XXXIII

 

 

 

Ich hatte zugeschaut, wie die beiden Männer geschnappt wurden. Petronius und ich hatten das ›Ganymed‹ durchsucht: kein Glück. Falls dort jemals Geld oder etwas anderes verwahrt worden war, hatte man es vor kurzem entfernt. In dem Raum, in dem Spleiß und Pyro gehaust hatten, fanden wir nur ein paar persönliche, ziemlich bescheidene Besitztümer.

Fluchend machten wir Pläne. Petronius Longus würde den Fährmann wegen Informationen über das Boot, vom dem der Bäcker in den Tamesis geworfen worden war, unter Druck setzen. Er würde sich auch an Firmus wenden, um herauszufinden, wo der Angriff auf den Bäcker erfolgt war. Wir hatten das Gefühl, dass es nahe beim Fluss passiert sein musste, vermutlich in einem Lagerhaus. Dort sollte es Blutspuren geben.

Ich würde mich darum kümmern, was weiter mit Pyro und Spleiß passierte. Die Männer des Statthalters würden ihr Verhör überwachen, aber ich rechnete damit, mir die Nebendarsteller vorknöpfen zu können: die Kellner und den Barbier plus aller sonstigen Beteiligten, die die Armee zusammentreiben würde. Soldaten sollten die Angestellten aus der Schenke holen, in der Verovolcus gestorben war. Man hatte auch Chloris benachrichtigt, um ihre Aussage vor dem Statthalter zu machen.

Ich folgte dem Verhaftungstrupp zurück zur Residenz. Die Geldeintreiber wurden in separate Zellen gesperrt. Keinem wurde der Grund für die Verhaftung genannt. Wir ließen sie alleine schmoren. Sie würden morgen verhört werden. Keiner der beiden wusste, dass der andere in Haft war – obwohl sie es sich denken konnten –, und außer denjenigen, die die Verhaftung beobachtet hatten, wurde von unserer Seite niemand darüber informiert, dass wir Pyro und Spleiß in Gewahrsam genommen hatten. Die Kellner und der Barbier wurden noch am selben Abend zu ersten Verhören gebracht. Alle weigerten sich, uns irgendwas zu erzählen. Der Barbier mochte sogar unschuldig sein.

Es musste sich wie der Blitz bis zu den Bandenführern herumgesprochen haben. Der Anwalt der Geldeintreiber kam schon am frühen Nachmittag, nur ein paar Stunden nach den Verhaftungen, um den Statthalter zu belästigen. Wir kannten den Anwalt bereits: Es war Popillius.

Frontinus hatte Hilaris für diese Konfrontation bei sich; ich sorgte dafür, dass auch ich anwesend war. Ich fand, Popillius war zu schnell erschienen und übertrieb die Sache. Frontinus muss dasselbe gedacht haben und sprach ihn darauf an: »Zwei ganz gewöhnliche Verbrecher, nicht wahr? Warum wollen Sie zu denen?«

»Mir wurde gesagt, sie würden in Isolationshaft gehalten, Herr. Ich muss mich mit meinen Klienten besprechen.«

Als ich Julius Frontinus kennen gelernt hatte, war er mir wie ein freundlicher Zausel vorgekommen, der ein Interesse an geheimnisvollen Zweigen des öffentlichen Ingenieurwesens hatte. Nachdem ihm das Kommando über eine Provinz und deren Armee gegeben worden war, hatte er sich rasch in diese Rolle eingefunden. »Ihre Klienten sind gut untergebracht und werden zu essen und zu trinken bekommen. Sie werden auf den normalen Verhörvorgang warten müssen.«

»Darf ich erfahren, was man ihnen zur Last legt?«

Der Statthalter zuckte die Schultern. »Steht noch nicht fest. Hängt davon ab, was sie selbst vorzubringen haben.«

»Warum hat man sie in Haft genommen, Herr?«

»Ein Zeuge hat sie am Ort eines Gewaltverbrechens gesehen.«

»Welcher Zeuge, bitte?«

»Das werde ich Ihnen zu gegebener Zeit mitteilen.«

»Wirft der Zeuge meinen Klienten vor, dieses Verbrechen begangen zu haben?«

»Ich fürchte, ja.«

»Trotzdem ist es nicht in Ordnung, sie über Nacht festzuhalten, und sie müssen die Gelegenheit haben, ihre Verteidigung vorzubereiten. Ich bin hier, um die Kaution zu stellen, Herr.« Frontinus betrachtete den Anwalt nachsichtig. »Junger Mann …« Zwischen ihnen bestand der Unterschied eines Jahrzehnts – ein Jahrzehnt an Jahren und ein Jahrhundert an Autorität. Julius Frontinus war ganz der tüchtige General und Imperienbauer, was bedeutete, dass er als hochrangiger Magistrat genauso beeindruckend war. »Bevor ich keine Vernehmung durchgeführt und den Fall eingeschätzt habe, kann ich kaum Kautionsbedingungen festlegen.«

»Und wann gedenken Sie, diese Vernehmung durchzuführen?« Popillius versuchte es mit einem forschen Ton.

»Sobald die Angelegenheiten dieser Provinz es erlauben«, versicherte ihm Frontinus ruhig. »Wir befinden uns unter den Barbaren. Meine Priorität liegt darin, Roms Grenzen zu sichern und für den Aufbau einer vernünftigen Infrastruktur zu sorgen. Jeder Zivilist, der uns dabei behindert, muss warten, bis er an der Reihe ist.«

Popillius wusste, dass er an Boden verloren hatte, doch er hatte sich sein bestes Argument bis zum Schluss aufgehoben: »Meine Klienten sind freie römische Bürger.«

»Eine Frage der Sicherheit!«, schnarrte Frontinus. Ich hatte ihn noch nie zu voller Form auflaufen sehen. Er schien es zu genießen. »Machen Sie sich nicht lächerlich. Diese Männer bleiben in Gewahrsam.«

»Statthalter, sie haben das Recht, beim Kaiser Einspruch einzulegen.«

»Stimmt.« Frontinus gab nicht nach. »Wenn sie dieses Recht geltend machen, werden sie nach Rom gebracht. Aber erst, nachdem ich sie verhört habe – und wenn sich dabei die Verdachtsgründe erhärten, werden sie in Ketten transportiert.« Als Popillius gegangen war, brach Hilaris das Schweigen. Nachdenklich meinte er: »Er ist in diesen Dingen unerfahren – aber er wird rasch lernen.«

»Gehen wir davon aus, dass er hinter all dem steckt?«, fragte Frontinus.

»Nein, ihm scheint die Tiefe zu fehlen, die Sache allein durchzuziehen.«

»Es gibt zwei Hauptanführer, die als Partner fungieren«, warf ich ein. »Wobei sich Popillius zu sehr entblößt hat, um einer davon zu sein.«

Hilaris lächelte. »Daraus schließe ich, dass du dich über die Anführer mit Lucius Petronius ausgetauscht hast?« Also war Petros Tarnung aufgeflogen.

»Er ist genau der Mann, den man für so etwas braucht«, sagte ich loyal. Keiner der beiden hohen Beamten schien verärgert. Sie begriffen beide, dass er für uns ein Gewinn war. Der kleinliche Hickhack darüber, ob die Vigiles das Recht hatten, ihn hierher zu schicken, würde später folgen, wenn überhaupt. Wenn er einen bedeutsamen Beitrag zu der Sache leistete, würde es keinen Verweis geben. Erzielten wir allerdings keine Fortschritte, würde natürlich Petros heimliche Einmischung daran schuld sein.

Frontinus schaute mich an. »Finden Sie heraus, wer Popillius beauftragt hat, wenn Sie können.«

Ich eilte los, um mich an die Fersen des Anwalts zu heften.

 

In einigem Abstand folgte ich Popillius den ganzen Weg zurück bis zu seinem gemieteten Haus in der Nähe des Forums. Mir war eingefallen, dass seine Kumpel vielleicht vor der Residenz auf ihn warteten, aber niemand sprach ihn an. Er ging mit stetem Schritt direkt nach Hause. Ich schlenderte zwei Mal um den Block, ließ ihm Zeit, sich zu entspannen, dann ging ich hinein.

Er saß allein im Innenhof an demselben Tisch wie gestern Morgen und schrieb eifrig in einer Schriftrolle. »Falco!«

Ich hievte eine Bank zu ihm hinüber, obwohl er mich nicht gebeten hatte, Platz zu nehmen. »Wir müssen miteinander reden«, sagte ich in kollegialem Ton, als wären wir beide Anwälte, die eine Übereinkunft aushandelten. Popillius stützte das Kinn in die Hand und hörte zu. Er war kein junger Dummkopf. Ich musste erst noch rauskriegen, ob Hilaris mit seiner Vermutung, dass es Popillius an Präsenz mangelte, richtig lag. Sich wie ein Leichtgewicht darzustellen war vielleicht Tarnung; er konnte durch und durch korrupt sein.

Ich schaute ihn an. »Sie haben sich da auf etwas Neues eingelassen. Habe ich Recht?« Keine Regung. »Sind gleich ganz tief eingestiegen. Aber wissen Sie, welcher Sumpf das ist?« Popillius tat milde überrascht. »Nur zwei Klienten, die ohne Anklage in Haft gehalten werden.«

»Schockierend«, antwortete ich. Dann wurde ich schärfer. »Eine Routinesituation. Ungewöhnlich daran ist die Geschwindigkeit, mit der Sie auftauchten und losgekreischt haben. Zwei Ganoven sind festgenommen worden. Mehr nicht. Jeder würde denken, es handle sich um einen großen politischen Schauprozess, in den berühmte Männer mit wichtigen Karrieren und vollen Geldkoffern verwickelt sind.« Popillius öffnete den Mund, um etwas zu sagen. »Kommen Sie mir nicht mit dem Gefasel darüber«, würgte ich ihn ab, »dass alle freien Römer das Recht auf die beste Verteidigung haben, die sie sich leisten können. Ihre Klienten sind zwei professionelle Geldeintreiber, die die Gesellschaft aussaugen und auf der Lohnliste einer organisierten Verbrecherbande stehen.« Der Gesichtsausdruck des Anwalts änderte sich nicht. Er hatte jedoch die Hand vom Kinn genommen.

»Ich übertreibe nicht, Popillius. Wenn Sie sich ein erschütterndes Bild von der Arbeit dieser Kerle machen wollen, es gibt da eine zusammengeschlagene Leiche am Fährenanleger. Gehen Sie hin und schauen Sie sich die an. Finden Sie heraus, von welcher Art Leuten Sie beauftragt wurden.« Ich behielt einen gemäßigten Ton bei. »Eines würde ich gerne wissen: Als Sie Spleiß und Pyro als Klienten annahmen, wussten Sie da, womit die sich beschäftigen?«

Popillius schaute auf seine Dokumente. Pyro und Spleiß mussten formelle Namen besitzen, die er benützen würde.

»Sind Sie ein Lohnschreiber, der Vollzeit für Gangster arbeitet?«, wollte ich wissen.

»Das ist eine miese Frage, Falco.«

»Sie befinden sich in einer miesen Situation. Nehmen wir mal an, Sie sind tatsächlich nach Britannien gekommen, um harmloses, gewerbliches Fallrecht zu praktizieren«, setzte ich ihm zu. »Heute hat jemand Sie beauftragt, und Sie haben das Honorar angenommen. Ein einfacher Fall von Befreiung aus der Haft. Gerechtigkeit für die frei Geborenen. Juristisch einwandfrei; die Moral der Inhaftierten spielt dabei keine Rolle. Doch Ihre sollte das vielleicht. Denn wenn Sie das nächste Mal von Ihren Auftraggebern benutzt werden – und das werden Sie –, wird es sich um eine schmutzigere Angelegenheit handeln. Danach gehören Sie ihnen. Ich will damit nicht andeuten, dass man Sie in Ihrem allerersten Monat an Meineid, Pervertierung der Justiz und Zeugenbestechung arbeiten lässt, aber glauben Sie mir, das wird kommen.«

»Das sind doch nur wilde Vermutungen, Falco.«

»Nein. Wir haben es bereits mit mindestens zwei wirklich üblen Morden zu tun. Ihre eingesperrten Klienten stehen in unmittelbarer Verbindung mit dem einen; unser Zeuge hat sie bei der Tat gesehen. Ich selbst habe sie auf dem Grundstück des zweiten Opfers beobachtet – ein Bäcker, der von Erpressern unter Druck gesetzt worden ist –, direkt nachdem er verschwand und sein Gebäude in Brand gesetzt wurde.«

Popillius sah mich ruhig an, wobei ich allerdings spürte, dass er fieberhaft nachdachte. Ich schätze, dass ihm die Morde neu waren.

Er hatte die volle Ausbildung durchlaufen. Sein Gesicht blieb undurchdringlich. Am liebsten hätte ich mir die Schriftrolle geschnappt, um zu sehen, was er da geschrieben hatte. Notizen darüber, wie Frontinus ihn abgewiesen hatte? Annahmen, was bei dem formellen Verhör rauskommen würde? Oder nur eine Auflistung seines Stundenhonorars für den Geldsack, der ihn bezahlte?

War Popillius also nur ein Amateur, den sie in aller Eile beauftragt hatten, das Beste, was Britannien einem Gangster zu bieten hatte, der auf ein unerwartetes Problem gestoßen war? Oder hatten sie ihn mitgebracht und hier als ihren juristischen Vertreter etabliert? Schlimmer noch – und wenn ich dieses ruhige Schwein betrachtete, schien das nach wie vor eine offene Frage zu sein –, war er selbst einer der Anführer der Verbrecherbande?

»Das reicht jetzt, Falco«, verkündete Popillius, sein Ton so stetig wie mein eigener.

Ich erhob mich. »Wer bezahlt Sie dafür, Pyro und Spleiß zu vertreten?«

Seine Augen, haselnussbraun hinter hellen Wimpern, flackerten leicht. »Vertraulich, fürchte ich.«

»Kriminelle.«

»Das ist Verleumdung.«

»Nur, wenn es nicht stimmt. Es gibt noch mehr Zellen, die auf Bandenmitglieder warten, vergessen Sie das nicht.«

»Aber doch nur, wenn sie etwas angestellt haben, oder?«, höhnte er.

»Dann überlasse ich Sie jetzt Ihrem Gewissen.«

Das tat ich. Es setzte voraus, dass er ein Gewissen besaß. Ich sah kein Anzeichen dafür.