Plötzlich sah Anna Guttmann erschrocken auf die Uhr. »Du lieber Himmel, ich muss zum Pastor. Ich muss mit ihm die Beerdigung vorbereiten. Dabei ist mir gar nicht nach Bibel, und schon lange nicht nach göttlichem Ratschlag. Hören Sie, auch wenn Sie wissen, auf was Sie sich da einlassen: Seien Sie vorsichtig, ja?«

»Wir bemühen uns«, sagte die Baronin, aber es klang ziemlich bedrückt.

Auf der Straße fragte sie: »Wir müssen noch mal zu Claudia, oder?«

»Ja, ich will wissen, wie diese Ellen Strahl aussieht, ehe wir uns um sie kümmern. Es ist allerdings sicher, dass Beck Claudias Haus überwachen lässt. Die Frage ist bloß, ob er es noch einmal durchgehen lässt, wenn wir dort auftauchen. Ich habe einfach noch keine Idee, wie wir ihn uns vom Hals halten können.«

»Aber ich!«, meinte die Baronin und war wieder ganz obenauf. »Wir lassen uns nicht mehr rumschubsen, sondern gehen direkt in die Höhle des Löwen. Wir bitten ihn einfach um ein Interview, und dann suggerieren wir ihm eine Lösung, die so weit von der Wirklichkeit entfernt ist, dass wir für ihn aus der Schusslinie sind.«

Ich schaute sie mit offenem Mund an. Das war dreist, aber gerade deshalb konnte es funktionieren.

»Wir versuchen es, du raffiniertes Luder!«

An der Ecke zur Kaiserstraße gab es eine Telefonzelle. Beck war da, die Freundlichkeit selbst, und er war sogar leutselig genug zu sagen: »Das ist aber nett, dass Sie mich anrufen.«

»Haben Sie morgen Zeit für uns? Wir möchten ein paar Fragen stellen.«

»Was für Fragen?«

»Nun ja, was da eigentlich vor sich gegangen ist. Fragen über den mysteriösen Tod von Erich Guttmann.«

»Keine Fragen nach dem mysteriösen Tod von Willi Metzger?«

Er blieb bei seinem höflichen Tonfall, aber es klang falsch, und mir wurde eiskalt. Wie sagte die Baronin? >Wir lassen uns nicht mehr herumschubsen.< In die Offensive also. »Doch, doch, auch nach Metzgers Tod. Wir sind übrigens gleich mit seiner Frau verabredet…«

»Sie meinen, mit seiner Freundin.«

»Nun ja, das macht doch keinen Unterschied. Aber die weiß scheinbar von nichts. Die weint und will vor allem getröstet werden.«

»Sagen wir morgen Mittag um zwölf, hier in meinem Büro. Und bitte: ohne Bandgerät.«

»Ich bringe Blumen mit«, sagte ich. Besseres fiel mir nicht ein.

Mit dem Taxi fuhren wir direkt zu Claudia Groß.

Sie öffnete verschlafen, blinzelte uns überrascht an und sagte: »Ach, Sie sind’s bloß. Ich dachte, es wären schon wieder die vom Verfassungsschutz. Die waren heute bei mir. Sie fragten, was Baumeister vergangene Nacht bei mir wollte.« Sie lächelte und sah sehr nett aus. »Ich habe ihnen gesagt, mir ginge es ziemlich schlecht, wegen Willi, und er kümmere sich um mich. Nach Guttmann haben sie auch gefragt, was ich über den weiß. Nichts, habe ich gesagt, überhaupt nichts.«

»Das war genau richtig«, meinte die Baronin lobend, als wir hineingingen. »Was wir suchen, sind ein paar Fotos.«

»Schon wieder?«

»Schon wieder«, sagte ich. »Aber wir sollten erst einmal die Vorhänge vorziehen. Dann kann die Baronin erzählen, worum es geht, während ich suche. Wo könnten weitere Fotos versteckt sein?«

»Weiß ich nicht«, sagte sie. »O je. Ich bin ja fast nackt.«

»Baumeister ist frühreif. Er kennt frauliche Einzelheiten schon seit einigen Jahren«, meinte die Baronin trocken. »Also, erst die Vorhänge zu, dann Kaffee kochen, dann überlegen, wo Fotos sein könnten. Die von Lewandowski waren in dem Hitchcock-Buch von Truffaut. In welchem Buch könnten die von Reimer und Strahl sein?«

»Hier stehen an die tausend Bücher. Ich fange eben einfach von vorne an.«

Ich fand nach und nach Unmengen von Fotos, die nicht zur Sache gehörten oder deren Bedeutung mir verborgen blieb. Damit verging über eine Stunde. So kam ich nicht weiter.

»Wenn Willi fotografierte, wo entwickelte er?«

»Bei dpa in Bonn, wie jeder.«

»Hatte er da ein Fach?«

»Nein, aber einen Schreibtisch.«

»Würde er in dem Schreibtisch wichtige Bilder aufbewahren?«

»Bestimmt nicht.«

»Aber wo denn sonst, um Himmels willen?«

»Ich weiß auch nicht. In einem Buch, in einer Schachtel, ach überall. Soll ich uns was zu essen machen? Ich kann ja sowieso nichts Vernünftiges beitragen. Ich begreife die ganze Geschichte nicht. Aber ich halte hundertprozentig zu euch.« Dann ging sie in die Küche, um sich nicht ganz unnütz vorzukommen.

Die Baronin trödelte an den Buchregalen entlang. »Hier ist das Buch zum Film Der Mann, der zu viel wusste.« Hoffnungsfroh nahm sie es heraus, blätterte darin und murmelte enttäuscht: »Niete!« Widerstrebend stellte sie es wieder an seinen Platz.

Claudia servierte belegte Brote, niemand aß, nicht einmal sie selbst.

»Sie haben doch mal gesagt, er habe Unmengen von Büchern und Dokumenten angeschleppt, ausgewertet, kopiert.«

»Richtig. Das ging monatelang so.«

»Gut, aber wo ist das alles?«

»Ich dachte, irgendwo in seinem Arbeitszimmer.«

»Eben nicht. Da ist nicht eine Zeile, die diesen Fall betrifft.«

»Ich habe keine Ahnung«, sagte sie mutlos.

Ich setzte mich auf die Treppe und starrte vor mich hin. Wo würde er sein Material verstecken? Selbstverständlich konnte er auf die Idee gekommen sein, die Unterlagen auf dem chaotischen Dachboden zu verstauen. Aber war das nicht zu nahe liegend? Aber vielleicht war es deshalb schon wieder raffiniert?

»Claudia, wer hat Willis Zimmer saubergemacht?«

»Er selbst.«

»Hat er auch staubgesaugt?«

»Ja, mit dem kleinen Handstaubsauger.«

Ich ging auf den Dachboden, schaltete die matte Funzel ein und kroch zu jener Stelle hinter der alten Kredenz, an der eine dunkle Staubschicht endete und eine hellere begann. Ich klopfte den Fußboden ab. Unter den Bodenbrettern war kein Hohlraum, auch kein Versteck in dem finsteren Winkel, wo das Dach auf die Außenmauer gelegt war. Nichts als die glatte saubere Hinterwand der Kredenz. Als ich mir die Schrauben genau ansah, wusste ich, wie Willi Metzger es angestellt hatte.

Er hatte nichts anderes getan, als die Rückwand des alten Möbels abzuschrauben, sein Material hineinzulegen, den Beutel vom Staubsauger abzunehmen und das Ganze mit Staub zuzublasen. Ein wenig erinnerte mich das Ganze an sanfte Formen von Paranoia - aber immerhin war es gut ausgedacht.

Der Innenraum der Kredenz war auf allen drei Etagen um dreißig Zentimeter nach innen versetzt und durch sauber gefügte Brettchen abgedichtet worden. Jemand, der die Kredenz von vorn öffnete, konnte das Versteck nicht einmal erahnen.

Die Zahl der mit handgeschriebenen Notizen übersäten Seiten schätzte ich auf über dreitausend.

Aber nicht ein Foto.

»Wirst du mit dem Material etwas anfangen können?«, fragte die Baronin.

»Ich habe gar keine Zeit, das alles durchzusehen. Wenn Willi so gearbeitet hat, wie Claudia es beschreibt, dann sind dies Abschriften von Texten, die nur dann einen Zusammenhang ergeben, wenn ein Text dabei ist, der diesen Zusammenhang aufzeigt. Und genau den hat Willi ja nicht geschrieben. Aber vielleicht ist die Liste dabei. Sechzehn Namen auf einer Liste. Bitte, such sie.«

Ich blieb auf dem Dachboden und suchte weiter. Ich robbte in jeden Winkel, schaute jeden Schrank durch. Nichts.

»Ich will in mein Bett«, murmelte die Baronin.

Später im Taxi schwiegen wir, bis es unerträglich wurde. Dann meinte sie mit müder Stimme. »Ich frage mich, warum Willi Metzger, bevor er umgebracht wurde, sein Auto in dieser Seitenstraße abgestellt hat. Das ist doch komisch, was wollte…«

»He, Mann, drehen Sie um«, rief ich und tippte dem Taxifahrer auf die Schulter. »Wir Trottel. Natürlich!«

Claudia Groß öffnete verwundert und fragte: »Was ist los?«

»Wo steht Willis Auto? Wir brauchen die Schlüssel.«

»Es ist der rote Golf gegenüber. Aber was ist denn …«

Im Handschuhfach des Wagens war nichts, aber an der Rückseite des Fahrersitzes war ein Einkaufsnetz angebracht. Darin steckte ein alter Umschlag mit vier Fotos. Sie zeigten Reimer und die Frau namens Ellen Strahl zusammen vor einem Reihenhaus; im Hintergrund war deutlich eine Hausnummer zu erkennen: 24. Dann eine Straßenszene mit den beiden und zwei Aufnahmen, etwas undeutlicher, wo sie in einem Auto auf einem Parkplatz saßen.

»Willi, du bist wirklich gut gewesen!«, rief ich und lief mit den Fotos ins Haus. »Ich nehme sie auf, und Sie verstecken sie dann. Okay?«

»Die waren ganz einfach in dem Wagen? Ich bin nicht mehr drin gewesen, seit ich ihn geholt habe. Da riecht noch alles so nach ihm. Das kann ich nicht.« Sie legte beide Hände auf das Gesicht und weinte haltlos und ohne Hoffnung, je wieder Trost zu finden.

 

8. Kapitel

 

Es war dunkel geworden, und im Westen färbten die Lichter der Rheinischen Olefin-Werke den Himmel schwefelgelb und rosa. Die Wolken segelten dunkel und scharfzackig nach Osten, der Wind war schneidend kalt.

Der Taxifahrer hatte geduldig gewartet und fuhr uns in unsere Bonner Pension zurück. Die Baronin legte zufrieden und schläfrig den Kopf an meine Schulter und nickte sofort ein. Ich hatte ihr nicht gesagt, dass uns die ganze Zeit getreulich ein dunkler Opel Kombi folgte. Der Bundesanwalt Beck sorgte für die Seinen.

In einem schweren BMW mit Münchener Kennzeichen, der genau vor dem Eingang der Pension parkte, saßen zwei Männer und unterhielten sich angeregt. Sie taten angestrengt so, als seien sie an uns nicht interessiert.

»Hallo!«, sagte die Baronin, die wieder hellwach war, und winkte ihnen fröhlich zu.

Der Mann hinter dem Steuer beherrschte sich gut und zog nur fragend die Augenbrauen hoch. Als die Baronin direkt neben der Fahrertür stehen blieb, drehte er die Scheibe hinunter und frage: »Ja bitte?«

»Ich wollte nur sagen, dass wir da sind.«

»Ja, und?«, fragte der Mann viel zu laut und übertrieben ungehalten. Er hatte sorgfältig gefönte graue Haare und einen martialischen Schnäuzer. »Ich verstehe nicht.«

»Das müssen Sie auch nicht«, meinte die Baronin freundlich. »Grüßen Sie mal Ihren Herrn Beck schön!«

»Wen bitte?«

»Ihren Boss, den Herrn Beck«, sagte ich, um mich mit der Baronin solidarisch zu erklären.

»So ein Quatsch!«, sagte der graue Mann heftig. Im selben Augenblick krachte das Funkgerät im Wagen, und eine Stimme wie aus einem Zeichentrickfilm quäkte: »Ihr werdet um Mitternacht abgelöst, Jungens.«

»Das ist aber nett!«, strahlte die Baronin. Dann lachte sie schallend, und ich schloss mich an.

Der Mann kurbelte beleidigt das Fenster hoch, während sein Kollege in ein Mikrofon sprach.

Im Treppenhaus sagte die Baronin zufrieden: »Die sind sehr dumm, finde ich.«

»Leider können sie sich das erlauben.« Ich war bei Weitem nicht so in Hochstimmung wie sie. »Ich möchte wissen, ob Krümel inzwischen ihre Jungen hat.«

»Hast du schon über eine Reise unter eine Palme nachgedacht?«

»Ich sollte Maria anrufen und sie fragen, ob Krümel schon ihre Jungen hat. Maria hat einen Schlüssel. Wahrscheinlich hat Krümel ihren Nachwuchs auf meinem Schreibtisch gekriegt. Ich wette, dass sie auf meinem Schreibtisch geworfen hat.« Ich machte das Radio an, und wie eine warme Woge kam Judy Collins mit Amazing Grace.

»He, ich habe dich was gefragt. Was ist mit der Reise unter die Palme?«

»Noch haben wir nichts erledigt. Lass uns später darüber sprechen. Außerdem musst du in der Eifel Accessoires fotografieren. Hast du das vergessen?«

»Das Wetter ist aber nicht so«, sagte sie. »Und außerdem habe ich Zeit.« Dann verzog sie ihren Mund und verschwand ein wenig eingeschnappt im Bad. Sie kam in einem Jogginganzug wieder heraus und ließ sich neben mich auf das Bett fallen.

»Du bist nie privat, nicht wahr?«

»Selten.«

»Du hast Angst davor, stimmt’s?«

»Vielleicht. Manchmal.«

»Ich will dich nicht einfangen, und wenn ich mit dir schlafen will, dann sage ich es schon.«

»Dann ist es ja gut.«

»Und du? Wirst du mir sagen, wenn du mit mir schlafen willst?«

»Jetzt möchte ich jedenfalls nicht. Ich kann einfach die Frage nicht aus dem Kopf kriegen, warum Lewandowski sich als Penner verkleidet hatte.«

»Willst du nicht doch diese Maria anrufen und sie nach der Katze fragen? Junge, aufgeregte Väter gehen mir auf die Nerven.«

Ich rief an, aber Maria meldete sich nicht. Mir fiel ein, dass an diesem Abend die Volkstanzgruppe im Gemeindehaus übte. Maria konnte also gar nicht da sein.

»Vielleicht fährst du einfach in die Eifel und siehst nach«, meinte die Baronin spöttisch.

Ich explodierte. »Verdammt noch mal, ich lebe mit dieser Katze, und sie verlässt sich auf mich!«

»Verzeihung«, sagte sie so kleinlaut, dass es mir schon wieder Leid tat. Ich setzte mich zu ihr auf das Bett und strich ihr über das Haar. Sie schaute mich nicht an, und mit ganz veränderter Stimme sagte sie: »Komm, lass uns etwas lesen.«

Es war schon fast zehn, als nach kurzem Klopfen die Wirtin ihren Kopf hereinsteckte. »Entschuldigung, da ist ein junger Mann für Sie.«

Es war Anna Guttmanns Sohn, derselbe, der uns den Schlüssel gebracht hatte. Er war in einem erbärmlich dünnen, kurzärmeligen Hemd, fror und trug einen Schutzhelm unter dem Arm. Er hatte weit aufgerissene Augen und schien in einem Traum zu treiben.

Er kam an das Bett. »Ich soll nur diesen Zettel abgeben. Mutter hat uns eben erzählt, was wirklich geschehen ist.« Aber er gab uns den Zettel nicht, sondern hielt die Arme um seinen Bauch geschlungen und sah durch uns hindurch.

Die Wirtin hinter ihm verschwand im Flur. Ich stand auf, er zuckte zusammen und sagte hastig: »Ach ja, der Zettel.«

Anna Guttmann hatte geschrieben: »Reimer und Strahl trainieren heute Abend in einer Turnhalle. Rasputin rief eben an und lässt Ihnen das ausrichten. Die Turnhalle liegt in Bonn-Ippendorf hinter der Diplomatenschule des Auswärtigen Amtes. Gruß. A. G.«

»Ich danke Ihnen«, sagte ich.

Er blieb einfach da stehen und starrte auf die Baronin, die sich die Bettdecke bis zum Hals hochgezogen hatte und aussah, als würde sie dennoch frieren.

»Wollen Sie etwas trinken?«, fragte sie voller Mitleid.

»Wie bitte?«

»Vielleicht einen Schnaps?«, fragte ich.

»O nein«, sagte er und war plötzlich wieder in der Wirklichkeit zurück. »Es ist nur so, dass Mutter gesagt hat, dass … mein Vater wurde ermordet.«

»Das ist richtig«, murmelte die Baronin. »Ich gebe Ihnen einen Pullover von mir.«

»Ich friere gar nicht«, sagte er tonlos.

Die Baronin stand auf, fummelte einen riesigen Pullover aus dem Schrank und reichte ihn dem Jungen. Ich goss ihm einen Magenbitter ein, etwas anderes gab es nicht in dem kleinen Hotel-Eisschrank.

Der Junge nippte daran. »Werden Sie rausfinden, wer es war?«

»Ja. Und wir werden es Ihnen sagen«, sagte die Baronin sanft.

»Es ist so furchtbar«, sagte der Junge ohne jede Betonung. Er nippte erneut an dem Magenbitter und verzog den Mund. »Ich muss jetzt gehen.« Dann sah er den Pullover in seiner Hand, zog ihn über und ging hinaus wie jemand, der nie da gewesen war.

Ich reichte der Baronin den Zettel. Sie las ihn und meinte. »Ich nehme besser das starke Teleobjektiv mit. Sag mal, Baumeister, hast du auch Angst?«

»Habe ich.«

Wir ließen das Licht brennen und schlichen uns so leise wie möglich auf den Hinterhof. Zwischen den Häusern war diesmal das Tor geschlossen. Wir mussten es überklettern, um die Parallelstraße zu erreichen, und brauchten lange, ehe wir ein Taxi erwischten. Wir ließen uns im Gudenauer Weg absetzen, weit vor der Diplomatenschule, vor dem Städtischen Altenheim Elisabeth, auch noch vor dem Kinderheim Maria im Walde - alles so ordentliche Institutionen, dass man sich das Ungeheure weniger denn je vorstellen konnte.

»Hier riechen sogar die Bäume nach Nächstenliebe«, sagte ich. »Aber vielleicht lässt sich das Henken deshalb hier so sicher trainieren.«

»Du bist zynisch«, sagte sie. »Wo ist diese Turnhalle?«

»In dieser biblischen Finsternis müsste man sie an irgendeinem Licht erkennen. Also wahrscheinlich bei den beiden Lampen dahinten.«

»Und wenn wir nicht rankommen?«

»Dann bleibt uns nur das Gebet.«

Wir nahmen den schmalen Weg zwischen dem Altenheim und dem Kinderheim hindurch, dann gingen wir tapfer, aber orientierungslos durch ein Waldstück und machten wahrscheinlich mehr Lärm als eine Herde Wildpferde in voller Flucht. Doch wir hatten Glück: Die Bäume lichteten sich bald wieder, und wir standen direkt vor dem kastenförmigen Gebäude mit den beiden halbblinden Lampen oben unter dem Flachdach.

»Das ist sechs, acht Meter hoch. Da kommen wir nie rauf«, meinte die Baronin mutlos.

»Rasputin hat gesagt, wir könnten uns das ansehen. Also können wir uns das ansehen.«

Es war ganz einfach. An der uns abgewandten Stirnseite der Halle stand ein verhängtes Baugerüst - als habe Rasputin uns eine Loge gebaut. Wir kletterten hoch. Auf einem großen weißen Schild stand Verputz-Schulten-Bonn. Oben fanden wir zwei schmale Fenster, die ausgehängt waren. Abgesehen vom Rauschen des Windes in den Bäumen war es völlig still. Nur dumpf drangen ein paar schwer definierbare Laute aus dem Inneren der Halle. Es klang, als ob sie liefen oder sprangen.

Die Baronin kniete sich vorsichtig hin und sah in die Halle hinunter. »Sie sind allein«, hauchte sie.

»Pass auf die Reflexe der Objektive auf«, flüsterte ich zurück und blickte selbst hinunter. Die Halle lag übersichtlich vor unseren Augen. Reimer und Strahl standen an der gegenüberliegenden Stirnseite und wirkten vollkommen konzentriert. Sie sprachen nicht, sondern standen nur da in ihren dunkelblauen oder schwarzen Trainingsanzügen, wie zwei Karatekämpfer bei einer Konzentrationsübung - vibrierend vor Kraft, aber völlig regungslos. An den Füßen hatten sie weiße Basketballschuhe, an den Händen merkwürdigerweise dunkelglänzende enge Handschuhe.

Die Frau war einen Kopf kleiner als Reimer. Sie hatte das blonde Haar hochgesteckt und hielt es mit einem Stirnband zusammen. Gemeinsam bildeten sie ein nichtssagendes, blondes Paar, wie es sich ein Versandhaus in seinem Werbespot wünscht.

Sie stellten sich mit dem Rücken gegeneinander auf, stützten einander ein paar Sekunden, gingen dann zugleich in die Hocke und lösten sich plötzlich in einem Salto voneinander, um dann vollkommen synchron auf dem Boden aufzukommen. Als sie landeten, hatten beide plötzlich eine schwere Faustfeuerwaffe in der Hand. Sie wirbelten herum, zielten beidhändig aufeinander, und genauso plötzlich waren die Waffen wieder verschwunden. Das wiederholte sich zehnmal. Noch immer sprachen sie kein Wort.

Die Baronin war sprachlos, aber sie fotografierte wie wild.

Schließlich stellte sich Ellen Strahl an der Stirnseite der Halle auf, während Reimer völlig unbeteiligt in der Mitte der Halle wartete. Sie hielt die Waffe im Anschlag, während sie in wenigen, scheinbar mühelosen Sätzen auf ihren Partner zujagte. Plötzlich stoppte sie, warf ihm aus vielleicht sechs Metern Entfernung die Waffe entgegen, schlug einen abrupten Haken und flog in einer Hechtrolle zur Seite. Reimer lag auf einmal flach auf dem Bauch und zielte mit ihrer Waffe in die Richtung, aus der sie eben noch gekommen war.

Das wiederholten sie achtmal, und es war nicht erkennbar, dass einer von beiden schneller atmete.

Dann variierten sie diese Übung, veränderten Rollen und Positionen, wirkten aber bei jeder Variante gleich sicher: unbeteiligt, mühelos, tödlich.

Es schien mir unvorstellbar, dass irgendjemand gegen diese beiden auch nur den Hauch einer Chance haben könnte.

Reimer beendete diese Übungen, indem er an einem von der Decke herabhängenden Seil eine Holzscheibe befestigte, die etwa dreißig Zentimeter Durchmesser haben mochte. Er versetzte ihr einen Stoß, rannte zu Ellen Strahl zurück, sagte leise etwas, und sie sprinteten los. Im Laufen warfen sie etwas auf die Holzscheibe; es knallte dumpf, und die Scheibe wurde hin- und hergeschleudert. Als sie auspendelte, zählte ich dicht beieinander sechs Messer. Jetzt schien die Kondition an der Reihe zu sein. Gute zehn Minuten liefen sie nebeneinander her ohne Pause um die Halle und sprachen immer noch kein Wort.

»Die schwitzen überhaupt nicht«, flüsterte die Baronin und wechselte den Film.

Sie hörten auf zu laufen, gingen ein paar Schritte, ließen scheinbar kraftlos die Arme hängen.

Dann brüllte Reimer plötzlich irgendeine Zahl, und sie sprangen im perfekten Salto auseinander, und jeder hatte die Waffe in der Hand, als sie federnd landeten und sofort in die Hocke gingen. Auch hiervon folgten verschiedene Varianten, wobei entweder Reimer das Kommando gab oder Ellen Strahl. Das Ganze hätte wahrscheinlich zirzensisch gewirkt, wäre da nicht diese unwirkliche Atmosphäre gewesen und die kalte, klirrende Kommandostimme von Ellen Strahl.

»Die sind doch krank«, flüsterte die Baronin.

Aber die erschreckendste Übung kam erst noch. Reimer baute sich ungefähr zwei Meter vor der Sprossenwand an der gegenüberliegenden Seite auf. Ellen Strahl spurtete von der Hallenmitte auf ihn zu, sprang vor ihm hoch, bekam durch eine fast unmerkliche Hilfestellung Reimers noch mehr Schwung und landete sicher weit oben auf der Leiter. Das machten sie zehnmal, ehe sie die Rollen tauschten. Er kam noch höher, hakte sich mit einem Fuß hinter einer Sprosse fest, stand entgegen den Gesetzen der Schwerkraft waagerecht in drei Metern Höhe an der Wand und zielte auf seine Partnerin. Das erste Mal zeigte er so etwas wie eine Gemütsregung. Er lachte lautlos.

Erst nach unendlich langer Zeit frottierten sie sich trocken; sie mussten also wenigstens etwas geschwitzt haben. Sie sprachen noch immer kein Wort und wirkten kein bisschen angestrengt.

»Komm, wir verschwinden, ehe die auf die Idee kommen, hier oben nachzusehen. Die brauchen bestimmt nicht mal ein Gerüst, um hier hochzukommen«, flüsterte ich. Die Baronin nickte erleichtert, tat die Kamera in ihre riesige Handtasche und kletterte so schnell das Gerüst hinab, dass ich Mühe hatte, ihr zu folgen. Aus einer Zelle an der Diplomatenschule bestellten wir ein Taxi und ließen uns in die Pension fahren. Wir gingen wieder durch die Hinterhöfe. Wir sahen niemand und hofften, dass niemand uns sah.

Nach ein paar Stunden Schlaf standen wir wieder auf, tranken Kaffee und schauten auf die Straße hinaus. Schnee fiel sanft auf den Asphalt und schmolz sofort.

Die Baronin zog sich an und schminkte sich. »Du solltest eine Krawatte anziehen«, sagte sie.

»So etwas habe ich nicht nötig«, entgegnete ich betont unfreundlich.

»Also ich finde dieses Flanellhemd und die Jeans einfach unpassend. Schau her, wie elegant ich bin. Wenn Beck mich sieht, kriegt er rote Ohren.« Wir gingen zu Fuß unter dem Schirm. Unterwegs rief ich aus einer Zelle den Taxifahrer mit dem Vollbart an. Ich sagte zu einer Frau: »Ich hätte gern den Vollbart«, und sie lachte. Dann kam er an den Apparat und fragte burschikos: »In wessen Hosen brennt es?«

»Ich bin der Mensch, den Sie gestern Nacht an einem Baggersee versteckt haben.«

»Ach ja. Und wen wollen Sie jetzt übers Ohr hauen?«

»Dieselben Leute. Machen Sie sich bitte auf die Socken und kaufen Sie folgende Sachen: ein Zwei-Mann-Zelt, zwei gute Schlafsäcke und eine Laterne. Dann bitte zu folgender Adresse.« Ich sagte ihm, wo die Pension im Rosental lag. »Sagen Sie, wir hätten schnell verreisen müssen. Dann fahren Sie zur Bundesanwaltschaft.« Ich gab ihm die Adresse von Becks Büro. »Dort warten Sie bitte, bis ich mit einer Frau hinauskomme. Mit der Frau fahren Sie dann auf der B 9 bis kurz vor Bad Breisig. An einer Raststätte setzen Sie die Dame samt Gepäck ab. Dann fahren Sie zurück und nehmen mich auf. Ich werde auf dem rechten Bürgersteig der Adenauerallee in Richtung Godesberg marschieren. Alles klar?«

»Wer bezahlt?«

»Ich bezahle, Sie müssen mir vertrauen.«

»Und wenn etwas schief geht?«

»Sind Sie abgesichert durch Familie Guttmann, Weberstraße 67? Alles klar?«

»Ungefähre Zeit?«

»Von jetzt an in drei Stunden.«

»Gut. Ich hatte übrigens Besuch vom Verfassungsschutz. Ein Mann fragte mich, wohin ich so plötzlich mit Ihnen verschwunden bin. Ich habe erstaunt getan und gesagt, ich hätte Sie nach Köln-Süd gefahren.«

Als ich aufgelegt hatte, fragte die Baronin misstrauisch: »Warum tust du so geheimnisvoll?« Ich antwortete, das gehe sie nichts an und ohne Geheimnisse könne ich nicht leben.

Ich hatte erwartet, dass Beck in einem modernen Betonblock residierte. Aber das Haus, vor dem wir schließlich ankamen, war ein gepflegter Altbau. Vielleicht hatte er es eigens für dieses Interview angemietet. Die Wege der Bundesanwaltschaft sind mitunter dunkel und wunderbar.

An der Tür war kein Schild, nur eine Klingel. Ehe ich schellen konnte, ging die Tür auf, und ein älterer Mann in einem blauen Arbeitskittel fragte uns: »Sind Sie bestellt?«

»Zu Herrn Beck«, sagte die Baronin.

»Aha«, murmelte der Mann. »Erster Stock, erste Tür links.«

Es war ein merkwürdiger Raum für einen Bundesanwalt, sehr hoch, sehr weiß, mit Parkett ausgelegt. Das Mobiliar bestand aus einem Stahlschrank und einem Schreibtisch auf verchromten Schienen. Der Raum mochte seine siebzig Quadratmeter haben. Ich hätte einen Billardtisch in ihm aufgestellt, zwei alte Ledersessel vielleicht, eine echte Jugendstillampe und mit Sicherheit eine Stereoanlage.

Hinter dem Schreibtisch saß Beck. Er schien auf uns gewartet zu haben, aber er war nicht allein. Eine Frau und ein Mann saßen wie Schildwachen bei ihm. Sie waren ungefähr dreißig Jahre alt und sahen aus, wie man sich blasierte Karrieretypen vorstellte. In seinem grauen Anzug mit Weste und blaurot gestreifter Krawatte wirkte Beck förmlich, ganz wie der penible Staatsanwalt. Er sprang auf und sagte jugendlich locker: »Wie schön! So pünktlich!« Er ging um den Stuhl der Frau herum, reichte der Baronin die Hand, dann mir. Er sagte: »Nehmen Sie Platz!« Die Stühle standen in einem Abstand von etwa drei Metern vor dem Schreibtisch. Sie waren wie Inseln aufgebaut, zwei Meter voneinander entfernt. So schien Beck die Menschen um sich zu mögen: isoliert und bewegungsunfähig.

Um dieses Arrangement zu zerstören, fasste ich beide Stühle an der Lehne, murmelte: »Vielen Dank, dass Sie uns zur Verfügung stehen«, und schob sie an den Schreibtisch heran.

Die Frau neben Beck war sehr irritiert und sah ihren Chef schnell an, wobei ihre Zunge über die Unterlippe glitt. Aus der Nähe betrachtet, sah sie erheblich älter aus. Ihr Make-up hätte selbst Joan Collins zur Ehre gereicht.

Wir setzten uns und lächelten.

»Würden Sie uns sagen, was Sie bisher in Erfahrung gebracht haben?«, fragte Beck sanft.

»Haben Sie einen Aschenbecher für mich?« Die Baronin fummelte in ihrer Handtasche herum und holte eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug heraus.

»Selbstverständlich«, erklärte Beck, und die Frau neben ihm stand sehr hastig auf, verschwand aus dem Zimmer und kam mit einem Aschenbecher zurück.

»Darf ich Ihnen zwei Mitarbeiter vorstellen«, sagte Beck, als handele es sich um eine lästige Auskunft. »Herr Bäumler und Frau Neumann. Ich habe sie dazugebeten, weil sie Protokoll führen müssen. Denn wir sind selbstverständlich bei unseren Ermittlungen auch auf Ihre Hilfe angewiesen.«

»Das glaube ich«, strahlte die Baronin.

Becks Augen schlossen sich einen Moment, als habe er plötzlich Schmerzen. Dann atmete er langsam aus. »Würden Sie mich zunächst darüber in Kenntnis setzen, wie weit Ihre Recherchen gediehen sind.«

»Ehe wir darüber sprechen«, sagte die Baronin und blies den Qualm ihrer Zigarette quer über den Schreibtisch. »Könnten Sie Ihre Überwacher zurückziehen? Ihre Leute machen sich lächerlich. Vor allem, wenn sie prügeln. Baumeister ist durch Prügel nicht kleinzukriegen.«

Wunderbare Baronin, phantastische Baronin!

»Aber wir müssen Sie doch schützen«, erwiderte Beck matt.

»Schützen? Sie wollen uns schützen? Baumeister wurde verprügelt, weil es ihm gelang, Ihre Männer loszuwerden. Vielleicht hatte ja gerade Ihre dritte Garde Ausgang.«

»Es waren nicht meine Männer«, sagte er. »Vielleicht waren es Leute der Gegenseite.«

Schweigen.

»Lewandowski ist tot«, erklärte die Baronin. »Es besteht also weder ein Grund, uns zu schützen, noch ein Grund, uns zu verprügeln.«.

»Das sehen wir anders«, sagte Beck. »Wir glauben, gnädige Frau, dass die Gegenseite in einer für uns höchst bedrohlichen Aggression steckt.«

Da fragte die phantastische Baronin: »Wer, bitte, ist denn die Gegenseite?«

»Die Russen selbstverständlich«, antwortete Beck gleichmütig. Er räusperte sich, legte den Kopf ein wenig schief und versuchte es auf die direkte, freundliche Art, die Bundestagsabgeordnete zuweilen an den Tag legen. »Wir sollten hier nicht wie die Katze um den heißen Brei herumschleichen. Wir wissen doch, dass Lewandowski getötet wurde, weil er russischen Spionen auf die Spur gekommen ist. So stehen die Dinge nun einmal.«

»Aha«, sagte ich nur, um etwas zu sagen. »Ich bin also verprügelt worden, weil die Leiche Lewandowski russischen Spionen auf die Spur gekommen ist. Man lernt nie aus.«

Beck sah mich an, sagte aber nichts.

»Können Sie mir erklären, zu welcher Organisation Lewandowski gehörte?« Die Baronin rauchte ganz ruhig weiter und blies den Qualm quer über den Schreibtisch.

Beck spielte nervös mit einem Bleistift. »Formulieren wir es einmal so: Herr Lewandowski war im weitesten Sinne Verfassungsschützer. Fachlich ein hochqualifizierter Spionage-Abwehrmann.«

»Also Verfassungsschutz«, schnappte die Baronin.

»Nun ja, wenn Sie darauf bestehen«, erwiderte Beck. »Haben Sie denn etwas anderes herausgefunden?«

Die Miene der Baronin hellte sich plötzlich auf. »Nein, nein, wir haben so etwas vorausgesetzt. Sind Sie denn auf eine heiße Spur gestoßen, was den Mörder Lewandowskis angeht?«

»Noch nicht eindeutig, unsere Ermittlungen laufen noch. Sind Sie weitergekommen?« Beck sah mich an, er wollte, dass ich mich an dem Gespräch beteiligte. Aber ich tat ihm den Gefallen nicht. In aller Gemütsruhe stopfte ich mir die Capitol von Jeantet.

»Wir denken, dass Metzger irgendwie herumgewerkelt hat«, formulierte die Baronin. »Können Sie uns das bestätigen?«

»Die Sache Metzger muss aber streng vertraulich bleiben«, sagte Beck lächelnd. »Kann ich mich darauf verlassen?« Er sah mich wieder an.

»Das sichern wir Ihnen zu«, sagte die Baronin ruhig.

»Wie ist es, Herr Baumeister«, fragte er freundlich, »würden Sie zu Willi Metzger Stellung nehmen?«

»Jaahh«, sagte ich lahm »Wir können es ja ruhig sagen«, strahlte die Baronin, »Herr Beck ist in dieser Sache ja nicht unser Gegenspieler, nicht wahr? Nun ja, wir sind uns über Willi nicht klar, vorsichtig ausgedrückt.«

Beck blieb hartnäckig. »Herr Baumeister, was ist Ihrer Ansicht nach mit Metzger los gewesen?«

»Nun ja.« Ich hatte eigentlich nichts sagen wollen, aber nun war ich am Zug. Ich hatte mir die Sache lange überlegt. Es konnte schief gehen, wenn ich es falsch anfing. »Metzger muss irgendwie auf die Spur des Lewandowski gekommen sein. Wir können uns auch nicht erklären, wie das geschah. Tatsache ist wohl, dass Metzger beruflich mit der Sache gar nichts anfangen konnte. Ich meine, er hatte vermutlich gar nicht vor, darüber zu schreiben. Es sieht jetzt so aus, als … Herr Beck, darf ich eine Frage stellen. War Willi Metzger ein Spion?«

Ich hörte, wie die Baronin neben mir die Luft anhielt und dann stoßweise wieder ausatmete.

Beck lehnte sich bequem in seinen Sessel zurück. Er verzog keine Miene, aber seine Stimme klang eine Nuance tiefer und gelassener. »Kompliment! Sie müssen lange und intensiv nachgedacht haben. Wir haben in letzter Zeit ähnliche Überlegungen angestellt.«

»Aber wie ist denn Metzger zu Tode gekommen?«, fragte die Baronin gleichmütig.

»Das, gnädige Frau, ist noch nicht restlos geklärt. Wir denken, dass Metzger für die eigenen Genossen nicht mehr tragbar war, so dass sie ihn … nun, sagen wir, dass sie ihn wegen allzu großer Naivität zum Tode verurteilt und das Urteil vollstreckt haben. Auf einer Bundesstraße unseres Landes.«

»Und wie haben sie das gemacht?«, fragte die Baronin.

»Wir nehmen als bewiesen an, dass sie einen Treff mit Metzger ausmachten. So etwas läuft nach strengen Regeln ab. Man trifft sich zu Fuß, meist nachts und an Orten, an denen man Zeugen ausschließen kann. Metzgers Leiche wies keine zusätzlichen Spuren von Gewaltanwendung auf. Wir fanden einen Einstich in der linken Armvene. Man injizierte ihm reinen Alkohol zu einem Zeitpunkt, als er noch lebte. Sonst nur die stumpfen Verletzungen, die entstanden, als man ihn über den Haufen fuhr.«

Ich versuchte den Fuß der Baronin zu erwischen, und als ich ihre Zehen traf, zuckte sie zusammen. Dann fragte sie: »Wie haben Sie das denn festgestellt? Metzgers Leiche ist doch nicht obduziert worden.«

Beck lächelte schmal. »Was jetzt folgt, dürfen Sie ebenfalls nicht verwenden. Solange wir verdeckt recherchieren - und wir recherchieren oft verdeckt -, bitten wir in der Regel die den Leichnam aufbewahrende Behörde um Zugang. Metzger ist natürlich obduziert worden. Wir wissen jetzt, was wir wissen mussten. Ich kann Ihnen natürlich nicht alles sagen, nur soviel: Metzger ist nach allen Regeln unserer Freunde im Osten hingerichtet worden. Hat Ihnen seine kleine Freundin nichts gesagt?«

»Natürlich nicht«, murmelte die Baronin vorwurfsvoll. »Was sollte sie schon über die Regeln unserer KGB-Freunde wissen.«

Beck strahlte. »Eine andere Sache, Herr Baumeister. Der Fall Guttmann. Was haben Sie dazu herausgefunden?«

Er wollte wohl seinen Untergebenen vorführen, wie geschickt er Leute zum Sprechen brachte. Die Baronin sah mich lächelnd an und fragte: »Darf ich es ihm erklären, Baumeister?«

Ich nickte und murmelte: »Na, wenn du darauf bestehst.«

Beck lächelte flüchtig, die beiden, die neben ihm beflissen schrieben, offenbarten soviel Teilnahme wie eine Telefonzelle. »Guttmann macht uns weit mehr Kummer als Metzger, Herr Beck. Seine Frau weiß ebenfalls so gut wie nichts. Es irritiert uns, dass er sein Leben lang Beamter war, in den letzten Jahren sogar Leiter der Bonner Mordkommission. Wieso wurde er erschossen? Er wurde doch erschossen, oder?«

Beck machte ein sorgenvolles Gesicht. »Können wir uns darauf einigen, dass Guttmann mit einer UZI erschossen wurde?«, warf ich ein.

»Woher wissen Sie das?«, fragte Beck scharf .

»Ich werde Ihnen meinen Informanten nicht verraten. Doch noch etwas: Die UZI ist eine einfach konstruierte, höchst robuste Waffe, die auch dann noch funktioniert, wenn sie sechs Monate im Wasser gelegen hat. Aber der Schütze kann nicht frei aus der Hand gefeuert haben, denn der Rückschlag dieser Waffe ist erheblich. Außerdem ist der Lauf für Präzisionsschüsse zu kurz. Die Einschüsse lagen jedoch dicht beieinander, und der Schütze feuerte Einzelschüsse, keine Salven. Er muss ein Stativ benutzt haben, das auf das Dach seines Autos montiert war. Wie viele Schüsse haben Guttmann getroffen?«

»Vier«, erwiderte Beck verkniffen.

»Wenn Ihnen der Gedanke mit dem Stativ nicht gekommen ist, haben Sie denn wenigstens den Mitsubishi Pajero gefunden?«

Jetzt war er vollkommen irritiert. »Was sollen wir gefunden haben?«

»Das Auto, von dem geschossen wurde. Es war ein Pajero.«

»Diese … diese Erkenntnis liegt mir nicht vor.«

Ich grinste fröhlich und dachte an den Eifelpolizisten Schmitz. »Sie erinnern sich: Es fiel Schnee an jenem Tag. Ich habe die Spurbreite des Wagens gemessen, so kam ich auf den Wagentyp. Es war ein Kinderspiel.«

»Haben Sie eine Vermutung, wer diesen Wagen gefahren hat?« Beck konnte seine Verärgerung nur schlecht verbergen. Keiner seiner hochbezahlten Experten hatte ihm von einer UZI auf einem abgefederten Stativ berichtet.

»Ich habe keine Ahnung, wer es war. Ich muss Ihnen allerdings sagen, dass es auch ein Mercedes-Geländewagen gewesen sein kann, denn die fahren zuweilen Reifen vom Pajero.«

»Aha«, sagte er schwach, und ich bemerkte aus den Augenwinkeln, wie die Baronin ein Lachen unterdrückte.

»Ja, und noch etwas«, murmelte ich. »Wenn Sie vermuten dass Metzger von russischen Agenten getötet wurde, müssen Sie Guttmanns Mörder in der gleichen Gruppe suchen.«

»Wie ist Guttmann eigentlich erschossen worden?«, schloss die Baronin mit ihrer schönsten Unschuldsmiene eine Frage an. »Wir wissen es nicht genau«, sagte Beck mit geschlossenen Augen. »Aber wir haben einen bestimmten Verdacht, dem wir zur Zeit nachgehen. Warum recherchieren Sie eigentlich trotz meines Verbotes und trotz Ihrer Zusage?«

»Weil wir uns das nicht verbieten lassen«, sagte die Baronin einfach. »Das ist nun einmal unser Beruf.«

»Aber wenn es um die Sicherheit des Staates geht«, erwiderte Beck und betonte das Wort >Sicherheit<.

In der Stimme der Baronin klang eine Spur Ärger durch. »Sehen Sie, in Celle hat der Verfassungsschutz ein Loch in eine Gefängnismauer gesprengt und behauptet, es seien Terroristen gewesen. Angeblich ging es auch da um die Sicherheit dieses Staates. Wer soll euch denn auf die Finger sehen, wenn nicht wir? Aber Sie können beruhigt sein, wir kommen in der Sache nicht weiter, zumal es keine Zeugen gibt. Aber bitte beantworten Sie doch meine Frage, Herr Beck. Weshalb wurde Guttmann erschossen?«

»Der Mann mit der UZI war ein absoluter Profi und hat nichts dem Zufall überlassen. Er hat auf Erich Guttmann gewartet, er wollte ihn töten, er hat es geschafft. Natürlich haben wir uns gefragt: Was hat der Leiter der Bonner Mordkommission mit einem Profikiller zu tun?« Wie ein schlechter Schauspieler breitete er die Arme aus. »Nun ja, wie Sie wissen, gibt es deutliche Verbindungen. Metzger war eindeutig hinter Lewandowski her, außerdem unterhielt er freundschaftliche Beziehungen zu Guttmann. Er wurde von der eigenen für unseren Staat feindlichen Gruppe liquidiert.«

»Wieso liquidiert?«, fragte die Baronin. »Warum muss er Mitglied der Gruppe gewesen sein?«

»Nun gut, das kann ich schnell erklären: Anfangs war Metzger nur Journalist und jagte Lewandowski. Um mehr zu erfahren, wandte er sich an die Russen in Bonn. Die waren begeistert, sie wollten schließlich auch etwas über Lewandowski erfahren. Da kam ihnen Metzger gerade recht, der sich als Journalist überall umhorchen konnte.«

Er sah uns an, er lächelte und schaute dann auf seine sorgsam manikürten Hände. »Zurück zu Guttmann. Mit der Familie Guttmann ist in den letzten vier, fünf Jahren eine … Veränderung vor sich gegangen. Sie haben ja die Ehefrau kennen gelernt, eine recht biedere Person. Aber diese Frau spielt seit Jahren verrückt. Um es einfach und unmissverständlich auszudrücken: Sie sucht sich wahllos irgendwelche Männer, um mit ihnen ins Bett zu steigen.« Plötzlich blickte er die Frau neben sich an. »Ich glaube, wir brauchen kein Protokoll mehr.« Der Mann und die Frau standen auf, sie nickten fast wie Messdiener und verschwanden.

Beck strich sich über das Kinn. »Ich kann Ihr Bemühen verstehen, diesen Dingen auf den Grund zu gehen. Aber ich kann es nicht mehr hinnehmen, dass Sie in diesem Fall tätig sind. Sehen Sie, Metzger war ein Alkoholiker, das weiß jeder in der Branche, doch er hat es irgendwie geschafft, mit dem Saufen aufzuhören. Suff muss kompensiert werden. Er versuchte also, krampfhaft Bedeutung zu erlangen, und konzentrierte sich auf Spionage. Seine Berichte über Bonner Spionagefälle offenbaren, dass er recht naiv vorging. Als er die erste ernsthafte Chance bekam, in Spionagekreise hineinzukommen, nutzte er sie. Von da an beschäftigte er sich nicht mehr beruflich mit diesen Dingen, sondern er betrieb sie selbst. Fragen Sie mich nicht, woher ich das weiß - ich weiß es. Irgendwann traf Metzger Guttmann. Er hatte sich den Grünen und der Friedensbewegung angeschlossen und kam dabei in Verbindung mit der Familie Guttmann. Wir sind sicher, dass Metzger Guttmanns Situation ausnützte.«

Er nahm eine Streichholzschachtel aus der Tasche, stand auf, ging um den Tisch herum und gab der Baronin Feuer. Ich stopfte mir die Punto oro. Beck ging zurück zu seinem Stuhl, blieb einen Augenblick am Fenster stehen, sah hinaus und setzte sich dann wieder. »Guttmann war wie seine Frau ursprünglich Mitglied der SPD. Als seine Kinder kurz vor dem Abitur den Grünen beitraten, vollzog auch Anna Guttmann diesen Schritt. Und wenig später folgte ihr Guttmann, vielleicht, weil er seine Frau, die ihn nur betrog, nicht endgültig verlieren wollte. Seine Frau benutzte die von den Grünen propagierte feministische Parole vor allem dazu, ihren eigenen frivolen Neigungen nachzugehen.«

Die Baronin seufzte sehr tief auf, sah mich aber nicht an und sagte auch nichts.

»Frau Guttmann zwang ihren Mann sogar, an den Ostermärschen teilzunehmen. In dieser Situation traf Metzger nun auf einen ziemlich verzweifelten Guttmann, der in seiner Verwirrung die Parolen der Grünen nachplapperte und der unter der Untreue seiner Frau litt. Eine ziemlich günstige Situation, finden Sie nicht?«

Die Baronin lächelte süßlich, weil sie wusste, dass Beck nun ein Kompliment erwartete. »Mein Gott, Sie recherchieren wirklich außerordentlich gut. Aber wie passt Lewandowski ins Bild?«

»Ganz einfach«, erwiderte Beck freudig. »Ich sage Ihnen etwas, das Ihnen den Atem nehmen wird. Die Nachricht vom Auffinden der Leiche des Lewandowski kam nicht über eine normale Polizeileitung. Niemand rief an und sagte: Da liegt ein Toter am Parkplatz des Langen Eugen. Guttmann trommelte in jener Nacht seine ganze Kommission höchstpersönlich zusammen und war längst am Tatort, als seine Leute eintrafen. Niemand im Polizeipräsidium wusste von dem Mord.« Er lehnte sich zurück und genoss seinen Auftritt. »Rückschlüsse sind erlaubt.«

Die Baronin rutschte unruhig hin und her und tat, als überlegte sie angestrengt. Sie spielte meisterhaft die halbgebildete Frau, die in einem Männerspiel Klarheiten zu entdecken versucht und natürlich scheitert. »Also: Metzger ist hinter Lewandowski her. Metzger wird getötet. Dann wird Lewandowski ebenfalls getötet und ausgerechnet Guttmann findet ihn und …«

»Herr Beck will etwas anderes sagen«, unterbrach ich sie. »Herr Beck meint, dass Guttmann Lewandowski tötete.«

Beck strahlte. »Es ist doch ganz einfach, nicht wahr? Guttmann hat nicht begriffen, dass Metzger für einen Spion viel zu naiv war. Für ihn war Lewandowski der Mörder von Metzger. Guttmann war vor Eifersucht krank und vollkommen durcheinander. Also tötete er Lewandowski, weil er dachte, der habe Metzger getötet.«

Beck ging mir mit seiner wirren Geschichte auf die Nerven.

Ich sagte: »Aber so einfach sollte man sich das doch nicht machen …«

»Aber genauso verhielt sich die Sache. Metzger wurde getötet, weil er naiv war und viel zu viel redete. Und Guttmann machte einen Privatkrieg draus und rächte seinen Freund am falschen Mann. Guttmann war also der Letzte, der bei uns gegen die Gruppe hätte aussagen können. Also musste er getötet werden.«

»Können Sie denn die russische Gruppe identifizieren?«, fragte die Baronin.

»Wir werden noch ein paar Wochen brauchen, um alle Mitglieder festzustellen. Dann lassen wir den ganzen Laden hochgehen.«

»Kriegen wir eine Vorabinformation?«, fragte die Baronin eilfertig.

»Das ließe sich einrichten«, murmelte Beck. »Was werden Sie jetzt tun?«

»Wir verlassen Bonn und machen ein paar Tage Urlaub«, erklärte ich. »Wir wollen einfach in den Süden fahren, oder brauchen Sie uns noch?«

»Im Moment nicht.« Beck stand auf. »Ich danke Ihnen, dass Sie so geduldig zugehört haben. Sie werden jetzt begreifen, dass der Stoff für die Presse ein wenig zu sensibel ist.«

»Selbstverständlich«, hauchte die Baronin. Zuweilen übertrieb sie schamlos.

Wir trennten uns freundlich und marschierten die wunderschön geschwungene Treppe hinunter. Bevor ich die Haustür öffnete, sagte sie: »Es ist schon erstaunlich, wie er die Vorgänge erklären kann, ohne auch nur einen Funken Wahrheit zu verbreiten.«

»Er weiß ja nichts«, murmelte ich.

»Ja, ja«, sagte sie mutlos, »er ist ein blasierter Hohlkopf. Und jetzt?«

»Jetzt wird draußen ein Taxi stehen. Und du wirst einsteigen und in eine Kneipe fahren und dort auf mich warten.«

Sie blickte mich irritiert an: »Keine Alleingänge, Baumeister!«

»Es muss sein.«

»Aber warum?«

»Ich weiß es nicht genau, ich weiß nur … Komm raus in das Taxi. Wir können jetzt nicht diskutieren.«

»Ich bin kein Püppchen, das beschützt werden muss.«

»Ich bin nur kurz weg, ich will etwas … Verdammt noch mal, ich bin hier der Boss.«

Sie erbleichte ein wenig, aber sie sagte nichts mehr. Sie ging hinaus, und als ich ihren Arm berührte, zuckte sie zusammen.

Auf der Straße war starker Fahrzeugverkehr. Ich sah das Taxi langsam heranfahren. Ich sagte hastig: »Da kommt der Wagen.« Dann hielt ich sie am Arm fest, bis der Vollbart neben uns stand. Ich öffnete die hintere Tür und ließ sie einsteigen. Dann machte ich zwei Schritte, sodass jedermann annehmen musste, ich wolle mich neben den Fahrer setzen. Dann hob ich den Daumen, und der Fahrer mit dem Vollbart gab grinsend Gas.

Neben mir schrie ein Mann plötzlich »Jupp! Jupp!« und deutete auf das Taxi. Offensichtlich meinte er einen Mann, der hinter dem Steuer eines parkenden roten Audi saß.

Irgendetwas schien nicht zu klappen. Der Mann im Audi fummelte nervös an der Zündung herum, plötzlich schoss das Auto vorwärts und krachte direkt in einen schwarzen Mercedes.

»Schönen Gruß von Herr Beck!«, brüllte ich frohgemut und ging davon. Niemand folgte mir. Becks Leute hatten nun andere Sorgen.

Ich winkte das nächste Taxi heran: »Müllenkamp in Godesberg«, sagte ich.

Kurz vor dem Zentrum verengte sich die Straße, zwängte sich unter der Bahnlinie durch und führte dann den Berg hinauf, auf dem die Godesburg thront.

»Welche Hausnummer?«, frage der Fahrer.

»Zehn«, sagte ich. Die Häuser sahen alle gleichermaßen langweilig und teuer aus.

»Wer wohnt denn hier so?«

»Meistens die Botschaftsangehörigen mit den etwas dickeren Brieftaschen«, sagte der Fahrer. »Da ist die Nummer zehn.«

»Warten Sie bitte.« Ich legte einen Zwanzigmarkschein auf den Sitz neben ihn.

Die Straße verlief in einer sanft ansteigenden Linkskurve. Mich schauderte bei dem Gedanken, hier wohnen zu müssen. Vielleicht musste ich eine Stunde laufen, um die erste Orchidee zu finden. Und wie würde Krümel sich hier zurechtfinden? Hatte sie ihren Jungen schon? Es standen ein paar Autos da, aber ich entdeckte keine einzige Garage. Langsam ging ich durch den ersten Durchgang zwischen zwei Häusern durch.

Es war alles so steril, dass ich die Preisschilder an den jungen Linden und Jasminbüschen vermisste. Im Innern der Siedlung lag ein Park. Bald sah ich die erste Rampe, die nach unten führte. Der ganze Park war unterkellert. Ich ging hinunter. Anheimelnder Stahlbeton umgab mich.

Jedes Haus hatte zwei Abstellplätze unmittelbar neben grünen Stahltüren, die direkt in die Keller führten. Auf den Parkplätzen des Hauses Nummer 24 standen ein Golf GTI und ein schwarzer Mitsubishi Pajero. Der Geländewagen hatte brandneue Reifen, sein Tachometer zeigte achttausendsechshundert Kilometer. Auf dem Dach hatte der Wagen einen eingeschweißten Eisenstab von vielleicht zwölf Zentimeter Höhe; eine ideale Basis für ein Stativ.

Das Schloss der grünen Stahltür in den Keller war ein DOM-Schloss. Ich riskierte, was ich riskieren musste, und sah mich nicht einmal um, ob jemand mich beobachtete. Lewandowskis Schlüssel passte. Ich entdeckte nichts als weiße Kellerwände, von denen es kühl zu mir herüberwehte. Dann schloss ich die Tür wieder.

Ich schlenderte langsam in den kleinen Park hinauf und gelangte wieder auf die Straße. Es hatte leicht zu regnen begonnen. Die Vorgärten waren von lächerlich niedrigen Zierzäunen umgeben. Auch sie waren uniformiert. Von den Zäunen bis zur Haustür waren es jeweils zehn bis zwölf Schritte. Ich ging in den ersten Vorgarten hinein und untersuchte den Stamm eines Zwergahorns, dann den Stamm einer künstlich mit Drahtschlingen verkrüppelten Kiefer. Ich zog ein Notizbuch heraus und machte eine Eintragung. Das wiederholte ich in allen Vorgärten.

Einmal kam ein alter Mann aus einem Haus und fragte: »Werden die denn nun auch wachsen?«

»Mit Sicherheit«, sagte ich. »Wir haben nur allererste Qualität gesetzt.«

»Meine Frau sagt, richtiger Ahorn wäre schöner. Aber den dürfen wir nicht pflanzen, weil im Kaufvertrag steht, dass Ihre Firma das bestimmt.«

»So isses«, strahlte ich. »Wir wollen ein einheitliches Siedlungsbild schaffen.«

»Na ja«, sagte er skeptisch und schloss die Tür.

Bei der Nummer 24 ging ich ähnlich vor. Eine Gruppe Zwergkiefern stand direkt an der Tür. Die Gardinen waren gutbürgerlich weiß, irgendwelche Lichter im Hausinnern waren nicht zu sehen. Auf dem Schild unter der Klingel stand kein Name.

Ich notierte wieder den Zustand der Bäumchen und ging dann zum Haus und schellte.

Er stand sehr plötzlich in der Tür und lächelte mich an. »Was kann ich für Sie tun?«

»Bergmann ist mein Name. Ich komme von der Firma, die die Bepflanzung durchführt. Sind Sie der Eigentümer?«

»Das bin ich!«

»Wir müssen das Ahornstämmchen auswechseln«, lächelte ich. »Haben Sie etwas dagegen? Es geht sowieso ein, und es kostet Sie nichts.«

»Machen Sie, was Sie wollen.« Er war nicht sonderlich freundlich.

»Ich trage also bei Nummer 24 ein Ahornbäumchen ein. Und Ihr Name? Oder ist das Haus nicht auf Ihren Namen eingetragen?«

»Doch, doch«, sagte er. »Reimer ist mein Name. Gig Reimer.«

»Der Vorname? Entschuldigen Sie bitte, ich habe Ihren Vornamen nicht verstanden.«

»Ach ja, Georg Reimer. Meine Freunde nennen mich Gig.«

»Ich kenne kein Gig. Was ist das?«

»Na ja«, lächelte er, »Gig wie Gag, verstehen Sie?«

»Ach so«, sagte ich. »Dankeschön.« Ich wandte mich ab, und er folgte mir.

»Was ist denn mit dem Bäumchen?«, fragte Reimer. Er war wirklich interessiert.

»Wenn wir sie setzen, wissen wir nie, ob sie angehen. Kann sein, dass der Wurzelballen beschädigt oder zu schwach ausgebildet ist. Es ist auch möglich, dass die Erdchemie nicht stimmt. Ist das zu kompliziert?«

»Nein, überhaupt nicht.« Er strich sanft mit der Hand über ein Bäumchen. »Und das wollen Sie wechseln, weil es stirbt.«

»Ja, aber ich weiß nicht, ob es »wirklich stirbt. Kann sein, dass die Erdchemie drei Meter weiter ideal ist. Wir wissen es nicht.«

»Es ist wie bei Menschen, nicht wahr?«

»Ja, es ist wie bei Menschen. Doch jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss weiter.«

»Sie sind Baumeister, habe ich Recht?« Er war vollkommen gelassen und nicht im Geringsten wütend. Er zeigte nur freundliches, nicht allzu intensives Interesse. »Woher wissen Sie so viel über Bäume?«

»Ich lebe in der Eifel. Kann ich mit Ihnen sprechen? Woher kennen Sie mich?«

Er antwortete nicht darauf, sondern stand tief gebückt neben dem Zwergahorn.

Links von mir, ungefähr einhundert Meter entfernt, parkte mein Taxi. Von dort kam ein grauer Opel-Omega-Kombi angefahren, stoppte kurz, weil eine Frau mit drei kleinen Kindern die Straße überquerte, und beschleunigte dann wieder.

Gig Reimer erhob sich. »Wir sollten vielleicht reden«, sagte er langsam und gedehnt. »Wie viel wissen Sie denn?«

»Eigentlich nicht viel.«

»Das ist gut.« Er lächelte flüchtig. »Sind Sie in der Eifel erreichbar? Sie sollten sich aus der Geschichte heraushalten.«

»Warum?«

»Zu gefährlich.«

Der Opel war noch rund zwanzig Meter entfernt. Zwei Männer mit nichtssagenden Gesichtern sahen zu uns herüber.

Gig Reimer wandte sich von mir ab und starrte die Männer in dem Opel an. »Ich werde auf Sie zukommen«, sagte er leise.

Der Opel hielt, und die Männer stiegen hastig aus. Sie trugen Trenchcoats. Ihre Hände steckten tief in den Taschen. Sie waren vielleicht dreißig Jahre alt und sahen absolut harmlos aus.

Der linke von ihnen fragte mit sonderbar heller Stimme: »Sind Sie Herr Georg Reimer?«

»Ja«, sagte Reimer knapp.

Der andere musterte mich misstrauisch.

»Und wer sind Sie?«

»Baumeister.«

»Aha. Dann verschwinden Sie bitte.«

»Wieso denn?«

»Gehen Sie schon«, sagte der linke. »Sie mischen sich sowieso zu viel ein.«

»Hauen Sie ab«, sagte Reimer leise. Zu den Männern: »Was kann ich für Sie tun?«

»Wir dürfen Sie bitten mitzukommen«, sagte der rechte übertrieben energisch, als sei über diese Forderung nicht zu verhandeln.

»Ich habe jetzt keine Zeit«, sagte Gig Reimer.

»Bedauere«, sagte der linke. »Unser Chef hat eine kleine Fragestunde angesetzt.«

»Das lässt sich jetzt nicht machen«, stellte Reimer fest.

Der linke bewegte die Hand in seiner Manteltasche und winkelte den Arm sehr schnell an. Doch Reimer war ohne jede Vorwarnung losgesprungen. Er schlug einen Salto, und hockte im nächsten Moment am Boden. »Bleiben Sie ruhig!«, sagte er scharf. In beiden Händen hielt er eine Waffe. »Nehmen Sie die Hände aus den Taschen.« Die beiden Männer gehorchten, und der linke sagte beruhigend: »Machen Sie keinen Quatsch.«

Sie hatten etwas vor, ich sah es an ihren Gesichtern. Plötzlich wandte sich der rechte halb herum, und sie stürzten vor und griffen nach ihren Waffen. Doch Reimer zeigte keine Überraschung, er schoss sofort. Die Männer wurden nach hinten gerissen und fielen auf den Gehsteig. Ihre Beine kreuzten sich, als wären sie leblose Marionetten.

»Holen Sie bitte einen Notarzt«, sagte Reimer zu mir. Er lächelte beinahe verlegen.

»Großer Gott«, sagte ich und kam mir dumm vor.

»Die sind nicht tot«, sagte er beruhigend. »Schulterschuss.« Er strich an mir vorbei, ging auf die Haustür zu, schloss auf und war verschwunden.

Ich nahm die Nikon aus der Tasche und fotografierte. Die beiden Männer stöhnten und sahen mich mit verschleierten Augen an. Dann rannte ich zu meinem Taxi und keuchte: »Rufen Sie einen Notarzt!«

»Wahnsinn«, murmelte der Fahrer mit abwesendem Gesichtsausdruck und begann, in sein Mikrofon zu sprechen.

Ich rannte in den Innenhof der Siedlung und sah, wie Reimer mit dem Pajero die Rampe hinauffuhr. Er schien es nicht einmal sonderlich eilig zu haben. Hinter ihm kam der Golf, am Steuer saß Ellen Strahl. Als Reimer mich sah, hob er freundschaftlich die Hand zum Gruß.

 

9. Kapitel

 

Ich hastete durch den Innenhof der Siedlung. Irgendwo erwischte ich ein Taxi und ließ mich in Richtung Bonn fahren. Ich stieg am CDU-Haus aus, wechselte die Straßenseite zur SPD und ging langsam in Richtung Godesberg zurück. Als der Vollbart quietschend neben mir bremste, stieg ich ein und war zunächst nicht fähig, irgendetwas zu sagen. Er bemerkte es nicht.

»Die Dame ist stinksauer«, berichtete er gemütlich. »Wenn ich Sie wäre, würde ich nicht in diese Raststätte gehen, nicht für einen Wald voller Affen.«

»Ich kann es nicht ändern, ich muss zuerst zum Flughafen.«

Er sah mich von der Seite an. »Fliegen Sie weg, machen Sie eine Fliege?« Er lachte.

»Nein, ich muss etwas besorgen. Haben Sie das Zelt bekommen?«

»Ja«, sagte er. »Wollen Sie am Flughafen etwa zelten? Die Wahner Heide soll sehr romantisch sein, wenn man von dem Lärm und dem Kerosingestank absieht.«

Am Flughafen bezahlte ich ihn, und er versicherte mir, dass er Kunden wie mich wirklich liebe.

Ich kaufte ein billiges, japanisches Fernglas und mietete bei AVIS einen kleinen Ford Escort. Auf dem direkten Weg über die B 9 fuhr ich zu der Raststätte vor Bad Breisig. Der Schankraum war voller Fernfahrer. Sie tranken Kaffee, aßen Kartoffelsalat. Einer sagte: »Frag sie doch mal, was sie für eine Nummer haben will.« Sie grölten - das war wohl ihre Art Humor.

Die Baronin saß in einem Nebenraum an einem winzigen Tischchen. Sie sah mich mit ganz schmalen Augen an. Wenn sie wütend ist, wird sie schön.

»Das ist ihr Macker!«, stellte jemand fest und dann wandten sie sich einem anderen Thema zu.

»Ist es wahr, dass der Taxifahrer ein Zelt für dich gekauft hat?«, fragte sie leise.

»Ja«, sagte ich.

»Und ist es wahr, dass er auch eine Laterne für das Zelt gekauft hat?«

»Ja.«

»Und stimmt es auch, dass du vorher mit ihm abgesprochen hast, mich mit dem ganzen Krempel in dieser Kaschemme abzuladen?«

»Ja.«

»Ich hocke hier seit fast zwei Stunden.«

»Ja.«

Eine Kellnerin mit einem schier unglaublich ausladenden Dekollete fragte: »Was darf’s sein?«

»Kaffee«, sagte ich müde, und die Kellnerin zog wieder ab.

Die Baronin war wirklich aufgebracht. »Kannst du mir erklären, wieso du mich hier abgeschoben hast?«

»Ich musste mich um Reimer und Strahl kümmern. Es hat sich herausgestellt, dass Reimer mich kennt. Ich war Zeuge, wie Reimer Leute von Beck niedergeschossen hat. Übrigens weiß ich jetzt, was Kickeck bedeutet.«

»Ich bin unheimlich sauer«, stellte sie fest. Sie stöhnte, und es klang wirklich fast wie Fauchen. Als ich nichts weiter sagte, wurde sie unruhig. »Was bedeutet denn nun Kickeck?«, fragte sie sachlich.

»Kickeck bedeutet ein Gig vom Gag, ein Gag vom Gig, ein Wortspiel. Reimer heißt Georg, Spitzname Gig! Als Metzger am Telefon fragte, ob das ein Kickeck sei, meinte er einen Gig-Gag, einen Gag vom Gig.«

»Dann hat er also vor seinem Tod mit Reimer gesprochen?«

»Das ist durchaus nicht sicher. Es kann sein, dass er über Reimer sprach, nicht mit ihm.«

»Und wieso kennt er dich?«

»Er kann mit dem Tod von Guttmann zu tun haben. Wenn das so ist, war er in der Eifel und hat in mein Fenster geschaut - aber ein Beweis ist das beileibe nicht. Er kann ebensogut Claudia überwacht haben oder die Guttmanns.«

»Und was machen wir jetzt?«

»Wir gehen zelten.«

»Das ist nicht dein Ernst.«

»Doch. Komm jetzt, zahlen und zelten.«

Unterwegs sprachen wir kaum miteinander. Von Bad Breisig ging es auf die Koblenzer Autobahn, dann in Richtung Eifel. Ich fuhr ziemlich schnell.

Sie seufzte übertrieben. »Warum, um Gottes willen, fährst du nach Hause?«

»Ich fahre nicht nach Hause, ich fahre zelten.«

»Ich bin einem Verrückten in die Hände gefallen.«

»Richtig.«

Ich fuhr an Kempenich vorbei zum Sportplatz hoch. Von dort über einen weiteren Feldweg zur alten Landstraße, dann in den Tannenwald auf dem Hausberg. Es war sehr kalt. In einer Kehre, in der ich den Wagen verlassen und zwischen die Stämme fahren wollte, hatte der Wind eine Schneewehe getrieben. Der Wagen kam ins Rutschen und schlitterte zwischen die Bäume.

»Was willst du hier im Dschungel?«

»Zelten.«

»Baumeister, du bist absolut verrückt.« Ich schaltete das Licht aus. »Wir sind da.«

»Du hast nicht alle Tassen im Schrank.«

»Siehst du die große Linde im Dorf? Das Haus rechts daneben ist mein Haus. Im Handschuhfach liegt ein Fernglas.«

»Und woher hast du das?«

»Hat mir ein Japaner geschenkt.«

»Es ist schön hier, aber einsam und saukalt.«

»Nimm das Glas und achte auf das Haus. Wenn du rauchst, deck das Feuerzeug ab, es ist nicht nötig, dass jemand uns sieht.«

»Du erwartest also, dass dort unten etwas passiert?«

»Sicher. Beck wird seine Leute schicken, um uns zu verhaften.«

»Aber doch nicht um diese Uhrzeit.«

»Sie werden kommen, weil ich Zeuge war, wie Reimer schoss. Achte also auf den Hauseingang.«

»Und was machst du?«

»Ich baue das Zelt auf.«

»Im Auto ist es wärmer.«

»Ja, noch zehn Minuten, dann geht dir der Hintern auf Grundeis.«

»Hast du das Zelt etwa gekauft, weil du dich darauf verlässt, dass Beck uns verhaften lässt?«

»Na sicher. Er rechnet damit, dass wir in mein Haus zurückkehren.«

»Aber wir können von hier aus nichts fotografieren.«

»Macht nichts.« Ich nahm die Tasche mit dem Zelt und ging los. Ich fand fünfzig Meter entfernt eine windgeschützte Mulde. Es war erstaunlich einfach, das Zelt aufzustellen. Unsere neue Wohnung war klein und anheimelnd und sah ein bisschen so aus, als wären die grünen Marsmännchen gelandet. Ich legte mich hinein, stopfte mir die Extra Dry von Savinelli, starrte gegen die Decke und fühlte mich großartig. Dann ging ich zurück und holte die kleine Heizbatterie. Ich probierte sie aus und verließ nach zehn Minuten fluchtartig die Behausung, weil es so heiß wurde, dass sogar der Schnee in der Umgebung schmolz. Die Baronin passte noch immer auf.

»Wie spät ist es?«

»Elf. Wir haben über unseren Zoff vergessen, uns mit Lebensmitteln einzudecken.«

»Ich besitze eine Tafel Schokolade und Müslistangen. Wann glaubst du, werden sie kommen?«

»Ich denke, kurz nach Mitternacht.«

»Was werden sie machen, wenn niemand öffnet?«

»Die Tür eintreten, was sonst? Kennst du den Flurnamen dieses kleinen Berges? Weinberg heißt er.«

Sie setzte das Glas ab, und sah mich an. »Weinberg! Eine gute Flasche Wein wäre mir jetzt recht.«

»Jetzt geh und zieh dir den Trainingsanzug an, es wird langsam kalt.«

»Wir können doch den Motor eine Weile laufen lassen.«

»Weißt du, wie still es hier ist? Wie weit man einen Motor hört?«

»Schon gut.« Sie verließ den Wagen, und ich nahm das Glas.

In einigen Fenstern brannte noch Licht. Die Leute saßen noch vor dem Fernseher und hatten keine Ahnung, welche Geschichte um sie ablief. Und wenn ich sie ihnen erzählte, würden sie zuhören, sogar staunen, aber sie würden denken, der Baumeister spinnt.

Die Baronin kehrte zurück.

»Es ist so warm in dem Zelt, dass man nackt drin liegen könnte.«

»Ich schick dir ein paar Eichhörnchen.«

»Ist schon was passiert?«

»Nichts. Nimm die Decken mit und schlaf ein bisschen.«

»O nein, ich schlafe nicht, ich will nichts versäumen.« Sie legte den Kopf an meine Schulter. »Versprichst du mir, mich nicht mehr zu leimen?«

»Ich verspreche es. Stopf mir bitte eine Pfeife, Zubehör ist im Jackett.«

Sie stopfte sehr sorgfältig die nummerierte Bari und steckte sie mir in den Mund. »Wie kannst du eigentlich so sicher sein, dass sie kommen?«

»Weil ich ein Schnüffler bin und einen sechsten Sinn habe.«

»Wollen wir um irgendetwas wetten?«

»Meinetwegen, aber du verlierst.«

»Wenn sie kommen, zahle ich unsern Urlaub unter Palmen.«

»Einverstanden. Und wenn sie nicht kommen, zahle ich.«

Sie kamen um ein Uhr, und sie kamen mit sechs Autos. Drei Wagen rasten von der Ortsmitte heran, zwei vom Ortsrand. Ein Geländewagen brach vom Nachbargrundstück durch meine Hecke und stand wie eine Planierraupe im Garten.

»Schreib bitte mit, was ich sage. Es sind zwei BMW, drei Opel, ein Mercedes-Geländewagen. In jedem Wagen sind drei Zivilisten, also insgesamt achtzehn Männer. Sie verteilen sich vor dem Haus. Ein Mann in einer Lederjacke klingelt. Jetzt geht links bei Melzers im Schlafzimmer das Licht an. Der Mercedes war wohl zu laut, als er durch die Hecke brach. Jetzt regt sich auch bei Grüners etwas. Ja, Leute, geht raus und seht dem Staat bei der Arbeit zu. Der Mann in der Lederjacke klingelt noch immer. Mutter Melzer hat das Licht vor dem Haus angemacht, sie kommt mit ihrem Sohn Alfred heraus. Sie gehen die wenigen Meter die Straße lang. Prima, Grüners sind auch vor dem Haus. Jetzt löst sich ein Mann aus dem Trupp, geht zu Grüners und redet mit ihnen. Dann geht er zurück. Der mit der Lederjacke stemmt sich gegen die Tür. Jetzt gehen sie rein. Hoffentlich springt Krümel einem an die Eier!«

Becks Leute blieben nur fünfzehn Minuten im Haus. Offensichtlich hatten sie genau gewusst, was sie suchten. Ich sah, dass sie die hellen Kartons meines Bildarchivs, die großen Ordner meiner Manuskripte und alle vier Schreibmaschinen herausschleppten.

»Wozu denn die Schreibmaschinen?«, fragte ich ungläubig.

»Beck ist ein Spießer, er will sich rächen«, erwiderte die Baronin ruhig.

Die Männer verluden das Zeug, setzten sich in die Wagen und verschwanden.

Der Geländewagen fuhr der Einfachheit halber durch den schönen Bohlenzaun, den ich gebaut hatte.

»Wenn ich das Schwein erwische, verpasse ich ihm eine.«

»Sie sind Vollidioten. Können sie irgendetwas gefunden haben, was gegen dich spricht?«

»Nichts, da ist nichts.«

»Dann reg dich nicht auf.«

»Denk daran, dass du alles fotografierst. Wir gehen jetzt runter.«

Sie trottete hinter mir her. Ich fühlte mich elend und hätte sie am liebsten an die Hand genommen und wäre mit ihr in das warme Zelt gegangen.

Oberhalb der Schule begann der Hund der Witwe Klein zu kläffen. Wir verschwanden über den Kinderspielplatz und erreichten die Hinterseite von Jakobs Haus. Da blieben wir stehen. Mein Haus lag in völlige Dunkelheit getaucht. Nichts rührte sich.

Ich deutete auf das Loch im Bohlenzaun und schritt auf meinen Garten zu. »Noch nicht fotografieren«, sage ich leise. »Erst hinein in die gute Stube.« Wir nahmen den Weg durch den alten Schweinestall und stiegen auf den Dachboden. Von dort gab es einen Zugang zum Haus. Höflich half ich der Baronin durch die Luke. Wir standen im Stockdunkeln. Es war still im Haus. Plötzlich hörte ich ein sanftes Maunzen. »Das ist Krümel«, flüsterte ich, »sie wittert mich.«

Krümel kam durch die Tür, strich einmal klagend um meine Beine und sprang dann leichtfüßig und unbesorgt die Treppen hinunter.

»Hier ist niemand mehr, sonst würde sie knurren. Sie hat ihre Babys, sieh mal, wie schlank sie ist.«

Die Baronin grinste wie ein Faun. »Baumeister als rührseliger Katzenvater, nicht schlecht. Kommen jetzt die Nachbarn, wenn sie Licht sehen?«

»Nein. Sie sind zurückhaltend.«

Krümel hatte ihre Jungen auf meinem Schreibtisch gekriegt. Sie hatte sich zwei alte Hemden und einen alten Kissenbezug hinaufgezerrt. Es waren vier Junge, drei getigert, eines pechschwarz. Ihre Augen waren noch geschlossen, aber sie wirkten sehr munter.

»Mein Gott, sind die süß«, sagte die Baronin, was aus ihrem Munde irgendwie merkwürdig klang.

»Maria wird für sie sorgen. Krümel, du bist wirklich eine tolle Mutter. Aber was passiert, wenn die Kleinen runterfallen?«

»Wir legen einen Karton dick aus und stellen ihn unter den Schreibtisch.«

Also sorgten wir erst für die Katzen, ehe wir uns ansahen, was Becks Leute angerichtet hatten. Sie hatten nicht viel herumgestöbert, nur meine Archive und die Schreibmaschinen kassiert.

»Ich fotografiere jetzt das Türschloss, die Hecke und den kaputten Zaun«, sagte sie und verschwand.

Ich legte mich auf das Sofa und ließ die kleinen Katzen unter Krümels Aufsicht auf meinem Bauch herumkriechen. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich das Blitzlicht im Garten. Dann kam sie zurück. »Was machen wir jetzt?«

»Jetzt verschwinden wir wieder. Krümel, entschuldige, aber ich muss dein Fressen verdienen.«

Als ich aus der alten Stalltür in den Garten trat, sah ich ihn. Er stand zehn Schritte entfernt und rührte sich nicht.

»Hallo«, sagte er wie beiläufig.

»Hallo«, entgegnete ich und zog die Baronin zu mir herum. »Das ist Gig Reimer«, erklärte ich ihr.

»Das dachte ich mir«, sagte sie tonlos.

»Wir trafen uns heute schon einmal«, sagte ich.

»Ein unverhofft schnelles Wiedersehen.« Er lächelte und trat auf uns zu.

»Das war wirklich raffiniert«, sagte ich. »Um Becks Leuten zu entgehen, sind Sie einfach hinter ihnen hergefahren, nicht wahr?«

»Wenn man weiß, wie die Leute arbeiten, wird man leicht mit ihnen fertig. Was will Beck denn von Ihnen?«

»Er glaubt, ich suche den Mörder von Lewandowski. Und das mag er nicht. Warum haben Sie heute Mittag geschossen?«

»Weil ich etwas klarstellen wollte. Beck verhält sich sehr dumm. Er begreift nicht, dass wir auf der gleichen Seite stehen.«

»Jetzt werden Sie keine Ruhe mehr vor ihm haben. Woher kennen Sie mich?«

»Ich habe mich hier schon einmal flüchtig umgesehen. Die Frage ist, was Sie wirklich wissen.«

»Nichts«, sagte die Baronin schnell.

Er lächelte fröhlich. Er sah ganz harmlos aus, wie ein Friseur oder ein Gebrauchtwagenhändler. »Nicht viel jedenfalls«, sagte ich.

»Sie sollten aufhören, die Sache zu untersuchen«, erwiderte Reimer, und es klang fast wie eine Drohung. Ich mag keine Drohungen.

»Ich habe nur eine Frage«, sagte ich und versuchte ruhig zu bleiben.

»Nur eine?« Er lachte höhnisch.

»Haben Sie mit Willi Metzger für den Osten gearbeitet?«

Im Haus keckerte Krümel sehr laut, wahrscheinlich rief sie ihre Kinder zur Ordnung. Irgendwo in der Ferne bellte ein Hund, ein Laster zog oben über die Bundesstraße.

Als er begriff, dass ich meine Frage ernst meinte, neigte er den Kopf, gluckste verhalten und antwortete dann: »Man könnte durchaus zu dieser Auffassung gelangen, Herr Baumeister. Sie sollten aber …«

Links von mir am Bohlenzaun stand plötzlich ein kleiner dunkler Schatten. Über Reimers Schulter hinweg sah ich einen Mann in der Hecke stehen.

Die Frau am Bohlenzaun sagte laut und vollkommen ruhig: »Eins, sechs!« Dann riss sie die Hände nach vorn und schoss. Es blitzte.

Reimer wirbelte herum und schoss ebenfalls. Für den Bruchteil einer Sekunde zitterte ein kleiner roter Ball in der Hecke.

Irgendetwas schlug unglaublich heiß gegen mein linkes Bein und warf mich auf die Erde. Als ich fiel, sah ich, dass der Mann in der Hecke feuerte. Aber es wirkte vollkommen unsinnig, weil er langsam nach vorne kippte und in die Erde schoss.

Dann war es totenstill.

»O Gott!«, sagte die Baronin tonlos, beugte sich zu mir herunter und strich über mein Gesicht.

»Holen Sie einen Arzt, und halten Sie sich aus der Sache raus«, sagte Reimer vollkommen ruhig und ging auf Ellen Strahl zu. Dann waren sie verschwunden, kein Laut war zu hören.

»Baumeister, Liebling, was ist denn?« Ich sah, wie Blut aus der Wunde in den Schnee lief. Mein Bein schmerzte überhaupt nicht. »Sieh nach dem Mann.«

»Und wenn er noch lebt?«

»Dann müssen wir ihm helfen.«

Sie lief zu dem Mann, der vor der Hecke lag. Sie bückte sich, wandte dann schnell das Gesicht ab und kam zurück. »Er ist tot.«

»Es ist alles meine Schuld. Ich habe nicht daran gedacht, dass Beck das Haus observieren lassen könnte.«

»Wie heißt dein Arzt?«

»Wir müssen weg hier.«

»Baumeister, dein Arzt…«

»Du musst den Mann da fotografieren! Los!«

»Du kannst nicht laufen, Baumeister, wir müssen einen Arzt verständigen.«

»Fotografier den Mann!«

Sie lief und fotografierte den Mann und kam zurück. »Wo hat er dich eigentlich getroffen?«

»An meinem linken Bein. Hilf mir mal, wir müssen weg.«

Anfangs ging es. Wir gelangten rasch über die Straße in den tiefen Schatten hinter Jakobs Haus. Dann schrie Mutter Melzer plötzlich etwas und überall in den Häusern sprang das Licht an.

Die Baronin zerrte mich weiter. In meinem linken Bein begann es wild zu pochen. Das alles ist nicht wahr, dachte ich, während der Schmerz mein Bein hinaufkroch. Ich bin nicht in einem kleinen verschlafenen Eifeldörfchen, sondern liege im Bett und träume. Ich träume einen schlechten Kriminalroman.

 

10. Kapitel

 

Ich weiß nicht, wie die Baronin es schaffte. Plötzlich hatten wir unseren Wagen erreicht. Sie sagte: »Halt den Mund, leg dich auf die Rückbank. Ich fahre dich zu einem Arzt.«

Während ich mühsam in den Wagen kletterte, raffte sie das Zelt zusammen und stopfte es einfach vor den Nebensitz.

Sie fuhr den Wagen rückwärts zwischen den Stämmen durch auf den Fahrweg, und als sie mit dem Heck an einem Stamm entlangschrammte, fluchte sie nur »Scheiße« und gab einfach Gas. Dann kündete sie lapidar an: »Ich schaffe das schon, Baumeister, keine Angst!« Sie machte den Eindruck, als sitze sie in einem Bagger und als gebe es auf dieser Welt nichts, was sie aufhalten könnte. »Wie heißt der Arzt?«

»Naumann. Aber er muss bei einer Schussverletzung Meldung machen.«

»Quatsch. Sag mal, kannst du nicht irgendwie ohnmächtig werden, damit du mir nicht mehr dazwischenquatschen kannst?«

»Ich schweige doch schon lange.«

»Ach ja?«

»Du solltest die Scheinwerfer einschalten.«

»Ich schalte das Licht ein, wann ich will.« Es fing an zu schneien.

Unterhalb des Sportplatzes hielt sie an und sah auf mein Haus hinunter. »Zwei, nein drei Streifenwagen kommen die Straße herauf. Das wird Wirbel geben.«

Auf der Höhe über Hillesheim kam sie ins Schleudern und brachte es irgendwie fertig, nicht im Graben zu landen. »Kannst du mir sagen, wieso Reimer und Strahl uns nicht erschossen haben?«

»Die glauben, dass wir nichts wissen. Es wird nicht lange so bleiben.«

Doktor Naumann hatte keinen Dienst und reagierte ziemlich schroff. Er bellte durch die Sprechanlage: »Dienst hat der Schmittke. Wenden Sie sich an den.«

Die Baronin wurde höchst unfreundlich. »Der Baumeister verreckt hier beinahe.«

Naumann antwortete nicht, sondern seufzte nur. Dann ging das Licht an, und er stand in der Tür.

»Im Wagen«, sagte die Baronin schnell.

Mit unwirschem Gesichtsausdruck beugte er sich über mich. »Was gibt es?«

»Ich habe mit einem Revolver gespielt.«

»Hm. Können Sie gehen?«

»Nicht besonders, glaube ich.«

Sie schafften einen Rollstuhl aus dem Haus, und irgendwie hoben sie mich hinein, wobei ich allerdings ohnmächtig wurde. Als ich wieder zu mir kam, fingerte der Arzt an mir herum, und die Baronin sagte: »… es war ja schon irgendwie komisch. Er hatte dieses Ding in der Hand und regte sich darüber auf, dass in Wildwestfilmen Männer rummachen, die mit so einer Waffe auf zwanzig Meter ein Geldstück treffen. Er sagte, das wäre alles Mogelei, denn mit diesen Dingern würde man aus einem Meter Entfernung nicht einmal einen Elefanten treffen. Und während er so redet, macht es peng. Dann lag er da und blutete.«

»Ja, ja«, murmelte der Arzt geduldig. »Ist ja alles ganz schön und gut, aber warum war seine Trainingshose naß. Er muss im Schnee gelegen haben, wenn Sie verstehen, was ich ….«

»Ja, er ist auf dem Weg zum Auto in den Schnee gefallen. Er wollte sich nicht stützen lassen, er will ja immer den Helden spielen …«

»Das ist alles sehr einleuchtend«, sagte er so milde, als spreche er mit einer Schwerkranken, »aber wir müssten dann nur noch erklären, wie ein 6,35-Millimeter-Geschoss in seinen Oberschenkel kommt, das nicht wirklich aus einem alten Revolver stammen kann. Bleimantelgeschoss, meine Liebe, Bleimantelgeschoss, höchst modern, nicht wahr?«

Die Baronin schwieg verschämt. Dann rannte sie plötzlich zum Waschbecken und übergab sich. Sie hatte ein schneeweißes Gesicht. »Das ist ja ekelhaft«, keuchte sie, »wirklich ekelhaft.«

»Es war wohl alles ein bisschen viel«, sagte er diplomatisch. Dann schellte das Telefon, Naumann hob ab, meldete sich und lauschte dann interessiert. Er legte den Hörer nach einer Weile nachdenklich auf. »Ich muss gehen. Da liegt nämlich eine männliche Leiche in Baumeisters Garten. Hat die auch mit einem alten Revolver gespielt?«

Die Baronin antwortete nicht.

Ich krächzte: »Ich habe den nicht erschossen, falls Sie das meinen.«

»Sieh da, der Baumeister ist wieder unter den Lebenden. Wer hat Sie angeschossen?«

»Die Leiche.«

»Ist das sicher?«

»Ganz sicher. Und wir müssen weg.«

»Und wer hat den Toten getötet? Was soll ich sagen, wenn man mich nach Ihnen fragt? Ich kenne Sie, ich weiß … Na ja.« Naumann wandte sich an die Baronin. »Er braucht Ruhe. Die Wunde ist versorgt, aber das Bein darf nicht bewegt werden.«

»Wir passen schon auf«, sagte die Baronin. »Und vielen Dank!«

»Machen Sie hier das Licht aus und vergessen Sie die Schmerztabletten nicht.« Er nahm seine Bereitschaftstasche und ging hinaus.

»Los, wir müssen abhauen.«

»Aber wohin jetzt?«

»Zu Guttmanns.«

»Dann entdeckt man uns sofort.«

»Vielleicht nicht, weil niemand uns dort erwartet.« Ich humpelte vor ihr her zum Wagen, sie murmelte etwas von den Freunden in der Not, als sie einstieg.

»Ich muss mich bedanken, Baronin, du warst einfach klasse.«

Sie schniefte nur und reichte mir eine Pillenschachtel. »Du musst zwei davon nehmen, dann lassen die Schmerzen nach.«

Die Pillen schmeckten ekelhaft. Irgendwann döste ich ein, und als ich aufwachte, rüttelte sie mich an der Schulter und sagte: »Wir sind da, Baumeister.«

»Irgendwelche Überwachungsautos?«

»Nein, bis jetzt nicht.«

»Dann geh rein und sag den Guttmanns Bescheid. Und du musst weiter zum Flugplatz und den Wagen gegen einen anderen tauschen.« Ich erinnerte mich daran, dass Guttmann an diesem Tag beerdigt werden würde.

Die Baronin kam zurück. »Du kannst reingehen.« Ich kletterte steifbeinig aus dem Auto und humpelte zum Haus. Hinter mir startete die Baronin und fuhr ab.

Anna Guttmann stand in einem uralten Bademantel im Hausflur. »Sie müssen sich sofort hinlegen. Haben Sie viel Blut verloren?«

Ich weiß nicht, was in diesem Augenblick mit mir geschah. Ich kann mich erinnern, dass ich irgendetwas antworten wollte, dass mir aber das nicht gelang. Als ich zu mir kam, lag ich in einem Bett. Links neben mir brannte matt eine kleine Lampe. Sie waren alle am Fußende versammelt und starrten mich an, als liege ich im Sterben: Anna Guttmann, ihr Sohn und ihre Tochter und die Baronin.

»Was ist eigentlich passiert?«, fragte ich. »Nichts«, sagte Anna Guttmann. »Sie sind ohnmächtig geworden.«

»Der Arzt kommt gleich«, sagte die Baronin. »Noch ein Arzt?«

»Wir müssen doch wissen, wie es um deinen Kreislauf bestellt ist.« Sie spielte die Mitleidsvolle und spielte sie absichtlich schlecht.

»Kann ich eine Weile allein sein?«

»O sicher«, hauchten Anna Guttmann und die Baronin unisono.

Sie marschierten hinaus wie eine Gruppe von Ärzten, die sich völlig einig sind, dass der Fall Baumeister hoffnungslos ist. Ich schlief wieder ein.

Jemand fasste mich an der Schulter und brummte: »Junger Mann, ich muss Sie untersuchen.« Der Jemand hatte ein schmales rosiges Gesicht und sah aus, als freute er sich auf seinen achtzigsten Geburtstag im nächsten Jahr. Er rauchte eine Pfeife.

»Sie rauchen Erinmore!«

Er nickte und grinste. »Das ist der Vorteil bei den Hausbesuchen. Ich kann rauchen und die Patienten können sich nicht wehren. Was haben wir denn da?« Er schlug die Bettdecke zurück. »Ihre Frau hat mir erzählt, Sie hätten mit einem Revolver gespielt. Dann glauben wir das mal und machen den Verband ab. Wer hat das Ding rausgeholt?«

»Mein Arzt in der Eifel.«

»Haben Sie Schmerzen?«

»Ja.«

Er nickte und wickelte den Verband ab. Die letzte Lage Mull ließ er liegen, sie war schwarzverklebt. Er tastete das Bein ab und nickte zufrieden. »Keine Entzündung. Wollen Sie eine Pfeife rauchen?« Er war ein raffinierter Hund. Er ließ die Hand an dem verklebten Verbandmull, drehte den Kopf weg, und ich fiel darauf herein. Es gab einen scharfen, stechenden Schmerz. Dann hielt er den Mull wie eine Trophäe hoch und grinste. »Jetzt kriegen Sie eine Pfeife.«

Er verband mich erneut, und als er ging, kam die Baronin und brachte Brot und Käse und Tee. »Du solltest den Tag im Bett bleiben.«

»Hast du einen Wagen?«

»Ja, einen Golf. Bist du einverstanden, dass ich alles aufschreibe und dem Anwalt schicke? Die Filme müssen entwickelt werden.«

»O ja. Aber wann willst du schlafen?«

»Ich kann nicht schlafen, Baumeister. Wir sollten aus der Geschichte aussteigen.«

»Hat der Golf eine Bonner Nummer?«

»Nein, eine Frankfurter. Du willst doch nicht etwa aufstehen?«

»Ich muss.«

Sie verzog den Mund. »Du solltest mir wenigstens sagen, was du vorhast.«

»Wir haben eine spannende Geschichte zu erzählen, aber die Beweislage ist zu mager. Wir müssen jetzt an zwei Menschen heran: an den Russen Rasputin und an die Ehefrau des Abgeordneten Schmitz-Feller.«

»Du willst also zu dieser Frau?«

»Ja. Und du musst zu Guttmanns Beerdigung.«

»Wann fährst du?«

»Jetzt.«

»Baumeister, versprich mir, dass du mich ständig anrufst. Sonst werde ich verrückt hier.«

Ich fuhr zwanzig Minuten später. Es war neun Uhr, der Himmel war wolkenverhangen. Der Wind trieb nasses Laub über die Straßen. Ich erwischte mich, dass ich viel zu schnell fuhr und viel zu häufig in den Rückspiegel sah. Ich dachte verärgert, dass mir der Bundesanwalt Beck samt seiner Truppe den Buckel herunterrutschen könne. Aber dann fuhr ich nach dem Meckenheimer Kreuz doch den ersten Parkplatz an und wartete auf irgendein Zeichen, während ich mir die Royal Rouge von Stanwell stopfte und anzündete.

Auf dem Parkplatz gibt es weder Bäume noch Sträucher, weil dieser Teil der Autobahn im Kriegsfalle ein Flugplatz der Militärs sein wird; da ist jeder Busch im Weg. Außer mir stand dort nur noch ein schwerer Volvo-Intercooler, dessen Fahrer das bei diesem Wetter einzig Richtige tat: Er vergnügte sich mit einem splitternackten braunhaarigen Mädchen, das ganz offenkundig zu mir hinblinzelte. Der Fahrer bedeutete dem Mädchen, in die Koje zu klettern, dann waren sie verschwunden, aber es war tröstlich zu wissen, was sie gegen die Kälte dieser Welt unternahmen.

In Koblenz wechselte ich wenig später auf die Autobahn 3 nach Frankfurt, hängte mich hinter einen schnellen Laster und ließ mich treiben. Am Frankfurter Kreuz ging ich auf die A 67 und zuckelte über Hahn, Elnhausen und Viernheim nach Mannheim.

Frau Schmitz-Feller wohnte im Industriegebiet in der Neckarau. Es war ein ziemlich großes, luxuriöses Einfamilienhaus mit einem sehr schmalen Vorgarten. Da standen, verteilt wie Soldaten, vier kleine Blautannen. In der Garageneinfahrt parkte ein schwarzer Mercedes TD. Die Fenster des Hauses waren mit schnörkeligen, dünnen Vierkanteisen vergittert, bei dem nicht klar war, ob es als Schmuck oder zur Sicherheit diente. Ich schellte. Das Mädchen, das öffnete, war etwa zwölf.

»Baumeister. Ich komme aus Bonn. Ich möchte Frau Schmitz-Feller sprechen.«

»Meine Mutter ist nicht da.« Sie hatte die Tür nur einen Spalt geöffnet.

»Kommt sie denn wieder?«

»Ja. Sie rechnet die Schicht ab. Ich weiß nicht, wann sie kommt.«

»Dann warte ich im Auto.«

Unschlüssig sah sie mich an. »Ich darf eigentlich keinen reinlassen. Wieso aus Bonn? Hat das was mit meinem Vater zu tun?«

»Ja, das hat es.«

»Aber… Sie können vielleicht doch hereinkommen.« Sie öffnete die Tür und winkte mich nervös herein. Sie hatte ein feingeschnittenes Gesicht und war recht hübsch. Aber irgendwie wirkte sie wie das elegant angezogene Püppchen eines Erwachsenen. Sie trug ein weißblau gestreiftes Kleidchen zu weißen Kniestrümpfen und schwarzen Lackschuhen.

»Findet hier eine Feier statt?«

»Nein. Warum?«

»Weil du so feierlich angezogen bist.«

»Mama besteht darauf, wenn ich zu Hause bin. Ich mag Jeans viel lieber. Möchten Sie ins Wohnzimmer kommen?«

»Bist du denn selten hier?«

»Ja, ziemlich selten. Ich bin auf einem Internat. Sie können sich da auf einen Stuhl setzen.«

Der Raum kam einem wie ein Plüschkabinett vor. An der Wand hingen zwei Ölgemälde: ein Hirsch in einem Erlenbruch und ein balzender Auerhahn vor Wacholder. Die antiken Stühle und die beiden Sofas waren mit weinrotem Brokat bespannt. Es roch nach nichts.

»Darf ich denn rauchen?«

»Ja, von mir aus. Wieso rauchen Sie, wenn Sie wissen, dass das Krebs gibt?«

»Das hat etwas mit der verrückten Überzeugung des Einzelnen zu tun, dass es ihn selbst ausgerechnet nicht erwischt. Außerdem schmeckt es mir gut.« Ich stopfte mir die Prato von Lorenzo.

»Papa rauchte nie. Mama raucht nur, wenn sie nervös ist. Haben Sie in Bonn mit meinem Vater zusammengearbeitet?«

»Nein. Ich kannte ihn gar nicht.«

»Anfangs kamen manchmal Leute aus Bonn, jetzt nicht mehr.« Sie hockte sich auf ein Sofa, wobei sie über die Falten ihres Kleidchens strich. Dann faltete sie die Hände im Schoß und blickte mich aufmerksam an. Sie war eine sehr ruhige kleine Person, und ich fragte mich, wie viel Anstrengung sie das kosten mochte.

»Was für eine Schicht rechnet deine Mutter denn ab?«

»Wir haben Restaurationsbetriebe. Die Frühschicht wird immer mittags abgerechnet.« Dann hatte sie eine Idee. »Ich könnte Ihnen ja einen Kaffee machen.«

»Das wäre toll.«

Wir gingen in die Küche, die genauso mit antikem Schnickschnack vollgestellt war. Sie hantierte an der Kaffeemaschine. »Haben Sie auch Kinder?«

»Nein.«

»Wollen Sie welche?«

»Durchaus. Ich habe in der letzten Zeit viel über Kinder nachgedacht.«

»Kinder haben es gut, wenn sie zu Hause sind«, sagte sie. »Mein Vater war immer unterwegs. Deshalb musste ich auch ins Internat.«

»Bist du gern dort?«

»Na ja. Können Sie den Kaffee umgießen? Was haben Sie denn für einen Beruf?«

»Ich bin Journalist.«

Ich goss den Kaffee in die Kanne, und dann bemerkte ich, dass das Mädchen mich plötzlich misstrauisch ansah. »Stimmt etwas nicht?«

»Mama hat gesagt, ich darf nicht mit Journalisten sprechen.« Sie öffnete den Eisschrank und goss sich eine Cola ein.

Das Glas stellte sie auf das Tablett zu meinem Kaffee und trug es hinüber ins Wohnzimmer. Sie setzte sich sittsam auf das Sofa und sah aus dem Fenster.

»Kann es lange dauern, bis deine Mutter zurückkommt?«

»Eigentlich müsste sie schon da sein. Sind Sie verheiratet?«

»Noch nicht.«

»Aber Sie sind schon alt.«

»Ja.«

»Wollen Sie Ihre Kinder auf ein Internat schicken?«

»Nein. Auf keinen Fall.«

»Oh, da kommt Mama.« Sie sprang auf und lief in den Flur hinaus. Zuerst kam ein Kerl herein und sah mich misstrauisch an. Hinter ihm sprachen Tochter und Mutter leise miteinander. Dann sagte die Mutter tonlos: »Tut mir Leid, aber ich dachte, meine Aussage sei eindeutig. Keine Interviews.«

»Wie bitte?«, fragte der große Mann aggressiv. Er hatte eine Fresse wie ein altgewordener Boxer, den man ein paarmal zu oft verprügelt hatte. Wie ein mieser Dandy trug er schneeweiße Lederhandschuhe und einen mattgrauen Leinenanzug. »Ein Pressefritze?« Er machte einen Schritt auf mich zu und packte mich an der Jeansjacke. »Die Chefin hat nichts übrig für euch Schmierfinken!«

»Aber …«

»Nix aber, mein Junge. Wenn die Chefin sagt nein, dann ist nein.«

»Gotthilf!«, murmelte die Schmitz-Feller in sanftem Tadel.

Mit einem kurzen kraftvollen Stoß warf er mich zurück in den Sessel. »Hau ab, mein Junge, bevor die Chefin wirklich wütend wird.«

»Mama, der Herr ist aber aus Bonn«, sagte die Kleine.

»Aus Bonn?« Die Frau des Bundestagsabgeordneten Schmitz-Feller war eine zierliche, dunkelhaarige Frau, sehr adrett, nur ihre Augen waren schmutzigbraun.

»Ich will auch kein Interview. Ich will nur mit Ihnen sprechen.«

»Simsalabim!«, dröhnte der Boxer Gotthilf. »Nur ein wenig plaudern, und schon steht es alles exklusiv in der Nachtausgabe.«

»Nein!«, brüllte ich. Ich wurde wütend. Mein Bein schmerzte höllisch, und diese Boxerfresse ging mir wirklich auf die Nerven. »Ich will nur mit Ihnen sprechen, Frau Schmitz-Feller, gewissermaßen ganz privat.«

»Sie wollen wirklich kein Interview?«

»Nein, ich will mit Ihnen über Ihren Mann reden.«

»Was gibt es da zu sprechen?«

»Eine ganze Menge«, sagte ich. Mir trat der Schweiß auf die Stirn. In meinem Bein trommelte es, als ginge ein Musikkorps dort auf und ab. »Ich brauche ein Glas Wasser.«

»Na sicher«, sagte Frau Schmitz-Feller. »Hol ihm eins, Tanja. Und Gotthilf, du kannst zur Bank fahren.«

Gotthilf furchte die Stirn: »Und wenn er frech wird?«

»Ich werde nicht frech«, sagte ich.

»Na ja«, murmelte er und marschierte hinaus.

Ich kippte das Wasser mit drei Schmerztabletten hinunter. »Ich habe eine Wunde am Bein, die noch nicht verheilt ist.«

»Es geht also um meinen Mann. Um was speziell?«

Ich sah auf das kleine Mädchen, das wieder artig auf dem Sofa saß.

»Tanja«, sagte sie scharf, »geh bitte auf dein Zimmer!«

»Es geht um seinen Tod«, sagte ich leichthin, als die Kleine verschwunden war.

»Ich war nicht dabei«, sagte sie und suchte nach Zigaretten und steckte sich nervös eine an. Dann streifte sie die hochhackigen Schuhe ab und hockte sich, die Beine hochgezogen, auf das Sofa. »Wollen Sie über ihn schreiben? Kommen Sie von der Parteizeitschrift? Für wen arbeiten Sie?«

»Für mich«, sagte ich. »Wie war er?«

»Freier Journalist, wie?« Sie rauchte sehr hastig. »Er war ein guter rechtschaffener Mann. Wie Sie sicher wissen, hat er die ganze Ochsentour gemacht. Parteiarbeit, Stadtverordneter, Landtagsabgeordneter, Bundestagsabgeordneter. All die schlimme Arbeit, die nie ein Ende nahm. Er hat sich massiv für die Probleme der Jugendlichen interessiert. Zu den Bürgern hier, zu seinen Wählern hatte er starke Beziehungen. Er kannte sie alle, und sie kannten ihn. Er sagte immer, er sei einer der vielen kleinen Arbeiter im Weinberg des Herrn. Er liebte diese biblische Sprache, wissen Sie. Wir gingen jeden Sonntagmorgen zur Kirche. Das war ihm eine heilige Pflicht.«

»Wieso hat sein Denken sich so plötzlich verändert? Wieso plädierte er für einseitige Abrüstung? Wieso überwarf er sich mit der Fraktion?«

»Oh, Sie sind auf die politischen Grundsätze seines Lebens aus. Nun ja, er hatte zuweilen eine andere Meinung als seine Kollegen. Er war aufrecht, stark und störrisch. Aber wirklichen Krach hat es doch nie gegeben.«

»Mag sein, dass Ihr Mann für seine Wähler und seine Partei ein Heiliger war, aber das interessiert mich nicht. Ich bin hierher gekommen, um eine Antwort auf drei Fragen zu bekommen. Erstens: Wollte Ihr Mann mit Ihnen nach Moskau reisen? Zweitens: Seit wann wissen Sie von den Hintergründen seines Todes? Drittens: Wo ist der schwarze Safekoffer, der plötzlich verschwand?«

Sie wurde leichenblass. »Ich wusste, dass eines Tages alles auffliegt«, murmelte sie tonlos. »Hat der KGB Sie geschickt?«

 

11. Kapitel

 

Es war sehr still. Sie schloss die Augen wieder und zündete sich die nächste Zigarette an. »Kann ich irgendwie mit Geld aus der Sache rauskommen? Wie viel würde das kosten? Unterlagen habe ich aber keine, die gibt es nicht mehr.« Ich sagte noch immer nichts.

»Wie können Sie solche Fragen stellen? Sie sind doch nie im Leben ein Journalist. Ein Journalist könnte doch so etwas nicht fragen.«

»Ich heiße Siggi Baumeister und bin Journalist. Ich bin durch Zufall in die Geschichte hineingeschlittert, wenn es überhaupt Zufälle gibt. Und ich weiß ziemlich sicher, dass Ihr Mann ermordet wurde.«

Ihre rechte Hand drückte die Zigarette im Aschenbecher platt. Dann verbrannte sie sich und zuckte zusammen. »Ich sage nichts mehr.«

Ich hatte keine Zeit, um mich auf einen langen, nutzlosen Streit einzulassen. Sie war eine energische, hübsche Person. Es machte keinen Sinn, wütend zu sein und sie anzublaffen.

»Sie sagen, Sie werden schweigen, und ich sage, Sie werden mir die Geschichte erzählen. Es bleibt Ihnen auch nichts anderes übrig. Und jetzt sehen Sie sich bitte dieses Foto an.«

Ich legte ihr ein Bild von Willi Metzger vor. Er lachte darauf so herzhaft, als sei das ganze Leben eine wunderbare aufregende Sache.

»Dieser Mann war hier bei Ihnen. Er ist ein Kollege, der ermordet wurde. Er starb auf dieselbe bestialische Art wie Ihr Mann. Umgebracht von denselben Leuten. Sie haben ihm aber nichts gesagt, nicht wahr?«

»Ich hatte zu viel Angst«, sagte sie schnell.

»Außer ihm war noch jemand bei Ihnen. Rasputin, ein Russe. Sie müssen es nicht abstreiten, weil ich es beweisen kann. Erzählen Sie mir also die Geschichte, Sie können mich nicht daran hindern, darüber zu schreiben. Sie können aber etwas dagegen tun, dass auch ich ermordet werde.«

»Und Sie wollen wirklich kein Geld?«

Ich schüttelte den Kopf und stopfte mir die Derby Luxe von Oldenkott.

»Komisch, ich habe immer geträumt, jemand kommt nachts und verlangt, ich solle zweihunderttausend Mark zahlen, damit er den Mund hält.« Eine Weile schwieg sie und dachte nach. »Also gut, ich glaube auch, dass Rolf getötet wurde. Vor zwei Jahren wollte ich mich von ihm scheiden lassen. Er hatte eine kleine Freundin in Bonn, mit der er schlief. Und weil ich nicht mal allzu sehr eifersüchtig war, schlief ich hier in Mannheim mit dem Lehrling meines Friseurs. Das war alles ziemlich widerlich. Mein Mann kam kaum nach Hause. Doch als ich die Scheidung eingereicht hatte, kam er zu mir und fragte mich, ob wir nicht noch einmal von vorn anfangen wollten. Ich glaubte an seine gute Absicht und sagte ja. Er gab seiner Freundin den Laufpass und kam wenigstens am Wochenende nach Hause. Durch den Betrieb habe ich auch am Wochenende viel zu tun, doch mein Mann stellte einen Geschäftsführer ein.«

Sie zündete sich erneut eine Zigarette an. »Man muss eine Ehe ja wohl auch daran messen, wie oft man zusammen ins Bett geht. Jahrelang hatte sich zwischen uns nichts mehr abgespielt. Jetzt wurde er ein wunderbarer Liebhaber. Er war überhaupt völlig verändert. Er sagte, er hätte die Nase voll von der Partei. Seine Fraktionskollegen wurden immer unzufriedener mit seiner Arbeit. Sogar der Kanzler zitierte ihn einmal zu sich. Es half alles nichts mehr.«

»Moment, nicht so schnell. Hatte er den Wunsch geäußert, das Land zu verlassen?«

»Wir haben alles durchgespielt. Er war ja Spezialist im Devisenrecht, und wir haben überlegt, nach Luxemburg zu gehen oder nach Südamerika. Es gab eigentlich nichts was wir nicht überlegt haben.«

»Auch nach Moskau?«

»Nein, das noch nicht.«

»Ist er denn je auf die Idee gekommen, Material an Leute im Osten zu verkaufen?«

»Nein, das kam erst mit Rasputin.«

Wie hatte die Baronin gesagt? Die Geschichte sei ein paar Nummern zu groß für uns. Sie hatte wohl Recht.

»Rasputin ist ja ein unheimlich netter Kerl, finden Sie nicht auch? Na ja, mein Mann kriegte dann die Einladung nach Schönberg an der Ostsee. Die Partei war zwar dagegen, aber die Junge Union bedrängte ihn. Er kam jedenfalls auf die Idee, ich solle nachkommen. Wir könnten ein paar Tage Ferien machen und uns über einiges klar werden. Ich wusste ganz sicher, dass Rolf darüber nachdachte, das Land endgültig zu verlassen. Doch dann, vierzehn Tage vor Schönberg, kam Rasputin hier vorgefahren. Es war so lustig, weil er einen alten Käfer fährt, der so rattert. Aber den kennen Sie natürlich.«

»Natürlich«, antwortete ich gequält.

»Rasputin sagte, er hätte gehört, Rolf habe Zoff mit seiner Partei, und ob er denn nicht Lust habe, mit seinen Chefs in Moskau über Abrüstung zu diskutieren. Privat und ohne Aufsehen. Rolf lehnte natürlich nicht ab.« Sie verstummte, strich sich fahrig über den Mund und sprang plötzlich auf. »Ich brauche jetzt ein Bier.« Dann lief sie in die Küche.

»Rasputin sprach nie von Geheimnisverrat, obwohl er wusste, dass Rolf im Verteidigungsausschuss praktisch alle geheimen Dinge hörte, die die Russen interessieren. Rolf sagte offen, er hätte Lust, irgendwo ganz neu anzufangen, und Rasputin erwiderte, dafür sei Moskau genau der richtige Ort.

Eine Woche später erklärte Rolf mir, Rasputin habe vorgeschlagen, direkt von Lübeck aus mit einem Fischerboot nach Polen auszulaufen. Ich weiß noch, wie das Boot hieß: Heimat.« Sie lächelte matt.

»Wie kam denn der schwarze Safekoffer ins Spiel?«

»Ich kam in Kiel an und nahm ein Taxi. Ich hatte ziemlich viel Geld bei mir, keine D-Mark, alles Dollars. Unser Besitz hier sollte von einem befreundeten Ehepaar verkauft werden. Das Ehepaar wusste nicht, was wir genau vorhatten. Nur unser Anwalt sollte einen ausführlichen Brief bekommen. Ich kam also in dem kleinen Hotel an und entdeckte im Zimmer den schwarzen Safekoffer. Ich wunderte mich. Rolf hatte sich nämlich entschieden, den Russen keinerlei Unterlagen mitzubringen. Später ist mir die Idee gekommen, dass er vielleicht den Russen ein Gastgeschenk übergeben wollte. Es war die Kopie eines Zusatzvertrages zwischen der BRD und den USA über den Rückzug der Mittelstreckenraketen und die anschließende Planung einer so genannten Lückenrüstung, also …«

»Woher wissen Sie denn das?«

»Ich kannte den Code der Tasche, ich habe sie geöffnet. Außerdem legte ich einige persönliche Papiere hinein.«

»Und daran besteht kein Zweifel?«

»Kein Zweifel. Ich war nicht aufgeregt, ich war nur müde und legte mich aufs Bett. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, und eine junge Frau stand im Zimmer. Sie war schlank und blond und trug Jeans. Sie sagte, sie müsse meinem Mann sofort den Safekoffer bringen. Ich wusste sofort, dass das nicht stimmt, und sagte, der Koffer sei in Bonn. Aber sie hörte mir gar nicht zu, sondern stöberte im Zimmer herum und fand die Tasche. Sie nahm sie und rannte damit hinaus. Ich war ganz verwirrt. Zwei oder drei Minuten später kam die Nachricht vom Tode Rolfs.«

»Haben Sie jemals öffentlich Zweifel an einem natürlichen Tod Ihres Mannes geäußert?«

»Nie. Ich wusste, dass das keinen Zweck hat. Meine Freunde hatten ja keine Ahnung, dass wir das Land endgültig verlassen wollten. Was glauben Sie denn, wie man ihn umgebracht hat?«

»Das weiß ich nicht genau. Ich vermute, durch einen einzigen gezielten Schlag. Es gibt Leute, die das können. Haben Sie denn irgendetwas unternommen, um herauszufinden, was wirklich geschehen ist?«

»Ich habe den Generalbundesanwalt angerufen. Ich habe ihm mein Leid geklagt und so ganz nebenbei gefragt, ob denn die vielen wichtigen Unterlagen, die er bei sich hatte, auch alle sichergestellt worden seien. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ein Generalbundesanwalt ein solcher Schwachkopf ist. Er hat mich getröstet, als wäre ich ein schwachsinniges Kind. Dann sagte er wörtlich: >Wir haben alle Unterlagen wiederbekommen …< Das muss man sich einmal vorstellen.«

»Und seitdem glauben Sie, dass Ihr Mann getötet wurde?«

»Natürlich. Ich rief auch Rasputin an. Er war nicht auf Rolfs Beerdigung gekommen. Er war unheimlich bedrückt und sagte, das alles tue ihm schrecklich Leid. Er wusste nicht, dass Rolf ihm den Raketenvertrag mitbringen wollte, er sagte nur: >Den hat sich die Regierung zurückgeholt!< Da war ich sicher, dass Rolf ermordet worden war.«

Als ich sie verließ, lächelte die gute Frau Schmitz-Feller sogar. Vielleicht hatte sie sich wirklich was von der Seele geredet. »Grüßen Sie mir Ihren teuren Gotthilf«, sagte ich noch zum Abschied. Von einem Rastplatz aus rief ich einen Kollegen bei der Nachtausgabe an und erkundigte mich beiläufig, ob er wisse, warum die Witwe des Bundestagsabgeordneten Schmitz-Feller so eine Heidenangst vor Journalisten habe.

»Das weißt du nicht?« Er lachte. »Die Familie betreibt gewisse Etablissements, die man gemeinhin Puff nennt.«

Im Haus der Guttmanns waren noch eine Menge Beerdigungsgäste. Eine Weile suchte ich die Baronin, bis ich sie in der Küche entdeckte. Sie hockte mit dem jüngsten Sohn der Guttmanns auf der Holzbank und hielt seinen Kopf an ihre Brust gepresst. Der Junge weinte, und ich schloss die Tür wieder.

Ich stieg zu unserem Zimmer hinauf. Ich musste zwei Schmerztabletten nehmen, weil es in meinem Bein wieder wie wild zu pochen begann. Dann diktierte ich, was die Frau Schmitz-Feller mir erzählt hatte. Das Band verstaute ich in einem Umschlag und adressierte ihn an den Anwalt in Köln. Als ich endlich fertig war, legte ich mich auf das Bett und döste. Wüste Bilder trieben durch meinen Kopf: Reimer jagte mich mit einem langen Buschmesser durch endlose graue Korridore.

Die Baronin befreite mich von diesem kafkaesken Wachtraum. Sie legte sich neben mich und starrte gegen die Decke. »Hat die Frau etwas gewusst?«

Ich erzählte ihr alles und begann mich wohler zu fühlen. »Und wie war die Beerdigung?«

»Schrecklich, wie alle Beerdigungen.«

»Sind Reimer und Strahl aufgetaucht?«

»Nein. Aber der Bundesanwalt Beck beglückte uns mit seiner Anwesenheit. Als ich ihn sah, dachte ich: Er ist gekommen, um uns zu verhaften. Aber er war freundlich. Er will uns beide morgen früh um zehn Uhr bei sich sehen.«

»War es schwer für Anna Guttmann?«

»Als der Pfarrer sagte, Erich Guttmann habe gern gelebt und gern gelacht, schluchzte sie kurz. Ansonsten war sie sehr gefasst.« Plötzlich griff die Baronin meine Hand. »Du, Baumeister«, sagte sie mit veränderter Stimme, »manchmal macht die ganze Sache mir Angst.«

Jetzt hätte ich etwas Beruhigendes sagen müssen, doch ich lächelte nur stumm. Zum Glück klopfte es im selben Augenblick. Anna Guttmann kam herein. Sie lächelte erschöpft und murmelte: »Sie haben Besuch, Rasputin ist gekommen. Er tut recht geheimnisvoll.«

»Schicken Sie ihn rauf«, sagte die Baronin.

Nach einer Weile klopfte es zaghaft. Als er hereintrat, lächelte er unsicher. Rasputin war ein kleiner, schmaler Mann von vielleicht fünfzig Jahren. Er trug einen dunkelblauen Anzug mit einem schwarzen Rollkragenpullover, hatte schütteres, graues Haar und sah ein wenig aus wie eine Zweitausgabe von Charles Aznavour.

»Das ist die Baronin, mein Name ist Baumeister. Können Sie uns einen Namen geben, der nicht ausgerechnet Rasputin ist?«

Er beugte sich vor, sah uns strahlend an und schloss die Augen für einen Moment, als sei er ein Priester, dem ein glückliches Brautpaar gegenüberstand. Ich lächelte zurück, die Baronin begann neben mir hin und her zu rutschen.

»Zugegeben«, sagte er feierlich mit einem Hauch Verlegenheit, »mein Name ist für Europäer fürchterlich, aber man nennt mich auch noch Pjotr. Darf ich mich setzen?« Er hatte eine tiefe Stimme wie der deutsche John Wayne. »Ich wollte Sie sprechen«, fuhr er fort. »Ich habe Metzger und Guttmann gekannt. Auch Lewandowski war mir kein Unbekannter.« Er strahlte wieder. »Leider hat Lewandowski mich nicht gekannt.«

»Hat er nicht?«, fragte ich schnell.

»Er war ein geheimnisvoller Mann«, erklärte er. »Man konnte ihn nicht treffen. Dabei hätte ihm das das Leben retten können.«

Die Baronin murmelte: »Ich mag Männer in Geheimdiensten nicht. Gehören Sie einem Geheimdienst an, Pjotr?«

»O nein, gnädige Frau, ich bin ein bedeutungsloser Beigeordneter unseres verehrten Kulturattaches, ich bin sozusagen ein beamteter Tolstoi-Exporteur. Lewandowski hat mich nur am Rande interessiert, sozusagen rein menschlich.«

»Es wird erzählt, Sie seien in Bonn ein Russe mit Macht.«

Er lachte. »Nein, Herr Baumeister, ich besitze keine Macht.«

»Aber Sie kennen sich aus.«

»Mag sein, aber erwarten Sie nicht zu viel von mir.« Er zog eine Schachtel Gauloises aus der Tasche und zündete sich eine an. Charles Aznavour stand wieder vor mir.

»Ich besorge uns Whisky«, sagte die Baronin.

Rasputin war ein verwirrender Mann. Er wirkte freundlich und gutmütig und zugleich eiskalt. Selbst wenn er lachte, sahen seine Augen wie zwei dunkle, unergründliche Höhlen aus.

»Lieben Sie Bonn?«, fragte er mich unvermittelt.

»Mehr als das protzige, neuerdings wieder machtstrotzende Berlin. Und Sie?«

»Ich hasse es und liebe es. Und wenn ich gehen muss, wird es mir fehlen.«

»Zumindest wird man Sie nicht abziehen, ehe die Akte Lewandowski nicht geschlossen ist«, sagte ich. Ich stopfte mir die Chacom.

»Das ist richtig«, bestätigte er. »Und es wird noch eine Weile dauern, ehe wir sie schließen können.«

»Wie lange, glauben Sie?«

»Nun, nehmen wir an, alle Beteiligten sind identifiziert, von dem Zeitpunkt an wird es noch ein Jahr dauern. Aber es kann auch später werden, wenn etwas dazwischenkommt.«

»Was könnte dazwischenkommen?«

»Zum Beispiel Journalisten, die das Tun und Treiben des Herrn Lewandowski beschreiben und so einen Skandal auslösen. Dann dauert es zwei Jahre.«

»Mit anderen Worten: Sie verlangen von mir einen Skandal, damit Sie länger in Bonn bleiben können?«

Er grinste. »Durchaus, mein Freund, durchaus. Ich hörte, Sie haben mit Ihrem Bein einen Fremdkörper aufgefangen?«

»Ja. Irgendwer hat mir ins Bein geschossen. Woher wissen Sie das?«

»Wir haben unsere Quellen«, murmelte er bescheiden. »Wissen Sie auch, wer der Tote in meinem Garten in der Eifel war?«

»Ich hörte andeutungsweise, dass er ein Fahnder des rheinland-pfälzischen Landeskriminalamtes war.«

»Arbeiten Sie gern an solch ekelhaften Geschichten?«

Er hielt sich die rechte Hand vor den Mund und bewegte die Finger sehr schnell, wie ein Pianist, der Übungen macht. »Wissen Sie, Herr Baumeister, ich hasse jede Form von Brutalität. Aber ich gebe zu, dass es mich fasziniert, die Brutalität des Herrn Lewandowski zu beobachten. Ich gebe auch zu, dass es mich unendlich gefreut hat, zu erleben, dass jemand hinging und ihn wie eine Ratte totschlug. Ich hätte es gern selbst getan. Aber ich bin nur Beobachter.«

»Nehmen wir an, jemand bietet Ihnen so viel Macht, wie Lewandowski besaß. Was tun Sie?«

»Diese Macht würde mich zerstören, sie hat ja auch Lewandowski zerstört.« Er zündete sich eine nächste Zigarette an.

Die Baronin kam und setzte den Whisky ab. »Da unten geht es zu wie auf einer Hochzeit. Es wird viel gelacht. Worüber sprecht ihr?«

»Darüber, dass Piotr behauptet, er habe keine Macht.«

»Habe ich auch nicht. Wie weit sind Sie mit Ihren Recherchen?«

»Wir warten auf Ihre Hilfe«, sagte die Baronin und schaute mich von der Seite an.

»Ich weiß einiges, aber nicht viel. Vielleicht sollten wir unser Wissen zusammentun?« Er grinste wieder.

»Fangen wir doch sofort damit an«, rief die Baronin. »Wer hat Lewandowski getötet?«

Einen Moment nestelte er nervös an seiner Jacke. Er hatte ungewöhnlich große Hände. Dann flüchtete er sich in ein Lächeln. »Eine sehr schwierige Frage, gnädige Frau. Ich weiß es nicht sicher genug, um irgendetwas behaupten zu können.«

»Nächste Frage«, sagte die Baronin tonlos. »Es war mit Sicherheit keiner Ihrer Männer?«

»Von den Russen war es mit Sicherheit keiner.«

»Dann ein anderer östlicher Geheimdienst?«, schob ich schnell nach.

Er wiegte bedachtsam den Kopf. »Wir sind vernünftige Leute, einverstanden? Wir brauchen uns nichts vorzumachen. Ich weiß, dass es kein Russe war. Für die anderen lege ich meine Hand nicht ins Feuer. Aber Sie wissen selbst, welche Verwirrung in diesen Ländern zur Zeit herrscht.«

»Wer käme außerdem noch in Frage?« Ich glaubte ihm.

»Nun ja, die kleinen Jungens vom NSA oder vom CIA. Aber da sehe ich kein Motiv. Die Beziehungen des Lewandowski zu den Brüdern vom CIA waren in der letzten Zeit gleich Null. Nur einmal ist Lewandowski an sie ausgeliehen worden. Vor sechs Jahren hat er in Irland einen jugoslawischen Fotografen erschossen, dem es gelungen war, in einer Höhle zu fotografieren, in der amerikanische Atom-U-Boote lagen.«

»Ist der Vorgang beweisbar?«

»Aber ja, obwohl in Kreisen der Geheimdienste Beweise zuweilen nicht sehr gefragt sind. Ich erinnere an Ihren General Kießling. Doch weiter: Wir haben Lewandowski seit Jahren aufmerksam verfolgt. Wie Sie sicher wissen, war er einmal Lehrer an der Schule des Verfassungsschutzes in Köln, und da ….«

»Wir wissen noch gar nichts über ihn«, sagte ich. »Wir sind erst ein paar Tage auf dem Karussell.«

»Wir haben sogar dran gedacht, dass Lewandowski aus rein privaten Motiven getötet worden sein könnte. Aber da er kein Privatleben führte, bleibt nur ein möglicher Mörder.«

»Und wer ist das?«, fragte die Baronin rasch.

»Moment, lassen Sie mich einmal raten«, griff ich hastig ein. »Wenn nur einer als Mörder bleibt, kann das nur die Bundesrepublik Deutschland sein.«

Er hob theatralisch die Hände und klatschte. »Bravo! Sie haben es begriffen.«

»Und warum?«, fragte die Baronin verstört.

»Wir vermuten, dass irgendjemand in Ihrer Regierung begriffen hat, dass die kommunistischen Bruderländer dabei waren, Herrn Lewandowski zu enttarnen. In diesem Moment blieb dem Staat keine Wahl. Wir ahnten seit Jahren, wer Lewandowski ist…«

»Und Sie hätten ihn also in jedem Fall getötet«, murmelte die Baronin verstört.

»O nein«, korrigierte ich. »Die Russen hätten Lewandowski niemals getötet. Sie hätten ihn verhört. Richtig so?«

»Ja«, sagte er ruhig. »Er wäre nur lebend von Wert gewesen.«

»Seit wann sind Sie auf Lewandowskis Spur?«, fragte ich.

»Seit 1976. Es kam immer wieder zu rätselhaften Zwischenfällen, die nahelegten, dass es einen Mann wie Lewandowski geben müsse. «

»Stimmt es, dass er sechzehn Menschen getötet hat?«, fragte die Baronin.

»Ach, das wissen Sie schon? Nun, wir nehmen es an, können es aber nicht in allen Fällen beweisen.«

»Wer hat ihn gesteuert?«, fragte sie.

»Auch das wissen wir nicht genau. Wir sind nur sicher, dass Politiker nicht involviert sind! Wir glauben, ein hoher Beamter im Kanzleramt oder im Innenministerium.«

»Können wir die Liste der sechzehn haben?«, fragte sie.

»Die dränge ich Ihnen geradezu auf. Sind Sie jetzt bereit, meine Fragen zu beantworten?«

»Aber ja.« Ich kratzte die Chacom aus und stopfte die Dunhill.

»Wie viel weiß eigentlich Ihr Generalbundesanwalt?«

»Nach unserer Meinung weiß er nichts, denn sonst würde die Fahndung nach Lewandowskis Mördern nicht so ziellos und vage verlaufen. Beck wollte uns einreden, Metzger und Guttmann hätten für Sie spioniert und seien dann als Spionage-Flops auch von Ihnen umgelegt worden.«

Er starrte mich an und lachte spöttisch. »Das glaube ich Ihnen aufs Wort. Metzger und Guttmann haben nicht eine Sekunde vorgehabt, für uns zu arbeiten, dazu waren sie viel zu anständige Leute. Was wissen Sie von dem Attentat auf Professor Mente?«

»Metzger und Guttmann sind der Meinung gewesen, es war Lewandowski und nicht die Action Directe. Wir fragen uns bloß, weshalb die deutsche RAF nicht aufgeheult hat, als man den französischen Revolutionsbrüdern einen falschen Bekennerbrief aufhalste.«

»Es gab nichts aufzuheulen, weil es teuflisch gut abgestimmt war. Zunächst waren die RAF-Leute vollkommen verwirrt und fragten die Franzosen, ob sie es wirklich gewesen seien. Die sagten nein, aber es könne irgendeine neue Splittergruppe gewesen sein. Als man auch das ausschließen konnte, war es für jede Reaktion zu spät. Lewandowskis Meisterwerk. Sie waren also in Ihrem Garten Zeugen, wie Reimer und Strahl einen Menschen erschossen?«

»Ja.«

»Dann kennen Sie ja ihre recht brutale Arbeitsweise.«

»Wir wissen nicht, wie es weitergehen kann«, murmelte die Baronin. »Ich habe Angst, dass jemand den Baumeister erschießt.«

Rasputin wurde fröhlich. »Machen Sie sich keine Sorgen. Heute morgen gegen vier Uhr betrat ein hoher Beamter sein Dienstzimmer im Innenministerium. Er telefonierte. Kurz darauf verließen Strahl und Reimer ihre Zweitwohnungen in Bad Godesberg. Sie wurden in Köln-Wahn in einen zivilen Mietjet geladen und landeten heute Morgen, acht Uhr sechzehn, auf der schönen Insel Ibiza. Dort besitzt der Verfassungsschutz ein Haus, die Casa San Matteo im Inselinnern. Dort ruhen sich Leute aus, denen das Klima nicht bekam. Mit anderen Worten: Reimer und Strahl wurden aus dem Verkehr gezogen.«

»Ende der Geschichte?«, fragte die Baronin hoffnungsvoll.

»Man wird sie sechs oder zwölf Monate schlafen lassen. Freuen Sie sich nicht darüber?« Seine dunklen Augen wurden ganz schmal.

»Doch«, murmelte ich. »Aber Sie teilen uns das nur mit, weil Sie etwas vorhaben, nicht wahr?«

»Sie sind ein kluger Mann. Haben Sie Lust auf ein Interview?«

»Die kommen mit Maschinengewehren und Handgranaten«, sagte die Baronin entrüstet.

»Ja, ja«, erwiderte er bekümmert. »Das ist durchaus möglich.«

»Lassen Sie die Katze aus dem Sack«, sagte ich.

Er zündete sich wieder eine Zigarette an. »Wenn Sie Reimer und der Frau sagen, dass Lawruschka Ljubomudrow in Bonn ist, werden sie wohl mit Ihnen sprechen. Ohne Maschinengewehre. Können Sie sich den Namen merken? Lawruschka Ljubomudrow.«

»Ich schreibe es auf«, sagte die Baronin. »Und wieso werden sie dann mit uns reden?«

»Weil sie annehmen müssen, dass Sie mit diesem Menschen zusammengetroffen sind. Lawruschka Ljubomudrow ist der einzige Mensch auf der Welt, der die ganze Geschichte der Lewandowski-Truppe erzählen kann. Reimer und Strahl wissen das.«

»Und wo ist dieser … dieser Mensch jetzt?«

»Irgendwo in Ostsibirien«, sagte er. »Aber wahrscheinlich kommt er her.«

»Reimer wird sichergehen wollen. Er wird uns fragen, wie dieser Mensch aussieht.«

»Glauben Sie mir, es reicht, wenn Sie den Namen wissen. Morgen früh bekommen Sie Post von mir. Es war mir eine Ehre!« Er stand auf. In der Tür blieb er noch einmal stehen. Sein Gesicht war sehr ernst. »Können wir uns aufeinander verlassen? Bis jetzt haben Sie mich nie gesehen und nie von mir gehört.« Dann war er verschwunden.

 

12. Kapitel

 

Die Baronin stand in der Mitte des Zimmers und stemmte theatralisch die Hände in die Hüften. »Baumeister, der Kerl benutzt uns!«

»Das mag sein. Jetzt lass uns schlafen.«

»Aber er benutzt uns zu irgendetwas, und ich weiß nicht, zu was.« Sie war erregt.

»Außerdem hättest du ihm als Warnung sagen können, dass du bei Frau Schmitz-Feller warst.«

»Das ist keine Warnung für ihn. Wir werden mehr wissen, wenn wir Reimer und Strahl getroffen haben.«

»Willst du wirklich nach Ibiza?«

»Gibt es irgendeinen Grund, nicht hinzufahren?«

»Leider nein. Und wann?«

»So schnell wie möglich, doch zuerst müssen wir morgen früh Beck aufsuchen.«

»Was wird der wollen?«

»Ich weiß es nicht. Sei nicht so nervös. Gib mir bitte eine Schmerztablette.«

»Du lieber Himmel, ich muss den Verband wechseln. Das habe ich vollkommen vergessen, Baumeister. Hast du schlimme Schmerzen?«

»Nicht sehr. Wechsel den Verband, aber gib mir vorher zwei Pillen. Wir müssen auch noch das Gespräch mit Rasputin diktieren.«

»Jetzt in der Nacht?«

»Nein. Morgen früh, ehe wir zu Beck gehen.«

Die Wunde hatte sich nicht entzündet. Die Baronin tupfte mit einem nassen Handtuch auf ihr herum und stöhnte mehr als ich. Mit einiger Mühe brachte sie einen Verband zustande, der halbwegs hielt.

»Jetzt bist du ein perfekter Held.«

»Ich war immer schon perfekt, du hast es nur nicht bemerkt.«

Sie zog sich aus, hing sich einen Morgenrock um und verließ das Zimmer. Als sie zurückkam, sah sie wie ein sehr junges Mädchen aus, summte vor sich hin, kämmte ihr Haar und beachtete mich nicht. Sie erregte mich, und ich spielte mit der Idee, meine Verletzung zu vergessen. Aber dann bekam ich Angst vor meiner eigenen Courage und entschied mich für den erholsamen Schlaf.

Als ich erwachte, hatte ich starke Schmerzen und wusste nicht sofort, wo ich war. Es war acht Uhr, und die Baronin war nicht da. Ich nahm zwei Schmerztabletten und diktierte den Bericht über Rasputin. Als ich fertig war, kam die Baronin mit einem Frühstückstablett. »Anna Guttmann geht es schlecht. Sie hat sich heute Nacht mutterseelenallein betrunken.«

»Das sollte nicht zur Gewohnheit werden.«

»Glaubst du, dass wir auf Ibiza ein paar Stunden zum Ausruhen haben werden? Palmen und so.«

»Ich dachte, es sei besser, allein zu fahren.«

»Warum?«

»Weil es gefährlich werden kann.«

»Und wenn es gefährlich wird, bleiben Frauen draußen, nicht wahr?«

»So ähnlich.«

»Nein, Baumeister, ich werde mitfahren.«

Ich blickte sie vielsagend an. Sie würde mich herumkriegen, daher lächelte sie triumphierend. »Warst du schon auf Ibiza?«, fragte sie.

»Ich habe mal auf einer Luxusyacht ein Interview mit einem reichen jungen Mann gemacht. Er nannte seinen Masseur, der ihn unentwegt streichelte, Schätzchen, und später redete er mich auch so an. Er fraß Valium und fuhrwerkte zuweilen mit einem goldenen Löffelchen in einer Zuckerdose herum, in der Kokain war. Es war zum Kotzen.«

»Also kennst du die Insel.«

»Nein. Ich bin vom Flughafen sofort zur Yacht gefahren. Das Übliche eben.«

»Wann fahren wir?«

»Nach der Besprechung mit Beck.«

Später kam Anna Guttmann. Ihr Gesicht war aschfahl. Sie gab mir einen Umschlag und sagte: »Das brachte ein Bote. Habt ihr Aspirin?«

Der Umschlag war ein handelsüblicher brauner DIN-A4-Umschlag. Er enthielt das Material von Rasputin sowie einen verschlossenen weißen Briefumschlag, in dem zweitausend amerikanische Dollar und eine kurze Notiz steckten. »Mütterchen Rußland wünscht Ihnen einen erholsamen Bildungsurlaub. Herzlichst Pjetr.«

»Das nehmen wir aber nicht an«, sagte die Baronin resolut.

»Du kannst dir diese kleinliche Anständigkeit vielleicht leisten. Das Geld stinkt nicht, sieht echt aus, und also nehme ich es.«

Nach einem ausgedehnten Frühstück suchten wir Beck auf. Zum Glück war er allein und hatte nicht wieder irgendwelche Schießbudenfiguren um sich herum aufgebaut. Er lächelte aufgeräumt und sah uns an, als könne er sich im ersten Moment nicht mehr an uns erinnern.

»Nehmen Sie bitte Platz!«, sagte er förmlich. »Es wird nicht lange dauern.«

Wir rutschten also mit den Stühlen an seinen Schreibtisch heran und sahen ihn aufmerksam an.

Er verschränkte die Arme und sah uns eindringlich an, fast wie ein Politiker, der geradewegs mit Staatsmannmiene in die Kamera blickt. »Der Fall Guttmann/Metzger ist abgeschlossen.«

»Und wer hat Lewandowski umgebracht?«, fragte die Baronin.

»Sagen wir so: Wir wissen, wer es war, und wir werden zugreifen, wenn sich eine Gelegenheit bietet.«

Ich lachte etwas dümmlich. »Also hat Moskau einen Killer geschickt?«

»Ja, so etwas gibt es tatsächlich.«

»Wird der Fall eine stille Beerdigung bekommen?«, fragte die Baronin.

Er runzelte die Stirn, begriff dann und antwortete: »Ja, die eigentlich Schuldigen sind tot. Der Fall wird in der Bundesrepublik niemals vor ein Gericht kommen.«

Ich sagte gemütlich: »Es war also ein Spionagering, der sich zuerst selbst liquidierte und der dann von Moskau stillgelegt wurde?«

»Ja. Ich mache Sie noch einmal darauf aufmerksam, dass Sie keine Erlaubnis haben, darüber zu schreiben.«

»Wir werden schweigen«, versicherte die Baronin.

»Und wie komme ich an meine Bildarchive und meine Schreibmaschinen? Ihre Männer haben das alles kassiert.«

»Das musste ich im Zuge der Ermittlungen anordnen. Es wird Ihnen zugestellt.«

»Haben Sie auch die Leiche aus meinem Garten weggeräumt?«

»Selbstverständlich. Wie haben Sie von der Sache erfahren?«

»Was ist denn da eigentlich passiert?«, fragte die Baronin wie beiläufig.

Beck starrte auf die Tischplatte. »Es war ein Unfall. Ein Schuss löste sich, der Mann war sofort tot.«

Die Baronin begann mädchenhaft zu kichern, aber ich warf ihr einen strengen Blick zu. »Ich habe nur noch eine Frage: Wer hat Sie von dem Fall abgezogen?« Jetzt hatte ich ihn in der Falle.

Seine Augen verengten sich. »Die Frage verstehe ich nicht. Unsere Ermittlungen sind abgeschlossen.«

»Ja, ja, ich verstehe schon. Aber wer hat Ihnen denn befohlen, die Akte zu schließen?«

»Wer soll mir denn das befehlen?« Aufgeregt nestelte er an seiner Krawatte.

»Das genau frage ich Sie.«

Er musterte uns, und auf seinen Wangen bildeten sich hellrote Flecken.

»Herr Beck«, sagte die Baronin sachlich. »Zwei Ihrer Leute wurden angeschossen, ein Dritter erschossen. Das alles ist erst ein paar Stunden her, und Sie wollen uns den Bären aufbinden, der Fall sei erledigt. Es ist ganz offensichtlich, Herr Beck, dass Sie nicht einmal wissen, wer in diesem Fall auf welcher Seite stand.«

»Er weiß wirklich nichts«, sagte ich und stand auf. Nach einem freundlichen Gruß verließen wir das Zimmer. Beck sah uns entgeistert nach. Er war wirklich so dumm, wie er aussah.

Wir ließen uns zu Anna Guttmann fahren, luden unser Gepäck in den Wagen und machten uns auf den Weg in die Eifel. Danach gaben wir am Flughafen den Leihwagen ab. Wir beschlossen, mit unserem Wagen nach Ibiza zu fahren, weil wir damit für etwaige Beobachter oder Verfolger schwerer auszurechnen waren. Bis Straßburg saß die Baronin am Steuer. Ich nahm Rasputins Dossier vor.

»Fangen wir mit Rasputins Bemerkungen zu Lewandowski an. Die erscheinen mir besonders wichtig.

Zu Lewandowski:

Liebe Freunde, eine Bemerkung vorweg: Es ist Nacht, und ich habe nicht genügend Material bei mir, um alles auf seine Richtigkeit zu prüfen. Ich schreibe Ihnen auf, was ich im Kopf habe, und wenn es Ihnen zuweilen nicht wohlgeordnet erscheint, so denke ich doch, dass Sie sich ein genaues Bild machen können. Viel Spaß, Pjotr.

Nun also zu Lewandowski: Hermann Josef Schmitz, alias Dr. Joachim Steiner, alias Breuer, alias Alfred Lewandowski etc. Wir haben seit 1976 festgestellt, dass er über mindestens acht weitere falsche Identitäten verfügt, alle ausgestattet mit Reisepass und Personalausweis sowie einer kompletten Legende. Geboren wahrscheinlich 1942 in Leverkusen. Die Stadt verfügt über keinerlei Unterlagen mehr, da sie, seit Lewandowski als Henker arbeitete, aus allen Archivierungen entfernt worden sind. (Das gilt im Übrigen auch für Reimer und Strahl!). Diente im Alter von achtzehn Jahren nach Realschulabschluss als Funker bei der Bundeswehr. Dann zur Kriminalpolizei nach Düsseldorf. Dort die Ressorts Betrug, Fahndung, Mord. Wird nach unseren Erkenntnissen 1965 nach Dortmund versetzt. Dort im 14. K. (politische Polizei). Fällt unangenehm auf durch brutales Verhalten gegenüber Festgenommenen. Merkwürdiger Selbstmord seiner Verlobten, Angelika Würzner, damals sechsundzwanzig Jahre. Die Frau legte sich in eine mit Wasser gefüllte Badewanne und legte offene Strompole ein. Ein Gerichtsmediziner kommt zu dem Schluss, dass die Frau bereits tot war, ehe sie ins Wasser geriet. Keine Verhandlung. Lewandowski wird in das Schulungszentrum des Verfassungsschutzes nach Köln versetzt. Zunächst Fahndungsabteilung, dann >scharfer Mann< bei der Schulung des Nachwuchses. Vertritt privat die These, dass bei >Staatsfeinden< grundsätzlich Eliminierung überlegt werden sollte. Ab 1970 in Köln nicht mehr feststellbar. 1977 wird ein Mann getötet, der über seine Arbeit in einem Atomkraftwerk Aussagen machen wollte. Zeugen weisen auf Lewandowski als Täter hin. Von diesem Zeitpunkt an ist der Genannte in Bonn feststellbar, allerdings ohne erkennbare Anbindung an irgendein Amt. Seine Funktion als Henker bestätigt sich gegen Ende 1978. Schriftliche Unterlagen existieren nicht, Auftraggeber sind nicht feststellbar. Verdeckter Einbruch in seine private Wohnung in der Joachimstraße in Bad Godesberg fördert nichts zutage. Das ist der Text zu Lewandowski. Ist irgendetwas unklar?«

»Nein«, sagte sie. »Ich möchte bloß wissen, wer Lewandowski zum Henker gemacht hat.«

»Jetzt zu Georg Reimer: Alias Gig Reimer, alias Wolf von Krakau, alias Kühn von Kühningen etc. Vorhanden und nachgewiesen sechs weitere Identitäten samt Pässen und kompletten Legenden. Tatsächlicher Name dokumentarisch nicht belegbar, aber wahrscheinlich als Kurt Meier im Jahr 1960 in Donaueschingen als Sohn einer nichtverheirateten Lehrerin namens Ruth Meier geboren. Besonderes über Ruth Meier nicht bekannt. 1977 ist feststellbar, dass der Genannte wegen Folterung einer Sechzehnjährigen zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt wird. Er sitzt einen Teil dieser Strafe in einem Gutshof für straffällig gewordene Jugendliche in der Nähe von Werl ab und verschwindet dann im August 1978 spurlos. Im Februar 1980 taucht er an der Seite Lewandowskis auf (Fotos und Unterlagen Zentralarchiv KGB). Das ist alles in Bezug auf Reimer. Noch Fragen?«

»Keine. Mach weiter. Ich bin neugierig auf die Frau.«

zu Ellen Strahl, alias Ellen Werkmann, alias Ellen Vogt, alias Berte Glashammer, insgesamt neun weitere Decknamen bekannt. Geboren als Babette Nagler am 22. März 1961 in Frankfurt/Main (Unterlagen Zentralarchiv KGB). Vater unbekannt, Mutter die Prostituierte Gabriele Heim. Der Name Nagler wurde laut Unterlagen dem Kinderheim zugestanden, in dem das Kind untergebracht worden war. Die Mutter besuchte das Kind nur etwa zwei Jahre lang, dann riss die Verbindung. Mit vierzehn wurde die Genannte in die Lehre zu einem Landwirt in der Nähe von Königstein im Taunus gegeben. Laut Jugendamt wurde sie schwanger (von dem Landwirt!). Abtreibung mit Genehmigung. Kommt in ein katholisches Schwesternheim in der Nähe von Bad Soden. Erneute Schwangerschaft. Nach Lage der Akten ist der Vater ein katholischer Seelsorger. Schwangerschaftsabbruch mit Genehmigung. Als die Genannte achtzehn wird, ist sie bereits sechsmal aus dem Heim geflohen, aber immer wieder aufgegriffen worden. Dann arbeitet sie als Kellnerin in Wiesbaden, lässt sich in einem Sportverein in Karate ausbilden. Zweimal Haftstrafen wegen Schlägereien mit Männern. Nach Wiesbaden wird sie in Amsterdam festgestellt, dann Angestellte in einem Massagesalon in Düsseldorf, dann Callgirl in Köln. Sechs Wochen Gefängnis vom Amtsgericht Köln. Sie hat einen Lokalpolitiker dazu gezwungen, nackt auf allen vieren einen langen Korridor entlangzukriechen. Ab Jahresbeginn 1983 nicht mehr feststellbar. Taucht zusammen mit Reimer und Lewandowski im Fall Neumann in München wieder auf. (Siehe Zentralarchiv KGB.) Soweit der Text zu der Frau.«

»Sie hat wirklich Grund, die Menschheit zu hassen«, murmelte die Baronin.

»Und was kommt jetzt?«

»Jetzt kommt die Arbeitsweise der Gruppe: Wichtig ist zunächst: Die Gruppe kennt keine Arbeitsteilung. Es wäre also falsch, anzunehmen, die Strahl sei zur Auskundschaftung der Umgebung eines Opfers unterwegs, während Reimer sich um die Eigenarten des Opfers und Lewandowski um die Tat selbst kümmert. Im Gegenteil können alle drei sämtliche Arbeiten allein erledigen. Deshalb ist die Dokumentation der einzelnen Fälle, für die sie verantwortlich zeichnen, immer noch lückenhaft. Erschwerend kam für uns hinzu, dass die Gruppe mit einem transportablen Computer in sämtliche geheime Programme Bonns einsteigen kann, was letztlich bedeutet, dass sie keine schriftlichen Unterlagen brauchten.

Wir haben nicht mit letzter Sicherheit feststellen können, wer die Gruppe steuert. Noch schwieriger war es, festzustellen, auf welche Weise die Gruppe ihre Zielpersonen genannt bekommt. Unsere Experten vermuten inzwischen zwei Wege: Zum einen kann man der Gruppe über Computer eine Zielperson nennen - ein Verfahren, das besonders sicher ist, wenn die Mitteilung codiert wird. Zum zweiten kann die Mitteilung, eine Person zu töten, sich aus einer ganzen Serie scheinbar belangloser Telefonate zusammensetzen, in deren Wortlaut bestimmte Nachrichten eincodiert werden können …«

»Das verstehe ich nicht«, bemerkte die Baronin und sah mich an. »Was bedeutet Codierung?«

»Also, eine Codierung kann so erfolgen: Lewandowski, Reimer und Strahl hatten das gemeinsame Haus am Müllenkamp, sie hatten aber auch offensichtlich eigene Wohnungen. Der Anruf kommt. Der Mann, der anruft, sagt nun nicht: Bringt mal diesen Abgeordneten um, sondern er sagt zum Beispiel: Stell dir vor, ich habe heute sechsundfünfzig rote Rosen bekommen! Rote Rosen heißt SPD. Sechsundfünfzig heißt, dass es um den Abgeordneten Nummer sechsundfünfzig einer speziellen Liste geht. Beim zweiten Anruf sagt der Auftraggeber: In vierzehn Tagen habe ich Urlaub. Das bedeutet, dass die Nummer sechsundfünfzig auf der Liste der SPD in vierzehn Tagen getötet werden soll. Der dritte Anruf besagt dann, auf welche Weise er zu töten ist, also scheinbarer Herztod oder Unfall oder so etwas. Klar?«

»Ziemlich perfekte Methode.«

»Also weiter in Rasputins Bericht. Der Geldfluss vermittelt erhebliche Einsichten in das private Gebaren einer Person. Wir wollten also wissen, wer die Gruppe bezahlt und wie die Mitglieder der Gruppe ihr Geld ausgeben. Dazu ist die Peststellung wichtig, dass die Gruppe im Jahre 1980 eine Firma gründete. Sie nannten sich Lions Detektei. Unsere Bemühungen, als vermeintliche Kunden zu ihnen zu kommen, schlugen fehl. Sie sagten, sie seien ausgebucht. Offiziell ist die Firma im Godesberger Müllenkamp gemeldet. Das Haus wurde mit einer Barüberweisung in Höhe von vierhundertdreizehntausend Mark von der Städtischen Sparkasse Bonn auf die Godesberger Sparkasse bezahlt.

Es existiert ein Firmenkonto, von dem die obligaten Rechnungen für Strom, Wasser, Müllabfuhr etc. abgebucht werden. Dieses Konto liegt ständig im Haben von rund zweihunderttausend Mark. Jeder abgehobene Betrag wird innerhalb von vierundzwanzig Stunden irgendwo in der Bundesrepublik wieder eingezahlt. Keiner der Gruppe benutzt Schecks oder Scheckkarten, sie bezahlen grundsätzlich alles bar. Lange war nicht auszumachen, wer sie bezahlt. Private Konten waren nicht feststellbar. Inzwischen sind wir sicher, dass derartige Konten in der Schweiz existieren, denn die Lebensversicherung der Strahl wird von einem Schweizer Konto bedient, ebenso die Unfall- und Autoversicherung des Reimer. Letztlich gelang uns der Beweis der finanziellen Anbindung an die Bundesrepublik Deutschland: Die privaten Schweizer Konten werden alle zwei Monate regelmäßig von einer in Liechtenstein registrierten Firma namens >All Computer GmbH und Co KG< versorgt. Die Firma ist zu hundert Prozent im Besitz des Freistaates Bayern und wird ihrerseits zu sechsundvierzig Prozent aus einem Etat des Finanzministeriums bedient, und zwar aus einem der VEBA zuzuordnenden Konto. Demnach verdient Lewandowski achttausendsechshundert DM, Reimer und Strahl sechstausendsiebenhundertachtzig DM netto. Abbuchungen von diesen Konten zur Begleichung privater Rechnungen waren nicht feststellbar.

Zu den Freizeitaktivitäten der drei: Wir haben nicht feststellen können, dass sie getrennt oder gemeinsam Urlaub machen. Sexuell sind alle drei abnorm veranlagt. Lewandowski verkehrt nur mit Prostituierten. Er ist der klassische Typ des Masochisten, der es liebt, Frauen auszupeitschen. Reimer ist das genaue Gegenteil von Lewandowski. Er liebt es, bestraft zu werden. Die Huren, zu denen er geht, sind stets etliche Jahre älter als er. Die Strahl ist lesbisch. Sie liebt es romantisch, zieht Zärtlichkeiten bei Kerzenschein anderen, eindeutigeren sexuellen Praktiken vor.

Alle drei haben keine ständigen Freunde.

Alle drei spielen (meisterschaftsreif) Tischtennis, wahrscheinlich, um schnelle Reflexe zu trainieren. Sie treffen sich zweimal in der Woche zum Selbstverteidigungstraining. Alle drei beherrschen perfekt sämtliche Arten, einen Menschen blitzschnell und mit bloßer Hand zu töten. Das ist alles, was Rasputin zur Gruppe schrieb.«

»Warum hat Pjotr nicht an einem Beispiel geschildert, wie die Gruppe genau vorgeht?«

»Das kommt jetzt unter der Überschrift: Tötungsbeispiel: Unsere Untersuchungsgruppe leuchtete den finanziellen Hintergrund der Gruppe aus, als wir die Möglichkeit bekamen, einem Tötungsvorgang beizuwohnen, ihn sogar zu filmen. (Siehe Zentralarchiv des KGB.)

Am 28. Februar verließ zunächst Lewandowski das Haus am Godesberger Müllenkamp und reiste per Bundesbahn über Frankfurt, Memmingen, Kaufbeuren nach Ravensburg. Zwei Tage später folgte Reimer, der ein Auto benutzte und sehr langsam in vier Tagen über Landstraßen nach Ravensburg fuhr. Weitere drei Tage später folgte Ellen Strahl mit der Bundesbahn über Frankfurt, Tübingen, Freiburg. Sie lebten im gleichen Hotel in Ravensburg, verkehrten aber nur nachts über Sprechfunk miteinander. Lewandowski gab sich als Kaufmann aus, Reimer als Computertechniker, die Strahl als Schmuckverkäuferin. Über Tage hinweg konnten wir nicht erkennen, auf wen sich ihr Interesse richtete. Dann wurde klar, dass ihre Zielperson ein bei einem Rüstungsbetrieb arbeitender Ingenieur namens A. war. (Siehe Zentralarchiv KGB.) A. war bereit, eine bestimmte elektronische Waffentechnik an eine Gruppe Japaner zu verkaufen. Mit Sicherheit ein drohender Verlust von vielen hundert Millionen Dollar - und ein unschätzbarer Schaden für die NATO!

Das Treffen mit den Japanern sollte in Zürich am 6. März stattfinden. In einem Cafe an der Bahnhofsstraße hatten die Japaner einen Konferenzraum angemietet. Die Straße ist eine internationale Einkaufsstraße. Auf dem Weg dorthin kam die Gruppe dem Ingenieur entgegen: Reimer rempelte A. gezielt an, sodass der Ingenieur in Lewandowski hineinstolperte. Lewandowski packte A. scheinbar hilfsbereit am Arm, doch nur, um A. in die Strahl hineinzuschleudern. Strahl brach A. mit einem verdeckten Schlag das Genick und ließ ihn dann auf den Gehsteig fallen. Der ganze Vorgang dauerte nicht einmal anderthalb Sekunden. Entscheidend sind zwei Dinge: Die Gruppe flüchtete nicht vom Tatort, sie schaute zu. Und sie hatte plötzlich die Aktentasche in Besitz, die der Ingenieur mitgebracht hatte. Diese Aktentasche konnten wir in einem sehr komplizierten Vorgang mit einer unsichtbaren Flüssigkeit versetzen, die auf einem bestimmten, imprägnierten Schwarzweißfilm Helligkeitsreflexe hinterlässt. So konnten wir beweisen, dass vier Tage nach diesem Vorfall in Zürich ein Aufsichtsratsmitglied der Rüstungsfirma mit dieser Aktentasche das Verteidigungsministerium in Bonn verließ.«

»Das ist ja mörderisch. Willst du die beiden immer noch treffen?«

»Pjotr weiß genau, was er sagt, er wird uns nicht in den Tod schicken.«

»Lass uns eine Pause machen. Wir fotografieren die Unterlagen und schicken den Film ab. Der Anwalt wird sich wundern.«

Wir steuerten also einen Rastplatz an, ehe ich weiterfuhr und sie immer und immer wieder die Dokumente zitierte, bis wir sie auswendig kannten.

»Lieber Himmel«, sagte sie beim dritten Tanken, »diese Namen klingen alle nach Urlaub, und ausgerechnet wir müssen Henker treffen. Lyon, Valencia, Montelimar, Orange, Nimes, Perpignan. Wenn du jetzt links abbiegst, fahren wir geradewegs auf Monaco zu.«

»Wir fahren nach Valencia. Da ruhen wir uns ein wenig aus, bevor wir uns auf die Suche nach Reimer und Strahl machen.«

Die Baronin lächelte. Sie kurbelte das Fenster herunter und sang »Kann denn Liebe Sünde sein?«, wobei sie mir Handküsse zuwarf.

Am Fährhafen von Valencia gibt es ein kleines Hotel, das einfach Hotel heißt. Dem Schild nach zu urteilen heißt der Besitzer Gaetano, in Wahrheit ist es eine Frau und heißt Maybelle. Sie ist unglaublich dick und stammt aus Hamburgs Herbertstraße.

Als sie mich sah, kam sie herangerollt, um mich mit ihren Massen zu erdrücken. Sie machte uns ein fürstliches Essen und quartierte uns in ihrer Kardinalssuite ein. Sie hatte den Raum so genannt, weil die Sage ging, dort habe ein hoher katholischer Kirchenfürst die Nutten des Ortes zu fröhlichem Spiel empfangen, um ihnen anschließend die Beichte abzunehmen.

Wir waren todmüde, die Baronin ging nicht einmal mehr unter die Dusche, ich putzte mir die Zähne nicht. Am nächsten Morgen nahmen wir die erste Fähre nach San Antonio auf Ibiza.

 

13. Kapitel

 

Die Sonne stand wie ein greller glühender Feuerball am Himmel. Es war ungeheuer heiß. Wir hockten auf dem Vordeck in Stühlen, hatten die Augen geschlossen und gaben uns der Täuschung hin, einen Ferientag zu haben.

»Erinnerst du dich an den Mann, von dem wir grüßen sollen?«, fragte sie. »Ich habe es auswendig gelernt. Lawruschka Ljubomudrow.« Wenig später murmelte sie schläfrig. »Spendierst du mir eine Sonnenbrille, eine Sonnencreme, diesen und jenen Tanga, neuen Nagellack und solche Dinge?«

»Ich werde mit meiner Bank verhandeln.« Dann rutschte sie mit ihrem Stuhl zu mir heran, legte ihren Kopf an meine Schulter und flüsterte: »Warum schlafen wir nicht miteinander?«

»Ich habe keine Zeit.«

»Du denkst ständig an unseren Fall, nicht wahr?«

»Ja, ich muss dauernd an Metzger denken, der wahrscheinlich den furchtbaren Fehler beging, Reimer für bestechlich zu halten.«

»Wie kommst du darauf?«

»Metzger pumpt sich zehntausend Mark für seine Recherchen. Das letzte Telefonat seines Lebens führt er wahrscheinlich mit Reimer, weil er ihn treffen will, um ihm für zehntausend Mark Informationen über die Henker abzukaufen. Und zur Warnung sagt er, er hoffe nicht, dass alles nur ein Gag vom Gig sei. Er geht und übergibt das Geld und wird umgebracht. Anders passt es nicht zusammen.«

Wir mieteten einen Fiat 127 von unansehnlicher brauner Farbe und fragten den Mann bei AVIS, ob er zufällig wisse, wo die Casa San Matteo liege.

»Wir suchen auch ein kleines hübsches Hotel«, sagte die Baronin freudig und hakte sich bei mir ein.

Der AVIS-Mann telefonierte einmal und erklärte dann, wir sollten uns nach einem gewissen Geoffrey durchfragen. »Ein verrückter Engländer. Wenn er Leute trifft, die Blumen ausreißen, verprügelt er sie. Er hat zwei Doppelzimmer in seinem Haus, vermietet sie aber nur, wenn er Lust hat. Er will Sie ansehen und dann entscheiden.«

»Toll!«, sagte die Baronin. Dann ging sie eine Sonnenbrille und diverse Badeanzüge kaufen, während ich mich auf die Suche nach Murrays Erinmore und Mac Barens Plumcake machte. Als wir uns wiedertrafen, hatten wir eine Menge Geld ausgegeben. Die Baronin gab zu, dass die zweitausend Dollar der Russen ein feines Taschengeld seien und dass sie nie wieder Geld aus dem Kreml ablehnen würde.

Geoffreys Haus erwies sich als ein uralter Bauernhof im Westen Santa Eulalias; drei schneeweiße kleine Gebäude in einem Eichenhain. Geoffrey war ein kleiner, sehr dicker Mann Anfang sechzig. Er trug einen rostroten Wollkittel über einer grünen Cordhose. Eine schlohweiße Mähne umstand ein stilles, aufmerksames Gesicht mit hellblauen Augen. Er stand in der Tür seines Hauses und beobachtete uns schweigend.

Dann bemerkte ich die Tiere in einer Umzäunung und sagte begeistert: »Javaziegen, mein Gott, Javaziegen!«

Geoffrey freute sich. Er nickte und sagte in fehlerfreiem Deutsch: »Ihr Zimmer liegt im Hauptgebäude. Woher kennen Sie Javaziegen?«

»Von einer Reise. Ich weiß nur, dass ihr Fell sehr schön und weich ist. Woher haben Sie die Tiere?«

»Aus Java mitgebracht. Das ist die Brut vom dritten Pärchen.«

»Und die Felle?«

»Werden zu Mänteln. In Spiel mir das Lied vom Tod hätte einer der Killer beinahe so einen Mantel getragen. Dann wäre ich heute Pelzdesigner.« Er grinste.

»Wieso sprechen Sie so gut Deutsch?«, fragte die Baronin.

»Ich habe euch fünfundvierzig erobert«, sagte er und nahm unser Gepäck. Er führte uns in ein Zimmer im ersten Stock, das nichts enthielt außer einem breiten Bett, einem Tisch, zwei Stühlen und einem Kleiderschrank - das alles in uralter Eiche.

Geoffrey bemerkte schnaufend: »Fragen Sie mich nicht, ob Sie die Möbel kaufen können. Können Sie nicht.«

Ich ging mit ihm hinunter, bezahlte eine Woche mit dem Geld der Russen und fragte: »Wo liegt die Casa San Matteo?«

Er grunzte, als habe ich eine unanständige Frage gestellt. »Gehören Sie auch zu diesen Leuten?«

»Nein, aber ich muss mit ihnen sprechen. Was ist San Matteo?«

Er sah aus dem Fenster. »Die Casa San Matteo ist ein Erholungsheim westdeutscher Behörden. Geheimdienst. Wir haben diese Leute nicht gern. Sie sind arrogant und großkotzig. Eigene Bars, eigene Ärzte, sogar eigene Mädchen. Die Leute kommen auf dem Flughafen an und werden in einem schwarzen Mercedes nach San Matteo gebracht.«

»Wir sind nicht vom Geheimdienst.«

»Kommen Sie, ich zeige es Ihnen auf der Karte. Südwestlich von hier im recht unzugänglichen Gebiet liegen vier neue Häuser, die mit Signaldraht eingezäunt sind. Sind Sie von der Presse?«

»Ja.«

»Nehmen Sie sich in Acht.« Er nickte mir zu und verschwand in einen Nebenraum. Ich hörte, wie er mit Gläsern hantierte.

Die Baronin kam herunter. »Baumeister, stell dir das vor. In den Betten liegen echte Daunendecken!« Geoffrey brachte uns Anisschnaps. »Den mache ich selber.«

»Mir einen Doppelten, weil Baumeister nichts trinkt.«

Während die Baronin und der verschrobene Engländer dem Schnaps zusprachen und sich offenbar näherkamen, hockte ich mich in sein winziges Büro und gab der Vermittlung die Nummer der Bonner Sowjetbotschaft durch. Als eine Frau sich meldete, sagte ich forsch: »Ich hätte gern Rasputin gesprochen.« Im gleichen Atemzug verbesserte ich mich: »Piotr, meine ich.«

»Schon gut«, sagte sie lachend. Es klickte, und dann rief der Russe erfreut: »Es ist wirklich eine gute Idee, dass Sie sich melden. Wo stecken Sie?«

»Auf Ibiza. Notieren Sie die Nummer? Ist irgendetwas passiert?«

»Ich weiß es nicht. Aber das ist nichts Besonderes, denn ich weiß nie etwas.« Er lachte schallend.

»Was wird denn geschehen, wenn wir Reimer und die Strahl von Lawruschka Ljubomudrow grüßen?«

»Es wird mit Sicherheit ihre Bereitschaft erhöhen, mit Ihnen zu sprechen.«

»Kann ich Sie auch nachts anrufen, wenn die Situation hier brenzlig wird?«

»Natürlich, ich habe ein Telefon am Bett. Erwarten Sie Ärger?«

»Nein, eher eine Nominierung für den Friedensnobelpreis.« Er lachte und hängte ein.

Wir aßen mit Geoffrey in der ehemaligen Tenne des Hauses. Er war ein stiller, unaufdringlicher Typ mit einem Hang zur Melancholie. Doch wenn er sich aufregte, etwa über die Arroganz der Touristen oder darüber, dass die Menschen die Erde zerstörten, bekam sein Gesicht rote Hecken. Mit stiller Heiterkeit stellten wir fest, dass er seinen Zorn mit seinem selbstgemachten Schnaps bekämpfte, wovon er unglaubliche Mengen trank. Aber er wurde nicht betrunken.

Es war zwei Uhr nachts, als das Telefon schellte, und Geoffrey mit finsterem Blick meinte: »Ein Besoffener. Das Beste ist, gar nicht reagieren.«

»Vielleicht ist es für mich«, sagte ich und ging in das kleine Büro. »Casa Geoffrey.«

Eine Frau sagte irgendetwas auf Spanisch, dann knackte es, und Pjotr meldete sich: »Senior Baumeister, por favor. Schnell!«

»Ich bin am Apparat.«

»Hören Sie zu, ich habe nicht viel Zeit. In der Liste der sechzehn ist ein Pole verzeichnet. Unwichtig, was und warum er starb. Dieser Mann aus Polen hatte einen Freund. Dieser Freund ist hier an der polnischen Botschaft stationiert und hat gestern morgen Bonn mit einem Flugzeug verlassen.« Er räusperte sich. »Er ist jetzt auf Ibiza.«

»Was hat das zu bedeuten?«

»Der Pole spielt verrückt, er will Reimer und Strahl töten. Er weiß nur nicht, dass er keine Chance hat. Irgendwie wird er versuchen, auf das Gelände zu kommen.«

»Schafft er nicht. Das Gelände wird hermetisch abgeriegelt.«

»Sie müssen den Mann aufhalten.«

»Ich? Sind Sie verrückt?«

»Ich brauche jetzt Ihre Hilfe. Versuchen Sie es bitte.«

»Soll ich durch die Nacht rennen und brüllen: Lieber Pole, lass es sein! Ich kenne den Mann nicht, habe ihn nie gesehen.«

»Er ist lang und dürr wie eine Bohnenstange. Wir nennen ihn Jerzy.«

Schweigen. Einen Moment hörte ich nur das Knistern in der Leitung. Dann seufzte Pjotr. »Rufen Sie Reimer an«, sagte er dann matt. »Sagen Sie ihm, der Pole sei auf der Insel, um ihn und die Strahl zu töten.«

»Wissen Sie, in welchem Hotel der Pole abgestiegen ist?«

»Keine Ahnung. Er wird vor der Casa San Matteo auf der Lauer liegen.«

»Und was wird Reimer tun, wenn ich ihn warne?«

»Die Hausverwaltung wird die Polizei rufen. Rufen Sie Reimer an.«

»Soll ich ihm von Ihnen erzählen?«

»Das wäre eine Möglichkeit, schnell zu sterben«, sagte er unwillig und hängte ein.

Ich hielt noch nachdenklich den Hörer in der Hand, als die Baronin hereinkam und fragte, was los sei. Auch Geoffrey stand plötzlich in der Tür und sah mich an. Mit wenigen Worten erzählte ich ihnen von meinem ungewöhnlichen Auftrag.

»Wieso müssen Sie die Leute denn warnen? Warum halten Sie sich nicht raus?«

»Weil es Leute sind, mit denen wir sprechen müssen. Kann man das Gelände von irgendwo einsehen?«

»Nein, ich glaube nicht.«

»Dann rufe ich an und warne sie. Basta.«

Geoffrey lächelte säuerlich. »Sind Sie sicher, dass Ihr Anrufer Sie nicht irgendwie reinlegt?«

»Nein, ich glaube dem Anrufer. Der Pole wird irgendwo vor der Casa San Matteo sitzen und auf die Leute warten.«

»Dann lassen Sie ihn doch dort liegen.«

»Aber er ist verrückt, nimmt vielleicht eine Geisel oder läuft Amok.«

Er stierte vor sich auf den Tisch. »Vielleicht sollten wir uns ein Abenteuer gönnen. Ich schlage vor, Sie rufen diese Leute an, und wir sehen uns dieses Erholungsheim einmal aus der Nähe an.«

In der Casa San Matteo meldete sich eine mürrische Männerstimme, und ich sagte zackig: »Innenministerium. Ich brauche Reimer. Schnell bitte.«

»Reimer, jawohl. Wer ist dort, bitte?«

»Es eilt. Bitte beeilen Sie sich.«

»Jawohl!«

Es knackte, dann erklang eine fröhliche Stimme. »Reimer hier.«

»Baumeister am Apparat. Erinnern Sie sich?«

»Ja«, erwiderte er unfreundlich.

»Gehen Sie nicht aus dem Haus. Jerzy, der dürre Pole wartet draußen, um Sie zu erschießen. Ist das klar?« Ich hängte ein.

Geoffreys Wagen war ein mindestens fünfundzwanzig Jahre alter rostiger Rover. »Ich werde die Lichter nicht einschalten«, sagte er. »Abgesehen davon funktionieren sie sowieso nicht immer. Haben Sie eigentlich Erfahrungen mit diesen Leuten vom Geheimdienst?«

»Ein wenig, aber durchweg schlechte«, bemerkte die Baronin.

Die meiste Zeit aber schwiegen wir wieder. Geoffrey kaute an einer Zigarette. Irgendwie bedauerte ich es, ihn mit in diese Sache hineingezogen zu haben. »Wenn Sie wollen«, sagte ich, »dann steigen Sie aus und sagen mir nur, wie wir fahren müssen.«

»Sie würden es nicht finden«, sagte er lakonisch und spuckte seine Zigarette aus. »Dorthin liegen die Häuser.«

Er schaltete den Motor aus, und der schwere Rover rutschte lautlos über den Sandweg in eine Mulde hinein. Geoffrey zog die Handbremse an und grinste. »Kleiner Fußmarsch, bitte alles aussteigen.« Dann sprang er aus dem Wagen. Wir kletterten einen Hang hinauf und versteckten uns hinter Ginsterbüschen. Geoffrey reichte mir ein Fernglas. »Die Gebäude liegen rund zweihundert Meter voraus. Vom Tor führt eine schmale, asphaltierte Straße ins Gelände, ein paar Meter weiter links stehen ein paar Bäume. Wenn also Ihr polnischer Freund irgendwo wartet, dann dort.«

Angestrengt blickten wir zu dem Anwesen hinüber. Ich glaubte, eine Bewegung zwischen den Bäumen wahrzunehmen, aber vielleicht täuschte ich mich. Plötzlich packte Geoffrey mich am Arm. Das Tor ging auf, und zwei Schatten kamen heraus. Selbst auf diese Entfernung sahen sie bedrohlich aus. Die Baronin drängte sich neben mich. Mondlicht fiel auf ihr Gesicht. Sie sah ungeheuer schön aus. Die beiden Schatten gingen zu den Bäumen hinüber.

»Sollen wir den Polen warnen?«, flüsterte die Baronin.

»Nein, der Pole ist ein Profi, er wird sich zu wehren wissen.« Das stimmte natürlich nicht. Der Pole war durchgedreht, er war nur noch ein Verrückter.

»Die zwei kommen zurück«, flüsterte Geoffrey.

»Scheiße!«, sagte ich. Wenn sie den Polen erledigt hatten, war es unheimlich schnell gegangen.

»Was machen wir jetzt?«, fragte die Baronin aufgeregt.

»Wir sehen uns die Sache an«, sagte ich.

Wir folgten Geoffrey. Dafür, dass er ein dicker, kleiner Mann war, bewegte er sich recht geschickt. Wir fanden den Polen abseits der Straße zwischen den Bäumen. Er war tot. Eine Schusswunde war nicht zu sehen.

»Warum haben sie ihn liegen lassen?«, flüsterte die Baronin entsetzt.

»Weil niemand beweisen kann, dass sie es waren«, sagte Geoffrey und spuckte auf die Erde.

Mir war plötzlich übel. »Es ist meine Schuld«, sagte ich heiser. »Ich hätte sie nicht warnen sollen.«

»Das konntest du nicht wissen«, sagte die Baronin matt.

»Fotografier ihn, und dann hauen wir ab.«

»Kannst du dich neben ihn stellen?«, fragte die Baronin.

Ich kniete mich neben den dürren Polen, und sie fotografierte uns. Der Pole hatte die Augen offen. Er stierte in die Bäume über uns.

Geoffrey fuhr uns nach Hause. Er nahm seine Schnapsflasche, und zusammen mit der Baronin betrank er sich. Wir sprachen kein Wort. Die Baronin hatte rote Flecken im Gesicht. Manchmal kicherte sie, als habe sie sich bei einem unanständigen Gedanken ertappt. Geoffrey starrte nur grimmig vor sich hin. Irgendwann rannte die Baronin hinaus, um sich zu übergeben. Wir hörten sie oben in ihrem Zimmer heulen und mit ihren Fäusten gegen die Wand schlagen.

»Um was geht es eigentlich bei Ihrer Geschichte?«, fragte Geoffrey.

»Ich würde es Ihnen gerne erzählen, aber …«

»Wem soll ich erzählen? Meinen Ziegen?«

Also erzählte ich ihm unsere ganze Story. Als ich geendet hatte, war es Tag geworden. Die Baronin hatte sich nicht wieder blicken lassen. Wir hockten am Tisch und schwiegen, und ich hatte eine beinahe schmerzhafte Sehnsucht nach meinem stillen Haus in der Eifel.

»Das ist eine schlimme Geschichte«, sagte er. Er schlurfte in sein Büro und gab mir mein Geld zurück. »Sie waren meine Gäste. Und wenn Sie es je schreiben, schicken Sie es her. Ich war in drei Kriegen, ich habe gehofft, die Scheißzeiten sind vorbei.«

Ich nickte und steckte das Geld ein. Dann ging ich nach draußen und legte mich neben dem Ziegengatter unter einen alten Maulbeerbaum. Irgendwann weckte mich die Baronin. Sie war so bleich, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Sie hatte unsere Sachen gepackt und drängte zum Aufbruch. Ohne uns von Geoffrey zu verabschieden, der plötzlich verschwunden war, fuhren wir. Nachdem wir den Wagen bei AVIS abgegeben hatten, nahmen wir die nächste Fähre nach Valencia.

Die dicke Maybelle empfing uns mit offenen Armen. Als sie unsere ernsten Gesichter sah, führte sie uns in ihr bestes Zimmer und ließ uns von ihren schönsten Mädchen etwas zu essen bringen. Unsere Laune besserte das kaum. Wir waren deprimiert und schweigsam. Ich hatte das Leben eines Menschen auf dem Gewissen. Dieser Gedanke wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. Manchmal bereute ich es, mich überhaupt auf diesen Fall eingelassen zu haben. Ich hätte in der Eifel sein können, bei Krümel, hätte ein gutes Buch lesen und ein Glas Tee trinken können. Stattdessen hockte ich mit der Baronin im stickigen Valencia und wusste nicht mehr weiter.

Wir verließen unser Zimmer den ganzen Tag nicht. Die Baronin rauchte ununterbrochen, und ich döste. Ich wollte an nichts denken.

»Das Leben, Baumeister, holt uns doch immer wieder ein«, sagte die Baronin plötzlich und berührte mein Gesicht.

Ich wollte etwas erwidern. Wirst du jetzt philosophisch? wollte ich sagen, doch ich brachte keinen Ton heraus. Mir war übel. Ich steckte in einem dunklen Loch und würde nie wieder den Ausgang finden. Der tote Pole drängte sich immer wieder in meine Gedanken.

Die Baronin legte mir den Kopf auf die Brust. Ich roch den Duft ihres Haares und schloss die Augen. »Dein Herz schlägt zu schnell, Baumeister«, sagte sie.

Ich schwieg noch immer. Die Baronin roch wunderbar. Einen Moment dachte ich wirklich auf einer blühenden Wiese zu stehen und sie im Arm zu halten. Als ich die Augen wieder öffnete, küsste sie mich. Nur leicht berührten ihre Lippen meinen Mund, und doch durchlief mich ein warmer Schauer. »Baronin«, sagte ich heiser. Zärtlich legte sie mir ihren Zeigefinger auf die Lippen. »Für ein paar Stunden werden wir alles vergessen, den Russen, Reimer und Strahl, die ganze Welt.«

Ich nickte und umarmte sie. Sie war eine großartige Frau. Ohne Hast, wie zwei Liebende, die einander nichts mehr beweisen müssen, streiften wir uns unsere Kleider ab. Die Baronin lachte wie ein junges Mädchen, als ich mich über sie beugte. Ihre Hände zogen auf meinen Körper kleine, wirbelnde Kreise. Ich stöhnte, und sie lachte wieder und drückte sich an mich. Und für einen langen, wunderschönen Moment waren wir wirklich ganz allein auf der Welt.

Irgendwann in der Nacht wurde ich wach, weil die Baronin sich an mich schmiegte. Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. »Baronin«, sagte ich laut, »wach auf. Wir haben zu arbeiten.«

»Lass mich in Ruhe«, murmelte sie verschlafen.

»Schließ das Tonband an das Telefon an.«

»Du bist verrückt. Es ist mitten in der Nacht.«

»Ich habe doch vergessen, Reimer die Grüße von diesem sonderbaren Russen zu bestellen. Wie hieß er noch?«

»Lawruschka Ljubomudrow«, seufzte sie. Ich saß schon am Telefon und wählte die Nummer des Innenministeriums in Bonn. Kurz darauf hatte man mich wieder mit Reimer verbunden.

»Baumeister aus der Eifel«, sagte ich nüchtern. »Hat der Pole sich gemeldet?«

»Nein«, antwortete Reimer gelangweilt. »Soweit ich weiß, ist er hier nicht aufgetaucht.«

»Warum haben Sie ihn erschlagen?«

Er sagte eine Weile nichts. »Von wo rufen Sie an?«

»Aus der Eifel natürlich.« Die Baronin hatte in Versalien den Namen LAWRUSCHKA LJUBOMUDROW auf ein Blatt Papier gemalt und hielt es hin. »Ich soll Sie übrigens von Lawruschka Ljubomudrow grüßen.«

Seine Stimme klang verärgert. »Ich wusste ja, dass Moskau eines Tages schöne Grüße schickt, aber dass sie sich ausgerechnet einen schmierigen Journalisten aussuchen, hätte ich nicht gedacht. Wer sind Sie wirklich?« Dann lachte er. »Und wo sind Sie wirklich?«

»Ich sitze gewissermaßen neben der Leiche des Polen.«

»Und wie geht es Lawruschka?«

»Prima«, sagte ich. »Also: Warum haben Sie den Polen erschlagen?«

»Warum nicht?«, sagte er gedehnt und hängte ein.

»Jetzt rufe ich noch Pjotr an«, sagte ich. Es dauerte eine Weile, ehe die sowjetische Botschaft bereit war, mich durchzustellen. Endlich meldete er sich verschlafen. Ich erzählte ihm, was geschehen sei.

»Schön«, sagte er kurzangebunden. »Dann rate ich Ihnen, sich auf das große Finale vorzubereiten.« Es klickte, und die Leitung war tot.

»Jetzt weiß ich, warum wir dem verrückten Polen die Tour vermasseln sollten«, sagte ich und sah die Baronin an, die im Bett eine Zigarette rauchte. »Pjotr will Reimer und Strahl selbst erledigen.«

 

14. Kapitel

 

Art Farmer spielte How High The Moon, und der achtzigjährige Lionel Hampton streichelte dazu das Vibraphon. Ich war sofort wieder wach. Wir waren die siebte Stunde unterwegs. Die Tonbänder und Fotos der Ereignisse auf Ibiza hatten wir längst in einen Briefkasten geworfen. Die Baronin lag mit dem Kopf auf meinem rechten Oberschenkel und schlief. Sie hatte sich zusammengerollt wie eine Katze. Jetzt wurde sie langsam wach. »Was ist, wenn ich schwanger bin, Baumeister?«

»Zuerst müssen wir die Lewandowski-Sache zu Ende bringen. Dann sehen wir weiter.«

»Du bist grauenhaft profan. Na gut, und wo würdest du jetzt ansetzen?«

»In den Beschreibungen von Pjotr gibt es nicht den geringsten Hinweis darauf, dass die Henkergruppe sich jemals verkleidet hätte. Was ist also geschehen, dass Lewandowski versucht hat, als Penner durchzukommen?«

»Solltest du nicht mal versuchen, mit Pennern in Bonn zu sprechen?«

»Das ist eine gute Idee. Es würde mich nicht schrecken, wenn du schwanger wärst.«

»Kannst du anhalten, damit ich mich ordentlich bedanken kann?«

»Ich halte nicht an. Es ist kalt draußen, und ich will nach Hause.«

»Warum müssen wir eigentlich so rasen? Hast du das Gefühl, etwas zu versäumen?«

»Ja.«

»Aber wir versäumen doch nichts.«

»Pjotr hat etwas von einem Finale gesagt, wir haben Eintrittskarten, also fahren wir hin.«

Sie schwieg eine Weile und murmelte dann: »Wenn ich unsere Rolle bedenke, wird ein Finale ohne uns gar nicht möglich sein. Warum denn diese Hektik?« Dann rollte sie sich zusammen und machte es sich wieder auf meinem Bein bequem. Fast glaubte ich, sie schnurren zu hören.

Je weiter wir nach Norden kamen, desto kälter wurde es. Die Wolken hingen tief und waren fast schwarz. Zuweilen wischten vereinzelte Schneeflocken gegen die Frontscheibe. Das Licht wurde langsam hellgrau, die Ahnung des kommenden Tages. Eigentlich hatte die Baronin Recht.

»Also auf ein Frühstück im Offenburger Hof.«

Unser Frühstück dauerte rund anderthalb Stunden, und anschließend waren wir beide zu wohlig müde, um das Auto zu steuern. Wir mieteten ein Doppelzimmer, beschlossen durchaus ernsthaft, ein paar Stunden zu schlafen, liebten uns ein paar Stunden und wurden erst abends gegen zweiundzwanzig Uhr wach. Nicht im Geringsten schuldbewusst aßen wir erneut, bezahlten und machten uns auf die Weiterreise.

»Dunkle Charaktere«, flüsterte die Baronin, »reisen nachts.« Es war empfindlich kalt geworden, streckenweise war die Autobahn auch glatt, aber kein Unfall und kein Stau hinderten uns. Bei Koblenz bog ich auf die A 48 Richtung Trier. In der endlosen Steige die Eifel hinauf fiel Schnee, Laster wurden langsamer, kamen ins Rutschen, hingen fest, aber da der Verkehr auf dieser Strecke nie dicht ist, kamen wir immer noch voran. Als ich die Ausfahrt Daun/Mehren erreichte, sagte ich: »Es ist schön, heimzukommen.«

»Dein Bauernhof ist deine Burg, nicht wahr?«

»Ja.«

»Warum hast du nur soviel Angst vor Menschen?«

»Habe ich doch gar nicht.«

»Doch, doch. Manchmal hast du sogar Angst vor mir. Dabei will ich doch eigentlich nichts.«

»Natürlich! Du willst zumindest den Teil von mir, den du dir zurechtträumst.«

»Ich muss nichts träumen, ich sehe dich doch. Ich nehme dir auch nichts weg, weder deine Welt noch dich selbst.«

»Ich glaube dir ja, ich vertraue auch deinen guten Absichten.«

»Wer hat dir soviel Angst eingeflößt?«

»Ich weiß es nicht genau. Ich nehme an, es ist die Summe meiner Erfahrungen. Die Menschen, die mit mir leben wollten, haben mich vielleicht zu oft enttäuscht. Am schlimmsten waren die Mittelmäßigen, denn Mittelmäßigkeit gibt sich gerne so furchtbar liberal - man erkennt sie nicht gleich.«

»Magst du mich eigentlich?«

»Ja. Ich mag dich wirklich.«

»Dann kann ich mit deiner Angst leben.«

Sie lehnte sich an meine Schulter, und es fühlte sich gut an.

Ich trödelte auf der Bundesstraße 421 dahin, sah rechts und links in die endlosen Wälder und kam mir ein wenig vor wie der Gutsherr, der aus der Hauptstadt heimkommt und sein eigenes Land mit Blicken streichelt. Daun, Waldkönigen, Dockweiler, Bruck-Dreis, der Schnee wurde dichter, ich musste die Nebelscheinwerfer zuschalten. Dann die Nürburgquelle, der Anstieg in der Serpentine vor Walsdorf. Würde es wirklich ein Finale geben? Und wie würde das aussehen?

In der langen, sanften Linkskurve schaltete ich in den zweiten Gang und ging vorsichtig die erste Spitzkehre an.

Zuerst dachte ich, ich wäre über einen großen Stein gefahren, den ich im Schnee nicht gesehen hätte. Der Wagen brach plötzlich zur Seite aus, es schepperte laut, und er stellte sich quer. Die Heckscheibe zersprang mit einem lauten Knall, das Glas prasselte gegen Blechteile, auf die Sitze und unsere Köpfe. Dann platzte die Frontscheibe oberhalb des Kopfes der Baronin mit einem mörderisch hohen Ton. Erst danach hörten wir die peitschenden Schüsse. Im ersten Reflex trat ich voll auf die Bremse und schleuderte sofort nach rechts gegen die Leitplanke. Es gab einen heftigen Schlag, wir wurden nach vorn in die Gurte geworfen und die Baronin schrie laut: »Was ist das? Was …«

Dann kam die nächste Salve. Es knallte lauter als vorher, dann kam hoch und schrill ein Querschläger. Ich schrie »Scheiße!« und versuchte, den Kopf der Baronin nach unten zu drücken. Dann stand der Wagen.

»Lieber Gott!«, flüsterte die Baronin in eine endlose Stille.

Ich zerrte wieder an ihr, keuchte. »Runter! Bloß runter!« Ich selbst hing halb unter dem Steuerrad, den Kopf neben dem Schaltknüppel, und wusste nicht, wie ich in diese Lage gekommen war.

Dann kam von hinten hellgelbes, grelles Licht, ein Motor heulte hoch auf, und schließlich fiel ein tiefschwarzer Schatten über uns.

»Nein!«, wimmerte die Baronin erstickt.

Der Schatten zog vorbei, und ich hob trotz fast panischer Angst den Kopf und sah, wie sich hundert Meter voraus ein Laster in der Spitzkehre querstellte und noch ein Stück weiterrutschte. Ein zweiter, der soeben an uns vorbeigezogen war, vollzog abrupt das gleiche Manöver. Ich wusste, dass rechts von mir, hinter dem buschbestandenen Hang, ein altes Wasserwerk lag. Oberhalb der Büsche bewegten sich Leute; sie rannten nach rechts aus meinem Blickfeld.

»Was ist denn los?«, fragte die Baronin. Sie zitterte so sehr, dass sie kaum zu verstehen war.

»Weiß nicht, bleib unten«, sagte ich und tauchte auch wieder ab.

Jemand brüllte: »Die haben einen zweiten Wagen!« Ein anderer schrie: »Die kriegen wir nicht mehr.« Dann eine vollkommen ruhige Stimme: »Nicht schießen, wir können uns nicht mehr Krach erlauben.«

Schritte näherten sich. Jemand fragte ziemlich nah: »Leben die noch?«

»Ja«, krächzte ich, kam aber nicht hoch. Die Stimme sagte: »Na, dann immer mit der Ruhe!« und öffnete die demolierte Fahrertür.

Die Baronin stieg aus eigenen Kräften aus, ich hockte nur da und spürte, wie meine Knie nachgaben. Dann ließ ich mich einfach nach hinten sacken, jemand griff mir fest unter die Arme und zog mich hinaus.

»Ruhe, Leute, Ruhe!«

Ich wollte nicht stehen, konnte es auch gar nicht.

»Schon gut«, murmelte ich, »schon gut.«

Da ließ er mich los, und ich kniete neben meinem Auto und übergab mich. Ich fror und hatte keine Kontrolle über meinen Körper.

»Du siehst schlimm aus«, sagte die tonlose Stimme der Baronin. Sie war hinter mir und legte mir eine Hand auf den Kopf. »Lebst du noch, Baumeister, bist du verletzt?«

»Geht schon«, keuchte ich. Dann musste ich mich erneut übergeben, und ich war froh, dass sie da blieb, weil sie meinen Kopf dabei hielt, wie meine Mutter es gemacht hatte, als ich das erste Mal betrunken war.

»Du bist ja wirklich verletzt, Baumeister«, sagte sie schrill. »Dein ganzes Hemd ist voll Blut, überall!«

Eine irgendwie vertraute Stimme sagte: »Das ist nicht Baumeister, der blutet, das sind Sie. Sie haben was an der rechten Schulter abbekommen, Sie bluten auf Baumeister.« Er sagte es ungefähr so aufgeregt, als verrate er die Abfahrtszeit des nächsten Busses.

»Ach ja?«, fragte sie erstaunt.

»Wir haben einen Arzt da«, sagte ein anderer Mann schnell.

»Kommen Sie mit.« Er ging mit der Baronin davon. »Können Sie aufstehen?«, fragte der Mann hinter mir. »Ja«, sagte ich. Ich kam hoch und stand unsicher. »Was war denn?«

»Das war verdammt knapp«, sagte der Mann milde. »Was ist mit ihr?«

»Glassplitter, keine Kugel. Nur eine Schramme«, sagte er und endlich begriff ich, dass es Pjotr war. »Was ist passiert?«

»Nicht jetzt«, sagte er kühl. »Wir müssen hier erst mal abrücken. Rein in die Wagen und abgefahren. Und lasst bloß nichts liegen. Ein Eifelbauer, der eine Maschinenpistole zum Fundamt bringt, wäre ausgesprochen peinlich.«

»Sind das Ihre Lastwagen?«

»Ja, sozusagen. Einer war hinter Ihnen, einer vor Ihnen. Wir wussten, dass die etwas vorhatten, aber wir wussten nicht wo. Wir kamen nur zwanzig Sekunden zu spät. Verdammt noch mal.« Jetzt klang er überhaupt nicht mehr milde. »Warum haben Sie mich von unterwegs nicht angerufen?« Er brüllte fast. »Wegen jedem Mist holen Sie mich nachts aus dem Bett, und wenn es wirklich nötig ist, machen Sie eine fröhliche Urlaubsreise und stellen sich tot. Das wären Sie jetzt beinahe wirklich!«

Langsam wurde ich wieder lebendig. Und ziemlich wütend. Aber das war er auch: »Auf Ibiza haben Sie überdeutlich zu erkennen gegeben, dass Sie und Ihre schöne Freundin alles wissen. Und dann halten Sie sich die Augen zu und meinen, keiner sieht Sie. Sie mussten nicht nur wissen, dass Sie auf der Abschussliste stehen, ich bin sicher, Sie haben es auch gewusst. Und beinahe hätten Sie sich so einfach umlegen lassen. Haben Sie Ihr Gehirn an der Garderobe abgegeben, Mann?«

Ich sagte: »Pjotr, Sie sind ein Arschloch«, aber er ließ mich einfach stehen.

Ich hatte ein paar Minuten, um zur Besinnung zu kommen. Pjotr hatte Recht, weil wir diese Welt nicht wahrhaben wollten, in der wir uns bewegten. Seit wir an der Lewandowski-Sache dran waren, hatten wir einfach die Augen geschlossen und so getan, als könnten wir uns unsere kleine, private Idylle leisten. Und jetzt war die Baronin verletzt!

Pjotr kam zurück und sagte ziemlich barsch: »Probieren Sie aus, ob Ihr Wagen noch fährt!«

Ich ging zu meinem Auto, fummelte die verbeulte Tür auf und manövrierte den Wagen auf die Straße. Auf den Sitzen lagen überall Scherben, aber die Frontscheibe auf meiner Seite war heilgeblieben, und technisch schien alles soweit in Ordnung.

Vor mir führte ein Mann die Baronin zu einem der Laster. Sie war leichenblass, hielt sich aber tapfer und winkte mir noch einen Abschiedsgruß zu. Pjotr beugte sich zu meinem Fenster herunter und sagte etwas freundlicher. »Wir haben sie verarztet und setzen sie in Bonn bei Anna Guttmann ab. Sehen Sie zu, dass Sie das Wrack loswerden, und kommen Sie nach.«

»In Ordnung. Trotzdem wüsste ich noch gerne, was genau eigentlich passiert ist.«

Er sah mich an, als habe er noch nie einen derartigen Trottel gesehen. Dann sagte er ungeduldig: »Reimer und Strahl haben endlich begriffen, dass Sie beide alles wissen. Sie haben das nächste Flugzeug genommen, sind hergekommen und haben das Logischste getan, was Jäger tun können: Sie haben sich an einem Punkt auf die Lauer gelegt, an dem Sie vorbeikommen mussten. Das war abzusehen. Leider sind sie mit zwei Autos gekommen, und als wir dachten, wir hätten sie, sind sie in den zweiten Wagen gesprungen und abgehauen. Sie sind eben Profis. Nur sind sie jetzt außer Kontrolle mit ihren Wildwest-Hirnen.« Er schnaufte, drehte sich um und ging davon. Sekunden später fuhren die Laster ab.

Der Schnee fiel sanft, ich hockte in dem eiskalten, zugigen Wagen und starrte in die Dunkelheit über den Hügeln. Ich weiß nicht, ob ich mich je in meinem Leben elender gefühlt habe.

Irgendwann fuhr ich heim. Im Dorf war es weiß und still, und ich registrierte desinteressiert, dass Pjotr zwei Wachen aufgestellt hatte. Gleich neben der Scheune stand ein Wagen, hinter dem Garten ein zweiter, beide besetzt mit jeweils zwei Männern.

Krümel kam mir maunzend entgegen, und ich sagte mit einem ganz schlechten Gewissen: »Ich sehe mir deine Kinder später an. Ich muss weg, ich habe ziemlichen Mist gemacht.« Aber dann sah ich mir die Jungen an, alle vier, nahm sie auf den Arm, streichelte die stolze Mutter und fühlte mich ein bisschen besser.

Dann rief ich Anna Guttmann an. »Gleich kommt Pjotr und bringt Ihnen die Baronin. Passen Sie auf, dass sie nicht das Haus verlässt, nicht einmal, um eine Zeitung zu kaufen …«

»Und Sie, was machen Sie?«

»Ich habe noch etwas zu erledigen. Entschuldigen Sie den späten Anruf.« Schon hatte ich wieder aufgelegt.

Ich packte hastig ein paar frische Sachen ein, dann lief ich wieder hinaus. Krümel drückte sich schmal und traurig an der Haustür herum - wenigstens bildete ich mir das ein. Ich fuhr los, und Pjotrs Wächter folgten mir nicht.

Ich nahm die Bundesstraße zur Autobahn nach Köln und hoffte inständig, dass AVIS am Flughafen einen Nachtdienst hatte und dass mich nicht irgendein eifriger Polizist anhielt. Ich stellte meinen zerschossenen Wagen auf einen leeren Parkplatz in die hinterste Ecke. AVIS hatte tatsächlich offen, und ich mietete einen Corsa. Erst jetzt konnte ich ein wenig durchatmen. Ich hockte in dem Mietwagen. Es galt nur noch, das Leben der Baronin zu bewahren und mein eigenes natürlich. Es durfte nicht mehr geschehen, dass ich die Realitäten ignorierte. Ich musste mich dem Kampf stellen - aber auf meine Weise. Ich war ein guter Journalist, und ich musste jetzt besser funktionieren als je zuvor. Denn nur so hatten wir eine Chance.

Es gab zwei Ansatzpunkte, die ich durchdenken musste. Pjotr hatte berichtet, dass der Gruppe bei einem Auftrag in Zürich eine Aktentasche in die Hände gefallen war, die man wenig später im Verteidigungsministerium ihrem Besitzer zurückgegeben hatte. Konnte ich damit rechnen, im Ministerium jemanden zu finden, der Bescheid wusste? Wohl kaum; dort würde niemand etwas von einem Henker wissen. In diesem Ministerium war Geheimhaltung oberstes Gebot. Verdammt, ich hatte keine Zeit.

Die zweite Idee: In dem kurzen Lebensabriss des Alfred Lewandowski war mir ein Punkt besonders aufgefallen. Ich wusste noch fast wörtlich, was Pjotr geschrieben hatte: Lewandowski wird nach unseren Erkenntnissen 1965 nach Dortmund versetzt. Dort im 14. Kommissariat. Fällt auf durch brutales Verhalten gegenüber Festgenommenen. Merkwürdiger Selbstmord seiner Verlobten Angelika Würzner, damals sechsundzwanzig Jahre. Die Frau legt sich in die Badewanne und bringt sich mit Strom um. Ein Gerichtsmediziner kommt zu dem Schluss, dass die Frau bereits tot war, ehe sie in das Wasser gelegt wurde. Keine Verhandlung …

Der Frühverkehr setzte ein, machte das Nachdenken schwierig. Ich fuhr in Richtung Königsforst und suchte mir einen stillen Parkplatz. Ja, das war vielleicht eine Chance weiterzukommen: Wenn die Verlobte eines Kriminalbeamten auf merkwürdige Weise ums Leben kommt und offiziell niemand diesen Fall untersucht, dann muss dieser Beamte sehr gute und einflussreiche Freunde haben. Ich musste herausfinden, wer Lewandowski gedeckt hatte, und zwar auf Anhieb. Dabei ist das Recherchieren in so ferner Vergangenheit immer ein fragwürdiges Unternehmen.

Ich nahm die Autobahn 1 und fuhr ausgesprochen rücksichtslos. Um neun Uhr war ich im Polizeipräsidium in Dortmund. Als ich den Pförtner bat, mich in die Presseabteilung weiterzureichen, meinte er unfreundlich: »Die haben gerade eine Konferenz der Bereichsleiter.«

»Ich bin Journalist, und ich brauche jemanden in der Presseabteilung. Und zwar jetzt.«

»Tja, wenn Ihnen eine Sekretärin reicht«, sagte er mürrisch.

Dann telefonierte er und brummte etwas wie »Zimmer 151. Als hätten wir nichts anderes zu tun.«

»Na, dann gehen Sie mal wieder Ihre Murmeln zählen«, sagte ich und lief die Treppe hinauf.

Die Frau hinter dem Schreibtisch war vielleicht fünfzig Jahre alt und hatte die wachsamen Augen der Erfahrung. »Steffen«, meinte sie reserviert, »was kann ich für Sie tun?«

Sie war klein und zierlich, wirkte aber in ihrer ruhigen Gelassenheit beinahe imposant. Ihre Pagenfrisur war nicht gefärbt. Das Haar hing ihr dunkelblond mit silbernen Streifen in das kluge Gesicht. Sie hatte den Blick all der wichtigen Frauen im Hintergrund, die mehr Selbstvertrauen haben, als ihr Chef je haben wird. In ihrem Blick lagen mindestens zwanzig Dienstjahre bei der Polizei und immer noch mehr Menschlichkeit als bei den meisten. Vielleicht hatte ich das große Los gezogen.

Ich kramte zittrig sämtliche Ausweise zusammen, reichte sie ihr über den Tisch und sagte: »Mein Name ist Baumeister, Siggi Baumeister, und ich muss Ihnen kurz eine Geschichte erzählen, weil Sie sonst…«

»Haben Sie die Reportage über Altenheime gemacht?« Sie blätterte kurz in den Ausweisen, sah aber kaum hinein und reichte sie mir zurück.

»Das stimmt, das war ich. Ich bin eigentlich eher privat hier, es geht um eine ganz vertrackte Geschichte. Ich kann Ihnen schriftlich geben, dass Sie es nirgendwo lesen werden …«

»Das mit den Altenheimen war gut«, sagte sie. Dann schob sie mir eine Zigarettenschachtel über den Tisch. Es waren Gauloises.

»Darf ich Pfeife rauchen?«

»Nur zu, wenn es nicht gerade Brombeerblätter sind. Ihnen geht es schlecht, nicht wahr?«

»Ja.« Ich holte die Prato von Lorenzo aus der Tasche und begann sie zu stopfen. Sie sagte nichts, sie wartete. »Es ist so, dass man versucht hat, mich zu töten. Meine Kollegin auch. Es geht um einen Mann, der früher hier in diesem Haus gearbeitet hat. Er hieß damals Hermann Josef Schmitz, es ist auch möglich, dass er sich schon Joachim Steiner nannte, Dr. Steiner. Vielleicht haben Sie ihn später noch unter dem Namen Alfred Lewandowski erlebt oder Breuer, oder …«

»Und der wollte Sie und Ihre Kollegin töten?« Sie sah mich ruhig an, und ich hatte keine Ahnung, ob sie gleich Verstärkung rufen und mich medizinisch zwangsversorgen lassen würde.

»Ja, und das will er noch. Das heißt, ich sollte anders anfangen. Ist Ihnen aus der Zeit um 1965 ein Kriminalbeamter Hermann Josef Schmitz bekannt? Hier im Haus tätig? Beim 14. K.?«

»Das könnte sein«, sagte sie unverbindlich und zog an ihrer Zigarette. »Weiter.«

»Ich muss in alter, schmutziger Wäsche wühlen. Dieser Hermann Josef Schmitz war bekannt für rüde Vernehmungsmethoden. Aber das Schlimmste war der Tod seiner Verlobten …«

»Angelika Würzner«, sagte sie leise. Ihr Blick war sehr weit weg, sie suchte etwas in ihrer eigenen Geschichte.

»Ja. Sie starb. Freitod angeblich, Badewanne, irgendein Elektrogerät. Es gab offiziell keine Untersuchung, obwohl ein Mediziner der Meinung gewesen ist, dass die Frau bereits tot war, ehe sie in die Wanne geriet.«

»Und Schmitz wollte Sie jetzt wirklich töten?« Sie fragte das merkwürdigerweise ganz sachlich, obwohl ich begriff, dass diese Geschichte vollkommen grotesk wirken musste. »Schmitz ist als Alfred Lewandowski vor ein paar Tagen im Bonner Regierungsviertel erschlagen worden. Er war zum Schluss eine Art Geheimpolizist.«

»Und wer will Sie nun töten?«

»Seine ehemaligen Mitarbeiter, ein Mann und eine Frau.«

»Warum?«

»Das klingt platt: Weil wir zu viel wissen.«

»Das Ganze hat also etwas mit Staatssicherheit zu tun, wenn ich es richtig begreife. Was genau wollen Sie von mir wissen?« Sie wirkte überhaupt nicht mehr reserviert. Sie saß ganz angespannt da und sah mich mit großen, traurigen Augen an.

»Ein Politiker würde es als höchst sicherheitsempfindlich bezeichnen. Ich will wissen, wer damals hier im Hause verhindert hat, dass gegen Schmitz, alias Lewandowski, ermittelt wurde.«

»Sie meinen, ich wüsste das?«

»Ich glaube es.«

»Und wenn ich es nicht sagen kann?«

»Dann bleibe ich hier so lange sitzen, bis Sie es sich anders überlegen. Ich habe nämlich keine Zeit mehr.«

»Sie werden das nicht schreiben?«

»Wenn ich doch darüber schreibe, komme ich vorher zu Ihnen. Das gebe ich Ihnen auch schriftlich.«

»Angelika Würzner war meine Freundin«, sagte sie unvermittelt und stützte den Kopf schwer in die Hände.

Ich ließ ihr einen Moment Zeit, stand auf und starrte auf die Straße.

»Kommen Sie her, ich brauche einen Kognak!«, sagte sie schließlich und atmete noch einmal tief durch. »Ich hoffe seit mehr als zwanzig Jahren, dass irgendeiner kommt und der Sache nachgeht. Der Kognak steht da in dem Schrank.« Ich goss ihr ein anständiges Glas voll und nahm mir einen Himbeersirup, weil nichts anderes da war. »Wie war diese Angelika?«

Sie trank das Glas in einem Zug leer, zündete sich die nächste Zigarette an und sah zum Fenster hinaus. »Wir hatten zusammen eine Wohnung. Sie war eine schlanke Blonde. Für die damalige Zeit war sie ziemlich wild. Sie wissen ja, wie es in den Sechzigern war: evangelisch und prüde, katholisch und prüde und so weiter. Dann kam Schmitz, und Angelika zog sehr schnell in seine Wohnung um. Sie haben mich eingeladen, ziemlich oft sogar. Aber ich mochte Schmitz nicht und wollte das Angelika nicht so direkt sagen. Als sie mir dann dauernd etwas von freier Sexualität erzählte, habe ich gesagt: Mädchen, das geht nicht gut! Ja, und dann …«

»Wie war das mit der freien Sexualität?«

»Sie erzählte mir, der Schmitz hätte alles drauf, sogar was mit Peitschen. Ich habe das anfangs gar nicht kapiert. Man wurde ja schon rot, wenn man aus Versehen mal den zweiten Knopf an der Bluse offen hatte.«

»Sind Sie jemals hier im Haus intern zu Angelikas Tod vernommen worden?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das wurde sofort unter den Tisch gekehrt. Da gab es einen Freund, den Schmitz öfter zu Angelika mitgenommen hatte. Dieser Freund war schüchtern, völlig verklemmt, irgendwie total kaputt. Bei Schmitz und Angelika war der richtig, die ließen ihn nämlich zuschauen, wenn sie im Bett waren.«

»Das hat Angelika Ihnen erzählt?«

»Ja. Und sie war sogar ein bisschen stolz darauf. Das war auch das letzte Mal, dass ich mit ihr sprach. Einen Monat später war sie tot. Das ganze Haus hier hat gewusst, dass da irgendetwas faul war, aber an Schmitz kam man nicht ran. Ist er wirklich tot?«

»Mausetot. Wenn er das hier ist.« Ich legte ihr ein Lewandowski-Foto vom Parkplatz am Langen Eugen vor. Sie sah nur kurz darauf, zuckte zurück und nickte.

»Ich habe nicht einmal mehr Zeit, die Geschichte zu erzählen. Wer hat hier im Haus verhindert, dass der Selbstmord Angelikas untersucht wurde?«

»Sie waren ein Gespann, der Schmitz und sein Freund. Als Angelika noch lebte, sickerte schon durch, dass dieser Freund etwas ganz Hohes beim Verfassungsschutz werden sollte. Wenig später hieß es dann, Schmitz würde mit ihm dorthin gehen. Als dann die Sache mit Angelika passierte, war es eben dieser Freund, der die Untersuchung unterdrückte. Ich weiß nicht, an was für Fäden er gezogen hat, auf jeden Fall war die ganze Sache plötzlich tabu. Staatsinteresse, hieß es. Ich war fassungslos, als ich das hörte. Ganz kurz darauf waren Schmitz und sein Freund weg.«

»Wer war dieser Freund?«

»Der Freund war der jüngste Polizeirat, den wir damals hier hatten. Harald Forst hieß er. Anfangs hatten hier einige Kollegen vor, Angelikas Fall privat zu untersuchen und dann zur Staatsanwaltschaft zu geben. Aber erstens wurden sie offiziell aufgefordert, die Finger davon zu lassen, und zweitens war die Leiche Angelikas plötzlich aus der Anatomie verschwunden und im Krematorium. Ich habe Schmitz und Forst gehasst damals. Ich glaube, ich hasse sie immer noch.«

»Was passierte dann?«

»Ich weiß nicht mehr viel. Forst war beim Verfassungsschutz und Schmitz auch. Soweit ich gehört habe, blieben sie da aber nicht lange. Irgendwann war Schmitz weg, spurlos verschwunden sozusagen, und Forst trat praktisch gleichzeitig aus dem Staatsdienst aus … Ich habe später, als … na ja, Forst kriegt eine Rente, wie ein richtiger Rentner. Ich meine, irgendetwas riecht da ziemlich faul.« Sie war unsicher geworden, wahrscheinlich hatte sie so viel nicht sagen wollen und war jetzt erschreckt über sich selbst.

Ich überlegte einige Sekunden. »Frau Steffen, Sie müssen mir nicht erklären, dass Sie unter dem Tod Angelikas gelitten haben. Es ist doch verständlich, dass Sie weiter hinter Schmitz und Forst hergewesen sind. Sie haben also den Weg der beiden noch ein wenig im Auge behalten?«

Sie hielt den Kopf gesenkt. »Ja. Aber ich habe mich lange nicht mehr darum gekümmert. Und deshalb gehe ich jetzt den Computer fragen. Verdammt, jetzt ist es egal, jetzt will ich es wissen.«

Mir war klar, dass es sie mindestens den Job kosten würde, wenn irgend jemand mitbekam, wie sie sich unbefugt Zugang zu geheimen Daten verschaffte. Aber sie wusste genau, was sie tat, und ich brauchte sie. Ich konnte ihr nur viel Glück wünschen.

Plötzlich fiel mir etwas ein. Ich rannte hinter ihr her und erwischte sie noch gerade vor der Treppe. »Hören Sie, Lewandowski, also Schmitz meine ich, war ein C-16-Mann, einer, der für diesen Staat insgeheim arbeitete. Können Sie den Computer fragen, ob dieser Harald Forst auch …?«

»Mach’ ich«, sagte sie und ging weiter.

Ich lief den endlosen Flur auf und ab; ich versuchte, mir eine Pfeife zu stopfen, und sie zog nicht; ich sah jede Minute dreimal auf die Uhr. Ich kam mir ziemlich hilflos vor. Schließlich wartete ich wieder in ihrem Zimmer.

Endlich kam sie zurück. »Ich habe es nicht ausdrucken lassen können. Mein Computerfreund sagt, dass wir dann beide gefeuert würden. Aber ich habe auswendig gelernt, was auf dem Bildschirm stand. Schmitz hat den Verfassungsschutz 1970 verlassen. Und es stimmt, dass er ein C-16-Mann war. Harald Forst hat den Verfassungsschutz tatsächlich zum gleichen Termin verlassen, ist gleichzeitig aus dem Staatsdienst ausgeschert und - jetzt kommt es! - kriegt seither das volle Ruhegehalt eines Polizeirates, der bei normaler Laufbahn erst mit sechzig Jahren ausscheidet. Ganz schön komisch, wie?« Sie kniff die Lippen zusammen. »Da stand weiter, dass Harald Forst jetzt in der Thomasstraße in Bonn wohnt, Nummer 38 b. Schreiben Sie sich das auf? Und dann steht da noch, dass er jetzt einen Direktorenposten im Verband der Deutschen Molkereien e. V. in Bonn hat, in der Meckenheimer Landstraße 87.« Sie grinste. »Eigentlich wollte der Computer nichts sagen, aber wir haben ihn getrickst.«

»Danke.«

»Schon gut. Noch etwas: Harald Forst ist auch ein C-16-Mann. Ich meine damit nicht, dass er einer war, sondern dass er einer ist!« Sie lächelte verschwörerisch. »So ein bisschen habe ich ja gedacht, Sie spinnen, aber jetzt glaube ich Ihnen. Der Computer sagt die Wahrheit. Das muss man sich mal vorstellen: Ein Direktor im Verband der Deutschen Molkereien in Bonn bezieht gleichzeitig das volle Ruhegehalt eines Polizeirates und ist daneben ein C-16-Mann. Das ist nichts für uns kleine Leute. Hauen Sie ab und bringen Sie Ihr Fell in Sicherheit. Und melden Sie sich mal, wenn Sie noch können.« Dann kramte sie in ihrer Schreibtischschublade herum. Endlich hielt sie mir ein vergilbtes Foto hin. »Damit Sie wissen, wie Forst aussieht. Das war beim Betriebsausflug 1965.«

»Sie sind ein Ass«, sagte ich und rannte hinaus. Es war jetzt elf Uhr; ich musste schnell sein, ich musste viel schneller sein, als es eigentlich möglich war. Aus irgendeinem Grund, aus irgendeinem blödsinnigen Grund, hatte ich auf Anhieb den Mann gefunden, nach dem Pjotr und seine Leute seit Jahren suchten.

Ich hielt an der ersten Telefonzelle. Wie immer dauerte es quälend lange, bis ich die Auskunft erreichte. Ich ließ mir die Nummer des Deutschen Molkereiverbandes in Bonn geben und rief dort an.

»Das Vorzimmer von Direktor Forst«, sagte ich. Es klickte, und eine Frau sagte: »Vorzimmer Direktor Forst hier. Bitte?«

»Ist Harald da?«, schnauzte ich. »Grimm vom schleswigholsteinischen Verband.«

»Nein, der ist schon zum Essen.«

»Ach, das ist Pech. Wo isst er denn? Laternchen sicher, was?«

»Die Herren sind nach Maria Laach gefahren«, sagte sie. Offensichtlich wusste sie nicht, wie sie mich einschätzen sollte.

»Macht ja nix«, sagte ich etwas leutseliger. »Ich bin nur gerade hier im Bundesdorf und dachte mir, ruf den alten Harald mal an. Bestellen Sie schöne Grüße, ja, Kindchen? Sicher ‘ne große Gesellschaft, was?«

»Nein, nur drei Herren«, sagte sie sehr förmlich.

»Schön«, sagte ich und hängte ein.

Dann wählte ich Anna Guttmanns Nummer, und als sie sich meldete, sagte ich hastig: »Baumeister hier. Ich brauche die Baronin, und das ganz schnell.«

»Wenigstens leben Sie noch«, sagte sie und legte den Hörer mit einem Klacken ab. Es dauerte nicht lange, dann war die Stimme der Baronin da, und es war gut, sie zu hören.

Sie sprudelte los. »Sag mal, bist du verrückt? Pjotr ist schon vollkommen aus dem Häuschen und ruft alle zehn Minuten hier an. Du bist seit Stunden überfällig! Reimer und Strahl werden sicher versuchen, uns zu … Baumeister, Liebling, wo bist du eigentlich?«

»In einer Telefonzelle.«

»Wo, verdammt noch mal?« Sie schrie jetzt fast. »Dass du am Flughafen warst und ein Auto gemietet hast, das wissen wir schon. Aber warum bist du nicht hergekommen? Bist du sicher, dass sie nicht schon irgendwo in deiner Nähe sind, irgendwo um die Ecke?«

»Jetzt hör mir doch mal zu. Du nimmst jetzt ohne ein Wort deine Kamera und setzt ein Superweitwinkel auf. Dann verschwindest du nach hinten raus über die Garagen und nimmst ein Taxi. Kannst du überhaupt klettern mit der Wunde?«

»Ja«, sagte sie knapp, und es klang so, als sei sie ein wenig böse auf mich.

»Außer der Kamera nimmst du noch das kleine Bandgerät mit. Du lässt dich zum Kloster Maria Laach fahren. Hast du das?«

»Ja.«

»Dort gehst du in das Seehotel Maria Laach, ein Riesending, kannst du gar nicht verfehlen. Du musst nach einem Mann Ausschau halten, den ich dir jetzt so genau wie möglich beschreibe. Ich habe nur ein Foto, das älter ist als zwanzig Jahre, aber das muss reichen. Der Mann ist so groß wie ich, also um 176 Zentimeter. Er ist vermutlich sehr füllig, besonders um Bauch und Hinterteil. Soweit ich sehen kann, hat er ziemliche X-Beine. Das Gesicht war damals schon voll und rund. Zwei Dinge sind wichtig: Er hat kleine, eng zusammenstehende Augen, Farbe kann ich nicht erkennen. Und dann sein Mund: Auffallend klein, und wenn er lacht, sieht man seine Schneidezähne, wie bei Bugs Bunny. Hast du das?«

»Ja, ein Scheißtyp.«

»Bitte, sag Anna nicht, was du vorhast. Der Mann hat die typische Herrenrunde um sich, drei Leute. Geh aber um Gottes willen kein Risiko ein, lass ihn nicht auf dich aufmerksam werden. Du erinnerst dich, dass Lewandowski in Guttmanns Computer als C-16-Mann erschien. Dieser Mann ist vom gleichen Kaliber. Ich werde so schnell wie möglich auch dasein. Wenn ich auftauche, kennen wir uns nicht. Du wirst zur Herrentoilette runtergehen und das eingeschaltete Bandgerät auf den Siphon des zweiten Handwaschbeckens im Vorraum legen. Noch Fragen?«

»Nein«, sagte sie ruhig. Und dann überlaut. »Du kommst jetzt also hierher? Und ich brauche mir keine Sorgen mehr zu machen?«, und ich hörte, wie Anna Guttmann erfreut sagte: »Das ist aber schön.«

Die Fahrt nach Maria Laach war ein einziger Albtraum. Ich fuhr, was der kleine Wagen hergab, aber bei dem Schneeregen gab es immer wieder Verzögerungen. Ich muss so manchen braven Mann böse erschreckt haben, wenn ich rechts an ihm vorbeischoss, weil er mir zu lange brauchte, um die Überholspur freizugeben. Als ich endlich auf den Parkplatz zwischen den alten Mauern vor der Abtei schleuderte, war ich schweißgebadet. Aber ich wusste nicht, ob es trotz meiner Raserei nicht schon zu spät war. Als ich zum Eingang spurtete, hätte ich beinahe ein älteres Paar umgerannt; die Frau blickte mir kopfschüttelnd nach, und ich hörte den Mann gerade noch sagen: »Der rennt ja, als ob es um Leben und Tod ginge!«

Hinter dem Eingang kam links die ewig gleiche Dauerausstellung alter Ikonen, auf die irgendein Kunsthändler ein Abonnement haben musste, dann die lange Kuchentheke, rechts der Eingang zu dem Raum für die besseren Gäste, schließlich geradeaus der Durchgang in den ersten Saal. Der war wie immer voll mit Tagestouristen, die zwischen Heizdeckenverkauf und Senioren-Modeschau ihr Einheitsmenü in sich hineinschaufeln durften. Ich steuerte gleich nach rechts in den kleineren Gastraum. Und richtig, da saß er, an einem Tisch beim Fenster, unübersehbar und strahlend. Er war dick und längst grauhaarig und sah wirklich aus wie Bugs Bunny. Er gab sich sichtbar jovial, aber die Augen verrieten ihn: Dieser Mann war eiskalt und lebensgefährlich.

Einen Tisch weiter, rechts vom Gang und mit dem Rücken zu mir, saß die Baronin. Sie hatte sich so postiert, dass sie Harald Forst seitlich im Blickfeld hatte. Ihre linke Hand ruhte achtlos auf dem Fotoapparat, der neben ihren Zigaretten achtlos auf dem Tisch stand, und ich wusste, dass sie Film um Film verschoss.

Ihr gegenüber saß ein jüngerer Mann, Typ besserer Handelsvertreter, der offensichtlich ganz auf Charmeur machte und gerade in einem Ton sagte, den er wohl für komische Verzweiflung hielt: »Warum sind Sie nur so spröde, schöne Frau?«

Die Baronin erwiderte: »Sie haben den falschen Vornamen«, und der Frauenheld machte kein sonderlich intelligentes Gesicht. Ich hörte, wie sie leise lachte.

An ihrem Tisch waren zwei Stühle frei. Ich ging geradewegs darauf zu, verbeugte mich formvollendet und sagte: »Sie gestatten doch?« Dann setzte ich mich.

Die Baronin meinte: »Aber ja!«, tat normal interessiert und lächelte.

Ihr Verehrer machte einen neuen Versuch. »Trinken Sie einen Wein mit mir?«

»Meinen Sie mich?«, fragte ich.

»Mich meint er«, sagte die Baronin. »Aber Sie haben zuerst zugeschlagen, also trinken Sie ihn.«

Der Mann, der sicher als Verführer ganz groß war, murmelte verunsichert: »Ich verstehe nicht ganz …«

»Macht ja nix, mein Junge«, sagte die Baronin. Sie nahm den Fotoapparat und die Handtasche mit dem kleinen Recorder und stand auf.

Ihr galanter Freund verstand wirklich nicht ganz. Erfreut erhob er sich auch, und sie zischte: »Lieber Himmel, Jungchen, bleib auf deinem Arsch hocken!« Dann ging sie davon, Richtung Toiletten.

»Machen Sie sich nichts draus«, meinte ich. »Weiber sind eben so.«

Ich hatte jetzt keine Zeit mehr. Vor Harald Forst und seiner Gesellschaft standen leere Eisbecher. Sie mussten jeden Moment aufstehen.

Ich stand auf, ging zu ihrem Tisch, sagte »Entschuldigung, meine Herren« und beugte mich zu Forst hinunter, der mich hellwach, aber nach außen kein bisschen alarmiert musterte. So leise, dass nur er selbst es verstehen konnte, sagte ich: »Ich muss Sie in einer C-16-Sache sprechen. Sofort. Es geht um Reimer und Strahl.«

Dann drehte ich mich um und ging zielstrebig auf den Durchgang zu den Toiletten zu. Ich war sicher, dass er mir folgen würde, und ziemlich sicher, dass er mich nicht umbringen würde, bis er sich angehört hatte, was ich ihm sagen wollte. Auf der Treppe nach unten kam mir die Baronin entgegen. Sie sah mich an, aber ihre Augen verrieten nichts. Sie drückte sich an mir vorbei und summte dabei vor sich hin. Vor der Tür mit der Aufschrift »Herren« hörte ich Schritte, die hinter mir die Treppe herunterkamen. Ich ging in den Vorraum; er war leer. Im Siphonknick des zweiten Beckens klemmte der Mini-Recorder und wenn man nicht danach suchte, war er praktisch unsichtbar.

Ich stellte mich genau davor und wartete.

Er kam ganz ruhig herein, sah mich an, und sein Gesichtsausdruck verriet nichts außer ein wenig freundliche Neugier.

»Ich habe nicht viel Zeit«, sagte ich. »Ich bin Siggi Baumeister, und Sie können sich jede gespielte Überraschung sparen. Sie kennen mich, und ich weiß, wer Sie sind. Ich kann es sogar beweisen, anhand einer Liste von sechzehn Toten. Ich gedenke dafür zu sorgen, dass diese Liste nicht länger wird. Und wenn doch noch ein Name draufkommt, wird es nicht meiner sein, sondern Ihrer.« Ich hoffte nur, dass meine Stimme nicht zitterte. »Ich habe zwar keine Ahnung, wovon Sie da sprechen, aber falls das alles ein Witz sein soll, finde ich es gar nicht komisch. Guten Tag.« Er drehte sich um und wäre wirklich gegangen - ein kalter Hund, ein echter Profi und mir mit Sicherheit haushoch überlegen. Aber ich durfte ihn nicht gehen lassen.

»Das würde ich lieber nicht tun«, sagte ich absichtlich leise; ich hoffte, dass es drohender klang. Er drehte sich halb zu mir um und sah mich dastehen: lässig gegen das Waschbecken gelehnt und die Hand in der Jackentasche - mit einer Waffe, die eindeutig auf ihn zielte. Es war meine schwerste Pfeife, die Orly von St. Claude, aber etwas Besseres hatte ich nicht. »Selbst wenn Sie wider Erwarten schneller sein sollten als ich - draußen wartet Lawruschka«, sagte ich und betete, dass ich mich in meiner Einschätzung nicht getäuscht hatte. Für mich war Forst der typische Schreibtischtäter, der Leute wie Lewandowski brauchte, um das auszuführen, was er bürokratisch perfekt organisiert hatte. Aber ich hatte mich in letzter Zeit schon zu oft verschätzt.

»Was wollen Sie von mir?«, zischte er und zeigte zum ersten Mal Wirkung. Er zuckte merklich zusammen, als hinter ihm die Tür aufging und ein Japaner mit seinem kleinen Sohn hereinkam. Ich war nicht weniger erschrocken als er. Irgendetwas an uns musste seltsam gewirkt haben; jedenfalls meinte der Japaner mit einem freundlichen Grinsen »Sorry« und zog seinen protestierenden Sohn sofort wieder nach draußen.

Jetzt kam es darauf an.

»Ich will, dass Sie sofort Reimer und Strahl zurückpfeifen. Sie werden ihnen sagen, dass sie sich zu Ihrer Verfügung zu halten haben. Dann bekommen Sie weitere Anweisungen.«

»Und wenn ich das nicht tue?«

»Dann lege ich Sie gleich hier um. Das ist mir egal, ich kann Sie sowieso nicht leiden. Außerdem werde ich mir aber die Mühe machen, mich um Ihre Familie zu kümmern. Sie sollten jetzt lieber schleunigst versuchen, Ihren Arsch zu retten. Ihre Zeit läuft nämlich gerade ab.«

»Wer sind Sie wirklich? KGB? Wer hat Sie geschickt? Oder sind Sie von unseren? Ich habe nie etwas Ungesetzliches getan. Ich bin voll gedeckt durch die Gesetze für den Staatsnotstand in Friedenszeiten. Das ist ganz eindeutig.«

»So, das war es dann für Sie.« Ich umschloss die Pfeife in meiner Tasche fester.

»Ich tue es. Ich mache, was Sie da von mir verlangen, aber unter Protest.«

»Wie wollen Sie Ihre beiden losgelassenen Killer erreichen?«

»Ich gehe über Telefon in ein Computersystem, das Reimer und Strahl einmal am Tag anlaufen müssen.«

»Dann machen Sie das gleich von hier. Sie können den Apparat vorne am Empfang benutzen. Aber denken Sie daran: ein einziges falsches Wort, und Sie sind tot. Sie sind keine Sekunde allein, und das Gespräch wird von uns mitgeschnitten.«

Ich hoffte nur, dass ich nicht zu sehr übertrieben hatte; ich wusste, dass die ganze Unterhaltung nach miesem Agententhriller klang, aber war denn nicht diese Geschichte von Anfang an wie ein schlechter, beklemmender Schauerroman gewesen? Und Forst kaufte mir alles ab, er war hilflos in einer Situation, die in seinen Vorschriften und Planspielen nicht vorgesehen war. Aber ich durfte ihm keine Zeit zum Nachdenken lassen. »Los, Mann, machen Sie schon!«

Ergeben marschierte er vor mir her. Oben gesellte sich die Baronin zu uns, und während er eine sehr lange Nummer wählte, hielt sie ihm schon den Recorder hin. Sobald er seine Verbindung bekam, gab er einen komplizierten Code aus Buchstaben und Zahlen durch. Ich tat so, als verfolgte ich seine Meldung auf einer Tabelle mit; in Wahrheit waren es die Ferientermine von Nordrhein-Westfalen, die in meinem Notizbuch abgedruckt waren. Er legte auf und starrte mich blass und verstört an - eine erbärmliche Kreatur. Die Baronin machte mehrere Aufnahmen, dann sagte ich:

»Jetzt gehen Sie zu Ihren Herrschaften zurück und tun so, als sei nichts gewesen. Sie hören von uns.«

Zögernd wandte er sich zum Gehen, und wir verließen das Hotel, ohne uns umzusehen. Draußen im Wagen musste ich erst einmal tief durchatmen. Meine Knie zitterten leicht, und ich fühlte eine dünne, kalte Schweißschicht auf meinem Gesicht. Die Baronin küsste mich und sagte:

»Baumeister, du warst großartig.«

Ich sah sie an, wollte sie bei den Schultern nehmen, bemerkte aber den Verband und streichelte ihr nur über das Haar.

»Ich war nicht großartig. Nicht jetzt, und schon gar nicht davor. Wäre dieser Forst nicht selbst noch nie mit der Realität dessen konfrontiert worden, was er immer nur als sauberen Aktenvorgang bearbeitet, dann wäre auch das eben schief gegangen. Und wer weiß, was er gerade wirklich durchgegeben hat. Aber schlimmer war das, was ich mir vorher geleistet habe. Heute nacht wärst du um ein Haar getötet worden, und das nur, weil ich die Lage völlig falsch eingeschätzt habe. Dafür schäme ich mich.«

Die Baronin nahm mich in die Arme und küsste mich lange und zärtlich. Es war einer dieser Momente, die traurig sind und schön und so flüchtig, dass sie schon vorüber sind, wenn man erkennt, wie wichtig sie waren.

Ich musste mich mit einer großen Willensanstrengung lösen. Wenn ich ganz konzentriert war und schnell, dann hatten wir immer noch eine Chance.

»Warte bitte noch einen Moment auf mich. Ich bin sofort zurück.«

Die Baronin sah mich fragend und etwas verletzt an, sagte aber nichts. Ich lief über den nassen Parkplatz zum Telefon zurück. Pjotr war sofort am Apparat.

»Ich berichte Ihnen später, was los war. Sagen Sie mir jetzt nur, ob ich mit der Baronin in die Eifel fahren kann.«

»Das müsste gehen. Ich schicke Ihnen für alle Fälle ein paar Babysitter. Aber melden Sie sich schleunigst bei mir!«

Ich legte auf, ohne noch etwas zu antworten. Ich wollte mich nicht mit ihm streiten; ich brauchte ihn. Draußen war es kalt und windig. Zuweilen trieben ein paar Schneeflocken durch die Luft, und vom See her kamen feine Nebelschwaden gegen den Wald gezogen. Diese Welt war ganz still, und die Weiden unten am Ufer wirkten wie ihre Wächter.

 

15. Kapitel

 

In der Eifel kümmerten wir uns zuerst um Krümels Junge. Wir packten sie in einen frischen Pappkarton, den die Baronin mit alten Handtüchern auslegte, und stellten das Ganze in eine warme Ecke. Zwei von den vier hatten schon ein Auge auf, und es sah rührend aus, wie sie augenzwinkernd diese Welt betrachteten. Krümel war längst nicht mehr beleidigt; sie legte sich für einen Moment schnurrend neben mich, ehe sie sich zu ihren Jungen begab und sie trinken ließ. Es ist fast so, als hätte alles wieder seine Ordnung, dachte ich, als ich mich hinlegte. Aber ich wusste, die Ruhe trog.

Als ich morgens um sechs Uhr aufwachte, saß die Baronin im Morgenrock am Schreibtisch und telefonierte mit ihrer Mutter. Ich hörte nur noch: »… ach, ich glaube, ich könnte hier schon eine Weile leben. Aber es ist ja gar nicht sicher, dass ich schwanger bin.« Ich ging so, wie ich war, in den Garten hinaus, stapfte im diesigen Licht durch den nassen Schnee und atmete den Duft der feuchten Erde ein. Fast roch es schon nach Frühling. Die alte Brombeerranke in einem Winkel hinter der Birke, im Windschatten zweier Blöcke aus Rotsandstein, hatte schon helles, frisches Grün getrieben. Es war schön, wieder zu Hause zu sein, auch wenn Pjotrs Männer auf ihren Posten waren und wirkten wie eine Palastwache.

Als ich wieder nach drinnen ging, erwartete mich die Baronin schon mit frischem, dampfendem Kaffee. »Was machen wir heute?«, fragte sie unternehmungslustig. »Du bleibst hier; wir müssen uns für Pjotr bereithalten. Ich fahre nach Bonn und kümmere mich um die Penner.«

Sie maulte ein wenig, aber ich fand einen Weg, sie zu versöhnen.

Ich fuhr mittags los. Im Stadthaus in Bonn musste ich eine Weile suchen, aber schließlich saß ich einer älteren Frau mit Stahlbrille gegenüber, die mir erklärte, sie kenne jeden Penner zwischen Koblenz und Köln.

»Ich bin Redakteur und möchte das Leben dieser Menschen beschreiben. Ich suche einen Bonner Penner, falls es so etwas gibt.«

»So etwas gibt es.« Sie lächelte verbindlich. »Sie wollen sicher einen intelligenten, auskunftsfreudigen Vertreter der Zunft. Ich habe eine Kasse für meine Leute. Sagen wir, einhundert Mark?« Sie sah mich so selbstverständlich an, als hätte ich keine andere Wahl. »Gut, einverstanden. Wie heißt der Mann?«

Sie lächelte nachsichtig. »Wichtiger ist, wo er steckt. Es geht um den Harmonika-Karl. Er wird jetzt bei den Barmherzigen Schwestern sein und eine Suppe fassen. Er heißt so, weil er immer eine alte, rostige Mundharmonika dabei hat. Bestellen Sie ihm, Sie kommen vom Boss, und er soll sich anstrengen.«

Die Barmherzigen Schwestern residierten in der Nähe des Klosters Mariahilf in Bonn-Lengsdorf, und die Schwester Oberin, zu der ich geführt wurde, erklärte resolut: »Junger Mann, die Leute essen gerade, und sie haben ein Recht auf ihr Essen. Wir wollen sie doch nicht stören. Sie müssen also ein bisschen warten.« Dann schenkte sie mir einen jener unnachahmlich katholischen Blicke, die einen bis auf die Knochen zu durchschauen scheinen, zugleich aber milde Absolution für das verheißen, was da an Verderbtem offenbar wurde.

Ich war zwar finanziell allmählich ziemlich am Ende, aber irgendwie hatte ich meinen karitativen Tag. Jedenfalls legte ich ihr einen Hunderter auf den Schreibtisch und murmelte: »Hier, ein kleiner Beitrag für die Suppenküche.«

Sie strahlte und sagte: »Wissen Sie, Bonn ist eine Ansammlung von Gruppen und von Einzelnen, die nichts anderes tun, als unentwegt die Hand aufzuhalten. Die Stahlkocher halten die Hand auf, die Bauern halten die Hand auf, die Sudetendeutschen halten die Hand auf. Jeder hat seinen Abgeordneten, nur meine Penner haben keinen. Da muss man sehen, wie man zurechtkommt.«

»Kommen Sie zurecht?«

»O ja, eigentlich schon. Ich bettele ja auch gut. Für die Suppe reicht es immer.«

Sie verschwand und kam nach fünf Minuten mit einem Mann zurück, der fatal an Jack Nicholson in Shining erinnerte - nur zwei Jahrzehnte älter. Er war schmal, hager, und hatte lange, wirre, graue Haare. Er mochte vielleicht einen Meter achtzig groß sein, trug keinen Bart, und seine Kleidung war reinlich und einigermaßen ordentlich. Sein Gesicht war ungesund rot, eine Landschaft, die deutliche Spuren nicht mehr gutzumachender Verwüstung zeigte.

»Ich soll schöne Grüße vom Boss bestellen«, sagte ich.

Er sah mich an; er wirkte ziemlich mürrisch. »Sie haben sicher schon gelöhnt. Wie viel?«

»Einen Blauen.«

»Und hier?« Er wusste Bescheid.

»Auch einen Blauen.«

Die Schwester Oberin war leicht verlegen.

»Dann koste ich den dritten«, sagte er ruhig. »Es ist nämlich so, dass alle ihren Schnitt machen, wenn ich Interviews gebe. Und ich will auch was vom Kuchen.« Er stand da und wippte leicht in den Knien.

»Einverstanden«, sagte ich. »Können wir irgendwo in Ruhe sprechen?«

»Erst löhnen«, sagte er. Er sprach aus Erfahrung, und er würde sich nicht vom Heck rühren, ehe er sein Geld nicht hatte.

Ich gab es ihm, und er steckte es so lässig in die Brusttasche seines Jacketts, als ginge er tagtäglich mit solchen Summen um.

»Jetzt zum Thema«, sagte er. »Wenn es um bestimmte Abgeordnete geht, die man nachts irgendwo sieht, geht das in Ordnung. Wenn es um mein Leben geht, wo ich schlafe, meine Suppe kriege und so, wieso ich Penner bin: Das ist auch normal. Es gibt aber auch kitzlige Themen.«

»Ja, und?«

Er sah mich an. »Ich will nur klarstellen, dass ein kitzliges Thema noch einen Blauen kostet.«

Ich gab ihm widerstrebend einen zweiten Hundertmarkschein. »Jetzt aber los, und du musst wirklich etwas bringen für dein Geld.«

»In Ordnung«, sagte er und grinste. Er hatte vorne sogar noch ein paar eigene Zähne.

Wir gingen hinaus. Es hatte zu regnen begonnen. Er schlug den Kragen seines Jacketts hoch und schritt kräftig aus, ohne sich umzusehen. Ich hatte Schwierigkeiten, mit ihm Schritt zu halten, und kam mir ziemlich dumm vor. Was, wenn Karl nun nichts wusste? Das Geld war dabei meine geringste Sorge - mir blieb nicht mehr viel Zeit.

Mein Tippelbruder führte mich eine lange, trostlose Straße hinunter, dann in eine heruntergekommene Einkaufsstraße, in der alle Geschäftstüren zu gähnen schienen. Er steuerte auf einen Kiosk zu und sagte zu der dicken Frau am Verkaufsfenster: »Mariechen, einen Kasten Bitburger und zwei Haschen Korn. Der Herr bezahlt.«

Nachdem ich bezahlt hatte, meinte er gönnerhaft: »Wir nehmen das Zeug zwischen uns.« Dann liefen wir mit der Bierkiste und dem Schnaps noch gute zwei Kilometer durch ein ödes Neubaugebiet, schließlich quer über eine wilde Müllkippe, um endlich vor einem dreigeschossigen Neubau zu stehen, dessen Besitzer offenkundig aufgegeben hatte.

Holunder war hochgeschossen, Pfeifenweiden standen malerisch wie expressionistische Gerippe vor unverputzten Klinkern, und oben auf einem Balkon ohne Geländer wuchs eine kleine, schräge Birke und wiegte sich sanft im kalten Wind.

»Hier bin ich Hausmeister«, stellte er fest.

Er ging vor mir her in den ersten Stock, und es roch so, wie Neubauten riechen, wenngleich ich immer an den Geruch zerbombter Häuser erinnert werde. Er blieb vor dem Eingang in eine Wohnung stehen, die mit einer schweren Tür aus Baubrettern gesichert war. Sie hatte ein gutes Sicherheitsschloss. Er fingerte an einem Schlüsselbund herum. »Ich muss immer abschließen. Die Kriminalität heutzutage wird immer schlimmer.«

Auch innen gab es nur rohen Beton und rauhe Klinker. Ein großes Zimmer zur Straße hin hatte sich Karl komplett eingerichtet, die Wände mit Wolldecken straff bezogen, alte, teilweise richtig schöne Teppiche auf dem Boden. Ein Bett, ein Schrank, ein Tisch, vier Sessel - alles vom Sperrmüll, aber alles gepflegt und matt glänzend poliert.

Er ging zu einem Gasherd, der mitten im Raum stand, öffnete die Backofentür und machte Feuer. Er meinte: »In zehn Minuten ist es warm.« Dann knipste er eine Stehlampe aus den fünfziger Jahren an, tütenförmig, hässlich und heute sehr gesucht.

»Wieso liegen hier Versorgungsleitungen?«

Er lachte und breitete die Arme aus. »Hier liegen doch gar keine Versorgungsleitungen, oder siehst du was? Weißt du, als der Bonze, der das hier gebaut hat, vor einem Jahr in den Knast musste, weil er irgendwen beschissen hat, hab’ ich ihm gesagt, ich würde auf den Bau aufpassen, bis er rauskommt. Die Leitungen lagen da schon vorm Haus, ich hab’ sie nur verlängert, verstehst du?«

»Das merken die Stadtwerke doch.«

»Merken die nicht, weil es nicht auf ihrem Plan ist. Fällt unter Leitungsverlust. Die Bullen, die hier durchkommen, sagen nichts, weil ich nicht kriminell bin.«

»Aha.«

»Willst du ein Bier, einen Korn oder beides?«

»Hast du Kaffee?«

»Habe ich. Aber das Schälchen kostet normalerweise eine Mark, sonst komme ich nicht auf meine Kosten.« Ich wollte ihn zum Teufel schicken, dann musste ich grinsen. »Ich bezahle fünf Schälchen. Darf ich rauchen?«

»Du bist witzig«, sagte er verwirrt.

»Ich bin für Höflichkeit«, sagte ich. »Du bist ein guter Typ, also bin ich höflich.«

»Wenn du mir so kommst, frage ich mich, was du wirklich willst. Du musst viel wollen. Was liegt an?«

»Ein Mord.«

Er stand da, sah mich mit ganz wachen Augen an und meinte schließlich: »Das kostet fünfhundert Mark«, sagte er langsam. »Das kostet dich die Kleinigkeit von fünfhundert Mark.«

Ich wurde allmählich wütend. »Hör zu: Ich habe vierhundert hingeblättert, um überhaupt mit dir reden zu können. Jetzt soll ich einen halben Riesen opfern für etwas, das ich nicht mal kenne? Wenn du dann nach der zweiten Frage passt, sehe ich schön alt aus.«

»So isses nicht«, meinte er zögernd. »Ich muss ja nicht passen.«

»Mit anderen Worten: Er war hier bei dir?«

Er nickte und goss kochendes Wasser auf den Pulverkaffee. »Ich wusste genau, dass das faul ist mit dem, ich habe es gerochen. Nein, ich mache es nicht für fünfhundert, ich mache es überhaupt nicht. Ich habe hier die warme Bude, und wenn die Zivilbullen auftauchen, geht das alles den Bach runter.«

»Verdammt noch mal, jetzt hör mir mal zu: Ich recherchiere seit Tagen an dieser Scheißgeschichte herum, ich kriege ein Ding ins Bein geballert, ich werde von irgendwelchen großkotzigen Bundesanwälten rumgestoßen. Und du stehst da und willst einfach die Schnauze halten, nachdem du kassiert hast. Nicht mit mir, mein Freund.«

Er musterte mich mit seinen wässrigen Augen, sagte aber nichts. Dann zuckte er die Achseln.

»Beruhige dich, komm erst mal wieder auf den Teppich. Trink deinen Kaffee.« Er stellte die Tasse vor mich hin. »Wülste Kekse?« Das war das Letzte, was ich jetzt brauchte: ein netter Kaffeeklatsch in einer Hausruine. Aber ich nahm einen. Karl zog seine Mundharmonika aus der Tasche und spielte ein paar Melodiefetzen. Dann war er zu seiner Entscheidung gekommen.

»Vergiss das mit der Kohle erst mal. Du siehst aus, als wärst du echt fertig, fertiger als ich.« Er kicherte. »Frag mich. Aber wenn du ‘ne Story davon machst, dann will ich was sehen, dann gibt’s nicht mal ‘n Foto gratis, ist das klar?«

Ich hätte ihm alles versprochen, und das hier war mehr als fair. Jetzt kam es darauf an.

»Wann tauchte Lewandowski auf?«

»Wie heißt der? Lewandowski? Na, vier Tage, bevor er umgelegt wurde. Ich weiß noch, es war ein Sonntagmorgen. Ich war mit Elsie hier, und wir hatten ‘ne Menge Spaß. Elsie ist aus Köln, dauernd auf der Walze. Sie hat nicht viel in der Birne, aber sie ist gut, verstehst du? Sie sagt, alle Männer wollen mit ihr bumsen, aber in Wirklichkeit macht es ihr am meisten Spaß, und sie ist gut, richtig gut. Ich hatte Elsie in Rodenkirchen aufgegabelt. Da ist ein Pfarrhaus, da kriegen wir manchmal Stullen. Ich sagte Elsie, sie kriegt einen Kasten Bier, wenn sie mitkommt. Man braucht so was. Elsie war echt gut drauf an dem Abend. Und sie hat kein Aids, und so. Sagt sie.«

»Das war also Samstag.«

»Richtig, das war Samstag. Wir sind über Wesseling, Urfeld, Hersel und Graurheindorf gezogen. Manchmal haben wir eine Pause gemacht, meistens in den Wartehäuschen von der Rheinuferbahn. Nachts waren wir ziemlich fertig, wir haben erst mal geschlafen. Sonntagmittag war Elsie dann in Superform. Und da sagt plötzlich wer im Treppenhaus: >Ist hier einer?< Nanu, denke ich, das ist irgendein Kumpel, der sich den Arsch abfriert. Ich gehe also raus, und da steht dieser Heini, den sie dann später am Langen Eugen umgelegt haben.«

»Woher weißt du das überhaupt? Das stand doch in keiner Zeitung.«

Er sagte voller Verachtung: »Wenn so etwas läuft, wissen wir es am schnellsten. Immer.«

»Und wie kommt Lewandowski in diese Gegend, hier in den Neubau? Das passt doch irgendwie nicht.«

»Na, er sagte, er wäre da am Bahnhof gewesen und hätte Kumpel von mir getroffen. Und die hätten ihm von dem Haus hier erzählt und von meiner Bleibe. Wer war er eigentlich?«

»Ein Geheimdienstbulle.«

»Heilige Scheiße! Ich hab’s geahnt, ich hab’ gewusst, dass mit dem was faul ist. Ich dachte mir, wenn der ‘n Penner ist, dann sitz’ ich im Bundestag. Er war jedenfalls im Treppenhaus und fragte mich, ob er mal mit mir sprechen könnte. Immer rein, habe ich gesagt. Dann hat er Elsie gesehen und nichts mehr gesagt. Also habe ich ihr gesagt, sie soll eine Weile draußen bleiben. Dann ist sie raus, und dieser … wie heißt er noch? Ich habe ihn einfach Ede genannt. Ede hat mir gesagt, er wäre in Schwulitäten. Gemacht hätte er nix Großes, aber zurückziehen müsste er sich mal für ‘ne Weile. Klar, kennt man ja, kann vorkommen. In Ordnung, habe ich gesagt, du kannst hierbleiben, aber im Hotel musst du auch löhnen, hier kostet dich das genauso was. Er hat gelöhnt, und ich bin dann raus zu Elsie und hab’ sie weggeschickt. Sie hat ziemlich geschimpft, aber ich hab’ gesagt, er hat Knete, und Geschäft ist Geschäft.«

»Wie viel hat er bezahlt?«

»Erst mal einen Blauen. Er hat nicht gehandelt. Aber zuerst ist er rausgegangen und hat seinen Koffer geholt.«

»Einen Koffer?«

»Einen Koffer, einen ziemlich normalen Koffer. Dachte ich jedenfalls. Hinterher wusste ich, dass an dem nix normal war.«

»Hast du gesehen, was in dem Koffer war?«

»Ja. Ede war pissen und hatte vorher drin rumgekramt und ihn nicht wieder abgeschlossen, weil er meinte, ich würde schlafen. Da hab’ ich natürlich reingeguckt. Da waren Waffen drin, zwei Revolver und ein Gewehr. Das Gewehr war auseinandergenommen. Dann noch andere Sachen. Ein Fernglas, eine Brieftasche voll Schotter. Im Deckel von dem Koffer war ein Anzug, feinste Sahne, ein Hemd mit Krawatte und so. Sah picobello aus, wie ein Musterkoffer, kein Staubkorn.«

»Hast du Geld aus der Brieftasche genommen?«

»Na hör mal, wie kommst…«

»Hast du Geld genommen?«

»Na ja, eine Handvoll Blaue. War einfach zu viel für mich, zu viel Aufregung, verstehste? Aber er hat es nicht mal gemerkt.«

»Er hat es gemerkt, er hat nur nichts gesagt.«

»Wäre möglich«, gab er zu und zuckte mit den Achseln. »Was passierte dann?«

»Kannst du mir in deinem Artikel nicht einen Decknamen geben? Ich meine, wenn die Bullen kommen und mich anmachen, weil ich nichts gemeldet habe, bin ich das Haus hier los und kann wieder in den Knast.«

»Einverstanden. Also, was passierte dann?«

»Moment! Das mit dem Decknamen brauch’ ich schriftlich.«

Ich gab ihm also schriftlich, dass ich seinen Namen heraushalten würde, und er braute mir noch einen Kaffee.

»Na ja, wir haben uns unterhalten, und er hat mir eine Story erzählt. Ich habe nämlich gemeint, er soll mal sagen, was Sache ist. Er sagte, er hätte Krach mit seiner Alten, weil die einen anderen Kerl hätte, und dass er Kassierer wäre von einem Tennisverein, und dass er was Dummes gemacht hätte.«

»Mit der Vereinskasse durchgegangen?«

»Genau. Klang echt gut, die Geschichte, aber ich habe ihm kein Wort geglaubt. Nicht nach der Sache mit den Knarren.«

Ich wurde immer ungeduldiger, aber ich musste mich auf die Geschichte so einlassen, wie er sie mir erzählte. Also fragte ich so ruhig, wie ich konnte: »Und was lief weiter ab?«

»Nix, wir haben geschlafen. Ach so, ja, bis Elsie kam, da wurde mir ganz mulmig. Also: Ich hatte Elsie auch was Kohle gegeben, und sie muss sich dafür ‘ne Dröhnung besorgt haben. Jedenfalls taucht sie nachts auf und lärmt unten im Haus rum. Ich hab’ ja wirklich einen leichten Schlaf, Junge, aber dieser Ede hat mir vielleicht einen Schrecken eingejagt. Ehe ich auch nur die Augen aufmache, steht Ede schon hinter der Tür und hat in jeder Hand einen Ballermann. Der hätte jeden umgeblasen, ganz emsthaft! Mann, sage ich, das ist doch bloß die Elsie! Und er sagt ganz kalt: >Schick sie weg!<, steckt die Knarren ein und haut sich wieder hin. In der zweiten Nacht hätte er beinahe mich weggeblasen, bloß, weil ich mal pissen gegangen bin. Mann, der ging mir vielleicht auf den Keks.«

»Was war am Montag?«

»Nichts.«

»Wie, nichts? Da muss doch was passiert sein.«

»Ich sag’ doch: nichts. Ich musste ihm nur Kleingeld besorgen, jede Menge Groschen. Damit zockelte er alle Stunde rüber zur Telefonzelle, um irgendwen anzurufen. Ansonsten lag er nur auf der Liege, trank ab und zu ein bisschen Saft oder Wasser. Nie Kaffee, nie Alkohol.«

»Wann ist denn wieder etwas passiert?«

»Am dritten Tag, also am Dienstag. Da war ich in der Innenstadt. Natürlich habe ich über die Sache mit Ede die Schnauze gehalten, Also, da kommt ein Kumpel und bringt zwei Neue mit, einen Mann, eine Frau. Das ist nichts Besonderes, weil andauernd Neue kommen, denn den Leuten geht’s ja nicht so gut. Wir stehen da also so am Bahnhof rum und nehmen eine Dose Bier, und ich guck’ mir die so an. Nanu, denk ich, ist das jetzt ‘ne neue Mode? Die waren nämlich auch nicht von unserer Sorte, genauso wenig wie mein Freund Ede.«

»Moment mal«, sagte ich und legte die Bilder vor ihn hin. »Das war also dein Ede, mein Lewandowski, richtig?«

»Richtig. Mann, sieht der da mies aus.«

»Und das hier waren die beiden Neuen, auch richtig?«

»Ja, tatsächlich! Woher hast du das? Wer waren die überhaupt?«

»Auch Geheimdienstbullen. Weiter.«

»Na ja, wir kamen dann so ins Quatschen und sie sagten, sie kämen von Wesel runter. Sie wollten langsam durchtrampen bis Spanien, von wegen Sonne und so. Ich hab’ kein Wort geglaubt. Die hatten zwar alte Klamotten an, aber sie hatten nicht mal dreckige Fingernägel, und an so was merkt man, ob einer echt ist oder nicht. Dann ließen sie die Katze aus dem Sack und fragten nach Ede. Sie sagten, er wäre ein Kumpel aus alten Zeiten. Ich hab’ mich dann langsam verkrümelt, bin hierher und hab’ das Ede erzählt. Da hat er nur gegrinst, sonst nichts.«

»Ist sonst noch was passiert am Dienstag?«

»Nichts, nur dass mir mein Kumpel Ede gewaltig auf den Zwirn ging. Er sagte nichts, verstehst du, die ganze Zeit kein Wort. Da wirste ja verrückt. Ich dachte dauernd, wie ich ihn loswerden und wieder mit Elsie bumsen kann.«

»Was war Mittwoch?«

»Mittwoch sollte ich für ihn eine Bahnfahrkarte kaufen. Erster Klasse nach Basel, und alle halbe Stunde ging er zu seiner Zelle, um zu telefonieren.«

»Hast du die Fahrkarte gekauft?«

»Na klar. Kaum hat er sie, da gibt er mir schon wieder einen Haufen Blaue und sagt, ich soll ein Flugticket nach Kopenhagen kaufen. Aber das habe ich dann nicht mehr gemacht, daraus wurde nichts mehr. Unten fuhr nämlich plötzlich so ein Geländewagen vorbei. Als er den sah, sagte er: >Jetzt wird es aber Zeit!< Er wartete nur noch, bis die Karre um die Ecke war, dann haute er ab. Er hatte die Bündel Bares eingesteckt und …«

»Er ist ohne den Koffer weg?«

»Ja, ist er. Es muss so gegen acht gewesen sein und schon dunkel. Er rannte ohne Koffer los.«

»Mann, wo ist der denn jetzt?«

Erstaunt sah er mich an. Wie konnte man sich nur wegen einem Koffer so aufregen?

»Na, unter meinem Bett hier. Aber Zaster ist keiner mehr drin, den hat er mitgenommen.«

»Hast du eine Ahnung, wie viel Geld das war?«

»Also ich schätze mal, abgesehen von den Blauen, mindestens dreißig Riesen. Reicht schon für ‘ne Weile.«

»Zeig mir den Koffer.«

»Muss ich den abgeben? Der sieht echt gut aus.«

»Sicher. Besser, ich nehme ihn gleich mit.«

Es war ein teurer, schwarzer Lederkoffer mit Stahlverstärkung. Wäre er verschlossen gewesen, hätten wir Probleme gehabt. Darinnen lagen zwei schwere Smith and Wessen-Revolver und ein ultramodernes Gewehr mit vielen Plastikteilen. Dann der Anzug, ein beiges Hemd, eine weinrote Krawatte, sechs Pässe.

»Lieber Himmel!« Für eine Sekunde sah ich schon meine Sensationsreportage vor mir, Baumeister, der Starreporter. Dann war ich wieder in der Wirklichkeit. Hier und jetzt bedeutete dieser Fund vor allem eins: höchste Gefahr.

Das hatte sogar mein Freund mit der Mundharmonika begriffen, denn er sagte wehmütig: »Zuerst wollte ich das ja alles verscheuern. Was meinste, was du für die Sachen kriegen würdest! Jeden Winter in Südfrankreich … Aber dann hab’ ich gedacht, das ist mir doch zu heiß. Und du siehst mir auch nicht hart genug aus, um mit der Sorte Typen fertig zu werden. Vielleicht sollten wir das Ding einfach irgendwo verscharren und alles vergessen.« Ich ignorierte ihn und dachte nach.

»Ich frage mich, wohin er wollte.«

»Das musst du allein rauskriegen. Wülste noch einen Kaffee?«

Draußen war es ganz dunkel geworden, der Wind heulte unangenehm, und irgendwo schepperte ein loses Stück Blech immer wieder gegen eine Mauer.

»War dieser Geländewagen ein schwarzer Mitsubishi-Pajero?«

»Da kenne ich mich nicht aus.«

»Aber schwarz war er?«

»Ja.«

Mir war auf einmal eiskalt.

»Ich glaube, ich muss jetzt gehen.«

»Ja, und der Koffer? Nimmst du den mit?«

»Ja, das ist mit Sicherheit das Beste.«

»Wenn die Bullen rauskriegen, woher du den hast, nehmen die mich hoch.«

»Von mir erfahren die nichts.«

»Ja, gut. Und du lässt dich mal wieder sehen?«

»Ich muss auf jeden Fall noch mal kommen. Ich fotografiere dich erst mal hier. Veröffentlicht wird nichts ohne Löhnung, versprochen.« Ich fotografierte ihn, und er strahlte in die Kamera, als wäre es sein Kommunionsfoto.

»Ist doch toll, oder? Du schreibst deine Geschichten, und wenn du die Schnauze voll hast, kommst du her und trinkst deinen Kaffee, und wir klönen.«

»Ja, nicht schlecht.« Er war ein guter Typ, und wir gaben uns zum Abschied feierlich die Hand.

Dann nahm ich den Koffer und marschierte los. Es war schneidend kalt. Ich war aufgeregt und hundemüde, aber mein Kopf arbeitete weiter. Natürlich wusste ich, wohin Lewandowski gewollt hatte: Zu seinem Führungsmann Harald Forst in die Thomasstraße 38 b. Und der? Natürlich, das war es: Der hatte ihn im Regen stehen lassen. Aber warum?

Ich war inzwischen in einer etwas zivilisierteren Gegend, und als ich eine Telefonzelle sah, beschloss ich, Pjotr anzurufen. »Ich habe bei einem Penner Lewandowskis Koffer für den Notfall ausgekramt. Es wäre gut, wenn Sie morgen zu mir in die Eifel kämen.«

Wenn er überrascht war, ließ er es sich nicht anmerken. Er sagte bloß: »Der Koffer ist es also! Baumeister, hauen Sie schnell da ab. Reimer und Strahl sind in der Stadt und suchen etwas. Das kann nur dieser Koffer sein. Hauen Sie also um Gottes willen ab!«

Ich hängte ein. Mir war ganz mulmig, und den gesamten Weg zurück zu meinem Wagen kam ich mir vor wie ein Kind, das in den dunklen Kohlenkeller muss. Als ich endlich bei dem kleinen Opel ankam, war ich erleichtert. Ich freute mich auf das Gesicht, das die Baronin machen würde, wenn ich ihr den Koffer zeigte. Ich wollte gerade erleichtert starten, da kam der schwarze Mitsubishi wie ein böser Käfer um die Ecke gekrochen. Sie saßen beiden vorne, Gig Reimer und Ellen Strahl.

Ich hätte mich ohrfeigen können. Natürlich, sie mussten aufräumen, sie mussten den letzten deutlichen Hinweis auf Alfred Lewandowski von dieser Erde tilgen.

Ich duckte mich und wartete, bis sie vorbei waren. Dann fuhr ich ganz langsam und ohne Licht hinter ihnen her. Sie hatten Zeit, und offenbar wussten sie genau, wohin sie wollten. Ich überlegte fieberhaft, was ich tun konnte, um vor ihnen dazusein. Ich musste etwas unternehmen, irgendetwas!

Ich gab Gas und versuchte, in einer Parallelstraße abzukürzen, aber ich fuhr eine Querstraße zu weit. Als ich gewendet hatte, waren sie weit vor mir, und es gab keine Möglichkeit mehr, ungesehen an ihnen vorbeizukommen. Ich fuhr noch immer ohne Licht.

Ihre Scheinwerfer tasteten sich an der Müllkippe vorbei, erfassten die Siedlungsstraße und erloschen - weit vor dem Neubau des harmlosen, wehrlosen Harmonika-Karl. Sie stiegen aus und gingen zu Fuß weiter, Reimer auf der rechten Straßenseite, die Strahl auf der linken. Sie hatten höchstens noch fünfzig Meter vor sich. Ihre Schatten glitten schnell durch die Lichthöfe der Straßenlaternen.

Verzweifelt klappte ich Lewandowskis Koffer auf und starrte auf das bizarre Gewehr. Ich würde es nie schnell genug zusammensetzen können, wenn überhaupt je, und dann könnte ich nichts damit anfangen. Panikartig griff ich mir eine Smith and Wesson und kurbelte das Fenster herunter. Dann gab ich Gas, der Wagen schoss nach vorne, machte einen Satz und blieb bis zur Achse in einem Schlammloch stecken.

Ich fluchte und sah, wie die beiden herumwirbelten. Dann mussten sie wohl entschieden haben, dass der Koffer dringender sei, denn wie auf ein unhörbares Kommando stürmten sie auf den Neubau zu. Sie verschwanden im Schatten des Hauses, und es wurde unheimlich still.

Ich war rasend in meiner Hilflosigkeit, und mir war alles egal. Wie ein Amokläufer sprintete ich hinter den beiden her, den Revolver in der Hand. Dabei wusste ich nicht einmal, ob ich auch nur eine Scheunenwand treffen würde.

Vor der gähnend schwarzen Türhöhle schlug ich lang hin, und noch ehe ich mich aufgerappelt hatte, schlugen klatschend zwei Kugeln in einen Balken direkt neben der Stelle ein, wo ich jetzt eigentlich gestanden hätte. Dann sirrte eine dritte Kugel als Querschläger irgendwo ins Dunkel. Ich hatte keine Schüsse gehört und wusste nicht, wo der Schütze lauerte. Meine eigene Waffe hatte ich bei dem Sturz verloren. Ich robbte zitternd vor Angst und Wut und Hilflosigkeit hinter einen Haufen Bauschutt und drückte mich in eine übelriechende kleine Mulde. Ich weiß nicht, wie lange ich da lag, erbärmlich und kurz vor der Panik und sicher, dass ich hier nicht lebend würde herauskommen können. Genauso wenig wie Karl. Um ein Haar hätte ich laut losgeheult.

Irgendwann hörte ich den Motor des Pajero; sie fuhren weg. Mir war inzwischen egal, ob das eine Finte war: Ich torkelte hoch und stolperte die roten Betonstufen hinauf.

Sie hatten Karl das Genick gebrochen. Er lag da mit absurd verdrehtem Kopf auf dem schäbigen Boden direkt vor seiner Wohnung, in der er so glücklich gewesen war.

Ich schrie laut meinen Schmerz und meine Wut hinaus. Dann nahm ich Karls Mundharmonika an mich, ging, ohne mich umzudrehen und ohne mich um eine mögliche Falle zu kümmern, zurück zu meinem Wagen und machte mich verbissen daran, ihn wieder flott zu bekommen. Dann fuhr ich wie betrunken in die Eifel.

Die Baronin sagte mir später, ich habe kein Wort gesprochen, als ich hereinkam, und ein ganz graues Gesicht gehabt. Ich sei wie ein Schlafwandler zum Telefon gegangen und habe Pjotr angerufen.

Er meldete sich verschlafen, und ich sagte ihm, dass Reimer und Strahl in Bonn soeben einen völlig unbedeutenden Penner umgebracht hätten, der nur zufällig mein Freund war. Sie glaubten, er sei im Besitz ihres Koffers.

»Ich habe die Schnauze gestrichen voll. Ich will raus aus diesem Scheißspiel!«

»Mann, beruhigen Sie sich doch erst mal.«

»Ein großartiger Rat. Das Einzige, was mich beruhigen könnte, wären Informationen. Die sind für uns jetzt nämlich lebenswichtig. Zum Beispiel: Vor wem war Lewandowski auf der Flucht?«

»Denken Sie nach, und Sie werden schnell darauf kommen«, sagte Pjotr kühl. »Wann soll ich bei Ihnen sein?«

»Schnell, so schnell es geht. Ich muss endlich alles wissen, und wir wollen raus aus der Sache.«

»Das sind jetzt die Aufräumarbeiten, mein Lieber.«

»Ja, ich weiß. Hier ein Toter, dort ein Toter. Und wann sind wir tot?«

»Nicht, wenn Sie sich auf mich verlassen. Ich komme morgen.«

»Sagen Sie mir, warum Lewandowski getötet, wurde. Nur das!«

»Weil er einen Fehler machte«, sagte er und hängte ein.

»Du siehst aus wie ein sehr alter Mann, und du solltest ein Bad nehmen und dich dann hinlegen«, sagte die Baronin sanft.

Ich ließ mich von ihr ins Bad bringen, und in dem heißen Wasser kam ich wieder so weit zu mir, dass ich ihr berichten konnte, was geschehen war.

Die Baronin war zu Tode erschrocken. Sie streichelte mir die ganze Zeit den Kopf, sagte »armer Siggi, armer Karl« und küsste mich, als wäre es das Letzte, was wir auf der Welt würden tun können.

Später zeigte ich ihr den Koffer, und sie sah mich lange an und meinte dann:

»Siggi, wir müssen raus aus der Geschichte. Wir müssen ganz schnell da raus.«

 

16. Kapitel

 

Als ich aufwachte, war es schon fast zehn. Eine grelle Sonne lag über dem weißverschneiten Land, Eifellicht. Die Baronin spielte mit den kleinen Katzen und sagte: »Du solltest dich rasieren, Pjotr kommt gleich. Dein Verband muss auch erneuert werden.«

Die Wunde sah gut aus und würde sicher eine beeindruckende Narbe geben. Nach dem Verbandswechsel diktierte ich der Baronin, was mit Karl geschehen war. Sofort hatte ich wieder einen Kloß im Hals und Wut im Bauch. Das Beste würde sein, ich ging einmal durch das Dorf, um mich wieder zu fangen.

Die Schneedecke war nicht höher als vier oder fünf Zentimeter. Ein alter Mann arbeitete verbissen daran, die verharschte Masse von einem Bürgersteig abzukratzen, den ohnehin niemand benutzte.

Unser Ortsbürgermeister kam aus seinem Haus gelaufen, als ich vorbeiging, und sagte: »Morgen. Wer war denn der Tote in deinem Garten?«

»Weiß ich nicht, weiß ich wirklich nicht. Ich hab’ es gar nicht glauben wollen. Ich war in Bonn zu einem Interview, und plötzlich tauchen Bullen auf und fragen mich, warum denn in meinem Garten jemand erschossen wurde.« Ich lachte; es gelang nicht sonderlich überzeugend. »Komische Sache«, sagte er mit hellen, misstrauischen Augen. »Erst laufen die Ermittlungen normal an, dann sagt jemand: Schluss! Aus! Alles zur Bundesanwaltschaft! Und was weißt du noch darüber?«

»Wahrscheinlich weniger als du. Wirklich erschossen?«

»Ja. Und sogar mit zwei verschiedenen Waffen. Beide Schüsse ins Gesicht. Nicht zu fassen. Du musst doch irgendwas wissen, Mensch.«

Da redeten die Leute im Umkreis von zwanzig Kilometern von nichts anderem, und ich musste so tun, als wüsste ich absolut gar nichts. »Wenn ich mehr weiß, sage ich es dir.«

»Sag mal, warum humpelst du so?«

»Oberschenkelzerrung. Ausgerutscht. Mach’s gut.«

Er stand da, sah mir nach und glaubte mir kein Wort. Ich fühlte mich ziemlich elend.

Als Pjotr in seinem alten Wagen auf den Hof bog, schleppte ich gerade Holz für den Kamin ins Haus. Pjotr blieb bei seinem Auto stehen und sah sich aufmerksam um. »Warum leben Sie eigentlich hier?«

»Weil ich die Leute und das Land mag, weil es ruhig ist, weil kein Idiot mir einredet, ich müsste unbedingt eine Karriere machen, von der ich nicht weiß, ob ich damit glücklich bin, wenn ich sie gemacht habe.«

»Hier kann man nachdenken.«

»Ja. Aber Denken ist aus der Mode gekommen. Gehirn ist der Ballast, der zuerst abgeworfen wird.«

»Sind Sie schlecht gelaunt?«

»Nein, durchaus nicht. Nur nachdenklich. Haben Sie Neuigkeiten?«

»Ja.« Er scharrte mit der rechten Schuhspitze im Schnee. »Lawruschka Ljubomudrow ist in Bonn.«

»Was bedeutet das?«

»Das weiß ich noch nicht. Es geht wohl dem Ende zu.«

»Kommt rein«, sagte die Baronin in der Tür. »Es ist draußen viel zu kalt, um nachdenken zu können.«

»Wissen Sie eigentlich, dass die Eifel das rheinische Sibirien genannt wird?«, fragte Pjotr und half mir, das Holz hereinzutragen.

»Dann liebe ich Sibirien. Wie geht es eurem Vorsitzenden?«

»Hervorragend«, sagte er vergnügt, »jedem Russen, der so oft zitiert wird, geht es gut. Kritisch wird es erst, wenn man ihn verschweigt.«

Die Baronin hatte Kaffee gemacht, es gab salzige Butter, Brot und Eifelschinken. Pjotr war begeistert und schien sich wie zu Hause zu fühlen.

»Wir wissen nichts von Ihrem Beruf«, sagte die Baronin. »Was sind Sie wirklich?«

Er grinste sie an. »Nun, bestimmt bin ich kein Typ Null-Null-Sieben, dazu bin ich entschieden zu unsportlich. Ich liebe meinen bleichen, verweichlichten Körper und lege Wert darauf, ihn keinen unnötigen Gefahren auszusetzen.«

»Hört auf mit dem Small talk«, sagte ich. »Pjotr ist Geheimdienstmann und hat offiziell irgendeine Funktion, von der alle Insider wissen, dass sie nur auf dem Papier besteht. Bevor wir uns gegenseitig in Artigkeiten ersticken, möchte ich feststellen, dass ich mich missbraucht fühle. Die Geschichte auf Ibiza war eine ziemliche Sauerei; wir waren nichts als Lockvögel. Reimer und Strahl würden alles tun, nur nie ein Interview geben. Sie fragen selbst nie, und ihre Antworten bestehen nur aus Töten. Ich möchte ausschließen, dass so etwas wie in Spanien noch einmal geschieht.«

Er sah mich an und nickte langsam. »Zugegeben, Sie waren das Futter für die Tiger. Neue Mitspieler bringen meistens Unsicherheit ins Spiel, und das wollte ich ausnutzen. Missbraucht? Na gut, wenn Sie meinen.«

»Warum haben Sie den Polen in den Tod geschickt?«, fragte die Baronin.

Er stand auf, legte ein Holzscheit ins Feuer und blieb im Feuerschein stehen. »Den Polen konnte niemand retten, ich schon gar nicht.« Er stocherte mit dem Schüreisen in den Flammen. »Buchenholz riecht phantastisch. Sie kennen doch den Film Spiel mir das Lied vom Tod. Im Wesentlichen ist das eine Ansammlung von Männern, unrasiert, in weiten, hellen Staubmänteln, die auf ihren Pferden sitzen und von Zeit zu Zeit Menschen erschießen. Dabei ist durchaus nicht immer einleuchtend, weshalb das geschieht: Die Motivierung ist schwach. Ein kritischer Zuschauer muss denken: Wenn die zwei Minuten miteinander reden würden, wäre der ganze Film hinfällig, weil keiner mehr zu schießen brauchte. Der Regisseur wusste das genau und ließ schweigen. So ähnlich ist das mit den Geheimdiensten: Wir haben es auch da meist mit Männern zu tun, deren geistiger Befund zumindest leicht pathologisch wäre, wenn man sich die Mühe machte, sie zu untersuchen. Sie sind zwar rasiert und hocken nicht auf Gäulen, tragen aber auch oft seltsame Mäntel und sind ständig bereit, völlig schweigsam gewalttätig zu werden. Sie könnten mit Sicherheit selbst nicht begründen, warum das so sein muss. Ohne sich und ihren Staat zu hinterfragen, tun sie Dinge, die jeden normalen Menschen ins Gefängnis führen würden. Der dünne Pole war so: ganz still, ganz hart und unbeeinflussbar. Die Henkergruppe hatte seinen Freund getötet. Wenn er sie nicht auf Ibiza gestellt hätte, dann hätte er es anderswo versucht.«

»Aber er hatte doch keine Chance!«

»Der Pole war ein sentimentaler Narr!«, sagte er scharf. »Er wollte sie nicht aus dem Hinterhalt erschießen, er wollte ihnen offen gegenübertreten. Ich weiß nicht, ob er dabei überhaupt noch logisch gedacht hat. Wie Sie selbst in diesem Garten erlebt haben, hatte er auf diese Art keine Chance.«

»Woher wissen Sie das mit dem Garten?«

Er zuckte die Achseln. »Ich muss vieles wissen.« Er überlegte einen Moment. Dann sagte er knapp: »Kommen Sie mit.« Er ging vor uns her, öffnete die Gartenpforte, als habe er das hundertmal getan, ging um das Haus herum, blieb stehen und erklärte: »Sehen Sie, der Mann, der erschossen wurde, stand dort unten in der Bresche in der Hecke. Diese Bresche stammt von einem Mercedes-Geländewagen, der in Becks Truppe mitfuhr. Sie selbst standen dort links vor der alten Stalltür, ein wenig versetzt vor Ihrer Freundin. Links von Ihnen im Durchlass der Mauer stand die Strahl. Und genau vor Ihnen stand Reimer. Sie wurden getroffen und fielen. Anschließend haben Sie die schmale Straße dort überquert und verschwanden hinter dem Nachbarhaus. Es ist kalt, gehen wir wieder hinein.« Er drehte sich um und ging zurück ins Haus.

»Wir müssen aus der Geschichte raus, Baumeister, das ist ja unheimlich«, murmelte die Baronin verstört.

Wir gingen hinter Pjotr her, der sehr sorgfältig seine Schuhe abputzte, ehe er das Haus betrat.

»Wo haben Sie nun diesen Waffenkoffer?«

»Versteckt.«

»Kann ich ihn sehen?«

»Nein«, entschied ich einfach. »Ich habe ihn verschwinden lassen, und er bleibt, wo er ist.«

»Aber es sind Waffen, mit deren Hilfe man Morde beweisen kann.«

»Sie wissen doch genau, dass niemand in diesem Land ein Interesse daran haben wird, diese Fälle zu beweisen.« Ich war wütend. »Niemand wird anklagen, niemand!«

Er lächelte schmal. »Aber Sie glauben, dass jemand Ihre Geschichte drucken wird, nicht wahr? Ich dachte auch weniger an juristisch zu verwertende Beweise, sondern eher an Beweise für mich.«

»Und diese Beweise brauchen Sie für eine politische Erpressung«, sagte die Baronin scharf.

»Das ist nicht wahr«, widersprach er sanft. »Es gibt auf beiden Seiten Leute, die das längst nicht mehr wollen. Ich bin einer davon.«

»Vielleicht erreichen wir, dass sie einen Bundestagsausschuss einsetzen«, meinte ich ohne große Überzeugung.

»Das wäre interessant«, sagte er, »aber ich glaube nicht daran. Und was werden Sie bis dahin machen, etwa wenn Reimer und Strahl kommen und den Koffer fordern?«

»Glauben Sie, dass das geschieht?«

»Natürlich. Vielleicht sind sie schon unterwegs. Machen wir einen Spaziergang?«

Ich war irritiert. »Moment, Sie wollten erklären, welchen Fehler Lewandowski gemacht hat.«

»Ich werde Ihnen unterwegs davon berichten.«

»Wieso wollen Sie plötzlich spazieren gehen? Und wohin?«

»Richtung Kerpen, in den Steinbruch«, sagte er schlicht, als sei das ein selbstverständliches Ziel, zu dem wir schon oft gemeinsam gewandert wären.

Wir liehen ihm ein paar Gummistiefel und machten uns auf den Weg. Wir gingen die Weinbergstraße an der alten Schule hoch, dann den südlichen Weg am Weinberg entlang. Eine trübe Sonne wärmte uns ein wenig.

»Das erinnert mich an meine Heimat«, sagte er gutgelaunt. »Die habe ich mit Stalin gemein: Georgien. Viel Wald, viel Aberglaube, viele einfache Leute und weit weg von Moskau. Als Junge war ich im Sommer immer in Zeltlagern.« Dann riss er sich von seinen Erinnerungen los. »Sie wollten etwas über den schwersten Fehler von Lewandowski erfahren. Nun, die Sache liegt ein halbes Jahr zurück.«

Vor der Weggabelung hatte ich die Baronin am Arm gefasst und zurückgehalten, Pjotr war drei Schritte vor uns. Er fragte nicht, er nahm den einzigen richtigen Weg nach rechts, den einzigen Weg, der zum Steinbruch führte.

»Sie wissen aber gut Bescheid«, sagte ich.

Er wandte sich kurz zu uns um und lächelte, antwortete aber nicht darauf. »Merken Sie sich den Namen Müller. Sie wissen ja schon, dass Lewandowski seine Zielperson wahrscheinlich mittels eines komplizierten Codes genannt bekam, den wir niemals knacken konnten. Eines Tages traf es die Nummer dreiunddreißig auf einem speziellen Verzeichnis von Bundestagsabgeordneten. Diese Nummer dreiunddreißig war ein CDU-Mann namens Müller. Nun muss man wissen, dass die Nummer Sechsundsechzig ein SPD-Mann mit dem gleichen Namen ist. Um es vorwegzunehmen: Durch einen unglaublich dummen, kleinen Fehler tötete Lewandowski den CDU-Müller. Gemeint war jedoch der SPD-Müller.«

»Woher wissen Sie das alles?«, fragte die Baronin ungläubig.

»Durch einfach überzeugende Rückschlüsse, Sie werden es gleich verstehen. Der CDU-Mann Müller war das, was man hierzulande einen braven, aufrechten Mann nennt, Hinterbänkler, kein Vorredner, kein Vordenker. Ein sehr hart arbeitender Mann mit einer Vorliebe für Randgruppen. Mit Sicherheitsdingen wie Rüstung und Wirtschaft hatte er nicht das Geringste zu tun. Er kämpfte für Alkoholiker und Drogenkranke und Aidskranke, da kannte er sich aus. Sein Leben verlief ohne Bruch. Keine Geliebte, keine Seitensprünge, keine Schulden. Glücklich verheiratet mit einer sehr energischen Frau. Als ihr kerngesunder Mann beim Spaziergang mit dem Hund plötzlich tot umfiel, fand sie sich mit dem angeblichen Herzversagen nicht ab und verlangte eine Obduktion. Man sagte ihr, dass er durch eine bedauerliche Verwechslung schon ins Krematorium gebracht worden sei. Sie setzte Himmel und Hölle in Bewegung. Man hat die nicht zu vermeidende Untersuchung zwar blockiert, aber es reichte, dass wir aufmerksam wurden. Wir haben nachgebohrt und sind jetzt vollkommen sicher, dass es ein Fehler in der Zielcodierung gewesen ist.«

Wir hatten uns inzwischen auf eine einigermaßen trockene Eiche gesetzt, die schon vor Jahren ein Sturm gefällt hatte, und mussten für einen zufälligen Beobachter wie Wanderer bei einer gemütlichen Rast wirken. Nur plauderten wir nicht über unsere Route, sondern über etwas Ungeheuerliches.

Requiem fuer einen Henker
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