12. KAPITEL

Rome ging mit Sarah ins Bett, hielt sie zum ersten Mal seit Monaten zärtlich in den Armen und küsste sie immer wieder. Sie kuschelte sich an ihn und wünschte, die sechs Wochen, die gerade erst begonnen hatten, wären schon vorüber. Sie streichelte seinen festen, muskulösen Körper und flüsterte: „Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch. Nie wieder lasse ich dich getrennt von mir schlafen.“

Sarah schlummerte zufrieden ein, erwachte aber beim leisesten Schrei von Missy. Vorsichtig schlüpfte sie aus dem Bett und schlich ins Kinderzimmer. Sie wechselte die Windel, setzte sich dann in den Schaukelstuhl und stillte. Missy war ein ruhiges Baby und schlief wieder ein, sobald ihr Magen gefüllt war. Sanft legte Sarah sie zurück in die Wiege, kehrte in ihr Bett zurück und kuschelte sich an Romes Rücken.

Er rührte sich nicht, aber er war wach und starrte mit weit geöffneten Augen steinern an die Wand.

Sarah brachte Missy stets ins Bett, bevor Rome nach Hause kam. Die Tür zum Kinderzimmer war während seiner Anwesenheit immer geschlossen, und er fragte nie nach dem Baby. Er hatte ihr gesagt, dass es so sein würde, aber nun erst erkannte sie, wie schwierig diese Situation für sie war. Sie war so stolz auf Missy und konnte einfach nicht begreifen, dass er keinerlei Interesse zeigte. Sie ermahnte sich jedoch, dass der nächste Schritt bei ihm lag, dass sie ihn nicht zwingen konnte.

Andere Leute waren nicht so zurückhaltend. Max kam eines Abends zum Dinner und bestand darauf, das Baby zu sehen. Mit einem hilflosen Blick in Romes verschlossenes Gesicht führte sie Max ins Kinderzimmer. Marcie und Derek kamen häufig zu Besuch und scheuten sich nicht, vor Rome über Missy zu reden, sodass er unweigerlich hörte, wie wundervoll seine Tochter war. Er wusste, dass sie sehr rasch wuchs und bereits Personen erkannte.

Er versuchte, nicht an das Baby zu denken, aber eine schmerzliche Neugier ergriff ihn jedes Mal, wenn Sarah mitten in der Nacht aufstand und ins Kinderzimmer ging. Manchmal spielte er mit dem Gedanken, ihr nachzuschleichen und hineinzuspähen, aber jedes Mal brach ihm kalter Schweiß aus. Er konnte kein Baby verkraften. Es konnte Justin oder Shane nicht ersetzen. Er durfte das Risiko nicht eingehen.

Er dachte oft an seine Söhne, als Weihnachten näher rückte. Ein weiteres Fest ohne sie. Es war sein zweites Weihnachten mit Sarah, und weil er sie hatte, war der Kummer fast vergangen, war erträglich geworden. Er konnte an Justin und Shane denken und sich an die schönen Zeiten erinnern. Diane war ferner gerückt. Sarah war seine Gegenwart, und sein heftiges Verlangen nach ihr ließ die Beziehung zu Diane mehr und mehr verblassen, denn seine Liebesfähigkeit war durch Sarahs sanfte Zärtlichkeit unendlich gestiegen.

Eines Abends in der zweiten Dezemberwoche kuschelte Sarah sich wie gewöhnlich in seine Arme und bettete den Kopf an seine Schulter. „Ab morgen gehe ich wieder ins Geschäft“, verkündete sie beiläufig.

Er knipste die Lampe an, stützte sich auf einen Ellbogen und musterte sie forschend. „Hat Dr. Easterwood dich für kräftig genug er klärt?“

„Ja. Ich war heute zur Untersuchung.“ Sie schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln.

„Warum hast du dann ein Nachthemd angezogen?“

„Damit du es mir ausziehen kannst.“

Und das ließ sich Rome nicht zweimal sagen. Er ging sehr behutsam mit ihr um, steigerte geduldig ihre Bereitschaft, bevor er vorsichtig in sie eindrang. Ihr stockte der Atem. Es war schon so lange her! Sie klammerte sich an ihn, zitterte vor beinahe unerträglichem Verlangen. Er erforschte ihren Körper, erfreute sich an der Üppigkeit ihrer Brüste, streichelte sie aufreizend. Sarah verlor jeglichen Sinn für die Realität, wurde davongetragen in eine andere Welt, in der nur er existierte.

Am nächsten Tag im Geschäft wurde Missy von allen Kunden gebührend bewundert. Sarah achtete darauf, nicht zu übertreiben, und fuhr früh wieder nach Hause. Doch der Ausflug hatte beide ermüdet. Sie legte Missy in die Wiege und ging dann selbst ins Bett, um ein kleines Nickerchen zu halten.

Missys Geschrei weckte sie. Die zunehmende Dämmerung verriet ihr, dass sie länger als beabsichtigt geschlafen hatte und Rome bald nach Hause kommen würde. Sie setzte sich in den Schaukelstuhl und stillte Missy.

Sie hörte Rome nicht kommen, aber sie spürte plötzlich seine Gegenwart und blickte erschrocken zur Tür. Er stand auf der Schwelle. Sein Blick ruhte auf dem Baby in ihren Armen. Er konnte nichts sehen als Missys Hinterkopf und eine winzige Hand, die Sarahs Brust knetete, aber sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Ohne ein Wort wandte er sich ab und ging davon.

„Ich habe mich hingelegt und verschlafen“, erklärte sie entschuldigend, nachdem sie Missy wieder in ihre Wiege gelegt und das Kinderzimmer verlassen hatte.

Seine Schultern wirkten verspannt, aber er verlor kein Wort über Missy. „Der Ausflug ins Geschäft hat dich sehr angestrengt, stimmt’s?“, bemerkte er stattdessen.

„Ja, und es ist so albern, weil ich überhaupt nichts getan habe“, erwiderte sie verärgert.

„Du musst dich erst wieder daran gewöhnen. Ich möchte, dass du nicht übertreibst und dich schonst.“

Doch bei Sarah gab es natürlich keine Schonung. Voller Enthusiasmus stürzte sie sich wieder in die Arbeit. Sie achtete allerdings stets darauf, früh genug nach Hause zu fahren und Missy ins Bett zu bringen, bevor Rome eintraf. Doch Missy wurde mit jedem Tag munterer und blieb länger wach.

Nach einem besonders anstrengenden Tag schlief Sarah ein, sobald ihr Kopf das Kissen berührte. Rome lag neben ihr und war selbst beinahe eingeschlafen, als er das Baby schreien hörte. Er erstarrte und wartete, dass Sarah aufwachte. Doch sie schlief weiter.

Er wusste, dass sie das Baby irgendwann hören und es versorgen würde, aber er wusste nicht, ob er das Geschrei so lange ertragen konnte. Einen Moment später erkannte er, dass er es nicht konnte. Er wollte Sarah wachrütteln, doch irgendetwas hielt ihn zurück. Vielleicht war es ihr Gesicht, das im Schlaf so friedlich wirkte. Vielleicht lag es an all den Nächten in vergangenen Jahren, in denen er verschlafenen Rufen nach Daddy gefolgt war. Aus welchem Grund auch immer, er stand auf und ging hinaus auf den Flur.

Überrascht stellte er fest, dass er zitterte, dass ihm Schweiß über den Rücken rann. Es ist nur ein Baby, sagte er sich. Nur ein Baby.

Er öffnete die Tür. Seine Kehle war wie zugeschnürt, und er rang nach Atem. Eine kleine Nachtlampe brannte neben der Wiege, sodass er das Kind sehen konnte, das sich in einen Wutanfall hineingesteigert hatte. Die winzigen Hände fuchtelten wild, die Beine waren angezogen, und es schrie aus Leibeskräften. Missy war es gewöhnt, sofort versorgt zu werden, und hatte nicht die Absicht, diese unerklärliche Verzögerung zu tolerieren.

Rome schluckte und näherte sich langsam der Wiege. Sie war noch so klein, dass ihre Wut grotesk wirkte. Ein Mädchen … Er hatte ein Mädchen. Doch was wusste er eigentlich von weiblichen Babys?

Zitternd schob er seine großen Hände unter den kleinen Körper, hob ihn hoch und wunderte sich, wie leicht er war. Missy beruhigte sich sehr schnell, als er ihr geschickt die Windel wechselte. Er wollte sie gerade wieder in die Wiege legen, als sie einen gurrenden Laut ausstieß. Er erschrak, ließ sie beinahe fallen. Er schaute sie an und erstarrte, als sie vertrauensvoll und strahlend zu ihm aufblickte.

Es war nicht fair. Er hatte sie gemieden, sie nicht einmal angesehen, doch ihr war das einerlei. Sie weinte nicht, fürchtete sich nicht in seinen großen fremden Händen.

Fasziniert starrte er auf das schwarze Haar, die fast schwarzen Augen. Der weiche, sanfte Mund war von Sarah, aber alles andere an ihr war eine weibliche Version seiner selbst. Sie war in Liebe gezeugt worden, war ein Teil von Sarah, ein Teil von ihm. Und er hatte ihr Leben zerstören wollen, noch bevor es überhaupt begann.

Er sank auf die Knie, beugte sich über sie und weinte.

Sarah wachte auf, tastete mit einer Hand nach Rome und fand nur das leere Kissen. Ein seltsamer erstickter Laut drang an ihre Ohren. „Rome?“, flüsterte sie, aber sie erhielt keine Antwort.

Hastig stand sie auf, schlüpfte in den Bademantel und trat hinaus auf den Flur. Nirgendwo brannte Licht. Dann hörte sie das Geräusch erneut. Es kam aus dem Kinderzimmer. Erschrocken lief sie hinüber. Sie blieb abrupt in der Tür stehen, als sie Rome auf dem Fußboden knien sah, mit Missy in den Armen.

Sarah erkannte, dass die erstickten Laute von ihm kamen. Sie wollte zu ihm gehen, die Arme um ihn schlingen und ihn in seinem Kummer trösten. Kummer um die Söhne, die er verloren hatte, Kummer um das Kind, das er nicht gewollt hatte. Doch es war ein persönlicher Moment der Bekanntschaft mit seiner Tochter, und Sarah ging leise zurück ins Bett.

Es dauerte lange, bis Rome zurückkam. Sie spürte, dass er keinen Schlaf fand, aber sie hielt sich zurück. Er focht einen inneren Kampf, und sie konnte ihm nicht helfen.

Er erwähnte den Zwischenfall früh nicht, aber sie spürte eine Ruhe in ihm, einen Frieden, der zuvor nicht existiert hatte. Er ging ins Büro, und Sarah fuhr mit Missy ins Geschäft.

Derek kam nach Schulschluss, hob Missy aus ihrem Wagen und küsste sie auf die Wange. Er blickte Sarah an und fragte: „Es wird alles gut für Sie, stimmt’s?“

„Ja, ich glaube. Woher weißt du das?“

„Ich sehe es Ihnen an.“ Er lächelte voller Zuneigung. „Ich wusste, dass er ihr nicht lange widerstehen kann.“

Sarah beobachtete, wie er Missy auf starken Armen durch das Geschäft trug, ihr all die bunten Gegenstände zeigte und mit ihr redete, als könnte sie jedes Wort verstehen. Und vielleicht verstand sie ihn wirklich.

Sarah wich nicht von ihrer Routine ab. Missy schlief fest, als Rome aus dem Büro nach Hause kam. Sie aßen wie gewöhnlich, unterhielten sich ungezwungen. Sie las, während er einige Berichte durchging. Dann sah sie nach Missy und ging ins Bett.

Rome kam aus dem Badezimmer, legte sich zu ihr und gab ihr einen raschen Kuss. „Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich dich liebe“, murmelte er.

„Versuche es.“

Er lachte, beugte sich über sie und küsste sie mit wachsendem Verlangen. Sein Liebesspiel war unglaublich zärtlich und intensiv. Er hielt sich zurück, befriedigte sie, bevor er sich gehen ließ, und hielt sie dann im Arm, bis sie einschlief.

Missy erwachte in den frühen Morgenstunden und wollte gefüttert werden. Bevor Sarah aufstehen konnte, warf Rome die Decke zurück. „Bleib hier“, sagte er. „Ich hole sie.“

Einen Moment später kam er mit Missy zurück. Als er sie Sarah reichte, sagte er: „Du weißt es, oder? Du bist letzte Nacht aufgewacht, nicht wahr?“

„Ja, ich weiß es.“ All ihre Liebe zu ihm sprach aus ihrem Blick.

„Du müsstest mich hassen für das, was ich tun wollte.“

„Nein. Du hast gelitten. Ich habe verstanden, dass du dich nur schützen wolltest.“

Er beobachtete Missy, und seine Miene wurde ergreifend zärtlich. Mit einem Finger strich er ihr sanft über die Wange. „Sie ist mehr, als ich verdient habe. Ich habe in jeder Beziehung eine zweite Chance erhalten.“

Nein, keine zweite Chance, sondern ein zweites Wunder. Die Liebe hatte ihm die Freude am Leben zurückgebracht. Die Wunden, die ihm der Verlust der geliebten Menschen zugefügt hatte, waren verheilt, auch wenn die Narben blieben. Rome konnte wieder lachen und das Leben genießen. Er konnte sein Kind aufwachsen sehen, sich an ihrem Lachen, ihrer Unschuld und ihrer Begeisterung erfreuen und seinem zweiten Wunder von ganzem Herzen seine Liebe schenken.

Er beugte sich zu Sarah und küsste sie voller Leidenschaft. Sobald Missy gestillt und wieder ins Bett gebracht war, wollte er erneut mit seiner Frau schlafen, um ihr zu zeigen, wie sehr er sie liebte. Sie war sein erstes Wunder, das ihm den Sonnenschein zurückgebracht hatte.

– ENDE –