Kapitel 12
»Captain Edwards, es ist mir eine Freude, Sie wiederzutreffen!«
Master Sergeant Wilson lachte die beiden Scouts laut an.
»Fünfundzwanzig Kilometer in zwei Tagen, das ist schnell!« Er schüttelte dem Offizier freundschaftlich die Hand. »Seit Sie hier sind, gibt’s Arbeit an allen Fronten. Zuerst die Panzermine am Zaun und die Bombenentschärfung in meiner Kaserne, dann das Waffenlager in Ketsch mit dem Most Wanted und anschließender Plünderung durch die Bevölkerung und jetzt geht’s in Klein-Frankreich weiter! Großartig! Karlsruhe lassen Sie aber heile, oder?« Er stupste den Offizier an. »Edwards, ich hatte Ihnen einen neuen Mann versprochen. Ich habe ihn gleich mitgebracht. Er kam direkt aus Wiesbaden gestern Abend zu uns. Das ist Corporal Wilbur van Bouren, Ihr neuer Gunner.«
Wilson drehte sich um und winkte einen dunkelhäutigen Soldaten nach vorne zu Edwards.
»Willkommen in unserem Team, van Bouren. Wenn wir noch ein Maschinengewehr in unserer M3 hätten, wäre alles perfekt.«
»Vielen Dank, Sir. Master Sergeant Wilson hat mir schon viel über Sie erzählt. Wir haben das neue Browning gleich mitgebracht. Tut mir leid um Ihren letzten Gunny, Sir. Da an Ihrem Fahrzeug angeblich der MG-Schlitten fehlt, müssen wir etwas basteln. Normalerweise müssten Sie innen an der Seitenpanzerung der Halbkette je einen hochstehenden Bolzen rechts und links haben?«
»Ja, haben wir. Aber die sind meines Wissens nur für kleine MGs?«
»Die großen passen auch, bis der Schlitten in Karlsruhe fertig ist. Wir dürfen halt solange keine Messerschmitt vom Himmel holen. Der Bolzen ist nur eine kurzfristige Lösung.«
Wilson fasste den Gunner an der Schulter. »Edwards, er kann nicht nur schießen, er ist ein zweiter Vickers! Wenn mal der Wagenheber fehlt, hilft Ihnen van Bouren!«
Piece sah den Neuen erstaunt an. »Wagenheber?«
Wilson nickte. »Er erinnert mich an Joe Louis. Er ist genauso muskulös. Schauen Sie sich die Arme an. Kein Gramm Fett.«
Van Bouren verdrehte die Augen. »Sir, ich bin kein Boxer! Ich bin ein gelernter Schmied aus New York.«
Edwards nickte, machte auf dem Absatz kehrt und drehte den restlichen Soldaten demonstrativ den Rücken zu. »Okay! Lassen Sie uns in Zukunft nach einem dunklen Renault schauen. Wir fahren jetzt zurück in die Ortsmitte zu den Franzosen!«
Dann ging er zu dem Dodge und wartete an der Beifahrerseite.
»Piece, van Bouren, kommen Sie! Ich will nicht noch mehr Zeit verlieren! Machen Sie es gut, Wilson, und vielen Dank für Ihre Hilfe! Sagen Sie Goddard einen schönen Gruß von mir!«
Nachdem Piece und der neue Gunner endlich im Dodge Platz genommen hatten und zurück nach Neulußheim fuhren, zündete sich Edwards eine Chesterfield an, die er in dem offenen Handschuhfach gefunden hatte. Danach drehte er sich zu van Bouren um. »Der Master Sergeant hat aber ganz schön dick aufgetragen. Was haben Sie denn gemacht, dass er so begeistert von Ihnen ist?«
Van Bouren lachte und seine weißen Zähne blitzten hervor: »Ich habe gestern Abend noch eine Runde durch die Kaserne gedreht. Ich laufe eigentlich immer abends noch ein bisschen. Da hat er mich gesehen, als ich an seinem Büroschuppen vorbeikam.«
»Daran ist doch nichts Besonderes?«
»Nein, eigentlich nicht. Aber ich hatte nur mein Unterhemd und eine kurze Trainingshose zum Laufen an. Da fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf!«
»Weil Sie abends noch laufen?«
»Nein, ich bin gut trainiert. Ich mache seit zehn Jahren Kraftsport. Warten Sie es ab. Wenn ich wieder eine Gelegenheit habe, gehe ich laufen.«
»Okay, vielleicht laufe ich eine Runde mit Ihnen. Wir werden sehen.«
Wieder an der Kreuzung in der Ortsmitte angekommen, bremste Piece das Fahrzeug ab und bog nach rechts Richtung Hockenheim ab, nach knapp hundert Metern hielt er vor dem französischen Kontrollposten an. Edwards schnippte die Zigarette weg und stieg aus. Der französische Wachoffizier stand mit den Händen in den Hosentaschen am Straßenrand und musterte ihn schief.
»Haben Sie etwas vergessen, Monsieur?«
»Nein, wir haben etwas gefunden! Barricourt und seine Leute.«
»Ah, sehr gut. Sie haben mit ihm wegen des Unfalls gesprochen?«
»Nein. Er konnte nicht mehr mit uns sprechen. Er und seine Leute wurden heute von einem desertierten US-Soldaten erschossen.«
»Mon dieu! Das ist ja eine Katastrophe! Sind Sie sicher?«
»Ja. Ich habe sie selbst gesehen. Sie lagen in ihrem Blut auf der Straße.«
»Aber wieso denn?«
»Unser Deserteur will nicht erkannt werden. Er hat eines unserer Motorräder der Militärpolizei geklaut und ist mit einem Gewehr auf dem Rücken unterwegs.«
»Ich erinnere mich. Heute Morgen war ein Motorradfahrer mit einem langen Gegenstand auf dem Rücken in Altlußheim unterwegs, wo wir heute einen Kontrollpunkt hatten. Er kam mit der Sirene an, wir haben ihn durchgewunken. Er fuhr Richtung Rheinufer und kam nach etwa einer Stunde wieder zurück. Das war der Deserteur?«
»Ja. Das Motorrad steht jetzt am Friedhof bei den drei Leichen. Er hat stattdessen das schwarze Auto mitgenommen.«
»Den Renault? Warten Sie, Monsieur, ich muss meinen Funker instruieren.« Er winkte den jungen Mann vom letzten Mal heran und sprach eindringlich auf Französisch mit ihm, dessen Gesichtsfarbe daraufhin entwich. Dann sah dieser an seinem Vorgesetzten vorbei und warf einen kurzen, ungläubigen Blick auf Edwards, der nur nickte. Wie ein aufgescheuchter Hase rannte er zu dem getarnten Lastwagen.
»Monsieur, wir müssen unsere Kontrolle hier beenden und zurück nach Karlsruhe. Wenn Sie nach Karlsruhe kommen, treffen wir uns in unserem Hauptquartier am Marktplatz{8}.« Der Offizier rief seinen Leuten einige Befehle zu, diese fingen sofort an, die Stacheldrahtrollen zusammenzuschieben und zu binden sowie die aufgestellten Schilder zu entfernen. Nach wenigen Minuten war alles abgebaut und der Weg wieder frei. Die Soldaten entfernten noch das Tarnnetz von ihrem Lastwagen, stiegen hastig hinein und fuhren davon.
Piece saß noch immer rauchend im Dodge und sah den Franzosen hinterher. »Die haben’s immer so eilig! Wollen die das Abendessen in der Kaserne nicht verpassen?« Er lachte und schüttelte den Kopf. Edwards stieg wieder auf den Beifahrersitz und winkte zu dem Private rüber.
»Lassen Sie uns auch fahren. Passen Sie an der Kreuzung auf, keinen Unfall zu machen! Hier gibt’s wilde Radfahrer! Biegen Sie links ab!«
»Aber Vickers ist doch geradeaus …!«
»Links abbiegen, Jimmy! Wir fahren dem Sniper nach!«
Der Private lächelte stolz. Zum ersten Mal nach sieben Monaten Militärzeit hatte ihn ein Offizier beim Vornamen genannt.
Der müde französische Brigadier, der im Leichenhaus des städtischen Krankenhauses in Karlsruhe gerade seine Nachtschicht angetreten hatte, legte keinen Wert darauf, die drei in Zinksärgen frisch angelieferten toten Franzosen aus Neulußheim noch einmal zu besichtigen. Wäre aber besser gewesen. Egal, dachte er sich, bald ist wieder Wochenende. Er hasste diese langweiligen Nächte in dem muffigen Büro, fernab der frischen Luft, tief unten in den Gewölben. Acht Stunden Wache an einem Telefon, was in den letzten sechs Wochen nur ein einziges Mal geklingelt hatte. »Pardon, verwählt!« Er hätte dem Colonel am liebsten in den Allerwertesten getreten, als der damals entschied, dass das Leichenhaus auch nachts besetzt sein musste. Der sollte sich hier mal Nacht für Nacht hinsetzen und nicht jeden Abend mit den Frauen feiern und das Frühstück ans Bett gebracht bekommen. Er hasste sie, die trägen Offiziere, die Generäle, die fern jeglicher Realität irgendwelche stupiden Befehle in ihren kranken Hirnen ersannen. Verdammte Armee!
Er selbst hatte am Vorabend auch zu viel getrunken. Verdammter Rotwein!
Kurz überflog er die mitgelieferten Papiere, gähnte, lehnte sich auf dem knarrenden Holzstuhl nach hinten und rieb sich die Augen. Mord. Tod durch Erschießen. Tja, Pech gehabt. Wieder gähnte er laut und befestigte schlaftrunken jeweils am Deckel des Blechsargs die obligatorischen Zettel mit den handgeschriebenen Namen der Toten. Ende. Licht aus.
Bruinard, Francois, Brigadier
Saicharev, Osman, Sergeant-chef
Bricourt, Alain, Commandant