SIEBENUNDVIERZIGSTES KAPITEL

Den einfachsten Weg legte Marko Borissowitsch Godunow zurück. Für ihn gab es keinerlei Schwierigkeiten, und wenn einer auf den Gedanken kam, ihm ein Knüppelchen zwischen die Knie zu halten, hüpfte er einfach drüber. So erschien er am Tage von Pjetkins Abfahrt in den Westen im Moskauer Zentralbüro des russischen Reiseunternehmens ›Intourist‹ und sagte zu dem Mädchen, das ihn über die Theke mit Abscheu musterte:

»Mein Täubchen, du glotzäugiges Luderchen, schreib mir eine Karte aus nach Helsinki. Ich will in den finnischen Saunas die Weiberchen begeistern.«

Das Mädchen, es hieß Natalja, holte tief Luft, verschwand im Hintergrund durch eine Tür und holte den stellvertretenden Leiter. Dieser Mensch, groß, hager, mit traurigen Augen, kam sofort in die Schalterhalle, betrachtete den Zwerg vor der Theke und räusperte sich.

»Ausfuhr von Tieren genehmigt nur das Exportministerium«, sagte er.

»Ich weiß es, Genosse.« Marko lehnte sich an den Schalter. »Sie tragen das Brandzeichen für Ochsen ja noch am Arsch. Darum spreche ich mit Ihnen wie ein Freund und spucke Ihnen nicht ins Gesicht. Wie ist es nun mit einer Fahrkarte nach Helsinki?«

»Als Tourist?«

»Was sonst? Ich will dort keine Flöhe fangen.«

»Mit dem Flugzeug?«

»Bin ich Stroganoff, der Große? Mit dem Zug, dann mit einem Boot übers Meer, wenn es keinen Landweg gibt. Die billigste Tour. Ich habe für diesen Ausflug ganze zehn Jahre lang gespart.«

»Und warum gerade Finnland?«

»Der Mädchen wegen, Genosse. Ich bin ein Ästhet. Ein blonder nordischer Körper entlockt mir Beglückungsschreie.«

»O Himmel!« Der stellvertretende Leiter von »Intourist« verzichtete auf weitere Gespräche mit Marko. Er blätterte in einem dicken Buch, sah Listen durch und drückte dann das Kinn an den weichen Hemdkragen. »Sie haben unverschämtes Glück, Genosse. Es fährt eine Reisegruppe in vier Tagen nach Helsinki. Ein Platz ist noch frei. Vierzehn Tage Rundreise. Helsinki – Tampere – Turku – Pori – Rovaniemi … eine herrliche Fahrt.«

»Ich buche.« Marko legte ein Paket Rubel auf die Theke. »Ist etwas Besonderes zu beachten?«

»Ja, entfernen Sie sich nicht von der Reisegruppe. Die Finnen könnten Sie sonst als Urtier einfangen und in einen Zoo bringen.«

»Genosse, ich lobe Ihre Freundlichkeit.« Marko faßte schnell in den Schlips des Genossen Tschembanskij, so hieß der lange Mensch, zog ihn mit einem Ruck über die Theke und küßte ihn auf die Nase. Das war schlimmer, als hätte er gespuckt … der Liebkoste schnellte zurück, warf die Arme hoch und rannte zurück in sein Büro.

Nach einer Stunde erhielt Marko seine Fahrkarten, Zollscheine, Paßeintragungen und was man alles braucht, um in ein anderes Land zu reisen, bedankte sich bei Natalja, nannte sie ein rundärschiges Kälbchen und verließ frohen Mutes das Büro von ›Intourist‹.

Überschlagen wir die Reise nach Helsinki – sie brachte keine Abenteuer für Marko. Während die anderen Genossen seiner Reisegruppe fotografierten und über alles diskutierten, was sie am Wege sahen, hockte Marko Borissowitsch Godunow still auf seinem Platz im Zug, stand auf dem Schiff an der Reling und starrte ins Wasser und wurde erst munter, als er den Boden von Helsinki betrat.

Hier verschwand er auf eine einfache Art: Er betrat eine öffentliche Toilette, wartete, bis die anderen Genossen im Reisebus saßen und verließ den kleinen Urinpavillon auf der anderen Seite. Er setzte sich in einem Lagerhaus hinter eine Kiste, auf der in Englisch ›Schrauben‹ stand, wartete bis zum Abend und ließ sich dann mit einem Taxi in die Stadt fahren. Er fand ein kleines Hotel, mietete das billigste Zimmer mit einem Blick auf einen Hof, ließ sich ein einfaches Essen – eine Fischsuppe – aufs Zimmer bringen und lag dann auf dem Bett, dachte an Kischinew und Moskau, Issakowa und Chelinograd, Workuta und an die ganze Zeit mit Igor und Dunja und wußte, daß er Igor nie wiedersehen würde. Das Leben war zu Ende gegangen … nur noch die eine Aufgabe, Dunja in den Westen zu bringen, dann würde Marko Borissowitsch Godunow wieder verschwinden in der Weite Rußlands, ein einsamer Zwerg, der von der Erinnerung lebte wie ein Biber von seinen Wintervorräten.

In dieser Nacht überflutete die Traurigkeit den schluchzenden Marko. Er war wie ein Vater, der heimlich um seinen Sohn weinte.

Am Morgen aber erfaßte ihn wieder der Tatendrang, er frühstückte gut und ließ sich von dem Portier des Hotels, mit dem er mühsam englisch sprach, einige Adressen geben. Jeder kennt die Berufe, zu denen sich niemand drängt und die auch überall unter Nachwuchsmangel zu klagen haben. Nennen wir nur einige: Totengräber, Müllfahrer, Straßenkehrer, Leichenwäscher, Sargträger, Kanalreiniger. Es sind ehrbare Tätigkeiten, gewiß, und wo kämen wir hin, wenn keiner die letzten Löcher gräbt oder man den Müll einfach liegen läßt … dennoch machen selbst die Hungrigsten einen Bogen um diese Arbeiten, schleppen im Hafen lieber Kisten, reißen Straßen auf oder mischen Zement mit Sand zusammen.

Marko suchte eine Tätigkeit, die ihn unentbehrlich werden ließ, unauffällig, unsichtbar.

Den ganzen Vormittag verbrachte er damit, sich bei den Personalleitern vorzustellen. Aber auch Finnland ist nicht so schnell zu erobern – wie überall war das Gesetz gegen Marko. Es begann bei der Stadtverwaltung. Als man hörte, ein Russe bewerbe sich um eine Stelle als Straßenfeger, Müllbeseitiger oder Totengräber, erschien der Direktor dieses Behördenzweiges persönlich, um diese Seltenheit zu betrachten. Nach finnisch-russischem Herumtasten einigte man sich, die Unterhaltung in Englisch zu führen, und die verlief so: »Sie wollen bei uns arbeiten?«

»Ja. Ich nehme jede Arbeit an.«

»Sie sind aus Rußland ausgewandert?«

»Nein.«

»Politischer Flüchtling?«

»Nein.«

»Sie wollen noch um politisches Asyl nachsuchen?«

»Ich denke nicht daran.«

»Was sind Sie dann?«

»Ich bin Tourist.«

»Mein lieber Mann, wir können doch keine Touristen anstellen! Für vierzehn Tage oder drei Wochen …«

»Ich will länger bleiben.«

»Auch vier Wochen geht nicht.«

»Es kann ein Jahr dauern …«

»Dann sind Sie also doch Flüchtling?«

»Nein.«

»Wenn Sie ein Jahr in Finnland bleiben, haben Sie doch Rußland verlassen.«

»Nicht für immer.«

»Besitzen Sie eine sowjetische Arbeitserlaubnis für Finnland?«

»Nein.«

»Also politisches Asyl! Sie müssen sich bei der Einwanderungsbehörde melden.«

»Ich will Müll kehren oder Tote begraben. Weiter nichts. Ich will arbeiten. Warum kann ein freier Mensch in einem freien Land nicht Tote begraben? Oder Straßen fegen? Oder sonst etwas tun? Warum muß alles erst politisch sein?«

Nach einer Stunde wußten beide, daß es keinen Weg zueinander gab. Es ist eben auf dieser Welt nicht möglich, daß jemand irgendwohin geht und sagt: Hier will ich bleiben und etwas tun. Wo man auch hinkommt – überall ist ein Gesetz da, in das man hineingepreßt wird wie in ein Korsett aus Stahl. Marko versuchte es bei den Privatunternehmern. Und siehe da … es gab in einer kleinen Seitenstraße ein Beerdigungsinstitut, das sich »Pietät« nannte und dessen Besitzer, ein fetter Mensch mit Dreifachkinn, sogar russisch sprach.

»Vom Karelienkrieg her«, sagte er stolz. »Ich war Feldwebel. Als ich die vielen Toten sah, dachte ich mir: Das wäre nachher im Frieden ein Beruf. Würdig unter die Erde … das vermißt man im Krieg und lernt die Hinterbliebenen verstehen, die es besonders feierlich haben wollten. Doch nun zu Ihnen. Sie wollen arbeiten? Alles? Als untergetauchter Russe? Mein Lieber, das ist für uns beide ein Risiko. Ich darf Sie nicht beschäftigen und verstecken, Sie dürfen nicht hier im Lande bleiben über drei Monate hinaus. Was machen wir da?«

»Beschäftigen Sie mich im Innendienst«, antwortete Marko. »Ich habe in Workuta-Stadt als Hochzeits-Arrangeur gearbeitet … warum soll ich jetzt nicht Tote aufbahren? Ob ich Schwiegermütter tröste oder Erbanwärter – es kommt nur auf die richtigen Worte an. Versuchen Sie es mit mir. Und wenn Sie kein Zimmerchen für mich haben – ich schlafe auch im Sarglager. Ich habe sogar schon hinter Knochenhaufen gewohnt.«

Vaiiko Halunääin, so hieß der Besitzer von ›Pietät‹, überlegte sich zehn Minuten lang die Sache, dachte an seine Personalknappheit und überwand die Bedenken, etwas Strafbares zu tun.

»Fangen Sie morgen an«, sagte er. »Ich werde Sie den anderen Mitarbeitern als einen Bekannten aus Karelien vorstellen, aus dem jetzt sowjetischen Karelien. Ein Bekannter auf längeren Besuch. Sie können im Sarglager schlafen. Ich zeige Ihnen gleich, was Sie zu tun haben.«

Es war eine verantwortungsvolle Arbeit. Vaiiko Halunääin fuhr mit Marko zum Friedhof, wo zwei Tote auf ihre Aufbahrung warteten. Sie sahen nicht sehr feierlich aus, wie sie da im Sarg lagen – ein runzeliger Mann und eine Frau mit dickem Oberkörper.

»Aus ihnen machen wir Schönheiten«, sagte Halunääin begeistert. »Wenn die Hinterbliebenen an ihren Sarg treten, wird ihnen die Majestät des Todes entgegenleuchten –«

An diesem Tage lernte Marko, wie man Tote aufbereitet. Bisher hatte er Tote nur zerschnitten gesehen, in Formalin schwimmend, mit abgetrennten Gliedern, Stück für Stück wegpräpariert, bis er den letzten wertlosen Rest in einem großen Ofen verbrennen konnte. Jetzt war das völlig anders. Halunääin ging mit sichtbarer Liebe ans Werk, kleidete die Toten in brokatene Hemden (die sich beim geübten Griff als Papierhemden herausstellten), rasierte das faltige Alterchen sogar, legte etwas Schminke auf das Gesicht der dicken Frau, kämmte ihr die Haare wie ein Friseur, garnierte die Körper rundherum mit Blumen und schob ein kleines Kreuz zwischen die gefalteten Finger. Nun lagen sie da, als seien sie mitten in einem Fest umgefallen.

»Was sagen Sie dazu?« rief Vaiiko Halunääin. »So von ihnen Abschied zu nehmen, richtet die Seele auf. Dieser letzte Eindruck wird haften bleiben.«

Marko lobte die Arbeit Halunääins, versprach, es ihm gleichzutun, ja eigene Ideen zu entwickeln und half dann mit, die Blumen und Kränze um die Särge zu arrangieren.

»Sie haben Geschick, Godunow«, sagte nach drei Stunden Halunääin. »Sie sind fest eingestellt. Ich hoffe, daß Sie lange bei mir bleiben.«

In der Nacht schlief Marko in einem bequemen, gepolsterten Eichensarg bester Qualität. Er schlief traumlos und glücklich. Der Brückenpfeiler zwischen Igor und Dunja war fest in die Erde gerammt. Jetzt wurde die Brücke gebaut.

*

Anatol Stepanowitsch Dobronin brachte Dunja an den Zug nach Leningrad. Sie hatte sich von allen Ärzten im Lager verabschiedet, die dralle Stepanowna hatte geweint, als wolle man sie an die Wand nageln, eine Abordnung der Strafgefangenen brachte Dunja ein aus Birkenholz geschnitztes Kruzifix, und als sie in Dobronins Wagen stieg, war es wie bei Igor Antonowitsch: Die Frauen, die Innendienst hatten, bildeten ein Spalier, nur bekreuzigten sie sich nicht bloß, sondern sie sanken in die Knie und beteten. Dobronin lachte nicht darüber, wie es Wyntok, der Ermordete, getan hätte … er fuhr schnell davon und entriß damit Dunja allem Abschied.

»Man wird Sie als einen Engel in Erinnerung behalten«, sagte er nach einer Weile. »Ich habe um Sie gekämpft in Moskau. Elfmal habe ich angerufen, habe diesen widerlichen Genossen Starobin angefleht, Sie im Lager zu lassen. Und was sagt er, dieser Kretin? ›Es ist eine politische Entscheidung. Also halten Sie endlich den Mund!‹ – Verstehen Sie das, Dunja Dimitrowna?«

»Nein.« Sie blickte auf ihre Hände, die den Pelzmantel zusammenhielten. Hier in Workuta war es noch kalt, der Eiswind wehte, der zu tauen begonnene Schnee hatte sich in eine Eiskruste verwandelt. Streukommandos des Männerlagers hielten die Straßen nach Workuta-Stadt fahrsicher. Trotzdem fuhr Dobronin langsam, der Wagen rutschte hinten weg, wenn er mehr Gas gab. Das lag an den abgefahrenen Reifen … aber wo soll man in Workuta neue Reifen bekommen?

»Leningrad.« Dobronin schlug auf das Lenkrad. »Welch eine Versetzung. Die schönste Stadt Rußlands, schöner als Moskau oder Nowgorod. Fast Pariser Leben. Sie müssen doch irr sein vor Freude.«

»Es wird bestimmt eine interessante Aufgabe.«

»Ohne Sie wird es wieder grausam werden in Workuta. Dunja Dimitrowna – ich liebe Sie.«

»Sinnlos, Anatol Stepanowitsch.«

»Ich weiß es, aber ich muß es Ihnen sagen, bevor Sie abfahren. Ich habe Dr. Wyntok gehaßt, weil er Sie so bedrängte, und wenn nicht dieser Unbekannte ihn erschlagen hätte … eines Tages hätte ich es getan. Das sollen Sie noch wissen, bevor wir uns nie wiedersehen.«

»Ich danke Ihnen, Dobronin. Sie haben sich gewandelt. Als ich in Workuta ankam, waren Sie ein Schwein.«

»Es beleidigt mich nicht, wenn Sie es sagen, Dunjuscha. Aber kann man in Workuta etwas anderes werden?« Dobronin winkte mit einer Hand ab, prompt schleuderte der Wagen und er hatte Mühe, nicht von der Straße zu rutschen. »Werden Sie uns schreiben?«

»Ja.«

Sie sah den Bahnhof näher kommen, sah den Zug, der sie wegbringen würde aus der Hölle, und eine Flut von Freude überspülte sie. »Fahren Sie schneller, Dobronin!« rief sie.

»Wir hängen in zwei Sekunden im Graben. Dunja Dimitrowna.«

»So schnell Sie können … Ich will in den Zug … in den Zug …«

Dobronin nickte wortlos. Sie haßt uns alle, dachte er. Jede Minute Workuta ist eine verlorene Minute … hat sie nicht recht? Wenn jemand zu mir sagte: Du darfst nach Leningrad … zu Fuß würde ich durch die Tundra wandern.

Zwei Stunden später dampfte der Zug aus Workuta hinaus mit Verspätung, weil zwei Weichen aufgetaut werden mußten. Dobronin winkte Dunja nach, bis er sie nicht mehr sah, dann steckte er die Hände in seinen dicken Fellmantel und sprach den Bahnbeamten an, der den Zug hatte abfahren lassen. »Was würden Sie tun, wenn Sie sich selbst zuwider sind?«

Der Beamte blickte den Mann mit der hohen weibischen Stimme verblüfft an. Auf einem Bahnsteig kann man viel erleben, aber eine solche Frage war neu. »Nichts«, sagte er. »Ich habe Frau und Kinder.«

»Danke.«

Dobronin zockelte zurück ins Frauenlager, erfuhr, daß die Stepanowna auf ihrem Zimmer war, ging zu ihr, riß ohne anzuklopfen die Tür auf und sagte, vom Laufen außer Atem: »Wir heiraten, Täubchen. Keine Widerrede. Ich habe heute einige Löffel Weisheit geschluckt.«

Zwei Tage brauchte Dunja, bis sie in Leningrad eintraf. Der Pförtner des Klinikums wollte sie nicht einlassen, so abgerissen nach Leningrader Begriffen sah sie aus. Erst als sie den I. Oberarzt verlangte und sprechen konnte, gelangte sie durch die breite Glastür ins Haus.

»Eine Ärztin«, stammelte der Pförtner. »Jesus Christus, sind wir schon so knapp, daß wir sie aus dem Müll holen?«

»Wir haben Sie schon erwartet«, sagte der I. Oberarzt zu Dunja. »Wir geben Ihnen zwei Tage frei, damit Sie sich einkleiden können. Die Genossin Dr. Faluna wird Sie überall hinführen und beraten. Hier ist Ihr Zimmer. Wie fühlen Sie sich?«

»Müde … wie an einem fremden Ufer gestrandet.«

Dunja setzte sich auf die Bettkante. Wo ist Igor jetzt, dachte sie. Wie hat Deutschland Igor aufgenommen? Ob er jetzt glücklich ist …? »In welche Abteilung komme ich?« fragte sie.

»In die II. Medizinische Klinik, Fachabteilung Thoraxerkrankungen. Chef ist Prof. Dr. Winnolowskij. Moskau hat Sie uns als II. Oberärztin empfohlen. Prof. Winnolowskij wird Sie heute abend selbst begrüßen.«

Dann war sie allein, in einem riesigen Haus mit Hunderten von Fenstern, umgeben von steriler Sauberkeit, in der sie sich wie ein Dreckhaufen vorkam. Sie zog sich aus, knüllte ihre Kleidung und Wäsche zu einem Kloß zusammen und warf ihn in einen Mülleimer, der unter dem Waschbecken stand. Sie stellte sich unter die Dusche, ließ das Wasser erst heiß, dann kalt über sich regnen und schrubbte die Haut mit Seife und Bürste. Dann warf sie auch diese weg … die letzten Andenken an Workuta bis auf das von den Gefangenen geschnitzte Kreuz und das Foto des Wanderfotografen Timbaski. Blieb nur noch der Wolfspelzmantel … Dunja wollte ihn verschenken, irgendeiner armen Frau auf der Straße. Lösch Workuta aus, sagte sie sich.

Das Telefon schellte. Nackt, noch triefend vor Nässe, tappte sie durchs Zimmer und hob ab.

»Ich habe noch etwas vergessen«, sagte der I. Oberarzt. Er hieß Julian Iwanowitsch Zaranow, ein stolzer Mensch, der an einer großen wissenschaftlichen Arbeit schrieb und einer erfolgreichen Zukunft entgegenlebte. »Für Sie kam ein Anruf an, gestern. Aus Finnland. Helsinki. Ein Genosse Godunow fragte nach Ihnen. Kennen Sie ihn?«

»Ein flüchtiger Bekannter«, sagte Dunja. Ihr Herz schlug schmerzhaft und so laut, daß sie den Hörer weiter von sich abhielt und sich beim Sprechen zur Muschel vorbeugte. »Ein ganz flüchtiger Bekannter, Julian Iwanowitsch. Nicht so wichtig –«

Marko war schon in Helsinki. Es war ihr, als regnete Gold von den Sternen.