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Ein Brummen schwebte in der Luft, gar nicht einmal sehr leise. Jetzt, wo sie darauf aufmerksam geworden war, empfand sie es sogar als ausgesprochen … präsent. Ein durchdringender tiefer Ton, eine Art Schaben oder Krächzen. Es fiel ihr schwer, dieses Geräusch mit dem Feuer in Verbindung zu bringen. Das Feuer prasselte, es zischte und pfiff, und die Balken krachten – allesamt kurze Geräusche, die sofort wieder verstummten. Dieser tiefe Ton kam in einem festen Rhythmus und schwoll dabei auf und ab, als spiele jemand mit einem Synthesizer.

War mit ihren Ohren etwas nicht in Ordnung? Sie sperrte den Mund auf, bis es in ihren Ohren knackte, aber der Ton ging davon nicht weg.

Sie beschloss, ihn zu ignorieren. Wenn sie daran dachte, würde sie später einen der Feuerwehrleute darauf ansprechen.

Sie erreichte den alten Traktor und erkannte, dass er vollkommen verrostet war. Der lederne Sitz war in Fetzen, die Reifen platt. Der Schlepper strahlte eine immense Wärme aus, wie ein loderndes Lagerfeuer, was ihr seltsam vorkam, aber bestimmt hatte sich der schwere Stahl mit der Hitze des Feuers aufgeladen und gab diese nun wieder ab. Es kam ihr vor, als wäre dieses Ding heißer als der glimmende Stall daneben. Sicher gab es auch dafür irgendeinen Grund. Und mit dem ließ sich dann bestimmt auch erklären, warum das Gras im Umkreis von fünf Yards um die Maschine restlos niedergebrannt war.

Ihre Brüste schmerzten, die linke stärker als die rechte, die Brustwarzen zogen sich beinahe krampfhaft zusammen, und sie spürte, wie einige Tropfen Milch in die Stilleinlagen sickerten. Irgendetwas an dieser Situation – oder an ihrer psychischen Verfassung – schien die Arbeit der Milchdrüsen zu verstärken. Eine Sache, über die sie die Feuerwehrleute wohl nicht befragen konnte …

Das Flattern in der Nähe des Traktors, das sie aus der Ferne gesehen hatte, führte sie auf Reflexionen auf dem Metall zurück. Ein Huhn war hier nirgends auszumachen.

Umso besser! Zu nichts hatte sie weniger Lust als dazu, einem verwundeten Tier den Gnadenschuss zu geben. In ihrer Jugend wäre sie dazu fähig gewesen. Seit sie Mutter war, begann sie manchmal schon zu grübeln, wenn sie nur ein Ei aufschlug.

Lyanne machte einen weiten Bogen um das rostige Fahrzeug, das seit Jahren keinen Anhänger mehr gezogen hatte, und näherte sich dem Stall. Der bitter-süße Geruch war kaum mehr zu ertragen. Rauch wehte in ihre Richtung. Sie drehte sich um, hielt die Luft an und wartete einige Sekunden, ehe sie wieder zu atmen begann.

Auf der Rückseite des Stalls wurde das Dach noch von einigen trotzigen Eisenträgern gestützt. Diese Wand war von allem, was sie bisher gesehen hatte, am besten erhalten. Zwar wies sie zahlreiche Löcher in unterschiedlichen Größen auf, unregelmäßig geformt, mit verkohlten Rändern und mit schwarzen Flammenspuren darüber, aber die Struktur an sich hielt hier dem Gewicht des Daches noch stand.

Vielleicht konnte man einen Blick ins Innere riskieren. Mal sehen, wie weit man sich der Wand nähern konnte, ohne gegrillt zu werden …

Lyanne stöhnte, als sie auf etwas Weiches trat. Vor ihr im verdorrten Gras lag ein Huhn, und sie war ihm auf den Flügel getreten. Es bot keinen aparten Anblick mit den zu Stummeln verbrannten Federn, dem schwarz verkohlten Kamm und den leeren Augen. Wenigstens war es tot.

Weit im Osten setzte sich endlich die Andeutung der Dämmerung durch, und die Polizistin erkannte, dass das Huhn, auf das sie getreten war, bei weitem nicht das einzige war, das der Flammenhölle entkommen war, um dann hier draußen an seinen Verletzungen zu verenden. Zwei, drei Dutzend der kleinen Tierkadaver lagen in Sichtweite, einige davon einzeln, andere in Grüppchen, als hätten sie im Tod die Nähe ihrer Artgenossen gesucht.

Lyanne spürte keinerlei Übelkeit beim Anblick des toten Geflügels, doch die schaurig-schöne Szenerie verwandelte sich dadurch in ein Bild des Grauens. Einige der Tiere zuckten noch. Sie bemühte sich, es zu ignorieren. Zuckten Tiere nicht manchmal, wenn sie längst tot waren?

Ich muss nach den Menschen sehen, drängte es in ihr. Es ist falsch, bei der Inspektion mit dem Stall zu beginnen. Durch und durch falsch. Hat Marc auch die Ambulanz gerufen? Nein, in solchen Fällen schicken sie automatisch einen Notarzt los.

Ihr Vorhaben, ins Innere des Stalls zu spähen, gab sie auf. Weil es zu viel Zeit kostete. Weil die Hitze eine Annäherung auf mehr als sieben, acht Yards unmöglich machte. Und weil man in der Finsternis da drinnen ohnehin nichts Vernünftiges erkennen würde. Sagte sie sich.

In Wirklichkeit wollte sie die Stapel aus Hühnerkadavern gar nicht sehen. Der Anblick würde sie schlagartig zur Vegetarierin machen, das wusste sie. Und sie liebte ihre Chicken Nuggets viel zu sehr, um sich das zu wünschen.

Während sie parallel zu der langen Rückwand weiterging, bemüht, kein zweites Mal auf ein totes Huhn zu treten, drang der dunkle Ton wieder in ihr Bewusstsein. Auch wo sie jetzt stand, hinter dem Stall, mit den Rücken zu den offenen Wiesen, war er nicht schwächer geworden. Sie schüttelte den Kopf, rieb sich die Ohren, aber sie konnte ihn nicht loswerden.

Als sie an der Ecke des Stalls angelangt war, geschah es.

Eines der toten Hühner, das eben noch reglos auf der warmen Erde gelegen hatte, streckte den Hals, richtete sich ruckartig auf, kam auf die Beine und begann loszurennen. Beinahe in ihre Richtung jagte es. Einige Yards neben ihr hoppelte es mit unnatürlichen, aber erstaunlich behänden Bewegungen vorüber.

Lyanne hielt den Atem an. Hätte dieses Huhn nur versengte Flügel und ein paar Brandblasen gehabt, wäre sein plötzliches Erwachen unerwartet, aber nachvollziehbar gewesen. Es hätte sich vielleicht nur einen Moment ausgeruht, Kraft geschöpft, um dann mit aller Kraft loszurennen, in die Kühle der Nacht hinein, wo die Wunden weniger schmerzten.

Aber dieses Huhn war nicht vollständig.

Alles, was oberhalb des Unterkiefers sein sollte, fehlte ihm: Kopf, Gehirn, Augen, Kamm. Sein Hals ragte sinnlos in die Höhe, der untere Teil des Schnabels, der nichts mehr picken konnte, stach nach vorn, schwarz vom verbrannten Blut. Stumm hetzte es über die Wiese, kerzengerade, zielstrebig beinahe.

Lyannes Selbstbeherrschung bröckelte.

Sie sah dem Huhn nach und sagte sich, dass sie sich getäuscht hatte. Die Lichtverhältnisse. Die psychische Belastung. Ganz alleine in dieser Kulisse, da mussten die Sinne einem ja Streiche spielen.

Und außerdem: Man hatte ja schon Geschichten gehört. Von Hühnern, die noch ein Stück rannten, nachdem man ihnen den Kopf abgeschlagen hatte.

Was du da gerade gesehen hast, Mädchen, ist ein bisschen makaber, darauf können wir uns einigen, aber es ist nichts Ungewöhnliches. Auf keinen Fall stellt es einen Grund dar, die Nerven zu verlieren. Du machst deine Sache bis jetzt gut. In ein paar Minuten sind die Firefighters hier. Du müsstest ihr Horn schon fast hören. Es ist alles in bester Ordnung.

Vielleicht war bis zu diesem Augenblick tatsächlich alles okay gewesen, inklusive des kopflosen, rennenden Huhns.

Aber im nächsten Moment war nichts mehr in Ordnung.

Durch eine schmale Öffnung an der Seite des Stalls drückten sich Hühner. Verbrannte Hühner. Wenn sie erst einmal draußen war, begannen sie zu rennen, und weitere rückten nach.

Es war ausgeschlossen, dass in dieser Gluthölle unter dem Dach, aus der Funken stieben und vereinzelt Flammen loderten, noch Tiere überlebt hatten. Völlig unmöglich. Trotzdem drängten sie sich vor ihren Augen ins Freie. Manche von ihnen hatten keinen Kopf mehr, andere hüpften auf einem Bein. Einigen fehlte mehr als ihnen geblieben war. Sie waren schwarze, rußige Konstruktionen aus Knochen, Sehnen und ein wenig Fleisch.

Lyanne wich zwei Schritte zurück und blickte zur Rückwand hinüber. Eben noch, als sie daran vorbeigegangen war, waren die Löcher mit den verkohlten Rändern leere Fenster in eine tote, glosende Finsternis gewesen. Nun entströmte ihnen schwarzes Geflügel, Wesen, die jeder Beschreibung spotteten. Nicht wenige von ihnen begannen auf der Flucht zu zerbröckeln. Ein oder zwei lösten sich sogar komplett in Ruß auf.

Die Polizistin hatte nicht den Hauch einer Idee, was hier vorging oder wohin sie sich wenden sollte. Anstatt die Flucht zu ergreifen, stand sie reglos. Die Fluchtbahnen der Kreaturen bildeten eine Art Käfig für sie, aus dem sie nicht auszubrechen wagte. Eines der … Zombiehühner prallte dennoch blind gegen ihre Beine und zerbrach dabei in mehrere Teile.

Ja, das waren sie. Zombiehühner. Das Wort klang irgendwie erheiternd. Vielleicht konnte sie es schaffen, der Situation etwas Komisches abzugewinnen.

Nein. Sie glaubte nicht, dass ihr das wirklich gelingen würde. Es jemandem zu erzählen, war etwas anderes, als mitten drin zu sein.

Behutsam, Schritt für Schritt, entfernte sie sich von der Ruine des Stalls. Der Ansturm der Hühner ließ etwas nach, doch noch immer kamen neue aus dem Inneren nach. Viele brannten noch. Fast alle trugen glosende Funken an sich, die beim Rennen aufglommen.

Wie war das alles nur möglich?

Für so etwas konnte es doch keine Erklärung geben, oder?

Irgendein physikalisches Phänomen vielleicht – eine Art Feuer, das die Tiere verstümmelte, ohne sie zu töten? So etwas existierte nicht. Wesen, die zu trockener, rußiger Kohle geworden waren, konnten nicht rennen, ganz gleich, unter welchen Umständen sie verbrannt waren.

Wo stand ihr Wagen? Was war der kürzere Weg dorthin? Am Stall entlang, wie sie gekommen war? Sicher. Das war definitiv näher, als den weiten Umweg am Haus vorbei zu nehmen.

Aber die Hühner.

Da waren diese schrecklichen, toten-und-doch-lebendigen Hühner. Sie hörten nicht auf, aus den Löchern in der Rückwand zu kriechen. Diese Löcher führten nicht einfach nur in einen ausgebrannten Stall. Sie führten in einen Albtraum hinein.

Wenn sie zum Haus hinüber ging, war sie sie los. So wie es aussah, rannten sie nicht dort hinüber. Sie mieden die Glut, die Hitze. Also war sie da drüben sicher vor ihnen.

Natürlich trug sie eine Waffe. Mit zitternder Hand – nein, sie brauchte sogar zwei zitternde Hände dazu, verdammt! – bekam sie die Sig Sauer P266 zu fassen, die sie außerhalb des Trainings nur ein Dutzend Mal gezogen und kein einziges Mal abgedrückt hatte. Fünfzehn Schuss Munition warteten in dem breiten Griff der Selbstladepistole darauf, abgefeuert zu werden.

Abgefeuert auf Hühner, die bereits tot waren?

Konnte man sich lächerlich vorkommen und gleichzeitig Todesangst leiden?

Mit schussbereiter Waffe ging sie langsam am Stall entlang. Auf dieser Seite war für die Hühner kaum ein Durchkommen. Nur einige wenige quetschten sich unter dem eingestürzten Blechdach hindurch. Als eines der Tiere in einer der engen Öffnungen stecken blieb, wurde Lyanne Zeuge, wie es sich selbst ein Bein abriss, um hindurchzupassen.

Der dunkle Ton dröhnte in ihrem Kopf, und auf ihrer linken Brust sog sich ihre Bluse mit ihrer Milch voll. Die Stilleinlage war patschnass und konnte nichts mehr aufnehmen. Es war, als wäre da eine nässende Wunde unter dem Stoff. Drüben im Wagen warteten die Kühlbox, die Pumpe und die sterilisierten Kunststoffbehälter. Es war seltsam, aber inmitten dieses grausigen Chaos rückte ihr Sohn David kein Stück weit in den Hintergrund. Er war immer noch der Mittelpunkt ihrer Gedanken, und während sie den hüpfenden, humpelnden Kohlebrocken zusah, die einmal Tiere gewesen waren, tat ihr jeder Tropfen ihrer Milch leid, der seinen Mund nicht erreichte.

Sie musste sich psychisch an etwas festhalten, und das Größte und Mächtigste, was sie hatte, war der kleine, wenige Monate alte David. Sie unternahm den Versuch, auch an ihren Mann zu denken, an Phil, aber es brachte ihr nichts. Wenn sie ihn sich vorzustellen versuchte, sah sie ihn grinsend vor sich. Er hielt eine Bierflasche in der Hand und lachte über die Hühner. Und vielleicht auch über den nassen Fleck in ihrer Bluse.

Merkwürdig, dass der Ton den Milchfluss zu verstärken schien. Wie das Schreien eines Babys.

Lyanne spürte die Gluthitze auf ihrer Haut kaum mehr. Je weiter sie sich dem Haus näherte, desto entschlossener wurden ihre Schritte. Als die Hühner aus ihrem Blickfeld verschwanden, hatte sie das Gefühl, eine schwere Last falle von ihr ab.

Das Haus stand jetzt still da. Hier und da stoben ein paar Funken durch die Luft, aber insgesamt schien die Ruine sich beruhigt zu haben. Wenn Lyanne richtig sah, glomm ein kleines Glutnest in einer der Pappeln hinter dem Haus, doch der Baum weigerte sich, in Flammen aufzugehen. Die Hitze, die die Trümmer des Hauses verströmten, erschien ihr doppelt so heftig wie jene, die der Stall abgestrahlt hatte. Aus der Nähe konnte sie einige Einrichtungsgegenstände erkennen, die noch nicht völlig verbrannt waren: Schwere Holzmöbel, ein Klavier und ein Doppelbett, das wohl aus dem ersten Stock ins Erdgeschoss gestürzt war, als die brennenden Dielen es nicht mehr halten konnten.

Von menschlichen Leichen war nichts zu sehen.

Wie viele Menschen sich wohl in dieser Nacht im Haus aufgehalten hatten? Sie kannte die Familien- und Arbeitsverhältnisse des alten Tayben nicht so genau. Sie erinnerte sich, dass er verwitwet war, aber alleine konnte er die Farm kaum betrieben haben.

Als sie in ausreichendem Abstand die Hinterseite des Hauses passierte (und dabei darauf achtete, dass von den Pappeln nichts Brennendes auf sie herabregnete), war ihr, als höre sie durch das Knacken der schwarzen Balken hindurch Motorengeräusche.

Sie dachte an die Feuerwehr.

Dann hatte sie einen Punkt erreicht, von dem aus sie ein Stück von der Zufahrt sehen konnte, und ein paar Sekunden später kam ein Auto recht schnittig diese Zufahrt herunter. Der Wagen war weder rot noch schwarz-weiß. Es handelte sich um einen hellen Minivan – die Marke war nicht zu erkennen.

Unwillkürlich blieb sie stehen. War nun doch noch ein Fahrer auf den Rauch aufmerksam geworden?

Solange er die Hühner nicht zu Gesicht bekam, konnte sie ihn anweisen, nicht näher zu kommen. Falls allerdings eines der unseligen Geschöpfe in seine Richtung floh, würde es ein schwieriges Gespräch werden.

Sie schlich einige Yards im Schutz der Pappeln weiter und war sicher, in der Dunkelheit nicht gesehen zu werden. Die Scheinwerfer der beiden Autos zeigten nicht auf sie.

Der Fahrer brachte sein Vehikel schräg hinter ihrem Streifenwagen abrupt zum Stehen. Wenig später klappte die Beifahrertür auf, und ein hagerer, vielleicht nicht mehr ganz junger Mann in einem hellen Anzug sprang heraus. Er setzte dazu an, vorne um den Wagen herum zu gehen, stoppte dann seine Bewegung und machte den Umweg über die hintere Seite. Er öffnete die Fahrertür von außen und schien dem Fahrer beim Lösen des Sicherheitsgurts und beim Aussteigen behilflich zu sein. Dabei legte er eine gewisse Hast an den Tag.

Lyanne wusste mit der Situation nichts anzufangen. Anstatt von dem Anblick der abgebrannten Farm gefesselt zu werden, schienen die beiden hier etwas Eiliges zu erledigen zu haben.

Nur was?

Erst als der Hagere dem Fahrer mühsam aus dem Fahrzeug geholfen hatte, nahmen sich die beiden Männer einen Moment Zeit, um das Gelände zu überblicken. Der Fahrer, der trotz seiner schlechten Beweglichkeit viel jünger aussah als der Mann, der ihn führte, hob den Arm und zeigte in Richtung des Stalls. Oder vielleicht auf einen Punkt links neben dem Stall.

Der alte Traktor?

Die beiden fassten sich an die Ohren. Sie hörten diesen Ton also auch.

Lyanne wollte eben loslaufen und sich zu erkennen geben, da fing sie im Augenwinkel eine Bewegung auf.

Rechts von ihr kam etwas aus den Trümmern.

Für ein Huhn war es viel zu groß.

Mitten aus der Glut der Brandruine stapfte ein schwarzer Körper auf sie zu, aufrecht und mit eindeutig menschlichen Formen. Funken fielen davon ab. Es war kein mit Brandwunden übersäter Mensch – dieses Ding hatte keine Augen, keine Nase, keine Ohren mehr. Ein Unterarm fehlte ihm.

„Lord in Heaven!“, brüllte die Polizistin aus voller Kehle. Sie riss ihre Sig Sauer hoch und richtete sie auf die Kreatur. Vier, fünf lange Sekunden zögerte sie. Falls es doch ein Schwerverletzter war, der die Flammenhölle wie durch ein Wunder überlebt hatte, vielleicht, weil er sich in den Keller geflüchtet hatte oder … oder …

„Nein“, sagte Lyanne laut. Ihre Worte waren an das Ding gerichtet. „Nein, du bist kein Überlebender. Du bist ein Toter …“

Mündungsfeuer flammte auf. Das Projektil schlug in die Seite der Kreatur ein und fetzte ein faustgroßes Stück heraus. Das Wesen taumelte nur kurz und beschleunigte dann seine Schritte. Obwohl Lyanne gesehen hatte, wie schnell die Hühner rennen konnten, versäumte sie es, konsequent ihre Schlüsse daraus zu ziehen. Sie vermochte sich einfach nicht vorzustellen, dass dieses Monstrum, dieser Zombie mehr tun konnte, als schlafwandlerisch-zeitlupenhaft auf sie zuzuwanken.

Aber er konnte.

Er stürmte auf sie zu. Oder nicht ganz auf sie zu, denn – Gott, sie begriff das erst jetzt – er wollte gar nichts von ihr, sondern suchte nur einen Weg fort von hier. Und was machte sie dummes Ding? Sie stellte sich ihm auch noch in den Weg mit ihrer lächerlichen Waffe, die ihm nicht viel anhaben konnte, anstatt ihn …

Sie drückte ein zweites und drittes Mal ab, dann prallte er gegen sie, und er stank nach Ruß und fühlte sich hart wie Holzkohle an und war heiß und tödlich.

Der alte Tayben?

„Hilfeeee“, kreischte sie, duckte sich weg, und er stolperte über sie, begrub sie unter sich.

Ihre Haare knisterten.