KAPITEL 10
«Vor der Teestunde war es eine ziemlich langweilige Angelegenheit, aber die Zeit vor der Teestunde dauerte nicht lange...» Jane Austen, Briefe
Freitag, 6. April 1984, vormittags
Im Gerichtssaal war es viel zu heiß. Mr. Pringle hatte das Gefühl, als schwimme sein Verstand. Die Ü-Wagen-Besatzung von Bath & Wells hatte überall Scheinwerfer installiert. Die Polizei gestattete sie so lange, bis ihre Ankunft für die Sendung aufgezeichnet worden war, dann ordnete sie sehr korrekt an, die gesamte Ausrüstung abzubauen. Aber dann war es zu spät, auch die Weichstrahler der Fotografen wegzuräumen. Sie brannten weiter, so daß die Hitze in dem getäfelten Raum nahezu tropische Formen annahm.
Mr. Pringle war zwischen Jonathan und Jack Kemp eingequetscht. Auf Penelopes Verlangen trug Jack seinen einzigen Anzug. Gekauft worden war er für eine lange vergangene Hochzeit, als die Rockaufschläge breit und die Hosenbeine weit waren und Jack viel schlanker, aber da die Möglichkeit bestand, daß er nach der Verhandlung verhaftet wurde, wollte Penelope, daß ihr Mann anständig gekleidet war.
Die Fernsehleute saßen dicht gedrängt im Zuschauerblock. Alfie und Bertie hatten in weiser Voraussicht belegte Brote mitgebracht. Alfie hatte Erfahrung mit solchen Veranstaltungen, die auf der Teilnahme an Spätvorstellungen im Kino basierte. Er betrachtete prüfend die Geschworenen und befand, das Besetzungsbüro habe angemessene Arbeit geleistet. Jemand fragte, ob dem Ereignis die Nationalhymne vorausgehe, und Alfie verneinte es voller Verachtung. Zur festgesetzten Zeit nahm auf dem Podium unten ein älterer Mann Platz.
«Das ist er», flüsterte er aufgeregt. «Er spielt die Rolle von Henry Fonda.»
Die gerichtliche Untersuchung erwies sich als Enttäuschung. Nur Malcolm entsprach den Erwartungen. Als er die Identifizierung bezeugte, machte er mächtig Eindruck. Mr. Pringle kam es vor, als sei der Tod des Opfers nebensächlich, worauf es ankam, war offenbar Malcoms Kummer.
Als er schon gehen wollte, hielt Malcolm plötzlich inne. «Ich möchte noch ein Wort hinzufügen. Das Fernsehen — mein Gewerbe— hat einen sehr begabten jungen Mann verloren, der eine große Zukunft gehabt hätte...» Er starrte auf den Gerichtshof. Mr. Pringle bemühte sich zu erkennen, auf wem Malcolms Blick ruhte, aber es gelang ihm nicht. «Eine große Zukunft», wiederholte er, nahm sich zusammen und ging wieder an seinen Platz.
«Man sollte glauben, Gott würde ihn erschlagen, stimmt’s?» sagte Bertie etwas zu laut und fügte hinzu: «Dieses verlogene Arschloch.»
«Ruhe im Gericht!»
Jack Kemp war hingerissen. «Die sagen das. Die sagen tatsächlich diese Worte.»
Die medizinische Beweisaufnahme war schnell vorbei. Der Leichenbeschauer, ein Arzt im Ruhestand, hatte keinen Geschmack an Theatralik. Der Mann sei bei seinem Eintreffen tot gewesen, der Spieker habe noch gesteckt. Chirurg und Leichenbeschauer hatten eine kurze Diskussion über die Tiefe der Wunde und welches der vielen lebenswichtigen Organe in dem Bereich durchstochen worden war. Die Waffe sei mit ausreichender Wucht eingerammt worden, erfuhr das Gericht, um eine Arterie zu treffen, daher der beträchtliche Blutverlust. Unter diesen Umständen sei der Tod unausweichlich gewesen. Mr. Pringle stellte fest, daß er entgegen seiner Überzeugung Jacks plumpe Hände betrachtete. Er hatte nur eine Frage im Sinn. Die Antwort darauf kam am Schluß.
«Hatte der Mörder nach Ihrer Meinung medizinische Kenntnisse, um die Tat auf diese Weise zu begehen?»
Der Chirurg antwortete kurz: «Ich würde sagen, nein. Die Waffe war lang genug. Fest in diesen Bereich in ungefähr diesem Winkel gestoßen, war eine tödliche Verletzung überaus wahrscheinlich. Es war ein Zufall, diese Arterie zu treffen, aber wäre sie es nicht gewesen, hätte es eine andere lebensbedrohliche Verletzung gegeben.»
«Ich danke Ihnen, Mr. Squires.»
Dem Polizeibeamten, der folgte, müsse man seine Rolle umschreiben, befand Alfie. Trotz umfangreicher Untersuchungen am Holzständer der Waffe, sagte der Beamte dem Gericht, habe dieser keine überzeugenden Informationen erbracht. Nach Auffassung der Untersucher sei der Holzständer irgendwie bedeckt gewesen. Vielleicht mit Papier oder Plastik. Leider sei die Abdeckung nicht gefunden worden.
Der Leichenbeschauer hob den Blick von seinen Notizen. «Warum nicht? Haben Sie keine genauen Durchsuchungen vorgenommen?»
«Doch, Sir. Niemand durfte gehen, bevor wir fertig waren. Aber Tatsache ist...» Er zögerte. «Nachdem alle ihre blutverschmierte Kleidung ausgezogen hatten, durften sie die Toiletten benutzen. Wir sahen keinen Grund, das zu verweigern.»
«Weggespült», zischte Bertie. «Welch ein Glück.»
Der Leichenbeschauer blickte ernst drein. «Ich werde diese Nachlässigkeit ins Protokoll aufnehmen.»
Weitere Aufregungen gab es nicht. Die Geschworenen zogen sich so lange zurück, daß Alfie gerade noch seine Gurke und den Lachs essen konnte, ehe sie verkündeten, Christopher Gordon sei das Leben rechtswidrig von einem oder mehreren Unbekannten genommen worden. Der Leichenbeschauer sagte kurz und bündig, bei solchen Gelegenheiten habe er es sich zur Gewohnheit gemacht, der Polizei bei ihren Ermittlungen Glück zu wünschen. Da ihm jedoch jeden Abend per Fernsehen versichert worden sei, eine Verhaftung stehe nahe bevor, schienen solche Wünsche unnötig zu sein. Zweifellos werde er auch die Identität des Mörders aus seinem Fernsehgerät erfahren. Er gab die Leiche zur Bestattung frei.
Draußen warteten Jonathan und Mr. Pringle darauf, daß Jack mit seinen Kameraeinstellungen fertig wurde. «Wenn die Polizei kommt und mich verhaftet, macht mit der tragbaren Kamera eine anständige Großaufnahme, damit die Kinder es auf Video aufzeichnen können. Etwas Künstlerisches zur Erinnerung an mich...»
Jonathan schaute auf seine Uhr. «Wenn sie ihn nicht bald verhaften, wird die Ü-Wagen-Besatzung für sich beanspruchen, während der Mittagspause gearbeitet zu haben. Übrigens, Pringle, es geht das haarsträubende Gerücht um, Rupert habe es getan und als Deckmantel sein Gemälde ruiniert. Was halten Sie davon?»
«Daß es eine boshafte Geschichte ist.»
«Ja.» Jonathan schien nicht ganz überzeugt.
«Ist es denn möglich, daß ein Künstler sein bestes Werk zerstört? Und welchen Nutzen hätte Rupert von dem Mord gehabt?»
«Christopher hatte gedroht, ihn zu entlassen.»
«Aber er hatte so vielen mit der Entlassung gedroht.»
«Nun, irgend jemand hat es getan», sagte Jonathan mürrisch. «Und ich glaube immer noch nicht, daß Jack es gewesen ist.»
«Ich auch nicht. Aber ich glaube auch nicht, daß Rupert es war.»
«Es könnte Carl gewesen sein, nehme ich an. Haben Sie von der Schlägerei gehört?»
«Nein», sagte Mr. Pringle überrascht.
«Er und Charles, gestern am späten Abend. Zweifellos hatte es etwas mit der hinreißenden Ingrid zu tun. Sie ist wirklich lästig, diese Frau. Sie ist ein bißchen nymphoman, wenn Sie mich fragen. Gott weiß, warum Carl sie geheiratet hat.» Jonathan sprach wie einer, der die Versuchungen des Fleisches weit hinter sich gelassen hat. Mr. Pringle empfand vorübergehend ein Bedauern darüber, daß er die Dame nicht kennengelernt hatte.
«Wie fing es an?»
«Es gab Streit, oben in Carls Büro. Charles verließ ihn, ging an die Bar, aber als Carl ihm folgte, begann es wieder. Es war ziemlich häßlich.»
Eine Uhr schlug zur vollen Stunde und erinnerte Mr. Pringle daran, daß er anderswo erwartet wurde. «Können wir uns später sehen?» fragte er hastig. «Ich möchte mit Ihnen über einige meiner Schlußfolgerungen sprechen.»
Jonathan beobachtete, wie das Taxi verschwand. Er war verärgert. Pringle hatte nicht das Recht, sich wie in einer Fernsehserie zu benehmen.
«Komm schon, Jack», rief er. «Finde dich damit ab, vor dem Mittagessen werden sie dich nicht verhaften. Sie werden dem Steuerzahler die Kosten für das Mahl ersparen.»
Mr. Pringle war überrascht, daß das Haus als Kate bezeichnet wurde. Die Zufahrt bot Platz für mehrere Rolls-Royce. Der Taxifahrer stieß einen Pfiff aus, als er hielt. «Ich bin froh, daß ich dafür die Raten nicht zu zahlen habe. Soll ich warten?»
«Nein, danke.»
Hilarys Mutter hatte nach ihm Ausschau gehalten. Die Tür öffnete sich, als er die Stufen emporstieg. Er nahm den Hut ab. «Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie mich empfangen.»
Sie nickte steif. «Kommen Sie herein.»
Sie konnte nie hübsch gewesen sein, dachte er, nicht mit dieser Nase. Außerdem war sie älter, als er sie sich vorgestellt hatte. Heutzutage sahen Mütter gewöhnlich wie Mädchen aus. Vermutlich war Hilary von einer Frau in mittleren Jahren geboren worden. Sie ging voran durch eine Seitentür der großen viereckigen Diele. Es war ein kaltes Zimmer, in dem es roch, als werde es selten benutzt. Mr. Pringle war ein unwillkommener Besucher.
«Ich kann mir nicht denken, um was es sich hier dreht», sagte sie scharf. Er gab ihr seine Karte und erläuterte.
«Aber warum kommen Sie zu mir?» fragte sie. «Wenn Sie die gleiche Information wollen, warum gehen Sie dann nicht direkt zur Detektei? Oder versuchen Sie, das Geld dafür zu sparen?»
«Zweifellos wäre dies das korrekte Verfahren gewesen, aber ich wollte Hilary weitere Schwierigkeiten ersparen.»
Die Mutter schaute ihn aufgebracht an. «Sie haben Hilary doch gesagt, sie solle zur Polizei gehen. Nachdem sie dort war, kam sie gestern abend weinend zurück. Mein Mann und ich waren wütend.»
Mr. Pringle seufzte. «Die Polizisten hätten ihre Beziehung zu dem Toten entdeckt — das sind keine Schwachköpfe. Leute, die denken, sie könnten solche grundlegenden Informationen verbergen, sind dumm. Mit den Einrichtungen, die der Polizei zur Verfügung stehen, hätte sie leicht aufgedeckt, daß...»
«Wollen Sie etwa andeuten...» Wenn die Atmosphäre vorher kalt war, dann war sie jetzt eisig.
«Daß Sie selbst Informationen verschwiegen haben? O ja, gnädige Frau. Dessen bin ich mir sicher. Hilary hat es mir gesagt. Sie haben ihr nur die eine Seite des Berichts gezeigt.»
«Das war nur zu ihrem Besten. Ich wollte es ihr ersparen...»
«Leider glaube ich das nicht. Zuerst war da die Frage des Familiennamens, dann Mr. Gordons Antwort, als Ihre Tochter ihn mit dem Bericht der Detektei konfrontierte. Ich unterstelle, daß Sie weit mehr als die wahre Identität des unglücklichen jungen Mannes verschwiegen haben.»
Ihre Stimme war so rauh und häßlich wie ihr Gesicht. «Was sagen Sie da? Beschuldigen Sie mich...»
«Daß Sie versuchen, Ihre Tochter zu schützen? Vielleicht, aber auch, daß Sie sie absichtlich täuschen. Das kann so nicht weitergehen, das wissen Sie selbst. Die Polizei und ich ermitteln in einem Mordfall.»
Sie wandte sich ab und schaute aus einem Fenster nach draußen. «Hilary ist noch so unreif. Sie ist ein Einzelkind, was einen Teil der Schwierigkeiten ausmacht. Wir schickten sie nach auswärts auf eine Schule. Wenn ich zurückblicke, würde ich mir wünschen, wir hätten es nicht getan, aber damals hielten wir es für das Beste. Es war eine Mädchenschule. Das Ergebnis war...» Ihre Mutter zuckte die Achseln. «Jedes hübsche Gesicht kann sich Hilarys Zuneigung erschleichen. Es ist traurig.»
«Wenn Sie sie zu sehr bemuttert haben, dann ist es kein Wunder, daß sie versuchte, so schnell wie möglich erwachsen zu werden.»
«Aus dem Haus zu ziehen und wie ein gewöhnliches Mädchen mit einem Schweinehund zu schlafen, heißt das, erwachsen zu werden? Jetzt ist es zu spät.»
Mr. Pringle verstand das nicht.
«Hilary hätte jeden heiraten können. Wir hatten solche Pläne mit ihr, aber j etzt...»
Gütiger Himmel, dachte Mr. Pringle, keine Jungfrau mehr. Wie schrecklich altmodisch.
«Kommen wir auf Christopher Gordons Herkunft zurück», sagte er. «Ich bitte Sie nicht, mir den Bericht zu zeigen, sondern nur um eine Kopie der Heiratsurkunde seiner Eltern.»
Sie überlegte kurz, ging fort und kam mit zwei Blättern Papier zurück. «Dies ist eine Fotokopie der Heiratsurkunde. Die habe ich Hilary gezeigt. Nun, obwohl der Mädchenname der Frau als <Gordon> ausgewiesen wird — und sie könnte sehr wohl Malcolm Gordons Schwester gewesen sein, man hat sich nicht die Mühe gemacht, das zu überprüfen... Jedenfalls haben weder sie noch ihr Mann Kinder mit in die Ehe gebracht, die auch später kinderlos blieb, dessen war sich die Detektei sicher. Und dies habe ich Hilary nicht gezeigt.»
Es war die Kurzform einer Geburtsurkunde für ein männliches Kind. Mr. Pringle las die Einzelheiten. «Der Name — Christopher?»
«Ja, er ist es. Die Detektei versicherte mir, es sei die Kopie der Geburtsurkunde des Mannes, der sich Christopher Gordon nannte. Wie Sie sehen, der Zuname seiner Mutter war Ellis. Nichts über einen Vater, also war sie vermutlich ledig. Christopher war nicht berechtigt, den Namen Gordon zu tragen. Tatsächlich sehe ich nicht, wie er Malcolm Gordons Neffe sein konnte. Vielleicht sein Schützling.»
Allmählich begann es Mr. Pringle zu dämmern, wenn dies auch seine früheren Ideen ganz durcheinanderbrachte. «Vielleicht», stimmte er zu.
«Es gab keine Unterlagen, daß dies Ehepaar ein Kind adoptiert hätte.» Sie wedelte mit der Heiratskurkunde. «Ich habe die Detektei gebeten, das doppelt zu prüfen.»
«Dürfte ich mir beide Dokumente noch einmal ansehen?»
Sie legte sie nebeneinander auf die Fensterbank.
«Beide Frauen haben denselben Vornamen?»
«Zufall, denke ich, Sie nicht auch, Mr. Pringle? Sie deuten doch nicht etwa an, sie seien ein und dieselbe Person? Daß sie ein illegitimes Kind hatte und einen falschen Zunamen auf seiner Geburtsurkunde eintragen ließ, um sich zu schützen?»
«Ich weiß es nicht.»
«Nun, ich weigere mich, das zu glauben. Und selbst wenn es wahr wäre, würde es nicht den Makel der unehelichen Geburt von Christopher Gordon nehmen. Das ist etwas, das weder mein Mann noch ich bereit sind zu akzeptieren. In diesen laxen Zeiten, Mr. Pringle, bewahren einige von uns ihre Grundwerte. Und er war auf Geld aus. Hilary wird eines Tages wohlhabend sein.»
Er ging nicht darauf ein. Nachdem er Einzelheiten aus beiden Dokumenten in sein Notizbuch geschrieben hatte, verabschiedete er sich. An der Bushaltestelle entdeckte er eine weitere unangenehme Tatsache: der Bus nach Bath fuhr nur stündlich.
Die Frau beobachtete, wie er die lange Zufahrt hinunterging, bevor sie nach dem Telefon griff. «Ich glaube, du solltest etwas erfahren...» Es war ein sehr kurzes Gespräch.
Freitag, 6. April 1984, früher Nachmittag
Mr. Pringle hatte noch nicht zu Mittag gegessen, aber er wollte Artemis sprechen. Er wartete im eisigen Wind auf einen Bus und stampfte mit den Füßen, um sich warm zu halten. Christopher war also nicht Malcolms wirklicher Neffe — aber spielte das eine Rolle? Malcolm hatte keine Kinder, er wollte ein Imperium aufbauen. Den Jungen als seinen Neffen einzuführen war keine außergewöhnliche Idee. Im Gegenteil. Und angenommen, das uneheliche Kind sei das seiner Schwester gewesen? Während seiner Jahre in der Steuerbehörde war Mr. Pringle vielen überraschenden Methoden begegnet, wie man — ehe die Gesetze geändert wurden — die Illegitimität beseitigen konnte, um das Erbe zu sichern. Wenn dies ein weiteres Beispiel dafür war, würde er Malcolm Gordons Wunsch respektieren. Der Junge hatte als sein Neffe gelebt — gewiß konnte er dann auch als solcher bestattet werden. Unglücklicherweise lauerte Jonathan P. Powers im Empfang.
«Oh, da sind Sie ja. Die haben Jack abgeführt. Als die Ü-Wagen-Besatzung Mittagspause machte, kam die Polizei.»
«Hat sie ihn verhaftet?»
«Nein. Die Polizisten forderten ihn auf, sie zu einem weiteren Verhör zur Revierwache zu begleiten», antwortete Jonathan. «Aber er war in einem schrecklichen Zustand.»
«Haben Sie Rupert heute morgen gesehen? Ich bin ziemlich besorgt...»
«Zum Teufel mit Rupert! Die Polizei glaubt offensichtlich, es sei Jack gewesen.»
«Das hat sie immer geglaubt», betonte Mr. Pringle. «Aber sie ist sich offenbar nicht sicher. Deshalb hat sie ihn noch nicht beschuldigt.»
«Das ist nur eine Frage der Zeit. Ich kenne Jack. Er wird aufgeben. Er wird gehen und gestehen, alles beliebige, nur damit er in Ruhe gelassen wird. Es ist das künstlerische Temperament, wissen Sie. Wenn es auf dem tiefsten Stand ist, braucht er einen Drink. Haben Sie etwas erreicht?»
Mr. Pringle ignorierte die Frage. «Ich möchte Artemis sprechen.»
«Sie wird beim Essen sein. Werden Sie nichts wegen Jack unternehmen?»
«Was kann ich tun? Bis ich die restlichen Formulare eingesammelt und meine Gedanken zu Papier gebracht habe...»
«Formulare! Regieraumgrundrisse!» Jonathan warf sich auf eine Bank. «Wann werden wir Taten sehen, Pringle? Mein bester Freund vermodert im Gefängnis.»
Mr. Pringle schaute ihn ernst an. «Könnten wir sonst noch jemanden nach Rupert fragen? Vielleicht sollten wir seine Wohnung noch einmal anrufen?» Ihm wurde plötzlich klar, daß Jonathan sich in eine Wut hineinsteigerte. Mr. Pringle beschloß, sich zu entfernen. «Ich fürchte, ich muß Sie wieder verlassen. Könnten Sie Artemis eine Nachricht überbringen?»
«Wohin wollen Sie denn diesmal?»
«Sagen Sie ihr bitte, ich werde später am Nachmittag wiederkommen und sie dann sprechen.»
«Ich dachte, Sie sagten, wir würden über Ihre Entdeckungen sprechen...»
«Nachdem ich Dorothy gesehen habe», rief Mr. Pringle. «Ich muß ihr vorher eine Frage stellen.» Er verschwand durch die Drehtür.
«Das kannst du dir schenken», murrte Jonathan. «Wir zahlen dir dein Honorar, nicht Dorothy.»
Freitag, 6. April 1984, nachmittags
Fitz’ automatisches, willkommen heißendes Lächeln fiel von ihm ab. «Meine Frau ist ausgegangen. Sie kauft mit den Kindern ein.»
«Ich bin nicht gekommen, um Ihre Frau zu sprechen. Darf ich eintreten?» Sie standen im leeren Hausflur, wo die Hobelspäne noch immer an der gleichen Stelle lagen.
«Egal, ich glaube, wir sollten warten, bis sie wiederkommt.»
Mr. Pringle war müde. Er legte seine normale Schüchternheit ab und sagte entschlossen: «Wenn Sie bei meinem ersten Besuch die Wahrheit gesagt hätten, wäre es nicht nötig gewesen, noch einmal zu kommen.»
Fitz errötete. «Nennen Sie mich einen Lügner?»
Mr. Pringle schaute sich nach einem Stuhl um, sah keinen und stützte sich deshalb auf seinen Regenschirm. «Ich beschuldige Sie nicht des Mordes...»
«Das will ich Ihnen auch geraten haben.»
«Aber ich beschuldige Sie, Informationen zurückzuhalten. Was wissen Sie, das Sie mir beim letztenmal nicht gesagt haben?» Fitz antwortete nicht. Gewohnheitsmäßig zog er einen Kugelschreiber heraus und fummelte daran herum.
«Ein Mann wurde brutal erstochen. Weil man ihn nicht mochte. Jeder bei Bath& Wells, einschließlich Sie, scheint zu glauben, es wäre nicht weiter schlimm, wenn der Mörder ungestraft davonkäme. Ich kann Ihnen versichern, daß weder die Polizei noch ich dieser Ansicht sind. Wir werden weitermachen, bis wir die Wahrheit entdecken.» Und möge das bald sein, dachte Mr. Pringle. Seine Krampfadern machten sich bereits bemerkbar.
«Ich weiß — nichts.»
Mr. Pringle stand kurz vor einem Wutausbruch. «Dann haben Sie etwas gesehen», beharrte er. «Warum drücken Sie sich sonst weiterhin zu Hause herum und verstecken sich hinter den Unterröcken Ihrer Frau? Sie kann Sie nicht ewig schützen, wissen Sie.»
«Ich bin krank! Der Arzt hat das bestätigt.»
«Unsinn. Sie sind so fit wie irgendeiner. Kommen Sie jetzt, die Zeit drängt.»
Seine dunkle Drohung gründete sich eher auf Instinkt als auf Tatsachen, aber das brauchte Fitz nicht zu wissen.
«Ich sage Ihnen, ich weiß nicht mit Bestimmtheit, was passiert ist.»
«Aber Sie glauben, etwas zu wissen. Was?»
Fitz schaute auf die Haustür, als hoffe er, daß seine Frau hereinkommen würde, um ihn zu retten. Vielleicht war es Müdigkeit, die Mr. Pringle veranlaßte, zu hastig zu sein. «Hat Christopher gedroht, Sie zu entlassen, wie er es bei den anderen getan hatte?» Er schaute Fitz an und erkannte seinen Fehler.
Die Angst war jetzt weg. «Ja, er hat», antwortete Fitz zungenfertig.
«Aber was ist Ihnen aufgefallen?»
«Nichts.» Fitz hatte seinen Mut wiedergefunden. «Es war die Drohung der Entlassung. Ich dachte, wenn die Polizei das entdeckt...» Seine Stimme verlor sich, die Ausrede war zu schwach.
Mr. Pringle unternahm noch einen nutzlosen Versuch. «Die Polizei wird es dabei nicht bewenden lassen, wissen Sie.»
Aber Fitz öffnete bereits die Tür.
«Sie können sich nicht auf ewig verstecken», beteuerte mir. Pringle. Es war sinnlos. Er machte einen letzten Versuch. «Was macht Sie so sicher, daß Charles es nicht auch gesehen hat?»
Fitz brüllte plötzlich vor Lachen, heisere, hysterische Schreie vor Lachen. «Gehen Sie. Sie wissen nicht, wovon Sie reden», rief er. «Gehen Sie, belästigen Sie mich nicht mehr.» Am Gartentor warf Mr. Pringle einen letzten Blick nach hinten. Das Haus sah unscheinbar aus. Er glaubte, das Lachen von Fitz immer noch hören zu können.
Freitag, 6. April 1984, am Nachmittag
Er blieb stehen, um Artemis anzurufen. Niemand wußte, wo Rupert war. Er war nicht in den Studios gewesen, in seiner Wohnung meldete sich keiner.
«Sie sorgen sich wirklich um ihn, nicht wahr?»
«Wenn Sie gestern abend gesehen hätten... Mrs. Bignall und ich dachten... Er war so deprimiert, Artemis, so hoffnungslos. Deshalb mache ich mir Sorgen.»
«Ja, ich verstehe. Hören Sie, warum versuchen Sie es nicht im alten Lagerhaus. Das ist ein Ort, wo sich alle verstecken.»
«Ein guter Gedanke», stimmte Mr. Pringle zu. «Ich sehe Sie nachher. Oh, Artemis...» Aber sie hatte aufgelegt. Das machte nichts. Er würde sie bitten, den Namen zu überprüfen, wenn er sie aufsuchte.
Es regnete so heftig wie bei seinem ersten Besuch. Er fand das Loch im Zaun und eilte zuversichtlich über den rissigen Asphalt. Winifred war sicher in der Prior Park Road angebunden. Zu spät entdeckte er, daß sie ersetzt worden war. Durch ein Monstrum, das Alfie noch nicht gezähmt hatte. Er erreichte die Stufen nur knapp vor dem geifernden Maul und warf sich nach drinnen. Erst später wunderte er sich, daß die Tür offen war.
Sein Herz klopfte laut. Er versuchte, die Nässe vom Regenschirm zu schütteln, aber seine Hände waren zu schwach. Er ließ ihn fallen. In der Dunkelheit konnte er die Wände und Türen kaum erkennen, es flimmerte ihm vor den Augen. Er setzte sich abrupt hin. Er war zu alt für solche Dummheiten. Und er war bestimmt zu alt, um ohne Mittagessen auszukommen. Eine heiße Tasse Tee brauchte er jetzt. Sobald er nachgeschaut hatte, ob Rupert hier war, würde er ein Café aufsuchen und dann in die Pension gehen, um sich auszuruhen. Jack Kemp war in der Polizeiwache sicher aufgehoben, vorausgesetzt, er schlug keinen. Außerdem war er in seiner Zelle nicht zu erreichen. Es war besser, er blieb dort. Einer weniger, um den man sich sorgen mußte. Mr. Pringle war überzeugt, daß immer noch Gefahr bestand. Warum war das Bild wohl sonst zerstört worden, wenn nicht, um zu erschrecken? Aber wen? Rupert? Ihn selbst? Fitz?
Er stand früher auf, als er es hätte tun sollen, seine Knie zitterten noch. Rupert würde ein Büro in der obersten Etage gehabt haben, wegen der günstigen Lichtverhältnisse. Wenn er hier war, dann oben. Mr. Pringle machte sich auf den Weg. Seine Schritte hallten laut auf dem nackten Beton wider.
Erst hinterher konnte er sich zusammenreimen, was geschehen war. Er erreichte die oberste Etage. Im Dunkeln streckte er die Hand nach der Schwingtür aus. Sie öffnete sich und traf sein Gesicht mit solcher Wucht, daß er den Schlag eher hörte als fühlte. Er hörte auch das Knacken seiner Brille, als sie auf dem Nasenrücken in zwei Hälften zerbrach. Dann spürte er den Schmerz, eine große Welle, als das Flimmern vor seinen Augen zu tiefer Dunkelheit verlosch, die ihn verschlang.
Freitag, 6. April 1984, früher Abend
Der Lärm über seinem Kopf war zu laut. Warum stellte ihn nicht jemand ab? Die Sirene war direkt über ihm. Er versuchte zu sprechen, bemühte sich, den Kopf zu drehen. Er wurde von Seite zu Seite gerüttelt. Er lag auf einer Trage. Warum war Artemis hier? Sie sprach, aber er konnte sie nicht hören. Seine Arme waren am Körper, eingeschlagen in eine Decke. Er konnte sich nicht bewegen. Warum stellte nicht jemand den Lärm ab?
Freitag, 6. April 1984, abends
Er lag in einem hellerleuchteten Raum, der für Besucher zugänglich war. Er konnte Artemis immer noch sehen, wenn er den Kopf etwas drehte. Sie war weiter entfernt, aber sie war es, dessen war er sich sicher. Vor Schmerz wurde ihm übel. Artemis saß am Ende eines Betts, seines Betts, schaute auf irgendwas. Er war im Bett. Und sie sah fern.
Er war auf einer Unfallstation, schloß er aus den Schildern an der Wand. SPENDE BLUT, stand dort. Er fragte sich, ob er überhaupt noch welches hatte, es fühlte sich nicht so an. Neben Artemis saß eine Krankenschwester. Er schnappte Fetzen ihres Gesprächs auf. Sie sahen eine Sendung auf dem kleinen Gerät in der Zimmerecke, und Artemis erläuterte, wie es gemacht wurde. Er könnte sterben, aber sie würden es nicht merken. Vielleicht starb er bereits, die Kopfschmerzen waren so qualvoll. Irgend etwas ging schief auf dem Bildschirm. Artemis stöhnte.
«Ich hätte diese Sendung machen sollen. In letzter Minute mußte ich Geraldine bitten, sie für mich zu übernehmen, während ich nach...» Sie drehte sich um und zeigte auf Mr. Pringle. «Oh, hallo. Sie sind wach? Was ist eigentlich passiert?»
Er öffnete den Mund, um zu sprechen. Sofort schob ihm die Krankenschwester einen nierenförmigen Napf unter den Schnurrbart.
Eine halbe Stunde später gaben sie ihm eine Tasse Tee. Jetzt hätte er einen Eimer voll gebraucht. Sein Mund war ausgedörrt, der Kopf schmerzte vor rotglühender Pein. Sie hatten seine Brille repariert, wie man es nur in einem Krankenhaus kann — mit dickem rosa Heftpflaster. Sie saß locker auf dem Verband, der den größten Teil seiner Stirn bedeckte. Er wollte nachfühlen, aber sein Arm war zu schwer.
Die Krankenschwester sprach mit Artemis, als sei er nicht im Stande, sie zu hören. «Er wird später einige Beschwerden haben, deshalb gebe ich Ihnen diese. Lassen Sie ihn davon nicht mehr als zwei alle vier Stunden einnehmen, nicht in seinem Alter, ja?»
Die Schwester war dick, sie würde nie hübsch sein — wie ihn das freute! Artemis nickte. «Wann kann er raus?»
O Gott, mußte er auf dem Soziussitz ihres Motorrads mitfahren?
Die Dicke schaute auf ihre Uhr. «Warten Sie noch eine halbe Stunde, dann kann er versuchen, seine alten Stelzen zu gebrauchen. Wir wollen ja nicht, daß er noch einmal umfällt, nicht wahr?»
Weiter hinten im Raum rief ein anderer Leidender. «Bleiben Sie bei ihm!» befahl die Schwester und ging.
«Falls Sie sich das fragen sollten», sagte Artemis, «ich habe Mrs. Bignall angerufen und gesagt, sie brauche sich nicht zu sorgen. Ich sagte, Sie hätten einen leichten Fall erlitten und ich brächte Sie zu einer Untersuchung hierher.»
Leichter Fall! Sein Kopf war gespalten. Eine Hälfte war bestimmt größer als die andere, und sein Schädel konnte keine von beiden mehr umfassen. «Mehr Tee», bettelte er.
«Erst wenn Sie mir erzählt haben, was passiert ist.»
«Bitte!»
«Oh, schon gut.» Sie schaute sich verstohlen um, um zu sehen, ob die Schwester sie beobachtete. «Sie sagte, sie dürften keinen mehr haben. Trinken Sie den Rest von meinem, denn der Teewagen ist verschwunden.» Er ließ die Flüssigkeit über seine Zunge fließen, um die Kehle zu beruhigen.
«Also dann», sagte Artemis drohend, «erzählen Sie.»
Er hob die Hand, um ihre Fragen abzuwehren, weil er selbst eine wichtige hatte. «War jemand da — als Sie mich gefunden haben?»
«Nur Fitz. Er war so bleich wie Sie jetzt. Er kniete neben Ihnen und stammelte irgendwas. Selbstverständlich hatte er nicht versucht, einen Krankenwagen zu rufen. Er dachte nicht daran, etwas Praktisches zu unternehmen.» Irgend etwas irritierte sie.
«Was hat er gesagt? Können Sie sich erinnern?»
«Irgendwas, daß er dort sei, um jemanden zu treffen. Ich glaube, das war es. Er sagte bestimmt, es sei privat, und andere sollten sich nicht einmischen. Ich glaube, er deutete an, Sie seien ihm nach dort gefolgt. Sind Sie?»
Mr. Pringle beging den Fehler, den Kopf zu schütteln.
Artemis war erstaunt. «Es war nicht Fitz, nicht wahr? Er hat es nicht getan, oder? Den Mord? Er ist noch so jung.»
«War sonst noch jemand dort?» konnte Mr. Pringle schließlich fragen.
«Ich glaube, nicht. Ich habe niemanden gesehen. Ich fand Ihren Schirm, daraufhin rief ich Ihren Namen. Ich hörte ein Geräusch und dachte, es käme von oben. Es ist schwer zu sagen, weil jetzt keine Teppiche mehr da sind. Im ganzen Gebäude hallt es stark wider. Sagen Sie, sind Sie gegen irgend etwas gestoßen und umgefallen? Fitz hat nicht... Hat er?»
«Es war dunkel, und ich bin gestolpert», sagte Mr. Pringle fest. «Sagen Sie das bitte jedem, der anfängt, Fragen zu stellen.»
Sie glaubte ihm nicht. Plötzlich sah sie erschrocken aus.
«Es war der Mörder, nicht wahr? War er dort? Hat er es getan?»
«Ich glaube nicht, daß wir spekulieren sollten. Es war dunkel, es könnte ein Zufall gewesen sein.» Er brauchte ihr nichts vorzugaukeln, solange sie es keinem erzählte. Aber er wollte sie nicht erschrecken, sondern nur, daß sie auf der Hut war. «Betrachten Sie es von der freundlichen Seite — ich wurde nicht umgebracht.»
«Da haben Sie aber Glück gehabt. Wenn Fitz oder ich Sie nicht... Selbstverständlich hätte Fitz einen Krankenwagen gerufen. Irgendwann.»
«Sicher, sobald er bemerkt hätte, wie dringend es war.»
Sie organisierte schließlich doch noch ein angemessenes Transportmittel. Er ließ sich vom Fahrer auf das Trittbrett helfen. Fünf alte Damen funkelten ihn böse an. «Wir nehmen keine Fahrgäste mit, nicht nach unserer Therapie.» Mr. Pringle hielt den Umschlag fest, den Artemis ihm mit den restlichen Exemplaren seiner Formulare gegeben hatte. Die schmerzstillenden Tabletten waren in seiner Innentasche. Der Fahrer verstaute den Schirm neben ihm.
«Was ist mit ihm passiert?» fragte eine alte Henne den Mann.
«Er fiel um, als er aus der Kneipe kam», antwortete er fröhlich und zwinkerte Mr. Pringle zu.
Die Alte zog ihren Mantel enger um sich. «Es ist abscheulich, wenn sie ihren Schnaps nicht vertragen können.»
Freitag, 6. April 1984, abends
«Du hast uns ziemlich erschreckt, Liebster. Zieh deinen Pyjama an. Ich habe ihn an der Flasche gewärmt.» Er bewegte sich sehr vorsichtig. Der Schmerz hatte jetzt seine Gelenke erreicht. Er spürte jede gestoßene Stelle. Das Bett. Es lockte verführerisch. Ein elektrisches Feuer brannte im Kamin, und ihm wurde bewußt, daß er ein Invalide war. Die Nachttischlampe — so gedreht, daß er vor dem Licht geschützt war — schien auf eine Teekanne.
Er schlüpfte zwischen die Laken. Zwei Wärmflaschen! Er zog sich Florences alten Schal um die Schultern. Er fühlte sich — verhätschelt. «Trink deinen Tee und versuche nicht zu sprechen», befahl Mavis. «Möchtest du noch eine Tablette?»
«Nein, danke.»
«Artemis hat noch einmal angerufen. Sie hatte vergessen, dir zu sagen, warum sie dich gesucht hat. Rupert hält sich offenbar bei Carl auf. Er ging gestern abend nach der Schlägerei zwischen Carl und Charles zu ihm. Carl bat ihn darum und lud ihn ein, eine Weile bei ihm zu bleiben. Wenn du mich fragst, dieser Carl hat Angst vor Charles, was ich ihm nicht verdenken kann. Er möchte Rupert zum Schutz bei sich haben. Glaubst du, daß Charles es getan hat?»
Mr. Pringle antwortete nicht. Sein Gehirn raste. Rupert war also in Sicherheit, er hätte sich nicht zu sorgen brauchen. Hinzu kam, daß er nicht im Lagerhaus gewesen war.
«Warum bist du dorthin gegangen?» fragte Mavis ruhig. «Hast du Rupert gesucht?»
«Ja.»
«Oh.» Sie bemühte sich, die nächste Frage beiläufig klingen zu lassen. «Bist du gefallen?»
«Nein.»
Sie wartete. Er sagte nichts mehr, sondern trank nur seinen Tee.
«Nun, hier bist du sicher», sagte sie nach einer Weile. «Mit dem unglücklichen Hund im Garten und Tinker im Erdgeschoß könnten nicht einmal die Russen durchkommen. Trink deinen Tee aus und versuche, dich auszuruhen. Du mußt wieder zu Kräften kommen. Wir möchten nicht, daß du morgen die Bestattung verpaßt.» Er schaute sie verblüfft an.
«Christopher Gordon. Er wird um halb elf eingeäschert. Ich habe einen Kranz geschickt.» Sie schloß die Tür.
Er döste. Die elektrischen Feuerkloben schoben ihre Röte unter seine Lider und störten die wirren Gedanken. Er brauchte nicht mehr auf den Grundriß vom Regieraum zu schauen, er sah ihn im Geiste vor sich. Fitz war neben Dorothy gewesen, hinter ihrem Tisch, als dieser umkippte, festgenagelt auf der Redakteursbank. Er hatte nicht gestanden, sondern gesessen, vermutlich halb aufgerichtet, um zu helfen, den Tisch aufzurichten. Was konnte er also auf dieser Höhe gesehen haben?
Mr. Pringle versuchte, sich in die gleiche Position zu versetzen, wie er zwischen sich bewegenden Gestalten auf Monitore starrte. Was hatte Fitz’ Blick gefesselt? Die Gestalt des Mörders war durch andere, die dazwischen gedrängt waren, verborgen gewesen — aber davor? Als der Mörder nach dem Spieker griff? Hatte er gesehen, welche Hand über den Tisch fegte? Oder war es etwas, das nachher auf dem Boden lag? War das, worin der Holzständer eingehüllt war, heruntergefallen, und hatte Fitz es aufgehoben? Papier, ein Stück blutbedecktes Plastik? Höchst unwahrscheinlich. Der Mörder hätte danach gesucht und alles getan, um es wiederzubekommen, er hätte nicht zugelassen, daß ein anderer es behielt. Der Mörder hatte keine Angst zuzuschlagen. Und Fitz verhielt sich bestimmt auffällig, indem er die ganze Zeit über zu Hause blieb.
Mr. Pringle schluckte noch eine Tablette.
Er erwachte am Sonnabend früh um halb fünf, mit einer klaren Idee im Kopf. Der Mörder hatte ein Büro in der obersten Etage des alten Gebäudes gehabt — wo das Licht ebenfalls günstig und die Aussicht ausgezeichnet war. Warum wäre er oder sie sonst dort oben gewesen? Wartend. Die Person hatte die Schritte gehört, gesehen, wer es war, und die Gelegenheit genutzt, genauso wie am Montag abend. Viele Angestellte besuchten immer noch das alte Gebäude. Wenn also jemand dort war, kam das nicht unerwartet. Aber warum durfte Mr. Pringle am Leben bleiben? Bei dem ständigen Kommen und Gehen war es nicht unwahrscheinlich, daß jemand rechtzeitig eintraf, um ihn zu retten.
Er stellte sich vor, wie sein bewußtloser Körper dort lag und der Killer auf ihn herabsah. Trotz der Behaglichkeit seines Betts, fröstelte es Mr. Pringle. War auch das nur eine Warnung gewesen? Wie das Bild? Beim nächstenmal hatte er vielleicht nicht soviel Glück.