KAPITEL DREIUNDZWANZIG
Samstag
Sonia
Wieder im Flusshaus angekommen suche ich den alten tragbaren CD-Player, den Kit als Teenager benutzt hat, einen Stapel CDs und einen iPod zusammen. Ich will die Geschenke, die Jez hoffentlich aufheitern werden, gerade zur Garage bringen, als Greg vom Bahnhof zurückkehrt. Er kommt mit ausgebreiteten Armen und einem dämlichen, kindischen Grinsen auf dem Gesicht ins Wohnzimmer.
»Endlich haben wir das Haus ganz für uns!«, sagt er, stellt sich dicht vor mich und legt mir die Hände auf die Rippen. Ich zucke zusammen. Er vergräbt die Nase an meinem Nacken und fängt an, mich zu küssen.
»Leg die CDs weg. Du musst doch jetzt nicht aufräumen«, raunt er in mein Haar.
Ich weiche zurück.
»Nein, Sonia, nicht nach oben, das ist nicht nötig. Lass uns zur Abwechslung einfach mal spontan sein. Es ist niemand hier! Wir können machen, was immer wir wollen.« Sein Atem geht schnell, und ich merke ihm an, dass er den ganzen Weg von Euston hierher daran gedacht und sich in Stimmung gebracht hat. Er drückt sich gegen mich, und ich spüre seine Erektion, als er an meiner Bluse zerrt, mir eine Hand in den Ausschnitt schiebt und sie in den BH steckt. Seine Haut fühlt sich feucht und leicht klebrig an.
»O Sonia, ich vermisse dich, wenn ich weg bin. Ich male mir das ständig aus, du hier allein mit schwarzem Rock und Strümpfen, und ich komme herein und nehme dich im Wohnzimmer, gleich hier, während du versuchst, deine Hausarbeit zu machen.«
Ich mache einen Spaß daraus, schiebe ihn weg und versuche zu lachen.
»In meiner Fantasie bist du mit einem Staubwedel zugange, du putzt die Möbel, und ich komme rein und nehme dich …«
Am liebsten würde ich laut lachen – mit einem Staubwedel? Ich hatte in meinem ganzen Leben noch keinen Staubwedel in der Hand! –, aber der Humor ist mir vergangen.
»Greg, es tut mir leid, das kann ich nicht. Nicht hier. Nicht in diesem Zimmer.«
»Sei locker!«, sagt er. »Entspann dich, genieß es!«
»Weißt du was, genieß du doch deine Fantasie, ja? Und wenn das hier drin sein muss, gehe ich, und du kannst es dir nett machen.« Ich ziehe seine Hand unter meinem Rock hervor und lege sie ihm in den Schritt.
»Ich habe es satt, es mir selbst zu machen, Sonia! Das muss ich schon, wenn ich weg bin. Jetzt habe ich dich hier bei mir, und ich will dich.« Er legt mir die Arzthände auf die Schultern und schiebt mich zum Sofa, dann gibt er mir einen Schubs und kniet sich über mich.
»Greg, lass das bitte. Ich habe zu tun. Ich bin nicht in der Stimmung.«
Er runzelt die Stirn.
»Du bist nie in der Stimmung. Was zum Teufel muss ich machen, um dich in Stimmung zu bringen?«
Mit der rechten Hand, die er auf mein Schlüsselbein drückt, tut er mir weh. Ich wende das Gesicht ab, damit ich nicht seinen Atem riechen und die Vene sehen muss, die unter der schlaffen Haut an seiner Kehle pocht. Er hält mich mit einer Hand fest und packt mit der anderen meinen Rock. Leider trage ich noch die Strümpfe, die ich heute Morgen angezogen habe. An Greg habe ich dabei als Letztes gedacht. Auch die Stiefel habe ich nicht ausgezogen. Beides erregt Greg nur noch mehr.
»Lass sie an«, keucht er mir ins Ohr. »Lass deine Strümpfe und deine hohen, schwarzen Lederstiefel an, während ich es dir im Wohnzimmer auf dem Sofa besorge. Und direkt vor dem Fenster laufen Leute vorbei. Stell dir ihre Überraschung vor, wenn sie reinsehen würden …«
Er ist rot im Gesicht. Und stark. Er schiebt meine Bluse hoch und drückt den Mund auf eine Brustwarze. Nichts passiert. Wie immer mit Greg bin ich so gut wie tot. Normalerweise spiele ich ihm etwas vor, weil ich nicht wage, ihn zu enttäuschen. Ich habe Angst vor seiner Wut, wenn ich nicht reagiere. Und er scheint auf mein Theater hereinzufallen; wahrscheinlich glaubt er mir nur zu gerne. Selbst jetzt, als ich den Kopf nach links und nach rechts drehe, um seinen Küssen auszuweichen, bildet er sich ein, ich wollte mich nur zieren, um ihn etwas zu quälen. Die Hose hängt ihm mittlerweile um die Knie, über der Gänsehaut auf seinen Oberschenkeln kräuseln sich schwarze Haare. Ich kneife die Augen zusammen und bete, dass es so schnell wie möglich vorbei ist, damit ich dieses Ekelgefühl loswerde. Ekel beschreibt es noch nicht ganz. Ich fühle mich nicht nur körperlich abgestoßen, sondern zutiefst einsam.
Endlich keucht er, schluchzt auf und lässt sich auf mich sacken. Irgendwann bekommt er noch einen Herzinfarkt, wenn er nicht aufpasst, sagt er, so sehr errege ich ihn. Ich schiebe ihn von mir herunter, stehe auf, streiche meinen Rock glatt und gehe in die Küche. Am Spülbecken drehe ich den Hahn auf und starre auf das silbern plätschernde Wasser auf dem Edelstahl, bis ich nichts anderes mehr sehe und der Schwall meine Gedanken wegspült.
»Bring mir einen Kaffee mit, Schatz!«, ruft er aus dem Wohnzimmer, und ich gieße Wasser ein und schalte die Maschine an. Während ich Tassen, Milch und Zucker heraushole, bewege ich mich wie durch eine dicke, zähe Flüssigkeit. Vorhin in der Garage habe ich Jez erzählt, ich käme mir wie gefangen vor, und das hat mich auf einen Gedanken gebracht, der jetzt wiederkehrt. Es müsste doch eine unauffällige Möglichkeit geben, Greg sauber und für alle Zeiten loszuwerden. Aber ich weiß, dass ich das nicht könnte. Das brächte ich nicht fertig.
Als der Kaffee gekocht ist, rufe ich Greg in die Küche. Ich will nicht im Wohnzimmer sitzen, inmitten der Echos und Geister. Und jetzt dem schwachen Geruch nach Sex.
»Willst du ein Sandwich?«, frage ich, als er sich wieder hinter mich stellt und mir die Arme um die Taille schlingt.
»Ich könnte einen Käsetoast vertragen«, haucht er mir ins Ohr. »Du hast mir richtig Appetit gemacht.«
Ich rücke ein Stück von ihm ab und stelle den Grill an. Das Licht draußen wirkt düster bräunlich. Wieder überlege ich, ob es wohl schneien wird. Ich schneide Brot ab und reibe Käse und frage möglichst beiläufig: »Und wie lange willst du bleiben?«
Er blickt auf, wahrscheinlich rechnet er halb damit, ich würde mich wieder streiten wollen. Ich lächle nett.
»Nächste Woche ist in Barcelona eine Konferenz«, sagt er. »Ich müsste Montag fahren. Aber das sage ich gerne ab. Das weißt du doch.«
»Das musst du nicht. Ich habe nächste Woche viel mit meinen Schülern zu tun. Selbst wenn du hierbleibst, würden wir uns kaum sehen.«
»Du willst mich doch nicht etwa loswerden, oder, Sonia?« Seine Augen blitzen. Er glaubt nicht im Traum, dass es so sein könnte.
»Natürlich nicht!«
»Sonia, ich weiß ja, dass es dir wegen dieser Grippe nicht gut ging, aber du bist nicht depressiv, oder? In den letzten Tagen warst du irgendwie anders. Kit fand dich Harry gegenüber gleichgültig. Es hat sie ziemlich getroffen.«
Ich wende das Brot unter dem Grill, streue den Käse darauf und warte, dass er Blasen wirft.
»Gleichgültig?«
»Sie fand, du hättest dir etwas mehr Mühe geben können. Ich habe ihr gesagt, du wärst nicht so gut drauf. Die Grippe würde dir immer noch zu schaffen machen. Aber ist das alles?«
»Ich habe doch wohl gemacht, was ich konnte«, sage ich schroff. Ich denke an die Mahlzeiten, die ich gekocht habe, an das Zimmer, in dem ich Harry habe schlafen lassen. Daran, dass er im Musikzimmer spielen durfte, an den Ausflug in die Oper … Ich habe für den lästigen Harry alles gemacht, während der einzige Mensch, um den ich mich wirklich kümmern wollte, in einem zugigen Verschlag eingesperrt war und zu leiden hatte.
»Und als gestern die Polizei hier war, warst du ganz blass. Richtig aufgeregt. Wenn jemand verschwindet, ist das ja auch aufregend. Und beängstigend. Sich vorzustellen, da draußen könnte jemand herumlaufen, der … Also noch mal, wenn du Angst hast, könnte ich – würde ich – Barcelona absagen.«
»Bitte sag nicht ab.« Ich knalle den Teller mit dem Käsetoast etwas zu heftig auf den Tisch.
»Schön«, sagt er. »Gut. Na dann. Bevor ich fahre, muss ich ein paar Sachen regeln. Du hast doch gemacht, worum ich dich gebeten habe, oder? Mit der Alarmanlage?«
In der angespannten Pause merkt er schon, was ich gleich sagen werde.
»Ich hatte keine Zeit.«
»Sonia! Wir können das Haus nicht ohne eine funktionierende Alarmanlage anbieten! Nicht bei den Zuständen in dieser Gegend. Ich weiß ja, dass wir das Thema Umzug vermieden haben, aber über kurz oder lang müssen wir darüber reden.«
»Du weißt, was ich von einem Verkauf halte.«
»Und du weißt, dass diese Sturheit unsinnig ist.«
»Ich werde hier nie ausziehen.«
Er legt seinen Toast weg und starrt aus dem Fenster, als könnte er sich nur mit Mühe zurückhalten, mir die Meinung zu sagen.
»Von mir aus«, sage ich, »können wir wegen der Alarmanlage auch jetzt gleich eine Firma anrufen. Überhaupt habe ich nachgedacht. Nach dem, was die Polizisten erzählt haben, du weißt schon, über den verschwundenen Jungen. Du hast doch oft gesagt, wir sollten in die Wohnzimmerfenster Gitterstäbe einbauen lassen. Ich würde mich hier allein sicherer fühlen, wenn wir Gitter hätten.«
Er steht auf und wirft mir einen seiner skeptischen Blicke zu.
»Na gut. Überlass das mir«, sagt er. »Ich regele das mit der Alarmanlage, und über den Verkauf können wir noch mal reden, wenn du in einer besseren Verfassung bist. Ich gehe gleich mal zum Schlosser. Vielleicht hat er noch geöffnet. Ist es wirklich in Ordnung, wenn ich nach Barcelona fahre?«
»Natürlich«, antworte ich. »Fahr ruhig morgen schon, wenn du willst.«
»Vielleicht solltest du nächste Woche mal bei deinem Hausarzt vorbeisehen, Sonia. Rede mal mit ihm über deine Stimmungsschwankungen. Es gibt mittlerweile einen ganz einfachen Test für Depressionen, einen simplen Fragebogen.«
»Ich bin nicht depressiv, Greg.«
Wieder sieht er mich mit diesem Blick an, als wüsste er mehr als ich.
»Ich fürchte, das gehört oft dazu«, sagt er.
»Was meinst du?«
»Verleugnung. Harry hat mich darauf aufmerksam gemacht. Es ist ein klassisches Symptom für Depressionen, wenn der Patient abstreitet, dass mit ihm etwas nicht stimmt.«
»Was weiß Harry denn darüber? Oder über mich?«
»Oh, Harry ist mehr als nur ein hübsches Gesicht.« Eine seltsame Beschreibung von meinem männlichen Ehemann. »Er spezialisiert sich auf Psychiatrie. Das weißt du doch.«
Ich starre ihn an. Woher soll ich wissen, dass sich Harry, den ich gerade erst kennengelernt habe und auf Anhieb nicht mochte, auf die menschliche Psyche spezialisiert?
»Du willst mir doch wohl nicht sagen, dass du mit Kits neuester Affäre über mich gesprochen hast.«
»Oh, ich glaube, er ist mehr als eine Affäre. Ich schätze, wir sehen ihn noch öfter«, sagt Greg. Er steckt sein Hemd in die Hose und fährt sich mit einem Finger unter den Kragen.
»Meine Tochter hat doch hoffentlich einen besseren Geschmack«, grummele ich.
»Was sagst du?«
»Nichts.«
»Jedenfalls ist diese irrationale Bindung …«
»Was?«
»Deine irrationale Bindung an dieses Haus, der Verlust der Libido und die Schlafstörungen sind klassische Symptome für eine Depression bei Frauen in deinem …«
»Das reicht!« Ich kralle mich an der Kante der Arbeitsfläche fest. Grabe die Nägel hinein.
»Was, Sonia? Was reicht? Wir wollen nur das Beste für dich. Ich, Harry, Kit.«
»Du hast mit Harry über meine Libido gesprochen?«
»Nein, nur über die Schlafstörungen.«
»Schlafstörungen. Wie kommt Harry auf die Idee?«
Greg hat die Küche verlassen. Er zieht einen Schal von dem Kleiderständer im Flur und wickelt ihn sich um den Hals.
»Greg, ich will das wissen. Wovon redet er?«
»Er sagt, er hätte dich nachts herumlaufen sehen. Du wärst spazieren gegangen. Er hat dich im Flur getroffen …«
»Um Himmels willen. Was geht es ihn an, wenn ich nachts etwas frische Luft brauche? Aber da du es schon erwähnst, ich schlafe in letzter Zeit wirklich schlecht. Ich könnte etwas brauchen, das mir hilft.«
»Wenn du dann nicht mehr so empfindlich bist …« Er zieht seinen Rezeptblock aus der Tasche, kritzelt etwas darauf und gibt mir den Zettel. Dann murmelt er: »Kein Wunder, dass Kit zurück nach Newcastle wollte. Dass sie nicht mehr gerne nach Hause kommt.«
Kit zu benutzen ist hinterhältig. Er weiß genau, wie er meinen wunden Punkt trifft. Er wendet mir den Rücken zu, als er sich Mantel und Handschuhe anzieht.
»Kit kommt nicht gerne nach Hause, weil wir uns ständig streiten«, erkläre ich seinem Rücken. »Lass mich einfach in Ruhe. Lieg mir nicht ständig mit dem Umzug in den Ohren.«
»Sie mag es nicht, wenn du so angespannt wirkst. Und sie kann dieses Haus nicht leiden.«
»Sie ist sowieso ausgezogen, Greg. Und wenn nur du und ich bleiben, na ja …«
»Na ja was?« Er dreht sich um, zieht fragend die Augenbrauen hoch.
»Nichts.«
Ich will kein Gespräch anfangen, das unweigerlich auf eine Trennung hinausläuft. Trotz allem will ich mit ihm zusammenbleiben. Hauptsächlich wegen Kit, aber auch, weil es in gewisser Weise funktioniert. Greg weiß das. Ich bin ihm eine gute Frau. Ich lasse ihm seine Freiheit, bereite ihm aber ein gemütliches Zuhause, in das er zurückkehren kann. Und er verdient gut und ist Kit ein liebevoller Vater. Wir führen eine altmodische Ehe, mehr aus pragmatischen Gründen denn aus Liebe. Zu diesem Ergebnis hat uns der stumme Urlaub in Spanien gebracht, in dem wir uns beinahe getrennt hätten. Ich bedanke mich frostig dafür, dass er sich um die Fenstergitter kümmern will, und schlage vor, dass er sich dann aber auch beeilen sollte. Die Läden schließen bald.
»Ich bin schon weg«, sagt er. »Keine Sorge.« Beim Gehen knallt er die Tür hinter sich zu.