XXV

 

 

Die dämlichen Kerle arbeiteten nach wie vor die Besucherliste einzeln ab. Der Epiker war der Nächste, der bei mir auftauchte. Er gefiel mir recht gut. Euschemon hatte ihn als langweilig bezeichnet. Vielleicht traf das auf seine Dichtkunst zu, aber zum Glück musste ich das Zeug ja nicht lesen. Einer der merkwürdigen Zufälle des Lebens – Autoren, die einem als Menschen gefallen, erkennen irgendwie nicht, wo ihre Stärke liegt, bestehen aber darauf, eine Schriftrolle nach der anderen mit absolut ödem Gelaber zu füllen.

Inzwischen war es früher Abend. Rom schimmerte nach einem langen heißen Tag. Die Menschen wurden wieder lebendig, nachdem sie sich völlig ausgelaugt gefühlt hatten. Rauch aus den Schornsteinen der Thermen vermischte sich mit den Gerüchen der Herdfeuer zu einem feinen Dunst. Flötistinnen übten. Männer in Ladeneingängen begrüßten einander mit einem Grinsen, das darauf hindeutete, dass sie was ausgefressen hatten – oder es für später planten. Frauen schrien in den höher gelegenen Räumen Kinder an. Wirklich alte Frauen, die keine Kinder mehr zum Rumkommandieren hatten, standen an ihren Fenstern und beobachteten die Männer, die nichts Gutes im Schilde führten.

Ich hatte das Ende des Clivus Publicus allein erreicht. Helena war zu Maia gegangen, um Julia abzuholen. Wir hatten uns einander so nahe gefühlt, dass wir uns nicht trennen wollten. Aber die Arbeit rief.

Jetzt war ich in ruhiger Stimmung. Nachdem ich nun schon seit Jahren ein und dieselbe Frau liebte, hatte ich die Panik überwunden, von ihr zurückgewiesen zu werden, und war auch über das hektische Stadium der Eroberung hinaus. Helena Justina war die Frau, deren Liebe mich immer noch ergriff. Danach besuchte ich ein Badehaus, in dem mich niemand kannte, weil ich keine Lust hatte, mich zu unterhalten. Eine Unterhaltung mit Chrysippus’ Lohnschreibern war zwar auch nicht das, worauf ich scharf war, aber es musste getan werden.

Daher war es eine angenehme Überraschung, dass der Nächste sich die Mühe machte, aufzutauchen, und mir auch noch zusagte.

Constrictus war älter als die drei, die ich schon kannte, mindestens Ende fünfzig. Trotzdem sah er flott und munter aus – frischer, als ich nach Scrutators Behauptung, der Mann würde zu tief in die Amphore schauen, erwartet hatte. Natürlich hatte der großspurige Scrutator mit seinem Fundus zweideutiger Geschichten Spuren eigener Ausschweifungen gezeigt.

»Kommen Sie herein.« Ich beschloss, mich nicht darüber zu beschweren, dass er bereits am Vormittag hätte erscheinen sollen. »Ich bin Falco, wie Sie sicher schon wissen.« Falls Turius und die beiden anderen ihn gewarnt hatten, ich sei schauerlich im Umgang, verbarg er sein Entsetzen tapfer. »Sie sind der Epiker?«

»Oh, nicht nur Epen. Ich versuche mich an allem.«

»Promiskuitiv, was?«

»Um mit dem Schreiben Geld zu verdienen, muss man alles verkaufen, was geht.«

»Was ist mit dem Schreiben aus eigener Erfahrung passiert?«

»Pure Selbstbefriedigung.«

»Tja, mir wurde gesagt, dass große historische Tableaus Ihr eigentliches Genre sind.«

»Zu abgedroschen. Kein unangezapftes Quellenmaterial mehr übrig«, stöhnte er. Das war mir bereits als Problem bei Rutilius Gallicus und seinen heroischen Banalitäten aufgefallen. »Und ehrlich gesagt«, vertraute Constrictus mir an, »muss ich kotzen, wenn ich ständig herausposaune, dass unsere Vorfahren perfekte Schweine in einem makellosen Stall waren. Sie waren genauso faule Scheißer wie wir.« Er sah mich ernst an. »Was ich wirklich schreiben möchte, sind Liebesgedichte.«

»War das ein Streitpunkt mit Chrysippus?«

»Eigentlich nicht. Er hätte liebend gern den neuen Catull entdeckt. Das Problem ist nur, Falco, die passende Frau zu finden, an die man die Gedichte richtet. Entweder ist es eine Prostituierte – und wer will sich schon mit hilfloser Vernarrtheit in eine dieser heutigen Dämchen herumquälen? Prostituierte sind nicht mehr das, was sie mal waren. Nie würde man eine moderne Version der süßen Ipsiphyle finden.«

»Die Huren sind genauso heruntergekommen wie die Helden?«, meinte ich mitfühlend. »Klingt wie ein gutes Lamento!«

»Oder man hat die Alternative, einer hoch stehenden, wunderbar amoralischen Hexe zu verfallen, die Skandale anzieht und gefährliche, einflussreiche Verwandte hat.«

»Clodia ist schon lange tot.« Catulls berühmte hochgeborene Vettel mit dem toten Sperling als Schoßtier war der Skandal einer anderen Generation. »Was auch besser so ist, wie manche sagen würden. Mit besonderem Dank, dass Rom von ihrem Bruder befreit wurde, diesem reichen Banditen. Sind heutige Senatorenfamilien zu feinsinnig, um so ein schlimmes Mädchen hervorzubringen?«

»Jupiter, ja!«, lamentierte der Dichter. »Selbst Mädchen, die Spaß haben wollen, sind nicht mehr das, was sie waren. Und wenn man einen Glückstreffer landet, will die dämliche Frau nicht mitmachen. Ich habe eine Gespielin gefunden mit Namen Melpomene, ein entzückendes Wesen; ich hätte mich ihr ganz hingeben können. Im Bett hat es ganz toll geklappt. Doch als ich ihr erklärte, sie müsse Schluss mit mir machen, sonst würde meine Arbeit leiden, fing sie an zu heulen. Und mit was kommt sie mir – hören Sie sich das an, Falco! Sie sagte, sie liebt mich wirklich und könnte es nicht ertragen, mich zu verlieren, und warum sei ich so grausam zu ihr

Ich nickte mehr oder weniger mitfühlend, obwohl ich annahm, dass er Spaß machte. »Schwierig, metaphorisch in Schweiß zu geraten über aufrichtige Treue.«

Mit tatsächlichem Abscheu rief Constrictus aus: »Jupiter, stellen Sie sich das vor: eine Ekloge an eine Nymphe, die Sie will, eine Ode über ein gemeinsames Leben!«

Einen Augenblick lang musste ich an Helena denken. Das brachte mich weit von diesem scharfzüngigen, unglücklichen Lyriker weg.

»Sie könnten eine Satire daraus machen«, schlug ich vor, um ihn aufzuheitern. »Wie wär’s damit als Epigramm – Melpomene, erstaunliche Freude meines Herzens, ich möchte sagen: ›Geh nicht‹, aber wenn ich es tue, wirst du an Unterernährung sterben, und der Schlägertrupp des Vermieters wird mich wegen der unbezahlten Miete in der Gosse verrecken lassen. Dichtung ist auf Elend angewiesen. Verlass mich, bitte, und mach’s schnell – oder mein Werk wird sich nicht verkaufen.«

Er war beeindruckt. »War das aus dem Stegreif? Sie haben Talent.«

»Momentan«, sagte ich offen, »benutze ich meine kreativen Fähigkeiten dazu, eine Anklage zusammenzuschustern. Würde es Ihnen was ausmachen, mir ein Motiv zu nennen, damit ich Sie für das Totprügeln Ihres Verlegers verhaften kann? Ein volles Geständnis wäre hilfreich, wenn Sie das schaffen könnten. Dafür krieg ich ein Zusatzhonorar.«

Constrictus wurde wieder bedrückt. »Ich hab’s nicht getan. Ich wünschte, es wäre mir eingefallen. Das gebe ich offen zu. Dann hätte ich eine Reihe tragischer Dialoge schreiben können, voll mit autobiografischer Unmoral – das verkauft sich immer. Städtische Georgika. Kein Lamento für jene, denen Land genommen wurde, sondern für die, die gegen die städtische Gleichgültigkeit und Brutalität ankämpfen …«

Er gab sich der Art spekulativer Träumerei hin, die den ganzen Nachmittag anhalten konnte. Wenn sich Autoren vorzustellen beginnen, was sie hätten schreiben können, wird es Zeit, sie zu unterbrechen.

»Hören Sie«, sagte ich, wobei mir bewusst war, dass ich bisher zu freundlich geklungen hatte, »ich muss Ihnen die üblichen Fragen stellen. Sie haben Chrysippus gestern hier besucht. Ich gehe davon aus, dass er bei Ihrer Ankunft noch lebte. Können Sie mir versichern, dass dasselbe auch noch bei Ihrem Weggang der Fall war?«

»Wenn Sie es als ›Leben‹ betrachten, ein parasitärer Blutsauger zu sein. Wenn das die akzeptierte Terminologie in Ihrem Berufszweig ist, Falco.«

Ich grinste. »Ermittler sind für lockere Definitionen bekannt. Die Hälfte meiner ›Klienten‹ sind wandelnde Geister. Meine ›Honorare‹ pflegen nach dem Maßstab der meisten Leute ebenfalls substanzlos zu sein. Raus damit. Hätte ein Arzt diesen Mann als gesund diagnostiziert?«

»Leider ja.«

»Danke. Daraus schließe ich, dass Sie ihn nicht getötet haben. Wie Sie sehen, ist die meine eine stark vereinfachende Kunst. Also, persönliche Einzelheiten über den Schauplatz, bitte. Ist Ihnen sonst noch jemand hier begegnet?«

»Nein.« Er konnte auch vernünftig antworten. Schade. Vorher hatte ich ihn wirklich gemocht. Wenn er ein total Verrückter gewesen wäre, hätten wir sogar Freunde werden können.

»Wie langweilig, Constrictus. Sie können also nur über ein freundschaftliches Treffen berichten, nach dem Sie ruhig nach Hause zurückgekehrt sind?« Er nickte. »Und Sie waren daher schockiert und erstaunt, als Sie erfuhren, was hier geschehen war?«

»Erfreut«, gab er unbeschwert zu. »Ungeheuer ermutigt zu entdecken, dass jemand sich von den Ketten befreit und gehandelt hatte. Das kam so unerwartet. Ich habe es als Rache für uns alle betrachtet.«

»Sie sind erfrischend ehrlich«, teilte ich ihm mit. »Jetzt erzählen Sie mir auch ehrlich, zu welchen Bedingungen Sie Klient dieses Patrons waren.«

»Unerträglicher Zwang«, prahlte Constrictus. »Das Überleben macht uns alle zu Helden.«

»Das freut mich zu hören. Sie könnten Ihr Leiden als Forschungsmaterial verwenden.«

»Er bezahlte zu wenig und verlangte zu viel«, fuhr Constrictus fort. »Die Arbeit war erniedrigend – man musste ihm dauernd schmeicheln. Ich hatte es mir zur Regel gemacht, seinen Namen mit mindestens drei lobenden Adjektiven in die erste Zeile zu stellen und zu hoffen, dass er nicht weiterlas. Wollen Sie noch mehr hören? Ich verabscheue meine Kollegen. Ich hasse die Angestellten im Skriptorium. Ich war es leid, jahrelang darauf zu warten, dass mein so genannter Mäzen mir das sprichwörtliche Landgut in den Sabinerbergen gab, auf dem ich Salat essen, die Frau des Bauern vögeln und schreiben konnte.«

Ich sah ihm direkt in die Augen. »Und Sie trinken.«

Ein kurzes Schweigen entstand. Er hatte nicht vor, mir zu antworten.

»Ich finde immer«, sagte ich und versuchte, nicht allzu scheinheilig zu klingen, »dass das Zeug, das ich mit einem Becher neben mir geschrieben habe, im nüchternen Zustand wie der letzte Mist klingt.«

»Dagegen gibt es ein einfaches Mittel«, erwiderte Constrictus heiser. »Nie nüchtern werden!«

Ich schwieg. Mit dreiunddreißig hatte ich längst gelernt, mich nicht mit Männern anzulegen, die ihre Ellbogen am liebsten ständig auf einen Tresen lehnen. Der hier war ein sehr wütender Dichter. Vielleicht waren sie das alle, aber Constrictus ließ es raushängen. Er war bisher der Älteste, den ich kennen gelernt hatte; das konnte etwas damit zu tun haben. Hatte er das Gefühl, die Zeit liefe ihm davon? War er verzweifelt bemüht, einem ansonsten vertanen Leben Substanz zu verleihen? Aber das Trinken ist oft ein Eingeständnis, dass sich nichts jemals ändern wird. Ein Mann in dieser Stimmung würde vermutlich nicht töten – obwohl jeder durch unerwartete zusätzliche Demütigungen zu weit getrieben werden kann.

Ich wechselte das Thema. »Sie sagten, Sie verabscheuen Ihre Kollegen. Führen Sie das genauer aus.«

»Emporkömmlinge und Kleingeister.«

»Ja, das wird alles vertraulich behandelt.« Ich lächelte im Nachhinein.

»Wen kümmert’s? Sie wissen alle, was ich von ihnen halte.«

»Ich muss sagen, dass diejenigen, die ich bisher kennen gelernt habe, ausnahmslos das Potenzial haben, als hoffnungslose Fälle fallen gelassen zu werden.«

»Da irren Sie sich, Falco. Ein hoffnungsloser Fall zu sein ist die wichtigste Voraussetzung, dass das Werk kopiert und verkauft wird.«

»Sie sind sehr bitter. Vielleicht hätten Sie Satiriker werden sollen.«

»Mag sein«, stimmte Constrictus kurz angebunden zu. »Aber in diesem Skriptorium war das Genre von dem ekligen Wichser Scrutator besetzt …« Er unterbrach sich.

»Oh, machen Sie weiter«, ermutigte ich ihn freundlich. »Sie sind jetzt dran. Jeder, den ich bisher befragt habe, reitet den vorherigen Verdächtigen rein. Sie dürfen sich den Satiriker vorknöpfen. Welchen Dreck hat Scrutator am Stecken?«

Constrictus konnte es nicht ertragen, einen guten, spannenden Moment zu verschwenden. »Er hat sich furchtbar mit unserem lieben Patron gestritten – das hat der alte Langweiler doch bestimmt erwähnt?«

»Er war zu sehr damit beschäftigt, mir anzuvertrauen, dass Turius nicht so geistlos ist, wie er aussieht, sondern Chrysippus ziemlich bemerkenswert beleidigt hat.«

»Turius hatte nichts zu verlieren«, maulte Constrictus. »Der hatte sowieso keine Zukunft vor sich.«

»Wenn Turius all das gesagt hat, was Pacuvius ihm unterstellt, hatte Chrysippus allen Grund, ihn anzugreifen, und nicht umgekehrt. Aber welchen Groll hegte Scrutator

»Chrysippus hatte Vorkehrungen getroffen, ihn nach Praeneste zu schicken.«

»Bestrafung? Was gibt es da – ein grandioses Orakel und die grausigen Priester, die ihm dienen?«

»Die Sommervillen einiger eitler Fatzken. Chrysippus wollte sich an einen Freund ranschleimen und bot an, ihm den Vielschwätzer und seine endlosen Spaßgeschichten als Hausdichter für die Ferienzeit zu leihen. Wir waren alle begeistert, ihn los zu sein, aber der liebe, dämliche Scrutator reagierte empfindsam darauf, wie ein Sklave rumgereicht zu werden. Er hat sich geweigert.«

»Chrysippus, der schon zugesagt hatte, wurde daraufhin wütend?«

»Es ließ ihn wie einen Trottel aussehen. Einen Trottel, der seine eigenen Klienten nicht unter Kontrolle hat.«

»Wer war der Freund, den er beeindrucken wollte?«

»Irgendeiner, der mit Schiffsfrachten zu tun hat.«

»Aus der alten Heimat? Ein griechischer Magnat?«

»Glaub schon. Fragen Sie Lucrio.«

»Die Verbindung entstand durch die Bank?«

»Sie kapieren’s allmählich«, sagte Constrictus. Jetzt wurde er frech. Na gut, damit umzugehen fiel mir nicht schwer.

»Ich kann einer Handlung folgen. Ich frage mich nur, wen von den anderen ich anpieksen muss, um von Ihrer dreckigen Wäsche zu erfahren? Oder würden Sie mir lieber Ihre Version mitteilen?«

»Das ist kein Geheimnis.« Wieder wurde die Stimme des Dichters heiser. Obwohl er vorher berichtet hatte, das Treffen sei freundlich verlaufen, erzählte er mir jetzt die Wahrheit: »Ich war zu alt. Chrysippus braucht neues Blut, hat er mir gestern gesagt. Wenn ich nicht sehr rasch etwas Besonderes produzierte, gedachte er mir die Unterstützung zu streichen.«

»Das ist hart.«

»Schicksal, Falco. Früher oder später musste das passieren. Erfolgreiche Dichter klauben sich eine Pension zusammen, verlassen Rom und ziehen sich als berühmte Männer in ihre Heimatstadt zurück, wo sie – berührt von dem Zauber der Goldenen Stadt – unter dem ländlichen Abschaum hervorstechen. Sie gehen, während sie es noch genießen können; in meinem Alter hat sich ein erfolgreicher Mann längst davongemacht. Ein erfolgloser kann nur darauf hoffen, den Kaiser durch einen sexuellen Skandal zu beleidigen, dann zu einer Gefängnisstrafe am Rande des Imperiums verurteilt zu werden, wo man ihn mit täglichen Rationen am Leben hält, damit seine jammervollen Briefe nach Hause den Triumph der Tugendhaftigkeit bestätigen … Vespasians Weibervolk muss langsam mal anfangen zügellose Affären mit Dichtern zu haben.« Er rieb sich einen arthritischen Knöchel. »Ich werde zu alt sein, die Weiber zu befriedigen, wenn sie sich noch länger Zeit nehmen.«

»Ich lasse im Goldenen Haus durchblicken, dass es hier einen Dichter für Liebesverse gibt, der an einem Salonskandal beteiligt sein möchte …« In seinem Alter ohne Rücklagen dazustehen, konnte nicht spaßig sein. »Wie sieht es mit Ihren Finanzen aus?«, fragte ich.

Er wusste, warum ich die Frage stellte. Ein Mann, der plötzlich in tiefste Armut gestürzt wird, konnte durchaus gewalttätig reagiert haben, wenn ihm sein mitleidloser Patron in seiner eleganten griechischen Bibliothek die Neuigkeit mitteilte. Constrictus genoss es, mich darüber zu informieren, dass er über diesen Verdacht erhaben war. »Ich verfüge über ein kleines Erbe von meiner Großmutter, das mir zum Leben reicht.«

»Nett.«

»Was für eine Erleichterung.«

»Wäscht Sie auch vom Verdacht rein.«

»Und der Zeitpunkt ist so günstig«, stimmte er zu.

Zu günstig?

Als ich ihn wegen der Uhrzeit befragte, war er der Erste, der mir erzählte, gestern beim Verlassen der Bibliothek im Vorraum das Tablett mit Chrysippus’ Mittagsmahl gesehen zu haben. Konnte gut sein, dass er der letzte Besucher vor dem Mord gewesen war. Ehrlich von ihm, das zuzugeben. Ehrlich – oder nur unverfroren?

Ich ließ ihn einen Blick auf den Tisch mit den Füßen aus rot gesprenkeltem phrygischem Marmor werfen. »Wann haben Sie zum letzten Mal Nesselpastete probiert?«

»Wie bitte?«

»Sind Sie an den Tisch getreten, Constrictus? Haben Sie etwas von dem Tablett genommen?«

»Nein, hab ich nicht!« Er lachte. »Ich hätte befürchtet, dass ein vernünftiger Mensch die Speisen vergiftet hatte. Außerdem gibt es eine recht anständige Popina draußen auf dem Clivus. Ich bin rübergegangen und hab dort einen Happen gegessen.«

»Haben Sie einen Ihrer Kollegen gesehen?«

»Nicht am Morgen des Todestages.« Er starrte mich an, sehr viel kühner als die anderen. »Natürlich haben sich die meisten von uns am Nachmittag getroffen, nachdem wir gehört hatten, was passiert war, und besprochen, was wir Ihnen sagen würden.«

»Ja, das habe ich mir bereits gedacht«, erwiderte ich ruhig.

Ich ließ ihn gehen. Er wollte zu gerissen sein. Ich hatte ihn gemocht, was mehr war, als ich über den Historiker, den Utopisten oder den Satiriker sagen konnte – doch ich traute keinem von ihnen.

Jetzt blieb nur noch einer von der Liste übrig, Urbanus, der Dramatiker. Die Zeit wurde knapp, und ich wollte nicht warten, bis er zu erscheinen geruhte. Da Passus mir die Adresse beschafft hatte, ging ich zu Urbanus’ Wohnung. Er war nicht da. Vermutlich im Theater oder in einer Schenke voller Schauspieler und Zweitbesetzungen. Ich hatte keine Lust, auf die Suche zu gehen oder zu warten, bis er heimkam.