„Hallo, schön, dass Sie anrufen! Bitte drücken Sie nun
die 1) für unsere aktuellen Angebote, die 2) für Fragen zu unseren
Produkten oder die 3) für Informationen zu unseren
Gewinnspielen!“
Oh Mann, ein Sprachcomputer. Ich hasse
diese Dinger! Notgedrungen drücke ich die 3) für Informationen zu
den Gewinnspielen.
„Sie haben die 3) gedrückt, für Fragen zu
unseren Gewinnspielen. Bitte drücken Sie nun die 1) für Fragen zu
unserem Kreuzfahrtgewinnspiel oder die 2) für Fragen zu unserem
Schmuckgewinnspiel!“
Ich drücke die 2) und
warte.
„Sie haben die 2) gedrückt. Hier kommen die
häufigsten Fragen. Bitte drücken Sie die * Taste, falls eine der
Fragen mit Ihrer Frage identisch ist. Haben Sie einen Ring
gewonnen und möchten sich bedanken? Möchten Sie wissen, welcher
Hersteller unsere Ringe produziert hat? Haben Sie keinen Ring
gewonnen und möchten einen kaufen?“
Sind die gaga? Mich bedanken? Einen Ring
kaufen? Mich beschweren will ich! Wütend drücke ich alles
gleichzeitig, die 1), die 2), die 3) und die * Taste.
So!
„Hallo, schön, dass Sie anrufen! Bitte
drücken Sie nun die 1) für unsere aktuellen Angebote, die 2) für
Fragen zu unseren Produkten oder die 3) für Informationen zu
unseren Gewinnspielen!“
Das dazu! Ich gebe auf und streiche den
Punkt trotzdem von meiner Liste. Der Versuch ist das, was
zählt!
Mittagsflirt
Mittwoch, Mittagszeit.
Es hat sich als unmöglich herausgestellt,
vor dem Sapiano einen Parkplatz zu bekommen. Deshalb sitzen Volker,
Nina und ich jetzt in Luigis
italienischem Eiscafé neben
dem Sapiano und starren wieder einmal auf Volkers
Laptop.
„Vivien, bist du
soweit?“, fragt Nina durch das
Mikrofon.
„Ja, kann losgehen! Ich gehe jetzt rein!“,
antwortet Vivien und öffnet die Türe zum Sapiano. Über die
Minikamera können wir sehen, dass es drinnen bereits brechend voll
ist. Viele Geschäftsleute nutzen ihre Mittagspause um sich bei
Pizza, Pasta und Salat in gemütlicher Runde zu unterhalten oder
aber auch um die Dates für den Abend klar zu machen. Durch die
umliegenden Banken und Geschäftshäuser ist das Sapiano für viele
berufstätige Single einer der beliebtesten Orte, um neue Dates zu
vereinbaren. Auch ich habe dort schon den einen oder anderen Mann
kennengelernt, nur leider nie den Richtigen.
„Hmm, ich liebe diesen Duft nach Basilikum
und Pizza“, Vivien schnuppert verzückt.
„Aha, ihr gucken YouTube! Ich auch habe
Filme auf YouTube von ganze Familie. Ich kann euch zeigen!“ Luigi,
der eigentlich Mehmet heißt und mit Italien in Wirklichkeit gar
nichts am Hut hat, ist unbemerkt herangeschlichen. Da Volker öfter
in sein Café kommt, kennen die beiden sich ganz gut. „Volka, gib
ein: Mehmet00
Familie, dann ich zeige dir alle!“,
befiehlt er Volker.
„Mehmet, du, das geht jetzt nicht! Das ist
nicht YouTube. Das ist live!“, erklärt Volker.
„Wieso isser live? Gibt es YouTube live?
Gute Idee, Volka! Ich mache auch Live Film: Luigi in seine
Eiscafé!“
„Nein nein Mehmet, das ist so was wie eine
verdeckte Operation, verstehst du?“, antwortet
Volker.
„Ich nicht verstehe, Volka. Was für ein
Operation? Du machen krumme Sachen? Nicht in meine
Eiscafé!“
Ich blicke Volker an. So langsam hat er
Mühe sich zu beherrschen. Und Nina verdreht hinter Mehmets Rücken
die Augen.
„Nein, Quatsch Mehmet. Das ist privat. Wir
wollen einen Mann finden, für Lola hier neben mir und machen so was
wie ein Casting. Das was du da siehst, ist das Bild von der Kamera
unseres Lockvogels Vivien.“
Mehmet alias Luigi mustert mich von oben
bis unten. Wie unangenehm! Ich fühle, wie mir eine leichte Röte in
die Wangen schießt.
„Du hasse Probleme Mann zu finden? Issa
kein Problem! Ich habe viele Brüder. Bestimmt einer gefällt dir.
Ich kann dir zeigen! Volka, gib ein Mehmet00 Familie in
YouTube.“
Sprachlos starre ich Mehmet an. Was ist
denn das für ein Vogel? Ich bin ja durch meine Freunde schon
einiges gewohnt, aber dieser Kerl ist wahrlich sonderbar. Zum Glück
rettet mich Volker: „Danke, das ist lieb gemeint Mehmet, aber wir
probieren es erst mal so!“
Nina und ich haben echte Mühe uns zusammen
zu reißen. Luigi-Mehmet bietet aber auch ein zu komisches Bild, so
wie er sich gerade aufplustert, den Bauch einzieht und den
Spüllappen schwingt.
„Ich mache auch mit“, erklärt er, „bei eure
Casting. Ich kann machen fünf Eisbecher in sechs Minuten. Ich bin
ein Supertalent. Ich zeige euch!“
Und schon eilt er hüfteschwingend hinter
seine Eistheke.
„Hallo? Seid ihr da? Was ist denn bei euch
los?“, ertönt plötzlich Viviens Stimme.
„Vivien, wir haben hier ein kleines Problem
mit Luigi, dem Eiscafébesitzer. Kannst du dich noch ein bisschen
gedulden?“, fragt
Nina.
„Ja klar, ich bin bereit. Sagt mir
Bescheid, wenn es losgehen kann“, antwortet
Vivien.
„Volka, los komma her! Du musst mir filmen,
wenn ich mache die Eisbecher!“ Luigi steht mit hochrotem Kopf
hinter dem Tresen und macht in einer affenartigen Geschwindigkeit
einen Eisbecher nach dem anderen. Das ist wirklich nicht schlecht!
Unglaublich, wie schnell er ist, denke ich.
Volker stoppt den Eisbecher Rekordversuch
mit den Worten: „Mehmet, ich habe gar keine Kamera! Aber du machst
das echt prima. Vielleicht solltest du mal zu einem Talent-Casting
gehen!“
Beleidigt zieht Mehmet einen Flunsch. „Na,
wenn du mir nicht filmen willst. Ich verstehe schon! Ich hab
sowieso zu tun! Viel Spaß noch bei eure Casting!“ Und mit diesen
Worten verschwindet er im Nebenraum.
Volker, Nina und ich seufzen erleichtert
auf. Gott sei Dank ist er weg!
„Können wir jetzt endlich weitermachen?“,
will Nina wissen. Volker nickt. Ich kichere leise.
Volker ist eigentlich ganz süß, wenn
er so verwirrt ist, denke ich. Und
wie ruhig er mit Mehmet umgegangen ist. Alle Achtung! Mir wäre
längst der Kragen geplatzt.
„Ok, Vivien, los geht’s! Versuch erst mal
einen guten Sitzplatz zu bekommen. Am besten neben einem netten
Geschäftsmann!“ macht Nina
weiter.
Vivien kämpft sich an der Schlange vor der
Pastabar vorbei und hält nach einem geeigneten Sitzplatz Ausschau.
Aha, da vorne ist doch noch ein Plätzchen frei. Gleich neben einer
Gruppe von Anzugträgern.
„Ist hier noch frei?“, fragt sie in die
Runde.
„Na klar, für so hübsche Frauen doch immer.
Setz dich zu uns!“
„Ja, setz dich Vivien!“, sagt Nina durch das Mikrofon.
„Nina, was tust du denn da?“, regt sich
Volker auf. „Du kannst doch Vivien nicht in die Runde von
Raubtieren setzen! Weißt du nicht, wie Männer in einer Gruppe drauf
sind, wenn sich eine hübsche Frau dazu setzt? Die nehmen Vivien
auseinander!“
„Was willst du eigentlich, Volker?“, fragt
Nina genervt. „Du sollst uns technisch unterstützen und nicht
männertechnisch!“
„Wie du meinst! Aber sag nicht, ich hätte
euch nicht gewarnt!“, Volker zuckt mit den Achseln und
schweigt.
„Kann Vivien sich mal ein bisschen
umdrehen? Ich kann gar nicht alle Leute am Tisch erkennen!“,
versuche ich das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Auf
Streit zwischen Volker und Nina habe ich nämlich überhaupt keine
Lust! Obwohl ich Volker zustimmen muss. Mit Männergruppen habe ich
bisher auch keine so guten Erfahrungen gemacht. Zum Beispiel in
meinen letzten Urlaub auf Fuerteventura. Ich hatte gerade mal
wieder eine chaotische 3-Wochen-Beziehnung hinter mir und wollte
mich einfach nur erholen. Ein bisschen lesen, im Meer baden und
abends nett essen gehen. Als ich auf der Suche nach einem guten
Restaurant über die Promenade schlenderte, kam mir eine Gruppe von
Surfern entgegen. Wirklich knackige Kerlchen, aber eindeutig zuviel
an Testosteron. „Hey Puppe, willst du mit uns feiern gehen!“,
grölte einer von ihnen. Die anderen lachten. Ohne dass ich es so
richtig gemerkt hatte, hatten sie mich plötzlich eingekreist. Und
versuchten, mich zu begrabschen. Zwei älteren Herren verdankte ich
dann meine Rettung. Sie wiesen die Gruppe charmant zurecht und so
konnte ich unbehelligt weiterziehen. Nicht ohne mir aber vorher
noch von den Herren anhören zu müssen, dass anständige junge Damen
um diese Zeit ohne männliche Begleitung auf der Promenade nichts zu
suchen hätten und wo denn mein Partner wäre. Wenn ich daran
zurückdenke werde ich immer noch wütend!
Ninas Stimme reißt mich aus meinen
Gedanken.
„Vivien, dreh dich doch mal ein bisschen,
damit wir die Herren besser sehen können!“
Das Kamerabild schwenkt herum und wir
können nun die einzelnen Männer besser erkennen. Insgesamt sitzen
sechs Anzugträger um Vivien herum. Ich ahne nichts Gutes. Und wie
Volker prophezeit hat, geht das Gegockel kaum, dass Vivien Platz
genommen hat, auch schon los:
„Na, erzähl mal! Wieso bist du alleine
hier? Hast du heute Abend schon was vor?“
„Darf ich deine Telefonnummer haben, meine
habe ich vergessen?“
„Willst du meine zukünftige Ex-Frau
werden?“
„Kümmere dich nicht um die anderen, ich bin
hier der Frauenversteher!“
Volker stöhnt genervt. „Mein Gott, was ist
das hier? Der Contest der blödesten Anmachsprüche? Ehrlich Lola,
von denen willst du doch nicht wirklich einen kennenlernen, oder?
Nina, sag Vivien, sie soll da verschwinden, sonst gehe ich
persönlich rein und hole sie raus. Das ist wirklich so was von
unter unserem Niveau!“
„Volker hat Recht! Die Typen sind echt
ätzend. Lass Vivien hierher kommen, dann haben wir zwar nichts
erreicht aber wir können noch zusammen einen von Luigis Mega
Eisbechern essen!“, stimme ich Volker zu.
„Wartet doch mal eine Sekunde!“,
unterbricht Nina uns. „Seht mal, da drüben der Kerl am Nebentisch.
Der, der sich gerade alleine hingesetzt hat. Der sieht schon die
ganze Zeit zu den Typen rüber und schüttelt den Kopf. Jetzt steht
er auf. Ich glaube, er will Vivien helfen!“
Tatsächlich! Jetzt sehe ich ihn auch. Ein
blonder, nett aussehender Mann nähert sich gerade dem Tisch mit
Vivien und den Vollidioten.
„Ach Schatz, hier bist du! Ich sitze doch
da drüben. Hast du mich gar nicht gesehen?“, fragt er und sieht
Vivien dabei auffordernd an.
Vivien sieht ihre Chance vor der ruppigen
Männerrunde zu entfliehen und zwitschert: „Oh Mausebär, ich dachte,
du stehst noch in der Schlange. Tschüss Jungs und guten Appetit!“
Und mit diesen Worten hängt sie sich bei dem Blonden ein und geht
mit ihm zum Nebentisch.
„Danke, das war nett von dir!“, sagt
Vivien, als sie beide Platz genommen haben. „Ich bin Vivien und
du?“
„Hi, ich bin Alex. Ich habe die Jungs schon
eine Weile beobachtet. Du warst nicht die Erste, an der sie ihre
Sprüche ausprobiert haben. Scheinen alle schon ein bisschen zu tief
ins Glas geguckt zu haben. Und das um die Mittagszeit! Die sind
bestimmt alle auf einem stinklangweiligen Seminar und ballern sich
die Birne weg, um den restlichen Nachmittag zu überstehen!“ Alex
grinst und lässt dabei seine tadellos weißen Zähne
aufblitzen.
„Hübsche Zähne!“, kommentiert
Nina.
Ich stimme Nina zu. Ein gepflegtes Gebiss
ist mir sehr wichtig. Ich achte auch immer gut auf meine
Beißerchen. Selbst, wenn es noch so spät ist oder es mir noch so
schlecht geht, meine Zähne putze ich immer.
„Seid doch nicht so oberflächlich!“,
kritisiert Volker. „Viel wichtiger ist doch, dass der Typ echt nett
zu sein scheint. Ich fand es gut, wie er Vivien vor den Schakalen
gerettet hat. Mich würde interessieren, was er sonst so
macht!“
Nina streckt Volker die Zunge heraus: „Man
wird ja wohl noch sagen dürfen, wenn einem etwas
gefällt!“
„Vivien, frag Alex mal ein bisschen aus.
Was er sonst so macht, ob er eine Freundin hat, wo er wohnt… was
man halt so fragt!“
„Und? Was machst du sonst, wenn du nicht
gerade Frauen vor Werwölfen rettest?“ Vivien blickt Alex
auffordernd an.
„Na, mit Wölfen kenne ich mich aus!“, lacht
Alex. „Ich bin Tierarzt. Meine Praxis liegt hier gleich um die
Ecke. Und du? Was machst du?“
„So dies und das. Werbespots, Aufnahmen für
Prospekte ...“, plappert Vivien drauf los.
„Oh ein Tierarzt! Das ist toll. Vielleicht
kann der sich ja mal Herkules ansehen.“ Ich zwinkere Nina zu. Die
nickt verständnisvoll. „Ja, das ist eine gute Idee. Wenn der Typ
nett ist, machst du einen Recall mit Herkules bei ihm in der
Praxis. Vielleicht kann er ja auch wirklich was für Herkules
tun!“
„Wer ist denn Herkules? Habe ich irgend
etwas nicht mitbekommen?“ Volker sieht mich auffordernd
an.
„Herkules ist meine Wüstenrennmaus. Er hat
da so ein Männerproblem ...“ Ich muss kichern.
„Naja, er ist irgendwie etwas abgedreht.
Ein krankhafter Rammler würde ich sagen!“, hilft Nina mir
weiter.
„Das ist ja unglaublich. Selbst mit
männlichen Mäusen hast du Probleme? Vielleicht fühlt dein Herkules
sich einsam?“, versucht Volker zu analysieren.
Ich fühle mich angegriffen. „Was soll das
denn heißen? Du musst ja nicht gleich gemein werden. Ich kümmere
mich gut um Herkules. Er bekommt jeden Morgen seine Körner und
frisches Obst und ich habe ihm letzte Woche sogar ein neues Laufrad
gekauft!“
„Hast du schon mal darüber nachgedacht,
dass manchen Männern das 'nur Kümmern' nicht ausreicht? Dass sie
vielleicht auch als Person wahrgenommen werden wollen und nicht als
lästige Pflicht, um die man sich nur kümmern
muss!“
Perplex starre ich Volker an. Was genau hat
der denn auf einmal für ein Problem?
„Und du bist dir sicher, dass du noch von
einer Wüstenrennmaus sprichst?“, fragt Nina dazwischen. „Hört sich
eher so an, als wärst du beziehungsgeschädigt!“
Volker murmelt etwas Unverständliches und
starrt wieder auf seinen Bildschirm. Dort sehen wir Vivien angeregt
mit Alex diskutieren. Mist, wegen Volkers blöder Sprüche habe ich
jetzt überhaupt nicht mitbekommen, über was die beiden sich
unterhalten haben.
„Nina, ich habe gar nix mitbekommen! Was
sollen wir Vivien denn jetzt sagen?“, quengele
ich.
„Sie soll sich einfach seine Nummer geben
lassen, dann machen wir einen Termin für Herkules aus!“ Nina
spricht die Anweisung in das Mikrofon:
„Vivien, lass dir Alex Nummer geben. Lola
soll dann mit ihrem Herkules mal in seiner Praxis vorbeischauen.
Und beeil dich, Volker wird langsam komisch. Wir sollten für heute
Schluss machen!“
„Ich und komisch? Das ist jawohl eine
Oberfrechheit! Wer ist denn hier komisch? Das seid doch wohl ihr,
mit dieser komischen Aktion hier!“ Volker bekommt richtig rote
Wangen. Irgendwie sieht er ganz niedlich aus, wenn er sich so
aufregt, denke ich.
„Mensch, Volker! Was ist denn heute mit dir
los? Hast du deine Tage?“, will Nina wissen. Volker murmelt wieder
etwas Unverständliches. Ich glaube, ich will auch gar nicht wissen,
was er gesagt hat.
Nina klopft Volker freundschaftlich auf die
Schulter und bedankt sich für seine Hilfe. Das nächste Mal brauchen
wir seine Ausrüstung erst wieder in ein paar Tagen. In der
Zwischenzeit will Nina mit mir, Anja und Olgér ein paar
Trockenübungen machen – was auch immer das heißen
mag!
Mehmet scheint immer noch etwas beleidigt
zu sein, als wir aufstehen und nach unserer Rechnung
fragen.
„Wenn ihr nicht wollt, dass ich mitmache
bei eure Casting, ihr seid selber schuld! Hätten wir gewonnen bei
Eisbecher-Rekordversuch. Muss ich mir andere Manager suchen. Und
du“, er zeigt mit dem Finger auf mich, „sieh dir an
Mehmet00 Familie auf Youtube, da sind alle meine Brüder. Wird bestimmt
einer dir gefallen, eh!“
Couchgeflüster
Donnerstagabend.
Nina, Anja und ich sitzen zusammen mit
Olgér in unserem Wohnzimmer und lassen das Casting im Sapiano Revue
passieren. Anja und Olgér sind schon sehr gespannt, alle
Einzelheiten zu erfahren.
„Nein, wie unverschämt! Das ist too much
empörend! Was manche Männer sich einbilden!“ Olgér ist entsetzt
über unsere Beschreibung von der dreisten Männergruppe. „Aber
dieser Tierarzt hört sich doch ganz nett an. Hast du schon einen
Termin für deinen Hamster ausgemacht?“, erkundigt sich
Anja.
„Ja. Ich habe heute morgen mit einer sehr
netten Sprechstundenhilfe gesprochen. Am Mittwoch ist der Termin.
Und Olgér und ich haben am Montagabend unsere erste Tanzstunde bei
Stefan Lambert!“
„Because I-iei had the time of my life ...“
Olgér ist aufgesprungen und wirbelt in seinen neusten High Heels
mit einem imaginären Partner durch den Raum. Das sieht wirklich zum
Schreien aus. Nina, Anja und ich kichern. „Wer von euch tanzt denn
dann den Mann und wer die Frau?“, will Anja
wissen.
„Das steht scheinbar noch nicht ganz
fest!“, antworte ich und betrachte kopfschüttelnd den hopsenden
Olgér. Auf was habe ich mich da nur wieder
eingelassen?
„Hast du Volker schon gefragt, ob er am
Montag und am Mittwoch Zeit hat?“, wendet sich Nina an
Anja.
„Ja, habe ich. Er kann. Aber sonderlich
begeistert war er nicht. Er hat irgend etwas Unverständliches vor
sich hingebrummelt. Was war denn los? Habt ihr euch gestritten?“
Anja sieht Nina und mich auffordernd an.
„Ich weiß nicht, was Volker für ein Problem
hat. Er nörgelt die ganze Zeit an unseren Kommentaren rum und als
Lola von ihrem Herkules erzählt hat, wurde er richtig komisch. Hat
uns einen Vortrag über Beziehungen gehalten. Hat er eigentlich
eine? Eine Beziehung, meine ich?“, fragt Nina.
„Seine Freundin und er haben sich gerade
getrennt. Sie hat ihn betrogen und er hat sie erwischt. Echt üble
Geschichte! Deshalb ist er gerade wahrscheinlich ein bisschen
frustriert. War vielleicht nicht so eine gute Idee, ausgerechnet
ihn um Hilfe zu bitten, aber ich kenne sonst niemanden, der sich
mit Kameras und Mikrofonen auskennt!“, erzählt
Anja.
Armer Volker, denke ich. Und ich habe ihn
für einen Miesepeter gehalten. Dabei geht es ihm gerade genau so
wie mir. Ich kann mich noch gut an mein Fiasko mit Sven erinnern.
Wie er mit dieser Tussi in der Dusche stand... Ich kann nicht
behaupten, dass ich über diesen Schock schon hinweg bin. Auf jeden
Fall nehme ich mir vor, ab jetzt ganz nett zu Volker zu
sein.
Auch Nina nickt verständnisvoll. „Ach so!
Dann müssen wir uns Volkers Kommentare eben anhören und sie einfach
ignorieren.“
Olgér hat seine Tanzeinlage inzwischen
beendet und lässt sich neben mich auf das Sofa plumpsen. „Hach, das
war too much schön! Ich freue mich schon so auf unsere erste
Tanzstunde. Wollten wir nicht noch ein paar Trockenübungen mit Lola
machen?“ Er stupst Nina an und grinst verschwörerisch. Nina grinst
zurück. „Ja, wollten wir. Wir machen jetzt ein Flirt-Coaching mit
dir, damit du für die ersten Treffen mit unseren gecasteten Männern
auch fit bist.“ Nina holt einen Laptop aus ihrer Tasche und klappt
ihn auf.
„Was habt ihr vor? Was willst du denn mit
dem Laptop?“ Mir schwant nichts Gutes.
„Wir chatten. Ich habe ein Profil für
dich bei mnlp gemacht.“
Oh nein, was kommt denn jetzt. „Was
ist denn mnlp?“, erkundige ich mich.
„Mensch Lola, du suchst einen Mann und
lebst dabei völlig hinter dem Mond. Mnlp ist die
Abkürzung für
mein-neuer-love-partner.com, das
weiß doch eigentlich jeder!“, Anja schüttelt den
Kopf.
„Ich bin eben nicht jeder!“, antworte ich
beleidigt. Zugegebenermaßen bin ich, was Chat- und Internetforen
angeht, wohl wirklich nicht auf dem neuesten Stand. Aber auch ich
habe einen facebook Account, den ich regelmäßig benutze, also ganz
so hinterwäldlerisch muss man mich ja auch nicht
darstellen.
„Zeigen! Zeigen!“, schreit Olgér und drängelt sich nach
vorne, um besser auf den Bildschirm gucken zu können. „Wie sieht
Lolas Profil denn aus?“
Auch Anja will wissen, was Nina da gemacht
hat. Und ich erst!
Nina loggt sich bei mnlp ein und ich starre
auf das Profil. „Bist du irre?“, rutscht es mir heraus, denn was
ich sehe ist folgendes:
Mnlp Name:
Glücksbärchen00
Familienstand: Single auf der Suche nach dir
Beruf: besser verdienende Angestellte in der Tourismusbranche
(ich kann in einigen Hotels kostenlos übernachten)
Lieblingsfarbe: lila
Humor: vorhanden
Wo und wie würdest du gerne einmal deinen
Urlaub verbringen?: Da ich in meinem
Beruf fast umsonst Urlaub mache, würde ich gerne meinen Urlaub mit
dir in deinem Loft vor deinem Kamin verbringen (mit oder ohne
Kleidung)
….
„Nina, was soll das denn? Wer das liest,
denkt ich bin eine geldfixierte, notgeile Schnepfe mit Hang ins
Kitschige: Glücksbärchen00! Was ist denn das für ein bescheuerter
Name? Und: Möchte den Urlaub mit dir mit oder ohne Kleidung vor dem
Kamin verbringen …?“ Ich bin ehrlich entrüstet. Da hätte ich Nina
doch mehr zugetraut.
„Mensch Lola, reg dich doch nicht auf! Das
ist doch Absicht. Auf diese Anzeige melden sich genau die Typen,
auf die du sonst immer reinfällst. Ich will dir zeigen, wie die
ticken. Sieh mal, du hast schon 10 Interessenten. Wir sehen mal,
wer online ist und chatten ein bisschen mit so einem
sexorientierten Vorzeigearschloch!“
Nina ruft die Liste meiner Interessenten
auf:
Mr.Smiley39
online
Bobobär71
Looney
Testosteron35
online
Karlchen
online
The_Impossible_Men
MichaelXYZ
DarkKnight42
Muckimen
online
Lars92
online
„Im Moment sind Mr. Smiley39,
Testosteron35, Karlchen, Muckimen und Lars92 online. Mit wem willst
du chatten?“
Ich seufze und zucke mit den Achseln.
„Keine Ahnung! Testosteron35 und Muckimen hören sich wie Machos an.
Karlchen ist doch eigentlich ein Name für einen Dackel und Lars92
ist wahrscheinlich entweder ein ganz junger Typ, wenn er mit 92
sein Geburtsjahr meint oder ein ganz alter Opi. Mr.Smiley39 hört
sich ganz nett an.“
„Ich finde du solltest entweder Testosteron35 oder
Muckimen nehmen. Das sind doch genau die Typen bei denen du sonst
immer anbeißt“, mischt sich Anja ein.
„Finde ich auch. Nimm mal Testosteron35,
das ist doch ein heißer Name“, kichert Olgér.
Ich füge mich meinem Schicksal. „Na gut,
meinetwegen! Und wie soll ich anfangen?“
Nina dreht den Bildschirm in meine
Richtung. „Ich habe schon mal angefangen, den Rest machst
du!“
Glücksbärchen00@Testosteron35:
Hey, testosteron35, wie kommt man auf so
einem namen?
Testosteron35: selber hey. ich nenne mich so, wie ich bin. halt echt
mega gut drauf ;-) und selbst? wieso
glücksbärchen00?
Ohne lange zu überlegen, tippe ich die
Antwort.
Glücksbärchen00: weil der name so schön kitschig klingt.
Testosteron35: und du stehst auf kitsch?
Glücksbärchen00: nicht wirklich!
Testosteron35:
auf was stehst du denn?
„Wie billig! Der kommt ja schnell zur
Sache!“, Anja schnaubt verächtlich.
„Wieso?“, frage ich. Ich verstehe nicht,
was Anja meint. So schlimm ist der Typ doch gar
nicht.
„Lola, ehrlich. Auf was stehst du denn? Das ist doch keine normale Frage. Der Typ will bestimmt
nur schnellen Sex. Wahrscheinlich ist er verheiratet und hat vier
Kinder“, mutmaßt Nina.
„Und das denkst du aufgrund einer einfachen
Frage?“ Ich halte Ninas Ausführungen für reichlich
übertrieben.
„Weitermachen, weitermachen. Schreib ihm
zurück!“, drängelt Olgér ungeduldig. Ich denke kurz nach und tippe
dann den nächsten Satz.
Glücksbärchen00: habe viele interessen. auf was stehst du
denn?
Hah, was für ein kluger Schachzug von mir.
Beifallheischend sehe ich meine Freunde an.
„Du lernst dazu. Selbst ausweichend
antworten und ihm seine wahren Motive entlocken. Nicht schlecht!“,
gibt Nina zu.
Testosteron35:
auf alles was spaß macht. nackt kuscheln
…
„Hab ich es doch gewusst!“ Nina klatscht in
die Hände. „Jetzt machen wir ihn fertig. Schreib doch
einfach: Und was sagt deine Frau
dazu? Mal sehen, was dann
passiert!“
Brav gebe ich den Satz ein. Ich bin
wirklich gespannt, ob Nina Recht hat...
Glücksbärchen00: und was sagt deine frau dazu?
Testosteron35 hat sich
ausgeloggt.
Testosteron35 hat den Chatraum
verlassen.
Ich bin sprachlos. So
hätte ich Testosteron35 wahrscheinlich nicht eingeschätzt.
Womöglich hätte ich mich sogar auf ein Date mit ihm eingelassen und
wenn ich mich richtig in ihn verliebt hätte, hätte ich die Fotos
von seiner Frau und den drei Kindern in seiner Brieftasche
gefunden. Warum bin ich nur so schlecht darin, Männer richtig
einzuschätzen?
„So ein Schuft!“, empört sich Olgér. „Die
arme, arme Frau. Der ist bestimmt too much
untreu!“
„Verstehst du jetzt, was ich meine?“, will
Nina wissen.
„Ich glaube schon“, antworte
ich.
„Wollen wir noch einen anderen zum Üben
ausprobieren? Wie wäre es denn jetzt mit Karlchen oder Mr.
Smiley39?“, schlägt Anja vor.
„Lasst uns Karlchen nehmen, das hört sich
sooo niedlich an! Karlchen und Glücksbärchen00!“ Olgér malt kleine
Herzchen in die Luft.
„In Ordnung!“, stimme ich Olgér zu.
Eigentlich ist chatten ganz witzig, besonders wenn es nicht ernst
gemeint ist, denke ich.
Glücksbärchen00@Karlchen:
hey karlchen. schön dich hier zu treffen.
erzählst du mir mehr von dir?
Karlchen: hey glücksbärchen00. schön, dass du mir schreibst! ich
bin 42 jahre alt, romantisch, verschmust, liebe schokoladenkekse
und lache gerne und viel. und du?
„Der hört sich doch nett an!“, meint
Olgér.
„Na, warte mal ab. Wenn er wirklich so nett
wäre, wäre er bestimmt nicht auf Lolas Profil angesprungen. Das
habe ich ja extra zweideutig geschrieben. Karlchen scheint nur
etwas geschickter vorzugehen, als dieser Testosteron35 vorhin. Er
weiß scheinbar, was Frauen gerne hören wollen“, meint
Nina.
Ich fühle mich etwas überfordert. „Was soll
ich denn zurück schreiben?“, frage ich in die
Runde.
„Wie wäre es mit: ich bin anfang 30, auch
romantisch, liebe gute bücher und bin gerne kreativ“, schlägt Anja
vor.
„Finde ich ok. Schreib das doch“, Nina
nickt zustimmend.
Nun gut, dann gebe ich das mal
ein:
Glücksbärchen00: ich bin
anfang 30, auch romantisch, liebe gute bücher und bin gerne
kreativ
Karlchen: da
haben wir ja einiges gemeinsam. was ist dein
lieblingsbuch?
Da muss ich nicht lange überlegen. Das
Buch, das ich nun eingeben werde ist mein absolutes Lieblingsbuch
schon seit meiner Abi-Zeit.
Glücksbärchen00: das spiel ist aus.
Karlchen: oh, ein sartre fan.
Ich bin ehrlich beeindruckt. Karlchen
scheint eine gute Allgemeinbildung zu haben. Nicht viele Männer,
die ich bisher kennengelernt habe, wussten dass „Das Spiel ist aus“
von Sartre ist. Vielleicht irrt sich Nina dieses Mal und
Karlchen ist doch kein Reinfall.
„Nina?“ Ich sehe meine Freundin fragend
an.
„Keine Ahnung. Dumm scheint er nicht zu
sein. Frag ihn doch nach seinem Lieblingsbuch!“
Glücksbärchen00: du
kennst dich aus :) was ist denn dein
lieblingsbuch?
Karlchen: ich habe zwei lieblingsbücher. „vom winde verweht“ und
„romeo und julia“.
Anja tippt sich an die Stirn. „Das ist doch
kein Kerl! Kann mir doch keiner erzählen, dass ein Mann diese Titel
als Lieblingsbücher hat! Wisst ihr, was ich glaube? Da sitzen auch
ein paar Mädels vor dem Computer und machen sich einen lustigen
Abend, indem sie als Mann im Netz unterwegs sind und
chatten.“
„Was soll das denn? Ich mag
Vom Winde verweht und Romeo und
Julia auch!“, beschwert sich
Olgér.
„Na klar. Aber du stehst ja auch eher auf
Sachen, die wir Mädels mögen, oder nicht?“, meint
Nina.
„Hmm, stimmt! Hört sich wirklich etwas soft
an dieser Karlchen!“
„Und jetzt?“, frage ich in die
Runde.
„Frag doch mal, wie viele Mädels gerade vor
dem Computer sitzen und sich einen lustigen Frauenabend machen“,
schlägt Anja vor.
„Wenn ihr meint!“ Ich gebe die Frage ein
und klicke auf Enter.
Glücksbärchen00: wie viele mädels sitzen dann gerade vor dem rechenr und
chatten mit uns?
Karlchen: ich verstehe die frage nicht! und wieso chatten
mit uns? Ich dachte, das hier wäre privat. verarschen kann ich
mich alleine. und tschüss!
Karlchen hat sich
ausgeloggt.
Karlchen hat den Chatraum
verlassen.
Ich atme hörbar aus und massiere meine
Schläfen. Dieses ganze Chatten wird mir langsam zu viel. Und
richtig gut darin sind meine Freunde ja scheinbar auch
nicht.
„Das war ja wohl nix. Der ist jetzt
beleidigt!“ Olgér schüttelt den Kopf.
„Na, vielleicht ist chatten nicht so unser
Ding. Lasst uns lieber bei dem Casting bleiben, da kann man die
Männer wenigstens sehen. Ich habe übrigens noch eine Idee für einen
Castingort. Wir leihen uns einen Hund und gehen am Samstagvormittag
in den Park. Da lernt man jede Menge Leute kennen. Volker habe ich
schon gefragt und einen Hund kann ich auch besorgen. Nur Vivien
kann nicht. Die ist gerade für ein großes Fotoshooting in Südafrika
gebucht worden und danach will sie dort Urlaub machen. Die nächsten
Wochen müssen wir also ohne sie klar kommen. Aber ich denke, das
schafft Lola mit unserer Hilfe auch alleine. Was meint ihr?“, fragt
Nina.
Hunderunde
Samstagvormittag.
„Einen kleineren Hund hast du nicht
gefunden?“ Entsetzt sehe ich Nina an. Nina hat gerade das Café
betreten, in dem Volker, Olgér und ich seit einigen Minuten sitzen
und auf sie warten. An einer Leine führt sie einen riesigen
braun-schwarzen Hund spazieren.
„Das ist Bones. Er ist ein
Bernhardiner-Mischling. Und eigentlich ganz lieb!“
„Was heißt denn eigentlich ganz lieb?“
Ich fasse es nicht, dass ich mich schon wieder auf so einen Unsinn
eingelassen habe. Ich mag Hunde, aber ich habe keine Ahnung, wie
man mit ihnen umgeht. Ich dachte, Nina leiht uns einen ganz kleinen
Hund für unser nächstes Casting aus, so einen Paris Hilton Hund
oder etwas Ähnliches. Und nun steht sie vor mir mit dem größten
Hund, den ich jemals gesehen habe.
„Na, er mag andere Rüden nicht. Aber sonst
ist er ein ganz Lieber. Nicht wahr, mein Süßer? Ja, du bist ein
feiner Kerl!“
Bones wedelt mit dem Schwanz und schleckt
Ninas Hand ab.
„Oh, Ninalein. Der ist aber too much groß.
Kann Lola den denn halten?“ Olgér runzelt sorgenvoll die
Stirn.
„Ich finde ihn auch ein bisschen zu groß
für Lola“, wirft Volker ein.
„Quatsch, Bones tut doch nix. Und Männer
stehen eher auf große Hunde und nicht auf die Paris Hilton
Miniversion. Außerdem kenne ich nun mal keinen anderen
Hundebesitzer. Bones ist der Hund eines Kollegen. Er geht auch mit
ins Büro und da hat er auch noch niemanden gefressen!“, erwidert
Nina. „Wo ist eigentlich Anja?“, fragt sie dann.
„Die hat keine Zeit.
Familienverpflichtungen,“ antwortet Volker.
Versuchen kann ich es ja mal, mit diesem
Riesentier, denke ich. Eigentlich ist er ja ganz süß, wenn er so
treu guckt.
Bones merkt, dass ich ihn mustere und kommt
zu meinem Platz. Er stupst mich mit seiner feuchten Hundenase an,
ganz so als wolle er sagen: Komm, wir schaffen das
schon!
„Siehst du, er mag dich. Bones ist sehr
schlau. Er hat wohl gleich gemerkt, dass du dich unwohl fühlst!“,
Nina grinst zufrieden.
Bones geht einen Platz weiter und stupst
den neben mir sitzenden Olgér an. „Ah, nein! Hilfe! Nehmt das Tier
von mir weg. Ich habe Angst vor too much großen
Hunden!“
„Komm her, Bones“, rufe ich und der Hund
kommt ganz brav zu mir zurück. „Ok, ich probiere es. Volker,
verkabelst du mich?“
„Wenn der Hund mich lässt!“, grinst Volker.
„Der mag dich ja scheinbar.“
In der Tat klebt Bones an mir. Das wird
schon klappen mit uns beiden, denke ich zuversichtlich, und
vielleicht lerne ich ja auch tatsächlich jemanden kennen. Ich habe
schon öfter gelesen, dass Hundebesitzer sehr kommunikative Leute
sind und dass man mit Hunden schnell Menschen kennenlernt. Das
werde ich gleich mal testen!
„So ist es brav!“, lobe ich den Hund kurze
Zeit später, als er friedlich neben mir an seiner Leine vor sich
hin trottet. Ab und zu bleibt er stehen, um an einem Baum zu
schnüffeln und zu urinieren. Ich beginne mich zu entspannen. Das
klappt doch gut!
„Siehst du Lola, Bones ist ein ganz lieber
Kerl! Entspann dich und guck dich mal ein bisschen um. Mal sehen,
ob was Gescheites im Park unterwegs ist!“, höre ich Ninas Stimme aus meinem
Ohrmikrofon.
Ein lustiges Gefühl, mit den anderen reden
zu können, ohne sie zu sehen. Ich komme mir ein bisschen wie eine
Geheimagentin vor. Olgér würde sagen: Too much
aufregend!
Im Park sind eine ganze Menge Leute
unterwegs. Jogger, Familien mit kleinen Kindern, die mit
keksverschmierten Gesichtern in ihren Buggys sitzen,
Rentnerehepaare und auch einzelne Spaziergänger mit und ohne
Hund.
Plötzlich schießt ein kleines weißes
Wollknäuel an uns vorbei. Bones wedelt – und das macht er nicht nur
mit seinem Schwanz! Sein ganzer massiger Körper wackelt. Auch ich
vollführe schlenkernde Bewegungen, denn Bones Gewackel überträgt
sich durch die Leine auf mich.
„Schätzelein, übst du schon mal den
Lambada?“, höre ich Olgérs kichernde Stimme in meinem
Ohrmikro.
„Sehr witzig!“, zische ich. „Versuch du
doch mal ruhig stehen zu bleiben, wenn so ein Koloss an der Leine
herumwackelt!“
Das kleine weiße Wollknäuel hat den
wedelnden Bones inzwischen entdeckt und kommt zu uns zurück
gelaufen. Bones rastet schier aus vor Freude. Ich habe Mühe ihn zu
halten.
„Fee! Fee, hierher!“
Ein sichtlich genervter Hundebesitzer biegt
um die Ecke und bleibt schnaufend vor uns stehen.
„Fee, du böser Hund! Du sollst doch nicht
einfach so weglaufen!“
Das weiße Wollknäuel springt übermütig an
ihm hoch und wedelt mit dem Schwanz.
„Tut mir leid“, entschuldigt sich der
Hundebesitzer bei mir, „Fee ist noch ganz jung. Wenn sie andere
Hunde entdeckt, haut sie immer ab!“
„Ach, nicht schlimm! Bones scheint sie ja zu mögen!“,
antworte ich während Bones verzückt an Fees Hinterteil
schnuppert.
„Bones? Witziger Name! Wie alt ist er
denn?“
„Drei!“,
hilft Ninas Stimme mir auf die Sprünge. „Am besten unterhältst du dich noch ein bisschen mit
ihm über seinen Hund. Hundebesitzer reden immer gerne über ihre
Hunde!“
Brav folge ich den Anweisungen: „Bones ist
drei und Fee?“
„Sechs Monate“, antwortet Fees
Herrchen.
„Also ich finde, der sieht ganz nett aus!“,
meint Nina während sie mit Olgér und Volker dicht gedrängt vor
Volkers Laptop sitzt. Lolas versteckte Kamera überträgt ein
ziemlich gutes Bild von Fees Herrchen. Er ist sehr lässig
gekleidet, hat dunkle Haare und eine sportliche
Figur.
„Vielleicht ist er ja schon vergeben!“,
wirft Volker ein.
„Stimmt, das müssen wir herausfinden. Am
besten Lola fragt ihn, wo denn Fees Frauchen ist!“, meint Nina und
spricht die Anweisung in das Mikrofon.
„Lola, finde mal heraus, ob er Single ist.
Frag ihn doch einfach, wo Fees Frauchen ist!“
Warum nicht?, denke ich. Er sieht auf jeden
Fall ganz nett aus. Wäre rein äußerlich schon mein
Typ.
„Na Fee!“ Ich beuge mich herunter und
streichele das kleine Fellmonster. „Wo hast du denn dein Frauchen
gelassen?“
„Fee hat keins. Sie hat nur mich!“,
antwortet ihr Herrchen.
„Strike!“, jubelt Olgér. „Ein Single!
Geniale Idee, das mit dem Hund, Nina!“
„Danke“, Nina grinst zufrieden. Volker
sitzt daneben und schweigt. Heute scheint er auf dumme Kommentare
zu verzichten, denkt Nina erleichtert.
Auf dem Monitor ist nun zu erkennen, dass
Lola und Fees Herrchen sich angeregt unterhalten, während die
beiden Hunde um sie herumwuseln.
„Lass dir seine Telefonnummer geben, Lola!
Du kannst ja sagen, dass du öfter auf Bones aufpasst und dass Bones
Fee scheinbar mag. Dann könnt ihr euch nochmal
verabreden“, instruiert Nina
mich.
Das klappt ja prima, denke ich, als ich mit
der Telefonnummer von Till, Fees Herrchen, in der Tasche kurze Zeit
später weitergehe. Mal sehen, wen Bones und ich noch so alles
kennenlernen.
Gemütlich schlendern wir weiter durch den
Park. Hin und wieder bleibt Bones stehen und schnüffelt. Das macht
ja richtig Spaß mit Hund im Park, finde ich. Ich fühle mich
komplett entspannt. Doch dieses Gefühl hält nicht lange. Plötzlich
werde ich unsanft zur Seite gerissen. Ein mittelgroßer schwarzer
Hund steht vor uns und knurrt Bones böse an. Bones stemmt sich in
die Leine und knurrt zurück. Das übersteigt meine Kräfte. Die Leine
gleitet mir aus den Fingern und Bones geht auf den anderen Hund
los.
„Oh nein!“, schreie ich. „Bones, aus! Lass
das! Nein!“
Bones beachtet mich nicht. Er ist mit
Knurren beschäftigt und versucht den anderen Hund zu beißen. Ich
bin völlig verzweifelt.
„Hilfe, Nina!“, rufe ich in das
Mikrofon.
Doch bevor Nina antworten kann, kommt eine
völlig aufgelöste ältere Dame im Stechschritt auf uns
zu.
„Oh Gott, Blacky! Halten Sie Ihren
Scheißköter fest!“, schreit sie mich an.
„Ich weiß nicht, was ich tun soll!“,
antworte ich.
„Scheiße!“,
höre ich Ninas Stimme aus meinen Ohrstöpseln.
„Sind Sie bescheuert? Halten Sie sofort
Ihren Kampfhund fest! Blacky, oh nein, Blacky!“, brüllt die
Frau.
Ich versuche Bones am Halsband weg zu
zerren, aber er ist zu stark für mich. „Hilfe! Helft mir doch!“,
rufe ich.
Auf einmal steht Volker neben mir. „Aus!“,
sagt er und reißt Bones am Halsband zurück. Der andere Hund,
Blacky, liegt am Boden und jault.
„Ich zeige Sie an! Dieser Kampfhund muss
einen Maulkorb tragen!“, zetert Blackys Frauchen.
„Wollen Sie nicht lieber mal nachsehen, ob
mit Ihrem Hund alles in Ordnung ist anstatt hier rumzuschreien?“,
fragt sich Volker, während er Bones an einem Baum festbindet. Dann
kommt er zurück, bückt sich und streichelt Blacky.
„Na, alles ok mit dir?“
„Ich kann keine Bisswunde entdecken“,
wendet Volker sich dann an Blackys Frauchen, die immer noch
stocksteif da steht und ihren Hund anstarrt. „Ich glaube er hat nur
einen Schrecken gekriegt!“
„Das können Sie ja gar nicht beurteilen
oder sind Sie etwa Tierarzt? Ich will Ihren Namen und die Adresse“,
keift die Frau und zeigt mit dem Finger auf mich. „Ich zeige Sie
an, jawohl!“
Völlig geschockt versuche ich zu antworten,
bringe aber keinen Ton heraus. Mein Puls rast und Adrenalin schießt
durch meine Venen.
„Jetzt machen Sie aber mal halblang. Bones
war ja nicht ohne Grund an der Leine. Da hätten Sie Ihren Blacky
eben auch anleinen sollen. Und außerdem hat Ihr Hund angefangen.
Bones hat sich nur gewehrt“, verteidigt Volker mich und
Bones.
„Woher wollen Sie das denn wissen?“, keift
die Dame.
„Ich habe es gesehen! Und wenn Sie so etwas
hier vermeiden wollen, müssen Sie besser auf Ihren Hund
achten!“
Giftig starrt Blackys Frauchen Volker an.
Dann packt sie ihren Hund, der längst wieder aufgestanden ist und
interessiert an einem Grasbüschel schnuppert, unsanft am Halsband
und geht schimpfend und zeternd weiter.
„Alles ok?“, fragt Volker und sieht mich an. Ich
schüttele den Kopf. Ich stehe immer noch unter Schock. „Komm mit“,
sagt Volker und legt den linken Arm um meine Schultern. In seiner
rechten Hand hält er Bones Leine. Bones scheint sich auch wieder
beruhigt zu haben und trottet freudestrahlend neben uns her, ganz
so als wäre nichts gewesen.
„Wir geben das Monster bei Nina ab und dann
lade ich dich zum Essen ein. Hast du Lust?“
Ich nicke. Hunger habe ich zwar keinen,
aber einen Drink könnte ich jetzt gut gebrauchen. In einiger
Entfernung sehe ich, wie Olgér und Nina uns aufgeregt entgegen
kommen. Olgér schwenkt die Arme und trippelt so schnell,wie seine
High Heels es erlauben, auf uns zu.
„Lola, Schätzelein, geht es dir gut? Dieser
Hund ist ja too much unerzogen! Du Bestie!“ Olgér deutet mit dem
Zeigefinger auf Bones. Der fühlt sich angesprochen und schmiegt
sich an Olgérs Beine. Olgér gerät auf seinen High Heels ins
Straucheln. „Nehmt dieses Tier von mir weg!“, kreischt
er.
„Tut mir wirklich leid.“, Nina sieht mich
zerknirscht an. „Ich wusste nicht, dass Bones so ausrastet. Sein
Herrchen hat gesagt, er würde sich nicht so gut mit anderen Rüden
verstehen, aber dass er sie gleich auffressen will, hat er nicht
erwähnt. Komm, du Ungeheuer, ich bringe dich nach
Hause.“
Nina nimmt Bones Leine und verabschiedet
sich von uns. „Ich rufe dich nachher nochmal an, Lola“, sagt sie.
Ich nicke und Nina zieht mit dem schwanzwedelnden Hund von
dannen.
„Hach, das war einfach too much für mich.
Ich brauche ein heißes Bad und eine große Tasse Matcha Tee. Von der
ganzen Aufregung bekomme ich noch Falten“, Olgér greift sich
theatralisch an die Stirn. „Kommst du mit nach Hause,
Lola?“
„Volker und ich wollen noch was Essen
gehen“, antworte ich.
„Also ich bekomme jetzt keinen Bissen
herunter. Ich fahre dann. Bis später.“ Olgér wünscht uns viel Spaß
und stolziert in Richtung Parkausgang. „Komm, ich kenne einen ganz
tollen Italiener in der Nähe. Lass uns dort hinfahren“, schlägt
Volker vor.
Pizza, Pasta und Personality
„Und? Geht
es dir jetzt besser?“, fragt Volker nachdem ich einen großen
Schluck von meiner Weinschorle genommen habe.
„Ja, danke!“, antworte ich und lehne mich
wohlig zurück. Volkers Lieblingsitaliener ist ein echter
Geheimtipp. Die Einrichtung ist modern, aber trotzdem gemütlich und
die kleine Gartenterasse mit den romantischen Lauben und blühenden
Rosenstöcken eine wahre Freude für die Sinne.
Wenn das Essen auch so gut ist wie das
Ambiente bin ich für heute wunschlos glücklich, denke ich. Und ich werde nicht enttäuscht. Meine Pasta
ist ein Traum. Lächelnd sehe ich Volker an. Der hat gerade seine
Baseballkappe abgenommen, um seinen Pferdeschwanz zu lüften und
sitzt nun ganz entspannt auf seinem Platz und genießt genau wie ich
sein Essen und die beschauliche Atmosphäre.
„Trägst du die immer schon so lang? Deine
Haare meine ich“, will ich wissen.
Volkers eben noch so entspannter
Gesichtsausdruck weicht einer missmutigen Grimasse. „Nein, nie! Ich
hatte immer kurze Haare. Aber nach der Sache mit Sabine hatte ich
einfach keine Lust mehr mich zu stylen und perfekt zu kleiden.
Sabine ist Modedesignerin und für sie war es immer extrem wichtig
einen vorzeigbaren Partner zu haben“, Volker verdreht genervt die
Augen.
„Ach so!“, murmele ich. Keine besonders
intelligente Bemerkung, aber mehr fällt mir gerade nicht ein. Ich
kann Volkers Antihaltung sogar irgendwie verstehen. Aber seine
Reaktion zeigt auch, dass er noch lange nicht über Sabine hinweg
ist.
„Willst du erzählen, was passiert ist?“,
frage ich teilnahmsvoll.
Volker überlegt kurz, dann zuckt er mit den
Achseln. „Viel zu erzählen gibt es nicht. Ich dachte bei Sabine und
mir würde alles gut laufen. Wir hatten viele Pläne. Eigenes Haus,
irgendwann Kinder. Bis ich eines Tages früher von einem Job nach
Hause gekommen bin und ….“
Volker unterbricht seine Erzählung und
starrt aus dem Fenster. Ich berühre seinen Arm. Ich kann so gut
verstehen, was gerade in ihm vorgeht. Dieses Bild von Sven und der
nackten Frau in der Dusche hat sich in meine Netzhaut eingebrannt.
Wahrscheinlich sieht Volker gerade ein ähnliches
Bild.
„Sie hat mich betrogen – mit meinem besten
Freund – monatelang! Jetzt wollen die beiden heiraten und Sabine
ist von ihm schwanger!“
Autsch, denke ich. Fremdgehen ist eine
Sache, aber dann noch mit dem besten Freund und auch noch gleich
schwanger werden und heiraten …. Armer Volker! Diese Nummer ist um
einiges härter als meine Geschichte mit Sven.
„Tut mir wirklich leid! Ich kann dich echt
gut verstehen! Mir ist mit meinem letzten Freund Sven etwas
Ähnliches passiert. Wir waren zwar noch nicht so lange zusammen,
aber weh tat es trotzdem.“ Jetzt bin ich es, die aus dem Fenster
starrt.
„Verdammt!“ Erschrocken zucke ich zusammen.
Volker hat gerade mit der Faust auf den Tisch gehauen und mich so
zurück in die Wirklichkeit geholt. „Mir reicht es! Schluss mit dem
Trübsal blasen! Ich will was ändern – sofort!“
Was hat er vor?
„Würdest du mit mir zum Friseur gehen? Ich
will wieder eine normale Frisur! Nicht mehr so durchgestylt wie
früher, aber auch nicht so jämmerlich wie jetzt. Hier um die Ecke
ist ein guter Friseur. Kommst du mit? Bitte!“
Flehend blickt Volker mich
an.
Er hat wirklich hübsche Augen,
denke ich. Tiefblau, wie der Ozean.
Ich finde zwar, dass seine Bitte jetzt ein
leichtes Übersprungsverhalten ist, aber warum nicht? Die langen
Haare stehen ihm wirklich nicht!
„In Ordnung, lass uns bezahlen! Ich komme
mit!“, antworte ich.
Eine halbe Stunde später sitze ich auf
einem gemütlichen braunen Ledersessel und blättere vergnügt in
einer Frauenzeitschrift. Interessant, wer sich mal wieder so alles
von wem getrennt hat. Für die Reichen und Schönen ist es scheinbar
auch nicht so einfach den richtigen Partner zu finden! Das baut
mich richtig auf! So ein spezieller und hoffnungsloser Fall scheine
ich also gar nicht zu sein. Wenn das mit diesem Casting nichts
wird, bleibe ich eben ohne Mann, überlege ich. Und Kinder kann man
auch ohne Partner adoptieren und groß ziehen, das ist bei den Stars
ja auch gerade in. Oder ich frage Olgér nach einer Samenspende. Das
Kind kommt dann bestimmt schon mit High Heels zur
Welt!
Ich kichere.
„Na, was gibt es da zu
lachen?“
Glucksend drehe ich mich um. Hinter meinem
Sessel steht – nein, das kann nicht sein! „Volker?“, frage
ich.
„Derselbige! Mit neuem Look“, antwortet er
und verbeugt sich vor mir.
Mein Gott, was so eine neue Frisur
ausmachen kann, denke ich. Volker sieht toll aus. Richtig attraktiv
mit seinem flotten Kurzhaarschnitt und dem frechen Grinsen im
Gesicht. „Und? Gefalle ich dir?“, will er wissen.
„Und wie! Ähh, ich meine, gut siehst du
aus!“, verbessere ich mich schnell.
„Und wie
… ist doch schon mal ein Anfang!“,
lacht Volker. „Hättest du auch noch Lust mit mir ein paar neue
Klamotten auszusuchen? Ich bin gerade im
Umstylingfieber!“
Ich hüpfe von meinem Sessel. „Klar! Wir
können ja Olgérs Lieblingsläden unsicher machen und dir ein paar
hübsche Highheels kaufen!“
Volker feixt und droht mir mit dem Finger.
Ich zwinkere ihm zu und hake mich gutgelaunt bei ihm ein. Los
geht’s, Boutiquen wir kommen!
Etliche Läden später schleppen wir Volkers
Beute – zahlreiche Tüten mit coolen Klamotten – zu seinem Auto.
Einige der Sachen hat er gleich anbehalten. Mit dem neuen Style und
der neuen Frisur ist Volker ein komplett anderer Typ. Er scheint
sich sichtlich wohl zu fühlen.
„Danke Lola, das hat gut getan! Hast du
vielleicht noch Lust auf einen Cappuccino bei
Luigi?“
Ich nicke zusimmend. Klar habe ich Lust,
obwohl dieser Luigi meiner Meinung nach etwas sonderbar ist.
Hoffentlich fragt er mich nicht, ob ich mir die Filme seiner
Familie auf YouTube angesehen habe. Aber noch etwas Zeit mit Volker
würde ich gerne verbringen. Wo es doch gerade so lustig
ist.
Wir verstauen Volkers Tüten im Auto und
parken einige Minuten später vor Luigis Laden.
„Hallo Mehmet“, begrüßt Volker den Eiscafé
Besitzer, „alles gut bei dir?“
„Hallo Volka! Alles va bene! Ah, ich sehe,
du hast wieder mitgebracht, die Frau, die einen Mann braucht. Wollt
ihr wieder machen eine Casting in meine Laden?“
„Nein, nein Mehmet, keine Sorge. Wir wollen
bloß einen Cappuccino trinken. Bringst du uns
zwei?“
„Sicher, kommt sofort!“, Luigi saust hinter
die Theke und bringt uns wenig später die gewünschte Getränke an
den kleinen Tisch am Schaufenster, an dem wir in der Zwischenzeit
Platz genommen haben. Zumindest scheint er nicht mehr verstimmt
darüber zu sein, dass er bei unserem Casting nicht mitmachen
durfte.
„Hast du dir angesehen meine Brüder auf
YouTube?“, fragt er dann die Frage, vor der ich mich gefürchtet
habe. „Carlos zum Beispiel ist ganz eine nette Kerl. Hat ein
mexikanisches Restaurant. Eigentlich heißt er Ali, aber isser
Marketing, eh! Du müsse Namen so machen, dass er passt zum
Geschäft. So wie ich heiße Luigi!“
„Äh“, mache ich ratlos.
Volker sieht mich an und zwinkert mir zu.
„Nee hat sie sich nicht angesehen, Mehmet. Muss sie auch nicht
mehr. Sie hat ja mich!“
Erstaunt sieht Mehmet-Luigi Volker
an.
„Ah, Volka, ich verstehe. Na na na, du bist
ja eine ganz linke Vogel“, Mehmet grinst und wackelt mit dem
Zeigefinger. „Machst du Trick mit Casting und dann du schnappst dir
die Frau. Musst du mir mal erklären deine Trick!“ Schmunzelnd
verschwindet er im Nebenraum.
„Danke!“ Erleichtert nicke ich Volker zu.
„Du hast mich gerettet! Sonst hätte er mir jetzt bestimmt das Video
von Carlos-Ali vorgespielt.“
„Habe ich gerne gemacht“, lächelt Volker.
„Jetzt denkt Mehmet allerdings, du bist meine
Freundin!“
„Soll er doch glauben, was er will!“,
antworte ich und schmunzle.
Nach einem netten Kaffeeklatsch fährt
Volker mich noch nach Hause. Vor unserer WG angekommen, zaubert er
einen weißen Chiffonschal mit Blümchenstickerei aus einer der
Tüten. „Habe ich für dich gekauft, als du nicht hingesehen hast.
Ich dachte, der könnte dir gefallen. Als kleines Dankeschön für
heute!“
„Oh, der ist ja hübsch! Vielen Dank!“ Ich
drücke Volker einen Kuss auf die Wange und steige schnell aus. Wie
schön so ein verkorkster Tag doch enden kann, denke ich. Das war
wirklich ein toller Nachmittag mit Volker.
Beschwingt schließe ich die Wohnungstüre
auf.
„Lolaaaaaa?“, höre ich Olgér aus seinem
Zimmer rufen. Er klingt irgendwie gequält.
„Ja, bin wieder da“, antworte
ich.
„Gott sei Dank! Kannst du mal kommen?
Schnell!“
Nichts Gutes ahnend öffne ich Olgérs
Zimmertüre.
Das Bild, das sich mir dort bietet, ist
einfach unbeschreiblich.
Ich stehe kurz vor einem Lachanfall. Ein
Glucksen entrinnt meiner Kehle. Was genau Olgér vorhatte, weiß ich
nicht, aber das Ergebnis ist selten komisch. In einem goldfarbenen
Glitzerkostüm mit High Heels an den Füßen, in denen ich niemals
laufen könnte, steht Olgér mit einem Fuß auf der Fensterbank. Der
andere Fuß hängt in einer Art Schlinge fest, die knapp unter der
Decke, an einem Haken befestigt ist. Sein blondes offenes Haar ist
ihm ins Gesicht gefallen und bedeckt es fast vollständig. Er ist in
dieser Position gefangen und kann weder vor noch
zurück.
Das beste an dem Bild aber ist die Kamera,
die Olgér gegenüber auf einem Stativ steht und die unaufhörlich
Fotos schießt. Was hat er bloß tun wollen? Ich kann nicht mehr! Ich
platze gleich! Mein Lachen bahnt sich seinen Weg nach draußen und
prallt laut schallend von den Wänden ab. Tränen laufen mir die
Wangen herunter.
„Das ist überhaupt und so was von gar nicht
lustig!“, jammert der goldene Spiderman in seinem Netz. „Hilf mir!
Bitte!“
Das ist leichter gesagt, als
getan.
Ich versuche mich zu konzentrieren, um
nicht wieder los zu lachen. Olgérs Fuß ist derart in der Schlinge
verdreht, dass ich ihn wahrscheinlich nur mithilfe einer Schere
daraus befreien kann. Den Schuh einfach auszuziehen ist unmöglich.
Und: Wie soll ich überhaupt an Olgérs Fuß
herankommen?
„Halt noch kurz aus, ich muss eine Leiter
besorgen!“, vertröste ich den Unglücksraben.
„Bitte, mach schnell“, wimmert Olgér. „Mein
Bein tut so schrecklich weh!“
Ich verspreche ihm, mich zu beeilen. Wo ist
denn bloß unsere Leiter? Im Wandschrank im Flur, wo sie sonst immer
stand, ist sie nicht. Da fällt mir ein, dass Olgér neulich morgens
mit der Leiter aus dem Haus gegangen ist. „Olgér, wo ist die
Leiter?“, brülle ich.
„Oh nein, die ist noch in meiner Firma.
Bitte, Lola, tu was! Ich halte das nicht mehr
au-au-au-aus!“
Heilige Scheiße, denke ich. Wo kriege ich
jetzt eine Leiter her? Vielleicht hat die alte Frau Huber über uns
eine?
„Ich laufe schnell hoch zu Frau Huber und
frage sie, ob sie eine Leiter hat“, rufe ich und renne ohne Olgérs
Antwort abzuwarten schnell aus dem Zimmer. Hinter mir höre ich die
Kamera weiter klicken. Die habe ich ganz vergessen. Der arme Olgér
wird immer noch fotografiert. Aber jetzt habe ich keine Zeit, die
Leiter ist wichtiger. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend sprinte
ich nach oben. Schnaufend stehe ich vor Frau Hubers Türe und
klingele Sturm. Hoffentlich ist sie da!
Hundegebell ertönt hinter der Haustüre,
dann öffnet sie sich einen klitzekleinen Spalt und Frau Huber lugt
hinaus. „Ja, bitte?“, fragend blickt sie mich durch ihre dicke
Hornbrille an.
„Frau Huber -pfff- ich bin Lola Ernst, von
unten. Ein Notfall -pfff- ! Haben Sie eine Leiter?“, pfeife ich.
Meine Kondition ist momentan nicht die beste. Die paar Stufen hoch
zu sprinten hat mich ganz schön aus der Puste
gebracht.
„Warum?“, fragt Frau Huber
misstrauisch.
„Frau Huber, bitte, ich habe keine Zeit.
Haben Sie eine Leiter oder nicht?“, drängele ich.
„Ja, habe ich“, antwortet Frau Huber.
„Warum?“
Frau Huber macht keinerlei Anstalten ihre
Türe weiter zu öffnen. Durch den Türspalt blickt sie mich
argwöhnisch an.
„Mein Mitbewohner steckt in der Klemme.
Bitte, machen Sie schnell, ich muss ihm helfen!“
„Warum?“
„Kann ich nicht erklären! Das muss man
gesehen haben. Bitte, holen Sie die Leiter!“
„Ihr Mitbewohner?“
„Ja, Holger Neumann, mein
Mitbewohner!“
Scheinbar war das die richtige Antwort.
Frau Huber öffnet ihre Haustüre und geht endlich die Leiter holen.
Sofort schießt ihr kläffender Hund heraus und springt mich an. Nach
dem Erlebnis mit Bones habe ich eigentlich erst einmal genug von
Hunden. „Weg! Kusch! Ab!“, schimpfe ich. Ich kann Frau Hubers Hund
nicht leiden. Er kläfft ständig und macht sein Geschäft vor unserer
Haustüre. Ich bin schon einige Male auf dem Weg zur Arbeit in seine
Tretminen gelatscht. Eine echte Sauerei! Das wollte ich Frau Huber
schon lange sagen, aber im Moment brauche ich ihre Hilfe. „Frau
Huber?“, rufe ich. „Haben Sie die Leiter?“
„Moment noch!“, flötet es aus der
Wohnung.
Was macht die Huber denn da so lange? Und
wieso ist sie auf einmal so gut gelaunt?
„Es kann losgehen! Ich bin so weit!“ Frau
Huber kommt mit einer Haushaltsleiter in der Hand um die Ecke
gehüpft.
Ich sehe sie an und bin
sprachlos.
Die dicke Hornbrille ist verschwunden.
Stattdessen trägt Frau Huber nun eine schicke silberfarbene Brille.
Außerdem hat sie sich in der kurzen Zeit, die ich vor ihrer Türe
gewartet habe, eine Art Kriegsbemalung zugelegt -
türkisfarbener Lidschatten und kirschroter Lippenstift. Eine Wolke
von Lavendelparfüm umweht ihren Körper, der in einem
halbdurchsichtigen roten Seidenkleid steckt. Wahrscheinlich passte
ihr das Kleid vor 20 Jahren, aber nun sieht Frau Huber darin aus
wie eine Presswurst. Warum zum Teufel hat sie sich bloß so
aufgetakelt? Unfähig etwas zu sagen, stehe ich im Hausflur, während
Frau Huber mir die Leiter in die Hand drückt. Danach schubst sie
ihren Hund in die Wohnung zurück und zieht die Türe hinter sich
zu.
„Was stehen Sie da herum? Los auf zur
Rettungsmission!“, meint sie dann und stolziert die Treppe
hinunter.
Ich folge ihr. Eigentlich wollte ich ihre
Hilfe überhaupt nicht, sondern bloß eine Leiter, aber das steht
wohl gerade nicht zur Debatte.
„Huhu Herr Neumann, hier kommt ihre
Rettung! Wo sind sie denn?“, ruft Frau Huber durch unsere offene
Wohnungstür.
„Hier bin ich, Hilfe!“, antwortet Olgér
schwach.
Mit eiligen Schritten folgt Frau Huber
Olgérs Stimme, während ich die Leiter hinter ihr her schleppe. Auf
der Türschwelle zu Olgérs Zimmer bleibt sie wie angewurzelt stehen.
Ihre Lippen klappen in einem tonlosen Stakkato auf und zu. Olgérs
Anblick hat ihr glatt die Sprache verschlagen. Ich drücke mich an
ihr vorbei und stelle die Leiter auf. Dann nehme ich eine Schere
von Olgérs Schreibtisch und klettere nach oben.
„Beeil dich, Lola! Ich kann nicht
mehr!“
Ich packe Olgérs Fuß mit der einen Hand und
schneide mit der anderen Hand das Seil durch.
Geschafft!
Olgér setzt sich vorsichtig auf die
Fensterbank, umklammert seinen Fuß und jammert: „Das tut soooo
weh!“
Frau Huber hat ihre Sprache wiedergefunden.
„Was geht hier vor? Was machen Sie für merkwürdige Spielchen?
Skandalös ist das, skandalös!“
Sie starrt Olgér an und schüttelt heftig
den Kopf. Wenn sie so weitermacht, fällt ihr Kopf gleich ab, denke
ich. Aber jetzt verstehe ich auch ihren Aufzug. Wahrscheinlich war
die gute Frau Huber gerade in Flirtlaune. Da hat sie sich nur
leider mit Olgér den falschen ausgesucht. Das scheint sie zumindest
auch gerade kapiert zu haben. Wahrscheinlich hat sie Olgér bisher
nur in seinen Businessklamotten gesehen. Denn zur Arbeit geht er
wie ein ganz normaler Geschäftsmann mit Anzug und Krawatte. Seine
Hemden und Krawatten sind zwar sehr extravagant, aber er sieht
darin relativ normal aus. Seine momentane Aufmachung muss wohl ein
Schock für Frau Huber gewesen sein.
„Frau Huber, Sie sind ein Engel! Sie haben
mir das Leben gerettet! Ohne Ihre Leiter würde ich immer noch da
oben hängen!“, Olgér setzt seinen Rehblick auf und klimpert mit den
falschen Wimpern. Dann stöhnt er und reibt sich den schmerzenden
Fuß. Sein Blick zeigt die erwünschte Wirkung.
„Ach“, lenkt Frau Huber ein. „Man tut was
man kann. Zeigen Sie doch mal den Fuß.“
Olgér hält ihr seinen Fuß hin und Frau
Huber mustert ihn aufmerksam.
„Was stehen Sie hier schon wieder rum?“,
herrscht sie mich dann an. „Los, holen Sie mal Verbandszeug und ein
Kühlkissen. Der arme Mann muss verarztet werden!“
Spinnen die, denke ich, wer hat ihn denn da
runtergeholt? Das war jawohl ich! Ach egal, soll Frau Huber sich
doch um ihn kümmern, dann habe ich meine Ruhe. Olgér ist nämlich
extrem wehleidig. Und richtig scharf auf das Krankenschwester zu
spielen, bin ich nach dem anstrengenden Tag heute nicht wirklich.
Ich werfe Frau Huber und Olgér den Verbandskasten zu, dann schnappe
ich mir die immer noch eingeschaltete Kamera und verziehe mich in
die Küche.
Ein richtig leckerer Cocktail, das wäre
jetzt was, denke ich.
Wenn ich Glück habe, haben wir noch alles
für meinen aktuellen Lieblingscocktail Frambo im Haus. Sekt,
Himbeeren, Himbeersirup, Zitronensaft und
Eiswürfel – alles da, juhuu!
Ich mixe Cocktails für Frau Huber, Olgér
und mich. Dann nehme ich zwei Gläser und bringe sie in Olgérs
Zimmer. Frau Huber und Olgér sind so sehr in ihre Verarztungsnummer
vertieft, dass sie mich gar nicht wahrnehmen. „Hier kommt ein
leckerer Cocktail!“, rufe ich und stelle die beiden Gläser auf
Olgérs Schreibtisch ab. Dann verschwinde ich schnell wieder in der
Küche.
Ich schnappe mir meinem Frambo und die Kamera
und setze mich an den Küchentisch. Mal sehen, wie Olgérs Fotos
geworden sind. Ich drücke den ON Knopf und scrolle durch die
Aufnahmen.
Am Anfang der Fotoserie kann man noch
erahnen, was Olgér ungefähr vorhatte. Scheinbar wollte er für seine
Facebook Seite „Highheels in Action“ Stuntfotos machen. Eines der
ersten Fotos zeigt Olgér in seinem Glitzeranzug mit dem einen Fuß
auf der Fensterbank und dem anderen Fuß in der Schlinge, die er an
der Decke befestigt hat. Olgér grinst und hält den Daumen nach
oben. Dann auf dem nächsten Foto passiert es. Er verliert das
Gleichgewicht, rutscht aus und … was nun kommt, ist das
Komischste was ich seit langem gesehen habe.
Japsend suche ich nach einem Taschentuch.
Zum zweiten Mal heute laufen mir regelrechte Lachtränenbäche über
die Wangen. Ich kann kaum noch was sehen. Schniefend trockne ich
mir das Gesicht und blinzele den Tränenschleier weg. Dann klicke
ich weiter.
Einige Bilder später sehe ich mich selbst
mit der Leiter in der Hand. Und dann kommt ein Foto, das ab
jetzt mein neues Lieblingsfoto wird. Olgér in seinem goldfarbenen
Glitzerkostüm im Halbspagat und davor Frau Huber in ihrem
Presswurst Seidenkleid. Und die Gesichtsausdrücke dazu
...
Das Bild will ich mir unbedingt ausdrucken.
Wenn es mir mal richtig schlecht geht, muss ich mir nur dieses Foto
ansehen und alles wird besser. Einfach nur
herrlich!
„Was ist denn hier los?“, tönt es plötzlich
und Frau Huber steht neben mir. „Was sind Sie bloß für eine
schreckliche Person!“, keift sie mich an. „Ihr armer Mitbewohner
leidet nebenan und Sie kichern hier herum!“
Ich wische mir die Lachtränen aus den
Augenwinkeln und drehe die Kamera so, dass Frau Huber einen Blick
darauf werfen kann.
„Nein!“, ruft sie und schlägt die Hand vor
den Mund. Ich klicke weiter. Frau Huber nimmt sich einen Stuhl und
setzt sich neben mich. Und dann passiert etwas, mit dem ich nicht
wirklich gerechnet habe:
Frau Huber bekommt einen gewaltigen
Lachanfall. Sie gackert dermaßen, dass ihre großen Brüste wie wild
auf und ab hopsen und ich Angst bekomme, dass ihr Kleid gleich
reißt. Hochrot im Gesicht ringt sie nach Luft und klopft sich auf
die Schenkel. Unglaublich, was Olgérs Fotos und mein
Frambo bewirken können. Das ist ja fast magisch! So wie ich
Frau Huber einschätze, hat sie bestimmt jahrelang nicht gelacht
oder ist zum Lachen in den Keller gegangen.
Frau Hubers Gelächter ist so ansteckend,
dass ich auch wieder loslachen muss.
„Das ist ja wohl too much! Was wird denn
hier gelacht, während ich fast sterbe?“ Empört kommt Olgér in die
Küche gehumpelt.
„Setz dich mein Lieber und sieh selbst!“
Ich reiche Olgér die Kamera. Er betrachtet die Bilder und grinst
gequält. Wahrscheinlich schmerzt sein Bein noch zu sehr, als dass
er über die Fotos lachen kann. „Aber das hier ist echt gut
geworden. So hatte ich mir das vorgestellt. Das werde ich auf
meiner „High Heels in Action“ Seite posten!“, meint er und deutet
auf eines der Bilder.
Ich stehe auf und mixe uns noch drei
Frambos.
Frau Huber ist nach ihrem Lachanfall richtig aufgetaut und erzählt
uns Geschichten aus ihrer Jugendzeit. So leicht angetrunken ist sie
eigentlich ganz sympathisch. Mit unseren frischen Cocktails stoßen
wir an und trinken Brüderschaft. Frau Huber, die mit Vornamen Irma
heißt, kann tatsächlich richtig lustig sein. Sie schafft es sogar
dem leidenden Olgér ein Lächeln abzuringen. So wird dieser
merkwürdige Abend doch noch recht kurzweilig und ich kann endlich
einen Punkt von der
Liste streichen. Ich habe mich nämlich getraut, Irma auf den
Hundekot vor unserer Haustüre anzusprechen und sie hat versprochen
in Zukunft darauf zu achten, dass ihr Waldi nicht mehr vor die Türe
macht.
Als Irma gegangen ist, helfe ich dem leicht
angesäuselten Olgér in sein Zimmer. Sein Knöchel sieht nicht sehr
gut aus. Er ist ziemlich geschwollen. Morgen früh wird Olgér wohl
erst einmal zum Arzt fahren müssen.
„Oh nein!“, ruft er plötzlich und schlägt
sich mit der Hand gegen die Stirn. „Was ist denn?“, will ich
wissen.
„Übermorgen ist doch unsere Tanzstunde.
Mit dem Fuß kann ich nicht tanzen! Oh wie too much schade. Ich
hatte mich schon sooo gefreut!“ Betrübt lässt Olgér die Schultern
hängen.
Oh Mist, die Tanzstunde hatte ich ganz
vergessen. Mit wem soll ich denn nun das Tanzbein schwingen? Ich
denke angestrengt nach.
„Ich hab´s! Du fragst einfach Volker. Der
macht das bestimmt!“, kommt der Vorschlag von
Olgér.
Ja stimmt, das ist keine schlechte Idee,
denke ich. Bei dem Gedanken daran mit Volker zu tanzen, werde ich
ganz kribbelig. Ich spüre wie meine Wangen eine leichte Röte
annehmen. Ich denke an den heutigen Tag mit Volker zurück und muss
schmunzeln. Ich werde ihn auf jeden Fall fragen. Das wird bestimmt
lustig! Ich beschließe Volker gleich mal eine SMS zu schicken. Ich
wollte mich sowieso noch für den schönen Nachmittag und den Schal
bedanken. Und die Frambos, die ich gerade getrunken habe, lassen
mich mutig werden.
Ich: Schläfst du schon?
Volker: Nein, bin noch zu aufgedreht. War sehr schön mit dir
heute :-))) Was machst du gerade?
Ich: Bin
leicht beschwipst! Hatte einen Vorfall mit Olgér, du glaubst nicht,
was er gemacht hat, hihi. Muss ich in Ruhe erzählen. Er hat auf
jeden Fall einen verstauchten Fuß und kann am Montag nicht mit mir
zum Tanzen gehen …
Volker: Oh,
das ist ja doof. Und jetzt?
Ich atme tief durch
und frage dann: Würdest du mit mir
tanzen?
Volker: Gerne ;) Wenn du dann auch mit mir flirtest und nicht
mit dem Tanzlehrer ;-))
Ein warmes Gefühl breitet sich in meiner
Brust aus. Ich grinse. Flirten kann er haben.
Ich: Wenn du
besser zurück flirtest als der Tanzlehrer …
Volker: Du
bist ganz schön frech! Schlaf schön :-*
Ich lächele und tippe: Schlaf du auch schön! Dann kuschele ich mich in mein Bett und schlafe sofort
ein.
Krumping Stunde
(Krumping: Krump ist ein expressiver Tanzstil, der frei und ohne direkte Vorgaben getanzt wird. Dabei geht es im Wesentlichen darum, sich negative und angestaute Emotionen von der Seele zu tanzen und mit den Bewegungen eine Geschichte zu erzählen.)
Montagabend. Ich stehe mit Nina und Anja auf dem
Parkplatz vor der Tanzschule und warte auf Volker. Ich bin richtig
aufgeregt, wenn ich daran denke, dass ich gleich in Volkers Armen
tanzen werde. Wie sich das wohl anfühlt? Der Nachmittag, den ich
vorgestern mit ihm verbracht habe, war so schön und lustig.
Gestern, am Sonntag, habe ich den ganzen Tag im Bett gekuschelt und
mit Volker gesimst. Ich hätte nicht gedacht, dass wir so viele
Gemeinsamkeiten haben. Grinsend lehne ich mich an Ninas Auto und
halte nach Volker Ausschau. Neben mir sitzt Olgér in einem
Leihrollstuhl. Der Arme hat sich tatsächlich den Knöchel
angeknackst und soll sich nun schonen. Einen Rollstuhl hätte er
wohl nicht unbedingt gebraucht, Krücken hätten es sicherlich auch
getan, aber so ist Olgér nun mal – too much
theatralisch.
„Wusstet ihr eigentlich, dass Volker eine
neue Freundin hat?“, platzt Anja plötzlich
heraus.
Bumm! Mir ist, als ob mir jemand in die
Magengrube geschlagen hat. Ich bin unfähig etwas zu
sagen.
„Wirklich?“, fragt Nina. „Wen denn?
Erzähl!“
„Weiß ich nicht genau, aber Micha hat
erzählt, dass Volker ihm gestern Abend gesagt hat, er habe jemanden
kennengelernt. Und stell dir vor, er hat sogar seine Haare
abgeschnitten. Muss wohl was Ernstes sein! Aber verratet nicht,
dass ich was gesagt habe.“
Ich ziehe scharf die Luft ein. Dieser
Mistkerl! Erst flirtet er mit mir und lässt sich dann auch noch in
Stylingfragen beraten, nur um sich dann mit einer anderen zu
treffen?
„Lola, alles ok? Du bist plötzlich so blaß
um die Nase“, Nina sieht mich fragend an.
„Ja, alles in Ordnung“, murmele ich. Ich
habe gerade absolut keine Lust den anderen zu erzählen, wie ich
mich fühle. Ehrlich gesagt, bin ich sogar selber überrascht, dass
mich diese Neuigkeit so aus der Fassung gebracht hat. Olgér kommt
zu mir rüber gerollt und zieht mich zu sich herunter. „Schätzelein,
konzentrier dich jetzt aufs Tanzen, ja? Du musst für mich mittanzen
und dir alles gut merken, damit wir üben können, wenn ich wieder
fit bin!“
Olgér hat echt Nerven! Auf eine Tanzstunde
mit Volker habe ich jetzt absolut keine Lust mehr. Aber aus der
Nummer komme ich wohl nicht mehr raus! Dann werde ich eben too much
mit Stefan Lambert, dem Tanzlehrer flirten. Das war ja auch der
eigentliche Sinn dieser ganzen Aktion. Ich reiße mich zuammen und
straffe die Schultern.
Als Volker einige Minuten später zu uns
stößt, begrüße ich ihn mit einem lapidaren: „Ach,
hallo.“
Volker, der mir gerade einen Begrüßungskuss
auf die Wange geben wollte, hält in der Bewegung inne. „Ach, hallo?
Ist das alles? Ich freue mich auch, dich zu
sehen!“
Ich zucke mit den Schultern, lasse Volker
einfach stehen und marschiere in Richtung
Tanzschule.
„Was ist denn mit der los?“, will Volker
wissen.
„Keine Ahnung! Sind bestimmt die Hormone.
Hilf mir lieber mal mit dem Rollstuhl, Liebelein“, meint Olgér und
Volker greift beherzt zu, natürlich nicht ohne Olgér vorher
angemessen zu bemitleiden.
Nina, Anja, Olgér und Volker betreten den
kleinen Aufenthaltsraum, der zu der Tanzschule gehört. Durch die
große Fensterfront können Zuschauer die Tanzenden beobachten, ohne
den Unterricht zu stören. Ich sitze schon im Tanzsaal, fest
entschlossen heute so gut zu flirten wie noch nie zuvor in meinem
Leben. Zumal ich Zuschauer habe.
Die Türe öffnet sich und der Tanzlehrer,
Stefan Lambert, betritt den Saal. Ich stehe von meiner Bank auf,
ziehe den Bauch ein (im Moment gibt es da durchaus ein paar kleine
Pölsterchen zum Einziehen) und strecke die Brust raus. Mit meiner
Brust kann ich auf jeden Fall punkten. Bisher waren alle meine
Freunde sehr zufrieden mit meiner Oberweite. Ich habe nicht zuviel
Busen, aber auch nicht zu wenig. Genau die richtige Größe, wie ich
finde. Außerdem hat die Schwerkraft an dieser Stelle noch keine
Chance gehabt (im Gegensatz zu meiner Hinterseite) und alles sitzt
noch ziemlich gut.
„Hallo Stefan, ich bin Lola. Wir hatten
telefoniert. Ich freue mich ja schon sooo auf die Tanzstunde!“,
flöte ich ihm entgegen.
„Hi Lola! Schön, dass du da bist. Wo ist
denn dein Tanzpartner?“, will Stefan wissen.
Ich drehe mich zur Glasscheibe um, hinter
der ich die anderen vermute.
Was ist denn da schon wieder los? Anstatt
brav und ruhig auf ihren Stühlen zu sitzen, gestikulieren alle wie
wild durcheinander. Olgér ist trotz seines angeknacksten Knöchels
aufgestanden und klopft energisch gegen die
Scheibe.
Stefan Lambert starrt Olgér an. Dann lacht
er plötzlich und verlässt mit einem „Nein, das gibt es ja nicht!“
den Tanzsaal. Perplex sehe ich ihm hinterher. Habe ich irgend etwas
verpasst?
Ich fixiere meine Freunde mit Blicken, aber
niemand beachtet mich. Vielen Dank auch!
Jetzt betritt Stefan Lambert den Nebenraum
und Olgér und er fallen sich in die Arme. Was soll das nun wieder?
Woher kennen die sich denn? Und wo zum Teufel steckt mein
vermaleideter Tanzpartner?
Zumindest die letzte Frage erübrigt sich,
denn Volker betritt feixend den Tanzsaal.
„Du wirst es nicht glauben“, erzählt er
lachend, „Olgér und Stefan Lambert kennen sich. Und rate mal woher!
Von Olgérs Highheels in
Action Facebookgruppe. Stefan postet
dort regelmäßig Bilder von sich in Highheels. Und auf Frauen steht
er nicht wirklich! Wusste ich doch gleich, als ich ihn mit Vivien
gesehen habe. Irgendwas war komisch.“
Triumphierend sieht Volker mich
an.
Ich schnaufe empört. Mein ganzer Flirtplan
ist von einer Sekunde auf die andere hinfällig geworden. Und zu
allem Überfluss muss ich gleich auch noch mit Volker tanzen und ihn
anfassen. Dabei habe ich noch nicht einmal Lust, mit ihm zu reden.
Wütend starre ich Volker direkt in die Augen.
„Was?“, fragt er und zuckt grinsend mit den
Achseln. „Ist doch nicht so schlimm. Lass uns beide einfach Spaß
haben. Wir wollen doch den anderen eine gute Show
bieten.“
Ich will gerade eine bissige Bemerkung
machen, als Stefan Lambert den Tanzsaal betritt, den plappernden
Olgér vor sich her rollend. Nina und Anja folgen den beiden
feixend.
Na toll, da hat sich meine ganze Bagage
wohl gerade überlegt, Volker und mir aus der Nähe
zuzuschauen.
Ich reiße mich zusammen und schlucke meine
Antwort herunter. Wenn Volker mit mir tanzen will, das kann er
haben. Und wie ich tanzen werde, ha! Dem wird noch Hören und Sehen
vergehen.
„So, ihr Lieben, dann lasst uns mal
anfangen. Ich schlage vor, wir machen uns erst mal ein bisschen
warm. Jeder tanzt, wie er will - Freestyle. Und dann zeige ich euch
die ersten Schritte.“ Stefan Lambert geht hinüber zu seiner
Musikanlage und drückt ein paar Knöpfe.
„We are gonna dance into the sea ...“,
dudelt es aus dem Lautsprecher.
Ich habe zwar überhaupt keine Lust zu
tanzen aber diesen Song mag ich ganz gerne. Das ist wirklich eine
cooler Discosong. Volker beginnt mit dem typischen Männertanz: Füße
von links nach rechts und mit den Händen wippen.
Na ja, denke
ich.
Früher, während meiner Schulzeit habe ich
sehr viel Jazzdance gemacht, bewegen kann ich mich also. Ich atme
tief ein und aus und stecke dann meine ganze Wut in diesen Tanz.
Meine Füße fliegen über den Boden und mein ganzer Körper bewegt
sich im Rhythmus der Musik.
Ich vergesse die anderen und konzentriere
mich nur aufs Tanzen:
Arme hoch – verdammte
Männer
Beine stampfen – ihr könnt mich
mal
Hüfte wackeln – seht her, was ihr
verpasst
Langsam wiegen – ich habe immer noch mich
selbst
„Juhuu Schätzelein, das ist ja der
Hammer!“, Olgérs Stimme holt mich wieder zurück in die
Wirklichkeit. Die Musik ist inzwischen zu Ende. „Ich wußte ja gar
nicht, dass du so super tanzen kannst!“
Olgér fuchtelt begeistert mit den Händen in
der Luft herum. „So und so und so, und diese Bewegung am Ende.
Wunderbar, das musst du mir unbedingt zeigen, wenn mein Fuß wieder
in Ordnung ist.“
Anja, Nina und Volker starren mich
sprachlos an.
„Was war denn das?“ Nina findet als Erste
ihre Sprache wieder.
„Tanzen“, antworte ich schnippisch. Dazu
fällt ihr nichts mehr ein. Nina ist wirklich selten sprachlos,
deshalb genieße ich diesen Moment gerade.
„Sehr schön Lola, bewegen kannst du dich.
Jetzt wollen wir mal sehen, wie ihr das zu zweit umsetzen könnt“,
Stefan Lambert winkt uns in die Saalmitte.
„Wow, das sah ja super aus, wie du vorhin
getanzt hast. Würde ich gerne nochmal sehen“, flüstert Volker mir
ins Ohr.
Pah, der spinnt wohl. Fängt an, mit mir zu
flirten. Vergiß es, mein Lieber. Nochmal lasse ich mich nicht von
dir einwickeln, denke ich und
beschließe ihm einfach gar nicht zu antworten. So richtig in Form
bin ich irgendwie nicht mehr. Dieser eine Tanz hat mich ganz schön
angestrengt. Früher konnte ich stundenlang tanzen, ohne dass es mir
etwas ausgemacht hätte. Jetzt aber merke ich, wie ich anfange zu
schwitzen und mein Herz wie wild pocht. Zumindest hoffe ich, dass
es meine körperlichen Reaktionen gerade auf den Tanz zurück zu
führen sind und nicht auf die Tatsache, dass Volker den Arm in
Tanzposition um mich legt und mich frech angrinst.
Die neue Frisur steht ihm wirklich
gut, denke ich und ärgere mich
sofort über diesen Gedanken. Ich versuche einfach durch Volker
hindurch zu sehen und mir vorzustellen, ich würde mit Olgér
tanzen.
„So und aufgepasst!“, Stefan Lamberts
Tanzstunde beginnt.
Eine Dreiviertelstunde später sind wir
endlich fertig mit dem Unterricht. Volker hat sich gar nicht mal so
dumm angestellt. Er konnte die Vorgaben von Stefan wirklich gut
umsetzen, bwohl ich Volker gefühlte hundert Mal auf die Füße
getreten bin.
Olgér jedenfalls ist ganz begeistert von
Stefans Unterricht und macht gleich mit ihm ein Date für ein
Shooting mit Highheels im Tanzsaal aus. Es wird zwar noch ein
bisschen dauern, bis Olgér wieder richtig laufen kann und dann auch
noch auf High Heels, aber er freut sich schon auf den
Termin.
Na, wenigstens einer, für den sich das hier
gelohnt hat!, denke
ich.
„Dann sehen wir uns nächste Woche um die
gleiche Zeit wieder“, verabschiedet Stefan Volker und
mich.
„Mmmh“, brummele ich. Bis nächste Woche
muss ich mir unbedingt eine gute Ausrede einfallen lassen. Denn ich
werde garantiert nicht noch mal mit Volker tanzen.
„Wollen wir noch ins Rockefeller?“, fragt
Anja, als wir wieder auf dem Parkplatz vor der Tanzschule stehen.
„Micha kümmert sich heute um die Kids. Ich bin froh, wenn ich mal
ein bisschen Zeit für mich habe. Die Kleine ist gerade echt
anstrengend. Also, wie siehts aus?“
„Klar, bin dabei“, antwortet
Nina.
„Ich auch, wenn mich einer von euch
Schätzeleins schiebt!“, erwidert Olgér.
„Und was ist mit euch? Lola? Volker?“,
fragt Anja.
Volker mustert mich aufmerksam und
schüttelt dann den Kopf. „Ich komme lieber nicht
mit.“
Was ist?,
denke ich. Willst du jetzt etwa,
dass ich sage: Doch, bitte lieber Volker, komm doch mit?
Den Gefallen werde ich ihm bestimmt nicht
tun. Ich bin froh, wenn ich ihn heute nicht mehr sehen
muss.
„Wie schade“, flöte ich. „Dann vielleicht
ein anderes Mal. Und danke dafür, dass du meinen Tanzpartner
gespielt hast. Bald werde ich dann hoffentlich mit meinem
zukünftigen neuen Freund weiter tanzen können.“ Ich hake Nina und
Anja unter und lasse Volker einfach stehen. Jetzt fühle ich mich
ein bisschen besser. Ich, Lola Ernst, werde mich von keinem Mann
mehr vorführen lassen!
„Sag mal, was war denn vorhin mit dir
los?“, will Nina wissen, als wir einige Zeit später im Rockefeller
sitzen. „Du warst irgendwie ganz komisch zu Volker. Ich glaube,
deshalb wollte er auch nicht mitkommen. Habt ihr euch
gestritten?“
„Nö, wieso?“, entgegne ich und bemühe mich
unschuldig zu gucken.
„Ich weiß auch nicht. Irgendwie warst du so
aggressiv“, antwortet Nina.
„Das bildest du dir ein. Ich war nur
enttäuscht, dass aus mir und Stefan Lambert nichts werden wird!“,
flunkere ich, ohne rot zu werden.
„Ist das nicht zum Piepen“, plappert Olgér
dazwischen, „dass Stefan Mitglied in meiner Facebookgruppe ist? Und
stellt euch vor: Wenn ich wieder fit bin, werden wir ein
Gruppentreffen bei ihm in der Tanzschule machen. Das erste
„High Heels in Action“
Gruppentreffen. Hach, wie too much
aufregend das ist!“, verzückt rührt Olgér in seinem Cocktail. Sein
Gesichtsausdruck verrät, dass er sich gedanklich in ganz anderen
Sphären befindet. Wahrscheinlich ist
er gerade im High Heels Himmel,
denke ich und beneide Olgér um seine unkomplizierte und positive
Art. Mit so einem naiven, kindlichem Gemüt lebt es sich gewiss
einfacher. Ich habe beschlossen, meinen heutigen Ärger einfach zu
ertränken. Ich muss morgen eigentlich arbeiten, aber das ist
mir gerade echt egal. Die Cocktails im Rockefeller sind richtig
gut und momentan genau das, was ich brauche.
„Ich muss los Leute und Micha ablösen. Der
Kleine wacht im Moment ständig auf. Wenn ich noch länger bleibe,
komme ich morgen nicht aus dem Bett“, meint Anja eine Stunde später
und fragt dann: „Wie soll unser Traumprinzen-Casting denn nun
weiter gehen?“
„Na, wir haben ja noch Alex, den Tierarzt
und Till, den Hundebesitzer aus dem Park. Lola hat am Donnerstag
einen Termin bei Alex mit Herkules, und Till muss sie noch anrufen,
oder hast du das schon gemacht?“, richtet Nina die Frage an
mich.
Ich schüttele den Kopf. Hui, was ist das?
Ich sehe Nina plötzlich doppelt. Der letzte Cocktail scheint wohl
doch ein bisschen zu viel gewesen zu sein. „Habischnisch!“, lalle
ich.
„Wie bitte?“, Nina sieht mich entgeistert
an.
„Habischnochnisch!“
„Ui, Schätzelein. Das war wohl ein bisschen
viel Alkohol. Lass uns ein Rollstuhltaxi nehmen und nach Hause
fahren“, meint Olgér.
„Ismiregal.
Könnewamachen.“
Nina und Anja stützen mich, als einige
Minuten später das Rollstuhltaxi vor dem Rockefeller hält.
„Na, was ham wir den hier? Eine
Schnapsdrossel und einen Rollstuhlfahrer im Glitzerkostüm. Was seid
denn ihr für welche?“, der Taxifahrer mustert uns belustigt. Dann
packt er mit an und hilft Olgér und mich ins Taxi zu setzen. Mir
ist nicht nach Reden zu Mute, denn mein Magen rumort plötzlich und
erinnert mich daran, dass ich ihn heute wirklich stiefmütterlich
behandelt habe. Viel zu wenig Nahrung und zu viel
Alkohol.
„Tschüss, ihr Süßen. Wir telefonieren
morgen“, verabschieden Anja und Nina sich und winken unserem Taxi
hinterher.
„Alles ok?“, fragt Olgér.
„Mirissoschlecht“, nuschele ich und
würge.
„Oh nein, musst du spucken?“, Olgér sieht
mich besorgt an.
„Alles in Ordnung, da hinten? Soll ich
lieber anhalten?“, will der Taxifahrer wissen.
„Mmmpff“, stöhne ich und presse meine Hand
vor den Mund. Ich spüre, wie der Inhalt meines Magens langsam meine
Speiseröhre hochkriecht.
Das Taxi hält mit quietschenden Reifen auf
dem Seitenstreifen der Stadtautobahn. Der Fahrer reißt die Türe
auf, hilft mir aus dem Auto und führt mich zum Grünstreifen. Dort
übergebe ich mich laut würgend in die Büsche, während mir der nette
Fahrer die Haare aus dem Gesicht hält. Dann hilft er mir zurück ins
Auto und schnallt mich an.
„Gehts besser?“, fragt er teilnahmsvoll.
„Da haben Sie wohl ein bisschen einen über den Durst
getrunken!“
„Mmmh, danke“, murmele ich matt. Ich fühle
mich so elend, dass mir die ganze Situation gerade noch nicht
einmal peinlich ist.
Zuhause angekommen hilft der nette
Taxifahrer Olgér und mir noch in die Wohnung. Olgér bedankt sich
überschwenglich bei dem Mann. Ich habe nicht die Energie dazu, noch
viel zu sagen. Mit letzter Kraft schleppe ich mich ins Bett und
schlafe sofort ein.
Das Einschreiben
Drrriiinggg macht mein Wecker. Oh Gott, schon aufstehen?
Mein Kopf fühlt sich an, als würde er gleich platzen. Ich kann
heute unmöglich zur Arbeit gehen.
„Guten Morgen Schätzelein, wie geht’s
dir?“, Olgér kommt in mein Zimmer gehumpelt und zieht die Vorhänge
zurück. Was für eine Frage. Wie soll es mir schon gehen? Ich kneife
ganz fest die Augen zusammen, denn das Tageslicht verschlimmert
meine Kopfschmerzen nur noch. „Beschissen, geht’s mir! Lass mich in
Ruhe, ich will schlafen!“
„Aber es ist schon 8 Uhr. Du kommst zu spät
zur Arbeit.“
„Hmmm, ich gehe heute nicht. Melde mich
krank. Wieso bist du überhaupt schon wach. Du bist doch krank
geschrieben“, erwidere ich.
„Ich habe gleich einen
Arzttermin.“
„Aha. Dann geh schnell, ich will weiter
schlafen.“
„Du warst ja gestern richtig neben der
Spur. Weißt du eigentlich, dass du dich noch übergeben hast? Wie
gut, dass wir so einen netten Taxifahrer hatten!“, plappert
Olgér.
Ich erinnere mich dunkel daran, dass mir
furchtbar schlecht wurde und ein netter Mann meine Haare
festgehalten hat, während ich mich übergeben musste. Wie peinlich!
Und Schuld daran ist wieder mal ein Kerl: Volker!
„Was war denn eigentlich los, Schätzelein?
Du warst gestern echt schräg drauf, “, bohrt Olgér
nach.
Ich ziehe mir die Bettdecke über die
Nasenspitze und schweige.
„Dann eben nicht. Wenn du nicht reden
willst, bitteschön!“ Beleidigt humpelt Olgér von
dannen.
Ich taste nach meinem Handy auf dem
Nachttisch und rufe in der Firma an. Da ich mich noch wie
ausgekotzt anhöre, lässt der Chef mir gute Besserung ausrichten und
ich bekomme heute frei. Gott sei Dank!Erleichtert drehe ich mich um
und schlafe weiter.
Ein erneutes Drrrinnggg lässt mich
hochfahren. Nanu, schon wieder der Wecker? Den hatte ich doch
ausgestellt. Ich taste nach dem AUS Schalter. Drrriiinggg macht es
noch einmal. Wohl doch nicht der Wecker. Es klingelt an der Türe.
Na gut, jetzt bin ich sowieso wach. Ich stelle meine Beine eines
nach dem anderen vorsichtig auf den Fußoden. Dann bewege ich mich
behutsam im Schneckentempo in Richtung Haustüre und öffne diese
einen klitzekleinen Spalt. Vor mir steht der
Postbote.
„Ja, bitte?“, krächze ich.
„Ich habe ein Einschreiben für Lola Ernst“,
antwortet dieser.
„Ach ja?“
„Ja, sind Sie das? Ich müsste kurz Ihren
Ausweis sehen!“
Ein Einschreiben?, denke ich. Das ist
meistens nichts Gutes.
Kurz überlege ich, ob ich einfach sagen
soll, Lola Ernst wäre nicht zuhause und ich hätte keine Ahnung,
wann sie wiederkommen würde.
Aber dann überlege ich es mir doch anders.
Was bringt es, das Ganze aufzuschieben. Dann würde ich mich nur
verrückt machen und den ganzen Tag überlegen, was das für ein
Einschreiben gewesen sein könnte.
„Einen Moment bitte“, antworte ich deshalb,
schließe die Türe wieder und hole meinen Ausweis.
Dann öffne ich die Haustüre wieder ein
klitzekleines bisschen und stecke den Ausweis durch den Spalt. Der
Postbote muss ja nicht unbedingt mehr als nötig von mir sehen, denn
ich habe es noch nicht gewagt, in den Spiegel zu blicken. Ich kann
mir aber in etwa vorstellen, wie ich nach dem gestrigen Abend
aussehe und das kann man wirklich niemandem
zumuten.
„Sie müssen dann noch hier unterschreiben“,
der Herr in Gelb schiebt mir seinen Scanner und einen Stift durch
die Türe. Ich unterschreibe und halte einige Sekunden später das
ominöse Einschreiben in den Händen. Ich sehe mir den Absender
an:
Rechtsanwaltskanzlei
Schneider
steht dort. Oh, das ist nicht gut! Was
könnte das bloß sein?
Ich nehme das Einschreiben mit in die Küche
und lege es auf dem Küchentisch ab. Bevor ich es öffne, will ich
mir erst einmal einen Kaffee machen und eine Kopfschmerztablette
nehmen.
Einige Minuten später habe ich einen
einigermaßen zufriedenstellenden Koffeinpegel und auch die Tablette
zeigt langsam ihre Wirkung. Jetzt wage ich es: Ich öffne den
Briefumschlag und beginne zu lesen. Geschockt lege ich den Brief
wenig später zur Seite. Das darf
doch nicht wahr sein! Dieser Mistkerl!
Das Einschreiben ist von Svens Anwalt. Ich
soll den Schaden an Svens Auto in Höhe von 3.000€ für
Lackierarbeiten begleichen. Wenn ich innerhalb von 14 Tagen
bezahle, würden sie von einer Anzeige wegen Diebstahls
absehen.
Oh, mein Gott! Das hat mir gerade noch
gefehlt! Woher soll ich denn bloß so viel Geld
nehmen?
Die Aktion mit Svens Auto hatte ich schon
komplett verdrängt. Am Anfang habe ich mich zwar ein wenig
gewundert, dass Sven sich gar nicht mehr gemeldet hat, war aber
eigentlich ganz froh darüber. Und seit meine Freunde diese Casting
Idee hatten, sind so viele Sachen passiert, dass ich an Sven und
sein Auto gar nicht mehr gedacht habe. Das ändert sich gerade
schlagartig. Mein Kopfkino projeziert prompt wieder das Bild von
Sven und dieser Frau in der Dusche auf meine Gehirnleinwand und
darüber eine leuchtend rote, blinkende Zahl: 3000 Euro.
Verzweifelt raufe ich mir die Haare. Dass
Sven mit seiner Drohung mich zu verklagen Ernst machen wird, daran
zweifele ich keine Sekunde. So ein unglaublich mieses Arschloch!
Aber wenn es um sein heißgeliebtes Auto geht, versteht er keinen
Spaß. Das hätte ich mir eigentlich denken können. Aber als ich das
Auto zerkratzt habe, war ich gar nicht fähig zu denken. Vielleicht
könnte ich auf unzurechnungsfähig plädieren?
Während ich niedergeschlagen vor mich hin
grübele, klingelt es plötzlich erneut an der Türe.
Das ist ja heute wie auf dem Bahnhof! Und
das in meinem desolaten Zustand.
Genervt schlurfe ich zur Haustüre und öffne
sie langsam. Vor mir steht Frau Huber oder Irma, wie ich sie seit
unserem Frambo Cocktail Abend mit Olgér nennen darf. Irma war
täglich bei uns und hat sich um Olgér gekümmert, der ob der
intensiven Pflege völlig in seiner Rolle als Patient aufgegangen
ist. So musste ich zumindest nicht Olgérs Krankenschwester spielen.
Ich mag Irma mittlerweile ganz gerne. Sie ist zwar etwas schräg,
aber wer mit Olgér zusammenwohnt und meine Freunde hat, findet fast
nichts mehr komisch. Nur Waldi, Irmas Dackel, kann ich immer noch
nicht leiden. Aber das beruht auf Gegenseitigkeit. Sobald das Tier
mich sieht, fängt es an zu kläffen.
„Ach Lola, du bist also doch zuhause. Ich
habe dich heute morgen nämlich nicht aus dem Haus gehen sehen. Ich
habe hier noch ein Päckchen für Olgér. Sieht nach neuen Schuhen
aus“, Irma streckt mir ein Paket entgegen, das den Aufdruck eines
bekannten Schuhversandhandels trägt. Widerwillig öffne ich die Türe
ganz.
„Huch, wie siehst du denn aus?“, entfährt
es Irma. „Bist du krank?“
„Hmmm“, brummele ich und nehme ihr das
Paket ab. Olgér und sein Schuhtick machen mich echt fertig. Er
bekommt mindestens drei bis vier Pakete mit Schuhen pro Woche,
alles High Heels natürlich. Und jedes Paar muss ich dann immer mit
„Oh“ und „Ah“ bestaunen. Ich frage mich, wo er das Geld für die
vielen Schuhe her hat. In seinem Job scheint man wirklich gut zu
verdienen. Ich könnte mir nicht so viele Schuhe leisten. Wenn Olgér
wenigstens meine Schuhgröße hätte, dann könnte ich mir ab und zu
mal ein paar Schuhe von ihm leihen. Aber das hat er natürlich
nicht. Olgérs High Heels sind mir mindestens vier Nummern zu groß.
Erstaunlich eigentlich, dass es in seiner Größe überhaupt so viele
High Heels gibt. Er rechtfertigt seinen Schuhtick jedenfalls immer
mit den Worten: „Alles Research Schätzelein, alles Research!“ Denn
wenn er seine eigene High Heels Kollektion irgendwann auf den Markt
bringen will, meint er die Konkurrenz im Auge behalten zu
müssen.
Ich glaube allerdings, dass Olgér besagten
Schuhversandhandel quasi alleine finanziert, denn bei soviel
schwachsinniger Werbung wie die machen, brauchen sie bestimmt jede
Menge seiner Kohle.
„So, ich mache uns mal einen Kaffee. Oder
geht es dir zu schlecht?“, will Irma wissen, während sie schon auf
dem Weg in unsere Küche ist.
Na danke, was soll ich dazu
sagen?
Ich habe gerade eigentlich überhaupt keine
Lust auf einen Kaffeeklatsch mit Irma, aber ich habe nicht
aufgepasst. Wenn sie erst einmal in der Wohnung ist, ist es schwer
sie wieder hinaus zu bekommen. Das habe ich in den letzten drei
Tagen gelernt. Deshalb ziehe ich auch den nachbarschaftlichen
Plausch im Hausflur vor, denn von dort kann ich irgendwann schnell
verschwinden. Aber jetzt ist es dafür zu
spät.
Irma wartet meine Antwort gar nicht erst
ab, sondern stolziert gleich in die Küche. Jetzt habe ich also
neben Olgér und meinen Mädels noch jemanden, der in meinem Leben
rumpfuscht. Schönen Dank
auch, denke ich und folge Irma
resigniert in die Küche. Jeglicher Widerspruch wäre sowieso
zwecklos.
„So meine Liebe, jetzt erzähl mal. Was ist
denn los? Bist du wirklich krank oder ist es etwas anderes?“, Irma
stellt eine Tasse mit Kaffee vor mir ab und fixiert mich neugierig.
Da leugnen sowieso keinen Zweck hat und ich ihr nichts von meinem
gestrigen Absturz erzählen will, reiche ich ihr wortlos das
Einschreiben. Irma liest es aufmerksam und fragt dann: „Geht es
dabei um deinen Exfreund?“
Ich nicke mit dem Kopf und erzähle Irma die
Geschichte von Sven, der Frau in der Dusche und dem zerkratzten
Auto.
Der Neffe
„Das ist jawohl die
Höhe!“, regt sich Irma auf, nachdem ich meine Geschichte beendet
habe. „Der Typ hat vielleicht Nerven. Das mit dem Kratzer soll er
dir erst mal beweisen. Das hätte durchaus auch jemand anderes im
Parkhaus gewesen sein können. Oder aber der Kratzer war vorher
schon da?“, schlägt sie hilfsbereit vor.
„Ich weiß nicht, was ich machen soll“,
murmele ich niedergeschlagen.„Soviel Geld habe ich gar
nicht!“
„Bist du denn rechtsschutzversichert?“,
will Irma wissen.
„Nein, bin ich eben nicht!“, jammere
ich.
„Hmm“, überlegt Irma. „Wenn du willst,
könnte ich mal meinen Neffen anrufen. Der ist Anwalt und hat eine
eigene Kanzlei. Er kann dir bestimmt helfen. Ist ein kluger Junge!
Und gut aussehen tut er auch!“, zwinkert sie mir
zu.
Nach Männerkontakten ist mir nach der Sache
gestern mit Volker im Moment gar nicht, aber einen Anwalt werde ich
wohl brauchen.
„Das wäre toll, wenn dein Neffe mir helfen
würde. Ich weiß nämlich wirklich nicht, was ich jetzt machen soll“,
klage ich.
„Das haben wir gleich. Gib mir mal euer
Telefon, ich rufe Mucki sofort an!“ Entschlossen sieht Irma mich
an.
„Mucki?“
„Ja, Mucki. Das ist sein Spitzname. Die
Kanzlei heißt von Krümmel und Partner. Mucki heißt von Krümmel mit
Nachnamen.“
Trotz meines Elends muss ich kichern. Mucki
von Krümmel? Was ist denn das für ein Name? Ist Irmas Neffe
vielleicht ein Meerschweinchen? Mucki, köstlich! Und dann auch noch
von Krümmel!
Ich versuche mich zusammen zu reißen.
Schließlich will Irma mir helfen. Da kann ich nicht albern
herumkichern. Ich reiche ihr das Telefon und verschwinde kurz im
Bad. Ich muss mir dringend die Zähne putzen. Das habe ich nämlich
noch nicht gemacht und der pelzige Geschmack auf meiner Zunge ist
nach der Tasse Kaffee noch schlimmer geworden. Außerdem
möchte ich Irma natürlich nicht mit meinem Mundgeruch
belästigen.
„Gute Nachrichten“, begrüßt mich Irma, als
ich zurück in die Küche geschlurft komme. „Mucki hat heute Mittag
Zeit. Wenn du um 13 Uhr bei ihm bist, habt ihr ungefähr eine
Stunde. Er berät dich natürlich erst einmal
kostenlos!“
„Danke“, seufze ich. Eigentlich würde ich
heute lieber im Bett bleiben, aber diese Sache muss geklärt werden,
je eher desto besser.
„So, kannst du aber nicht gehen! Du siehst
ja aus wie eine Vogelscheuche. Geh mal duschen und mach dich ein
bisschen nett zurecht, dann berät Mucki dich vielleicht auch länger
kostenlos!“
Da ist sie wieder, die Seite an Irma, die
ich nicht besonders gut leiden kann. Diese herrische bestimmende
Art geht mir gehörig auf die Nerven. Aber da ich jetzt weiß, dass
Irma auch wirklich nett sein kann, schlucke ich eine bissige
Bemerkung herunter und nicke ergeben. Außerdem hat Irma in diesem
Fall absolut recht. So wie ich gerade aussehe, wirke ich alles
andere als seriös.
„In Ordnung“, seufze ich. „Ich springe
schnell unter die Dusche!“
Heimlich hoffe ich, dass Irma in der
Zwischenzeit verschwindet, aber den Gefallen tut sie mir nicht. Als
ich zwanzig Minuten später frisch geduscht und aufpoliert aus dem
Badezimmer komme, ist sie immer noch da.
„Na, jetzt siehst du ja schon etwas besser
aus!“, meint sie. „Am besten ziehst du einen Rock an. Nicht
zu kurz aber auch nicht zu lang, wenn du weißt was ich meine. Das
wird Mucki bestimmt gefallen.“
Genervt verdrehe ich die Augen. Wenn ich
nicht so dringend rechtlichen Beistand bräuchte, würde ich Irma zum
Teufel jagen. Ihr komischer Neffe mit dem Meerschweinchennamen soll
es bloß nicht wagen, mich anzubaggern. Mein Bedarf an männlicher
Zuwendung ist heute gleich Null.
Ich denke kurz an gestern und an Volker und
verziehe das Gesicht.
Irma interpretiert das gleich völlig
falsch. „Ich kann dir auch bei der Kleiderauswahl helfen, wenn du
möchtest. Ich habe da ein gutes Händchen für!“
Das Bild von Irma in ihrem Presswurstkleid
taucht vor meinem inneren Auge auf. Wenn mich jemand definitiv
nicht in Klamottenfragen beraten sollte, dann ist es
Irma.
„Danke, ich weiß schon, was ich anziehe.
Kümmere du dich ruhig um Waldi. Der muss doch sicher auch mal
wieder raus, oder? Und danke für deine Hilfe!“, ich dränge Irma in
Richtung Haustüre. Scheinbar habe ich das Richtige gesagt und ihr
Hund muss wirklich an die frische Luft. Irma lässt sich auf jeden
Fall widerstandslos durch die Tür schieben, natürlich nicht ohne
mir vorher das Versprechen abgenommen zu haben, mich nach dem
Termin mit Mucki bei ihr zu melden. So langsam gehen mir die
Verkuppelungsversuche meiner Mitmenschen echt auf die
Nerven!
Drei Stunden später stehe ich vor dem
Empfangstresen der Rechtsanwaltskanzlei. Die Sekretärin mustert
mich aufmerksam.
„Ja, bitte?“
„Lola Ernst, ich habe einen Termin bei
Mu... ähem ich meine bei Herrn von Krümmel.“
„Aha, einen Moment bitte!“ Die Dame
nimmt das vor ihr stehende Telefon in die Hand und drückt eine
Taste. „Hier ist eine Frau Ernst für Sie!“, flötet sie in den
Hörer. „Sie können jetzt durchgehen“, wendet sie sich dann an mich,
„Herr von Krümmel erwartet sie.“
Ich betrete Muckis Büro. Viel kann ich von
ihm nicht erkennen, denn er steht am Fenster mit dem Handy in der
Hand und dreht mir den Rücken zu.
Er ist so in das
Gespräch vertieft, dass er gar nicht hört, wie ich mich auf einen
der Besuchersessel fallen lasse.
„Ähem“, mache ich, um auf mich aufmerksam
zu machen.
„Oh“, sagt er und dreht sich kurz zu mir
um. „Da sind Sie ja schon. Entschuldigung! Ich bin gleich
fertig!“
Na sowas, denke ich. Der kommt mir
doch irgendwie bekannt vor. Wo habe ich ihn bloß schon einmal
gesehen?
Mucki hat das Gespräch beendet und kommt
näher. Ich mustere ihn und dann fällt es mir wie Schuppen von den
Augen.
„Das gibt es ja nicht! Du bist doch Till,
das Herrchen von Fee! In dem Anzug hätte ich dich fast nicht
erkannt!“
„Ach nein, jetzt erkenne ich dich auch. Du
bist Lola mit dem Riesenhund. Wie hieß der
nochmal?“
„Bones“, antworte ich.
Till schüttelt belustigt den Kof. „Wie
klein die Welt doch ist! Ich hatte gehofft, dass du dich nochmal
meldest, aber dass du gleich in meinem Büro auftauchst und dich mit
meiner Tante Irma anfreundest, damit habe ich nicht gerechnet!“ Er
zwinkert mir zu.
„Hmm, ich freue mich auch, dich wieder zu
sehen. Allerdings hätten die Umstände durchaus angenehmer sein
können.“ Ich krame das Einschreiben aus meiner Handtasche und
reiche es Till. „Deshalb bin ich hier. Kannst du irgend etwas für
mich tun?“
Till nimmt mir das Einschreiben aus der
Hand und studiert es aufmerksam. „Hast du das wirklich gemacht? Das
Auto geklaut und dann zerkratzt?“
„Ja“, murmele ich kleinlaut. „Aber ich
hatte einen Grund dafür!“
Ich erzähle Till die Geschichte von Sven
und dem Tag, an dem er mich betrogen hat.
„Hmm, ich werde mal sehen, was ich tun
kann. Aber dein Exfreund hat ja leider eine Zeugin dafür, dass du
das Auto entwendet hast. Hier steht ihr Name: Tanja
Braun.“
Tanja Braun heißt also das Flittchen unter
der Dusche, denke ich. Diese Stelle
in dem Brief ist mir vorhin gar nicht aufgefallen. Wahrscheinlich
war ich zu geschockt, um genauer zu lesen.
Till verspricht mir, erst einmal eine
Gegenantwort an Svens Anwalt zu senden. Ich bin ihm wirklich
überaus dankbar für die Hilfe. Als ich ihn frage, wie ich das
wieder gut machen kann, grinst er verschmitzt und schlägt vor, dass
wir uns am Samstagnachmittag mit den Hunden doch wieder im Park
treffen könnten.
Oh mein Gott, denke ich. Ich werde mir
auf gar keinen Fall noch einmal dieses Ungeheuer Bones
ausleihen.
„Gerne können wir uns am Samstag treffen“,
antworte ich. „Aber Bones ist ja nicht mein Hund. Ich habe einem
Kollegen nur einen Gefallen getan und bin mit ihm Gassi
gegangen.“
„Ach so“, Till wirkt enttäuscht. „Du hast
gar keinen Hund? Ich dachte, du würdest auch so auf Hunde stehen,
wie ich.“
„Natürlich mag ich Hunde“, flunkere ich.
Ich brauche so dringend Tills Hilfe, dass mir diese Lüge leicht von
den Lippen kommt.
Bloß den Herrn Anwalt bei Laune halten,
Lola, überlege
ich, den brauchst du noch und
bezahlen kannst du ihn auch nicht.
Wir machen einen Treffpunkt für Samstag
aus, denn Till hat schon den nächsten Termin.
„Tschüß Mucki“, flöte ich und spaziere zur
Tür hinaus. Das konnte ich mir dann doch nicht verkneifen. Wie kann
man nur so einen merkwürdigen Spitznamen haben?
Als ich draußen auf der Straße stehe,
klingelt mein Handy. Es ist Nina.
„Hi Nina.“
„Hi Süße, wo treibst du dich rum? Ich habe
schon bei dir im Büro angerufen aber die haben gesagt, du wärst
krank. Und bei dir zuhause ist keiner
drangegangen!“
„Das ist eine längere Geschichte. Sven will
mich verklagen, weil ich sein Auto zerkratzt habe. Deshalb hat Irma
für mich einen Termin mit ihrem Neffen gemacht. Der ist Anwalt.
Gerade war ich bei ihm. Und du glaubst nicht, wer der Anwalt war:
Till, der Hundebesitzer aus dem Park. Er ist Irmas Neffe,
abgefahren oder?“
Nina will mehr Details erfahren,
deshalb verabreden wir, dass sie nach der Arbeit bei mir
vorbeikommt. Bis dahin werde ich mich erst einmal wieder ins Bett
legen. Ich fühle mich immer noch sehr verkatert. Und ich bin
wirklich enttäuscht von Volker. Irgendwie hatte ich doch gehofft,
dass er sich nochmal bei mir meldet. Aber er gibt kein
Lebenszeichen von sich, noch nicht einmal eine klitzekleine SMS hat
er geschickt. Ich sollte den schönen Tag neulich mit ihm vergessen
und mich auf die übrig gebliebenen Herren
konzentrieren.
Zuhause angekommen, schleiche ich schnell
in meine Wohnung, bevor Irma mich erwischt. Ich werde später bei
ihr klingeln und ihr von meinem Treffen mit Till erzählen. Jetzt
will ich erst einmal schlafen.
Projekt Herkules
Mittwochnachmittag. Ich sitze mit Nina in der
Tierarztpraxis von Alexander, den Vivien neulich im
Sapiano kennengelernt hat. Auf meinem Schoß befindet sich
Herkules in einer kleinen Pappschachtel. Er ist mit seiner viel zu
kleinen neuen Behausung eindeutig unzufrieden und raschelt wütend
mit dem Stroh.
Heute morgen musste ich wieder ins Büro und
habe mich durch den Vormittag gequält. Ich bin ziemlich müde, denn
gestern Abend ist es wieder einmal spät geworden. Nina kam noch bei
uns vorbei und auch Irma stand vor der Tür und wollte wissen, wie
es mit Till gelaufen ist. Und Olgér musste ich natürlich ebenfalls
auf den neusten Stand der Entwicklungen bringen. So saßen wir noch
lange beisammen, haben ein paar Frambos getrunken und
gequatscht.
Nina ist im Gegensatz zu mir scheinbar gar
nicht müde, denn sie redet unentwegt. Ich bin mir nicht ganz
sicher, was sie sich von dem Termin mit Alexander verspricht.
Er kennt mich doch gar nicht und außerdem kann mich auch keiner
coachen, denn Volker ist nicht dabei und ohne sein Equipment kann
ich mich nur so verhalten, wie ich es immer tue, ohne Tipps von
meinen Freunden. Nina hat Volker zwar gefragt, ob er Zeit hätte,
aber er hat ihr relativ unfreundlich geantwortet, dass er auch
irgendwann mal arbeiten müsse und diese ganze Männer-Casting
Geschichte langsam ziermlich albern fände. So ein
Idiot!
Ein unsanfter Schlag in die Rippen lässt
mich schlagartig wach werden. Aua! Nina hat mich in die Seite
geboxt.
„Spinnst du?“, zische ich.
„Wach auf Lola, Herkules ist jetzt dran!“,
Nina deutet auf die Sprechstundenhilfe, die mich erwartungsvoll
ansieht.
„Wenn Sie dann bitte in Sprechzimmer 1
warten würden!“, gelangweilt zeigt die Dame auf eine
Tür.
„Kommst du mit?“, frage ich Nina. Die
schüttelt den Kopf, grinst frech und hält den Daumen nach oben. Ich
verdrehe genervt die Augen und strecke ihr die Zunge
raus.
In Sprechzimmer 1 nehme ich auf einem Stuhl
Platz und warte auf den Herrn Doktor. Herkules ist in seinem Käfig
etwas ruhiger geworden. Vorsichtig öffne ich die Pappschachtel
einen kleinen Spalt. Mit seinen großen Knopfaugen sieht Herkules
mich vorwurfsvoll an und kaut frustriert auf einem Strohhalm. Bevor
er heraus springen kann, schließe ich schnell den Deckel
wieder.
Dann überlege ich angestrengt, was für eine
Flirtstrategie ich bei Alexander anwenden soll. Irgendwie muss ich
ihn auf mich aufmerksam machen, sonst wird mich Nina für den Rest
meines Lebens damit nerven, dass ich diese Chance vertan habe.
Nachdem Irma gestern Abend in dem Glauben gegangen ist, dass ihr
Meerschweinchen-Neffe und ich bestimmt bald ein Paar sein werden,
haben Olgér, Nina und ich noch einige Frambos getrunken und nach
Flirtstrategien gegoogelt. Ein paar lustige Sprüche haben wir auch
gefunden, aber die waren eher für Partys geeignet oder wenn man
jemanden bei der Arbeit kennenlernen will.
Die Partysprüche wie 'Leihst du mir eine Zigarette, dann kannst du mir Feuer
geben' oder 'Hast du mit mir gesprochen? Nein, dann hol das mal
schnell nach' kann ich gerade wohl
kaum gebrauchen. Und die Sprüche fürs Büro wie 'Überstunden kannst du auch mit mir machen. Wie wäre es
in einem netten Café?' oder
'Ich habe Fußballkarten, kommst du mit ins
Stadion' passen irgendwie auch nicht
so richtig. Obwohl der Fußballspruch geht vielleicht doch,
vorausgesetzt der Doc mag Fußball. Ich weiß, das heute Abend ein
Spiel im Stadion stattfindet. Dann brauche ich nur ganz schnell
Karten. Aber das soll Nina regeln. Mit ihren Kontakten wird sie mir
schon irgendwelche Karten für das Spiel besorgen können. Ich atme
tief durch und versuche mich zu entspannen.
„So, wen haben wir denn hier? Womit kann ich Ihnen
behilflich sein?“ Alexander betritt den Raum und sieht mich fragend
an. Optisch gefällt er mir ganz gut. Das Kamerabild, das ich von
ihm gesehen habe, war leider recht unscharf. In natura sieht er
noch viel besser aus.
Die Punkte
Größe über 1,80 m,
volles Haar und
sportliche Figur
auf der LGVT-Liste
meiner Eltern kann ich zumindest schon mit ja ankreuzen.
Ich reiche ihm die Pappschachtel mit
Herkules. „Das hier ist Herkules. Ich mache mir Sorgen um ihn, weil
er sich so merkwürdig benimmt!“
Alexander nimmt den Kartondeckel ab und
betrachtet Herkules aufmerksam. „Was meinen Sie denn mit
komisch?“
„Na ja“, druckse ich. „Er macht immer so
komische Rammelbewegungen. Und das ständig und
überall!“
Alexander zieht eine Augenbraue hoch und
grinst. Zumindest habe ich jetzt seine Aufmerksamkeit. Verstohlen
mustere ich seine Hände. Er hat schöne schlanke Finger und trägt
keinen Ring. Sehr gut!
Vorsichtig nimmt er Herkules aus der
Schachtel. „Was für einen Käfig haben Sie denn
zuhause?“
„Ein Terrarium. Herkules hat wirklich viel
Platz, ein Laufrad und jede Menge Spielzeug hat er
auch!“
„Und wie viele andere Mäuse halten Sie noch
in dem Käfig?“
„Gar keine, Herkules ist ein Einzelkind. Er
versteht sich leider nicht mit anderen Mäusen. Habe ich alles schon
probiert!“
„Das ist aber nicht gut. Wüstenrennmäuse
sind Rudeltiere. Sie sollten nicht alleine leben!“
„Ich weiß. Aber was soll ich denn machen,
wenn er sich nicht mit anderen Mäusen versteht und sie beißt? So
sind wir beide alleine. Herkules und ich. Obwohl ich natürlich
nicht beiße!“
Mein Gott ist das
schlecht, denke ich,
was für ein dummer Spruch von
mir. Aber so kann ich Nina
wenigstens nachher erzählen, ich hätte es versucht. Ich bin bloß
froh, dass die Sprechstundenhilfe nicht im Raum ist und hört, was
ich sage.
Alexander scheint mein
Spruch nicht zu stören. Im Gegenteil, er wirkt amüsiert. „Na dann
wollen wir Herkules erst einmal untersuchen“, meint er und setzt
die zappelnde Maus auf den Untersuchungstisch.
„Hmm“, macht er nach einer Weile. „Ich
glaube Herkules braucht einen neuen Namen!“
„Was? Wieso das denn?“, erstaunt sehe ich
ihn an.
„Weil Herkules ein Mädchen
ist!“
„Wie bitte?“, mir bleibt vor lauter Staunen
der Mund offen stehen. Ich bin ernsthaft verwirrt. Herkules ein
Mädchen? Das wirft unser ganzes WG-Konzept durcheinander. Herkules
ist doch unser Mann im Haus.
„Jetzt echt?“, frage ich.
„Ich bin mir absolut sicher. Und sie
sollten sich überlegen, ob sie es nicht doch noch einmal mit einer
zweiten Maus versuchen. Wenn Wüstenrennmäuse alleine leben müssen,
werden sie verhaltensauffällig! “
Haha, denke
ich, verhaltensauffällig! Wie
lustig! Der sollte mich mal zuhause besuchen und meine Freunde
kennenlernen. Dann weiß er, was verhaltensauffällig
ist.
Dabei fällt mir der eigentliche Grund für
meinen Besuch wieder ein. Richtig, ich soll ja mit dem Herrn Doktor
flirten.
„Das ist ja eine erstaunliche Neuigkeit!“,
sage ich und kratze mich nachdenklich am Kopf. Wie soll ich denn
nun die Kurve kriegen und eine Verabredung mit Alexander klar
machen? Mir fehlt wirklich die Hilfe meiner Freunde. Mit
Ohrmikrofon war das viel besser. Und noch besser fand ich die paar
Male, die Vivien für mich eingesprungen ist. Wie schade, dass sie
gerade so weit weg ist.
Viel lieber würde ich mich eigentlich mit
Volker treffen aber das wird wohl nichts mehr werden. Ich ärgere
mich, dass ich ständig an ihn denken muss. Na gut, dann bleibt mir
hier in dieser Situation nur der plumpe Frontalangriff! Los
geht’s!
„Ich hätte da noch eine Frage!“, nuschele
ich leise.
„Wie bitte?“
„Ich hätte noch eine
Frage!“
„Natürlich, fragen Sie
ruhig!“
„Haben Sie heute Abend schon was
vor?“
„Wie bitte?“
„Ob Sie heute Abend schon was vor
haben?!“
„Was? Ich verstehe die Frage
nicht!“
Ich seufze. Besonders schlau scheint der
Doc nicht zu sein.
„Ich weiß, dass sich das komisch anhört.
Aber ich habe spontan Karten für das Fußballspiel im Stadion heute
Abend bekommen und suche noch jemanden, der mitkommt! Und
vielleicht könnten Sie mir dabei noch ein bisschen mehr über
Wüstenrennmäuse erzählen?“ Gespannt halte ich die Luft
an.
Und dann passiert etwas Unglaubliches.
Alexander wirkt auf einmal völlig entspannt und sieht mich das
erste Mal richtig an. Und mit richtig meine ich, wie einen
Menschen, den er erst jetzt wirklich wahrnimmt.
Wie lustig, das Wort Fußball scheint bei den
meisten Männern tatsächlich so eine Art Schlüsselreiz auszulösen.
Eine Frau, die sich für Fußball interessiert, wird automatisch
spannend.
„Äh, ja gerne. Warum nicht? Wann
denn?“
Ich mache mit
Alexander einen Treffpunkt vor dem Stadion aus, damit es nicht zu
sehr nach einer gewollten Verabredung aussieht. Dann nehme ich
Herkules oder zur Zeit die Maus ohne Namen, der der Doc vorerst
einige Beruhigungstropfen verschrieben hat und verziehe mich
schnell wieder in das Wartezimmer, um Nina
abzuholen.
„Wie war es?“, fragte Nina neugierig, als
ich vor ihr stehe.
„Nicht hier“, flüstere ich. „Erzähl ich dir
draußen!“
Auf dem Parkplatz vor der Praxis bleibe ich
stehen.
„Herkules braucht einen neuen
Namen!“
„Was, wieso?
„Herkules ist ein Mädchen. Stell dir das
vor. Wahrscheinlich hat er, ähem... ich meine sie, Komplexe, weil
wir sie für einen Mann gehalten haben!“
„Na sowas!“, wundert sich
Nina.
„Und ich brauche für das Fußballspiel heute
Abend im Stadion Karten. Ich habe dem Doc erzählt, ich hätte noch
eine Karte frei und wüßte nicht, was ich damit machen soll. Er will
tatsächlich mitkommen. Wir treffen uns nachher vor dem Stadion.
Kriegst du das mit den Karten hin?“
„Wow!“, Nina ist beeindruckt. „Nicht
schlecht die Idee! Du wirst ja immer besser. Ich werde mal sehen,
was ich wegen der Karten machen kann, aber ich denke, das kriege
ich hin. Wir haben immer einige Karten in der Hinterhand, falls
unsere Kunden sich spontan entscheiden. Ich kläre das gleich
mal.“
Nina zückt ihr Handy und wandert über den
Parkplatz. Sie muss sich immer bewegen, wenn sie telefoniert. Ich
bin eher der gemütliche Telefontyp. Ich kuschele mich beim
Telefonieren viel lieber auf eine schöne Couch und mache es mir
bequem.
In dem Karton in meinen Händen rumort es
plötzlich. Herkules hat sich scheinbar von dem Schrecken der
eingehenden ärztlichen Untersuchung erholt und beginnt wieder
mit dem Stroh zu rascheln.
„Wie nenne ich dich jetzt bloß?“, überlege
ich. „Herkules ist ja kein Name für eine Dame. Da müssen wir wohl
ein WG-Meeting machen und zusammen überlegen!“
Während ich noch über mögliche Mäusenamen
nachdenke, kommt Nina von ihrem Telfonwalk wieder. „Gute
Nachrichten“, verkündet sie. „Ich habe zwei Karten für dich
organisiert. Wir können jetzt gleich zu meinem Büro fahren und sie
abholen!“
Das Fußballspiel
Einige Stunden später stehe ich mit den Karten in der
Hand vor dem Stadion. Hier ist die Hölle los. Das Spiel scheint
restlos ausverkauft zu sein. Wieder einmal bewundere ich Nina für
ihr Organisationstalent. Wie hat sie es bloß so schnell geschafft,
noch Karten zu bekommen?
Ich stehe eingekeilt zwischen Fahnen
schwenkenden Fans, die lauthals eine Fußballhymne grölen und warte
auf Alexander. Ob er überhaupt kommen wird? Ich werde mich wohl
überraschen lassen müssen, denn ich habe noch nicht mal eine
Handynummer von ihm.
Und auch wenn er kommen sollte, heute bin
ich völlig auf mich allein gestellt. Keiner meiner Freunde ist
dabei und kann mich coachen.
Nina hat mir noch ein paar gutgemeinte
Tipps mit auf den Weg gegeben: „Ihr werdet sowieso nicht viel
reden. Im Stadion ist es ziemlich laut. Freu dich einfach mit, wenn
ein Tor fällt und lass ein paar Buh-Rufe los, wenn die Gegner am
Ball sind. Wird schon schiefgehen!“
In Wirklichkeit habe ich überhaupt keine
Ahnung von Fußball und ich war auch noch nie in einem Stadion. Vor
grölenden Menschenmassen habe ich schon immer einen
Riesenrespekt gehabt. Ich fühle mich einfach unwohl, wenn zu viele
Menschen um mich herum sind.
Erleichtert atme ich auf, als ich
Alexanders blonden Haarschopf in der Masse erkennen kann. Er hat
mich gesehen und winkt mir zu. Ich gehe ihm
entgegen.
„Entschuldigung. Ist etwas später geworden.
Wir hatten noch einen Notfall. Eine Dalmatiner Hündin hatte
Probleme bei der Geburt ihrer Welpen. Da musste ich noch hin. Aber
alle zwölf Welpen sind gesund und munter!“
„Kein Problem! Ich bin auch noch nicht
lange da“, antworte ich. „Wollen wir reingehen?“
„Ja, gerne. Geht ja schon gleich los. Echt
nett von dir, dass du mich mitnimmst. Ich darf doch DU sagen, oder?
Ich bin Alexander!“
„Klar darfst du, ich heiße Lola“, stelle
ich mich noch einmal vor.
„Wie kommt es denn, dass du Karten hattest
und keine Begleitung?“, will Alexander auf dem Weg zu unseren
Sitzplätzen wissen.
„Längere Geschichte. Ich wollte eigentlich
mit meinem Mitbewohner gehen, aber der hat sich den Fuß
verknackst!“, erkläre ich. Das ist noch nicht einmal ganz gelogen,
denn einen Mitbewohner mit verstauchtem Fuß habe ich ja
wirklich.
„Mitbewohner? Wohnst du in einer Männer-WG?
So wie diese Frau in dieser neuen Serie im
Fernsehen?“
„Nee, nee. Ich wohne nur mit Olgér
zusammen. Den kenne ich noch aus Studienzeiten. Und er ist auch
ungefährlich für mich. Er steht auf Männer. Und Herkules, meinen
anderen Mitbewohner, hast DU ja heute zur Frau
gemacht!“
„Haha“, lacht Alexander. „Du bist echt
lustig! Hast du denn schon einen neuen Namen für
Herkules?“
„Noch nicht. Olgér weiß das alles noch gar
nicht. Und da Herkules ja auch sein Mitbewohner oder besser seine
Mitbewohnerin ist, werden wir WG-demokratisch
abstimmen.“
„Was sagt denn dein Freund dazu, dass du
mit einem Mann in einer WG wohnst?“, erkundigt sich
Alexander.
„Ich habe keinen Freund. Sonst hätte der
bestimmt auch was dagegen, dass ich mit wildfremden Männern ins
Stadion gehe“, pariere ich.
„Na ganz wildfremd bin ich ja nicht.
Immerhin bin ich der Tierarzt deiner Maus“, erwidert Alexander
schmunzelnd.
Inzwischen haben wir unsere Plätze
gefunden. Sie sind gar nicht mal schlecht. Mittig gelegen und nicht
zu weit hinten. Das hat Nina gut hinbekommen.
„Ich hole mir noch schnell ein Bier. Kann
ich dich auf einen Drink einladen? Und Popcorn?“, will Alexander
wissen.
„Oh ja, gerne. Für mich eine Cola und
Popcorn“, gebe ich meine Bestellumg auf. Diese Geste von Alexander
gefällt mir. Ich sitze gemütlich auf meinem Sitz und der Mann
beschafft das Essen. Sehr gut!
Die Mannschaften laufen ein. Jeder Spieler
hält ein Kind an der Hand. Das finde ich irgendwie süß. Ich wußte
gar nicht, dass Fußballer so kinderlieb sind.
Wir sind für
die rot-blauen, das weiß ich, weil um mich herum alle rot-blaue
Schals tragen. Darüber bin ich sehr froh, denn sonst hätte ich
nicht gewußt, bei welcher Mannschaft ich nun „Buh“ rufen soll. Was
mir nicht so gut gefällt ist, dass alle Spieler einer Mannschaft
das gleiche Trikot anhaben. Ehrlich, wo bleibt denn da der
individuelle Style?
Aber solche Gedanken sind Männern
vermutlich fremd.
Alexander taucht bewaffnet mit Proviant
wieder neben mir auf.
„Wow, das ging aber schnell“, staune
ich.
„Alter Trick“, erwidert er. „Du darfst dich
erst anstellen, wenn das Spiel schon angepfiffen worden ist. Dann
kommst du schneller dran!“
„Aha!“, mache ich. „Werde ich mir
merken.“
„Bist du öfter im Stadion?“, fragt
Alexander interessiert.
„Ehrlich gesagt ist das mein erstes Mal.
Ich wollte meinem Mitbewohner eine Freude machen und habe die
Karten besorgt“, antworte ich. Ich habe irgendwo mal gelesen, dass
man, wenn man professionell lügen will, immer Halbwahrheiten
erzählen soll. Das erste Mal im Stadion bin ich tatsächlich, aber
Olgér würde bei einem Fußballspiel nur zusehen, um die
Spieler in ihren knappen Trikots zu bewundern. Er hat von Fußball
ungefähr so viel Ahnung wie ein Elefant vom
Ballett.
„Ach so“, meint Alexander. „Dann wollen wir
mal hoffen, dass das Spiel gut wird, damit sich dein erster
Stadionbesuch auch lohnt!“
Er prostet mir zu und widmet dann seine
ganze Aufmerksamkeit dem Spiel.
Nach zehn Minuten schießen
wir ein Tor
und alle um mich herum jubeln. Ich springe von meinem Sitz auf und
klatsche wie wild in die Hände. In seinem Freudentaumel hebt
Alexander mich hoch und dreht mich im Kreis. Wahnsinn, wie Männer beim Fußball aus sich
herausgehen, denke ich. Da werden
wildfremde Menschen umarmt und es wird abgeklatscht. Aber einige
Stunden nach dem Spiel kennt man sich nicht mehr. Merkwürdige Welt,
aber nicht unspannend!
Beim ersten Tor der Gegner buhe ich kräftig
mit. Dann ist erst einmal Halbzeitpause. Alexander holt uns noch
etwas zu trinken und wir unterhalten uns angeregt. Dabei stelle ich
fest, dass wir bis auf Fußball durchaus einige gemeinsame
Interessen haben. Er liest genauso gerne wie ich und mag
Kunstaustellungen. Außerdem tanzt er gerne, aber auch eher für sich
alleine und nicht den Tanzschulenstyle.
Nach kurzer Zeit ist die Halbzeit vorbei
und es geht weiter. Zum Glück schießen wir am Ende der zweiten
Halbzeit kurz vor dem Schlusspfiff noch ein Tor, somit
gewinnen wir das Spiel 2:1. Die Leute um mich herum flippen jetzt
völlig aus, sie grölen und singen laute Fußballlieder. Mir reicht
der gemeinschaftliche Freudentaumel jetzt. Die unkontrollierbare
Menschenmasse flößt mir Respekt ein. Ich möchte gerne nach Hause.
Ich hake mich bei Alexander unter und gehe mit ihm zum
Stadionausgang.
Da wir beide mit der U-Bahn gekommen sind,
kann er mich nicht nach Hause fahren. Wir bleiben noch kurz vor dem
Stadion stehen, um uns zu verabschieden.
„Vielen Dank dafür, dass du mich
mitgenommen hast! Das war echt ein großartiges Spiel! Hättest du
vielleicht Lust, am Samstagabend mit mir Essen zu gehen? Ich würde
mich gerne revanchieren. Es gibt da ein nettes Restaurant direkt am
Hafen. Wenn du mir deine Telefonnummer und deine Adresse gibst,
hole ich dich ab!“, abwartend sieht Alexander mich
an.
Ich nicke. „Ja gerne, das würde mich
freuen. Am Samsatgabend habe ich noch nichts vor!“
Wir tauschen noch schnell unsere Daten aus
und verabschieden uns dann.
Der Samstag wird ein auf jeden Fall ein
spannender Tag werden, denke ich.
Vomittags treffe ich Till zum Spazierengehen im Hundepark und
abends habe ich nun ein Date mit Alexander. Ich muss sofort Nina
anrufen und ihr von Alexanders Einladung erzählen. Sie wird
bestimmt stolz auf mich sein.
Viel weiß ich zwar noch nicht über
Alexander, da der Abend heute sehr fußballorientiert war, aber in
den kurzen Gesprächspausen haben wir uns wirklich nett
unterhalten.
Ein bisschen freue ich mich sogar auf
Samstag und darauf, Alexander besser kennen zu
lernen.
High Heels in Action
Freitagabend. Heute ist Olgérs großer Tag. In den
letzten Tagen ist bei mir so viel passiert, dass ich diesen Termin
total verdrängt habe. Ich habe Olgér auch kaum gesehen. Er war
ständig bei Stefan Lambert in der Tanzschule, um alles für das
erste „High Heels in Action“-Gruppentreffen vorzubereiten, das
heute stattfinden soll.
Olgér und ich haben noch nicht einmal die
Zeit gefunden, einen neuen Namen für den armen Herkules zu suchen.
Und von meinem geplanten Treffen mit Till und dem Date mit
Alexander habe ich ihm nur ganz kurz berichten können, dann musste
er auch schon wieder weg.
Auch jetzt gerade ist er schon in der
Tanzschule, um die Vorbereitungen zu kontrollieren. Über dreißig
Facebook-Gruppenmitglieder seiner „High Heels in Action“ –
Gruppe haben zugesagt, dass sie kommen wollen. Ich bin wirklich
gespannt, was das so für Leute sind. Nina, Anja und ich gehen
natürlich auch zu dem Treffen. Wir haben versprochen, dass wir
etwas früher kommen werden, um die Gäste mit einem Glas Sekt zu
begrüßen. Olgér hat sich mächtig in Schale geschmissen, als er aus
dem Haus gegangen ist. Er trägt einen lilafarbenen Catsuit aus Samt
und pinkfarbene High Heels mit Strassbesatz.
Laufen kann er allerdings immer noch nicht
so gut, deshalb hat Stefan Lambert ihn vorhin abgeholt und wird ihn
vermutlich den ganzen Abend über stützen. Denn in einen Rollstuhl
wird Olgér sich heute sicherlich nicht setzen
wollen.
Ich stehe vor meinem Kleiderschrank und
überlege, was ich anziehen soll. Kurz nehme ich mein schwarzes
Minikleid vom Bügel, hänge es dann aber doch wieder in den Schrank.
Für diesen Anlass ist das Kleid wohl doch zu farblos. Ich brauche
etwas Auffälligeres. Vielleicht das türkisfarbene Kleid mit den
Pailletten? Das hatte ich noch nie an, obwohl es schon eine Weile
her ist, dass ich es gekauft habe. Das Kleid hing vor einigen
Monaten im Schaufenster meiner Lieblingsboutique und rief mir im
Vorbeigehen förmlich zu: „Kauf mich! Kauf mich!“
Bisher hatte ich nur noch keine
Gelegenheit, es anzuziehen.
Na gut, wenn nicht heute, wann
dann?, überlege ich und nehme das
Pailletten-Kleid aus dem Schrank. Dazu werde ich meine silbernen
High Heels anziehen.
Einige Zeit später stehe ich fertig
angezogen und geschminkt vor dem Spiegel und betrachte mich von
allen Seiten. Was ich sehe, gefällt mir. Eigentlich schade, dass
ich heute kein Date habe. Morgen werde ich mich nicht so aufbrezeln
können, sonst denkt Alexander ich bin etwas gaga. Und zum
Hundespazierengehen mit Till werde ich eher sportlich-bequeme
Kleidung brauchen und ganz sicher kein Kleid und High
Heels.
Zu Olgérs Treffen heute werden sicherlich
keine heterosexuellen Männer auftauchen. Also werfe ich mich hier
eigentlich völlig umsonst so in Schale. Aber was solls? Ich zucke
mit den Achseln. Olgér wird es sicher gefallen und das ist ja auch
etwas wert.
Es klingelt an der Haustür. Ich öffne. Nina
und Anja sind da und wollen mich abholen. „Wow, gut siehst du aus!
Cooles Kleid“, meint Anja beeindruckt.
„Danke. Ihr seht aber auch toll aus“,
antworte ich. Anja trägt ein langes rotes Kleid und dazu passend
rote High Heels, Nina hat sich für einen weißen Hosenanzug mit
goldfarbenen High Heels entschieden.
Ich mixe uns noch drei Frambos in der Küche
zum Lockerwerden, denn wir wissen nicht wirklich, was uns auf
Olgérs Party erwartet. Dann bestelle ich uns ein
Taxi.
Auf der Fahrt zur Tanzschule muss ich Anja
noch einmal die Geschichte von Irmas Neffen Till erzählen und von
dem Fußballspiel mit Alexander berichten. Anja ist ehrlich
beeindruckt, dass die Männer sich beide mit mir am Samstag treffen
wollen.
„Vielleicht können Nina und ich
Samstagvormittag auch im Park spazieren gehen. Ich könnte die
Kinder mitnehmen und wir würden euch ganz zufällig über den Weg
laufen. Dann weißt du gleich, wie dieser Till auf Kinder reagiert.
Und Samstagabend müssen wir unbedingt wieder so eine
Verkabelungsaktion mit Kamera machen, damit wir dich coachen
können. Hast du Volker schon gefragt?“, will sie
wissen.
„Nein, habe ich nicht“, antworte ich
gepresst.
„Na, dann können wir ihn ja gleich auf der
Party fragen!“, erwidert Anja.
„Was?“, kreische ich. „Wieso nachher auf
der Party? Kommt Volker etwa auch?“
„Ja klar, wusstest du das nicht? Olgér hat
ihn doch gebeten, das ganze Treffen für seine Internetseite zu
filmen“, entgegnet Anja.
„Halten Sie sofort an!“, befehle ich dem
Taxifahrer. „Ich steige hier aus!“
„Was ist denn jetzt los?“, wundert sich
Anja.
„Wieso regst du dich denn so auf?“, will
Nina wissen.
„Längere Geschichte. Ich werde auf jeden
Fall nicht mit auf die Party kommen, wenn Volker auch da
ist!“
„Warum denn nicht?“ Anja sieht mich
überrascht an. „Ihr habt euch doch so gut verstanden. Und wir
brauchen Volkers Hilfe immerhin am Samstagabend.“
„Ich brauche bestimmt keine Hilfe von
Volker!“, zische ich.
„Hey, bleib mal locker!“ Nina legt mir die
Hand auf die Schulter. „Was ist denn passiert?“
„Ist egal!“ Genervt schiebe ich Ninas Hand
von meiner Schulter. „Ich habe auf jeden Fall keine Lust mit auf
die Party zu kommen, wenn Volker auch da ist!“
„Keine Ahnung, was gerade mit dir los ist“,
antwortet Anja. „Aber auf die Party wirst du mitkommen müssen. Das
kannst du Olgér nicht antun. Er freut sich so sehr auf das Treffen.
Und dich will er auf jeden Fall dabei haben!“
Ich schlucke eine bissige Bemerkung
hinunter. Anja hat Recht. Ich muss mich zusammenreißen - Olgér
zuliebe. Und außerdem habe ich keine Lust darauf, dass meine
Freundinnen mich die nächsten Tage mit der Frage nerven, was Volker
mir denn getan hat.
„Ok, fahren Sie bitte weiter!“, gebe ich
nach vorne an den Taxifahrer durch, der aufgrund meines Kommandos
bereits auf dem Seitenstreifen gehalten hat.
„Frauen“, erwidert er und schüttelt den
Kopf. Der Wagen setzt sich wieder in Bewegung. Den Rest der Fahrt
verbringe ich schweigend, während Nina und Anja den neusten Klatsch
austauschen.
Als wir vor Stefan Lamberts Tanzschule
halten, ist der Parkplatz noch ziemlich leer. Verstohlen sehe ich
mich nach Volkers Auto um, kann es aber nicht entdecken. Er scheint
also noch nicht da zu sein. Ich versuche, mich ein wenig zu
entspannen.
„Da seid ihr ja endlich. Kommt, kommt!“,
werden wir von einem sehr aufgeregten Olgér begrüßt. Wir haben
gerade noch die Zeit unsere Jacken aufzuhängen, da drückt er uns
auch schon Tischdecken und Dekomaterial in die Hand. „Schnell,
schnell, wir müssen noch die Tische dekorieren!“
Ich ignoriere Olgérs Hektik und sehe mich
erst einmal im Tanzsaal um. Der sieht wirklich toll aus. Stefan und
Olgér haben kleine Lichterketten aufgehängt und den ganzen Saal mit
echten High Heels geschmückt. Mit Bändern haben sie die Schuhe an
den Wänden und an der Decke befestigt.
Der Tanzsaal sieht aus wie bei einer
riesengroßen Schuhkollektions-Eröffnungsparty. Olgér scheint schon
einmal für seine erste High Heel – Kollektionsparty zu üben. Er
sollte wirklich langsam damit beginnen, seine Idee von einer
eigenen Schuhlinie zu verwirklichen. Er ist echt begabt.
„Na, gefällt dir unsere Deko?“ Stefan Lambert hat sich
neben mich gestellt und folgt meinen Blicken.
„Ja, sehr! Das habt ihr echt toll gemacht!
War bestimmt eine Menge Arbeit!“
„Das stimmt. Das Purzelchen hat mich ganz
schön rumkommandiert. Aber das Ergebnis ist toll,
oder?“
Moment mal,
denke ich. Das Purzelchen? Was geht
denn hier ab?
„Hm, auf jeden Fall. Würdest du mich mal
kurz entschuldigen?“, bitte ich ihn.
Ich steure auf Olgér zu, der gerade Anja
und Nina zeigt, wie sie die Tische dekorieren
sollen.
„Ah Lola, komm her. Du kannst hier weiter
machen“, meint er.
„Nee, komm du mal kurz her. Ich will dich
was fragen“, pariere ich und ziehe Olgér hinter mir her in die
Garderobe.
„Au, nicht so schnell. Mein Fuß“, jammert
er. „Was ist denn los?“
„Was los ist? Das will ich von dir wissen.
Wieso sagt Stefan Lambert Purzelchen zu
dir?“
Olgér errötet. „Oh“, macht
er.
„Was heißt hier 'oh' ?“, bohre ich
weiter.
Olgér überlegt kurz. Dann legt er einen
Finger auf die Lippen und sieht mich verschwörerisch an. „In
Ordnung, ich sag es dir. Aber du musst versprechen, es nicht weiter
zu erzählen.“
Ich nicke.
„Stefan und ich sind ein Paar. Seit
vorgestern!“
So was in der Art hatte ich mir schon fast
gedacht. Ich freue mich für Olgér. Es ist ewig her, dass er einen
festen Freund hatte. Und Stefan ist wirklich ein netter Kerl.
Außerdem scheint er Olgér so zu mögen, wie er ist, too much
theatralisch!
Ich lächle. „Wie schön! Ich freue mich so
für euch!“
„Ach Lolalein, ich könnte die Welt umarmen.
Dass ich das noch erlebe, hätte ich nicht gedacht. Stefan ist too
much süß und zärtlich!“
Mehr will ich gar nicht
hören.
Ich unterbreche Olgér, der sonst in einen
Redeschwall verfallen würde. Das kenne ich nämlich schon von ihm
und erinnere ihn daran, dass wir noch jede Menge zu tun
haben.
Olgér drückt mich noch einmal fest und
humpelt dann zurück in den Saal.
Damit wäre die Mission doch
erfüllt, denke ich.
Ein Traumprinz wurde gefunden. Nur nicht
für mich!
Nachdem wir alles zu Olgérs Zufriedenheit
fertig dekoriert haben, treffen auch schon die ersten Gäste ein.
Die überwiegend weiblichen Besucher haben sich alle fein
herausgeputzt und tragen High Heels in den außergewöhnlichsten
Formen und Farben. Ich bin froh, dass ich mich für das
türkisfarbene Kleid entschieden habe, mit dem schwarzen Kleid wäre
ich eindeutig 'underdressed' gewesen. Ich reiche jedem
Neuankömmling einen Sekt.
„Bekommen wir auch ein Glas?“, höre ich
plötzlich eine vertraute Stimme hinter mir.
Ich drehe mich um und sehe direkt in
Volkers blaue Augen. Neben ihm steht eine rothaarige Schönheit, die
sich an seinem Arm untergehakt hat.
Bumm!
Mir fällt vor Schreck das Tablett mit den
Sektgläsern aus der Hand. Die klebrige Flüssigkeit spritzt in hohem
Bogen auf das silberne Abendkleid der Rothaarigen.
„Igitt“, kreischt sie. „Sie Trottel! Sie
haben mein Kleid ruiniert!“
Mit hochrotem Kopf sammle ich die
Glasscherben ein. Das hat mir echt noch gefehlt! Da besitzt Volker
doch die Frechheit und taucht mit seiner neuen Eroberung hier
auf!
Stefan Lambert eilt mir zur Hilfe, während
Volker mit einer Packung Taschentücher das Kleid seiner Begleitung
abtupft.
Damit habe ich ihm wahrscheinlich auch noch
einen Gefallen getan, denke ich
wütend. So kann er seine Tussi in
aller Öffentlichkeit begrabschen!
Nachdem Volker einige Minuten an ihr
rumgetupft hat, verschwindet die Rothaarige um sich wieder
herzurichten auf die Damentoilette. Natürlich nicht ohne mir vorher
einen eisigen Blick zuzuwerfen.
Pah, denke
ich, dummes Miststück!
Und strecke ihr hinter dem Rücken die Zunge
raus.
Ich hole mir einen Putzeimer und einen
Lappen aus der Küche und versuche das Gröbste aufzuwischen. Bei den
vielen High Heel – Trägern ist ein Pfütze lebensgefährlich. Und ich
will nicht, dass wegen mir jemand ausrutscht und sich die Beine
bricht.
Ich gebe natürlich keine besonders gute
Figur ab, wie ich in meinem engen Kleid auf dem Fußboden knie und
den Sekt aufwische. Ausgerechnet jetzt muss Volker mich von der
Seite anquatschen.
„Soll ich dir helfen? Sieht schwierig aus
in deinem Outfit zu wischen!“
„Nein danke. Ich brauche keine Hilfe!“,
antworte ich patzig.
Das läuft ja ganz toll. Die dumme Lola
kniet am Boden, während die hübsche Rothaarige in einem neuen Kleid
aus der Damentoilette stolziert kommt.
„Ich habe Nora eines unserer Tanzkostüme
aus der Requisite geliehen und ihr Kleid zum Trocknen aufgehängt“,
erklärt Stefan.
Nora, heißt das Miststück also. Ich
schnaube verächtlich. Volker sieht mich fragend an. Jetzt brauche
ich dringend ein Ass im Ärmel. Mir fällt das Gespräch im Taxi mit
Nina und Anja wieder ein. Genau, das ist es! Ich werde Volker doch
fragen, ob er mich am Samstag noch einmal verkabelt und uns
technisch bei meinem Date mit Alexander unterstützt. Und dann lasse
ich ihn dabei zusehen, wie ich mit Alexander flirte und ihn am Ende
des Abends küsse. Ha
Volker soll bloß nicht denken, ich hätte
keine Chancen bei anderen Männern!
„Sag mal, Volker“, flöte ich zuckersüß.
„Hast du am Samstagabend schon was vor?“
Volker lächelt. „Nein, habe ich nicht.
Wieso?“
„Ich dachte du könntest uns nochmal
technisch unterstützen, ich habe am Samstag ein Date mit einem ganz
heißen Typen!“
Ha, so ganz egal scheint dieser Spruch
Volker doch nicht zu sein. Seine Gesichtszüge verhärten sich. „Du,
ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Vielleicht habe ich doch
was vor!“
„Hast du nicht, hast du gerade eben selbst
gesagt“, triumphiere ich.
Nina steht plötzlich neben mir und hat die
letzten Wortfetzen mitbekommen. „Oh, du hast Volker doch gefragt.
Das ist ja toll, dass du uns noch einmal helfen willst. Lass uns
gleich mal den Ablauf besprechen und wann und wo wir uns treffen
wollen!“
Ganz die Marketing-Frau hat Nina schon
alles bis ins Kleinste geplant und zieht Volker hinter sich her zu
einer Sitzgruppe.
Aus der Nummer kommt er nicht mehr
raus, denke ich zufrieden.
Dafür wird Nina schon
sorgen!
Hunde und ich (zweiter Versuch)
Samstagvormittag. Heute bin ich ausnahmsweise mal
ausgeschlafen. Ich bin gestern nicht mehr sehr lange auf Olgérs
Party geblieben. Da Olgér sowieso total beschäftigt war und Anja
und Nina Verständnis dafür hatten, dass ich fit für meine beiden
Verabredungen heute sein wollte, konnte ich ungehindert früher nach
Hause fahren.
So musste ich auch den Anblick von Volker
und dieser Nora nicht mehr lange ertragen. Obwohl Volker und sie
gar nicht besonders viel zusammen gemacht haben, denn Volker musste
das „High Heels in Action“-Treffen ja filmen und hatte zu
tun.
Im Moment habe ich sturmfreie Bude, denn
Olgér ist diese Nacht nicht nach Hause gekommen. Er übernachtet
wahrscheinlich bei Stefan. Ich freue mich wirklich sehr für ihn,
obwohl ich ihn als Berater für die richtige Auswahl meines Outfits
für den bevorstehenden Hundespaziergang mit Till und Fee gut hätte
gebrauchen können.
So musste ich mein Outfit ohne Beratung
wählen, aber ich denke, was ich schließlich angezogen habe, ist
ganz in Ordnung.
Meine Kleiderwahl fiel auf ein
sportlich-elegantes Outfit: Bluejeans und Bluse, dazu chice
Sneaker.
Gerade will ich mich an den Küchentisch
setzen und in aller Ruhe frühstücken, als es an der Tür klingelt.
Nanu, wer kann das denn sein?
Ich öffne und werde gleich fürchterlich
angekläfft.
Vor mir stehen Irma und
Waldi.
„Guten Morgen“, begrüße ich die
beiden.
Waldi drängt sich zwischen meinen Beinen
hindurch, um dann meine Hinterseite anzuknurren.
„Irma!“, panisch drehe ich mich um. „Nimm
das Tier weg! Wir mögen uns nicht!“
„Siehst du und deshalb bin ich unter
anderem hier“, meint Irma orakelhaft.
„Was meinst du denn damit?“, will ich
wissen. „Ich habe gar nicht viel Zeit, ich treffe mich doch gleich
mit Mucki, äh ich meine Till!“
„Deshalb bin ich ja da!“, erwidert Irma.
„Ich finde, du solltest Waldi mit zu eurem Treffen
nehmen!“
„Waaaas?“, kreische ich entsetzt. „Das ist
nicht dein Ernst! Waldi hasst mich. Er knurrt mich
an!“
„Quatsch, Waldi tut nix. Er gibt nur an.
Außerdem versteht er sich ziemlich gut mit Muckis Fee. Du wirst
schon sehen, das wird ein ganz netter Spaziergang. Und Mucki wird
sich bestimmt darüber freuen, dass du Waldi zum Spielen für Fee
mitbringst.“
Zweifelnd sehe ich erst Irma und dann Waldi
an. Der hat inzwischen tatsächlich aufgehört mich anzuknurren und
leckt die Brötchenkrümel vom Küchenfußboden.
„Siehst du, wenn er abgelenkt ist, macht er
auch nix. Waldi ist furchtbar verfressen, für Leckerlis tut er
eigentlich alles.“
Ich sehe Waldi zweifelnd an. Er ist zwar
viel kleiner als Bones, aber bestimmt nicht weniger
gefährlich.
„Nee, Irma. Wirklich nicht. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass Waldi und ich klar kommen.“
„Ach, was. Stell dich nicht so an. Ich gebe
dir einfach eine Tüte Leckerlis mit. Du wirst schon sehen, dann ist
Waldi lammfromm.“
„Ich weiß nicht …“, zweifle
ich.
„Ach komm. Du und Mucki. Fee und Waldi,
dass wird nett. Und wenn du erst mal mit Mucki zusammen wohnst,
könnten Waldi und Fee Junge kriegen. Ach das wäre doch toll. Ein
ganzer Stall voller Hunde. Kinder müsst ihr euch nicht unbedingt
anschaffen. Mit Kindern komme ich nicht gut klar. Deshalb habe ich
auch selber keine. Aber auf eure Hunde passe ich gerne ab und zu
mal auf“, verplant Irma meine Zukunft.
Bei der Vorstellung mit vielen kläffenden
Waldi-Klonen zusammen zu wohnen, wird mir ganz anders. Ich
schüttele mich. Waldi ist immer noch damit beschäftigt, den
Küchenboden nach Krümeln abzusuchen.
„Ich hole mal schnell die Leckerlis“, meint
Irma und verschwindet einfach aus der Küche.
„Halt!“, rufe ich ihr hinterher, doch sie
ist schon auf dem Weg nach oben in ihre Wohnung.
Erstaunlich, wie schnell sie sein kann,
wenn sie will, denke
ich.
Ich betrachte Waldi, das Ungeheuer und
schließe schnell die Küchentüre. Von außen versteht sich. So bin
ich erst mal sicher.
Mit einer Tüte Leckerlis in der Hand kommt
Irma kurze Zeit später zurück. „Nanu, wo ist Waldi denn?“,
erkundigt sie sich.
Ich deute auf die
Küchentür.
Irma sieht mich kopfschüttelnd an und
befreit Waldi aus seinem Gefängnis.
„Armer Waldi, hat die böse Tante dich
eingesperrt? Ja, guck doch mal, was Frauchen hier hat!“ Sie
raschelt mit der Leckerli-Tüte.
Dieses Geräusch scheint Waldi zu kennen. Er
setzt sich auf die Hinterbeine und spitzt aufmerksam die
Ohren.
„Hier, gib ihm mal was!“ Irma reicht mir
die Tüte. Widerwillig greife ich danach und raschele ein wenig. Und
tatsächlich! Waldi sieht mich nun ebenso aufmerksam an, wie eben
Irma.
„Lieber Waldi“, säusele ich. „Hier hast du
was Feines!“
Ich nehme ein Leckerchen aus der Tüte und
werfe es Waldi vor die Pfoten. Sofort stürzt er sich darauf und in
Nullkommanichts ist das Leckerli verschwunden. Waldi sucht noch
kurz den Boden ab, um sicher zu gehen, dass er nichts übersehen
hat, dann fixiert er mich wieder mit seinem
Dackelblick.
Wenn ich nicht wüsste, dass Waldi eine
fiese Bestie ist, fände ich ihn gerade glatt
niedlich.
„Na siehst du. Mit Leckerlis klappt alles.
Sag ich doch. Wie er dich jetzt anschaut... , ist das nicht süß?“
Irma ist ganz begeistert.
Ich kann ihre Begeisterung nicht teilen,
aber so lange ich die Tüte in der Hand halte, findet Waldi mich
scheinbar ganz in Ordnung.
„Ok, ich versuche es“, seufze ich. „Aber
nur, wenn ich die Leckerlis mitnehmen darf!“
„Klar, kannst du die mitnehmen. Ich hole
nur schnell Waldis Leine! Du wirst schon sehen, ihr beide werdet
viel Spaß haben,“ meint Irma zuversichtlich und flitzt noch einmal
hoch in ihre Wohnung, um die Leine zu holen.
Wenig später sind Waldi und ich auf dem Weg
zum Park. Alle paar Meter lasse ich ein Leckerli fallen, um ihn bei
Laune zu halten. Und wenn er nach dem Treffen mit Till platzen
sollte, hat Irma selber Schuld. Meine Idee war es nicht, das
Monster mitzunehmen.
Am Parkeingang erblicke ich Till und Fee.
Die beiden warten schon. Ich bin etwas später dran, weil Waldi
jeden, aber auch wirklich jeden Grashalm auf dem Weg anpinkeln
musste.
Fee erkennt Waldi sofort und läuft auf uns
zu. Ihr Herrchen kommt etwas langsamer hinterher.
„Oh, du hast Waldi mitgebracht. Das ist ja
nett. Dann können die beiden Hunde schön spielen!“, freut sich
Till.
„Hallo erstmal“, begrüße ich
ihn.
Waldi scheint wirklich auf Fee zu stehen,
so freudig habe ich den missgelaunten Dackel noch nie erlebt. Er
wackelt so sehr mit dem Hinterteil, dass ich Angst bekomme, dass es
abbricht.
„Schön, dass du da bist“, erwidert Till.
Ich will gerade eine nette Unterhaltung beginnen, als mein Handy
piepst.
SMS von Nina: Hi Lola, Anja und ich sind mit den Kids im Park. Wo
seid ihr?
„Da muss ich kurz antworten“, entschuldige
ich mich.
„Kein Problem“, meint Till und beugt sich
zu Waldi hinunter, um ihn zu kraulen. Waldi wedelt mit dem
Schwanz.
Den Till magst du also, denke ich.
SMS an Nina:
Sind am Parkeingang, Hundeauslaufgebiet.
Kommt uns doch entgegen! L.
„Willst du Waldi nicht laufen lassen?“,
erkundigt Till sich und zeigt auf die Leine, die sich beim Toben
mit Fee um Waldis Vorderbeine gewickelt hat.
„Haut er dann nicht ab?“, frage ich
zweifelnd. Nicht auszudenken, wenn ich ohne das Monster nach Hause
komme. Das würde Irma mir nie verzeihen.
„Ach was, ich bin doch dabei. Und wenn Fee
in seiner Nähe ist, weicht er sowieso nicht von ihrer
Seite!“
„Auf deine Verantwortung!“ Ich befreie
Waldi von seiner Leine und sehe zu, wie er mit Fee davon rennt.
Till pfeift kurz und Fee kommt zu ihm zurück – Waldi immer
hinterher.
„Siehst du“, meint Till. „Da passiert
nix!“
Ich zucke mit den Schultern. Dieses ganze
Hundedings liegt mir nicht so. Keine Ahnung welcher Hund was wann
und warum macht.
„Weißt du schon, was ich nun mit dem Brief
von Svens Anwalt machen soll?“, stelle ich die Frage, die mir schon
die ganze Zeit auf der Seele brennt.
„Ach so. Ich habe ein Gegenschreiben
aufgesetzt und an die Anwaltskanzlei Schneider geschickt. Hier ist
eine Kopie für dich“, Till reicht mir einen Umschlag. „Wir warten
erst einmal ab, wie sie darauf reagieren. Mach dir keine Sorgen,
ich kriege das schon hin!“
„Danke!“ Mir fällt ein Stein vom Herzen.
Wie gut, dass Till mir hilft. Das ist wirklich sehr nett von
ihm.
Ich versuche ein Gespräch mit Till
anzufangen, aber das will mir irgendwie nicht so recht gelingen.
Till ist furchtbar fixiert auf die spielenden Hunde. „Ach, sieh
doch mal, wie süß die spielen!“
„Ist Fee nicht goldig?“
„Wie niedlich Waldi
guckt!“
Das Wort 'niedlich' in Verbindung mit Waldi
finde ich zwar sehr gewagt, aber Till hat da scheinbar eine andere
Wahrnehmung als ich.
Ich bin froh, als ich in der Ferne Nina und
Anja erkenne. Anja schiebt einen Geschwisterwagen mit ihrer
zweieinhalbjährigen Tochter Marie und dem Baby Paul. Ich
winke.
„Was für ein Zufall! Da vorne kommen gerade
zwei Freundinnen von mir!“ Ich zeige auf die beiden
Mädels.
Till hört nur mit halbem Ohr zu.
„Entschuldige, was hast du gesagt? Ich war gerade abgelenkt. Ich
sehe den Hunden so gerne beim Spielen zu!“
„Da vorne sind zwei Freundinnen von mir“,
wiederhole ich.
Nina und Anja sind schon fast bei uns, als
es plötzlich einen Tumult gibt. Auch Waldi hat meine Freundinnen
entdeckt oder besser gesagt, das Brötchen, das die kleine Marie in
ihrem Buggy in der Hand hält.
Er mutiert wieder zu dem Ungeheuer, als das
ich ihn kenne und rennt laut kläffend auf den Kinderwagen zu. Marie
lässt vor lauter Schreck das Brötchen fallen und Waldi stürzt sich
darauf. Als der Hund mit ihrem Brötchen in der Hand davonläuft,
beginnt Marie herzzerreißend zu weinen. Ihre Baby-Schwester Hannah
stimmt sofort mit ein.
„Waldi“, schreie ich. „Sofort
hierher!“
„Ach, lass ihn doch“, meint Till allen
Ernstes. „Der kommt schon wieder, wenn er das Brötchen gegessen
hat.“
Diesen Satz hat Anja mitbekommen, die neben
uns angekommen ist. „Wie bitte?“, zischt sie. „Das geht ja wohl gar
nicht, dass der Waldi meiner Tochter das Brötchen
klaut!“
„Das sind Nina und Anja“, schreie ich gegen
das Heulen der beiden Kinder an.
„Was? Ich kann nix verstehen. Die Kinder
plärren so laut. Können die nicht mal damit aufhören?“, schreit
Till zurück. Dann stupst er mich an. „Sieh mal, wie süß. Waldi und
Fee teilen sich das Brötchen.“
Ich sehe Anja hilflos an. Die macht hinter
Tills Rücken eine Bewegung, als ob sie ihm den Hals durchschneiden
will und bedeutet mir mit einem Kopfschütteln und einem Daumen nach
unten, dass der Typ gar nicht geht.
Nina nimmt Anjas Arm und zieht sie mit dem
Kinderwagen weg von uns. „Ich rufe dich nachher an“, ruft sie mir
noch zu und an Marie gewandt, sagt sie: „Nicht weinen, Süße. Die
Tante Nina kauft dir jetzt ein neues Brötchen!“
„Was ist denn mit deinen Freundinnen los?
Wieso sind die denn so schnell wieder gegangen?“, fragt Till
erstaunt.
„Nina wollte der kleinen Marie ein neues
Brötchen kaufen“, antworte ich.
„Ach so. Ich finde deine Freundin hat sich
ein bisschen sehr angestellt. Sowas kann doch mal passieren“, meint
Till. „Ich finde es eher unnormal, dass die Kinder deshalb gleich
so rumschreien. Aber ich bin auch eher ein Hundetyp. Mit Kindern
habe ich es nicht so.“
Na, das liegt bei euch scheinbar in der
Familie, denke ich, denn diesen Satz
habe ich heute doch schon mal gehört. Ich schlucke eine bissige
Bemerkung hinunter, denn immerhin brauche ich Till noch - als
meinen Anwalt. Privat passen wir aber definitiv nicht zusammen.
Till ist mir zu sehr Hundemensch. Das ist nichts für mich.
Scheinbar hat er das auch gemerkt, denn unsere Verabschiedung
fällt, nachdem wir die beiden Hunde wieder eingefangen haben, doch
eher sachlich aus. Ich bedanke mich noch einmal für den Brief und
Till verspricht mir, sich zu melden, sobald er eine Gegenantwort
der Rechtsanwaltskanzlei Schneider erhalten hat..
Auf dem Nachhauseweg verfüttere ich die
restlichen Leckerlis an Waldi. Sein Magen scheint doch nur bedingt
aufnahmefähig zu sein, denn er ragt nach den ganzen Leckerlis und
dem geklauten Brötchen gefährlich an Waldis Seiten heraus.
Hoffentlich platzt er erst, wenn ich ihn
wieder bei Irma abgegeben habe,
denke ich. Ich will mich keine Sekunde länger um den Monsterhund
kümmern.
„Hier hast du deinen Waldi zurück!“ Mit
diesen Worten reiche ich Irma wenig später die Leine samt
Dackel.
„Und? Wie wars?“, fragt Irma
neugierig.
„Ich denke, wir passen leider nicht
zusammen. Till ist mir zu sehr Hundemensch. Und so gut komme ich
dann doch nicht mit Hunden klar, wie du weißt.“ Ich deute auf
Waldi: „Der braucht heute wohl nichts mehr zu
fressen!“
Und als ob Waldi meine Worte tatsächlich
verstanden hat, fixiert er mich plötzlich zwischen Irmas Beinen
hindurch mit bösem Blick und knurrt mich wieder
an.
So ein kleines Miststück, denke ich und verziehe mich zurück in meine sicheren
und hundefreien vier Wände. Mein Handy piepst
erneut.
SMS von Nina: Alle haben sich wieder beruhigt. Till geht aber gar
nicht. Nächster Versuch heute Abend. Sind um 18.30 Uhr bei dir und
helfen dir beim Stylen. Bis später, N.
Das erste Date
Samstag, 18.55 Uhr. Ich stehe mal wieder vor meinem
Kleiderschrank und suche nach einem passenden Outfit für das Date
mit Alexander. Nina und Anja sitzen mit einem Glas
Frambo in
der Hand auf meinem Bett und schütteln vehement die Köpfe, als ich
ein rotes, tiefausgeschnittenes Kleid hochhalte.
„Zu aufreizend, in dem Kleid will er dich
nur sofort ins Bett kriegen. Das lenkt zu sehr ab!“, meint
Nina.
Genervt wühle ich weiter in meinem Schrank.
Die beiden sind aber auch echt anstrengend.
„Lass mich mal!“ Anja steht vom Bett auf
und inspiziert den Inhalt meines Kleiderschranks. „Wie wäre es denn
damit?“, fragt sie nach einer Weile und hält ein knielanges
nachtblaues Seidenkleid hoch. „Dazu hier dieses cremefarbene
Jäckchen und braune Stiefel. Das sieht bestimmt gut aus und ist
weder zu chic noch zu lässig. Genau richtig für ein Abendessen. Und
das Blau des Kleides betont bestimmt deine Augenfarbe. Hier, zieh
mal an!“ Sie reicht mir das Kleid. Ich füge mich der Anweisung und
verschwinde damit im Badezimmer. Der Vormittag mit Waldi war für
mich so anstrengend, dass ich sowieso keine Kraft habe, Anja zu
widersprechen.
Wenig später komme ich in dem Kleid aus dem
Bad stolziert und drehe mich vor meinem Freundinnen im
Kreis.
„Ja, super Idee Anja. Das ist genau das
Richtige. Du siehst toll aus, Lola“, Nina klatscht begeistert in
die Hände.
Ich verbeuge mich. Dann soll es eben dieses
Kleid sein. Wie gut, dass Olgér nicht da ist, sonst hätte die
Kleidersuche viel länger gedauert. Er ist immer noch bei Stefan.
Junge Liebe muss schön sein! Ich seufze.
„So, jetzt müssen wir nur noch was mit
deinen Haaren machen. Viel Zeit haben wir nicht mehr. Wir treffen
uns um 19.45 Uhr mit Volker auf dem Parkplatz am Hafen, damit er
dich noch verkabeln kann.“
Ach ja, da war ja noch
was, denke ich. Mir ist mulmig
zumute, wenn ich an Volker denke. Mit einem Mal finde ich die Idee,
Volker bei meinem Date in der Nähe zu wissen, gar nicht mehr gut.
Warum habe ich das bloß getan? Bestimmt kann ich mich überhaupt
nicht entspannt mit Alexander unterhalten, wenn Volker jedes Wort
mithören kann. Aber ich war so wütend auf ihn und diese rothaarige
Schnepfe... .
Nachdem meine Freundinnen noch einige
Minuten an mir rumgeschminkt und mich frisiert haben, scheinen sie
mit dem Ergebnis zufrieden zu sein. Ich wage einen Blick in den
Spiegel. Nicht schlecht! Ich sehe wirklich ganz ok
aus.
Wir verlassen meine Wohnung und steigen in
Anjas VW-Bus, der Nina, Anja und Volker während meines Dates wieder
einmal als Einsatzzentrale dienen soll.
Volkers Auto steht schon auf dem Parkplatz
am Hafen, als wir um 19.50 Uhr dort eintreffen.
„Hallo Mädels!“, begrüßt Volker Nina und
Anja mit einem Küsschen auf die Wange. „Lola“, für mich hat er nur
ein kurzes Kopfnicken übrig. Ich schnaube und nicke zurück. Volker
holt seine Ausrüstung aus dem Kofferraum und setzt sich zu uns in
den VW-Bus.
„Arme hoch“, befiehlt er mir und befestigt
unsanft die Kabel an meinem Körper. Das hat er auch schon Mal vorsichtiger
gemacht, denke ich.
„Aua“, jammere ich. „Du tust mir
weh!“
„Ach ja?“, Volker zieht eine Augenbraue
hoch. „Stell dich nicht so an! Du willst das hier doch. Damit du
deinen heißen Typen daten kannst!“ Er mustert mich verächtlich.
„Alleine bekommst du das ja scheinbar nicht hin, dich mit ihm zu
unterhalten!“
Ich beschließe Volker einfach zu
ignorieren, denn wenn ich jetzt etwas sage, wird das die Situation
bestimmt nicht verbessern. Ich frage mich allerdings, warum er so
unhöflich ist. Er ist doch mit dieser rothaarigen Tante auf der
Party aufgetaucht.
„So, fertig!“, sagt Volker kurz darauf. Und
an mich gewandt mit einem ironischen Unterton: „Na, dann: Viel
Spaß!“
Bevor ich etwas Gemeines erwidere, steige
ich lieber schnell aus dem Wagen. Ich gehe die paar Meter vom
Parkplatz zum Restaurant hinüber. Am Eingang kann ich Alexander
schon erkennen. Er hat mich auch gesehen und
winkt.
Und denk dran Lola, wir wollen möglichst
viel über Alexander erfahren!, höre
ich Ninas Stimme in meinem Ohr.
„Ja, ja“, antworte ich.
„Das Bild ist echt gut!“ Nina nickt Volker
anerkennend zu.
Der starrt auf den Bildschirm. „Das ist
also Lolas heißer Typ?“
„Ja, sieht nett aus, oder?“, meint
Anja.
„Ich gehe mal frische Luft schnappen, ihr
kommt doch kurz ohne mich klar, oder?“, will Volker
wissen.
„Ja. Aber geh nicht zu weit weg,
falls wir dich doch noch brauchen!“
Volker nickt und verschwindet aus dem
Wagen.
„Was hat er denn?“, fragt
Anja.
Nina zuckt mit den Schultern. „Keine
Ahnung, ich verstehe ihn manchmal nicht. Vergiss es einfach. Wir
müssen uns auf Lola konzentrieren. Immerhin ist das hier sowas wie
das Finale unseres Traumprinzen-Castings!“
Alexander und ich
nehmen an einem Tisch mit wundervoller Aussicht auf den Hafen
Platz.
Kleine Boote schaukeln sanft auf dem
Wasser. Gerade wird am anderen Ufer ein Feuerwerk gezündet. Der
Anblick der blitzenden bunten Lichter am sternenklaren Himmel ist
wirklich hübsch.
Und auch das Essen ist sensationell.
Alexander hat für uns ein Vier-Gänge-Menü
bestellt.
Wir trinken Rotwein und unterhalten uns
angeregt. Hin und wieder gibt Nina mir eine Frage durch das Mikro
durch, die ich dann brav stelle. Insgesamt bin ich mit dem Date
sehr zufrieden, ich finde, es läuft echt gut. Und Volker habe ich
völlig verdrängt. Ich höre ihn auch im Hintergrund
nicht.
„Ah, da kommt der Nachtisch!“ Alexander
sieht mich verheißungsvoll an.
Was, schon?,
denke ich. Die Zeit ging aber
schnell um.
„Für den Nachtisch sind die hier berühmt.
Der ist wirklich hervorragend!“, schwärmt
Alexander.
Ich betrachte den vor mir stehenden Teller.
Besonders appetitlich sieht das Ganze allerdings nicht aus.
Vielleicht liegt es an der Farbe. Der Nachtisch ist irgendwie so
grün. Aber die Gänge davor, waren auch sehr gut, also vertraue ich
Alexander und schiebe mir einen großen Löffel voll in den
Mund.
„Und?“, fragt Alexander
gespannt.
„Stimmt, das ist wirklich gut!“, stimme ich
ihm zu und überlege, was das wohl sein kann. Ich nehme noch einen
Löffel voll und lasse die Masse auf meiner Zunge
schmelzen.
Nanu? Was ist denn das?
Meine Zunge fühlt sich auf einmal so
merkwürdig an. Irgendwie taub. Ich führe meinen Zeigefinger zur
Zunge und berühre sie. Nichts! Ich spüre meine Zunge nicht mehr!
Ich taste mit dem Finger in meinem Mund herum. Meine Zunge fühlt
sich irgendwie geschwollen an.
„Was machst du denn da?“, will Alexander
wissen und sieht mich angeekelt an.
Stimmt, das muss ziemlich unappetitlich für
ihn aussehen, so wie ich da in meinem Mund
rumwühle, denke ich. „Was isch da
drin?“, versuche ich zu fragen.
„Das ist Kiwisorbet! Was ist denn los?“,
fragt Alexander.
Ich spüre wie mein Gesicht heiß wird. Meine
Hände beginnen zu jucken und mir wird auf einmal furchtbar
schlecht.
„Isch bin allergisch gegen Kiwääääh“,
bringe ich noch heraus.
Dann übergebe ich mich auf die weiße Damast
Tischdecke. Entsetzt werde ich von allen Seiten
angestarrt.
Das interessiert mich aber gerade herzlich
wenig, denn ich habe nur wenige Minuten Zeit, dann setzt der
allergische Kreislaufschock ein und ich werde vermutlich ohnmächtig
werden.
„Lola! Oh Gott, Lola...“, ist das Letzte, was ich aus meinem versteckten
Ohrmikrofon höre. Dann wird es dunkel.
Was lange währt ...
Stille. Das aufgeregte Murmeln um mich herum ist
verstummt. Mühsam öffne ich die Augen ein klitzekleines bisschen
und versuche zu begreifen, was passiert ist. Ich erinnere mich an
einen netten Abend und dann? Ach ja, das Kiwisorbet! Jetzt fällt
mir alles wieder ein. Ich öffne die Augen ganz und sehe, dass ich
in einem weißen Krankenhausbett liege. In meiner rechten Vene
steckt ein Infusionsschlauch.
„Hi Süße“, höre ich plötzlich eine Stimme
auf meiner linken Seite. Vorsichtig drehe ich den
Kopf.
„Gott sei Dank! Du bist wieder
wach!“
Neben meinem Bett sitzt Volker und sieht
mich besorgt an.
„Du …?“, krächze ich.
„Natürlich ich. Dein heißer Typ hat die
Flucht ergriffen, nachdem du auf die Tischdecke gekotzt hast und
Nina, Anja und ich plötzlich zur Tür hereingerannt sind. Und als
dann auch noch Olgér mit seinem Rollstuhl hinterherkam, wurde es
ihm eindeutig zu viel. Der arme Kerl hat gar nicht verstanden, was
los war und wo wir alle plötzlich herkamen. Der dachte
wahrscheinlich, er ist bei Verstehen
Sie Spaß oder so. Hat sich auf jeden
Fall dann ganz schnell verdrückt und noch nicht mal auf den
Krankenwagen gewartet. Ich glaube, den Typen siehst du nicht mehr
wieder!“
„Oh“, ist alles, was ich
herausbringe.
„Ist das denn so schlimm?“, fragt Volker
mit weicher Stimme und streichelt meine Hand.
„Warum tust du das?“, will ich
wissen.
„Was meinst du?“, fragt Volker
erstaunt.
„Na, das hier. Du hast doch eine neue
Freundin!“
„Wer sagt das denn?“
„Anja! Du hast Micha erzählt, du hättest
jemanden kennengelernt. Und du hattest sie doch auf Olgérs Party
dabei!“
Volkers Augen werden groß. Dann lacht er
plötzlich und schüttelt den Kopf. „Du meinst
Nora?“
Ich werde sauer und entziehe ihm meine
Hand.
„Was gibt es da zu
lachen?“
„Mein Gott, Lola. Du bist wirklich ein
komisches Mädchen! Jetzt verstehe ich auch, warum du dich mir
gegenüber auf einmal so merkwürdig verhalten hast. Und ich dachte
schon, ich hätte irgend etwas falsch verstanden und du würdest mich
doch nicht mögen!“
Volker erobert meine Hand zurück und drückt
sie ganz fest. „Ich habe keine neue Freundin und Nora ist nur eine
Arbeitskollegin, die wahnsinnig gerne High Heels trägt und der ich
einen Gefallen tun wollte. Dich habe ich gemeint! Dich habe ich
kennengelernt! Dich will ich! Ich wollte es Micha nur noch nicht so
direkt sagen!“
„Oh“, mache ich erneut und komme mir auf
einmal furchtbar dumm vor. Das ich das nicht früher gemerkt habe.
Wie typisch für mich! Irgendwie macht mich diese Neuigkeit traurig.
Der arme Volker! Wie muss er sich gefühlt haben. Endlich lässt er
sich auf etwas Neues ein und wird dann so behandelt. Eine kleine
Träne läuft mir die Wange herunter.
„Nicht weinen!“ Volker beugt sich über mich
und wischt die Träne weg.
„Es tut mir so leid!“, flüstere
ich.
„Na, ganz unschuldig bin ich ja auch nicht.
Ich habe mich total zurückgezogen, anstatt mit dir zu reden. Aber
als du heute am Boden lagst und der Krankenwagen kommen musste, war
mir klar, dass ich kämpfen will. Weil du mir wirklich etwas
bedeutest!“
„Du mir auch. Du bedeutest mir auch etwas!“
Ich drücke Volkers Hand.
Und dann, dann endlich beugt er sich über
mich und küsst mich.
Epilog
Ich strecke mich wohlig. Sonnenstrahlen fallen durchs
Fenster und erhellen das Schlafzimmer.
Neben mir im Bett liegt Volker. Ich kuschle
mich an seinen warmen Körper und atme tief seinen wunderbaren
männlichen Duft nach Sandelholz und Moschus ein.
„Hallo Süße, bist du schon wach?“, fragt er
mit rauchiger Stimme.
„Hmm“, murmle ich.
Nach drei Tagen Aufenthalt wurde ich
gestern aus dem Krankenhaus entlassen und meine Freunde haben
spontan eine Coming-Home-Party für mich
organisiert.
Nina, Anja, Irma, Olgér, Volker alle waren
da. Sogar Stefan Lambert ist gekommen. Er und Olgér sind momentan
unzertrennlich. Dank unseres Traumprinzen-Castings hat Olgér
tatsächlich einen festen Freund gefunden.
Eigentlich war das Casting ja für mich
gedacht und meinen Traumprinzen habe ich auch gefunden, nur nicht
wie geplant. Aber das ist typisch für mich. Ich streichle Volkers
Hand und freue mich darüber, dass er jetzt mir gehört. Und ich ihm.
Volkers Hand wandert langsam von meinem Bauch zu meiner Brust
„hmmm“.
„Like a virgin, touched for the very first
time...“, stört mein Handy die Stimmung plötzlich.
Mann Olgér!,
denke ich genervt.
„Ja bitte?“, frage ich
unwirsch.
„Lola-Schätzelein, seid ihr schon
wach?“
„Hmm.“
„Weißt du, Stefan, Irma und ich saßen
gestern noch etwas länger zusammen, als die anderen schon weg waren
und wir hatten eine ganz famose Idee!“
„Welche denn?“, frage ich
alarmiert.
„Na, die Irma ist doch schon so lange
Single. Wir machen eine zweite Staffel: Ein Traumprinzen-Casting
für Irma!“
ENDE
Vielen Dank an alle,
die dieses Buch gekauft haben.
Ich hoffe, ihr hattet
Spaß!
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder
Tieren in dieser Geschichte sind absolut beabsichtigt und
keineswegs zufällig.
Besonders danken
möchte ich meiner wunderbaren Familie: Sören, Sindri und
Liara
und dir Maike, für die Tipps und
Anmerkungen und die Rechtschreibprüfung.
Über Fragen und
Anregungen freue ich mich immer sehr.
Besucht doch auch mal meine
Autorenseite:
www.jasminwollesen.de
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