Kapitel 18
Auf halbem Weg zwischen Graben und Hochstetten fuhren die Amerikaner durch ein kurzes Waldstück. Letchus ließ Piece mehrmals hupen, was für das vorausfahrende Fahrzeug ein Signal zum Halten bedeutete. An einem Waldweg fuhr Vickers rechts ran, stoppte und stieg aus. Neugierig kam er nach hinten zu dem Dodge gelaufen. Gleichzeitig zündete er sich die obligatorische Zigarette an.
»Was gibt’s denn so Wichtiges?«
Letchus winkte ihn zu sich an die Beifahrerseite. »Du, der Wachtposten in Graben erzählte uns gerade, dass sie den Renault gefunden und abgeschossen haben. Habt ihr die Detonation nicht gehört, als ihr losgefahren seid?«
»Doch, so ’nen Bums haben wir schon gehört, Edwards hat aber nicht darauf reagiert. Das war Harrison?«
»Ja. Piece, hup noch mal.«
Edwards schwang sich vorn sportlich aus dem Truck. Vorsichtshalber brachte er wieder die Grease Gun mit.
»Jungs, gibt’s Probleme?«
»Captain, die Frenchys haben den Renault gefunden und gesprengt.« Letchus zündete sich ein Zigarillo an und atmete den Rauch durch die Nase aus.
»Was? Woher wisst ihr das? Kam das gerade per Funk durch?« Edwards verschränkte die Arme vor der Brust. »Nein, der Frenchy am Kontrollposten erzählte es uns gerade. Er sagte, der Deserteur wurde gefunden und mit dem Sherman abgeschossen.«
»Okay. Er hat das Auto verlassen. Das heißt, Harrison ist weiter auf der Flucht. Der lässt das Auto nicht einfach stehen und geht dann zu Fuß. Angeblich hatte er Benzin verloren, also ist der MP mit einem anderen fahrbaren Untersatz unterwegs. Da es ihm laut dem Kuhdoktor aber sehr schlecht geht, lässt er sich vermutlich fahren. Wenn er zum Beispiel mit einer Kutsche fährt, wäre er morgen in Karlsruhe und braucht dann nur auf uns zu warten. Scheiße, wieder einen Umweg mehr! Der Doc sagte aber nicht, dass er ein Gewehr dabeihatte.«
»Wenn er eine Schusswunde in der Schulter hat, kann er vielleicht nicht mehr schießen.« Piece deutete auf den rechten Oberarm. »Wir können also nicht mehr einfach so ausgeknipst werden, wenn wir in seiner Nähe sind.«
Edwards nickte. »Korrekt, Private. Er kann vielleicht nur noch mit einer Pistole schießen?«
»Oder mit einer Panzerfaust!«, erwiderte Vickers.
Letchus winkte ab. »Aber das fällt doch sehr auf. Steck dir mal ’ne fünf Fuß lange Bazooka unter den Mantel, Joey. Gar nicht unauffällig!«
»Also gut.« Edwards warf den Zigarettenstummel auf die Straße und trat ihn aus. »Wir fahren nicht wie geplant durch den Wald über Friedrichsthal und Blankenloch. Roebuck arbeitet die Route um in Richtung … lass mal sehen …« Der Kartograf faltete hektisch die Straßenkarte auseinander.
»Neureut und Knielingen, dann hier quer rüber Richtung Karlsruhe. Weiter auf der Reichsstraße 36.« Edwards deutete auf einen Punkt am westlichen Stadtrand von Karlsruhe. »Machnauer sagte, hier wären mehrere Sportplätze und eine Telegrafen-Kaserne. Weiter nördlich sind auch wieder diese Eisenbahngleise.«
Roebuck kratzte sich unter dem Helm am Hinterkopf. »Okay, heute Abend schauen wir uns noch mal die Details an.«
Edwards klopfte Roebuck auf die Schulter. »In Karlsruhe können Sie uns mal wieder zeigen, was Sie drauf haben.«
»Was kannst du denn so Spezielles, Tony?« Letchus musterte Roebuck von der Seite.
»Ich bin Kartograf, spezialisiert auf Luftbilder und Landkarten. Und ich kann Straßenschilder lesen und verstehen.« Er zwinkerte den Umstehenden zu. Diese sahen ihn kurz und überrascht an und brachen dann in Gelächter aus. Der Funker verstand nicht und schwieg beleidigt.
Edwards drehte sich um. »Kommen Sie mit, Vickers, ich bin hier von einem Kindergarten umgeben! Wir fahren jetzt weiter. Es fehlt mal wieder der nötige Ernst.«
Kaum hatten sie sich wieder in Bewegung gesetzt, überholte sie der schwer bepackte Radfahrer aus Neudorf, der von Edwards so schroff abgewiesen worden war. Inzwischen hatte er zwei weitere Fahrradfahrer als Begleiter, die gleichfalls schwer bepackt waren. Die drei krallten sich mit den Händen rechts und links am Dodge fest und ließen sich mitziehen. Der unfreundliche Hamsterer hängte sich hämisch grinsend an das Halbkettenfahrzeug.
Piece sah Letchus von der Seite an. »Soll ich mal kurz Schlangenlinien fahren?«
»Nein, nicht dass einer von denen unter die Räder kommt. Hup mal!« Piece tat wie geheißen. Van Bouren drehte sich am MG um, sah Letchus an und zuckte mit den Schultern.
»Full throttle – Vollgas!«, brüllte Letchus und zeigte nach rechts und links. Dies hatten Edwards und Vickers auch ohne Hilfe gehört. Erst jetzt erkannte der Offizier die blinden Passagiere in den Rückspiegeln.
»Okay, dann lassen Sie uns mal fliegen, Joey!«
Das ließ sich Vickers nicht zweimal sagen und beschleunigte mit einem lauten »Yeehah!« das Fahrzeug auf maximale Geschwindigkeit. Piece raste lachend hinterher, die drei Radfahrer ließen erschrocken los und fielen sofort zurück. Nach hundert Metern bogen sie nach rechts ab in den Wald hinein und verschwanden.
Als wäre nichts gewesen, fuhren die Amerikaner nach knapp zwei Kilometern mit gedrosselter Geschwindigkeit auf den Ortsrand zu. Das etwas kleinere Hochstetten ließen sie rechts liegen, da die Alte Landstraße vorbei an der Abzweigung zum Ortskern in Richtung Linkenheim führte. Etwa auf halber Höhe zwischen den Orten bemerkte Vickers eine schwache Ölspur, welche sich auf der Straße zu einem schmalen, durchgehenden Band fortsetzte, das immer breiter wurde. Nach fast zweihundertfünfzig Metern, kurz vor dem verwitterten Ortsschild von Linkenheim, sah er die Ursache für die Verschmutzung: Ein Lanz Bulldog Traktor mit einem Anhänger Heu hing etwas schief am oberen Rand des rechten Straßengrabens. Um die Zugmaschine herum standen zwei ältere Männer, die ölverschmierten Hände in die Hüfte gestemmt, und waren in eine laute Diskussion über die Zugmaschine vertieft. Drei Frauen mit Kopftüchern und eine Gruppe kleiner Kinder saßen mit grünen Äpfeln in der Hand kauend auf dem Anhänger.
Vickers zuckelte im Schritttempo an dem Gespann vorüber und beäugte neugierig den blauen Traktor mit seinem großen, knallrot gestrichenen Schwungrad auf der linken Seite und dem knubbeligen Auspuffrohr. Unter dem Motor hatte sich eine schwarze Pfütze gebildet und Öl sickerte bereits in den Graben. Die beiden Bauern musterten misstrauisch die Amerikaner, die sich so augenscheinlich nur für das kaputte Fahrzeug interessierten.
Edwards bemerkte schnell den fordernden Blick seines Fahrers, als er den Ackerschlepper passierte.
»Joey, wenn ich Ihre Augen sehe, weiß ich, was jetzt kommt. Meinetwegen, halten Sie kurz an. Aber nur kurz, um zu schauen!«
Vickers grinste, stoppte die Halbkette abrupt mitten auf der Straße, ließ den Motor im Standgas laufen, sprang heraus und spurtete zu dem Lanz zurück.
Er gestikulierte kurz mit den Bauern, sah unter den Traktor und kam kurz darauf zurückgerannt.
»Ich brauche Werkzeug!«, keuchte er.
Edwards stützte den Kopf in seine rechte Hand. »Ich wusste es! Ich hätte hundert Dollar drauf setzen können! Er muss ihn reparieren! Als wären wir von der Heilsarmee.«
Keine zehn Minuten später saß Vickers wieder in der M3, die Unterarme bis zu den Ellenbogen verölt und dreckig und vollkommen außer Atem. Er wischte sich die Hände mit einem Lappen, der immer unter dem Fahrersitz steckte, einigermaßen sauber und strahlte den Offizier an.
»Ein waagerechter Glühkopf-Motor! Genial! Jetzt läuft er wieder. Schneller ging’s nicht.«
»Und was hat der Bauer gesagt?«
»Keine Ahnung. Er hat ständig auf mich eingeredet. Ich habe ihn aber nicht verstanden!«