![/epubstore/S/L-J-Smith/Die-beute/OEBPS/e9783641107758_i0018.jpg](/epubstore/S/L-J-Smith/Die-beute/OEBPS/e9783641107758_i0018.jpg)
Jennys Haut verbrannte.
Es fühlte sich an, als würde sie in Streifen gehäutet. Sengend, spröde, schwarz, bis die Haut aufplatzte. Verkohlte. Röstete wie Kastanien. Ihr Haar fing Feuer und brannte wie eine Fackel auf ihrem Kopf.
Es war einfach gewesen zu sagen: »Geh durch das Feuer, es ist nur ein Modell, es ist nicht echt.« Aber nachdem sie drin war, verstand sie, was Dee gemeint hatte, als sie sagte, es fühle sich echt an. Hätte sie vorher etwas von dieser Hitze gespürt, hätte sie den Vorschlag niemals gewagt.
Der erste Kontakt mit den Flammen war das Schrecklichste, was Jenny jemals zugestoßen war. Es war qualvoll – und sie geriet in Panik. Sie verlor vollkommen den Kopf. Sie hatte sich geirrt, es war doch keine Illusion, und sie befand sich mitten in einem Feuer. Sie stand in Flammen. Sie musste rennen – rennen –, um davon wegzukommen. Aber sie wusste nicht, in welche Richtung sie rennen sollte. Die tosenden, knisternden, tötenden Flammen waren überall um sie herum und verbrannten sie wie eine Wachspuppe, die in einen Brennofen geworfen worden war, rösteten sie bei lebendigem Leibe.
Ich sterbe, dachte sie in wilder Verzweiflung. Ich sterbe …
Da hörte sie einen schwachen Ruf neben sich: »Kühles-nasses-Gras! Kühles-nasses-Gras!«
Und sie fühlte Toms Hand in ihrer. Tom zog sie weiter, zerrte sie mit sich.
Ich muss es schaffen – für Tom, dachte sie. Wenn ich zusammenbreche, wird er mich nicht verlassen. Er wird ebenfalls sterben. Wir müssen weitergehen …
Sie riss sich zusammen und stapfte verzweifelt durch die Flammen in die Richtung, in die Tom sie führte. Sie betete nur, dass es die richtige Richtung war.
»Natürlich hatte auch sie schreckliche Angst, aber ihre Liebe zu dem Jungen war stärker als ihre Angst …«
»Kühles, nasses Gras!«, rief Tom.
Dann umfing Jenny ein kühler Strom. Sie fiel kopf über, landete auf etwas Hartem – und rollte zusammen mit Tom über den Boden.
Sie waren durch.
Sie lag auf dem Boden von Zachs Garage. Der Beton fühlte sich kalt wie Eis an und sie presste eine Wange darauf. Sie streckte ihren ganzen Körper darauf aus und sog die ersehnte Kälte in sich hinein. Sie hätte sie am liebsten geküsst.
Stattdessen stützte sie sich auf einen Ellbogen auf. Das Garagenlicht brannte und sie konnte Tom sehen. Es ging ihm gut, er öffnete gerade die Augen, und seine Brust hob und senkte sich. Sie küsste ihn.
»Wir haben es geschafft«, flüsterte er, starrte die Decke an und dann sie. Seine Stimme war voller Ehrfurcht. »Wir haben es geschafft. Wir leben tatsächlich noch.«
»Ich weiß! Ich weiß!« Sie umarmte und küsste ihn immer wieder. »Wir leben! Wir leben!« Unbändiger Jubel erfüllte sie. Sie war sich nie darüber bewusst gewesen, wie gut dieses Gefühl war, einfach nur am Leben zu sein – bis sie gedacht hatte, sie würde sterben.
Tom schüttelte den Kopf. »Aber ich meine – es ist unmöglich. Niemand kann ein solches Feuer überleben.«
»Tom …« Sie brach ab und starrte ihn an. »Aber Tom – es war eine Illusion. Du wusstest das doch – nicht wahr?«
»Ähm …« Er schaute sich ziellos um, dann blies er die Wangen auf und sah für einen Moment aus wie Michael. »Eigentlich nicht.«
»Du hast mir nicht geglaubt?«
»Nun …«
»Warum bist du dann mit mir gekommen?«
Er sah sie an, seine Augen waren grün, golden und braun wie Herbstblätter, die in einem Teich kreiselten. »Ich wollte es einfach«, sagte er schlicht. »Was auch immer geschehen würde, ich wollte bei dir sein.«
Jenny starrte ihn an. Wie vom Donner gerührt. Dann flüsterte sie: »Oh, Tom!«
Und dann war sie in seinen Armen und schluchzte atemlos seinen Namen. Nur seinen Namen, wieder und wieder. Sie glaubte, ihr Herz würde zerspringen.
Ich hätte ihn verlieren können. Ich hätte ihn für immer verlieren können. All seinen Mut und seine Güte – all seine Liebe zu mir. Ich hätte ihn verlieren können … Ich hätte mich selbst in Julians Dunkelheit verlieren können.
Nie wieder, dachte sie wild entschlossen, während sie sich an Tom klammerte, damit sie nichts mehr trennen konnte. Schatten werden nie wieder Macht über mich haben. Es war, als hätte das Feuer, das große, reinigende Feuer, alle dunklen Gedanken aus ihr herausgebrannt. Als hätte es den Teil von ihr verbrannt, der auf Julian reagiert hatte, der sich nach seiner Wildheit, nach Gefahr gesehnt hatte. Als hätte es diesen Teil wie ein Opfer genommen. Jetzt da Jenny das Feuer überwunden hatte, fühlte sie sich gereinigt – erneuert. Wie ein Phönix aus der Asche.
Aber die Stärke, die sie aus ihrem Kampf gegen Julian gewonnen hatte, war immer noch in ihr – das hatte sich nicht verändert. Seit sie durch das Feuer gekommen war, war sie sogar noch stärker. Und aufgrund dieser Stärke konnte sie Tom noch mehr lieben. Sie waren einander ebenbürtig. Sie konnten Seite an Seite stehen und keiner würde dem anderen überlegen sein.
Sie wusste jetzt, dass sie ihm bis in alle Ewigkeit vertrauen konnte. Sie hoffte nur, dass er das Gleiche von ihr wusste – oder dass sie es ihm würde beweisen können. Sie freute sich schon darauf, die nächsten Jahrzehnte damit zu verbringen.
Toms Griff um ihre Hand veränderte sich. Er hatte sie so festgehalten, dass es beinahe schmerzte; jetzt drehte er ihre Hand um und zog sich zurück, um sie anzusehen.
Jenny nahm die andere Hand von seiner Schulter.
»Er ist weg«, sagte Tom staunend. »Der Ring.«
»Natürlich«, erwiderte Jenny und zwickte ihn ins Kinn. Es gab nichts mehr, was sie noch überraschen konnte. Alles würde gut werden. »Er ist weg – weil wir gewonnen haben. Ich bin frei. Kennst du jemanden, der eine feste Freundin will, geringer Wartungsaufwand, guter Sinn für Humor?«
»Oh Gott, Jenny.« Seine Arme schlangen sich um sie, als wolle er sie zerquetschen. »Nein, schätze, du wirst eine Kleinanzeige aufgeben müssen«, murmelte er in ihr Haar. »Oh, Thorny, ich liebe dich.«
»Das musst du wohl, schließlich hast du mich Thorny genannt«, sagte Jenny und blinzelte die Tränen weg. »Ich liebe dich auch, Tommy. Für immer und ewig.«
Mitten in ihrer Glückseligkeit stockte sie.
»Wir müssen noch die anderen holen – oh mein Gott!« Ihr Blick war auf die Fotografie an der Wand gefallen.
Sie stand in Flammen.
»Du bleibst hier!« Tom war sofort auf den Beinen und riss sich die Jacke vom Körper. Er streckte die Hand nach dem metallenen Türknauf in dem Bild aus.
»Ich komme mit!«, rief Jenny. Sie packte seine Hand, als er am Knauf zog. »Ohne mich gehst du nirgendwomehr hin …«
Die Dunkelheit verschluckte sie, sog sie in sich hinein – trug sie ins Feuer zurück.
Doch diesmal war es nicht mehr so schlimm. Jenny senkte den Kopf, klammerte sich an Toms Hand und zwang sich erneut, durch die Flammen zu stapfen. In einer Minute wird es vorbei sein, sagte sie sich. In einer Minute vorbei, in einer Minute vorbei …
Und dann war es vorbei. Kühle Luft umfing sie. Dee, Zach, Audrey und Michael standen in einer Reihe, starrten sie an und versuchten, sie aufzufangen, als sie hereinstolperten.
»Siehst du?«, stieß Jenny an Dee gewandt hervor, die ihr am nächsten stand. »Alles nur in eurer Einbildung.«
»Oh Gott, ihr lebt!« Dees Umarmung schmerzte ebenso wie vorher Toms.
»Keine sehr originelle Feststellung«, sagte Tom trocken. »Macht euch auf Folgendes gefasst: Es ist heiß, und es tut weh, aber es tötet euch nicht. Ihr zählt ungefähr bis zehn, dann seid ihr durch. Okay?«
Nur zehn?, dachte Jenny und sackte in Dees Armen ein wenig zusammen. »Es fühlt sich an wie hundert«, gestand sie Dees Schulter.
»Denkt immerzu: ›Kühles, nasses Gras‹«, fuhr Tom fort. »Wie die Feuerläufer, die über glühende Kohlen rennen. Denkt immer daran, geht immer weiter und ihr werdet es schaffen.«
Dee nickte. »Lasst es uns angehen!«
Aber Michaels Augen waren vor Angst weit aufgerissen und Audrey wich einen Schritt zurück. Zach blieb sehr still und sah Jenny an. Dann stieß er den Atem aus.
»Okay«, sagte er schließlich. »Es ist nur eine Illusion. Irrealität, wir kommen.«
»Beeilt euch, schnell«, trieb Tom die anderen an. »Wir müssen hier raus, bevor dieses verdammte Foto völlig verbrennt. Wer weiß, was dann passiert.« Er packte Michael am Sweatshirt, dann nahm er mit festem Griff seine Hand. Die andere Hand streckte er Dee hin.
Jenny schnappte sich Audrey.
»Nein!«, schrie Audrey. »Ich will nicht …«
»Hier entlang!«, rief Tom Michael zu. »Lauf! Direkt geradeaus!« Er versetzte Michael einen Stoß, der ihn vorwärtsstolpern ließ. Dee griff nach Audreys Hand, um sie hinter sich herzuzerren. Jenny stieß Audrey von hinten an und streckte Zach ihre freie Hand hin. Sie spürte, wie sich seine schmalen, starken Finger darum schlossen. Überall um sie herum quoll die Hitze empor.
Und dann war es wie ein wildes Spiel, alle rannten und zogen – Audrey in die falsche Richtung. Feuer drang in Jennys Augen und Ohren. Sie versuchte, bis zehn zu zählen, aber es war unmöglich – ihr Verstand war zu sehr mit dem Kampf beschäftigt, Audrey weiter vorwärtszuzerren.
Feuer und Schmerz und Hitze und das Reißen an ihren Armen …
Dann stolperte Zach.
Jenny wusste nicht, wie es passierte. Plötzlich war ihre Hand leer. Sie tastete wild umher – und fand nichts. Sie drehte den Kopf und schaute verzweifelt hinter sich. Für einen Moment dachte sie, eine schwarze Silhouette in dem orangefarbenen Inferno zu erkennen, doch dann verschlangen die Flammen sie.
Zach …
Sie öffnete den Mund, um zu schreien, und brennende Luft füllte ihre Lungen. Sie würgte. Sie wurde vorwärtsgezogen. Es gab nichts, was sie tun konnte – es sei denn, sie ließ Audrey los. Sie wurde weitergezerrt. Zach musste jetzt weit hinter ihnen sein.
Dann umfing sie erneut ein kühler Strom und sie fiel zu Boden.
Sie landete direkt auf Audrey. Audrey wimmerte. Jenny würgte noch immer, außerstande, Luft zu bekommen.
Ihr war so heiß, sie war so erschöpft und alles tat weh. Ihre Ohren sausten. Ihre Augen und ihre Nase brannten, und als sie versuchte aufzustehen, gaben ihre Beine unter ihr nach.
Aber sie lebte. Und Audrey lebte auch, denn sie machte jede Menge Lärm. Michael lebte, er hustete und würgte und schlug auf seine qualmenden Kleider. Dee lebte, sie hämmerte mit der Faust auf den Betonboden ein und schrie vor Glück.
Tom lebte und er war auf den Beinen. Groß und gut aussehend und ernst.
»Wo ist Zach?«
Jennys Kehle war rau. »Er hat losgelassen«, antwortete sie beinahe flüsternd. »Er ist gestolpert und er hat meine Hand losgelassen …«
Dees Lachen erstarb. Sie starrte auf das Foto an der Wand, an dem die Flammen züngelten.
»Ich konnte ihn nicht festhalten«, murmelte Jenny schuldbewusst. »Ich konnte nicht …«
»Ich werde ihn holen«, stellte Tom fest.
»Bist du verrückt?«, rief Michael. Er brach ab und krümmte sich hustend. Dann spuckte er aus und hob wieder den Kopf. »Bist du total irre? Es wird dich umbringen!«
Audrey hatte sich herumgerollt und betrachtete mit ängstlichen Augen das Foto, die stachligen Wimpern verfilzt.
»Wir sollten einen Feuerlöscher holen …«, begann Dee.
»Nein! Nicht bis wir zurück sind. Es könnte irgendetwas auslösen – die Tür schließen oder so was. Wartet auf uns – wir werden in einer Minute zurück sein.«
Jenny schluckte trocken. Diesmal war das Feuer schlimmer gewesen, es musste mit jeder Sekunde noch schlimmer werden.
Aber Zach, ihr Cousin mit den eindringlichen grauen Augen, war irgendwo in diesem Feuer verloren. Sie konnte ihn nicht einfach zurücklassen …
»Oh Gott«, schluchzte sie. »Tom, ich komme mit dir.« Sie versuchte erneut, aufzustehen, aber ihre Beine wollten ihr einfach nicht gehorchen. Erstaunt blickte sie auf sie hinunter.
»Nein!«, bestimmte Tom. »Dee, kümmere dich um sie!«
»Tom …«, schrie Jenny.
»Ich werde zurückkommen. Ich verspreche es.«
Er griff in das Bild – zog am Türknauf – und verschwand einfach. Die Flammen schossen heraus und schienen ihn wie gierige Hände zu packen und hineinzuzerren. Er war fort – und das Foto brannte.
Jeder Zentimeter brannte jetzt und die Flammen breiteten sich immer noch weiter aus. Sie flackerten so hoch, dass Jenny zu jedem anderen Zeitpunkt Angst um Zachs Haus gehabt hätte. Noch nie zuvor hatte sie ein so hohes unkontrolliertes Feuer gesehen.
Doch in diesem Moment interessierte sie sich nur für die Fotografie. Sie brannte lichterloh. Unter den Flammen verblasste das Bild, wurde schwarz, schälte sich ab.
»Nein!«, schrie sie. »Tom! Tom!«
»Wir müssen Wasser holen!«, rief Dee.
»Nein! Er hat gesagt, wir sollen nicht … oh, Tom!«
Es verbrannte. Verbrannte bis zur Unkenntlichkeit. Verwandelte sich in eine schwarze, gewellte Masse. Die Pyramide aus Tischen verschwand unter den Flammen, die über sie leckten. Die Tür war jetzt fort. Das Ausgangsschild weg.
»Tommieeee!«
Dees starke Hände hielten Jenny zurück, hinderten sie daran, in das Foto zu springen. Es hatte ohnehin keinen Sinn. Da war kein Knauf mehr, der aus dem Bild ragte. Es war überhaupt nichts mehr übrig.
Die Flammen erstarben allmählich, nachdem sie den letzten Rest des Fotos verzehrt hatten. Ein paar Stücke davon fielen herunter. Andere Fetzen schwebten erst in der Luft und dann langsam zu Boden. Funken sprühten bis an die Decke.
Und dann hing nur noch ein verkohltes, schwelendes Rechteck an der Wand.
Jenny fiel auf die Knie, die Hände vors Gesicht geschlagen. Sie hatte selbst nicht gewusst, dass sie solche Laute von sich geben konnte.
»Jenny, nein. Nein. Oh Gott, Jenny, bitte, hör auf.« Dee weinte ebenfalls, Tränen tropften auf ihren Hals. Dee, die niemals weinte. Audrey kroch von der anderen Seite herbei und schlang die Arme um sie beide. Alle schluchzten.
»Hört mal, ihr drei – tut das nicht«, keuchte Michael. Jenny spürte noch ein Paar Arme um ihre Taille und versuchte, sie alle abzuschütteln. »Jenny – Jenny, es ist vielleicht nicht so schlimm. Er hat es vielleicht auf die andere Seite geschafft. Wenn er es in die Cafeteria geschafft hat, ist alles in Ordnung mit ihm.«
Jenny konnte nicht aufhören zu schluchzen, aber sie hob leicht den Kopf. Michaels Gesicht war schmutzig, ängstlich und todernst.
»Lasst uns nachdenken. Es hat mehr als zehn Sekunden gedauert, bis das Bild verbrannt war. Und ohne uns konnte er viel schneller laufen. Also hat er es wahrscheinlich tatsächlich auf die andere Seite geschafft – und das bedeutet zumindest, dass er lebt.«
Jennys Körper zitterte. »Aber … aber Zach …«
»Er hat es vielleicht ebenfalls geschafft«, sagte Michael verzweifelt. »Es geht ihm vielleicht gut.«
Jenny sah zu ihm auf. Das Zittern war immer noch da, wurde aber schwächer. Sie fühlte sich wieder etwas verbundener mit der Welt um sie herum. »Wirklich?«, wisperte sie. »Denkst du das?«
Genau in diesem Moment gab Dee einen seltsamen Laut von sich, als hätte sie etwas gebissen.
»Seht nur!«, rief sie.
Jenny wandte den Kopf und folgte Dees Blick. Dann stieß sie ein Zischen aus und drehte sich ganz herum, um die Fotografie anzustarren.
Auf der rußschwarzen Oberfläche erschienen Buchstaben, genauso wie auf Michaels Fenster in diesem unnatürlichen Eis Buchstaben erschienen waren. Nur dass diese hier anmutig geschwungen waren, eine fließende Schrift bildeten, die quer über das Bild lief. Als würden sie von einem riesigen Kalligrafiepinsel gemalt. Sie glühten rot wie Kohlen, umgeben von Rauchschwaden.
Eure Freunde sind bei mir – in der Schattenwelt. Wenn ihr sie zurückhaben wollt, kommt mit mir auf eine Schatzsuche. Aber vergesst nicht: Wenn ihr verliert, bekommt der Teufel den Preis.
»Oh nein«, flüsterte Michael.
»Aber sie sind nicht tot«, sagte Audrey zittrig. Die roten Buchstaben verblassten bereits wieder. »Seht ihr, sie sind nicht tot. Julian behält sie, um mit ihnen zu feilschen.«
»Gott.« Das war alles, was Dee sagte.
Jenny hockte sich hin, sie bewegte ihre Finger, öffnete und schloss ihre Hände, bereitete sie zum Handeln vor. Sie dachte an die Schattenwelt, an das wirbelnde Eis und die Dunkelheit in dem Schrank und an die grausamen, uralten, hungrigen Augen. Tom war irgendwo unter diesen Augen, genau wie ihr Cousin.
Sie wusste es – aber sie zitterte nicht länger. Ihre Schwäche und Verwirrung hatten sich aufgelöst. Sie hatte die Herausforderung vernommen und verstanden.
Jetzt hatte sie keine Angst mehr vor Julian. Sie war stärker als je zuvor – stärker, als sie es je für möglich gehalten hätte. Und sie wusste, was sie tun musste.
»Richtig«, sagte sie und hörte ihre eigene Stimme, klar und kalt wie ein Trompetenstoß. »Er will ein neues Spiel? Er wird es bekommen. Ich weiß jetzt, dass ich ihn schlagen kann.«
»Jenny …«, begann Michael und sah sie furchtsam an.
Jenny schüttelte den Kopf und straffte die Schultern. »Ich kann ihn schlagen«, wiederholte sie mit absoluter Gewissheit. An das qualmende Foto gewandt, das wieder leer und vollkommen schwarz war, sagte sie: »En garde, Julian. Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist.«