»Die Pest wünsche ich ihnen an den Hals!« sagte Crassus zu Caesar. Starke Worte für diesen sonst so friedfertigen Mann. »Mindestens die Hälfte dieser fellatores hat dagesessen und gehofft, daß Tarquinius mit seiner Anklage durchkommt! Welch ein Glück, daß Quintus Curius sich für seine Briefe meine Türschwelle ausgesucht hat. Sonst wäre ich jetzt in ernsten Schwierigkeiten.«
»Da war meine Verteidigung schon fadenscheiniger«, sagte Caesar, »doch zum Glück waren es die Anschuldigungen auch. Dummköpfe! Catulus und Piso sind erst auf die Idee gekommen, als Tarquinius dich beschuldigt hat. Wenn ihnen das gestern abend schon eingefallen wäre, dann hätten sie ein paar Briefe gefälscht. Aber ohne Fälschungen hätten sie besser den Mund gehalten. Es amüsiert mich immer wieder, Marcus, wie dumm meine Feinde sind! Beruhigend zu wissen, daß man so schnell keinem Feind begegnen wird, der einem gewachsen ist.«
Crassus war es inzwischen gewöhnt, solche Bemerkungen von Caesar zu hören, und trotzdem sah er den jüngeren Mann fassungslos an. Kannte der überhaupt Selbstzweifel? Crassus hatte noch nie ein Anzeichen dafür entdecken können. Und ein kühler Kopf war er auch. Andernfalls würde Rom sich noch tausend Catilinas wünschen.
»Ich gehe morgen nicht hin«, sagte Crassus.
»Schade. Es verspricht, interessant zu werden.«
»Und wenn es aufregender wird als der Kampf zweier gleichwertiger Gladiatoren! Von mir aus soll Cicero seinen Triumph haben. Pater patriae! Pah!« schnaubte er.
»Ach, Marcus, das war Catos Sarkasmus.«
»Ich weiß, Caesar. Aber Cicero hat ihn ernst genommen, und das ärgert mich.«
»Er ist ein armer Kerl. Es muß schrecklich sein, ständig ausgeschlossen zu werden.«
»Höre ich richtig, Caesar? Mitleid? Du?«
»Ja, ja, gelegentlich habe ich sogar Mitleid. Kein Wunder, daß Cicero solche Gefühle weckt. Er ist manchmal so schutzlos.«
Neben der Organisation der Bürgermiliz und den Überlegungen, wie er mit dem Dilemma der Langwierigkeit dieser Affäre fertig werden könnte, hatte Cicero sogar noch Zeit gefunden, den Tempel der Concordia in einen etwas erträglicheren Versammlungsort umwandeln zu lassen. Als die Senatoren sich am nächsten Tag versammelten — es war der fünfte Dezember —, stellten sie fest, daß die Zimmerleute gute Arbeit geleistet hatten. Es gab jetzt drei Ränge auf jeder Seite, höher, aber dafür schmaler, und ein Podium für die kurdischen Magistrate, vor dem man eine lange Bank für die Volkstribunen aufgestellt hatte.
»Ihr werdet nicht mehr auf euren Schemeln sitzen können, dafür ist es zu eng, aber die Ränge könnt ihr als Sitzgelegenheiten benutzen«, sagte der Erste Konsul. Er zeigte hinauf zu den Seitenwänden und zur Rückwand. »Ich habe außerdem genügend Ventilatoren installieren lassen.«
Es waren vielleicht dreihundert Männer gekommen, etwas weniger als an den vorhergehenden Tagen; nachdem sie sich wie die Hühner auf der Stange niedergelassen hatten, konnte der Senat zur Tagesordnung übergehen.
»Versammelte Väter«, sagte Cicero mit feierlicher Stimme, »ich habe diese Körperschaft noch einmal zusammengerufen, um eine Sache zur Diskussion zu stellen, die weder Aufschub duldet noch ignoriert werden darf: Was geschieht mit den fünf Gefangenen?
In vielerlei Hinsicht stehen wir vor einer ähnlichen Situation wie vor siebenunddreißig Jahren, nachdem Saturninus und seine rebellischen Komplizen die Besetzung des Kapitols aufgegeben hatten. Kein Mensch wußte, was man mit ihnen anfangen sollte. Niemand war bereit, diese fanatischen Burschen in Gewahrsam zu nehmen; man wußte nur zu gut, wie groß die Zahl ihrer Sympathisanten innerhalb der Mauern Roms war — hätte ein Mann sein Haus als Gewahrsam zur Verfügung gestellt, wäre es ihm noch in derselben Nacht über dem Kopf angezündet und der Gefangene befreit worden. Und so waren der Verräter Saturninus und seine vierzehn wichtigsten Helfershelfer in unseren geliebten Senatssitz, die Curia Hostilia, gesperrt worden. Keine Fenster, massive Bronzetüren, uneinnehmbar. Und dann war eine Gruppe von Sklaven, angeführt von einem gewissen Scaeva, auf das Dach geklettert; sie deckten die Dachziegel ab, und steinigten damit die Männer in der Curia. Eine Schandtat, aber auch eine große Erleichterung! Als Saturninus tot war, kehrte in Rom wieder Ruhe ein. Ich gebe zu, daß Catilinas Armee in Etruria eine zusätzliche Komplikation ist, aber unser erstes und vordringlichstes Ziel muß es sein, die Ruhe in Rom wiederherzustellen!«
Cicero machte eine Pause; er wußte sehr gut, daß einige unter seinen Zuhörern zu den Männern gehörten, die Sulla auf das Dach der Curia Hostilia geschickt hatte. Kein einziger Sklave war damals dabeigewesen, dafür der Besitzer des Sklaven Scaeva, ein gewisser Quintus... Croton? Nachdem der Aufruhr sich so weit gelegt hatte, daß man wieder von normalen Verhältnissen reden konnte, hatte Croton seinen Sklaven öffentlich für seine Tat belobigt und ihm die Freiheit geschenkt, um von seiner eigenen Schuld abzulenken. Sulla hatte diese Version der Geschichte niemals bestritten, schon gar nicht, nachdem er Diktator geworden war. Sklaven waren eben vielseitig verwendbar!
»Versammelte Väter«, fuhr Cicero mit ernster Stimme fort, »wir sitzen auf einem Vulkan! Fünf Männer stehen in fünf verschiedenen Häusern unter Arrest, fünf Männer, die in diesem Haus und vor unser aller Augen zusammengebrochen sind und ihre Verbrechen freiwillig gestanden haben — ihren Hochverrat gestanden haben! Ja, sie haben sich selbst beschuldigt, nachdem wir sie mit Beweisen konfrontiert hatten, deren bloße Existenz das Urteil über die Männer sprach. Und mit ihrem Geständnis haben sie das Urteil über andere Männer gesprochen, Männer, für die ein Haftbefehl besteht, wann immer und wo immer sie auch gefunden werden mögen. Nun stellt euch vor, was geschehen wird, wenn sie gefunden werden. Wir werden dann bis zu zwanzig Männer in ganz gewöhnlichen römischen Häusern unter Arrest halten müssen, bis wir sie in einem umfangreichen und entsetzlich langwierigen Prozeß abgeurteilt haben.
Schon gestern konnten wir eine der üblichen Folgen beobachten, die aus einer solchen Situation entstehen können: Eine Gruppe von Männern hat sich zusammengerottet und weitere Männer angeworben, um die geständigen Verräter aus unserem Gewahrsam zu befreien, die Konsuln zu ermorden und statt dessen die Gefangenen als Konsuln einzusetzen! Mit anderen Worten: Die Revolution ist nicht beendet, solange sich geständige Verräter innerhalb der Mauern Roms befinden und die Armee Catilinas innerhalb der Grenzen Italiens steht. Durch schnelles Handeln konnte ich den gestrigen Umsturzversuch vereiteln. Aber ich bin nicht einmal mehr einen Monat lang Konsul. Ja, versammelte Väter, die alljährliche Ablösung steht unmittelbar bevor, und wir sind nicht gut gerüstet für den Wechsel der Magistrate.
Wenn ich aus dem Amt scheide, möchte ich diese katastrophale Situation gründlich bereinigt und Catilina klargemacht haben, daß er hier in Rom keine Verbündeten mehr hat, die stark genug wären, ihn zu unterstützen. Und es gibt eine Möglichkeit...«
Der Erste Konsul hielt inne, damit seine Worte ihre Wirkung tun konnten. Er hoffte, daß sein alter Erzfeind und Busenfreund Hortensius im Haus war. Hortensius würde die Schönheit einer solchen Rede zu schätzen wissen, während die meisten anderen wohl ausschließlich ihren pragmatischen Charakter erkannten. Und was Caesar betraf, nun... Cicero wußte nicht einmal genau, ob ihm an Caesars Beifall gelegen war. Crassus war gar nicht erst erschienen, aber der war ohnehin der letzte, den Cicero mit seiner juristischen Argumentation beeindrucken wollte.
»Bis Catilina und Manlius bezwungen sind oder aufgegeben haben, steht Rom unter dem Kriegsrecht des Senatus Consultum Ultimum. So, wie Rom immer noch unter einem Senatus Consultum Ultimum stand, als Saturninus und seine Lakaien in der Curia Hostilia ihr Leben ließen. Und das bedeutete, daß niemand dafür verantwortlich gemacht werden konnte, daß die Sache beendet und die Rebellen hingerichtet worden waren. Das Senatus Consultum Ultimum gewährte allen jenen Immunität, die Dachziegel geworfen hatten, ob sie Sklaven waren oder nicht, denn der Herr kann vor Gericht für die Handlungen seines Sklaven zur Rechenschaft gezogen werden. Und deshalb hätten all die Männer, denen diese Sklaven gehörten, wegen Mordes angeklagt werden können. Aber nicht unter dem Senatus Consultum Ultimum, der Blankovollmacht, die der römische Senat in Zeiten der Not ausstellen darf, wenn es — ganz gleich, mit welchen Mitteln — das Wohl des Staates zu bewahren gilt.
Und nun denkt an unsere geständigen Verräter hier in Rom und an die anderen Verräter, nach denen wir noch suchen, weil sie vor ihrer Festnahme fliehen konnten. Alle sind sie schuldig, beschuldigt von den fünf Männern, die wir in unserem Gewahrsam haben, ganz zu schweigen von den Zeugenaussagen, die ihr von Quintus Curius, Titus Volturcius, Lucius Tarquinius und Brogus dem Allobroger gehört habt. Unter den Bedingungen eines Senatus Consultum Ultimum muß den selbsterklärten Verrätern nicht erst der Prozeß gemacht werden. Wir befinden uns in einer ernsten Notlage, deshalb ist diese ehrwürdige Körperschaft von Männern, der Senat von Rom, ermächtigt, alles Nötige zu tun, um das Wohl des römischen Staates zu garantieren. Wenn wir diese Männer bis zu einem Prozeß in Gewahrsam behalten, wenn wir sie dann anläßlich dieses Prozesses in aller Öffentlichkeit auf dem Forum zur Schau stellen, dann kann das nur zu neuem Aufruhr führen! Zumal sich Catilina und Manlius, die formal zu Feinden des Staates erklärt wurden, noch immer in Freiheit in Italien, an der Spitze einer Armee befinden. Mit dieser Armee könnten sie während eines solchen Prozesses über unsere Stadt herfallen, um die Verräter zu befreien!«
Hatte er sie überzeugt? Cicero war sich dessen sicher, bis sein Blick auf Caesar fiel, der kerzengerade auf der untersten Stufe saß, die Lippen zusammengepreßt, zwei rote Flecken auf den blassen Wangen. Er würde sich also der Opposition Caesars erwehren müssen, und Caesar war ein großer Redner. Designierter Stadtprätor, das bedeutete, er stand weit, vorn auf der Rednerliste, wenn die Reihenfolge eingehalten würde.
Er mußte ihnen seinen Standpunkt eingehämmert haben, bevor Caesar das Wort ergriff! Aber wie? Cicero ließ den Blick über die rückwärtigen Reihen wandern und entdeckte den kleinen alten Gaius Rabirius, einen Mann, der seit vierzig Jahren im Senat saß, ohne sich jemals um ein höheres Amt beworben zu haben. Er war immer noch ein pedarius, ein Senator zweiten Ranges, der Inbegriff eines Hinterbänklers. Und die Verkörperung aller männlichen Tugenden stellte Rabirius auch nicht gerade dar! Viele zwielichtige Geschäfte und Ausschweifungen hatten dafür gesorgt, daß er nicht sehr beliebt war. Und er gehörte zu jenen Männern, die auf das Dach der Curia Hostilia geklettert waren, die Dachziegel losgerissen und auf Saturninus geworfen hatten...
»Wenn diese Körperschaft nun entscheiden sollte, was mit den fünf Männern in unserem Gewahrsam und den Flüchtigen zu geschehen hat, dann wären ihre Mitglieder dabei so frei von jeder juristischen Verantwortung wie... wie, nun, wie der gute Gaius Rabirius, den man schließlich auch nicht wegen des Mordes an Saturninus vor Gericht stellen könnte! Das wäre ein offenkundiger Unsinn, versammelte Väter! Das Senatus Consultum Ultimum deckt alles ab und läßt alles zu. Ich plädiere dafür, daß dieses Haus nach vollständiger Debatte noch heute zu einer Entscheidung über das Schicksal unserer geständigen Gefangenen kommt, die sich selber schuldig bekannt haben. Sie bis zu einem Prozeß in der Stadt zu behalten, wäre, meiner Überzeugung nach, sehr gefährlich für Rom. Laßt uns hier und heute darüber diskutieren und entscheiden, was wir kraft der vollen Rückendeckung des Senatus Consultum Ultimum mit ihnen tun wollen. Wir können sie hinrichten lassen. Wir können sie aber auch ins Exil schicken, ihren Besitz konfiszieren und ihnen bis zum Ende ihres Lebens Feuer und Wasser auf italischem Boden verwehren.«
Er holte Atem und dachte an Cato, der mit Sicherheit Einspruch erheben würde. Ja, Cato saß aufrecht und erwartungsvoll auf seinem Platz. Als designierter Volkstribun stand er jedoch sehr weit hinten auf der Rednerliste.
»Versammelte Väter, es ist nicht meine Aufgabe, diese Sache zu entscheiden. Ich habe meiner Pflicht genügt und euch die rechtliche Lage dargelegt, ich habe euch darüber in Kenntnis gesetzt, was ihr unter dem Senatus Consultum Ultimum tun könnt. Ich persönlich trete für eine Entscheidung hier und heute und damit gegen einen Prozeß ein. Aber ich weigere mich, präzisere Vorschläge dafür zu machen, wie diese Körperschaft mit den schuldigen Männern verfahren sollte. Das sollte besser ein anderer tun.«
Eine kurze Pause, ein herausfordernder Blick auf Caesar, dann auf Cato. »Ich ordne an, daß die Reihenfolge der Redner sich nicht nach der Hierarchie der Magistrate richtet, sondern nach Alter, Weisheit und Erfahrung. Deshalb werde ich den designierten Ersten Konsul als ersten Redner aufrufen, dann den designierten Zweiten Konsul, und danach werde ich jeden der anwesenden Konsulare um seine Meinung bitten — insgesamt vierzehn Männer, wenn ich richtig gezählt habe. Dann sind die designierten Prätoren an der Reihe, als erster der designierte Stadtprätor, Gaius Julius Caesar. Nach den designierten Prätoren werden die Prätoren sprechen, dann die designierten Ädilen und die Ädilen, die plebejischen vor den kurulischen. Dann sollen die designierten Volkstribunen das Wort haben und schließlich die amtierenden Volkstribunen. Eine Entscheidung über die ehemaligen Prätoren behalte ich mir vor, weil ich bereits sechzig Redner aufgezählt habe, wenngleich drei amtierende Prätoren gegen Catilina und Manlius im Felde stehen. Bleiben also noch siebenundfünfzig Redner, wenn die Ex-Prätoren nicht aufgerufen werden.«
»Achtundfünfzig, Marcus Tullius.«
Wie konnte er den Stadtprätor Metellus Celer übersehen?
»Solltest du nicht bei deiner Armee in Picenum sein?«
»Wenn du dich zu erinnern beliebst, Marcus Tullius, du selbst hast mich unter der Bedingung nach Picenum geschickt, daß ich an jedem elften Tag nach Rom zurückkehre, und außerdem zwölf Tage vor und nach der Übergabe der Tribunate.«
»Das ist richtig. Also achtundfünfzig Redner. Das heißt, keinem wird genug Zeit zur Verfügung stehen, sich einen Ruf als mitreißender Redner zu erwerben. Ist das verstanden? Es ist unerläßlich, daß wir noch heute mit der Debatte fertig werden! Die endgültige Entscheidung muß gefallen sein, bevor die Sonne untergeht. Seid also gewarnt, versammelte Väter, ich werde jeden unterbrechen, der zu schwadronieren anfängt.« Cicero blickte den designierten Ersten Konsul Silanus an.
»Decimus Junius, eröffne du die Debatte.«
»Mit Rücksicht auf deine Bedenken wegen der Zeit, Marcus Tullius, werde ich mich kurz fassen«, sagte Silanus. Er wirkte ein wenig hilflos; vom ersten Redner erwartete man gewöhnlich, daß er die Richtung vorgab, an der die folgenden Redner sich orientieren konnten. Cicero gelang das jedesmal. Silanus war seiner Sache jedoch nicht so sicher, vor allem deshalb, weil er keine Ahnung hatte, welche Richtung das Haus in dieser Sache einschlagen würde.
Cicero hatte so deutlich, wie er es riskieren konnte, die Todesstrafe gefordert — aber was wollten die anderen? Silanus entschied sich schließlich für einen Kompromiß, indem er für die »äußerste Strafe« plädierte. Jeder mußte darunter die Todesstrafe verstehen. Über die Frage, ob es einen Prozeß geben sollte, verlor er kein einziges Wort, und alle schlossen daraus, daß er gegen einen Prozeß war.
Dann war Murena an der Reihe, und auch er gab der »äußersten Strafe« den Vorzug.
Cicero enthielt sich natürlich eines Redebeitrags, und Gaius Antonius Hybrida stand mit seiner Armee im Feld. Der nächste war der Präsident des Hauses, Mamercus Princeps Senatus, der höchstrangige unter den Konsularen. Widerwillig entschied er sich für die »äußerste Strafe«. Dann waren die ehemaligen Zensoren an der Reihe — Gellius Poplicola, Catulus, Vatia Isauricus und ein besorgter Lucius Cotta forderten die »äußerste Strafe«. Die gleiche Forderung kam auch von den Konsularen, die nicht Zensoren gewesen waren — Curio, den beiden Luculli, Piso, Glabrio, Volcatius Tullus, Torquatus, Marcius Figulus. Lucius Caesar war so anständig, sich der Stimme zu enthalten.
So weit, so gut. Dann war Caesar an der Reihe, und da nur wenige seine Ansicht so gut kannten wie Cicero, waren viele von seinen Äußerungen überrascht. Auch Cato; es war nicht zu übersehen, daß er auf diesen irritierenden, unwillkommenen Verbündeten nicht vorbereitet gewesen war.
»Der Senat und das Volk von Rom, die gemeinsam die römische Republik bilden, gestatten es nicht, einen vollwertigen Bürger ohne einen Prozeß zu bestrafen«, sagte Caesar in seiner hellen, klaren, tragenden Stimme. »Fünfzehn Männer haben sich soeben für die Todesstrafe ausgesprochen, aber keiner von ihnen hat auch nur ein Wort über einen Prozeß verloren. Es ist deutlich geworden, daß die Mitglieder dieser Körperschaft beschlossen haben, die Republik außer Kraft zu setzen und das Rad der römischen Geschichte zurückzudrehen, um zu einer Entscheidung über das Schicksal von einundzwanzig Bürgern dieser Republik zu kommen, zu denen auch ein Mann gehört, der einmal Konsul und zweimal Prätor war und der auch jetzt wieder ordentlich gewählter Prätor ist. Deshalb will ich die kostbare Zeit dieses Hauses nicht mit Lobreden auf die Republik verschwenden oder auf die Gerichts- und Appellationsverfahren, auf die jeder Bürger dieser Republik einen Anspruch hat, bevor er von seinesgleichen zu irgendeiner Strafe verurteilt werden kann. Statt dessen — und auch deshalb, weil meine Vorfahren, die Julier, bereits während der Regierungszeit des Königs Tullus Hostilius zu den Vätern gehört haben — will ich mich auf einige Bemerkungen zu der Situation beschränken, wie sie sich zur Zeit der Herrschaft der Könige dargestellt hat.«
Die Mitglieder des Hauses hoben aufmerksam die Köpfe. Caesar fuhr fort: »Ob geständig oder nicht, ein Todesurteil ist nicht die römische Art und war es auch nicht unter den Königen, selbst wenn die Könige viele Menschen auf eine Weise in den Tod geschickt haben, die wir auch heute noch kennen — durch öffentliche Gewalttaten. König Julius Hostilius, so kriegerisch er auch war, schreckte vor der Zustimmung zu Todesurteilen zurück. Es warf ein schlechtes Licht auf ihn, und der König hatte das so deutlich erkannt, daß er in eigener Person Horatius den Rat gab, Berufung einzulegen, nachdem ihn die Untersuchungsrichter wegen Mordes an seiner Schwester Horatia verurteilt hatten. Die hundert Väter — die Urväter unseres republikanischen Senats — waren nicht geneigt, Gnade walten zu lassen, aber sie verstanden den königlichen Hinweis und schafften einen Präzedenzfall. Es ist nicht Sache des römischen Senats, Römer zum Tode zu verurteilen. Wenn Römer von Männern mit Regierungsgewalt vom Leben zum Tode gebracht werden — und wer von uns hätte Marius und Sulla vergessen —, dann ist die Regierung am Ende und der Staat entartet.
Versammelte Väter, mir bleibt wenig Zeit, deshalb will ich nur das noch sagen: Laßt uns das Rad nicht zurückdrehen zu den Königen und den Hinrichtungen! Hinrichtungen sind keine angemessene Strafe. Eine Hinrichtung bedeutet Tod, und der Tod ist nur ein ewiger Schlaf. Für jeden Mann ist es ein viel größeres Leid, bis zu seinem Tode im Exil leben zu müssen. Jeden Tag muß er den Gedanken ertragen, zum Verlust seiner Bürgerrechte, zu Armut, Geringschätzung und Vergessenheit verurteilt worden zu sein. Seine öffentlichen Standbilder werden niedergerissen; die Familie darf sein imago bei keinem Begräbnis und auch sonst nirgendwo öffentlich zeigen. Er ist ein Ausgestoßener, entehrt und geschmäht. Seine Söhne und Enkel müssen für immer ihren Kopf unter der Schande beugen, seine Frau und seine Töchter weinen. Und er weiß das alles, denn er ist noch am Leben, er ist noch immer ein Mann, mit allen Gefühlen und Schwächen eines Mannes. Und mit der Kraft eines Mannes, aber in diesem qualvollen Elend nutzt sie ihm nichts mehr. Den Tod als Lebender zu erleiden, ist unendlich viel grausamer als der wirkliche Tod. Ich persönlich habe keine Angst vor dem Tod, solange er plötzlich kommt. Aber ich habe große Angst vor einer politischen Situation, die lebenslanges Exil und den Verlust meiner dignitas bedeuten könnte. Und wenn ich sonst nichts bin — ich bin ein Römer, mit jeder Faser meines Körpers. Venus hat mich geschaffen, Venus, die auch Rom geschaffen hat.«
Silanus blickte verwirrt, Cicero verärgert, alle anderen jedoch hörten nachdenklich zu, selbst Cato.
»Ich verstehe, was unser gelehrter Erster Konsul über das sagt, was er so beharrlich das Senatus Consultum Ultimum nennt — daß unter diesem Dach alle Gesetze und üblichen Verfahrensweisen ihre Gültigkeit verlieren. Ich glaube unserem gelehrten Ersten Konsul, daß sein wichtigstes Anliegen das Wohl Roms ist und daß er eine Gefahr darin sieht, wenn diese selbsterklärten Verräter auf Dauer innerhalb unserer Stadtmauern bleiben. Er will die Angelegenheit so schnell wie möglich erledigen. Nun, das will ich auch! Aber nicht mit einem Todesurteil, das uns in die Zeit der Könige zurückwerfen würde. Mich beunruhigt dabei nicht unser gelehrter Erster Konsul oder irgendeiner der anderen brillanten Männer, die hier unter uns sitzen und bereits Konsuln gewesen sind. Mich beunruhigen nicht die beiden Konsuln des nächsten Jahres oder die Prätoren dieses oder des nächsten Jahres oder alle die Männer, die hier unter uns sitzen und bereits Prätoren gewesen sind oder noch darauf hoffen, einmal Konsul zu werden.«
Caesar machte eine Pause und wirkte äußerst ernst. »Was mir Sorge bereitet, ist irgendein Konsul in der Zukunft, der in zehn oder zwanzig Jahren sein Amt übernehmen wird. Was für einen Präzedenzfall schaffen wir ihm mit den Dingen, die wir hier und heute beschließen? Ja, auf was für einen Präzedenzfall hat unser gelehrter Erster Konsul sich berufen, als er Saturninus erwähnte? An jenem Tag, als römische Bürger widerrechtlich und ohne Prozeß hingerichtet wurden, da haben diese Männer — und wir alle wissen doch, wer sie waren —, da haben diese selbsternannten Henker einen Tempel geschändet, denn nichts anderes ist unsere Curia Hostilia! Damit haben sie Rom selber geschändet. Ihr Götter, was für ein Beispiel! Aber es ist nicht unser gelehrter Erster Konsul, der mich zu diesen Überlegungen zwingt! Ich denke vielmehr an einen weniger skrupulösen, weniger gelehrten Konsul, den es irgendwann in der Zukunft geben könnte.
Wir wollen kühlen Kopf bewahren und uns das Problem unvoreingenommen ansehen. Es gibt andere Strafen als die Todesstrafe. Andere Strafen als das Exil in einer luxuriösen Stadt wie Massilia oder Athen. Wie wäre es mit Corfinium oder Sulmo oder einer anderen befestigten Stadt in den italischen Bergen? Jahrhundertelang haben wir unsere gefangenen Könige und Prinzen dort untergebracht. Warum also sollten wir nicht auch die Feinde Roms dort verwahren? Konfisziert ihren Besitz, damit ihr diese Bergnester für den ihnen zugemuteten Ärger fürstlich entschädigen könnt, und sorgt gleichzeitig dafür, daß sie nicht fliehen können. Sie sollen leiden, jawohl! Aber tötet sie nicht!«
Nachdem Caesar sich gesetzt hatte, sagte niemand ein Wort, nicht einmal Cicero. Schließlich erhob sich der designierte Erste Konsul Silanus. Er wirkte ein wenig verlegen.
»Gaius Julius, ich glaube, du hast mich mißverstanden, als ich von der >äußersten Strafe< gesprochen habe, und alle anderen haben denselben Fehler gemacht. Ich meinte damit nicht den Tod! Die Todesstrafe ist unrömisch. Nein, ich meinte eigentlich genau das, was du auch meinst. Lebenslange Gefangenschaft in einem Haus, in einer uneinnehmbaren italischen Bergstadt, die man dafür mit dem konfiszierten Vermögen des Gefangenen entschädigt.«
Und so ging es weiter; jetzt plädierte einer nach dem anderen für eine sichere Verwahrung, die mit der Beschlagnahmung des Besitzes finanziert werden sollte.
Nachdem alle Prätoren an der Reihe gewesen waren, hob Cicero die Hand. »Es sind zu viele Ex-Prätoren anwesend. Wir können ihnen nicht allen das Wort erteilen. Diejenigen, die nichts Neues zu der Debatte beizutragen haben, mögen mir bitte auf folgende Frage per Handzeichen antworten: Wer ist für die Todesstrafe?«
Keiner, wie sich herausstellte. Cicero wurde rot vor Zorn.
»Und wer ist für eine sichere Verwahrung in einer Stadt in Italien und die Konfiszierung des Besitzes?«
Alle, bis auf einen.
»Tiberius Claudius Nero, was hast du zu sagen?«
»Daß es mich empfindlich gestört hat, daß keiner der Redner das Wort Prozeß in den Mund genommen hat. Jeder Römer, ob er ein geständiger Verräter ist oder nicht, hat das Recht auf einen Prozeß. Diese Männer müssen vor Gericht gestellt werden. Aber ich glaube nicht, daß wir sie vor Gericht stellen sollten, bevor Catilina nicht besiegt ist oder sich ergeben hat. Als erstem muß dem Hauptübeltäter der Prozeß gemacht werden.«
»Catilina«, sagte Cicero leise, »ist kein römischer Bürger mehr. Kein einziges Gesetz der römischen Republik räumt Catilina das Recht auf einen Prozeß ein.«
»Er sollte ihn trotzdem bekommen«, erklärte Claudius Nero unbeirrt und nahm wieder Platz.
Metellus Nepos, der Vorsitzende der neuen Volksversammlung, der in fünf Tagen sein Amt antreten würde, ergriff als erster das Wort. Er war müde und hatte einen Bärenhunger. Die Sitzung währte jetzt acht Stunden, eine gerechtfertigte Dauer, zog man die Bedeutung des Themas und die Zahl der Männer in Betracht, die bereits geredet hatten. Aber er fürchtet den Beitrag von Cato, der nach ihm an der Reihe war — wann wäre Cato einmal nicht langatmig, weitschweifig und absolut langweilig gewesen? Also spulte er seine Rede herunter, unterstützte Caesar und warf Cicero einen finsteren Blick zu, als er sich wieder setzte.
Nicht im Traum wäre es Metellus Nepos in den Sinn gekommen, daß er der alleinige Grund dafür war, daß Cato heute als designierter Volkstribun vor das Haus trat. Als Nepos von einem ruhmreichen Feldzug als einer der wichtigsten Legaten Pompeius’ des Großen aus dem Osten zurückgekehrt war, hatte er es sich erlaubt, mit einem gewissen Aufwand zu reisen. Warum auch nicht? Schließlich war er einer der bedeutendsten Caecilii Metelli, verfügte über ein riesiges Vermögen, das er im Osten noch um einiges vermehrt hatte, und darüber hinaus war der große Pompeius sein Schwager. Und so hatte er sich Zeit gelassen für seine Heimreise auf der Via Appia, die lange vor den Wahlen und der großen Sommerhitze stattfand. Männer, die es eilig hatten, ritten oder ließen sich fahren, aber Nepos war der ewigen Hast überdrüssig gewesen — er hatte sich in einer Sänfte transportieren lassen, die von nicht weniger als zwölf Männern getragen wurde. In dieser prächtigen Equipage lag er auf Kissen, die mit tyrischem Purpur bezogen waren, und in einer Ecke kauerte ein Diener, der ihm Speisen und Getränke servierte und ihm seine Lektüre und — bei Bedarf — den Nachttopf reichte.
Da er den Kopf nicht ein einziges Mal zwischen den Vorhängen der Sänfte hinausstreckte, bekam er die vielen Fußgänger nicht zu sehen, denen sein Konvoi begegnete, und so entgingen seiner Aufmerksamkeit natürlich auch jene sechs außerordentlich bescheiden gekleideten Männer, die zu Fuß in entgegengesetzter Richtung unterwegs waren. Drei von ihnen waren Sklaven. Bei den anderen dreien handelte es sich um Munatius Rufus, Athenodorus Cordylion und Marcus Porcius Cato, die zu Catos Besitz nach Lucania unterwegs waren, um sich dort den Sommer über — frei vom Lärm der Kinder — dem Studium hinzugeben.
Eine ganze Weile war Cato am Wegesrand stehengeblieben, hatte der vorbeiziehenden Karawane zugesehen und die Menschen und die Wagen gezählt. Sklaven, Tänzerinnen, Konkubinen, Wachmänner, Wagen mit Kriegsbeute, Küchenwagen, ganze Bibliotheken und Weinkeller auf Rädern.
»He, Soldat, wer reist denn hier wie der Herrscher Sampsiceramus persönlich?« hatte Cato einem der Wachmänner zugerufen, als die Karawane schon halb an ihnen vorübergezogen war.
»Quintus Caecilius Metellus Nepos, der Schwager von Magnus!« hatte der Soldat gerufen.
»Er hat es anscheinend schrecklich eilig«, hatte Catos sarkastische Antwort gelautet.
Aber der Soldat hatte die Bemerkung ernst genommen. »Ja, er hat es eilig, Wanderer! Er kandidiert für ein Volkstribunat in Rom!«
Cato war noch eine Weile nach Süden weitergewandert, doch bevor die Sonne am westlichen Himmel versunken war, kündigte er seinen Begleitern an, er werde umkehren.
»Was ist los?« fragte Munatius Rufus verwundert.
»Ich muß zurück nach Rom und mich als Volkstribun aufstellen lassen«, sagte Cato entschlossen. »In diesem Kollegium von Tölpeln muß es doch wenigstens einen geben, der dem Kerl das Leben schwermacht — und seinem mächtigen Herrn Pompeius Magnus!«
Cato hatte sich bei den Wahlen wacker geschlagen; er war hinter Metellus Nepos Zweiter geworden. Und deshalb durfte er sich jetzt erheben, nachdem Metellus Nepos Platz genommen hatte.
»Der Tod ist die einzig mögliche Strafe!« rief er.
Der Saal erstarrte, alle Blicke richteten sich verwundert auf Cato. Er nahm es doch so genau mit dem mos maiorum — niemand hatte daran gezweifelt, daß er mit seiner Rede der Richtung folgen würde, die Caesar und Tiberius Claudius Nero eingeschlagen hatten.
»Der Tod ist die einzig mögliche Strafe, sage ich! Was soll dieser ganze Unfug über Gesetze und die Republik? Wann hätte die Republik jemals geständigen Verrätern Zuflucht unter ihrem Rock gewährt? Kein einziges Gesetz ist zum Schutz geständiger Verräter gemacht worden! Gesetze sind für geringere Kreaturen gemacht worden. Gesetze sind für Männer gemacht worden, die sie übertreten haben, aber nicht für die, die etwas getan haben, um ihrem Land zu schaden, dem Land, das sie großgezogen und zu dem gemacht hat, was sie sind.
Seht euch Decimus Junius Silanus an, diesen schwächlichen und wankelmütigen Narren! Solange er glaubt, daß Marcus Tullius das Todesurteil will, plädiert er für die >äußerste Strafe<! Und dann redet Caesar, und Silanus ändert seine Meinung — auf einmal redet er Caesar nach dem Maul! Wie könnte er auch seinem geliebten Caesar widersprechen? Und Caesar, dieser degenerierte, weibische Geck, der sich damit brüstet, von den Göttern abzustammen, und der nichts Besseres zu tun hat, als uns irdische Männer mit Dreck zu bewerfen? Caesar, versammelte Väter, ist der eigentliche Drahtzieher der ganzen Angelegenheit! Catilina? Lentulus Sura? Marcus Crassus? Nein, nein, nein! Caesar! Es ist Caesars Verschwörung! War es nicht Caesar, der versucht hat, seinen Onkel Lucius Cotta und dessen Kollegen Lucius Torquatus vor drei Jahren an ihrem ersten Tag als Konsuln ermorden zu lassen? Ja, Caesar hat Publius Sulla und Autronius seinem eigenen Onkel vorgezogen! Caesar, Caesar, immer wieder Caesar! Seht ihn euch an, Senatoren! Ein besserer Mann als wir alle zusammen! Er, der Abkömmling der Götter, der zum Regieren geboren ist, der alle Fäden in der Hand haben will, schickt lieber andere ins Feuer und verkriecht sich selber im Schatten. Caesar! Ich spucke auf dich, Caesar! Ich spucke auf dich!«
Und das versuchte er tatsächlich. Die meisten Senatoren saßen mit aufgeklappten Mündern da, so groß war ihre Verblüffung über diese unerwartete Haßtirade. Es war kein Geheimnis, daß Caesar und Cato sich nicht mochten; so mancher wußte inzwischen von den Hörnern, die Caesar Cato aufgesetzt hatte. Aber dieser wutschäumende Sturzbach von aus der Luft gegriffenen Beleidigungen? Diese unverhohlene Unterstellung des Verrats? Was, in aller Welt, mochte in Cato gefahren sein?
»Wir haben fünf schuldige Männer in unserem Gewahrsam, die ihre Verbrechen und die Verbrechen sechzehn anderer Männer, die noch nicht in Haft sind, gestanden haben. Wo ist die Notwendigkeit für einen Prozeß? Ein Prozeß wäre Verschwendung von Zeit und staatlichen Geldern. Und, versammelte Väter, wo ein Prozeß ist, besteht die Gefahr der Bestechung. Andere Gerichte haben in anderen Fällen die Angeklagten trotz offensichtlicher Schuld freigesprochen. In anderen Fällen haben die Geschworenen ihre gierigen Hände ausgestreckt, um sich von Männern wie Marcus Crassus, Caesars Freund und Geldgeber, fette Schmiergelder zustecken zu lassen. Meint ihr denn wirklich, Catilina wird Rom regieren? Nein! Caesar will um jeden Preis Rom regieren, Catilina wird sein magister equitum, und Crassus bekommt freie Hand, um im Schatzamt nach seinem Belieben zu walten!«
»Ich hoffe, du kannst das alles beweisen«, sagte Caesar milde lächelnd; er wußte nur zu gut, daß man Cato mit Gelassenheit bis aufs Blut reizen konnte.
»Ich werde Beweise bekommen, keine Angst!« rief Cato. »Wo Unrecht geschieht, finden sich immer Beweise! Denk nur an die Beweise, die fünf Männer als Verräter überführt haben. Sie wurden mit ihnen konfrontiert, und dann haben sie gestanden. Alle. Und ich werde auch Beweise für Caesars Beteiligung an dieser Verschwörung finden. Und an der Verschwörung von vor drei Jahren. Kein Prozeß für die fünf Schuldigen, sage ich! Für keinen von ihnen! Sie dürfen dem Tod nicht entgehen. Caesar begründet seine Nachsicht mit philosophischen Argumenten. Tod, so behauptet er, sei nur ein ewiger Schlaf. Aber wissen wir das so genau? Nein, wir wissen es nicht! Noch nie ist jemand aus dem Tode zurückgekehrt, um uns zu berichten, was dort drüben mit uns passiert! Die Todesstrafe kommt uns weniger teuer zu stehen. Der Tod ist endgültiger. Schickt die fünf Männer noch heute in den Tod!«
Caesar ergriff erneut das Wort, immer noch sehr ruhig. »Wenn der Verrat kein Hochverrat ist, Cato, dann ist die Todesstrafe keine legale Strafe. Und wenn du diese Männer nicht vor Gericht stellst, wie willst du dann entscheiden, ob sie sich der maiestas oder des perduellio schuldig gemacht haben? Du scheinst für den Hochverrat zu plädieren, aber ist er das wirklich?«
»Dies ist weder der Zeitpunkt noch der Ort für juristische Spitzfindigkeiten, selbst wenn hinter deinem Plädoyer für Milde nichts anderes stecken sollte, Caesar!« plärrte Cato. »Sie müssen sterben, und zwar noch heute!«
Und er redete weiter und schien die Zeit völlig vergessen zu haben. Cato war in Fahrt gekommen, er würde mit seinen Tiraden fortfahren, bis er seine Zuhörer allein durch deren Eintönigkeit zermürbt hätte; er würde kein Ende finden, bis die Sonne untergegangen wäre, und heute würde es zu keiner Abstimmung mehr kommen.
Etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang schlich sich ein Amtsdiener herein und steckte Caesar unauffällig einen zusammengefalteten Brief zu.
Cato triumphierte. »Ha, jetzt ist der Verräter entlarvt!« dröhnte er. »Unter unser aller Augen läßt er sich verräterische Zettel zustecken — so weit hat seine Arroganz, seine Verachtung für dieses Haus ihn schon gebracht! Du bist der Verräter, Caesar! Dieser Brief ist der Beweis!«
Während Cato wetterte, las Caesar den Brief. Als er den Blick wieder hob, lag ein sonderbarer Ausdruck auf seinem Gesicht. Leise Angst? Oder Belustigung?
»Lies ihn vor, Caesar, lies ihn uns vor!« schrie Cato.
Caesar schüttelte nur den Kopf. Er faltete den Brief zusammen, erhob sich, ging hinüber zu Catos Platz in der mittleren Bank und überreichte ihm lächelnd den Brief. »Ich könnte mir vorstellen, daß du den Inhalt lieber für dich behalten möchtest«, sagte er.
Cato konnte nicht gut lesen. Er brauchte lange, bis er die endlosen, zu einer einzigen Kolonne aufgereihten Schnörkel entziffert hatte. Und während er murmelte und rätselte, waren die Senatoren beinahe dankbar für die eingetretene Stille und warteten mit Schrecken darauf, daß Cato seine Rede fortsetzen (und dieser Brief sich womöglich als wirklich verräterisch erweisen) würde.
Ein kreischender Laut entfuhr Catos Kehle; alle erschraken. Dann knüllte er das Blatt Papier zusammen und schleuderte es auf Caesar.
»Behalte es, du widerlicher Lüstling!«
Aber Caesar bekam den Brief nicht. Er landete weit vor seinem Platz; Philippus schnappte ihn sich — und öffnete ihn unverzüglich. Er war besser im Lesen als Cato, schon nach wenigen Sekunden brach er in schallendes Gelächter aus, und als er mit der Lektüre fertig war. schickte er den Brief durch die Reihen der designierten Prätoren zu Silanus auf dem kurulischen Podium.
Cato hatte sein Publikum verloren; entweder waren die Männer mit Lesen und Lachen beschäftigt, oder sie platzten vor Neugier. »Es ist typisch für diese Versammlung, daß etwas so Schändliches und Unappetitliches mehr Aufmerksamkeit findet als das Schicksal der Verräter!« schrie er. »Erster Konsul, ich beantrage, daß dieses Haus dir kraft des Senatus Consultum Ultimum den Auftrag gibt, die fünf Männer, die sich in unserem Gewahrsam befinden, unverzüglich hinrichten zu lassen und gegen vier weitere Männer — Lucius Cassius Longinus, Quintus Annius Chilo, Publius Umbrenus und Publius Furius — das Todesurteil auszusprechen, das auf der Stelle zu vollziehen ist, sobald einer der Männer oder alle vier festgenommen sind.«
Natürlich war Cicero genauso neugierig auf den Brief wie alle anderen Anwesenden, aber er sah plötzlich seine Chance und ergriff sie.
»Ich danke dir, Marcus Porcius Caio. Ich lasse jetzt über deinen Antrag abstimmen, dem zufolge die fünf Männer in unserem Gewahrsam sowie auch die vier genannten Männer auf der Stelle hinzurichten sind, sobald man sie gefaßt hat. Alle, die für die Todesstrafe stimmen, mögen sich rechts von mir aufstellen. Jeder, der dagegen ist, gehe nach links hinüber.«
Kurz bevor Cicero seinen Antrag stellte, bekam der designierte Erste Konsul, Decimus Junius Silanus, Servilias Ehemann, den Brief in die Hand. Der Inhalt lautete:
Brutus ist gerade hereingestürzt gekommen und hat mir berichtet, daß mein niederträchtiger Halbbruder Cato Dich vor versammeltem Haus des Verrats bezichtigt hat, ohne den geringsten Beweis dafür zu haben! Mein teurer Geliebter, mach Dir nichts daraus. Das ist die reine Bosheit, weil Du ihm Atilia weggenommen und ihm Hörner aufgesetzt hast — außerdem weiß ich, daß sie zu ihm gesagt hat, er sei ein Schlappschwanz im Vergleich mit Dir. Und dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Ganz Rom ist voller Schlappschwänze, verglichen mit Dir.
Denk daran, Cato ist nicht mehr als der Schmutz unter den Füßen eines Patriziers, der Abkömmling einer Sklavin und eines starrköpfigen alten Bauern, der den Patriziern so lange in den Hintern kroch, bis er Zensor war — und der dann so viele Patrizier ruiniert hat, wie er nur konnte. Liebend gern würde Cato es ihm gleichtun. Er haßt alle Patrizier, aber Dich ganz besonders. Und wenn er wüßte, was zwischen uns ist, Caesar, dann würde er Dich noch mehr hassen.
Laß den Mut nicht sinken, kümmere Dich nicht um diesen bösartigen Schwächling und seine Speichellecker. Rom ist mit einem Caesar besser bedient als mit hundert Catos und Bibuli. Man muß nur ihre Frauen fragen!
Silanus blickte Caesar mit eisiger Würde an; andere Gefühle waren ihm nicht anzumerken. Caesar machte ein trauriges, aber kein reumütiges Gesicht. Langsam erhob sich Silanus und stellte sich rechts von Cicero auf; er stimmte nicht für Caesar.
Überhaupt stimmten nicht viele für Caesar, auch wenn nicht alle nach rechts gegangen waren. Metellus Celer, Metellus Nepos, Lucius Caesar, ein paar Volkstribunen, unter ihnen Labienus, Philippus, Gaius Octavius, beide Luculli, Tiberius Claudius Nero, Lucius Cotta und Torquatus, hatten sich links von Cicero aufgestellt, zusammen mit ungefähr dreißig pedarii von der hintersten Bank. Und Mamercus Princeps Senatus.
»Ich stelle fest, daß Publius Cethegus zu denen gehört, die für die Hinrichtung seines Bruders gestimmt haben«, sagte Cicero, »und daß Gaius Cassius für die Hinrichtung seines Vetters stimmt. Der Beschluß ist nahezu einstimmig.«
»So ein Lump! Immer muß er übertreiben!« brummte Labienus.
»Warum nicht?« Caesar zuckte mit den Achseln. »Das Gedächtnis ist kurz, und mündliche Darstellungen neigen dazu, solche Aussagen weiterzugeben. Gaius Cosconius und seine Schreiberlinge haben sicher keine Lust, alle Namen aufzuschreiben.«
»Wo ist der Brief?« fragte Labienus, der es kaum erwarten konnte, ihn zu lesen.
»Cicero hat ihn gerade.«
»Nicht mehr lange!« sagte Labienus streitlustig, ging hinüber zum Ersten Konsul und riß ihm den Brief aus der Hand. »Hier, der gehört dir!« sagte er und hielt ihn Caesar hin.
»Oh, lies ihn nur, Labienus!« erwiderte Caesar lachend. »Warum solltest du nicht wissen, was alle anderen auch wissen, selbst der Ehemann der Dame?«
Die Männer kehrten an ihre Plätze zurück, nur Caesar blieb stehen, bis Cicero ihm das Wort erteilte.
»Versammelte Väter, ihr habt entschieden, daß neun Männer sterben müssen«, stellte Caesar leidenschaftslos fest. »Das ist, wenn ich der Rede glauben darf, die unser Freund Cato hier vorgetragen hat, bei weitem die schlimmste Strafe, die der Staat verhängen kann. Wenn das so ist, dann sollte es damit auch sein Bewenden haben. Ich stelle hiermit den Antrag, daß keine weiteren Schritte unternommen werden. Es soll kein Eigentum konfisziert werden. Die Frauen und Kinder der Verurteilten werden ihre Gesichter nie wieder zu sehen bekommen. Das ist eine ausreichende Strafe dafür, daß sie mit der Erinnerung an einen Verräter leben müssen. Man sollte ihnen wenigstens die nötigen Mittel zum Leben lassen.«
»Ha, wir alle wissen, warum du für Milde plädierst!« höhnte Cato. »Du hast keine Lust, ein Gesindel wie die drei Antonii und ihre Schlampe von Mutter unterstützen zu müssen!«
Lucius Csesar, der Bruder der »Schlampe« und Onkel des »Gesindels«, stürzte sich von einer Seite auf Cato, Mamercus Princeps Senatus von der anderen. Daraufhin kamen Bihulus, Catulus, Gaius Piso und Ahenobarbus dem designierten Volkstribunen mit schwingenden Fäusten zu Hilfe. Auch Metellus Celer und Metellus Nepos stürzten sich in das Gewirr, während Caesar das alles lächelnd betrachtete.
»Ich denke«, sagte er zu Labienus, »ich sollte mich um tribunischen Schutz bemühen.«
»Dir als Patrizier steht von tribunischer Seite kein Schutz zu, Caesar«, erklärte ihm Labienus feierlich.
Da er dem Kampfgetümmel kein Ende machen konnte, beschloß Cicero, die Versammlung einfach aufzulösen; er packte Caesar beim Arm und zog ihn aus dem Concordiaternpel.
»Beim Jupiter, Caesar, geh nach Hause!« flehte er ihn an. »Mit dir hat man nur Ärger!«
»Ich weiß nicht, auf wen das von uns beiden mehr zutrifft«, erwiderte Caesar, warf ihm einen verächtlichen Blick zu und machte Anstalten, wieder in den Tempel zurückzukehren.
»Geh nach Hause, ich bitte dich!«
»Nur, wenn du mir dein Wort gibst, daß kein Eigentum konfisziert wird.«
»Ich gebe dir mein Wort! Und jetzt geh!«
»Ich gehe. Aber du kannst dich darauf verlassen, daß ich dich beim Wort nehme.«
Er hatte gewonnen, aber Caesars Rede hallte Cicero noch immer unerbittlich in den Ohren, als er mit seinen Liktoren und einer Eskorte aus Milizionären zum Haus von Lucius Caesar ging, wo Lentulus Sura noch immer untergebracht war. Er hatte vier seiner Prätoren geschickt, um Gaius Cethegus, Statilius, Gabinius Capito und Caeparius abzuholen, aber um Lentulus Sura mußte er sich persönlich kümmern; der Mann war immerhin einmal Konsul gewesen.
War der Preis zu hoch? Nein! In dem Augenblick, in dem die Verräter ihr Leben aushauchten, würde Rom auf magische Weise zur Ruhe kommen; jeder Gedanke an einen Aufstand würde aus den Köpfen der Männer verschwinden. Es gab nichts Abschr\1ckenderes als eine Hinrichtung. Wenn in Rom mehr Todesurteile gefällt würden, gäbe es weniger Verbrechen. Und was den Prozeß betraf, so hatte Cato in beiden Punkten recht gehabt — sie hatten sich selbst schuldig bekannt, also wäre ein Prozeß eine Verschwendung staatlicher Gelder. Und das Problem bei einem solchen Gerichtsverfahren war es, daß man es massiv beeinflussen konnte; es mußte nur jemand das Geld aufbringen, um die Geschworenen zu bestechen. Tarquinius hatte Crassus beschuldigt, und auch wenn der Verstand Cicero sagte, daß Crassus, der ihm schließlich den ersten konkreten Beweis geliefert hatte, mit der Sache nichts zu tun haben konnte — der Zweifel war gesät. Wenn Crassus nun doch beteiligt gewesen war und es sich später anders überlegt und die Geschichte mit den Briefen geschickt arrangiert hatte?
Tarquinius und Gaius Piso — und auch Cato — hatten Caesar beschuldigt. Keiner von ihnen hatte auch nur den geringsten Beweis vorgelegt, und alle drei waren sie erbitterte Feinde Caesars. Aber der Zweifel war gesät. Was mochte es mit Catos Andeutung auf sich haben, Caesar habe vor beinahe drei Jahren an einem Mordkomplott gegen Lucius Cotta und Torquatus mitgeschmiedet? Die wildesten Gerüchte über ein solches Komplott waren durch Rom geschwirrt, aber als Schuldigen hatte man damals Catilina ausgemacht. Und dann hatten Lucius Cotta und Torquatus öffentlich demonstriert, daß sie den Gerüchten keinen Glauben schenkten, indem sie Catilina bei dessen Erpressungsprozeß verteidigten. Caesars Name war nicht einmal erwähnt worden. Und Lucius Cotta war Caesars Onkel. Andererseits... auch andere römische Patrizier waren an Mordkomplotten gegen nahe Verwandte beteiligt gewesen, nicht zuletzt Catilina, der seinen eigenen Sohn ermordet hatte. Patrizier waren seltsame Leute. Patrizier gehorchten nur ihren eigenen Gesetzen. Man mußte nur an Sulla, Roms ersten richtigen Diktator, denken; auch er ein Patrizier. Eben besser als die anderen. Ganz sicher besser als er, Cicero, der Pächter aus Arpinum, ein Fremder mit Wohnrecht, ein wenig geschätzter neuer Mann.
Cicero beschloß, Crassus im Auge zu behalten. Aber noch genauer mußte er Caesar auf die Finger sehen. Man mußte sich ja nur Caesars Schulden ansehen — wer hätte mehr von einem allgemeinen Schuldenerlaß profitiert als Caesar? Wie sollte dieser Mann seinen endgültigen Ruin denn noch abwenden? Dazu mußte er riesige, von Rom bislang unberührte Gebiete erobern, und das erschien Cicero unmöglich. Caesar war kein Pompeius; er hatte noch nie eine ganze Armee kommandiert. Und mit einem Sonderkommando würde Rom ihn ganz bestimmt nicht betrauen! Ja, je mehr Cicero über Caesar nachdachte, desto mehr war er davon überzeugt, daß Caesar sich an der catilinarischen Verschwörung beteiligt hatte, und wenn auch nur aus dem einzigen Grund, daß Catilinas Sieg ihn von der erdrückenden Last seiner Schulden befreit hätte.
Später, als er mit Lentulus Sura (den er wieder wie einen Schuljungen an der Hand führte) zurück zum Forum ging, begegnete ihm ein anderer Caesar, einer, der weder so begabt noch so gefährlich wie Gaius Julius und trotzdem ein hervorragender Politiker war: Lucius Caesar, Konsul des Vorjahres und Augur, ein Mann, der die besten Aussichten hatte, im Lauf der kommenden Jahre zum Zensor gewählt zu werden. Er und Gaius Julius waren Vettern, und sie mochten einander.
Lucius Caesar war stehengeblieben: ungläubiges Staunen stand ihm im Gesicht, als er Cicero erkannt hatte, der Lentulus Sura an der Hand hielt.
»Jetzt gleich?« fragte er Cicero.
»Jetzt gleich«, antwortete Cicero mit fester Stimme.
»Ohne Vorbereitung? Ohne Mitleid? Ohne ein Bad oder frische Kleider? Ohne seelischen Beistand? Seit wann sind wir zu Barbaren degeneriert?«
»Es muß jetzt gleich sein.« Cicero fühlte sich jämmerlich. »Bevor die Sonne untergeht. Versuch nicht, mich zu hindern.«
Lucius Caesar gab ostentativ den Weg frei. »Oh, die Götter mögen mich davor bewahren, der römischen Justiz im Wege zu sein!« höhnte er. »Hast du es meiner Schwester bereits mitgeteilt, daß ihr Mann sterben muß, ohne gebadet zu haben, und in verschmutzten Kleidern?«
»Ich habe nicht die Zeit dazu!« rief Cicero, um etwas zu erwidern. Ach, war das alles entsetzlich! Er tat doch bloß seine Pflicht! Aber das konnte er wohl schlecht zu Lucius Caesar sagen? Oder doch? Was sollte er zu ihm sagen?
»Dann werde ich jetzt zu ihr gehen und es ihr mitteilen, solange ich es noch in Lentulus Suras Namen tun kann!« sagte Lucius Caesar. »Zweifellos wirst du morgen den Senat zusammenrufen, um ihr alles wegnehmen zu lassen.«
»Nein, nein!« rief Cicero und mußte fast weinen. »Ich habe deinem Vetter Gaius Julius mein feierliches Ehrenwort gegeben, daß kein Eigentum konfisziert wird.«
»Was hast du für ein großes Herz«, sagte Lucius Caesar. Er sah seinen Schwager Lentulus Sura an und öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen. Doch dann schüttelte er nur den Kopf und wandte sich ab. Es gab keinen Trost, und er glaubte auch nicht, daß er Lentulus Sura damit erreicht hätte. Die Angst hatte ihm den Verstand geraubt.
Noch ganz zittrig von dieser Begegnung schritt Cicero die vestalischen Treppen hinunter zum unteren Forum, das mit Menschen überfüllt war — und nicht nur mit den berufsmäßigen Forumsgängern. Während seine Liktoren ihm einen Weg durch die Menge bahnten, meinte Cicero, ein paar bekannte Gesichter zu erblicken. War das nicht der junge Decimus Brutus Albinus? Nein, das konnte doch nicht Publius Clodius sein! Und Gellius Poplicolas verstoßener Sohn? Doch aus welchem Grund sollte sich jemand von denen unter diese gewöhnlichen Menschen mischen?
Es lag etwas in der Luft, das dem ohnehin verschreckten Cicero noch mehr angst machte. Die Leute murrten, sie blickten ihn aus finsteren Gesichtern an und ließen sich nur mit Mühe zur Seite drängen, um für Roms Ersten Konsul und den armen Sünder an seiner Hand den Weg frei zu machen. Kaltes Entsetzen packte Cicero, am liebsten wäre er umgekehrt und davongelaufen. Aber das konnte er nicht. Das hier war sein Werk. Und er mußte es jetzt zu Ende bringen. Er war der Retter des Vaterlandes; er allein hatte Rom vor dieser Bande von aufrührerischen Patriziern bewahrt.
Auf der anderen Seite der Gemonianischen Treppe, die auf die Arx des Capitols hinaufführte, lag Roms heruntergekommenes, baufälliges (und einziges) Gefängnis, die Lautumiae; das erste und älteste Gebäude war das Tullianum, ein winziger, dreieckiger Bau, ein Relikt aus der Zeit der Könige. In der Wand zum Clivus Argentarius und der Basilica Porcia befand sich die einzige Tür — ein gewaltiges Ungetüm aus massivem Holz — die stets geschlossen und verriegelt war.
Aber an diesem Abend stand die Tür weit offen, und auf ihrer Schwelle warteten sechs halbnackte Männer — die staatlichen Henker Roms. Natürlich waren sie Sklaven, und sie lebten zusammen mit Roms anderen staatlichen Sklaven in Kasernen außerhalb des pomerium. Die sechs Männer unterschieden sich von den anderen Bewohnern der Kasernen allein durch die Tatsache, daß sie das pomerium nur dann überschritten, wenn sie in der Stadt ihrer Pflicht nachkommen mußten. Normalerweise mußten sie nur Ausländern ihre großen, kräftigen Hände um den Hals legen, um ihnen das Genick zu brechen, und das geschah höchstens ein- oder zweimal im Jahr während eines Triumphzuges. Es war viel Zeit vergangen, seit sie zum letztenmal ein römisches Genick gebrochen hatten. Sulla hatte viele Römer töten lassen, aber keinen einzigen offiziell im Tullianum. Marius hatte viele Römer umbringen lassen, doch ebenfalls keinen einzigen von ihnen in diesem Kerker.
Zum Glück erlaubte es die Konstruktion der Hinrichtungskammer den vordersten Reihen der Zuschauer nicht, einen ungehinderten Blick auf die Ereignisse zu werfen, und als Cicero die fünf Unglücklichen versammelt hatte, hatte sich eine solide Mauer aus den Leibern der Liktoren und Milizionäre zwischen ihnen und der gaffenden Menge aufgebaut, so daß es fast nichts mehr zu sehen gab.
Als Cicero die wenigen Stufen zur Tür hinaufstieg, schlug ihm ein unerträglicher Gestank entgegen; es war ein betäubender Geruch nach Verwesung, scharf und ekelerregend. Niemand machte sich jemals die Mühe, die Hinrichtungskammer zu reinigen. Der Delinquent ging hinein, näherte sich der Grube in der Mitte des Raumes und stieg hinab. In ein paar Meter Tiefe warteten die Henker, um ihm das Genick zu brechen. Die Leiche blieb einfach liegen und verrottete. Wenn die Kammer das nächstemal gebraucht wurde, schaufelten die Henker die verwesenden Überreste in eine offene Zuleitung, die in die Kanalisation mündete.
Mit aschfahlem Gesicht und Übelkeit im Magen stand Cicero dabei, als die fünf Männer der Reihe nach hineingeführt wurden, Lentulus Sura als erster, Caeparius als letzter. Keiner von ihnen hatte einen Blick für ihn, und er war froh darüber. Das Entsetzen lähmte sie.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis einer der Henker aus der Tür trat und ihm zunickte. Jetzt darf ich gehen, dachte Cicero und folgte den Liktoren und den Milizionären hinüber zur Rostra.
Von dort oben blickte er hinunter auf die Menschenmenge, die sich bis zu den Grenzen seiner Sichtweite angesammelt hatte, und befeuchtete sich die Lippen. Er befand sich innerhalb des pomerium, der geheiligten Grenze Roms, deshalb durfte er das Wort »tot« in einer öffentlichen Bekanntmachung nicht verwenden.
Aber was konnte er statt dessen sagen? Nach kurzer Überlegung warf er beide Hände in die Höhe und rief: »Vixunt! Sie haben gelebt!«
Kein Jubel. Keine Buhrufe. Cicero stieg von der Rostra und machte sich auf den Weg zum Palatin, während die Menge sich in Richtung Esquilinus, Subura und Viminalis zerstreute. Vor dem kleinen, runden Vesta-Tempel begegnete ihm eine größere Gruppe von Rittern der Achtzehn, angeführt von Atticus. Die Männer hatten ihre Fackeln bereits entzündet, denn die Dunkelheit brach herein, und sie feierten ihn als den Retter des Vaterlandes, als pater patriae, als einen mythischen Helden. Welch ein Balsam für seine Seele! Die Verschwörung des Lucius Sergius Catilina war zerschlagen; er allein hatte sie aufgedeckt und im Keim erstickt.