„Das genau ist es, weshalb ich mir Sorgen mache, Dodd: Du hast zwei von ihnen umgebracht.“
„Und?“
„Und was hast du getan, als die Löwin zwei Mitglieder unserer Jagdgesellschaft gerissen hatte?“
„Was ich getan habe? Du meinst, was wir getan haben. Sie war ein Menschenfresser – wir haben sie gestellt und erschossen.“
„Genau“, sagte Brooks. „Und würdest du einen Menschenfresser mit Pfeil und Bogen jagen? Du hast zwei Jäger getötet. Der dritte wird seine kleinen Pfeile im Lager lassen und dich mit seiner Version einer Elefantenbüchse verfolgen. Wenn danach noch etwas von dir übrig ist, dann kannst du dich darauf verlassen, daß dein Kopf auf irgendeiner fernen Welt als Prachtexemplar eines Mordmenschen ausgestellt wird.“ Brooks schaute Crowell nüchtern an. „In mancher Hinsicht läge darin eine ausgleichende Gerechtigkeit: Dodd Crowell, der weltberühmte Jäger, wird zur Strecke gebracht und als Trophäe zur Schau gestellt.“ Er hielt ihm die Pistole hin, die Crowell ihm am Morgen aufgedrängt hatte. „Nimm sie“, sagte er. „Vielleicht kannst du sie gebrauchen. Du schmeichelst dir selbst mit dem Gedanken, du könntest mich beschützen. Es ist deine Gegenwart, die Gefahr für mich bedeutet. Ich gehe davon aus, daß der Fremde bald hier sein wird, und wenn er uns zusammen findet, werden wir beide sterben müssen. Doch wir haben noch eine kleine Chance, wenn es dir gelingt, von hier zu entkommen – und ich wäre ein Narr, wenn ich mit dir ginge.“
Crowell starrte ihn finster an und schob die Pistole hinter seinen Gürtel. Es lag eine wahnsinnige Logik in Brooks Worten. Die Flucht war im Augenblick wirklich die beste Möglichkeit, doch er mochte diese Vorstellung nicht. „Du bist ein Narr, Eldon Brooks“, sagte Crowell beherrscht, seinen Zorn unterdrückend. „Ich werde entkommen, aber du wirst der erste Schwächling sein, der ausgelöscht wird. Es sei denn, du vertraust dich doch meinem Schutz an und kommst mit. Übrigens, wenn dieser Außerirdische so clever ist, daß er es schafft, mich umzulegen, dann wird er auch dich zum Schweigen bringen, damit du die Menschheit nicht warnst.“
„Das bezweifle ich“, entgegnete Brooks. „Macht es dir etwas aus, wenn das Wild weiß, daß du Jagd machst? Wenn diese Außerirdischen dir tatsächlich ähneln, wie es bisher den Anschein hat, dann interessieren sie sich nicht für uns, außer in sportlicher Hinsicht. Diese Behauptung, daß sie unseren Bevölkerungszustand zu unserem Nutzen dezimieren wollen, halte ich für einen Vorwand.“
Crowell beschloß, nicht noch mehr Zeit auf das Gespräch mit Brooks zu verschwenden. Er suchte etwas Proviant zusammen und verstaute ihn in seinem Rucksack. Am Rand des Lagers blieb er noch einmal stehen. „Das ist deine letzte Chance, mit mir zu kommen“, sagte er.
„Danke, nein“, antwortete Brooks. „Du mußt tun, was du für richtig hältst. Ich habe vor, hierzubleiben und weiter an dem Motor zu arbeiten, um mit dem Flugzeug fortfliegen zu können.“
„Was willst du denn tun, wenn der Jäger hierher kommt?“ fragte Crowell.
„Das werde ich auf meine Art regeln.“
„Er wird dich töten“, warnte ihn Crowell noch einmal, während er sich zum Gehen wandte. „Versteck dich wenigstens eine Zeitlang“, rief er noch über die Schulter zurück. Nachdem er endgültig gegangen war, wurde er sich bewußt, daß er froh darüber war, nicht mit Brooks belastet zu sein. Und es war nicht nur das, dachte er. Wenn Brooks im Lager blieb, würde das den Fremdling hoffentlich eine Weile aufhalten.
Er hatte es versucht, sagte Crowell zu sich. Er hatte Brooks mit hier herausgenommen, um ein letztes Mal zu versuchen, ihn wieder zu Verstand zu bringen. Er wollte ihn wieder zu der starken, vitalen Persönlichkeit machen, die er einmal gewesen war – doch das war gescheitert. Dann muß er also sterben, dieser untätige, einfältige Kerl. Vielleicht verdient er den Tod sogar.
Gleichzeitig war sich Crowell sicher, daß er überleben würde. Er stapfte zuversichtlich durch den Dschungel und verspürte die gleiche Erregung, die ihn immer befiel, wenn er zu einer gefährlichen Jagd aufbrach. Er vertraute auf seinen Erfolg, und der errungene Erfolg bewies ihm immer wieder, daß er es verdient hatte, erfolgreich zu sein.
Brooks sah Crowell nach, dann zog er sich das Hemd aus und machte sich wieder daran, den Vergaser des Flugzeugmotors zusammenzubauen.
Als der fremde Jäger aus dem Gebüsch trat, ließ Brooks die Zange fallen und hob die Hände. „Ich bin unbewaffnet“, sagte er.
„Das sehe ich“, antwortete der Jäger, „und der andere, der Mörder, ist vor mir davongelaufen.“ Er trat näher an das Flugzeug heran. Brooks bemerkte die Kristalldornen, die von seinem Gürtel herabhingen, und die dünne Metallröhre in seiner Hand.
„Willst du ihn wirklich jagen und abschießen wie ein Tier?“ fragte Brooks. Das kindliche Äußere des Fremden verblüffte ihn, doch er vergaß keine Sekunde, wie gefährlich das Wesen war.
„Hast du keine Angst?“ fragte der Jäger. „Warum bist du hiergeblieben?“
„Ich habe Angst“, gestand Brooks. „Alle Kreaturen fürchten sich vor ihrer Vernichtung. Doch ich habe mir gesagt, du würdest mich ohnehin einholen, wenn ich fortliefe, und mich dann töten. Den Jägern, die ich kenne, macht es keinen Spaß, auf eine sitzende Ente zu schießen.“
„Du verstehst es zu denken“, sagte der Jäger. Dabei strich er mit der Hand über die Haarlinie, die menschlichen Augenbrauen ähnelte. „Ich fange an, mich zu fragen, ob wir richtig gehandelt haben, als wir eure Welt für die Jagd freigaben.“
„Es ist falsch, uns zu töten“, sagte Brooks schnell, durch das Zögern des Fremden ermutigt. „Wie würdet ihr euch den fühlen, wenn euch eine technisch überlegene Rasse zu ihrem Vergnügen erschießen würde?“
„Wenn wir unsere Bevölkerungszahl so weit heraufschraubten, daß wir vor der Schwelle der Selbstvernichtung stünden, dann würde ich einen solchen Wettstreit begrüßen“, entgegnete der Jäger. „Mir persönlich allerdings sagt es nicht zu, Jagd auf Wesen zu machen, die über ein Bewußtsein verfügen.“
„Beweist unsere Technologie denn nicht ganz eindeutig, daß wir bewußt handelnde Wesen sind? Und wie ist es mit unserer Sprache?“
„Das hat überhaupt nichts zu sagen.“ Der Jäger senkte den Blick auf den Boden, als ob er nach Spuren suchte. „Viele Tierarten sind außerordentlich intelligent und besitzen doch keinerlei Bewußtsein.“
Offensichtlich verstehen sie unter diesem Begriff etwas anderes als wir, dachte Brooks.
„Dann bleibe hier und rede mit mir. Vielleicht kann ich dir beweisen, daß dein Volk kein Recht hat, uns aus reiner Jagdlust zu töten.“
Der Jäger schlug einen Kreis und nahm Crowells Fährte am Rand des Lagers auf. „Was ich eben geäußert habe, sind meine ganz persönlichen Bedenken. Für die meisten anderen meines Volkes gelten diese Überlegungen nicht.“ Er entfernte sich in der Richtung, die Crowell eingeschlagen hatte.
Brooks lief hinter ihm her. „Dann mußt du Crowell laufenlassen“, stieß er hervor, als er ihn eingeholt hatte. „Crowell heißt der Mensch, den du gerade jagst.“
Das Wesen blieb stehen und sah ihn an. „Er hat zwei meiner Freunde getötet“, sagte der Jäger.
„Weil sie zwei Menschen getötet hatten.“
„Das ist etwas anderes.“
„Tatsächlich?“ fragte Brooks. Der Fremde dachte einen Moment über seine Antwort nach.
„Vielleicht auch nicht“, sagte der Jäger. Dann wandte er sich ab und ging den Spuren nach, die Crowell zurückgelassen hatte.
Mehrere Kilometer ging Crowell am Rand des Dschungels entlang, dann suchte er den Schutz der Bäume auf. Ungefähr zwei Kilometer weit kämpfte er sich durch das Unterholz, wobei er sich keine Mühe gab, seine Spur zu verwischen. Jetzt ging Crowell auf den Fluß zu. Am Ufer vergewisserte er sich, daß er einen deutlichen Fußabdruck hinterlassen hatte, der genau auf das Wasser zeigte, dann zog er sich in die Zweige der Bäume hinauf. Es gelang ihm, durch das verfilzte Geäst von einem Baum zum anderen zu klettern, bis er etwa zehn Meter vom Flußufer entfernt war. Er ließ sich vorsichtig auf den Boden fallen und setzte sich in Richtung auf die Savanne am Rand des Dschungels in Bewegung. Er hatte den Plan gefaßt, den riskanten Weg über offenes Gelände zu wählen. So wollte er einige Kilometer zwischen sich und den Jäger bringen. Danach würde er sich noch einmal seitlich ins Gebüsch schlagen, um seine Fährte zu verbergen. Dies war eine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme für den Fall, daß der Fremde nicht auf seinen Trick hereinfiel, also nicht glaubte, daß er durch den Fluß geschwommen war.
Als er fast den Rand des Dschungels erreicht hatte, hörte Crowell prasselnde Geräusche, und vor ihm stürzten zwei kleine Bäume zu Boden. Er zog sich hastig zurück, kam allerdings nicht weit, bis ihn das prasselnde Geräusch erneut stoppte. Diesmal sah er einen hellen Strahl, der vor ihm durch den Dschungel schnitt. Er sah so aus wie die Klinge des Lasermessers, das er im Lager ausprobiert hatte, doch diesmal war der Strahl viel länger. Er blitzte nur für eine oder zwei Sekunden auf, und Crowell konnte an den Spuren, die er in der Vegetation hinterließ, die Richtung erkennen, aus der er kam, seinen Ursprung konnte er jedoch nicht erkennen. In seiner Panik warf sich Crowell nach rechts und rannte davon, so schnell ihn seine Beinprothese trug.
Dann hatte er seine Nerven wieder in der Gewalt, und er schlug die Richtung zum Fluß ein, doch wieder blitzte vor ihm der Lichtstrahl auf. Crowell flog herum und rannte auf die Savanne zu, aber vor ihm stürzten Bäume, vom Laserstrahl sauber abgetrennt, auf den Waldboden. Da erkannte Crowell, daß der Jäger mit ihm spielte, daß er ihn nach Belieben in eine bestimmte Richtung steuerte.
Wieder versuchte er festzustellen, von wo aus der Laser abgefeuert wurde, doch es war unmöglich. Also fügte er sich den Wünschen des Jägers und hoffte, ihm durch Schnelligkeit zu entkommen. Nachdem er fünfzig Meter weit so schnell er konnte durch das Unterholz gerannt war, versuchte er noch einmal, den Fluß zu erreichen.
Diesmal wurde er nicht von dem tödlichen Strahl aufgehalten. Vielleicht versuche ich diesmal wirklich, durch den Fluß zu schwimmen, dachte er. Es bestand zwar die Möglichkeit, daß es Piranhas im Wasser gab, aber zu dieser Jahreszeit war die Gefahr nicht sehr groß. Als er gerade wieder etwas Hoffnung gefaßt hatte, trat er in die Falle.
Es war eine einfache, primitive Federkonstruktion, die einen Metallstab durch seine Beinprothese trieb, so daß er auf den Boden stürzte. Sofort richtete Crowell sich wieder auf und untersuchte die Falle. Etwa dreißig Zentimeter über dem Boden war sie geschickt unter Zweigen verborgen gewesen. Der Metallstab, der seinen künstlichen Unterschenkel durchbohrt hatte, war mit einer Kette im Boden verankert. Eine solche Falle hatte Crowell noch nie gesehen, aber er hatte selbst schon verschiedene Tiere mit Fallen gejagt, die ebenfalls durch eine Feder gespannt worden waren.
Es gelang ihm nicht, den Metallstab aus der Prothese zu ziehen, daher krempelte er sein Hosenbein auf und begann eilig, seinen künstlichen Unterschenkel abzuschnallen. Ein Lederriemen hatte sich verknotet, und in seiner Hast brach sich Crowell einen Fingernagel ab. Der Fremde war in der Nähe, das wußte er, also mußte er endlich freikommen. Er bückte sich und packte den Knoten mit den Zähnen, um ihn loszureißen. Plötzlich erinnerte er sich an einen Fuchs, der sich die eigene Pfote abgebissen hatte, um aus einer von Crowells Fallen zu entkommen. Der Fuchs war entwischt, das fiel ihm jetzt wieder ein, während er mit den Zähnen an dem Riemen riß. Doch am nächsten Tag hatte er ihn erschossen.
Auf sein Gewehr gestützt, hinkte Crowell auf den Fluß zu. Mitten auf einer kleinen Lichtung traf ihn etwas am Bein. Er stolperte, fing sich aber wieder und sah sich um. Der Jäger stand keine fünf Meter hinter ihm. Crowell versuchte, die Büchse hochzureißen, aber seine Muskeln gehorchten ihm nicht mehr. Er spürte, wie eine Taubheit durch seinen Körper kroch.
Während er fiel, erblickte Crowell den Kristalldorn, der etwas oberhalb des Knies aus seinem Bein herausschaute. Er rollte auf den Rücken; bis auf die Augen war sein Körper völlig gelähmt. Er hörte, wie der Jäger auf ihn zuging. Außerdem war da noch ein anderes Geräusch.
Ganz eindeutig das Brummen eines kleinen Flugzeugs. Brooks! dachte er. Das Flugzeug zog am Rande seines Blickfeldes vorbei, so tief, daß er die Maschine genau erkennen konnte. Brooks hat es also geschafft, dachte er mit einer Mischung aus Erstaunen und Wut. Brooks hat überlebt, und mich hat der Jäger erwischt! Dieser Außerirdische hat einen unfairen technologischen Vorteil genutzt, um mich aufzuspüren, dachte Crowell. Außerdem hat mich meine Prothese behindert. Das Geräusch des Flugzeugs drang schmerzhaft laut an sein Ohr. Das ist nicht fair, wollte er schreien. Nicht fair!
Inzwischen hatte sich der Fremde neben ihn auf den Boden gekniet. Crowell konnte jetzt auch die Augen nicht mehr bewegen, doch ganz am Rande seines Gesichtsfeldes sah er, wie der Fremde sein Laserskalpell einschaltete.