbrocken wurden mitgeschwemmt.

Die Fluten breiteten sich aus und rollten auf das Lager des Geeinten Heeres zu.

Hetrál, Telisor und vier weitere Späher, die unterwegs zu ihnen aufschlossen, hatten gerade keuchend vor Anstrengung eine Anhöhe erreicht, die eine Meile vom Lager entfernt lag, als vom Wasserfall her ein ohrenbetäubendes Donnern und Krachen zu hören war.

Der Königssohn und seine Begleiter blickten starr vor Entsetzen auf das Schauspiel, das ihnen geboten wurde. Enorme Wassermengen schossen in die Tiefe und ließen den Repol das Tal fluten. Die Befürchtungen des Meisterschützen hatten sich bestätigt.

»Meister Hetrál! Seht!« Telisor glaubte, Menschen zu erkennen, die an den Ufern des Wasserfalls riesige Fässer heranrollten und sich daran zu schaffen machten. Bei einigen kippten sie den Inhalt in den Strom, andere der hölzernen Behältnisse ließen sie vollständig mittreiben. Sie stürzten in die Tiefe und zerschellten entweder auf ihrem Weg nach unten an Felsvorsprüngen oder verschwanden in den Gischtwolken.

»Was tun sie da? Sind das die Männer des Kabcar?« Verzweifelt rüttelte Telisor an der Panzerung des Meisterschützen, der mit steinernem Gesicht die Vorkehrungen beobachtete. »Wir müssen etwas dagegen tun.«

Wir sind zu weit entfernt, antwortete Hetrál. Was auch immer geschieht, Ulldrael der Gerechte möge den Leuten im Tal beistehen.

Nachdem die Behälter geleert oder zu Wasser gebracht worden waren, trat ein einzelner Bogenschütze nach vorne. Er entzündete einen Brandpfeil, gut in der Dunkelheit als glimmender Punkt erkennbar, und schoss ihn ab.

Der Pfeil zog seine leuchtende Bahn kometengleich über die Kaskade und tauchte am Ende seines scheinbar endlosen Fluges in das Wasser ein.

Doch das Feuer des Pfeils erlosch nicht. Flammen schlugen stattdessen an der Einschlagstelle hoch und setzten den Repol in Brand.

Nun glich der Wasserfall einem brennenden Vorhang, vierhundert Schritt hoch und von atemberaubender, todbringender Schönheit.

Der über die Ufer getretene Strom darunter verwandelte sich in eine glühende Schlange, die das Lager König Tarms mit seinen mehr als fünfzigtausend Bauern, Kriegern und Rittern, Wagen, Zelten und Pferden verschlang, hinfort spülte und gleichzeitig zu Asche verbrannte.

Nur wenige Krieger der einstmals großen Streitmacht konnten sich auf kleinere Hügel retten, Hetrál schätzte ihre Zahl auf knapp fünftausend. Der Rest war mitgerissen worden. Von ihrem Spähposten aus erschien das Durcheinander schrecklich, Mensch und Tier strampelten in den abfließenden Wassermassen um ihr Leben oder schleppten sich mit letzter Kraft auf höher gelegene Bereiche des Tals. Qualmwolken verdunkelten den sich allmählich hell färbenden Himmel.

Als sich der Repol wieder beruhigt hatte und das Feuer auf ihm verloschen war, gingen Telisor, der Meisterschütze und die Begleiter schweigend hinab ins Tal.

Vereinzelte Bäume, die der Wucht des Stroms standgehalten hatten, brannten wie Fackeln, Kadaver, Zeltreste und zerschlagene Wagen lagen herum, steckten zur Hälfte im Schlamm, manche loderten noch. Husten klang allerorten auf, dumpfe Hilferufe gesellten sich hinzu. An verschiedenen Stellen gruben die Soldaten ihre verschütteten Kameraden mit bloßen Händen aus dem Dreck.

Telisor hatte zu seiner Beruhigung seinen Vater entdeckt. König Tarm gehörte zu den Überlebenden und war damit beschäftigt, die Reste der Armee zu ordnen. Etwa fünfzig ungerüstete Ordenskrieger, nur als solche an ihrer Haartracht erkennbar, halfen ihm dabei. Befehle brüllend ritten sie durch den Schlamm, trieben die verbliebenen Soldaten zusammen und sammelten sie, um im Fall eines möglichen Angriffs die Gegenwehr zu organisieren. Nach und nach formierten sich Schlachtreihen.

J’Maal tauchte an Hetráls Seite auf. Er glich einem Stück nasser Erde mit zwei Beinen, aber auch er war den vernichtenden Fluten entgangen. »Der umgestürzte Wein gestern Nacht war ein schlechtes Omen«, meinte er düster. »Es hat sich erfüllt.«

Als der König seinen Sohn erblickte, senkte er beschämt den Kopf. »Telisor, ich war ein königlicher Narr! Und ich habe dafür wahrhaft bitter bei den Göttern bezahlt.« Wütend und hilflos zugleich schlug er mit dem Schwert in die Luft. »Welcher Teufel hat Varész zu diesem Plan geraten? So viele Menschen mussten sterben.« Der König schüttelte den Kopf. »Was für ein Tod.«

»Verzeiht.« Der K’Tar Tur zeigte mit seinem Schwert auf die Anhöhe, von welcher der Spähtrupp gekommen war. »Majestät, es sieht so aus, als ob wenigstens wir die Gelegenheit erhalten würden, im Kampf sterben zu dürfen.«

Lodrik ritt zwischen Mortva und Varész den kleinen Hügel hinauf, um einen besseren Überblick zu haben. Hinter den Männern folgte die Streitmacht aus Tzulandrien, diszipliniert, formiert und schweigend. Sinureds gewaltige, Furcht einflößende Gestalt lief vor den Fußtruppen, die eisenbeschlagene Deichsel locker geschultert, das grausame Gesicht zu einem erwartungsvollen Grinsen verzogen. Er wirkte wie ein lebendig gewordener Belagerungsturm.

Der Kabcar fühlte sich unwohl, seit er den Befehl zur Ausführung des Plans erteilt hatte.

Noch immer konnte er sich nicht genau vorstellen, welche Auswirkungen die Unternehmungen Varész’ auf das Geeinte Heer haben sollten. Sein Berater sprach von ein paar Hundert Opfern, um die Gegner vor der Schlacht zu entmutigen. Und da die neuen Waffen nicht fertig geworden waren, musste man die Übermacht dezimieren. Das sah auch Lodrik ein.

Zwar war es sein Wunsch gewesen, die Angreifer zu treffen und sie zu besiegen. Doch ohne die Wut, in der er damals die Anordnung gab, schwankte der junge Mann ob der Richtigkeit seiner Entscheidung. Ein harter, verlustreicher Vorstoß gegen Tarm und die Seinen, ein bisschen Magie und sie hätten vielleicht aufgegeben. Der schwarze Rauch, der über dem Tal hing, sorgte nicht unbedingt dafür, dass sein mulmiges Gefühl schwand. Seine Unruhe vergrößerte sich sogar.

Das Donnern und Tosen des Repolfalls schallte wie eh und je durch die Luft.

Der Kabcar kam auf der Spitze an und zügelte sein Pferd. Der Anblick des völlig zerstörten Lagers traf ihn bis ins Mark, schockierte ihn. Sechsundfünfzigtausend Männer, raunte eine Stimme tadelnd in seinem Inneren. Wie Ungeziefer weggespült. Wie viele Witwen sitzen nun zu Hause? Wie viele Söhne und Töchter werden vergeblich auf ihre Väter warten? Lodrik schloss die Augen und atmete tief durch.

»Hoher Herr, seid Ihr zufrieden mit meiner Arbeit?«, fragte Varész gespannt. Doch der junge Mann saß steif im Sattel, die Lider geschlossen. »Hoher Herr?«

Mortva nickte ihm beruhigend zu und bedeutete dem narbengesichtigen Krieger mit einer weiteren Kopfbewegung, Angriffsvorbereitungen zu treffen. Der Stratege verneigte sich und lenkte sein Ross zu den Signalisten.

»Immerhin«, meinte der Konsultant nach einer Weile. »Es haben sich etwas mehr als fünftausend tapfer gegen die Fluten gestemmt. Kein Gegner für uns.«

Im Hintergrund dröhnten die Hörner, Wimpel wurden geschwungen und so Kommandos an die einzelnen Gruppen gegeben. Scheppernd brachten sich die Tzulandrier in Position, mit schleifenden Geräuschen kamen blitzende Schwerter zum Vorschein, Bogenschützen lockerten die Pfeile im Köcher, Schilde ruckten in die Höhe.

Lodrik öffnete die Augen und schaute hinab zu dem Haufen der letzten Tapferen, die sich tatsächlich kampfbereit machten. Er seufzte. Ich will das nicht. Gebt auf, geht nach Hause. Er wandte sich rasch zu einem Mann seiner Leibwache um. »Reite hinab und frage sie, ob sie sich ergeben möchten. Es wird freier Abzug gewährt, kein weiteres Blut soll mehr fließen. Es sind genug Männer gestorben.« Der Soldat nahm sich eine weiße Fahne, gab seinem Pferd die Sporen und preschte hinab.

»Wie edel von Euch«, knirschte Mortva und schaute zum Horizont, wo sich das erste der beiden Gestirne an einem klaren, kühlen Morgen erhob. Er machte aus seinem Missfallen keinen Hehl.

»Ihr sagtet, dass es nur wenige Hundert Tote geben würde«, spie der junge Mann in Richtung seines Konsultanten. »Wie erklärt Ihr mir das?«

»Varész muss mich missverstanden haben. Oder er war zu gründlich.« Der Vetter klang gekränkt. »Hoher Herr, wir haben uns damit den Sieg gesichert, bevor der Kampf überhaupt begann. Ohne diesen Schachzug wären wir verloren gewesen.«

»Als einen Schachzug seht Ihr das also, Mortva?«, sagte Lodrik leise. »Ich habe noch nie eine Partie gespielt, in der alle Figuren auf einmal vom Brett gefegt wurden.«

Varész sprengte heran, sein Gesicht zeigte Ungläubigkeit. »Was tut der Mann da unten?«

»Er handelt auf meinen Befehl hin«, herrschte ihn der Kabcar an, der Stratege zuckte zurück. »Wenigstens sie sollen eine Gelegenheit haben, den Tag lebend zu überstehen.«

Doch das Geeinte Heer schien nicht zur Aufgabe bereit zu sein.

Nach wenigen gewechselten Worten wendete Lodriks Beauftragter und kehrte zurück. »Sie weigern sich, hoheitlicher Kabcar«, erstattete er Bericht. »Sie wollen lieber für das Gute kämpfen. Und siegen.«

»Für das Gute«, wiederholte der junge Mann gedankenverloren und blickte zu dem fast schon bemitleidenswerten Haufen von Gegnern, wo er Hetrál entdeckte. Ein Kloß bildete sich in seinem Hals. »Wir ziehen uns zurück.«

Mortvas Gesicht verzog sich zu einer Fratze. »Was denkt Ihr, was Ihr da tut, Hoher Herr? Meint Ihr, sie wüssten Euren Großmut zu schätzen?«

»Bedenkt, wer von uns beiden der Hohe Herr ist«, entgegnete Lodrik mit einer Eiseskälte. Die Magie sammelte sich in ihm und fokussierte sich. »Und ich befahl, dass wir uns zurückziehen. Auf der Stelle. Wir haben unser Ziel erreicht. Ich habe mein Land vor der Eroberung bewahrt.«

In den ersten sanften Strahlen der aufgehenden Sonne kamen die Truppen des Kabcar über den Hügel, an ihrer Spitze ritt der Mann, der das Geeinte Heer mit Leichtigkeit besiegt hatte.

Das Morgenrot ließ die Rüstungen der achtzehntausend tzulandrischen Krieger dunkelrot schimmern.

König Tarm erinnerte sich an den Satz, den er vor einigen Stunden im Zelt scherzhaft gesagt hatte. »Dort kommt mein Wein«, flüsterte er und senkte das Schwert. »Das Omen, J’Maal.«

»Warum greifen sie nicht an?«, wunderte sich der K’Tar Tur, packte seine Waffe fester und ließ den Blick über die Gegner gleiten. »Wir wollten uns doch nicht ergeben.«

Sie zögern aus irgendeinem Grund, gestikulierte Hetrál, der Königssohn übersetzte. Mit Leichtigkeit konnte der Turît die blonden Haare des Kabcar ausmachen, an dessen Seite der berühmtberüchtigte Konsultant anscheinend heftig auf ihn einredete.

Telisor wurde von der Wut übermannt, die alle der Überlebenden auf den Gegner verspürten.

»Da ist doch wieder eine Hinterhältigkeit im Gange. Er wird seine Magie einsetzen wollen.« Er zog seine Klinge. »Das dürfen wir uns nicht gefallen lassen, Männer!«, schrie er. Eine Bewegung ging durch die Reihen der Soldaten. »Kommt, wir greifen an!«

»Telisor, halt den Mund!«, befahl ihm sein Vater unddrängte sein Pferd nach vorne, um zu seinem Sohn zu gelangen und ihn zu besänftigen.

Doch der junge Thronfolger Aldoreels ließ sich in seinem Zorn nicht aufhalten. »Ulldrael der Gerechte hat uns vor den Fluten bewahrt, damit wir den Kabcar aufhalten. Er ist mit uns!« Telisor stieß einen wilden Schrei aus und sprengte der Übermacht der Feinde entgegen. Hetráls Hand griff nur noch ins Leere. Er hatte den aufgebrachten Mann zurückhalten wollen. »Wir vernichten sie! Der Gerechte ist mit uns! Mir nach! Für die Toten und für Ulldart!«

Die Letzten des Heeres folgten ihm unter mörderischem Gebrüll, mitgerissen von Hass und dem Glauben an göttlichen Beistand, und stürmten gegen den Hügel an, auf dem die Übermacht wartete.

»Hoher Herr?«, kam es fragend von Varész, der seinen gezackten Zweihänder zog und hoch in die Luft reckte. Mit der freien Hand zurrte er den Riemen seines Helms fester. Sein Gesicht spiegelte Vorfreude.

Lodrik schluckte, als er die fünftausend Krieger auf seinen Hügel heranreiten und rennen sah. Was taten sie nur? Warum waren sie nicht nach Hause gegangen, als sie es noch konnten? Die Ersten der feindlichen Reiterei gelangten am Fuß der Erhebung an und preschten in gerader Linie hinauf. Ihre Lanzen senkten sich.

»Hoher Herr?«, drängte der Stratege nun. »Wir können nicht länger warten.«

Wortlos wandte der Kabcar sein Pferd um und ritt durch die eigenen Reihen nach hinten. Er wollte das Massaker nicht sehen, das gleich einsetzen sollte. »Beginnt«, befahl er beinahe unhörbar.

Dennoch hatte Varész das Wort vernommen, der Zweihänder sauste nach unten. Der Angriffsbefehl war somit gegeben worden.

Pfeilschauer verdunkelten augenblicklich den Himmel, die Piken der ersten Reihe ruckten in die Höhe und bildeten einen tödlichen Wald aus Stahlspitzen, in dem Ross und Reiter zu Tode kamen.

Die Wimpel der Signalisten wirbelten durch die Luft, setzten eine Gruppe der Tzulandrier nach der anderen in Bewegung, bis sich auch schließlich Sinured in den Kampf stürzte.

Seine überlegene Kraft war jedoch nicht notwendig gewesen, die Truppen Lodriks hatten leichtes Spiel. An die Stelle des einst rücksichtslosen, blindwütigen Attackierens war überlegenes Vorgehen getreten.

In unterschiedlichen Formationen rückten Kavallerie, Bogenschützen und Fußtruppen vorwärts, sorgten für gegenseitige Deckung und gaben niemals eine Lücke preis, in die der Rest des unerfahrenen Geeinten Heeres hätte stoßen können.

Überrumpelt mussten Telisor und seine Männer zusehen, wie sich aus feindlichen Schildkarrees breite Phalangen formten, aus Linien Spitzen wurden oder Flanken sich urplötzlich wie Pressen um eine Gruppe des Geeinten Heeres schlossen, um sie gnadenlos zwischen ihren Speeren aufzuspießen.

Das Tal tränkte sich gegen Nachmittag mit dem Blut des letzten Tapferen des Heeres, und die Tzulan-Rufe hallten von den Wänden wider, waren beinahe lauter als das Tosen der Repolfälle. Die wenigen Flüchtlinge ließ man laufen, sie sollten durch ihre Schilderungen Schrecken verbreiten.

Lodrik erlebte das alles nicht mit.

Er saß allein in der großen Halle und betrank sich, während ihm die Tränen die Wangen hinabliefen. Das hatte er niemals wirklich gewollt. Sein Blick glitt über die versengte Schnitzerei. Ulldrael, du hättest mir damals helfen sollen. Nun tat es ein anderer.