Straßenmusiker, die sich durch gezieltes Mitklatschen ratzfatz aus dem Takt bringen ließen. Oder durch inspiriertes Mitsingen beinahe noch schneller aus der Fassung. Zeugen Jehovas - Ha! Viele Leute sind ja der Ansicht, diese armen Trottel seien auch so schon genug gestraft. Ich nicht. Ich meine, die brauchen es knüppeldick. Andernfalls merken sie nichts. Denn, mal ganz im Ernst, woraus rekrutieren die neue Mitglieder, wenn nicht aus lauter völlig Hirnverdampften, die nichts mehr mitkriegen? Wer, um alles in der Welt, wer, im Besitz zumindest der Hälfte seiner Sinne, wer geht hin, stellt sich vor diese grauen, verhärmten Stoiker mit ihren Käseblättern auf der Faust, sieht sie sich von oben bis unten an und denkt: >Wow, geil, genau so möchte ich auch sein!<?
Ich stellte mich dahinter. Schräg hinter einen, mit Hut und Mantel und Aktentasche zwischen den frisch geputzten Schuhen und einer Miene, die geeignet war, mich direkt in die Arme der Hare-Krishna-Mönche zu treiben. Und scheiß auf den Haarschnitt.
Erst versuchte ich ihn dazu zu bringen, sich umzudrehen, indem ich ihm konzentriert in den Nacken starrte. Dumm von mir. Merkte er natürlich gar nicht. Da hätte es wahrscheinlich ein Brennglas für gebraucht. Dann fuchtelte ich ein bißchen in der Luft herum, bis die ersten Leute ihren Schritt verzögerten, um, noch etwas unentschlossen, aus den Augenwinkeln herüberzugaffen. Laaaangsam, mit wulstigem Grinsen, zippte ich meinen Blouson auf. Ich trug das gleiche T-Shirt wie vorgestern abend. Einzelne Leute blieben stehen. Ich zippte noch ein Stückchen und starrte wieder den Zeugen an, damit die Zuschauer das gleich taten. Einzelne Buchstabenkombinationen wurden lesbar, die ersten begannen zu raten. Kleine Grüppchen bildeten sich. Ich sah sie mir alle genau an. Ganz genau. Mein Mann war nicht darunter.
Schließlich hatte ich den Reißverschluß ganz unten, wartete noch einen kleinen, dramatischen Moment, riß dann den Blouson ganz auf und rollte mit den Augen. Ersticktes, halbersticktes, offenes Gelächter setzte ein. Als der Zeuge sich umdrehte, machte ich die Jacke hastig zu und blickte unschuldig. Als er sich wieder nach vorn drehte, riß ich sie wieder auf. Irgend jemand in der zweiten Reihe begann, haltlos zu wiehern. Der Sektierer kam zu einem Entschluß, bückte sich, öffnete seine Aktentasche, sortierte den >Wachtturm< hinein, nahm die Tasche unter den Arm und schritt mit unbewegter Miene davon. >Ich hab heute vielleicht was erlebt<, würde er heute abend am Tresen seines Tempels zu den Kumpels sagen, und er würde es ein bißchen spannend machen und ein bißchen ausschmücken und sich die Pointe bis zum Schluß aufsparen, und dann würden sie sich alle auf die Schenkel hauen und brüllen vor Lachen.
Ich stand gerade vor einer musizierenden Gruppe irgendeiner unserer zahllosen ethnischen Minderheiten - eindeutig, unzweifelhaft mit Katzendarm bespannte Saiteninstrumente, begleitet von Tröten, wie sie andernorts zum Anlocken von Wasservögeln Verwendung finden und dazu ein Gesang, als ob der Vortragende gleichzeitig die Eier in einem Knobelbecher geschockelt bekäme - und ließ mich zu einem kleinen Bauchtanz hinreißen, was gut ankam - beim Publikum, bei den Musikern bin ich mir nicht ganz sicher - als wer vorbeikam, in einer Art Jerry-Cotton-Anzug, mit Handy am Ohr und den Diplomatenkoffer ans Handgelenk gekettet, wenn nicht mein Freund Jochen Fuchs, der Detektiv, den die Frauen lieben. Die Alten, zumindest. Er sah kurz zu mir, ließ sich aber nicht aufhalten, sondern ging zügig weiter, ganz auf sein sicherlich wichtiges Gespräch konzentriert, brach dann mitten im Satz ab, blieb ruckartig stehen und drehte sich wie in Zeitlupe um. Mit offenem Mund.
Es war eine dieser Situationen, in denen man entweder erbleichend die Vorstellung abbricht und im Boden versinken möchte oder aber sein Hemd hochzieht bis unters Kinn, den Bauch aufbläst und den Nabel kreisen läßt wie es sonst nur Elvira, die Tanzende Fleischwurst kann.
Und vor meinen Augen verwandelte sich Jochen Fuchs in einen Zeugen Kryszinskis, wenn man so will. Sein Gesichtsausdruck sagte: >Gott im Himmel, ich habe es ja schon immer gewußt, daß der mal so endet!<
Doch ich, so für mich, wenn mich in diesem Augenblick einer gefragt hätte, ich hätte nicht sagen können, wer meiner Ansicht nach von uns beiden die lächerlichere Show abzog.
Aus dem Nachmittag wurde Abend, aus dem Abend irgendwann Nacht, und ich hatte nichts erreicht. Aber nicht, weil ich es nicht versucht hätte. Im Gegenteil. Ich hatte alles versucht.
Ich war stündlich in den Bierbrunnen eingefallen, hatte mir jedesmal ein halbes Pils in Ohr und Halsausschnitt gekippt und mein Publikum in Raserei versetzt.
Ich hatte mich im Kaufhaus beim Klauen einer roten Sprühdose erwischen lassen und mich, als mir niemand zuhilfe eilte, mit heftigem Einsprühen des Ladendetektivs selber aus der Affäre ziehen müssen.
Ich war aus dem Pornokino geflogen. Nachdem ich schon eine Weile lang das Geschehen auf der Leinwand lautstark kommentiert hatte, war ich gerade mitten in meinem Lieblingssatz >Boah, äh, baßt ma alle auf, der Kerl da hat ja'n Bimmel wie'n Bonny!<, als mich der Vorführer, der Kassierer und sogar einige der Zuschauer am Arsch und am Kragen packten und unsanft vor die Tür setzten.
Und alles umsonst!
Ich hatte >FICKEN< quer über die Kirchentüre gesprüht und mich anschließend von einer Horde religiöser Fanatiker auf meinen Sandalen einmal quer durch die City hetzen lassen.
Und alles für Nüsse, wie es schien.
Gegen zwölf war ich am Ende. Auch nervlich. Ich fing an, überall Schatten zu sehen, überall Schritte zu hören und hätte nicht mal mehr sagen können, ob ich tatsächlich beobachtet wurde, wenn mir der Typ auf der Schulter gesessen hätte. Nach einem letzten Abstecher zum Bierbrunnen latschte ich zum Bahnhof und ließ mich auf dem S-Bahnsteig auf eine Bank fallen. Ein komplett vergeudeter Tag. Sicher, ich hatte mehr Spaß gehabt als drei Nonnen bei den >Chippendales<, doch erreicht hatte ich nichts.
Die S-Bahn war leer, bis auf eine dunkelhäutige Nonne (tse), ein Pärchen, einen schnarchenden Besoffenen in seiner eigenen Pisse, zwei picklige Jugendliche, rappelig vor Speed.
Ich ging die drei Waggons von vorne nach hinten durch und wieder nach vorn, checkte auch das Scheißhaus, doch es blieb dabei. Kein Schatten, ich war allein.
Ausgepowert setzte ich mich ans Fenster, besah mir das fremde Spiegelbild in der Scheibe und wurde Stück für Stück wieder ich selbst. Mit dem Resultat, daß ich auf einmal mit einer Pest von einer Laune dahockte. Ich fühlte mich wie ein Clown; wie ein Clown, den man um seine Gage geprellt hat. Nach einem endlosen und entsetzlich nervigen Kindergeburtstag bei irgendwelchen reichen Furzern.
Ich hatte vorgehabt, mich von Det ansprechen zu lassen, ihn lallend und brabbelnd nach Oberhausen zu locken, ihn mit Prick- ... Bernd Roselius zu konfrontieren, ihm gewaltig eins über die Rübe zu ziehen und ihn dann zu einem Bündel geschnürt zur Wache zu schleifen und Menden auf den Schreibtisch zu packen. Fertig, ab. Schon morgen hätte ich wieder versuchen können, Geld zu verdienen. Ach, Scheiße.
Beschattet von einer schwarzen Wolke nahm ich den letzten Bus nach Hause.
In der >Endstation< war nicht viel los. Man konnte von draußen das Klicken der Billardkugeln hören, Edwin Collins im Hintergrund, leises Gemurmel.
Umziehen, dachte ich, Katze füttern und dann .
Und dann würde ich nach Oberhausen fahren und alles, aber auch wirklich alles Wissenswerte aus unserem Bernd herausmelken. Und wenn es bis morgen früh dauerte. Es mußte etwas passieren. Genau! Entschlossenen Schrittes umkurvte ich die Ecke und kramte nach meinem Schlüssel. Die Birne über der Haustüre war wieder mal kaputt. Sie brennt immer vier Wochen am Stück rund um die Uhr und dann vier Wochen gar nicht, bis Bernhard oder ich die Leiter aus dem Keller holen und eine neue reindrehen. Das Blöde ist, tagsüber denkt man nicht dran, und nachts ist es zu dunkel dazu.
Leise fluchend fummelte ich den Schlüssel aus meinem Bund, von dem ich meinte, er könnte der richtige sein und wollte ihn mir gerade vor die Nase halten, um ihn näher zu beäugen, als mich eine Bewegung hinter meinem Rücken zusammenfahren ließ. Zu mehr war keine Zeit. Blitzartig sprang mir jemand ins Kreuz, legte mir etwas um den Hals und riß mich daran brutal nach hinten.
Nicht schon wieder, dachte ich, genervt, im ersten Moment, bis mir aufging, was es war, das meinen Hals umschnürte: Kein dicker Neuhausscher Unterarm, sondern ein Draht. Ein dünner, schneidender Draht.
Wie der Funke einer Zündkerze brachte mich diese plötzliche Erkenntnis zur Explosion. Jemand versuchte, mich umzubringen! Heiko! Heiko versuchte, mich mit einem Draht um den Hals von hinten zu erdrosseln! Wegen seines albernen Autos! Das war so heimtückisch, so gegen alle Regeln, so ungerecht, daß in mir kein Raum blieb für Bestürzung oder gar Angst.
Mein Hirn detonierte in ein reines Weiß, das alles Denken überstrahlte, verwandelte sich im Zeitraum eines Fingerschnippens von der gewohnt unentschlossenen, wiederkäuenden Diskussionsrunde in eine einzige, vor Empörung kreischende Furie.
Mit aller Gewalt strampelte ich rückwärts, bis es wieder einmal hieß knirsch und ab in die Brombeeren, und während ich meinen Angreifer erst stolpern und dann mit mir zusammen umsinken spürte, hinein in den wehrhaften Strauch, wühlte meine Rechte derweil hinter meinem Rücken herum, bis sie in dem unter ihren suchenden Fingern unablässigen Drehen und Winden die eine, die richtige Stelle fand und dann zupackte, daß es eine Kristallkugel zu Sand gepreßt hätte. Ein schriller Schrei gellte in meinem Ohr, plötzlich stand ich wieder, frei, die Linke mit dem Schlüsselbund zwar immer noch von dem verdammten Draht fest an Hals und Backe geschnürt, doch in der Rechten zuckte mein Totschläger und ich ließ die Spitze durch die Luft pfeifen wie einen rächenden Meteoriten, schlug zu wie noch nie in meinem Leben, schlug mit allem, was ich hatte auf die für Heiko zu schlanke Gestalt in den Brombeeren ein und . schlug daneben. Wer immer es war, er hatte sich in dem stachligen Gebüsch ruckartig zur Seite gewälzt, etwas, das man mal versucht haben muß, um zu wissen, daß es eigentlich unmöglich ist, sprang jetzt mit einem einzigen Reißen daraus hervor, duckte sich unter einem weiteren Hieb von mir hindurch, hechtete auf den Müllcontainer, ließ mit einem kleinen Hopser den Totschläger unter seinen Füßen durchzischen, packte die Dachrinne, schwang sich hinauf und tat dann etwas Seltsames: Er drehte sich noch mal zu mir um, eine schmale, in hängende Fetzen gehüllte Gestalt, sah auf mich herunter aus unnatürlich hellen, glühenden Augen, Augen wie aufgeblendete Xenon-Scheinwerfer, und gab ein Geräusch von sich wie .
Im nächsten Moment war er fort, mit affenartiger Behendigkeit die Pfannen hoch und über die First verschwunden, und da, wo er sich noch mal umgedreht und . gefaucht . hatte, klaffte jetzt ein kanaldeckelgroßes Loch. Von einem Ziegelstein. Erstes und bestes Wurfgeschoß, das mir unter die Finger gekommen war. Nur leider auch daneben.
Fragen, Fragen, Fragen schossen mir durch den Kopf, während die Carina das beste aus den um die späte Stunde doch recht entvölkerten Straßen machte und ihre lockeren Hundertzwanzig hielt, egal, in was für einer Farbe die Ampeln gerade leuchten mochten.
Fragen, Fragen, Fragen.
Woher wußte Det, wer ich bin? Und wo ich wohne? Er konnte mir nicht gefolgt sein. Nicht letztes Mal, als ich ihn mit der S-Bahn nach Rellinghausen geschickt habe, noch heute, wo er schon hinter dem Müllcontainer gelauert haben muß, als ich aus dem Bus stieg. Hinter dem Müllcontainer, Draht in der Hand. Zum Töten entschlossen.
Bernhard war um die Ecke gestürzt gekommen, entgeistert, wo ich stand, schäumend, und hatte drei oder vier Minuten gebraucht, das Drahtgezwirbel in meinem Nacken zu lösen.
Hätte die blöde Birne über der Haustür funktioniert, hätte ich den Schlüssel ins Schloß gesteckt, anstatt ihn ins trübe Licht zu halten, ich wäre jetzt schon steif. Für immer tot.
Uuups! Na, das war mal ein Taxifahrer, der mich nicht so bald vergessen würde.
So aber hatte ich nur um je Dreiviertel meines Halses und meines linken Handgelenks einen tiefen Striemen davongetragen, der aussah, als ob ein pingeliger saudischer Justizvollzugsbeamter schon mal mit Rotstift vorgezeichnet hätte: >So, entlang dieser Linie, und nirgendwo sonst, hacken wir ihm erstmal die Hand ab. Für die Dattel, die er angeblich nur im Einkaufswagen übersehen hat. Und wenn wir damit fertig sind, heißt es genau hier, wo ich den Strich gemacht habe: Rübe runter. Für sein respektloses Lachen, als der Mullah vom Kamel getreten wurde. Das sollte ihn lehren.<
Fragen, Fragen, Fragen.
Wie kann sich ein Mensch mitten in einem seit zehn Jahren sich selbst überlassenen Brombeergestrüpp bewegen, als wäre es gar nicht da? Muß ich erwähnen, daß ich selber schon mal nähere Bekanntschaft mit eben diesem Busch gemacht habe? Oder die Umstände, die dazu geführt haben? Nein? Dacht' ich's mir. Nun, soviel sei erwähnt, das eine Mal habe ich über eine Stunde gebraucht, mich da wieder herauszuklauben. Und das (ähem) andere Mal noch länger. Ich möchte es so ausdrücken: Sich einen handbreiten und meterlangen Streifen Pflaster vom behaarten Bein zu pellen ist ein Klacks dagegen. Und wie kann ein Mann mit einer ernsthaften Hodenquetschung noch so ohne erkennbare Mühe laufen, springen und klettern? Muß ich auch hier eigene Erfahrungen zum besten geben? Nein? Gut.
Fragen, Fragen, Fragen.
Wenn mich jemand verraten, wenn mir jemand Det (buchstäblich) auf den Hals gehetzt hatte, dann hieß das, ich kannte jemanden, der Kontakt zu diesem Killer hatte. Wer konnte das sein?
Hinein ging es nach Oberhausen, ungebremst.
Das >Warum?< beschäftigte mich sehr, das >Was jetzt?< auch, doch die nagendste, die hartnäckigste aller Fragen, die mich im Moment bestürmten, war: Wo hatte ich diese, nein, solche Augen schon mal gesehen?
Scuzzi schnalzte anerkennend mit der Zunge. »Kristof, meine Junge«, sagte er, »eines schönen Tages werden die Trendscouts der Textilindustrie dein Genie entdecken, und ab da wirst du keine ruhige Minute mehr haben. Das ist es also, was wir nächsten Sommer alle tragen werden? Wahnsinn. Ich kann's kaum erwarten.«
Ich hatte mich doch nicht mehr umgezogen. Leicht taumelnd, wie immer, schwer atmend, wie immer, schweißnaß und unfähig, etwas zu entgegnen, auch wie immer, schleppte ich mich über Scuzzis Schwelle, wankte rüber zur Anlage und schaltete das zäh aus den Boxen triefende, erbärmliche Gewinsel ab. Alles wie immer.
»Danke!« erschallte es zweistimmig aus einem anderen Zimmer, begleitet von planschenden Geräuschen.
Suchend sah ich mich um. Wo hatte ich .?
»Ich weiß nicht, was ihr habt«, sagte Scuzzi, wurde aber unterbrochen, als Prickels Kopf kurz um die Badezimmertüre herumlugte, mit Schaum am Kinn. Grinsend. »Danke«, sagte er mit Gefühl. »Er hört sich diesen Scheiß schon die halbe Nacht lang an. Ich war knapp davor, zurück nach Ratingen zu ziehen.« Damit verschwand er wieder.
»Ich weiß ehrlich nicht, was ihr habt«, verteidigte sich Scuzzi, »Oasis sind mittlerweile größer als die Beat-«
»Nein!!« fuhr ich ihm dazwischen. »Sind sie nicht!«
Während Scuzzi sich schmollend hinter seinen Schreibtisch zurückzog, suchte ich weiter herum. Irgendwo mußte er doch sein . Moment mal .
Gelächter und Geplansche drangen durch die Türe zum Bad. »Stand by mee, no-ubody kno-u-o-u-o-u-ows .« äffte Patsy Liam Gallaghers eiernden Gesang nach . Moment mal .
Ich sah Scuzzi scharf an. »Er spricht?!« entfuhr es mir. Keine Antwort.
»Hackt nur alle auf mir 'rum«, murmelte er statt dessen, mit abgewandtem Gesicht und vorgeschobener Unterlippe. »Wenn das euer Dank ist .«
»Er spricht?« Ich langte über den Schreibtisch und drehte Scuzzis Kopf in meine Richtung. An den Ohren.
»Seit wann?« Und ich rüttelte ein bißchen.
»Aua! Laß los! Seit . Läßt du jetzt los? Oder willst du einen Schwinger in die Leber?«
Die Mutter aller Drohungen. Ich nahm die Hände hoch.
»Seit vorgestern, meine ich. Er schlief so unruhig. Und wenn er wach war, war er kaum ansprechbar. Auf den ersten Blick wirkte er einfach nur müde, hundemüde, doch wenn man ihn was fragte, konnte man merken, wie in seinem Kopf die Suppe brodelt. Ich bekam den Eindruck, daß sein Gehirn unter - wie soll ich sagen? - zu hoher Spannung stand. Daß es eine Art von Trafo gebrauchen könnte. Klar dachte ich zuerst an Valium. Aber da wird man so blöd von. Dann Rotwein. Aber er trinkt ja nicht. Schließlich habe ich ihn überreden können, mal an einem Joint zu ziehen. Was sollte schon passieren? Also zog er mal und hustete ein bißchen, wie sie es alle machen, und dann hockte er wieder da und glotzte vor sich hin. Doch als ich ihm die Tüte das zweitemal rüberreichte, blickte er mich völlig klar an und sagte: >Scuzzi, du bist nett. Aber die Musik, die du hörst, ist furchtbar.<«
Ich stand. Ich dachte. Genau das gleiche, dachte ich, sag ich jetzt schon seit einem Vierteljahrhundert.
Das Gelächter im Bad war schon seit einer Weile verstummt. Schweres Atmen hatte seinen Platz eingenommen.
Er spricht, dachte ich. »Soll das heißen, du hast ihn geheilt? Mit einem einzigen Joint? Spricht er jetzt immer?« fragte ich. »Völlig locker und aus der Hüfte? Als wäre nie was gewesen?« Die Antwort war nein. So einfach war es nicht. Er mußte schon ein bißchen was geraucht haben. Aber dann ging es. Wie seltsam, dachte ich. Wenn ich richtig einen im Auge habe, kriege ich die Zähne ja gar nicht mehr auseinander. Außer, um Schokolade zu mummeln, heißt das. Scuzzi erklärte es mir. Auf seine Art.
»Stell dir vor, du kommst zwei Minuten vor Ladenschluß in den Supermarkt gerannt, auf Pille, hast erstmal vergessen, was du überhaupt kaufen wolltest, bevor es dir doch wieder einfällt: Joghurt. Ah, ja. Und dann stehst du vor dem Kühlregal und es gibt 80 Sorten und das gesamte Personal wartet schon an der Tür und macht >Hrm, mh<.« Er zog ein Gesicht momentaner, hochgradiger Überforderung. Das Gesicht eines Schlafwandlers, der auf der Mittellinie der Autobahn wieder zu sich kommt. »Nur, daß es ihm eben immer so geht. Von morgens bis abends. Komplett strubbelig, schon bei den simpelsten Anforderungen. Und jetzt, wenn er schön einen gepafft hat, findet er den gesuchten rechtsdrehenden, probiotischen, kalorienreduzierten Yakmilch-Wellness-Drink in der umweltschonenden Nachfüllpackung auf den ersten Griff.« Er strahlte. »Den mit extra Calcium und Vitamin C«, sagte er noch, »aber ohne Zuckerzusatz.«
»Und das hat er dir genau so erklärt?«
»Na, sagen wir, er hat's versucht. Den Rest habe ich mir ein bißchen zusammengereimt.«
Aus irgendeinem Grund erleichterte mich das. Denn wenn Prickel wirklich eine Kehrtwendung vom strapazierten Stammler zum rasanten Rhetoriker gemacht hätte, wäre Scuzzi im gleichen Dreh vom Dealer zum Healer aufgestiegen, und so sehr ich Oberhausen auch eine bessere Zukunft wünsche, ein neues Lourdes muß ja nicht gleich draus werden.
Das schwere Atmen im Hintergrund durchsetzte sich mehr und mehr mit Stöhnen. Die planschenden Geräusche bekamen einen merklich rhythmischen Charakter. Fragend sah ich Scuzzi an.
»So geht das jetzt schon seit Stunden«, meinte er und zupfte pümm den Korken von seiner Calvadosflasche.
»Jedesmal, wenn einer von beiden rauskommt, um bei mir einen Joint abzuholen, sehen sie quaddeliger aus.«
Er spricht, dachte ich, aber zu sprechen ist er nicht. Crazy.
»Macht dir das nichts?« fragte ich mit einem Nicken Richtung Bad. Das Wasser schwappte jetzt recht ordentlich und Patsys Stöhnen und Japsen hallte beeindruckend von den Kacheln wider.
»Gott, was werde ich sie vermissen«, antwortete Scuzzi und nahm einen langen, nachdenklichen Schluck aus der Pulle. »Alle beide«, fügte er hinzu und hielt mir die Flasche hin, die ich ablehnte. »Aber noch sind sie ja da«, schickte er säuerlich hinterher. Dann sah er mich an und runzelte die Stirn. »Was ist denn mit deinem Hals passiert?«
»Seltsame Geschichte«, sagte ich und plötzlich, wie ich so anfangen wollte, sie zu erzählen, überkam mich ein nachträgliches Großes Zittern, und eh ich mich versah hatte ich dann doch die Calvadosflasche am Hals. »Erzähl ich dir gleich.« Vorsichtig stellte ich die Flasche zurück, streckte die Rechte mit gespreizten Fingern von mir und bekam das Flattern einigermaßen unter Kontrolle. »Sag mir erst, wo ist dieses gerahmte Foto, das ich kürzlich hier habe liegenlassen?«
»Oh, das? Hier, in der Schublade. Prickel bat mich, es wegzutun. Konnte den Anblick des guten Doktors nur schwer ertragen, wie mir schien.«
Er reichte es mir rüber, ich warf einen Blick drauf und drehte es dann nach hinten. Zwei Drathtbügel hielten Rahmen, Glas und Pappe zusammen. Mit Mühe löste ich die beiden Bügel und zwängte einen Daumennagel unter den Karton der Rückwand. Jeden Augenblick jetzt würde ich mich, meine Vermutung, meinen kolossalen Verdacht bestätigt sehen oder aber das Foto samt Rahmen, Glas und Pappkarton in die Ecke feuern und dem Calvados auf einen Hieb den Rest geben. Warum war der gute Doppeldoktor so scharf darauf gewesen, dieses Bild wiederzubekommen? Ich hob die Pappe an.
Mit einem linkischen, gequält wirkenden Grinsen sah ein Frettchen von einem Halbwüchsigen aus blassen Augen zu mir hoch. Des Doktors Sohnemann. Wie hieß er noch? Ich hatte es in der Personalkte gelesen ... - Jean-Baptiste. Richtig. Jean-Baptiste. Nicht gerade einfach, daraus einen halbwegs zündenden Spitznamen zu formen. Ähnlich wie bei Kristof. Blieb der Nachname. So wird dann aus Kryszinski, wenn man jung ist und unbedacht und sich deshalb nicht vom ersten Augenblick an mit Händen und Füßen dagegen wehrt, >Krüschel<.
Und aus Blandette, Blan-Det-te. Es war so offensichtlich, plötzlich.
Ich nahm das Foto heraus und glättete es auf der Schreibtischplatte.
Sein Vater hatte ihn rüde nach hinten geklappt, damals, als er es rahmte. Aber nicht abgeschnitten. Jetzt, Seite an Seite, sah man es deutlich, selbst in Schwarzweiß, selbst auf die Entfernung, aus der die Aufnahme gemacht worden war: Sie hatten die gleichen Augen.
Prickel tauchte an meiner Schulter auf (alle Welt nennt ihn so, Patsy nennt ihn so, also was soll's? Hätte er halt besser aufpassen sollen, vor Jahren), wie ich so stand und sinnend schaute, deutete mit einem äußerst quaddeligen Finger auf das Foto und sagte, erstaunlich gefaßt: »Das ist er. Das ist Det.« Ich nickte. Was jetzt? dachte ich.
Patsy erschien in der Badezimmertüre, mit einem Turban um den Kopf und einem Badetuch um die restliche Figur. Sie griente auf eine außerordentlich zufriedene, ungemein satte Art.
»Mann, hab ich vielleicht einen Hunger«, sagte sie und »Hallo, Kristof«, mit einem netten Lächeln. »Geile Hose.« Damit verschwand sie in der Küche, unsere gedankenschweren Mienen einfach übersehend. Prickel blickte ihr träumerisch hinterher, seufzte kohlenschachttief und wandte dann den Kopf zu mir. Seine Augen waren die von Donald Duck, wenn Daisy in der Nähe ist. Ich schwöre, seine Pupillen waren herzförmig.
Alles, was man in Ruhr-City so an kriminellen Geisteskranken von der Straße wegfängt, wandert ins Christopherus-Asylum nach Ratingen. Zur Begutachtung und - je nach Gutachten halt - zeitweisen bis endgültigen Unterbringung. Alles.
Man stelle sich nun vor, der Direktor dieser Anstalt arbeitet mit einem Mörder zusammen, der es versteht, keinerlei Spuren zu hinterlassen, dafür aber jedesmal einen Verdächtigen, der zumindest den Anschein von Geistesgestörtheit macht. Ehe das arme Arschloch auch nur ups sagen kann, sitzt es auch schon in Ratingen, unter der freundlichen Obhut vom Herrn Direktor persönlich. Ein Horror.
Ich brauchte Musik. Ich kramte überall im Wagen herum, während mein linkes Knie lenkte, mein rechter Fuß beschleunigte und die Scheinwerfer den Überblick behielten. Der Tagesanbruch nahte grau unter einem schweren Himmel und meine Augen waren rot unter kratzigen Lidern. Scuzzi hatte mir ein bißchen Glitzerpulver und eine Handvoll kleiner, weißer Pillen mitgegeben, doch wenn ich weiß, daß wirkliche, wirklich biestige Entscheidungen auf mich warten, habe ich den Kopf lieber frei von stimulierenden Substanzen. Gleichzeitig war ich groggy. Und eben darum brauchte ich aufbauende Töne.
Wir hatten noch stundenlang gelabert. Alles Dope der Welt machte aus Prickel keinen flotten Redner. Und auch keinen rasanten Denker. Es machte ihn zu einem freundlichen, ruhigen Jungen, der sehr bemüht war, sich zu erinnern, gleichzeitig aber auch ganz gerne so manches vergessen wollte und schließlich noch davon abgelenkt wurde, daß er in einem fort ans Ficken dachte.
Ah, da waren sie ja. Jackyl. Jackyl aus Atlanta, Georgia. Ich drückte sie in den Schlitz. Ich preßte den Knopf.
Ich schob den Regler. Bis es ihn bog. Die Jungs stimmten an und augenblicklich füllte sich das Wageninnere mit Wohlklang und meine Seele mit Trost und Zuversicht. Jesse Duprees Stimme hat diese Wirkung auf mich. Vor allem, natürlich, wenn er sie im Duett verschmelzen läßt mit den berückenden Tönen, die er seiner Kettensäge zu entlocken vermag. Macht mir eine Gänsehaut, das. Jedem, wahrscheinlich.
Mein Weg führte mich nach Kaiserswerth, einem südlichen Vorort von Düsseldorf, recht hübsch auf eine fast schon ländliche Art und direkt am Rhein gelegen.
Wir hatten die Auskunft so richtig schön bei Atem gehalten und nur herausgefunden, daß ein Jean-Baptiste Blandette in näherer und weiterer Umgebung keinen Telefonanschluß unterhielt. Wir hätten Heckenpennes auf die Melderegister losgelassen, aber der weilte, wie es schien, noch in Seattle. Der einzige bei der Telekom Nordrhein registrierte Blandette überhaupt war ein Victor, Prof. Dr. Dr. in Kaiserswerth.
Und er war auch der einzige, der mir Det und seine Drahtschlinge auf den Hals gehetzt haben konnte. Es kam niemand anders in Frage.
Die Adresse war eine von denen, für die man keinen Stadtplan und auch keine verwirrende Wegbeschreibung heftig gestikulierender Passanten benötigt. >Hinterm Deich 44< sollte mit ein ganz klein bißchen Geduld auch so zu finden sein. Das sind so Aufgaben, die kann ich voll der Spürnase meiner Carina überlassen und mich in der Zeit ganz meiner jeweiligen geistigen Tätigkeit widmen.
Worüber wir am längsten diskutiert hatten, war die Frage, warum nicht jetzt, wo Det identifiziert war, einfach die Bullen informieren und kalt abwarten, bis sie ihn packen? Mitten drin war eine Art von Erinnerungsflash über Prickel gekommen. Er hatte die Hand gehoben, alles war verstummt und er hatte gesagt: »Ich sollte etwas unterschreiben, da drinnen. Mein Einverständnis geben. Zu einer Operation. Eine Operation ... am Gehirn.« Und der Schweiß war ihm nur so runtergelaufen.
Darum war ich jetzt hier. Ich wollte nicht nur den jungen Blandette, ich wollte sie beide hinter Gittern sehen.
Die Vögel lärmten, Licht sickerte allmählich über die Landschaft, vom nahen Flughafen in Lohhausen konnte man den ersten Jet in den Himmel dröhnen hören.
Die Carina parkte in der nächsten Seitenstraße, ich lag, eng an die Hauswand geschmiegt, auf dem Rücken unter einem Busch mit kindskopfdicken, knödelförmigen Blüten, möglicherweise ein Rhododendron. Eine Katze schnürte vorbei, eine Drossel pickte in einigem Abstand im Erdreich herum, einen Strauch weiter begann ein Igel behaglich zu schnarchen.
Irgendwo im Haus rauschte eine Spülung.
Aus dem Geräteschuppen von Haus Nr. 38 oder 40 hatte ich mir eine Latzhose, einen Hut und ein Paar Gummistiefel ausgeliehen. Und eine Rosenschere. Nur für den Fall. Der Busch verdeckte mich im Augenblick ganz gut, doch irgendwann würde ich daraus hervorkrauchen und mich wieder auf den Weg machen müssen, und neugierige Nachbarn gibt es überall.
Die Spülung rauschte noch mal, auf eine abschließende, endgültige Art. Wasser zischte kurz aus einem Hahn und pillerte in das Abflußsieb. Eine Türe klappte. Badelatschige Schritte schlappten. Mit dem leicht saugenden Schmatzen der Magnetdichtung wurde der Kühlschrank geöffnet. Und wieder verschlossen. Ein leises Klick und Musik begann verhalten zu dudeln. Wenn man das Musik nennen kann. Es war einer der Sender, den Tapezierer und Anstreicher immer hören. Es braucht einen starken Magen, sich sowas schon zum Frühstück anzutun. Schwere Schritte kamen die ächzende Treppe herab. Ein energisches Klicken und das Gedudel erstarb.
»Ist er zurück?« fragte eine tiefe, leise Stimme. So leise, wie man es auf Seminaren für Führungskräfte lernt. >Sprechen Sie leise, dann muß man Ihnen genauer zuhören<. Ein billiger Trick, doch Victor Blandette hatte ihn sich fürs Leben angeeignet.
»Ja«, antwortete eine irritierend hohe, schwankende Frauenstimme, »aber er schläft noch. Es ist sehr spät geworden, gestern Nacht, und er sah schlimm aus. Ganz verkratzt und die Sachen völlig zerrissen .«
»Und?« Es hing in der Luft, dieses >Und?<, freischwebend, und das trotz seines Gewichts.
»Das . das erklärt er dir am besten selbst .«
Ein Grunzen. »Er hat versagt.«
»Er hat getan, was er konnte, aber -«
»Wie ich es vorausgesehen habe.«
»Er sagt, sie seien zu mehreren gewesen. Und bewaffnet.« »Hol ihn her.«
Praktisch, so ein Stethoskop, doch ein Nachteil war, daß es nicht von allein am Glas der Terrassentüre haften blieb. Mir drohte der Arm einzuschlafen. Ansonsten war ich hellwach. Und ganz Ohr.
»Was hast du mit ihm vor?«
»Ich werde ihn mit in die Klinik nehmen.«
»Du meinst . du willst .?«
»Ja.«
»Aber . aber wenn er statt dessen seine Tabletten wieder nimmt .«
»Eva-Maria, wir hatten dieses Gespräch schon tausendmal. Wann begreifst du endlich, daß wir am Abgrund stehen? Daß dein Sohn dabei ist, uns mit hineinzureißen? Daß es ein Ende haben muß? Muß! Und dazu gibt es nur eine Methode. Sie wird ihn von seinem Zwang befreien und gleichzeitig auch von den ... quälenden ... Erinnerungen.«
»Es wird ihn zum Pflegefall machen.«
»Unsinn. Es wird ihm nur seine Gewalttätigkeit nehmen.«
»Versprich mir, daß es ihn nicht zum Pflegefall werden läßt.«
»Eva-Maria.« Ein Tonfall, wie ihn nur die unschätzbare Praxis einer jahrzehntelangen Ehe zustandebringt.
»Geh jetzt, und hol ihn mir her.«
Die Badelatschen schlappten davon, und ich nutzte die kurze Pause, um mich auf die Seite zu drehen und den anderen Arm hochzurecken. Als alles wieder in Positur war, wurde drinnen schon weitergesprochen. Eine dünne, mäkelige Männerstimme war hinzu gekommen.
»Was is 'n los?« beschwerte sie sich. Ich hatte ihn nie sprechen gehört, kein Wort, und doch wußte ich sofort, wem diese Stimme gehören mußte. Irgendwie erschien mir bei ihrem Ertönen sofort wieder die schmale, eidechsenhafte, huschende Gestalt, mit ihrem etwas zu groß wirkenden Kopf und diesen flammenden Augen . Da war er also. Wie ich mir gedacht hatte. Det. Nur ein paar Meter von mir. Über mir. Wollte gerade noch ein bißchen Triumph aufkommen, fühlte ich mich auf einmal nur noch scheiße, knapp an Speichel.
Niemand antwortete. Einzig die Kaffeemaschine prötschelte unbekümmert vor sich hin.
Schließlich brach der Alte das Schweigen. »Ich habe dir eine letzte Chance gegeben«, stellte er tonlos fest. »Und du hast sie vertan.«
»Aber ich bin gestolpert! Es war dunkel! Sie waren zu dritt! Und bewaffnet! Nächstesmal kriege ich ihn!«
»Ich möchte keine Ausflüchte hören!«
»Er hat immer ein Fenster offen! Für seine Katze! Es ist ein Kinderspiel, glaub mir! Noch heute Nacht -«
»Schweig!«
Ich schluckte trocken. Was für ein Gefühl mochte das sein, mit einer dichtgezwirbelten Drahtschlinge um den Hals und ihm auf der Brust aus dem Schlummer zu erwachen? Ich schluckte noch mal. Und alles für die Katz.
»Er hat dich jetzt gesehen. Und er hat immer noch das Foto! Selbst ein unfähiger kleiner Schnüffler wie dieser Kryszinski wird irgendwann einmal eins und eins zusammenzählen. Wir können unmöglich zulassen, daß alles . ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wird. Wir müssen den Schaden begrenzen. Doch vorher wirst du mit mir in die Klinik kommen. Und zwar noch heute.«
»Ha! Und dann?«
»Wir unterziehen dich einer Therapie, die dich von deinen Zwangshandlungen kuriert. Das hätten wir schon vor langer Zeit einleiten sollen. Gleichzeitig werde ich dafür sorgen, daß dir ein Kollege Schuldunfähigkeit bescheinigt. Damit wäre für den Fall vorgesorgt, daß man dich mit dieser Geschichte in Bottrop konfrontiert -«
»Du willst mich in die Klapse stecken?! Ist es das? Am besten noch deine eigene? Aber niemals!« Geschirr klirrte, als eine Faust eine Tischplatte zum Beben brachte.
»Aber Junge«, mischte sich die hohe, in gefährlicher Nähe zur Hysterie einherjodelnde Stimme ein, »hör doch erstmal zu!«
»Nein, nein, nein! Nie und nimmer gehe ich mit. Ich weiß, was du vorhast. Nämlich das, was du mit den ... den anderen gemacht hast. Kleine Experimente zum Wohle der Menschheit. Und, was ist dabei herausgekommen? Schwachsinnig, das sind sie geworden.«
Mein Arm wurde taub und steif, doch ich wagte es nicht, mich zu rühren. Ich wagte es kaum, zu atmen. Mein Puls wummerte in meinen Ohren.
Das Prötscheln der Kaffeemaschine ging in ein Keuchen über, schwächer werdend. Kaffee war fertig.
Als Victor Blandette weitersprach, klang seine Stimme nahezu beiläufig. »Was schlägst du statt dessen vor?« fragte er.
Ich meinte, ein Achselzucken hören zu können.
»Erstmal verreise ich ein bißchen. Wer weiß, vielleicht packen sie Prickel ja wieder und alles verläuft im Sand.«
Aber nicht mit Kristof.
»Aber Junge, wo willst du denn hin? Und wovon willst du leben?«
Gleich geht sie und holt ihm schon mal die gepünkelte Strickjacke, dachte ich.
»Wovon er bis jetzt auch gelebt hat«, grummelte der Alte verächtlich. »Von meinen Schecks.« Dann, nach einem kurzen Moment der Stille: »Wie auch immer. Aus dem Haus muß er. Also geh und pack ihm ein paar Sachen zusammen.« Badelatschen schlappten folgsam von dannen. Wieder Stille. Die lastende Art. Plötzlich, unter dem gestreßten Quietschen hochbelasteter Gummisohlen, kamen schwere Schritte auf mich zu. Es kostete mich eine phantastische Anstrengung, mich nicht zu rühren, nicht aufzuspringen und davonzurennen. Mit einem protestierenden Quieken wendeten sie und entfernten sich wieder. Meine Atmung kehrte zurück. Noch ein Quieken, näherkommende Schritte. Mir schwante, was uns bevorstand: Der hocherhobene Zeigefinger.
»Nun, es ist nicht zu leugnen, daß die bisherigen Methoden in mancher Hinsicht zu wünschen ließen. (Quiiek). Obwohl im Grunde erfolgreich, verursachten sie bei manchen Patienten Traumata, die langwierige Reha-Maßnahmen nötig machten. (Quiiek). Doch seit uns die Lasertechnik zur Verfügung steht, sind solche Operationen mit geradezu phantastischer Präzision -«
»Du willst mir den Schädel aufsägen. Du willst in meinem Gehirn herumfuhrwerken. Du mußt verrückt sein, zu glauben, daß ich da mitspiele!«
Da schwang einiges an Panik mit. Ich dachte an des Doktors Wurstfinger und daran, was mir sein Professor über deren chirurgische Fähigkeiten gesagt hatte, und brachte ein gewisses Verständnis auf.
»Ich habe die Anomalitäten der Triebsteuerung ein Leben lang studiert ... Der in Frage kommende Bereich des Gehirns ist kaum größer als der Kopf einer Stecknadel . Es müßte genügen, nur jeweils dieses Gebiet zu veröden, mit Kälte oder eben mit dem Laserstrahl, und anschließend könnte ich guten Gewissens die Hälfte meiner Patienten in die Freiheit entlassen ... Ja, man könnte bei auffälligen Personen prophylaktisch vorgehen . Das wäre die größte medizinische Entdeckung seit -«
»Du verödest überhaupt nichts bei mir. Und komm mir nicht näher! Ihr bringt mich jetzt hübsch zum Flughafen, oder-hmmmh- mmmh- mmmmh- mmmhmmmmm- mh mm .«
»Ja, sehr gut«, sagte Victor Blandette mit seiner kühlen und beherrschten Chefarztstimme. »Laß ihn zu Boden ... So, daß reicht. Gib mir den Wattebausch . Strahler . Ja, er ist sehr schön weg. Mindestens eine halbe Stunde, würde ich sagen. Wir müssen uns beeilen, jetzt. Bind ihm Fußknöchel und Handgelenke zusammen, ich rufe inzwischen in der Klinik an. Sie sollen den OP vorbereiten und sich dann bedeckt halten. Du wirst mir assistieren. Es muß . Schluß sein.«
Schwere Schritte entfernten sich. Klebeband wurde mit reißenden Geräuschen von der Rolle gewickelt.
Mutter Blandette hatte nicht die gepünkelte Strickjacke geholt. Sondern das Chloroform.
Ich blieb liegen, bis alle Geräusche im Haus verstummt waren; das gepreßte Atmen, die gekeuchten Anweisungen, das Rumpeln eines Hinterkopfes, der über Fliesenboden gezogen wird .
Ich blieb liegen, bis das Garagentor quietschte und ein Sechszylinder gestartet und nervös hochgejubelt wurde. Dann erst robbte ich aus dem Gebüsch.
Wieder im Wagen, ließ ich den grauschwarzmetallicfarbenen Mercedes an der langen Leine vorausfahren. Schließlich wußte ich ja, wohin sie wollten. Es ging mir nur darum, sicherzustellen, daß sie es sich nicht unterwegs anders überlegten und den Sohnemann in einem Feuerlöschteich im Wald versenkten. Doch im Grunde war ich unbesorgt. Victor Blandettes Stimme hatte gezittert, als er vom Veröden stecknadelkopfgroßer Gehirnregionen gesprochen hatte. Gezittert vor Geilheit.
Einen halben Kilometer oder so vor dem Christopherus-Asylum hielt ich an, stieg aus und kletterte auf einen Erdwall. Oben angekommen, bekam ich so gerade noch mit, wie in der Ferne Blandettes Mercedes die Toreinfahrt zum Park passierte und die Allee hinunterstob.
Über mir riß der Himmel auf und ein paar Sonnenstrahlen wärmten mir das Kreuz. Ein Gefühl wie Feierabend beschlich mich, wie ich da so stand.
Nach einer Weile erschien eine Gestalt in der Einfahrt und schwang die beiden mächtigen, schmiedeeisernen Torflügel zu. Keine ungebetenen Gäste, keine Störungen heute für den Anstaltsleiter Professor Doppeldoktor bei seinen bahnbrechenden Forschungen.
Danach passierte nicht mehr viel. Ein blitzblanker Milchlaster kam vorbei. Ein Mähdrescher. Hummeln summten durch das Gras zu meinen Füßen. Ein Stück weiter links von mir begann eine Friedhofsglocke zu bimmeln. Jet auf Jet auf Jet senkte sich aufs nahe Lohhausen herab.
Irgend etwas sollte ich tun, jetzt.
Ich steckte mir eine an. Die Friedhofsglocke verstummte. Eine Bö zauste mein Haar.
Ich trug, fiel mir auf, zwei verschiedene Verkleidungen übereinander. Darunter, fiel mir auf, spürte ich jeden einzelnen Bluterguß, jeden Striemen, jeden Kratzer in der Pelle, jede angeknackste Rippe, jeden Knochen im Leib. Ich gehörte geduscht, gesalbt, verpflastert, massiert, mit einer leichten, warmen Mahlzeit versehen und langsam, sanft und gleichmäßig in den Schlaf gevögelt. Ich gehörte irgendwie belohnt für die ganze Scheiße, die ich durchgemacht hatte. Und nicht von eigener Hand.
An der Telefonzelle machte ich Halt. Nach kurzem Nachdenken tippte ich eine Nummer.
Charly klang etwas atemlos.
»Hast du mit Heiko gesprochen?« fragte ich ihn.
»Ja, klar. Wir kommen gerade zurück. Sind vor 'ner Dreiviertelstunde gelandet. Und die Else wird von der Zeitverschiebung ganz rollig, wenn wir deshalb -«
Ich sagte: »Wie, gelandet?«
»Na, mit dem Flugzeug, wie wohl sonst? Heiko sitzt in Caracas im Bau. Wir mußten rüber, ihm einen Anwalt besorgen und so'n Kram. Notwehr, sagt er. Wird er wohl auch mit durchkommen. Er hatte schließlich nur einen Pfefferstreuer und ein Eßbesteck und die beiden anderen hatten Knarren gezogen. Trotzdem sind sie jetzt tot.«
»Er war die ganze Zeit in Venezuela?«
»Ja, Kristof, mit zwei blutüberströmten Leichen mitten in einem der besseren Restaurants der Stadt fanden es die Behörden ein bißchen früh für Hafturlaub.«
»Hast du ihm das mit dem Wagen erzählt?«
»Klar. Ich hab gesagt: >Und stell dir vor, deinen Wagen haben sie geklaut und abgefackelt.< Er hat ein bißchen getobt und wüste Drohungen und Verdächtigungen ausgestoßen, aber mal ganz im Ernst, im Augenblick hat er wirklich andere Sorgen. Und ich auch, Kristof. Denn wenn ich jetzt nicht sofort auflege, zieht die Else los und vergewaltigt den armen, unschuldigen Briefträger.«
Schließlich tippte ich sie, die Nummer. Die eine.
Victor Blandette müßte, so schätzte ich, inzwischen Dr. Hfuruhurrs Schädelschraube angesetzt haben. Vielleicht war er auch schon munter am Veröden. Auf alle Fälle aber sollte er sich mitten in einer schwer zu begründenden Operation befinden, für die er keinerlei Zulassung besaß.
Menden ging dran.
Ich sagte: »Sie hahen mich kalt geleimt mit dem Besitzer des Autos.«
»Hätte ich«, antwortete er, »wenn Sie sich hätten lassen.«
»Und«, fragte ich, »haben Sie Ihren Mann mit dem Überbiß?«
»Hmmja. Tot. Wie Sie gesagt haben. In einem Teich. Wie Sie gesagt haben. Mit einem Betonklotz um den Hals gebunden und einem detaillierten Geständnis im Abschiedsbrief in der Tasche. Handgeschrieben, handsigniert, mit Wäschetusche, was man immer machen sollte, bevor man sich ertränken läßt.«
Ich fragte nicht. Menden macht diese Pausen, damit man fragt. Er sollte mich inzwischen besser kennen.
»Der Mann war Analphabet«, sagte er schließlich, ein wenig mürrisch, weil ich nicht gefragt hatte. »Und ist in den Wochen vor seinem Tod häufiger in Begleitung von einem unangenehmen, kleineren Typen gesehen worden. Wie Sie gesagt haben. Wir haben mittlerweile sämtliche Dienststellen der Umgebung angewiesen, ihre Akten noch mal nach parallelen Fällen zu durchforsten. Bisher sind schon drei vielversprechende Antworten reingekommen.«
Plötzlich, dachte ich. Plötzlich passiert was. Nur für die meisten der armen Arschlöcher viel zu spät.
»Womit wir uns jetzt unbedingt einmal zusammensetzen müssen, ist Ihr Klient, dieser Roselius. Sagen Sie ihm das, wenn Sie ihn sehen.«
Alles zu seiner Zeit, dachte ich. Erstmal müssen wir ihm für ein paar Stündchen die Joints aus den Fingern winden.
»Der Staatsanwalt ist bereit, alle Anklagepunkte gegen ihn fallenzulassen.«
»Das wird ihn freuen«, sagte ich.
»Bleibt diese ungelöste Gefangenenbefreiung.«
»Ungelöst«, bestätigte ich, mit großem Ernst und Nachdruck. »Doch warum ich eigentlich anrufe - haben Sie was zu schreiben greifbar?«
»Ja«, sagte er knapp, »schießen Sie los.«
Zwei, drei ausgelassene Mahlzeiten und die Katze freut sich richtig, mich zu sehen. Nicht, daß sie es zugäbe. Wie manche Frauen ist sie von der ewig vorwurfsvollen Art. Und so singt sie, sobald ich heimkomme, stets ein klagendes, vorwurfsvolles Lied. Der Text geht so: Niiiemals krieg ich Sheeeba, niiemals Gänseleeeber, iiimmer nur so 'n ollen Rotz, Biiilligfraß und Kittekotz.
Niiiemals Medaiiillons vom Kalb mit einer Sauce Bearnaiiise iiimmer nur 'n Stück Wurst vom Grill mit schaler Mayonnaiiiise.
Niiihiiiemals krieg ich .
Das Lied hat 88 Strophen. Wenn ich entsetzt feststellen muß, daß ich nichts für sie zu fressen im Haus habe, singt sie sie alle.
Doch ich hatte, also gab ich ihr was und sie machte sich ohne weiteres Gemäkel darüber her. Zwei, drei ausgelassene Mahlzeiten und sie ist nicht mal mehr halb so wählerisch wie sonst gerne.
Das Telefon ging. So ein Zufall.
»Warum rufst du mich nicht an?« fragte Kim.
Vorwurfsvoll.
Eine unter den gegebenen Gegebenheiten gar nicht so leicht zu beantwortende Frage, um nichts einfacher gemacht durch den Umstand, daß ich mir erstmal einen Arm bis zum Ellenbogen in den Hals schieben mußte, auf der Suche nach meiner Zunge, die ich verschluckt zu haben schien.
Ich meine, sie hatte schließlich mich verlassen, ohne Angabe von Gründen und unter demütigenden Bedingungen obendrein, und die Erinnerung daran alleine hätte jetzt jede, aber auch jede Form von schärfster Erwiderung gerechtfertigt, doch meine Finger fummelten noch irgendwo im Bereich der Milz herum und hatten meinen Artikulationsmuskel noch nicht wieder erwischt.
»Hast du meinen Brief nicht bekommen?« fragte sie streng.
»Doch«, sagte ich und wischte mir den Arm an der Latzhose trocken, so gut es ging.
»Aber .?« fragte sie, bohrend.
»Aber was?« fragte ich zurück. Zu sagen, ich verstand nicht ganz, wäre schlichtweg gelogen. Ich schnallte überhaupt nichts.
»Aber du hast ihn nicht aufgemacht«, stellte sie fest. Nüchtern. »Kristof, warum seid ihr Männer in solchen Dingen nur solche Feiglinge?«
»Im Vergleich wozu?« Mir schwoll der Kamm ein bißchen, was ein gutes Gefühl war. »Zu euch völlig unerschrockenen Frauen? Ja, das stimmt wohl.« Schwoll wieder ein bißchen ab, mein Kamm.
»Gut, dann sag ich es dir eben am Telefon: Kristof, ich weiß, ich habe dich gekränkt, ich weiß, ich habe dir wehgetan, dich tief verletzt, und es tut mir leid. Ich weiß, du hast deinen Stolz, und was ich getan habe, ist im Grunde unentschuldbar, aber ich möchte, daß du mir verzeihst. Ich möchte, daß du mir wieder gut bist. Ich möchte, daß du nach Berlin kommst und mich holst. Ich möchte wieder mit dir Zusammensein. Du fehlst mir.«
Ich zog mein höhnischstes Gesicht. Ich hob eine Braue ironisch in die Stirn, ich kniff ein Auge, na, skeptisch zusammen, ich grinste voller Häme. Der Faustkämpfer bringt's nicht im Bett, dachte ich, und da erinnern wir uns plötzlich wieder voller Zuneigung an den guten alten Kristof, der hatte doch immer ordentlich Tinte auf dem Füller. Am Arsch, Baby, dachte ich. Ich bin ein anderer, inzwischen, härter, in jedem Aspekt. Und wenn du noch so flennst, aber mit mir brauchst du nicht mehr zu rechnen. Deinen Platz haben andere eingenommen, bessere. Du hattest deine Chance, doch du hast drauf gesch »Kristof, kommst du?« fragte sie leise.
»Bin unterwegs«, bölkte ich, knallte den Hörer auf die Gabel, krachte durch die Türe, donnerte auf meinen Gummistiefeln die Treppe hinunter und stürmte ins Freie. Da hielt ich dann inne, wie man so sagt. Kam zu mir, wie man so sagt. Ging in mich, wie man so sagt. Zog allerlei in Erwägung.
1.: Die Adresse. Vergessen, zu fragen. Ich klatschte mir die Hand vor die Mirse. Aber - der Brief. Da stand sie bestimmt drauf oder drin. Also kehrt, Marsch. Doch Moment - 2.: Der Tank. Viel leerer ging's nicht. Dann wär gar nichts mehr drin gewesen. Der Unterschied war allerdings kaum meßbar. Ich klatschte mir die Hand vor die Mirse. Aber da war doch noch -
3. : Meine Vollkommenheit. Ja, ich hatte ihn erreicht, diesen Grad. Leicht war's nicht gewesen, aber im nachhinein ist es das Ergebnis, das zählt. Und das Ergebnis war halt, ich war vollkommen. Vollkommen pleite. Ich ballte die Faust. Irgend -
4. : Irgend jemand. Irgend jemand würde zahlen müssen. Mich bezahlen. Und zwar .
5.: Veronika. Veronika würde mir ein paar Blaue bezahlen, und wenn ich sie dafür packen, auf den Kopf stellen und schütteln und ihre Handtasche auf links ziehen mußte.
Ich stapfte hoch, rief ihr Büro an, ließ mich von Loftheide darüber benäseln, daß Frau van Laar mit hoher Wahrscheinlichkeit daheim weilte, griff mir den Brief, stapfte wieder runter, schmiß den Motor an und stapfte aufs Gas.
Veronika wohnte seit knapp einem Jahr oben auf dem Auberg. Nun, es ist kein richtiger Berg, mehr ein Hügel, gerade hoch genug, daß man oben und unten unterscheiden kann, und Veronika wohnte, wie erwähnt, oben, am Ende einer in serpentinischen Schwüngen angelegten Anliegerstraße. Ich hätte eine Gerade draus gemacht, wenn der verdammte Wald nicht im Wege gewesen wäre.
Ich klingelte Alarm.
Keine Reaktion.
Ich klopfte mit der Faust.
Keine Reaktion.
Ich brüllte ein bißchen.
Keine Reaktion.
Ich drehte mich um und gab der Türe ein paar mit der Hacke, die einen Muli neidisch gemacht hätten.
Als die Alarmanlage losging und auch darauf keine Reaktion erfolgte, begann ich, mich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß Frau van Laar möglicherweise doch nicht daheim weilte.
Was tun? Warten? Nicht mein Ding.
Um Sprit zu sparen, ließ ich die Carina die Straße hinunterrollen. Mein Denken drehte sich in schamloser Offenheit einzig und allein um Geld.
Geld, dachte ich. Geld, Geld, Geld, Geld, Geld, Geld, Geld, Geld, Geld, Geld, Geld - Fast hätte ich ihn übersehen, den Mann, der am unteren Ende einer abschüssigen Wiese stand. Fast hätte ich ihn übersehen, im Vorbeirollen. Dabei kannte ich ihn. Und den Hund, den er dabei hatte, den kannte ich auch. Geräuschlos brachte ich den Wagen zum Stehen. Öffnete leise die Türe, glitt aus dem Sitz, schlich mich zum Rand der Wiese, spähte mit angehaltenem Atem. Der Hund war ein Rottweiler. Ein halbes Schlappohr. Scheckig wie eine Kuh. Er spuckte dem Mann einen Knüppel vor die Füße und wackelte dann mit dem Arsch, wie es diese schwanzlosen Biester so tun. Der Mann sah woanders hin. Der Hund wiederholte sein Manöver, hopste um den Mann herum, japste, wackelte zum Herzerweichen mit dem Arsch dabei. Der Mann bückte sich, nahm den Knüppel auf und warf ihn lustlos in ein dichtes Gestrüpp.
Warum, fragte ich mich, warum, wenn er doch so offensichtlich keinen Spaß an dem Hund hat, warum, fragte ich mich, warum hat Rudi Mißmut ihn dann erst geklaut? Um ihn zu verticken, vermutlich. Wie die Motoren, vermutlich. Rottweiler hört sich am Telefon gut an. Bis man ihn sieht.
Rudi ging weiter und wurde vom Tannenwald verschluckt. Der Hund rannte vor dem Gestrüpp hin und her, vor und zurück, suchte verzweifelt seinen Knüppel.
Ich pfiff. Er drehte den Kopf. Ich pfiff noch mal. Aah, da kam er. Im Schweinsgalopp. Denn er hatte mich erkannt. Ich war der nette Onkel, der ihm immer einen angebissenen Hamburger, Cheeseburger, Big Mac, Fishmac, Whopper, Doppelwhopper - also immer irgendeine rare Köstlichkeit mitbrachte. Der war ich.
Und schwupps, schon saßen wir im Auto und der Motor knurrte.
Ich sah auf die Uhr.
»Halt dich fest!« sagte ich.
Denn wenn ich richtig energisch Gas gab, so richtig konsequent drauflatschte, könnten wir es so eben noch schaffen, bevor Heiner Sültenfuss Mittagspause machte.
- ENDE - Epilog.
»Wir können den Pachtvertrag kriegen«, sagt Patsy. »»Für diesen Club. Und ich kenne tausend junge Bands, die bereit sind, fürn Appel und 'n Ei aufzutreten. Das heißt, wir könnten jeden Abend einen Live-Act haben. Du zapfst oder stehst an der Türe, ich manage und mix die Cocktails, und Scuzzi wird unser Hausdealer. Wir sollten das machen. Unbedingt.«
>Wir< sagt sie oft. Die ganze Zeit eigentlich. Ich finde das sehr ... prickelnd.