15. Kapitel
„Und? Geht es dir etwas besser?“ Meine Mutter stellt das Tablett mit Zwieback und dem verhassten Kamillentee ab. Seit zwei Tagen bin ich nun schon schachmatt. „Magen-Darm-Infekt“, diagnostizierte Mama sofort, nachdem ich, blass und mit übelsten Bauchkrämpfen, zur Tür hereingekommen war. Dass mein leidender Gesichtsausdruck und meine Tränen nicht komplett auf das Konto des Virus gingen, konnte sie nicht ahnen.
Einerseits gibt es sicherlich etwas Besseres, als mit Durchfall auf der Toilette zu sitzen und gleichzeitig in einen Eimer zu göbeln, anderseits hat mich dieser Virus zur rechten Zeit heimgesucht. Mir geht es, im wahrsten Sinne des Wortes, total zum Kotzen, körperlich wie mental. Wahrscheinlich wollen sich meine Seele und mein Körper gleichzeitig vom Ballast befreien. Zwischen meinen Fieberträumen tauchen immer wieder dieselben Gesichter auf: Eine schäbig grinsende Timfrazze schreit „du Stalker, was willst du überhaupt von mir?“, und Levin geht einfach an mir vorbei, während eine schadenfrohe Louisa hinter ihm her rennt. „Hast du wirklich gedacht, er fährt auf kleine Mädchen ab?“
„Du solltest versuchen etwas zu essen. Wenn der Zwieback drin bleibt, bist du über den Berg.“
Langsam setze ich mich auf und greife nach der Teetasse. Ein leichter Schwindel macht sich bemerkbar, das warme Getränk tut gut, mein Magen rebelliert endlich nicht mehr.
„Ida hat schon zweimal angerufen. Sie fragt, ob sie dir die Hausaufgaben vorbeibringen kann. Fühlst du dich fit genug?“
„Ich glaube schon. Ich schick ihr gleich eine sms.“
„Morgen bleibst du nochmal zuhause. Dann hast du das ganze Wochenende, um wieder zu Kräften zu kommen.“
Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Normalerweise hasse ich es Schulstoff zuhause nachholen zu müssen, aber einen Tag länger im Bett heißt auch, keinen Bus fahren zu müssen. Obwohl ich selbstverständlich ab sofort einen Bus früher nehmen werde. Diesem elenden Mistkerl will ich nie wieder gegenübertreten müssen. Wie konnte ich den jemals toll finden? Tim Harrenberger, ein Ekel Sondergleichen.
Nach dem Duschen fühle ich mich wieder menschlich. Ich schicke Ida eine sms und besorge mir in der Küche Aufbaukost, die aus einer Packung Kekse und einer Banane besteht. Ida kommt direkt nach der Schule. „Du bist noch ganz schön blass.“
„Danke fürs Kompliment.“
„Nina hat es jetzt übrigens auch erwischt.“
„Die Arme. Das tut mir leid.“
„Du hättest besser diesen Schlappschwanz anstecken sollen statt Nina.“
„Hätte ich gewusst, was für ein Riesenarsch Tim ist, hätte ich ihm meine Bazillen unauffällig in die Cola gespuckt, das kannst du mir glauben.“
„Warum hast du dich nicht direkt über seine Jacke erbrochen? Das wäre die Show geworden.“
„Ich kann ja mal gucken, ob ich noch was rausbringe. Das stell ich ihm dann in einem Eimer vor die Tür; mit Zettel: Ich finde dich einfach nur zum Kotzen.“
„Du hast deinen Giftstachel wiedergefunden, dann bist du wieder ganz die Alte. Gott sei Dank, ich dachte schon, Liebeskummer hätte dich total zerfressen.“
„Schwamm drüber. Ich weiß echt nicht, was ich an dem Typ jemals toll gefunden habe.“
Es ist schon merkwürdig, nach nur zwei Tagen kommt es mir vor, als wäre die Ära Tim ganz weit weg. Die Kelle, die er mir auf den Kopf gehauen hat, hat so ziemlich alle Gehirnströme wieder in die richtige Richtung fließen lassen.
„Genau, das ist die richtige Einstellung. Ich hab dir was mitgebracht. Kannst Du essen, wenn sich dein Appetit wieder zurückmeldet.“ Sie wedelt mit einer ganzen Packung grüner Apfelschnüre.
„Cool, danke, leg sie auf den Tisch. Gibt es was Neues?“
„Nö, der Englischtest ist übel ausgefallen. Die Keller hat ziemlich getobt. Immerhin habe ich noch eine Vier Minus.“
„Und was gibt es neues von Flori?“
„Ach, der“, winkt sie ab. „Alles im grünen Bereich. Er hat gestern bei mir geklingelt. Wir haben ein bisschen gequatscht und so, rein freundschaftlich versteht sich.“
„Rein freundschaftlich?“
„Du, Flori meint, am Wilden Kaiser kann man richtig tolle Sachen machen. Canyoning oder wie das heißt und Mountainbiken. Das ist wohl total in. Er will mit mir demnächst mal zu einer Indoor Kletterwand fahren.“
„Und was ist mit Anna?“
„Weißt du, vielleicht habe ich mich doch zu sehr in was rein gesteigert. Eigentlich hat es mir gereicht, dass er gestern da war, - als Freund, verstehst du? Komisch, oder?“
„Überhaupt nicht komisch. Flori ist ein klasse Kumpel. Du wolltest eben nicht auf ihn verzichten. Und dann auch noch die Sache mit deinen Eltern. Das hat dich einfach fertig gemacht.“
„Ich bin schon froh, dass es bei uns zuhause wieder ruhiger läuft. Und wer weiß, wen ich im Sommerurlaub alles kennenlerne. Vielleicht ein paar braungebrannte, trainierte Ösi-Mountainbiker oder so. Da würde ein Freund doch nur stören.“
„Ja, da hast du wohl recht.“
„Du, ich muss dir noch was erzählen“, sie stockt. „Louisa hat natürlich alles brühwarm Laura erzählt. Dass wir bei Tim an der Theke standen und so. Da hat Laura natürlich nachgefragt.“
„Und was hast du erzählt?“
„Nicht viel. Eben, dass Tim der Bruder von einem Mädchen aus Ninas Ballettruppe ist und wir ihn ganz flüchtig kennen. Laura meint, dass Tim was von Sofie aus der 8a will. Er war wohl Dienstag mit ihr verabredet und sie ist nicht gekommen.“
Ironie des Schicksals, sag ich da nur. Warum sollte es ihm besser gehen als mir?
„Ich glaube, Laura hat das schon geschnallt“, meint Ida weiter.
„Was geschnallt?“
„Na, dass du auf Tim stehst. Ist ja auch nicht so schwer zu erraten, nachdem wir letztens bei Levin nach ihm gefragt haben und dann jetzt die Aktion im MC. Erst hauen wir ab und stehen eine Minute später bei Tim an der Theke. Jetzt guck nicht so zerknirscht. Ist doch nicht so schlimm. Laura wird das schon für sich behalten.“
„Ist egal, dass Laura es weiß. Ist nur scheiße, dass Levin jetzt denkt, dass ich auf so einen Affen abfahre. Den bin ich wohl wirklich los.“
„Ach, gibt doch noch andere Jungs.“ Als sie mein trauriges Gesicht sieht, wird sie ernst. „Oder etwa nicht?“ Sie schaut mich prüfend an. „Oder hast du dich so richtig, richtig in ihn verliebt?“
Achselzuckend greife ich nach einer Scheibe Zwieback und grummel mit vollem Mund. „Ich glaube schon irgendwie. Ist so anders als bei Tim. Tim war mehr ein Idol oder ein Star, den man aus der Ferne anhimmelt. Anscheinend habe ich einfach vergessen, dass etwas was gut aussieht nicht unbedingt schmeckt. So wie eine Pappauslage in der Bäckerei. Sieht lecker aus, ist aber leider ungenießbar. Das habe ich viel zu spät gecheckt.“
„Und Levin?“
„Levin, ja, Levin, der ist irgendwie…“ ich schmeiße meine Arme in die Höhe. „So süß wie ein frisch gebackener Schokoladendonut mit Zuckerstreuseln.“
Ida lacht. „Du bist verknallt, das ist unverkennbar.“
„Und was mache ich jetzt, nachdem ich alles total versaut habe?“
„Da sollte dir schnellstens etwas Überzeugendes einfallen. Laura hat verraten, dass Louisa schon ganz lange was von ihm will. Du musst aufs Gaspedal treten.“
„Und wie soll ich das machen?“ Eins ist klar, es reicht nicht, Levin eine lapidare sms zu schicken. Ich muss schon die Hose runterlassen und ihm klipp und klar beweisen, dass ich ihn ehrlich mag, wenn ich das Ruder herum reißen will. Plötzlich schießt er ein, der Geistesblitz! Ich schlage mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Mensch, das ist es!“
„Hä?“
„Bist du mit dem Fahrrad hier?“
Ida nickt irritiert.
„Los, schau mal nach, ob meine Mutter in der Nähe ist.“ Ich tausche die Jogginghose gegen meine Jeans und werfe ein Sweatshirt über.
„Was hast du vor?“
„Wir fahren zu Nina.“
„Aber die ist krank.“
„Ich will ja auch nicht zu ihr, sondern zu Josh!“
Leise schleichen wir uns aus dem Haus. Sicherheitshalber habe ich meiner Mutter einen Zettel aufs Bett gelegt, damit sie sich keine Sorgen macht: Sind mal kurz eine Runde um den Block- frische Luft schnappen, Küsschen Paula. Sie hätte mich totsicher nicht raus gelassen. Schnell schwinge ich mich auf den Gepäckträger von Idas Hollandrad und sporne sie an, so schnell wie möglich zu fahren.
Puterrot und klatschnass geschwitzt stellt Nina eine Viertelstunde später ihr Rad vor Ninas Haustür ab. Wir klingeln Sturm. Ninas Mutter ist bis abends in ihrer Praxis und wird unser Vorhaben nicht stören. Es dauert ewig, bis Josh die Tür öffnet.
Träge steht er im Türrahmen. „Mama ist nicht da und Nina kotzt gerade.“
„Wir wollten zu dir.“ Ich setze mein nettestes Lächeln auf, bin mir jedoch nicht sicher, ob ein Zwölfjähriger schon empfänglich für weiblichen Charme ist. Ich hacke mich bei ihm unter und führe ihn sein Zimmer. „Du, Josh, du musst mir einen riesengroßen Gefallen tun.“
„Wer ist da?“, ertönt Ninas gequälte Stimme aus dem Badezimmer.
Wir stecken kurz unsere Köpfe zu ihr hinein. „Lass dich nicht stören. Wir leihen uns kurz mal dein Brüderchen aus. Habt ihr genug Kamillentee im Haus? Du musst versuchen wenigstens ein bisschen Flüssigkeit bei dir zu behalten.“
Nina ist für eine Antwort zu kraftlos, sie würgt erneut und ich schließe schnell wieder die Tür.
„Okay, also kapiert. Die Songs werden gemischt, geschnitten und auf CD oder USB Stick oder sonst wo gespeichert.“
Josh verdreht die Augen. „Wie oft soll ich es dir noch erklären? Mit dem Sound-Mixer ist das kinderleicht.“
Fasziniert verfolge ich wie Josh, mit Hilfe seines Programmes, mehrere Songs zusammenmischt.
„Und du kannst mir jedes x-beliebige Lied aus dem Internet ziehen.“
„Klar, wenn du mir später das Geld für den Download gibst. Das wird unserer Telefonrechnung belastet und Mama zieht mir das vom Taschengeld ab.“
„Wir starten mit Nena und 99 Luftballons und wir brauchen unbedingt Close to you von Maxi Priest.“ Meine Wangen sind inzwischen knallrot vor Aufregung.
„Und wie wäre es mit den Black Eyed Peas und Meet me halfway? Oder I just call to say I love you von Stevie Wonder “, schlägt Ida vor.
„Die Black Eyed Peas habe ich auf dem Rechner, müssen wir nicht mal downloaden.“ Josh lockt sich bei Musicload.de ein und kauft meine Wunschlieder, dann startet er der den Soundmixer.
Nach einer halben Stunde halte ich die gebrannte CD mit meinem eigenen Musikmix in den Händen.
„Schmeiß die CD nochmal in den Player zur Probe“, meint Josh.
Ich gehorche. Zu dritt lauschen wir der Musik. Die ersten Töne von Nenas Song 99 Luftballons ertönt. „Hast du etwas Zeit für mich, dann singe ich ein Lied für dich“, nach dieser Textzeile mischt sich der Refrain von den Black Eyed Peas „Meet me halfway, I'll be lookin out, night'n'day ,took my heart to the limit, and this is where I'll stay ,I can't go any further than this , I want you so bad it's my only wish” was von Yvonne Catterfield und „Für Dich“ abgelöst wird. Zum Schluß kommt der Refrain des Liedes, was mich am meisten mit Levin verbindet. Ich kann nur hoffen, dass er das genauso empfindet. I just wanna be close to you and do all the things you want me to. I just wanna be close to you and show you the way I feel.
Ich hole die CD aus dem Player und schreibe mit Joshs CD Schreiber „Für Levin von Paula“ drauf.
„Das war eine Spitzenidee von dir“, lobt Ida. „Dass du dich das traust.“
Ich zucke mit den Achseln. „Ich habe nichts mehr zu verlieren. Hoffentlich ist Levins Englisch gut genug und er rafft, was das Ganze soll.“
„Dass das sowas wie eine Liebeserklärung ist, wird der schon verstehen. Josh, hast du noch einen großen Briefumschlag oder so?“
„Bei Mama im Arbeitszimmer“, hören wir die leidende Stimme von Nina, die sich bis zur Tür geschleppt hat. „Was für eine süße Idee. Ich wünsch dir viel Glück!“ Sie lächelt gequält und deutet dann wieder auf ihren Bauch. „Ich habe noch ein Date mit der Toilette. Bis dann.“
Josh spendet uns noch eine CD Hülle und holt einen wattierten Umschlag. LEVIN schreibe ich mit Großbuchstaben drauf.
„Ich fahre nachher höchstpersönlich bei ihm vorbei und werfe das ein“, verspricht Ida. „Komm, du musst wieder in dein Bett. Deine Mutter wird uns killen.“
„Danke, Ida.“
„Kleinigkeit. Schließlich war ich ja nicht ganz unschuldig an dem ganzen Schlamassel.“
Josh wehrt sich gegen meine Umarmung, aber ich muss ihn einfach drücken. „Danke Ersatzbrüderchen.“
Er wird verlegen. „Kein Ding. Empfehl mich einfach weiter. Vielleicht kann ich damit Kohle verdienen, dann nenne ich mich DJ Love oder so.“
Meine Mutter tobt, als ich nach Hause komme. „Du spinnst doch. Wie kannst du jetzt schon wieder durch die Gegend fahren? Du bist noch nicht gesund. Deine Augen sind ganz glasig, hast du etwa wieder Fieber?“ Sie legt mir prüfend die Hand auf die Stirn. „Sofort gehst du ins Bett.“
Schlapp, aber auch unendlich erleichtert, lasse ich mich auf mein Krankenlager nieder. Wie auch immer er jetzt reagiert, ich habe um ihn gekämpft.
„Ist eingeworfen“, kommt eine Stunde später Idas sms. Mit dem Handy in der Hand schlafe ich erschöpft ein.
Levin meldet sich weder Freitag, noch Samstag und auch nicht am Sonntag.
„Vielleicht braucht er Zeit“, versucht Ida mich aufzumuntern, aber das kann ich nicht ganz glauben. Ich habe ihn in die Flucht geschlagen.
Sonntagnachmittag raffe ich mich endlich auf und versuche wenigstens einen Teil des Schulstoffes der vergangenen Woche nachzuholen. Frustriert und mit den Gedanken mehr bei Levin als bei Aggregatzuständen und Teilchenmodellen, öffne ich Idas Packung mit den Apfelschnüren und binde sie gelangweilt um meinen Finger.
Es klopft an der Zimmertür. „Kannst reinkommen, aber behalt deinen Magen-Darm Tee bloß für dich. Mir wachsen schon Kamillenblüten aus den Ohren.“
Der Apotheker hat meiner Mutter direkt drei Packungen von dem Kräuterzeug aufgeschwatzt, kauf drei, zahl zwei. Nun quält sie mich stündlich mit einer Tasse.
„Hallo.“ War das gerade eine männliche Stimme? Mein Kopf schnellt herum, im Türrahmen steht Levin! Mein Herz fängt wie ein Flummi zu hüpfen.
„Ich hab mir deine Adresse bei Laura besorgt. Ich fand es sicherer dich einfach zu besuchen, bevor du mir ein drittes Mal davon läufst.“
„Davonlaufen? Ich?“ Hastig schließe ich das Physikbuch und erhebe mich vom Schreibtisch. Wie gut er heute wieder aussieht in seinen dunklen Jeans und dem lässigen Shirt.
„Möchtest du etwas trinken? Meine Mutter kann dir einen köstlichen Magen-Darm Tee zubereiten“, stammele ich ungelenk. „Aber wenn dir was Kaltes lieber ist, schau ich schnell in der Küche nach, was wir noch so haben.“ Einen Spiegel, ich brauche einen Spiegel und einen Augenblick um meine zittrige Stimme wieder unter Kontrolle zu bekommen. Doch Levin verstellt mir den Weg zur Tür. An Flucht ist nicht zu denken.
„Nein, danke, im Moment mag ich nichts, später vielleicht. Deine CD ist in der Post zwei Tage untergangen. Meine Eltern waren nicht da und ich interessiere mich normalerweise nicht für die Post. Mir schreibt nie jemand.“ Forschend studiert er mein Gesicht. „Fand ich richtig nett deine Message“, meint er dann. Sein Blick fällt auf die Gummischnüre. „Fruchtspaghetti? Stehst du auf das Zeug? Darf ich?“
Ich nicke. Er öffnet die Packung und schiebt sich eins in den Mund.
„Apfelgeschmack. So schmeckst du also.“
Ich erröte.
„Wusstest du, dass man die auf eine ganz besondere Art und Weise essen kann?“, grinst er.
Ich bin irritiert, kann nichts erwidern. Woher zum Teufel, weiß er, dass ich wie eine Eule unzerkaut Schnüre schlucke und auf unappetitliche Art und Weise wieder hervor würge? Wie peinlich ist das denn!
Als ich nicht antworte, lacht er. „Hey, du musst doch schon mal Susi und Strolch gesehen haben?“
Er stopft sich den Anfang eines weiteren Schnür in die Futterluke, macht noch einen Schritt auf mich zu. Ich halte den Atem an. Dann steckt er mir das andere Schnürende in den Mund. Oh Gott, er meint die Szene aus dem Disney Klassiker mit den Hunden. Die Stelle an der Susi und Strolch Spaghetti von einem Teller essen und versehentlich beide die gleiche Nudel erwischen. Er wird doch nicht…? Er wird! Stück für Stück arbeitet er sich kauend auf mich zu. Einen Millimeter, bevor sich unsere Lippen treffen, hält er kurz inne und beißt die Nudel durch.
Meine Lungen füllen sich wieder mit Luft. „Du, es tut mir echt leid, dass ich so doof zu dir war. Dieser Typ, Tim, weißt du, der interessiert mich überhaupt nicht. Ich fand ihn mal gut, aber das ist vorbei. Ich…“
Er sagt nichts, schaut mich mit seinen tiefblauen Augen einfach nur unendlich lieb an und beugt sich zu mir hinunter. Es wird passieren, jetzt. Instinktiv knicke ich meinen Kopf leicht ab und schürze die Lippen, so wie ich es schon hundertmal vor dem Spiegel geübt habe. Schnell schlucke ich so viel Spucke wie möglich hinunter, ich möchte nicht nass schmecken. Unsere Lippen treffen sich im perfekten Winkel und dann bekomme ich den zweiten richtigen Zungenkuss in meinem Leben. Eigentlich ist es ja erst der erste, denn dieser fühlt sich genauso gut an, wie ich es mir immer vorgestellt habe und - er schmeckt himmlisch süß nach grünem Apfelschnür.
Ich schlinge meine Arme um seinen Nacken und gebe mein Bestes. Er soll nicht denken, dass er es mit einem totalen Grünschnabel zu tun hat. „Du küsst genauso gigantisch wie du singst“, meint er, als er sich von mir löst. Gibt es ein tolleres Kompliment?