LXXXII
»Ist sie schön?« fragte Tullia gepreßt, während wir die Treppe hinunterrannten.
»Geld macht immer schön. Übrigens – ist er gut im Bett?«
Tullia lachte höhnisch. Ich holte tief und glücklich Luft.
Als wir wieder sicher in der Schenke waren, packte ich das Mädchen bei den Schultern. »Wenn Sie ihn zur Rede stellen wollen, dann nur, wenn Ihre Mutter dabei ist!« Tullia sah trotzig zu Boden. Wahrscheinlich wußte sie inzwischen, daß er gewalttätig werden konnte. »Er wird Ihnen weismachen wollen, es gäbe einen ganz plausiblen Grund für dieses Dokument …«
Sie hob den Kopf. »Um an das Geld zu kommen, von dem er dauernd redet?«
»Kindchen, alles, was Barnabas jetzt noch zu erwarten hat, ist das Grab eines Freigelassenen.« Vielleicht glaubte sie mir nicht, aber sie hörte wenigstens zu. »Er wird Ihnen erzählen, er sei schon einmal mit dieser Frau verheiratet gewesen und bräuchte ihre Hilfe, um an ein großes Vermögen heranzukommen. Aber machen Sie sich nichts vor: Wenn er das Geld in die Finger bekommt, hat er für Sie keine Verwendung mehr!« In ihre Augen trat ein zorniges Funkeln. »Tullia, die Kaiserlichen sind ihm auf den Fersen – und die Zeit läuft ihm davon!«
»Wieso?«
»Weil laut Ehegesetz eine Frau, die nach einer Scheidung mehr als achtzehn Monate unvermählt bleibt, keine Erbschaft antreten kann! Wenn er also über seine Ex-Frau an ein Erbe kommen will, dann muß er sich beeilen!«
»Wann sind sie denn geschieden worden?«
»Keine Ahnung. Ihr Freund mit dem geldgierigen Blick war der Ehemann; fragen Sie ihn!«
Nachdem ich meinen Köder ausgelegt hatte, verabschiedete ich mich und bahnte mir einen Weg zum Ausgang. Draußen hatten sich zwei neue Gäste über meinen noch halb gefüllten Krug hergemacht. Ich wollte gerade ein paar passende Worte sagen, als ich die beiden erkannte. Im selben Augenblick wußten Anacrites’ Spürhunde, wen sie vor sich hatten.
Ich trat den Rückzug an, gab Tullia in der Schenke ein Zeichen und öffnete die Tür, durch die sie mich beim erstenmal hinausgelassen hatte.
Zehn Sekunden später stürzten die Spione in den Schankraum, stierten wie wild um sich und entdeckten die offene Tür. Die Pflasterer machten ihnen bereitwillig Platz, versammelten sich aber gleich wieder mit eisernem Schulterschluß.
Ich sprang hinter der Theke vor, winkte Tullia zu und nahm den Vorderausgang: der älteste Trick der Welt.
Den Heimweg wählte ich so, daß ich nicht über Spion Nummer drei stolpern konnte, falls der immer noch auf der Hauptstraße rumlungerte.
Als ich über den Fluß zurückkehrte, war es schon zu spät, um weiterzusuchen. Der erste Ansturm der Lieferkarren ließ bereits nach; auf den Straßen drängten sich zwar noch Wein-, Marmor- und Fischtransporte, aber die erste Hektik, die immer gleich nach der Sperrstunde ausbricht, war verebbt. Restaurantbesucher traten, begleitet von gähnenden Fackelträgern, durch finstere Gassen den Heimweg an. Hin und wieder huschte ein einsamer Spaziergänger durch die Schatten, bemüht, nicht aufzufallen und nur ja keine Diebe anzulocken. Wo Laternen draußen an den Loggien hingen, brannten sie jetzt langsam aus – oder wurden absichtlich von Einbrechern gelöscht, die nachher im Schutz der Dunkelheit mit ihrer Beute entkommen wollten.
Wahrscheinlich ließ der Oberspion auch meine Wohnung beobachten, deshalb ging ich zu meiner Schwester Maia. Sie war eine bessere Hausfrau als die übrigen und außerdem nachsichtiger mit mir. Trotzdem war es ein Fehler, bei ihr Unterschlupf zu suchen, denn sie empfing mich gleich mit der Nachricht, daß Famia gerade heute den Jockei zum Essen mitgebracht habe, der am Donnerstag beim Rennen mein Pferd reiten solle.
»Bei uns gab’s heute Kalbshirn. Es ist noch was da, wenn du Appetit hast«, sagte Maia. Schon wieder Innereien! Maia kannte mich lange genug, um zu wissen, was ich davon hielt. »Meine Güte, Marcus, du bist ja schlimmer als die Kinder! Nun reiß dich zusammen und mach endlich mal ein fröhliches Gesicht!«
Ich gab mir redlich Mühe und war bald ebenso lustig wie Prometheus an seinem Felsen, wenn er auf den täglichen Raben wartet, der ihm ein Stück von seiner Leber wegfrißt.
Der Jockei hatte sich bisher nichts zuschulden kommen lassen, aber das besagte nicht viel. Er war eine Zecke. Und mich hielt er für sein neues Schaf. Doch ich war’s gewohnt, Parasiten abzuwimmeln. Er würde sich noch wundern.
Sein Name fällt mir nicht mehr ein. Ich habe ihn absichtlich vergessen. Alles, was ich noch weiß, ist, daß er und Famia mir viel zuviel Geld aus der Tasche ziehen wollten. Dabei hätte von Rechts wegen der Jockei mich bezahlen sollen, schließlich gab ich ihm die Chance, sich im vornehmsten Stadion der Stadt, mit Titus Cäsar in der Ehrenloge, das Herz aus dem Leibe zu reiten. Er war winzig, hatte ein zerfurchtes, brutales Gesicht, trank zuviel, und nach der Art zu schließen, wie er meine Schwester ansah, bildete er sich ein, die Frauen müßten ihm zu Füßen liegen.
Maia beachtete ihn gar nicht. Eins muß man meiner jüngsten Schwester lassen: Anders als die meisten Frauen, die einmal im Leben einen furchtbaren Fehler begangen haben, stand sie wenigstens dazu. Nachdem sie Famia einmal geheiratet hatte, verspürte sie nie das Bedürfnis, ihre Probleme noch durch Affären zu vermehren.
Der Jockei hatte gerade erst angefangen, Famia und mich unter den Tisch zu trinken, als ich mich unsterblich blamierte. Man hatte mich losgeschickt, eine neue Amphore zu holen, aber ich schaute heimlich bei den Kindern rein. Sie hätten schon im Bett sein sollen, doch ich fand sie noch lebhaft in ihr Spiel vertieft. Maia erzog ihre Kinder zu erstaunlich gutartigen Geschöpfen; sie merkten an meinem geröteten Gesicht, was mit mir los war, und so bezogen sie mich erst ein Weilchen in ihr Spiel mit ein, dann erzählte eins mir eine Geschichte, bis ich einnickte, worauf sie auf Zehenspitzen aus dem Zimmer schlichen. Ich könnte schwören, daß Maias älteste Tochter flüsterte: »Der ist versorgt! Sieht er nicht süß aus, wenn er schläft …«
Ich hatte eigentlich vorgehabt, nur so lange bei Maia zu bleiben, bis etwaige Spione vor meinem Haus sich verzogen hätten. Dann wollte ich zur Falco-Residenz zurückschleichen. Ob sich dadurch etwas geändert hätte, werde ich nie erfahren. Aber es besteht immerhin die winzige Chance, daß, wäre ich in jener Nacht heimgegangen, statt bei meiner Schwester zu schlafen, ein Leben hätte gerettet werden können.