6 LIEBLING, ICH HABE
DAS
HAUS GESCHRUMPFT!
Peters und meine erste gemeinsame Wohnung in Deutschland lag in der Flandrischen Straße, einer typisch europäischen Seitengasse, im sogenannten Belgischen Viertel in Köln. Nach der Ankunft in meinem neuen Zuhause war ich froh, dass ich mich bereits in Manhattan an beengte Verhältnisse gewöhnt hatte. Wenn man aus dem weiten Mittelwesten Amerikas nach New York zieht, verkleinert sich der persönliche Lebensraum nämlich beträchtlich. Dort gibt es Apartments, die kleiner sind als die begehbaren Kleiderschränke mancher Shoppingsüchtiger. Daher war ich darauf vorbereitet, in Europa mit weniger Platz auszukommen. Zum Glück! Unsere Wohnung war zwar eindeutig größer als ein begehbarer Kleiderschrank und auch deutlich größer als mein ehemaliges Apartment in Manhattan. Trotzdem kam mir in Deutschland anfangs alles viel kleiner vor. Kennen Sie den Film Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft? Ich fühlte mich wie im Film Liebling, ich habe das Haus, den Garten, den Wagen, die Garage, die Waschmaschine, die Straßen und die Milchverpackungen geschrumpft.
Ein großes Einfamilienhaus mit Garten zu besitzen ist in Deutschland nicht selbstverständlich. Zunächst wunderte ich mich darüber, dass die meisten Menschen hier in Mehrfamilienhäusern wohnen. Schließlich war das Deutschland meiner Vorstellung immer ländlich geprägt: lauter kleine, ordentliche Häuser, die überall in der Landschaft verstreut sind. Die gibt es hier zwar auch, aber nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung. Das liegt wohl daran, dass 88 Prozent der Deutschen in Städten und deren Einzugsgebieten leben und der Wohnraum aus diesem Grund begrenzt ist. In Amerika dagegen wohnen die meisten Menschen in Einfamilienhäusern und haben oft sogar einen kleinen Garten.
Dieser Unterschied lässt sich vielleicht durch die unterschiedliche Bevölkerungsdichte der beiden Länder erklären. In Deutschland leben durchschnittlich 231 Menschen pro Quadratkilometer, in Amerika sind es dagegen gerade einmal 30. Die Fläche der gesamten Bundesrepublik entspricht knapp der Größe des US-Bundesstaates Montana und wird von rund 82 Millionen Menschen bevölkert. Wenn ich mir diese Menschenmenge in Montana vorstelle, frage ich mich, wo denn die ganzen Rinder hinsollten …
Bekannte aus den Niederlanden und England klärten mich allerdings darüber auf, dass die Platzverhältnisse in Deutschland, verglichen mit anderen europäischen Ländern, geradezu großzügig sind. Größere Wohnungen, größere Gärten, größere Supermärkte und so weiter. Das führte mir noch einmal mehr vor Augen, wie verwöhnt wir Amerikaner sind, was die Platzverhältnisse anbelangt.
Aufgrund der geringeren Größe von Häusern und Wohnungen ist es nur logisch, dass die deutschen Haushaltsgeräte kleiner als die amerikanischen sind.
Die hiesigen Kühlschränke zum Beispiel sind meiner Meinung nach winzig und erfordern eine gewisse Flexibilität ihrer Nutzer. Durch meinen ersten deutschen Kühlschrank habe ich gelernt, dass ich einen frischen Blumenkohl an dem Tag zubereiten muss, an dem ich ihn kaufe. Andernfalls müsste ich den kompletten Kühlschrank ausräumen, um Platz für ein so voluminöses Gemüse zu schaffen. Noch schlauer ist es allerdings, nur handliches Gemüse wie Bohnen und Möhren zu kaufen. Die passen wenigstens problemlos in den Kühlschrank.
Mittlerweile haben wir glücklicherweise einen amerikanisch dimensionierten Kühlschrank in unserer Küche stehen. Für unsere Besucher aus den USA ist er nichts Besonderes; sie registrieren ihn gar nicht. Aber manche unserer deutschen Gäste bestaunen das Gerät immer wie einen Neuwagen: »Wow, was für ein riesiger Kühlschrank! Wo habt ihr den her?« Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal stolz auf meinen Kühlschrank sein würde. Ganz ehrlich: Wer braucht schon einen Porsche, wenn er so einen Kühlschrank hat?
Auch der Backofen ist kleiner, als ich es gewöhnt bin. Das – ich muss es zu meiner Schande gestehen – führte dazu, dass ich in den ersten Jahren in Deutschland das Thanksgiving-Fest ausfallen ließ, obwohl das Erntedankfest für Amerikaner der zweitwichtigste Feiertag nach Weihnachten ist. Der ganze Truthahn, dazu Kürbis-Pie, Pecan-Pie, gefüllter Wirsing, Süßkartoffeln mit geschmolzenen Marshmallows und ich weiß nicht, was sonst noch – ich hätte die Backofentür im Leben nicht schließen können! Okay, ich gebe zu, dass der Backofen nicht das einzige Problem war. Hinzu kam, dass Peter an diesem Feiertag immer arbeiten musste. Und was wäre Thanksgiving schon ohne die berühmte Macy’s Thanksgiving Day Parade im Fernsehen? Jammer, jammer.
Daher war ich überglücklich, als wir mit unseren früheren amerikanischen Nachbarn zum ersten Mal gemeinsam Thanksgiving feierten. Außerdem war es sehr vorteilhaft, dass Eydies Mann Greg den bei halb geöffneter Backofenklappe gegarten Truthahn tranchieren konnte, da Peter nicht wusste, wo er das Messer ansetzen sollte.
Doch weg von Thanksgiving, hin zu den praktischen Dingen des Lebens: Waschmaschine und Trockner. Sie haben ebenfalls eine besondere Bedeutung seit meinem Umzug nach Deutschland bekommen. Noch nie habe ich leidenschaftlichere Diskussionen über diese Haushaltsgeräte gehört als hier.
Es ist unglaublich, wie viele Deutsche auf ihre Waschmaschine schwören, und zwar mit Sprüchen wie: »Miele, Miele, sprach die Tante, die jede Waschmaschine kannte.«
Amerikanische Mütter, die es nach Deutschland verschlagen hat, beklagen sich dagegen oft über die unpraktischen deutschen Waschmaschinen und trauern ihren eigenen hinterher. Ich kenne sogar eine Frau, die für ihren zweijährigen Aufenthalt in Deutschland extra eine Waschmaschine samt Trockner aus den USA importieren ließ. Für die Geräte musste zwar zusätzlich ein Transformator angeschafft werden, aber anscheinend konnte die Schmutzwäsche ihrer Familie nur so bewältigt werden.
Für Amerikanerinnen sind vor allem das geringe Fassungsvermögen der deutschen Waschmaschinen und die Dauer der einzelnen Waschgänge problematisch. Meine deutsche Maschine braucht mindestens eine Stunde für die Wäsche, und das ist lediglich das Kurzwaschprogramm. Man kann also nicht nur weniger Wäsche in die Trommel füllen, die Maschine braucht auch länger, bis sie fertig ist. Das macht das Waschen zu einer zeitaufwändigen Angelegenheit, die zudem häufiger erledigt werden muss.
Deutsche, die in den USA leben, sind allerdings auch nicht unbedingt begeistert von den dortigen Maschinen. Ein befreundetes deutsches Ehepaar, das mit seinen kleinen Zwillingen in New York lebt, erzählte mir beispielsweise Folgendes: »Die Babylätzchen werden hier in der Maschine einfach nicht richtig sauber. Wir müssen sie von Hand waschen. Amerikanische Waschmaschinen sind ein Witz.« Diese haben nämlich im Unterschied zu deutschen keine Heizspirale – und da-mit auch kein Kochwaschprogramm –, sondern sind an die Warmwasserleitung angeschlossen. Das sei nicht heiß genug, um sämtliche Flecken herauszubekommen, und die Wäsche sehe hinterher grau und vergilbt aus, behaupteten meine deutschen Bekannten. Außerdem seien die Waschprogramme sehr kurz, verglichen mit den Marathonläufen deutscher Maschinen: »Wie soll Wäsche denn überhaupt in einer Viertelstunde sauber werden?« Meiner Meinung nach kann man in einer Viertelstunde eine Menge Wäsche auf einmal erledigen. Ruck, zuck.
Sehr erstaunt war ich darüber, dass viele Menschen in Deutschland keinen Trockner haben, sondern die Wäsche zum Trocknen aufhängen. Das hat steife Handtücher und einen großen Berg Bügelwäsche zur Folge. Aber selbst wenn man einen Trockner hat, ist der genauso klein wie die Waschmaschine, und die Wäsche kommt zerknittert heraus. Schätzungsweise verbringen die Deutschen 75 Prozent mehr Zeit mit Bügeln als die Amerikaner. Ich habe sogar gehört, dass manche die Unterwäsche bügeln …
Was im Haus schwierig ist, ist im Garten nicht einfacher. Nachdem ich mich einigermaßen an die deutschen Haushaltsgeräte gewöhnt hatte, waren die Gartengeräte dran.
Mein erster Rasenmäher in Deutschland hätte gut aus einem Antiquitätenladen im hintersten Minnesota stammen können. Dieses Gerät musste man noch mit eigener Muskelkraft anschieben. Das letzte Mal hatte ich so ein Relikt bei meiner neuseeländischen Gastfamilie gesehen. Trotzdem gab ich dem altmodischen Rasenmäher eine Chance, indem ich ihn als Mäher und Fitnessgerät in einem betrachtete.
Zum Glück entdeckte ich kurze Zeit später, dass es in Deutschland auch elektrisch betriebene Rasenmäher gibt. Peter und ich kauften ein Exemplar mit einem grob geschätzt zwei Kilometer langen Kabel, das zum Arbeiten ausgerollt werden musste. Da das Kabel ständig im Weg lag, brütete ich stundenlang über Strategien, wie sich das vermeiden ließe, und zwar ohne dass ich dazu den Rasenmäher loslassen und mich bücken musste. Denn jedes Mal, wenn ich den Sicherheitsbügel am Griff losließ, schaltete sich das Gerät automatisch ab. Irgendwann fragte ich mich sogar, was schlimmer wäre: ständiges Ärgern über dieses lästige Kabel oder Tod durch Stromschlag.
Man kann mir mangelndes Umweltbewusstsein vorwerfen, aber einer der glücklichsten Tage meines Lebens war der, an dem der elektrische Rasenmäher seinen Geist aufgab. Es lag übrigens nicht daran, dass ich das Kabel durchtrennt hätte, was selbst meinem Mann ein paarmal passiert war. Irgendwann war er einfach kaputt, der Mäher – und ich ebenfalls. Das Rasenmähen hatte sich zu einer mühsamen Angelegenheit entwickelt: Kabel abrollen. Kabel ordentlich auf dem Boden auslegen. Darauf achten, dass die Außensteckdose eingeschaltet ist. Immer gut aufpassen und nicht über das Kabel stolpern (Okay, diesen Punkt befolgte ich nicht immer …). Das Kabel von Gras und Dreck befreien. Anschließend wieder aufrollen. Das war mehr als nervig!
Noch an dem Tag, als der Rasenmäher endgültig streikte, fuhr ich zu meinem Lieblingsgartencenter. Da Peter mich nicht begleitete, kam ich auch nicht in Versuchung, beim Kauf auf Eigenschaften wie Geräuscharmut oder Umweltverträglichkeit Rücksicht zu nehmen und wieder bei einem Elektrorasenmäher zu landen. Ich wusste genau, was ich wollte. Denn im Gegensatz zu Peter war ich auf einem Grundstück mit einer großen Wiese aufgewachsen, die regelmäßig gemäht werden musste, und daher mit den Feinheiten des Rasenmähens vertraut. Außerdem war mein Mann sowieso nie der Chefgärtner in unserer Familie, das war und bleibt meine Aufgabe. Wie dem auch sei, seit diesem Tag besitzen wir einen klassischen Benzinrasenmäher, mit dem die Arbeit weitaus leichter fällt und im Handumdrehen erledigt ist.
Selbst mein Mann hat das Gerät mittlerweile mehr oder weniger akzeptiert. Anfangs hatte er noch Bedenken, der Leidtragende zu sein und ständig zur Tankstelle fahren zu müssen, um den Benzinkanister zu füllen. Aber auch das mache ich, und zwar höchstens zweimal im Jahr. Von den Nachbarn gab es auch noch keine Beschwerde wegen Ruhestörung. Immerhin versuche ich, mich an die deutschen Ruhezeiten zu halten!
Falls ich nun den Anschein erweckt haben sollte, dass mein Mann keinen Finger im Garten krümmt, muss ich schleunigst darauf hinweisen, dass Peter der Chefschlepper ist. Bei größeren Gartenprojekten, die ich nicht alleine bewältigen kann, packt er selbstverständlich mit an, und er ist auch derjenige, der die Grünabfälle zur Sammelstelle bringt. Allerdings benutzt er dafür, wie mir aufgefallen ist, lieber meinen Wagen als seinen, was ich an Erde, Laub und diversen toten Käfern im Kofferraum erkenne …