Miese Drohungen

Am nächsten Morgen fand ich Lady Coras Antwort vor: Nein, die Frau auf dem Foto, das ich ihr geschickt hatte, war nicht die Organisatorin der Rathauspartys. Dann hatte Rudi Gies Jessica Brühl nicht gekannt? Schade, ich hätte mir den Pornofilmer außer Diensten so gut als Mörder vorstellen können.

Es war noch so früh am Morgen, dass ich mir Zeit lassen konnte. Vor elf Uhr brauchte ich in der Redaktion nicht zu erscheinen. Da ich den Rechner schon einmal hochgefahren hatte, las ich die Online-Ausgaben der Tageszeitungen. Nicht viel Neues. Der Hochzeitskiller hatte den Mord an Jessica Brühl auf die hinteren Lokalseiten verbannt.

Milva Grandi von BILD überraschte mich allerdings. Ihr war es gelungen, ein Interview mit dem Mann zu machen, der für die Aufklärung beider Mordfälle zuständig war: Dr. Friedemann Kleist. Auch ein Foto fehlte nicht – natürlich zusammen mit der BILD-Reporterin.

Wütend schaltete ich den Computer aus. Wie konnte er mir das antun?

Nach der zweiten Tasse Kaffee war meine Wut immer noch nicht verraucht. Grandi bezeichnete ihn als hochklassigen Ermittler mit akademischem Hintergrund, als attraktiven Kriminalisten und erfolgsgewohnten Chef der Mordkommission.

Nur dass seine Erfolge in Bierstadt noch auf sich warten lassen, grummelte ich eifersüchtig.

Das Handy meldete sich. Am anderen Ende schnarrte mich der hochklassige Ermittler an: »Warum hast du mir diese Zeugin unterschlagen?«

»Wen meinst du?«, fragte ich mit unschuldiger Stimme zurück.

»Nun tu nicht so, Maria! Ich meine Lady Cora.« Er wirkte ausgesprochen ungehalten.

»Weißt du, ich habe mir das gut überlegt«, entgegnete ich. »Aber ich wollte verhindern, dass meine Exklusivstory in der BILD steht.«

»Was soll das denn heißen?«

»Deine Beziehung zu Milva Grandi scheint enger zu sein, als ich bisher dachte«, dehnte ich. »Da ist wohl Vorsicht angebracht. Ich recherchiere mir den Kopf blutig und du gibst der Dame ein Interview. Zeit, die du besser genutzt hättest, deine unaufgeklärten Fälle zu lösen.«

»Es reicht, Maria. Wie heißt diese Lady Cora mit richtigem Namen und wo kann ich sie finden?«

So nicht, dachte ich grimmig. »Zeugnisverweigerungsrecht und Informantenschutz«, antwortete ich. »Fest verankert in Artikel 5 Grundgesetz. Aber das weißt du ja.«

»Allerdings. Ich weiß allerdings auch, dass diese beiden wunderbaren Schlupflöcher für Journalisten außer Kraft gesetzt werden können, wenn Gefahr im Verzuge ist.«

»Dann beweis das mal. Außerdem brauchst du eine richterliche Erlaubnis.«

»Die bekomme ich. Und dann kann ich dich in Beugehaft nehmen lassen, Maria«, schnaubte Kleist. »Musst du denn immer so ein Theater machen?«

»Okay. Kein Richter wird mich in den Knast schicken. Aber ich werde die Frau anrufen und sie fragen, ob sie aussagt. Niemand soll mir den Vorwurf machen, ich sei der Polizei nicht behilflich.«

»Ich erwarte deine Nachricht bis zum Mittag«, sagte er hart.

Ich rief Anna Wachowiak an. Sie hatte nichts dagegen, mit der Polizei zu sprechen.

»Bevor ich noch mal bedroht werde, ist es besser, alles zu sagen.«

»Dann darf ich Ihre Handynummer an die Polizei weitergeben?«

Ich durfte.

»Sie heißt Anna Wachowiak«, teilte ich Kleist durchs Telefon mit. »Du kennst sie übrigens.«

»Ich kenne sie?« Er war verdattert.

»Erinnerst du dich an unser Essen im Florian? Sie saß neben uns – mit einem Kunden. Du hast mich noch drauf aufmerksam gemacht und sie als Dame des eskortierenden Gewerbes enttarnt. Und als ich mir die Handyfotos von der Rathaus-Orgie anguckte, hab ich das Gesicht wiedererkannt. Den Rest erzähle ich dir später.«

Er lachte. »Kompliment, Maria. Mir ist das Gesicht dieser Frau völlig entfallen. Wir zwei wären wirklich ein gutes Team, wenn du nicht immer so zickig wärst.«

»Wir beide ein Team? Das ist ja völlig neu! Bisher hast du mich immer an die Pressestelle abgeschoben.«

»Immer?«

»Okay – nicht immer. Aber oft.«

»Das wird auch in Zukunft passieren, wenn du Fragen stellst, die ich nicht beantworten will«, prophezeite er.

»Und dir kann passieren, dass ich weiter zickig bin.«

»Das habe ich befürchtet«, seufzte Kleist. »Ich habe Hunger. Wie wäre es mit einem kleinen italienischen Imbiss?«

Irgendwie wurde ich nicht schlau aus ihm. Aber Hunger hatte ich auch. Und sobald wir uns gegenübersaßen, entspannten sich alle Bürstigkeiten. Also ja.

Als ich Luigis Restaurant betrat, war Kleist schon da. Er winkte mir zu und stand wohlerzogen auf, als ich zum Tisch trat. Dann saßen wir uns gegenüber. Sein Blick war offen und meiner wohl auch. Die Missstimmungen des morgendlichen Telefonats waren verflogen. Wir bestellten Antipasti und Wasser.

»Schön, dich zu sehen«, begann er.

Ich musste grinsen. »Was willst du?«

»Wir haben Laborergebnisse. Aber sie sprechen noch nicht zu mir. Darum möchte ich ein wenig darüber plaudern.«

»Wäre der richtige Ort dafür nicht die Mordkommission?«

»Nein, die ist zu professionell.«

Das kam mir seltsam vor. »Ich als die Wand, zu der du sprichst? Na, ob das ein Kompliment ist?«

Er lächelte mich an und nickte erwartungsvoll. Was wollte er nur? Die Situation war befremdlich. Sein Blick wurde aber immer freundlicher. Dann klingelte ein kleiner, leiser Gedanke. Eine Erinnerung.

»Ah, du erinnerst dich«, sagte er.

»Etwas meldet sich«, gab ich zu. Es fiel mir ein. »Die allmähliche …«, ich stockte, »… Verfertigung …«

»… der Gedanken beim Reden«, ergänzte er.

»Ja … eine wunderbare Schrift«, nickte ich, »von Heinrich von … Ist das deine Familie?«

Ein breites, offenes Lachen überzog sein Gesicht. »Ja … Er selbst hatte ja keine Kinder, aber Familie ist es schon. Ein Zweig hat sich der Polizeiarbeit verschrieben. Einer meiner Vorfahren, Justus von Kleist, gehörte in Berlin zu den kriminologischen Experten, als Kriminologie noch Polizeiwissenschaft hieß.«

»Und dann hat man das von aus dem Namen gestrichen?«

»Das war mein Großvater. Nach dem Ersten Weltkrieg, als junger Mann.«

»Eine alte und verdiente Familie«, sagte ich, »und nun hast du das Wappen derer von Kleist nach Bierstadt getragen.«

»Kein Wappen. Ohne ›von‹ wäre es albern.«

»Du möchtest herausfinden, welche Gedanken deine Ermittlungsergebnisse dir geben?«

»Ja genau, wir sollten uns nicht verplaudern.«

»Ich bin gespannt.«

»Du wirst aber bitte das, was wir jetzt bereden, sorgfältig daraufhin prüfen, ob es in die Zeitung gehört, ja?«

Ich beruhigte ihn und meinte es tatsächlich ernst. »Ganz sorgfältig, verlass dich drauf.«

»Na gut. Wir wissen inzwischen, von wo aus geschossen wurde und mit welcher Waffe.«

»Ihr habt die Waffe gefunden?«

»Das nicht, aber den Typ kennen wir. Eine Heckler & Koch SL7. Das ist ein sehr präzises und ganz weit verbreitetes Gewehr. Die Jäger schätzen es nicht sehr, aber die Sportschützen. Wenn man ein Zielfernrohr montiert und es korrekt einstellt, kann man auch auf mehrere hundert Meter problemlos treffen. Und man kann mehrmals schnell hintereinander Schüsse abgeben.« Er machte eine Pause. »Geschossen wurde von dem Flachdach gegenüber dem Rathaus.«

Mich schauderte. »Das ist eine grausige Vorstellung. Wer macht so was? Und wieso zu zweit?«

»Wer die beiden sind, ist die letzte Frage. Auf die zielt ja alles hin. Jedenfalls hatte einer von ihnen einen Anfall von schwacher Blase. Es sind Urinspuren auf dem Dach. Das ist DNA-fähiges Material.«

»Aber mit wem kann man das abgleichen? Es gibt ja keinen Hinweis in irgendeine Richtung.«

Seine Stirn bekam Falten. »Noch nicht, aber darum sitzen wir ja hier zusammen. Wir haben noch etwas gefunden. Ein Stück bedruckte Pappe.«

»Einen Karton? Vielleicht für ’ne leckere Pizza?«

»Es ist nur ein winziges Stück.« Er legte einen Block Papier vor sich hin und einen Kugelschreiber. »Und jetzt möchte ich dir den Ablauf erzählen, aus der Perspektive der Mörder. Vielleicht schießen dabei die Dinge so zusammen, dass am Ende etwas Neues entsteht.«

Das klang spannend. »Ich bin ganz Ohr.«

»Es ist Nacht. Ich hole das Gewehr und prüfe es. Ich lade das Magazin und setze es in das Gewehr ein. Ich lade durch, damit ich es nicht auf dem Dach tun muss. Das knallt ganz ordentlich bei dieser Waffe. Die erste Patrone ist im Lager. Die Waffe ist schussbereit. Ich lege den Sicherungshebel auf sicher.«

Kleist vollführte mit seinen Händen entsprechende Bewegungen. »Jetzt verpacke ich das Gewehr.«

Im Packen besaß ich Übung. Also warf ich ein: »Am besten wäre eine Art Koffer. Nach den Schüssen willst du schnell verschwinden. Du musst es so einpacken, dass du mit wenigen Handgriffen fertig bist.«

»Guter Gesichtspunkt.«

Er fuhr fort: »Jetzt treffe ich mich mit meinem Komplizen und wir gehen zum Rathausplatz.«

»Ich denke, die Schussposition hast du schon vorher erkundet und festgelegt.«

»Ja, ich weiß, wohin ich möchte, und ich habe die Schlösser schon vorher einmal geöffnet. Wir ziehen Handschuhe an und öffnen die Seitentür. Wir gehen hinein und schließen von innen wieder ab.«

»Geht das denn mit einem Dietrich?«

»Maria, du bist wirklich gut. Auf so eine Frage kommt in der Kommission niemand. Wenn die Täter hinter sich abgeschlossen haben, müssen sie einen richtigen Schlüssel gehabt haben.«

Ich war zwar stolz auf mich, aber ich wollte die Fortsetzung hören. »Gut, ihr seid jetzt im Gebäude. Wie kommt ihr aufs Dach?«

»Es ist Nacht. Der Fahrstuhl wird aber nicht ausgeschaltet. Also zu Fuß oder Fahrstuhl.«

»Und oben?«

Die Falten auf seiner Stirn vertieften sich. »Der Fahrstuhl geht bis in den fünften Stock. Dann folgt eine Eisenleiter. Eine Eisentür versperrt den Zugang zum Dach. Auch die wird mit einem Schlüssel oder einem Trick geöffnet.«

»Schließt ihr auch diese Tür hinter euch ab?«

»Nein. Wir wollen nicht überrascht werden. Mein Kollege überwacht die Eisentreppe. Dazu muss er durch die Tür gehen können.« Er schwieg und entspannte sich ein wenig.

Ich wollte, dass er weitersprach. »Jetzt habt ihr Zeit.«

»Ja. Wir warten. Und wir achten darauf, dass wir nicht auffallen. Als es dämmert, hocken wir uns in den Schatten der Schornsteins.«

»Einer von euch muss pinkeln irgendwann.«

»Ja. Das wird auf Männerweise erledigt. Beim Schornstein.«

»Mit Handschuhen?«

Er lächelte schief. »Fingerspuren sind keine da. Aber wir brauchen auch keine. Wenn wir einen Menschen finden, der zu der DNA passt, ist bewiesen, dass er dort war.«

»Ein Stochern im Nebel«, seufzte ich.

Er fuhr fort auf seinem Weg. »Es ist hell geworden. Nicht mehr lange und es ist so weit. Ich gehe an den Rand des Daches und beobachte den Platz.«

»Was hast du gegen dieses Brautpaar?«

»Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, ob ich ein Mann bin oder eine Frau.«

Ich holte Luft. Bevor ich etwas sagen konnte, brachte er mich mit einer Geste zum Schweigen.

»Da ist etwas. Aber zugleich ist da nichts. Alles ist leer. Ich warte auf das Brautpaar. Warum will ich diese Menschen töten?«

»Liebe, Geld, Rache?«

»Es gibt im Hintergrund der beiden Toten nichts, was auf ein mögliches Eifersuchtsdrama hinweist. Sie waren als Kinder schon Spielkameraden, besuchten dieselbe Schule und liebten sich, seit sie dreizehn waren. Nie war jemand dazwischen. Das ganze Umfeld der Toten erzählt diese Geschichte.«

»Es kann aber nicht sein, dass du keinen Grund hast, sie zu töten. Du tust es ja.«

Kleists Blick verriet, dass er meine Worte nicht aufnahm. Seltsam abwesend zahlte er. Dann verabschiedete er sich ohne weitere Verabredung.

Männer!

Am Nachmittag machte ich mich auf die Suche nach Rudi Gies. Er hing bis zum Hals in dem Schlamm um die Kokspartys drin.

Sein Handy war ausgeschaltet. Über den Verlag besorgte ich mir die Adresse seiner Wohnung und war überrascht, dass er in einer Pension logierte. Sie befand sich nicht weit vom Verlagshaus entfernt in einer schmalen Straße mit Häusern aus der Gründerzeit.

Die Besitzer hatten sich Mühe gegeben, dem kleinen Hotel eine gewisse Niedlichkeit zu verpassen. Ich sah Spitzengardinen, vor den Fenstern Blumenkästen mit Geranien und eine gelb-weiß gestreifte Markise, die über die Tische und Stühle vor dem Gebäude ausgefahren worden war.

Und ich sah auch ihn: Rudi Gies – offensichtlich quietschvergnügt saß er bei einem Bier und rauchte eine Pfeife.

»Hallo, Herr Kollege«, sagte ich und setzte mich zu ihm. »Heute keine Lust zu arbeiten?«

»Warum?«, entgegnete er. »Ich bin ab morgen beurlaubt. Warum sollte ich heute noch kommen? Damit mich alle schräg anschauen?«

»Sie hätten mit Ihrer Vergangenheit offener umgehen sollen«, sagte ich. »So ein Expornofilmer macht sich nicht besonders gut in der Redaktion einer bürgerlichen Tageszeitung.«

»Was wollen Sie hier, Sie intrigantes Stück?«

Ich schluckte. Sollte ich ihm das Bier über den Kopf gießen oder die Dame spielen? Lieber Dame!

»Sie stecken so was von tief in dem Drogensumpf im Rathaus: Bedrohen eine Zeugin! Akquirieren die Edelnutten für die Partys!«, hielt ich ihm vor. »Warum machen Sie das? Sie hatten doch die Chance, als Journalist wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Warum haben Sie sie nicht genutzt?«

Rudi Gies sah mich an. Seine rote Nase glänzte krank. »Glauben Sie wirklich, dass ich Spaß daran habe, kleine brave Artikelchen für ein dummes Abonnentenpack zu schreiben?«

»Sie waren immerhin mal politischer Redakteur.«

»Na und?« Er lachte spöttisch. »Mein Auftrag war ein ganz anderer.«

Ich stutzte. »Auftrag?«

»Ja, Auftrag. Achten Sie darauf, was in den nächsten Tagen passiert. Dann verstehen Sie, was ich meine.«

Große Fresse, dachte ich. »Wer war die Frau, die die Partys im Rathaus geplant hat? Jessica Brühl?«, versuchte ich es noch einmal.

»Für wie dämlich halten Sie mich, Frau Grappa?«

»Ich halte Sie keineswegs für dämlich, sondern für gefährlich, korrupt und ekelhaft«, wütete ich. »Und ich kriege Sie dran, darauf können Sie sich verlassen!«

Ich stand auf und ging.

»Passen Sie auf sich auf!«, rief Gies mir nach. »Es gibt so viel Gewalt gegen Frauen in dieser Stadt.«

Missmutig fuhr ich nach Hause. Viel schlauer war ich nicht geworden. Neu war nur, dass Gies einen Auftrag hatte. Aber mit welchem Ziel und von wem?

Ich informierte Jansen über das Gespräch. Er hatte schon erfahren, dass er mit dem unliebsamen Redakteur nicht mehr zu rechnen brauchte.

Später am Abend meldete sich Kleist und teilte mir mit, dass Anna Wachowiak kooperativ gewesen sei.

»Sie hat mir von einem Mann im Restaurant erzählt, der sie bedroht hat. Und sie sagte, dass du ihn kanntest. Wer ist das?«

»Ein ehemaliger Kollege von mir«, antwortete ich. »Es kann nicht schaden, wenn ihr ihn euch mal vornehmt.«

Ich nannte ihm die Rahmendaten von Gies.

»Was macht der Hochzeitsmörder?«, fragte ich dann.

»Wir haben die Vernehmungen der Menschen, die sich in den umliegenden Häusern aufhielten, abgeschlossen. Leider gab es keine weiterführenden Hinweise. – Ich wollte mich noch bei dir bedanken. Die Verfertigung der Gedanken beim Reden hat mir geholfen. Jedenfalls meinen Ideen.«

»Dann ist die Aufklärung ja nur noch eine Sache von ein paar Stunden«, frotzelte ich. »Wie hat dich Milva Grandi in dem Artikel genannt? Erfolgreicher Ermittler?«

»Die Presse übertreibt immer. Du kennst das doch.«

Der Bürgermeister wehrt sich

Gleich am nächsten Morgen erklärten sich die mysteriösen Andeutungen von Rudi Gies.

Die BILD-Zeitung lag auf meinem Schreibtisch in der Redaktion. Innen prangte ein Foto von Oberbürgermeister Jakob Nagel mit verrutschtem Anzug – eingerahmt von zwei drallen, leicht bekleideten Mädchen und mit weißem Pulver an den Nasenflügeln.

PLÜNDERTE AUCH DER KOKSER-OB DIE STADT-KASSE FÜR SEXPARTYS?

Von BILD-Reporterin Milva Grandi

Jetzt haben sie ihn, dachte ich. Das überlebt er politisch nicht. Ich sah mir das Foto genauer an, entdeckte aber keine Unstimmigkeiten, die auf eine Fotomontage schließen ließen.

OB Nagel: Ich kenne die beiden Damen nicht und habe nie Kokain konsumiert. Auch von Sexorgien in meinem Büro weiß ich nichts. BILD fragt: Will der Bierstädter OB die Bürger seiner Stadt für dumm verkaufen? BILD fordert: Treten Sie zurück, Herr Nagel, bevor die Sache noch peinlicher wird!

Es klopfte. Jansen erschien und sein Gesicht sagte mir, dass er die Zeitung mit den großen Buchstaben schon gelesen hatte.

»Es gibt eine Ehrenerklärung der Partei für Jakob Nagel«, sagte mein Chef und reichte mir ein Fax. »Madig ist ein verschlagener Intrigant.«

Wir – die SPD-Fraktion und die Landespartei – stehen voll hinter unserem Oberbürgermeister Jakob Nagel. Wir werden jeder üblen Nachrede und jeder Verdächtigung entgegenzutreten wissen. OB Nagel hat eine beeindruckende Leistungsbilanz vorzuweisen. Er ist ein hoch kompetenter Oberbürgermeister, dem Bierstadt viel zu verdanken hat. Zukunft, Zusammenhalt, Zuhause – Bierstadt gewinnt – so der Leitsatz des Oberbürgermeisters. Stabile Einwohnerzahlen, zufriedene Menschen, eine rege Investitionstätigkeit und eine verantwortliche sozialdemokratische Sozialpolitik prägen die Stadt. Ein neues Bierstadt ist entstanden. Deshalb werden wir – Fraktion und Partei – allen Versuchen entschieden entgegentreten, unseren Oberbürgermeister politisch und persönlich zu beschädigen. Wir verlangen von Polizei und Staatsanwaltschaft, die Vorwürfe gegen OB Nagel sorgfältig zu überprüfen. Wir sind sicher, dass sich alle Beschuldigungen in Luft auflösen werden.

Das Fax war von Mobby Madig und Erwin Debill unterschrieben.

»Verlogenes Pack«, sagte ich. »Die wollen Nagel lieber heute als morgen in die Wüste schicken.«

»Ach ja. Nagel hat zu einer Pressekonferenz eingeladen. In einer Stunde.«

Auf der Treppe, die zum Rathaus führte, lief mir Milva Grandi über den Weg. Natürlich hatte sie das passende Gesicht aufgesetzt – ihr Artikel und das Foto waren die Sensation des Tages.

»Hallo, Frau Grappa«, begrüßte sie mich gnädig. Sie schien erneut einem Farbkasten entsprungen zu sein. Im schwarzen Haar glitzerten winzige Sternchen, das voluminöse Halstuch hatte lange, rote Fransen und die Schuhspitzen der hohen Pumps waren mit Metall verkleidet.

»Hallo, Frau Kollegin. Gute Story, ja wirklich.« Ich zeigte ein Lächeln, das so süß war, dass ein Diabetiker direkt ins Koma gefallen wäre. Leider war sie nicht zuckerkrank.

»Ja, finde ich auch. Bierstadt wird in einigen Stunden eine andere Stadt sein.«

»Dann rechnen Sie also mit Nagels Rücktritt?«

»Selbstverständlich!«, entgegnete Grandi triumphierend. Einige Sternchen fielen aus der Frisur.

Pöppelbaum neben mir drängelte. »Komm, wir müssen los. Sonst sind die besten Plätze weg.«

»Hoffentlich haben Sie nicht den Falschen erwischt«, sagte ich und drückte mich an ihr vorbei. »Auch Fotos können lügen. Komm, Wayne!«

Vor dem verschlossenen Sitzungszimmer war die Hölle los. Sensationsgier waberte wie ein Nebel durch die Etage. Kamerateams traten sich gegenseitig auf die Füße, Fotografen überprüften die Einstellungen ihrer Apparate. Zeitungsschreiber besprachen sich mit ihren Knipsern. Auch Rudi Gies war gekommen. Er unterhielt sich mit Milva Grandi.

Endlich öffneten sich die Türen des Saals. Alle stürzten in den Raum. Pöppelbaum lief voran, um sich eine gute Position zu sichern. Als alle Platz genommen hatten, erschien Nagel – flankiert von seiner Referentin und dem Leiter des städtischen Presseamtes.

Ich schaute mich um, wo Milva Grandi saß. Sie hatte ihr Opfer gut im Blick.

»Meine Damen und Herren! Der Oberbürgermeister wird eine Erklärung abgeben. Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit«, eröffnete der Pressechef die Konferenz.

Nagel war bleich und hob den Blick nicht vom Tisch. Er las die Rede ab: »Meine Damen und Herren, liebe Genossen! In den letzten Stunden habe ich in aller Ruhe und mit etwas Abstand über die aktuelle Lage in Bierstadt nachgedacht. Ausführlich habe ich mit meiner Familie gesprochen, mich mit Freunden beraten und eine Entscheidung getroffen: Ich trete mit sofortiger Wirkung als Oberbürgermeister zurück

Raunen, Geknipse, Kamerasurren. Nagel schaute zum ersten Mal auf. Er hatte feuchte Augen.

Mit zitternder Stimme fuhr er fort: »Mit dem Motto Bierstadt gewinnt bin ich vor neun Jahren angetreten. Und Bierstadt hat gewonnen: Die politischen und sozialen Projekte kommen gut voran. Die Erfolgsbilanz kann sich bundesweit sehen lassen. Diese Erfolge sind eine Gemeinschaftsleistung vieler Menschen dieser Stadt. Das Zusammenwirken von Rat, Verwaltung und OB, von SPD und den Grünen, von Partei und Fraktion hat Brennpunkte ausgehebelt, die Wirtschaft gestützt und soziale Projekte angestoßen. Wir können stolz sein auf das Geleistete. Als Oberbürgermeister stehe ich zu meiner Gesamtverantwortung. In der Konsequenz heißt das: Ich kann mir die Erfolge zurechnen, muss aber auch hinnehmen, dass ich ohne persönliche Schuld Verantwortung tragen muss für das Fehlverhalten anderer.«

Er machte eine Pause. Bisher war sein Vortrag ein wenig zittrig gewesen.

»Ich werde bezichtigt, an sogenannten Kokain- und Sexpartys, die in meinem Büro stattgefunden haben sollen, teilgenommen zu haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mich wegen Drogenmissbrauchs und der Beihilfe zur Veruntreuung öffentlicher Gelder. Ein Foto, dessen Quelle genauso dubios ist wie das Presseorgan, das es veröffentlicht hat, soll mich als Teilnehmer dieser Treffen zeigen. Ich sage Ihnen hier und jetzt: Dieses Foto ist ein üble Montage. Ich habe weder von den unterschlagenen Geldern durch eine inzwischen verstorbene Mitarbeiterin gewusst noch selbst an Veranstaltungen teilgenommen, auf denen Drogen konsumiert wurden.«

Pöppelbaum hatte sich neben mich gestellt. »Aus der Nummer kommt er nicht mehr raus«, flüsterte er. »Selbst wenn er unschuldig ist. Dreck bleibt immer hängen.«

»Erfolgreich wehren kann man sich gegen solche Lügen nur mit einer geschlossen auftretenden Partei. Daran mangelt es leider zurzeit«, fuhr Nagel fort. »Es wurden zwar entsprechende Pressemitteilungen herausgegeben, doch die sind an Heuchelei nicht mehr zu überbieten. Einzelne Verantwortliche haben sich so verhalten, dass ich es nicht länger hinnehmen kann. Ich danke all denjenigen, die mich immer ermutigt haben und solidarisch zu mir gestanden haben.«

Nagel legte seine Blätter zur Seite. Fotoblitzgewitter.

»Herr Nagel bittet darum, auf Fragen zu verzichten«, übernahm der städtische Pressechef. »Die Amtsgeschäfte wird kommissarisch Herr Stadtdirektor Grubermeier übernehmen. Die Pressekonferenz ist beendet. Danke, dass Sie Zeit für uns hatten, meine Damen und Herren.«

Nagel rauschte aus dem Raum, gefolgt von seinen Mitarbeitern.

»Grubermeier!«, rief ich aus. »Damit machen die den Bock zum Gärtner! Der war doch auch auf den Partys.«

»Die BILD-Tussi naht«, raunte Pöppelbaum.

»Sehen Sie, Frau Grappa!« Ihr Busen wogte. »Investigativer Journalismus kann die Welt verändern. Bestes Beispiel ist die Watergate-Affäre!«

»Wann rechnen Sie mit dem Pulitzerpreis?«, griente ich.

»Mit dem vielleicht noch nicht«, strahlte sie. »Aber der Wächterpreis der Tagespresse – der wäre schon drin.«

»Wird der nicht für sauberen Journalismus vergeben?«, fragte ich.

Milva Grandi zog einen kleinen Flunsch und lachte ihr kratziges Lachen. »Jedenfalls ist es ein schönes Spiel – in das Weltgeschehen einzugreifen. Einen angenehmen Tag noch.«

Pöppelbaum und ich sahen ihr nach.

»Gibt es die Abwrackprämie eigentlich nur für Autos?«, fragte ich.

Wayne grinste.

»Wie hart ermittelt ihr eigentlich gegen Grubermeier?«, wollte ich von Kleist wissen. Ich hatte ihn sofort nach der Pressekonferenz angerufen. »Er war bei den Orgien im OB-Büro dabei und ist jetzt neuer Oberbürgermeister von Bierstadt. Das ist ja wohl die Höhe!«

»Grubermeier konnte bisher kein Drogenkonsum bewiesen werden«, antwortete Kleist. »Soweit ich mich erinnere, ist er zwar auf den Handyfotos zu erkennen – aber nur bei der zweifelhaften Aktion am Kopierer, bei der der Hintern einer Frau fotokopiert wurde. Das ist höchst geschmacklos, aber nicht strafbar.«

»Verstehe. Und damit gebt ihr euch zufrieden?«

»Nein, Maria. Aber wir brauchen Beweise. Deshalb habe ich alle Personen, die mit dem Fall in irgendeiner Weise zu tun haben, gebeten, einer Haaranalyse zuzustimmen.«

»War bestimmt ein voller Erfolg, oder?«

»Leider nicht. Aber das sagt ja auch einiges aus. Lediglich Nagel hat sich bereit erklärt.«

»Der ist jetzt weg vom Fenster«, seufzte ich. »Und was macht der Hochzeitsmörder?«

»Der wartet wohl ab, dass sich die politischen Wogen glätten. Der will bestimmt nicht auf den hinteren Seiten deiner Zeitung landen.«

Ich schrieb den Artikel über Nagels Rücktritt und konnte es mir nicht verkneifen, eine Bemerkung über Grubermeier loszulassen.

Ob Max Grubermeier allerdings der richtige Mann ist, um die Geschicke unserer skandalgerüttelten Stadt zu führen, darf bezweifelt werden. Die Polizei ermittelt gegen ihn, weil auch er nachweislich an den Sexpartys im Rathaus teilgenommen hat. Dem Tageblatt liegt ein Foto vor, auf dem der neue Oberbürgermeister Grubermeier eindeutig in Aktion zu erkennen ist. Weitere Beschreibungen bleiben den Lesern des Tageblattes erspart, da sie der Tendenz einer Familienzeitung entschieden widersprechen.

Jansen lachte sich schlapp. »Du bist ja hart drauf, Grappa. Frau Grubermeier und die lieben Kleinen werden sich freuen. Der macht doch immer so auf glückliche Familie.«

»Tja. Das hätte er sich überlegen sollen, bevor er den nackten Hintern einer Edelnutte fotokopiert.«

»Jungs wollen halt immer spielen«, kicherte mein Chef.

»Ich spiele auch gern«, lächelte ich maliziös.

Witwe gerührt, nicht geschüttelt

Am nächsten Tag trat ich später in die Redaktion ein als sonst. Die Tageskonferenz war schon gelaufen. Das Großraumbüro wurde nur durch die Anwesenheit der beiden Sekretärinnen Stella und Susi belebt. Die anderen Kollegen hatten wohl Termine. Susi tippte emsig, Stella sah ihr dabei zu.

»Hallo, Mädels«, grüßte ich und warf einen Blick auf den Monitor, vor dem die beiden saßen. Susi befand sich gerade in einem anregenden Chat mit ihrem gemütlichen Getreidebauern. Oder war’s der zugeknöpfte Ziegenwirt?

»Hi, Grappa.« Die beiden hoben noch nicht mal den Kopf.

Ich verzog mich in meine Einzelzelle. Dort erwischte mich Jansen. »Ich hatte einen Anruf, um den du dich mal kümmern solltest.«

»Erzähl!«

»Von einer Frau namens Waltraud Becker. Klingelt was bei dir?«

Ich überlegte und dann hatte ich es. »Hat sie was mit Sandra Becker zu tun?«

»Genau. Die Mutter der toten Braut. Sie hat sich beschwert, dass die Polizei den Mörder ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes noch nicht gefunden hat.«

»Na ja, die haben halt den Rathaus-Skandal in Arbeit. Da muss so ein kleiner Doppelmord eben ein bisschen warten.«

»Ich habe mit der Mutter ein wenig geplaudert. Und etwas sehr Spannendes dabei erfahren«, sagte mein Chef.

»So?«

»Sandra Becker hatte einen interessanten Job. Sie war persönliche Referentin von Mobby Madig, unserem verehrten Parteichef. Und – sie hat vier Wochen vor ihrer Hochzeit bei der SPD gekündigt. Leider habe ich den Grund nicht erfahren.«

»Das ist ja wirklich interessant!«, rief ich aus. »Dann schau ich doch mal bei der Brautmutter vorbei und versuche, ganz nett zu sein.«

»Viel Erfolg«, wünschte Jansen und verschwand.

War ich eigentlich nett? Es gibt den Spruch, dass ›nett‹ die kleine Schwester von ›Scheiße‹ sei. Stimmt vielleicht, denn Nettigkeit kann zwar die grundsätzliche Freundlichkeit eines Menschen bedeuten. Aber sie kann auch eine eher oberflächliche Höflichkeit sein, die das Ziel hat, dem Gesprächspartner ein Gefühl der Geborgenheit zu geben, damit er macht, was man will. Reine Taktik also. Für eine Journalistin sollte Nettsein jedenfalls zur professionellen Ausrüstung gehören.

Ich rief Waltraud Becker an.

»Wissen Sie«, sagte ich, »die Kripo sieht nur das Verbrechen. Ich versuche, in meinen Artikeln den Menschen nahezukommen. Den Lesern zu zeigen, wer hinter dem Opfer eines Verbrechens steckt. Und Ihre Tochter war doch noch so jung. Und es sollte der schönste Tag ihres Lebens werden. Eine ganz tragische Geschichte.«

Waltraud Becker brach in Tränen aus, willigte aber ein, sich mit mir zu unterhalten. Sie wohnte im Osten der Stadt – dort, wo Bierstadt an das Sauerland grenzt.

Während der Fahrt übte ich Nettsein. Ich überließ einem Sportwagenfahrer meine Vorfahrt, verschonte eine Katze, die bei Rot über die Straße lief, und lächelte den Jugendlichen mit Migrationshintergrund an, der mir aus unerfindlichem Grund den Stinkefinger zeigte.

Derart bestens vorbereitet, klingelte ich an der Wohnungstür der Mutter.

Waltraud Becker war eine kleine, verhärmte Frau, die augenscheinlich unter Osteoporose litt. Oder der Mord an ihrer Tochter hatte sie plötzlich gramgebeugt.

Sie begrüßte mich und hielt meine Hand länger, als ich es gewohnt war. Ihr Blick war voller Schmerz. Da wusste ich, dass ich mehr als nur nett zu ihr sein würde.

»Mein herzliches Beileid«, murmelte ich.

»Danke. Kommen Sie doch ins Wohnzimmer.« Sie hatte Kaffee gekocht. Auf dem Couchtisch stand eine silberne Schale mit Keksen, daneben türmten sich Fotoalben.

»Leben Sie allein?«, fragte ich.

»Ja. Mein Mann hat uns schon lange verlassen.«

»War Sandra Ihr einziges Kind?«

Frau Becker nickte. Ich schätzte sie auf Mitte sechzig, aber vielleicht war sie auch jünger.

»Erzählen Sie mir etwas über Sandra«, bat ich. »Wie war sie?«

Frau Becker griff nach einem der Alben. Dann erzählte sie – Geburt, Kindheit, Jugendjahre. Ich ließ die Worte an mir vorbeirauschen, nickte freundlich und sah mir die Fotos an. Erstes Fahrrad, Schultüte, Urlaub in Bayern. Da war die Familie noch komplett.

Waltraud Becker strahlte Kraft und Stolz aus. Heute hatte sie kaum noch Ähnlichkeit mit der Frau von früher. Sandras Vater schaute seine kleine Tochter verliebt an. Ein halbes Jahr nach der Aufnahme hatte er sich »aus dem Staub gemacht«. Weitere Fotos von ihm gab es im Album nicht.

Der erste Job als Azubi bei der Bierstädter Stadtverwaltung. »Sie hat die Prüfung mit sehr guten Noten abgeschlossen«, erzählte die Mutter.

»Und später hat sie in der Parteizentrale gearbeitet – so hörte ich«, kam ich zur Sache.

»Bei der SPD. Sie war die persönliche Referentin von Mobby Madig. Quasi seine rechte Hand.«

»Sind die beiden gut miteinander ausgekommen?«, fragte ich.

»Ja. Sandra war sogar ein bisschen mit ihm und seiner Frau befreundet. Hier – ich zeige es Ihnen.«

Waltraud Becker zog das nächste Album hervor und klappte es auf. »Da ist es. Sandra und Madig und ein paar andere während des letzten Bundestagswahlkampfs.«

Sandra Becker stand mit einem Stapel Flugblätter mit SPD-Logo hinter einem niedrigen langen Tisch. Rechts und links Plakatständer der örtlichen SPD-Kandidaten. Die waren schon alle so viele Jahre im Bundestag, dass sie fürs Leben ausgesorgt hatten. Mobby Madig befand sich vor dem Tisch. Er trug eine rote Schirmmütze mit den weißen Parteibuchstaben und war in ein Gespräch mit einem mündigen Bürger vertieft. Letzterer hielt ein SPD-Fähnchen in der einen und eine SPD-Tasse in der anderen Hand.

»Ein sehr hübsches Mädchen, Ihre Sandra. Und Ihr Schwiegersohn? War er auch in der Partei aktiv?«

»Er war – glaub ich – zwar drin, aber ohne Amt. Wohl aus beruflichen Gründen. Tommi war Sachbearbeiter bei der Stadtverwaltung. Bei der Rechnungsprüfung.«

»Ja, da kann das SPD-Parteibuch nicht schaden«, stimmte ich zu. »War Mobby Madig bei der Heiratszeremonie dabei?«

»Nein. Er hatte Termine. Aber er hat bestimmt eine Glückwunschkarte geschickt. Moment, ich habe sie ja alle gesammelt.«

Frau Becker öffnete die Glastür einer Schrankwand und holte einen Karton heraus. Sie wühlte darin, klappte Karten auf und zu. Doch das, was sie suchte, fand sie nicht.

»Also doch kein Glückwunsch vom Parteichef?«, fragte ich.

»Die muss ich dann verlegt haben«, entschuldigte sie sich. »Geschrieben hat er bestimmt, der Madig. Er war ja jahrelang ihr Chef und sie seine rechte …«

»… Hand, ja«, meinte ich. »Warum hat Sandra denn gekündigt?«

»Sie hat nichts erzählt.«

»Hatte es Streit gegeben?«

Frau Becker blieb dabei: Sie wusste von nichts. Ich blätterte weiter in dem Album. Sandra Becker war eine emsige sozialdemokratische Wahlkämpferin gewesen. Wenn Madig das Bad in der Menge suchte, trug sie seine Tasche. Wenn er in Kleingärten Würstchen briet, reichte sie ihm das Grillgut. Was hat sie wohl noch für ihn tun müssen?, fragte ich mich.

An einem Foto blieben meine Augen hängen. Die üblichen Personen: Madig, Becker, ein paar mündige Bürger. Und noch einer, den ich nur allzu gut kannte: Rudi Gies. Er klebte im Hintergrund an einem Bierstand und schaute den Wahlkampfbemühungen grinsend zu. Ich schaute die nächsten Fotos an – Rudi Gies war erneut dabei.

»Wer ist dieser Mann?«, fragte ich Frau Becker.

»Ein Kollege von Sandra, glaube ich. Den Namen kenne ich nicht.«

»Er arbeitet auch bei der Partei?«, fragte ich.

»Ich glaube, er schreibt Reden.«

»Gab es an dem bewussten Morgen irgendetwas Ungewöhnliches?«, änderte ich das Thema. »Außer, dass es der Hochzeitstag war?«

»Nein«, schluchzte Waltraud Becker – von der Erinnerung übermannt. »Auf dem Standesamt war noch alles so wunderschön. Und dann bringt jemand die Sandra und den Tommi einfach so um! Warum? Wer hat das getan?«

»Der Mörder wird seine gerechte Strafe bekommen«, versprach ich.

»Aber die Polizei tut doch nichts!«

»Ich habe Kontakt zu dem Mörder. Er hat mich angerufen.«

Waltraud Becker sah mich entsetzt an. »Sie sind das?«

»Ja. Ich habe doch darüber geschrieben.«

»Ich hab’s nur von Bekannten gehört. Zeitungen lesen kann ich im Moment nicht.«

»Rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch etwas einfällt«, bat ich und gab der Mutter meine Karte. »Auch, wenn etwas passiert. Oder wenn Sie reden wollen. Ich bin immer für Sie da.«

Mit einem flauen Gefühl im Magen fuhr ich zur Redaktion zurück. Aus Hinterbliebenen von Mordopfern Informationen herauszuholen, nannte man in der Branche ›Witwenschütteln‹. Ich hasste das, doch was blieb mir übrig? Das Gespräch mit der trauernden Mutter war mir richtig unter die Haut gegangen.

Erst mal in die Kaffeeküche und die doppelte Dröhnung kochen. Wen kannte Rudi Gies eigentlich nicht? Welche Verbindung gab es zwischen ihm, der toten Braut und Parteichef Madig?

Mein ehemaliger Kollege hatte in den Mordfällen eine Allgegenwart, die mir unangenehm war. Ich würde mich leider weiter mit ihm beschäftigen müssen.

Die Sollbruchstellen der Eier

Ich liebe die ausführlichen Frühstücke daheim. Meistens fehlt leider die Zeit dazu. Dann kehre ich bei Frau Schmitz ein und genehmige mir mindestens zwei Tassen von ihrem köstlichen Milchkaffee und ein Brötchen oder zwei. Wenn auch das nicht klappt, gibt es halt nur den Kaffee und das belegte Brötchen in der Verlagskantine.

Heute gab es keinen Zeitdruck. Am Abend zuvor hatte ich üppig eingekauft, die Vorräte an Nudeln aufgestockt, den Kasten mit Mineralwasser gefüllt und Wein besorgt. Sogar an Eier hatte ich gedacht.

Ich warf eins in kochendes Wasser und stellte die Uhr. Sieben Minuten. Genug Zeit zu duschen. Das heiße Wasser lief über mich und mobilisierte meine Denkfähigkeit. Mit geschlossenen Augen versuchte ich, die beiden Mordfälle miteinander zu verknüpfen. Eine nachweisbare Verbindung ergab sich durch Rudi Gies. Und Madig zog im Hintergrund Strippen. Er kannte sowohl Sandra Becker als auch Jessica Brühl.

Ich trocknete mich ab, cremte mich ein und föhnte die Haare. Madig als Mörder? Nein, dachte ich, der schießt nur aus dem Hinterhalt und nicht aus einer Waffe. Madigs Kombination von Feigheit und Verschlagenheit war wirklich übel. Außerdem hätte er es nie gewagt, mir eine Mail zu schicken oder mir auf dem Markt die DVD in die Tasche zu stecken. Dazu war er viel zu bekannt. Andererseits konnte man solche Dinge auch delegieren.

In der Küche kochte noch immer das Ei – leider ohne Wasser. Die Hitze hatte die Schale des Hühnerproduktes leicht bräunlich gefärbt. Es roch nicht besonders gut.

Ich riss die Tür zum Garten auf und atmete durch. Dann entsorgte ich das steinhart gewordene Ei in den Biomüll und setzte frisches Wasser auf. Diesmal würde ich die Küche nicht verlassen.

Doch prompt klingelte im Flur das Handy. Ich rannte hin und ging ran. Am anderen Ende der Verbindung war Waltraud Becker.

»Sie haben doch gesagt, dass ich Sie anrufen kann, oder?«

»Natürlich. Was ist passiert?«

»Die Polizei war heute bei mir. Sie wollten wissen, woher Sandra dreißigtausend Euro hat.«

»Dreißigtausend Euro?« Ich war verblüfft. »Wo kommen die denn plötzlich her?«

»Die waren in Sandras Wohnung versteckt. Hinter den Fliesen im Bad.«

»Was ist das für Geld?«

»Ich weiß es doch nicht!«, rief Waltraud Becker verzweifelt. »Sie hat ja nicht besonders gut verdient und in den letzten Wochen gar nichts mehr.«

»Seltsam.« Ich konnte mir keinen Reim drauf machen.

»Da ist noch was«, druckste Frau Becker.

»Was denn?«

»Der Herr Madig war vor zwei Tagen bei mir. Er hat behauptet, Sandra habe der Partei dreißigtausend Euro gestohlen. Aus der Kasse. Er wollte das Geld zurückholen. Aber ich wusste ja gar nicht Bescheid.«

»Das ist ja ein Hammer«, meinte ich. »Warum haben Sie mir das nicht gleich erzählt?«

»Ich wollte nicht, dass Sie denken, dass Sandra eine Diebin ist.«

»Weiß die Polizei von Madigs Besuch?«

»Nein. Madig hat gesagt, dass ich nichts sagen soll. Sonst würde er mich wegen Unterschlagung des Geldes verklagen.«

Das Schwein, dachte ich. »Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte ich Waltraud Becker. »Der Kerl kann Ihnen gar nichts. Haben Sie was dagegen, wenn ich mit dem Hauptkommissar darüber spreche?«

»Über Sandra?«

»Und über Madig. Ich glaube nicht, dass Sandra eine Diebin ist.«

Von Letzterem war ich nicht so fest überzeugt.

Das Sieben-Minuten-Ei hatte inzwischen doppelt so viel auf dem runden Buckel. Aber es war wenigstens nicht trockengelegt wie das erste und würde noch genießbar sein. Ich stopfte es in einen Eierbecher und holte meinen Eierschalensollbruchstellenverursacher. Ein Geschenk von Kleist aus besseren Tagen. Er hatte meine Art, das Frühstücksei mit einem einzigen beherzten Schlag glatt zu köpfen, als zu brutal und einer Frau nicht angemessen kritisiert.

Der Eierschalensollbruchstellenverursacher war aus Edelstahl und sah selbst aus wie ein halbiertes Ei. Auf der Spitze des Deckels war ein langer Stab angebracht und eine schwere bewegliche Kugel. Diese ließ man von oben herabfallen, sodass sie auf das stählerne Hütchen krachte, dessen Rand scharf geschliffen war. Durch den Aufprall grub sich ein feiner Riss rund um den Kopf des Eis. So konnte man – wenn alles gut ging – den oberen Teil der Schale mühelos abheben und mit dem Verzehr beginnen.

Ich hatte es mehrfach versucht, war aber jedes Mal gescheitert. Entweder war die Kugel nicht schwer genug oder die Schalen meiner Bio-Eier zu dick, vielleicht hatten die Misserfolge ihre Ursache auch darin, dass ich das Ei falsch herum in den Becher steckte.

Aber mein Ehrgeiz hatte nicht nachgelassen. Ich nahm das harte Ei und startete die ›Operation Eierköpfen‹. Die Kugel knallte herab. Das Geräusch hörte sich vielversprechend an. Ich hob das Gerät an. Das Ei kam mit dem stählernen Ding aus dem Eierbecher. Wie hineingeklebt. Vorsichtig zog ich unten an dem Hühnerprodukt. Nichts. Es hatte sich in dem metallenen Eierhütchen festgesaugt und ließ sich nicht bewegen.

»Danke, Kleist«, zischte ich wütend. »Andere Frauen bekommen von ihren Lovern Schmuck, Parfum oder wenigstens Blumen. Was bekomme ich?«

Entschlossen griff ich zum Messer, holte aus und guillotinierte das Teil. Brutale Gewalt ist ausgeklügelter Technik eben doch überlegen.

Kann man Mobby mobben?

»Herr Madig hat Termine«, ließ eine junge männliche Stimme im SPD-Parteibüro verlauten.

»Dann schieben Sie mich dazwischen«, forderte ich. »Es ist wichtig.«

»Für Sie oder Herrn Madig?«

»Für Ihren Chef«, behauptete ich. »Wer sind Sie überhaupt?«

»Ich bin die studentische Hilfskraft.«

»Aha. Kannten Sie die verstorbene Frau Becker?«

»Nur flüchtig. Um was geht es denn?«

Immer diese Vorzimmergestalten! Entweder saßen dort eifersüchtige Tippsen oder karrieregeile Praktikanten. Beide Sorten Mensch hatten mich in meinem Leben mehr Nerven gekostet als jeder Massenmörder.

»Ich würde Ihnen ja gern helfen«, lenkte der junge Mann ein. »Aber Herr Madig nimmt gerade an einer außerordentlichen Parteiklausur teil. Ich kann ihn nicht erreichen.«

Parteiklausur! Die fand immer im Goldsaal der Westfalenhallen statt.

Das Frühstücksei grummelte in meinem Magen. Oder hatte ich zu viel Kaffee getrunken? Der Weg zu den Westfalenhallen war zu Fuß einfach zu bewältigen. Etwas Bewegung würde mir guttun.

Leider begann es, heftig zu regnen. Ich suchte Schutz an den überdachten Bushaltestellen. Dennoch fiel meine Frisur – falls mein kurz geschnittenes Haar diese Bezeichnung verdiente – in sich zusammen. Ein nasser Kopf und verrutschtes Augen-Make-up würden sich gut machen, wenn ich mir Madig kaufen wollte. Der bekommt einen Schock und gesteht von allein, grinste ich in mich hinein. Aber was konnte er zu gestehen haben?

Ich nahm mir vor, es wie immer zu machen: so zu tun, als wüsste ich alles, einige harte, konfrontative Sätze an mein Gegenüber und ein Lächeln, das Mut, Frechheit und Ichbin-klein-mein-Herz-ist-rein zum Ausdruck brachte.

Der Regen verzog sich. Vor dem Goldsaal peilte ich die Lage. Ich wollte nicht zu früh bemerkt werden. Madig sollte keine Zeit haben, sich auf meine Attacke vorzubereiten.

Ich lief zu den Waschräumen, um mich salonfähig zu machen. Der Teppichboden schluckte jeden Schritt. Ich hatte die Klinke schon in der Hand, als jemand aus der Tür des gegenüberliegenden Männerklos trat: Rudi Gies.

»Frau Grappa?« Er grinste.

»Nein. Ich bin’s nicht. Sie müssen sich irren«, murrte ich.

»Dachte ich mir schon. Sie sehen ganz anders aus.«

»Was machen Sie denn hier?«, fragte ich.

»Ich berate die SPD und ihren Vorsitzenden. Medienpolitisch.«

»Die brauchen auch Beratung«, stimmte ich zu. »Dringend. Ob durch Sie, wird sich noch herausstellen.«

Gies zuckte nicht mit der Wimper. »Und was machen Sie hier?«

»Man hat mir gesteckt, dass ich hier den Mörder von Sandra Becker finden werde.«

»Auf diesem Klo?«

»Genau. Und schon stehen Sie im Flur. Komisch, nicht?«

Gies bekam plötzlich unruhige Augen. »Was habe ich mit dieser Sache zu tun?«

»Sie kannten sie doch. Es gibt Fotos vom letzten Wahlkampf«, half ich ihm. »Sie, Madig und Frau Becker – traulich vereint im solidarischen Kampf um die Wählerstimmen des mündigen Bürgers.«

»Ich merke mir doch nicht den Namen jeder Wahlkampfhelferin. Und jetzt entschuldigen Sie mich. Oder kann ich noch etwas für Sie tun?«

»Aber ja. Zehn Minuten mit Herrn Madig. Die hätte ich gerne. Könnten Sie das organisieren, Herr Kollege? Als Pressefuzzi der Partei ist das doch eine leichte Aufgabe für Sie.«

»Um was geht es denn?«

»Sandra Becker.«

»Ich werde sehen, was ich tun kann. Warten Sie bitte im Foyer.«

Die Sessel vis-à-vis der Rezeptionen waren tief und weich. Es lagen genug Zeitschriften herum, mit denen ich mir die Wartezeit verkürzen konnte. Edelblätter, die überteuerte Designerklamotten präsentierten, Autozeitschriften, in denen Fortbewegungsmittel im Wert einer Eigentumswohnung abgebildet waren, und jene Adels- und Promiblätter, in denen Steuerhinterziehung und Immobilienbetrug als geistige Leistungen gefeiert wurden. Ich griff mir die BILD-Zeitung. Milva Grandi nahm sich in der heutigen Ausgabe eine Auszeit, doch ich entdeckte unsere suchende Sekretärin Susi. Die BILD hatte sie bei ihrem Ausflug ins Land der lüsternen Landwirte begleitet.

KUSCHELN AUF DEM TRAKTOR: WIE SUSI SICH IN DAS HERZ DES GEMÜTLICHEN GETREIDEBAUERN GEORG BRUTZELT

Ich schaute mir Georg genauer an. Er hatte eng zusammenstehende Augen und dicke Lippen. Die Rolle als Amokläufer in amerikanischen Psychothrillern war ihm geradezu auf den plumpen Leib geschneidert. Arme Susi!

Damenbesuch in Finnentrop: Endlich kann der gemütliche Getreidebauer Georg (42) seine Susi (47) auf dem Hof begrüßen! Um ihr ein wenig zu imponieren, holt der gutmütige Sauerländer die romantische Redaktionsassistentin mit dem Mähdrescher vom Bahnhof ab. Ob er damit Eindruck bei Susi schinden kann? Auf dem Hof angekommen, bereitet der gemütliche Georg seiner Susi erst mal ein kräftiges Frühstück zu. Georgs Mutter Anneliese (68) hat das Schweinemett deftig gewürzt. Und schon macht sich Susi nützlich. Sie krempelt die Ärmel hoch und formt die Frikadellen.

Das Foto zeigte die ganze Herrlichkeit des Landlebens: Susi, Georg und Mutti am Küchentisch – in der Mitte eine Palette mit zwanzig Buletten.

Jetzt wollte ich natürlich wissen, wie das Fressgelage in Finnentrop geendet hatte, doch ich erfuhr es nicht mehr. Madig und Gies kamen über den Flur auf mich zu. Der Madig passt auch in die Serie, dachte ich, sogar noch, nachdem ich ihn abgeschossen habe. Ich legte das Blatt beiseite.

Madig drückte meine Hand und ließ sich auf den Sessel fallen. Gies blieb in Hörweite.

»Was kann ich für Sie tun, Frau Grappa?«

»Ich habe nur ein paar Fragen zu Sandra Becker. Sie hat ja jahrelang für Sie gearbeitet.«

»In den letzten Wochen nicht mehr«, sagte Madig. »Aber das haben Sie sicherlich schon recherchiert.«

»Warum hat sie gekündigt?«

»Sie wollte heiraten. Das war wohl der Grund.«

»Hatten Sie mit Frau Becker auch außerhalb des Parteibüros zu tun?«, fragte ich.

Madig schaute zu Gies. »Sollte ich?«

Der nickte leicht.

»Ja. Wahlkampf. Diskussionsrunden. Feste. Aber – wie gesagt – sie arbeitete zuletzt nicht mehr für die Partei.«

»Was für Feste?« Jetzt wurde es spannend.

»Feste eben. Kleingartenverein, Jahresempfänge, Jubiläen. Sie kennen so was doch. Ihre Zeitung schreibt ja auch drüber.«

»Die Drogenpartys im Rathaus?«

»Dazu werde ich nichts sagen«, antwortete Madig. »In der Sache wird gegen mich ermittelt. Schwebendes Verfahren.«

Das klang sehr auswendig gelernt.

»Na ja, Sie sind auf den Bildern, die der Polizei vorliegen, gut zu erkennen.«

»Ich habe nie Kokain genommen – so viel kann ich Ihnen verraten. Da müssen Sie sich an andere wenden!«

»Haben Sie noch weitere Fragen?«, mischte sich Gies ein. Die rote Nase glühte.

»Ja, habe ich. Sandra Becker war im Besitz von dreißigtausend Euro. Wussten Sie das?«

Die beiden Männer verständigten sich mit einem schnellen Blick.

»Ja und? Was geht uns das an?«, fragte Gies.

»Die Mutter hat keine Ahnung, vorher das Geld kommt. Haben Sie eine?«

»Nein«, sagte Gies.

»Und warum waren Sie dann bei der Mutter? Sie wollten doch das Geld holen, Herr Madig.«

Er stieß einen unwilligen Laut aus. »Was erzählt die Alte denn bloß? Ich wollte von der kein Geld. Ich war da, um ihr mein Beileid auszudrücken. Und das war es jetzt, Frau Grappa. Sie entschuldigen uns.«

Madig sprang auf und Gies folgte ihm mit hochrotem Kopf.

Ich grinste. Alles hatte Madig seinem neuen Medienberater wohl nicht erzählt.

Jetzt hätte ich noch nachlesen können, wie das Date der romantischen Redaktionssekretärin mit dem gemütlichen Getreidebauern ausgegangen war. Doch inzwischen hatte jemand die BILD-Zeitung vom Tisch genommen.

Jansen macht sich Sorgen

Ich orderte ein Taxi und machte mich auf den Weg. In der Redaktion erwartete mich Peter Jansen. Madig hatte ihn angerufen und sich über mich beschwert.

»Das netteste Wort, das er benutzt hat, war ›Wildwestmethoden‹«, berichtete mein Chef. »Dich nennt er eine aufdringliche Zicke ohne Kinderstube.«

»Aus Madigs Mund klingt das wie ein Adelstitel«, griente ich. »Jedenfalls weiß er jetzt, dass die dreißigtausend Euro aufgetaucht sind. Ich rede mal mit dem Hauptkommissar. Vielleicht kennt der inzwischen die Herkunft der Kohle.«

»Verplauder dich nicht mit deinem Friedemann«, meinte Jansen. »Du hast noch vierzig Zeilen für die Eins abzuliefern. Und, Grappa-Baby, nimm dir den Madig richtig vor! Zeig seinem neuen Medienberater, wie richtige Reporter arbeiten.«

»Ja, Chef«, lächelte ich. »Es wird mir eine Ehre sein.«

Ich putschte mich mit zwei Tassen Kaffee auf und schaltete den PC ein. Richtig vornehmen, hatte Jansen gesagt. Kein Problem.

SPD-PARTEICHEF FORDERT 30.000 EURO VON MUTTER DER TOTEN BRAUT – HAT SANDRA B. GELD AUS DER PARTEIKASSE GESTOHLEN?

Waltraud B. versteht die Welt nicht mehr: Erst verlor sie auf brutale Weise ihre Tochter und ihren Schwiegersohn und nun das: Der frühere Arbeitgeber der ermordeten Frau, SPD-Parteichef Mobby Madig (56), fordert von der trauernden Mutter 30.000 Euro – Geld, das Sandra B. aus der Parteikasse gestohlen haben soll.

Dem Tageblatt gegenüber bestreitet der SPD-Politiker allerdings, dass er Geld gefordert habe. Er habe die Mutter lediglich aufgesucht, um ihr sein tief empfundenes Beileid auszusprechen. Waltraud B. hat den Besuch des Politikers anders in Erinnerung.

Madig bestätigte in einem Interview mit unserer Zeitung, dass gegen ihn polizeilich ermittelt wird. Der Sozialdemokrat gehört zu den Teilnehmern der Sex- und Drogenpartys im Rathaus. Er widerspricht der Behauptung, dass er Kokain konsumiert habe, verweigert jedoch gleichzeitig die Haarprobe, die es klären könnte.

Dem Tageblatt liegen Fotografien vor, die Madig fröhlich feiernd im Kreise Gleichgesinnter zeigen. Die Fotos hat die Polizei auf dem Handy der ermordeten Rathaus-Mitarbeiterin Jessica B. sichergestellt. Die Frau hat jahrelang Geld aus der Stadtkasse unterschlagen, um die eigene Drogensucht zu befriedigen.

Schließlich erwähnte ich noch die von mir entdeckten Verbindungen zwischen den beiden Mordfällen und Madigs hinterhältige Verwicklungen in das Rücktrittsgesuch des Oberbürgermeisters.

Ich war ziemlich zufrieden mit mir, als ich Jansen den Artikel sendete.

»Ihr werdet wohl keine guten Freunde mehr werden«, prophezeite Jansen und segnete den Text ab.

»Ich habe genug Freunde«, entgegnete ich. »Und ich erweitere meine Liste zurzeit nicht.«

»Apropos. Hast du schon mit deinem Hauptkommissar gesprochen?«

»Nein. Das mache ich erst morgen. Dann hat er meinen Artikel gelesen und wir haben ein Gesprächsthema.«

»Das hört sich nicht gut an, Grappa-Baby. Möchtest du darüber reden?«

Wie sollte ich das nun wieder verstehen?

Endlich zu Hause: Schlabberklamotten, Brot, Wein, Oliven und Käse. Im Fernsehen lief der Trailer zu BILD-TV: Edelhure packt aus: Nach Dienstschluss ging die Party los!

Die Kamera verfolgt Lady Cora. Sie geht über den Friedensplatz zur Rathaustreppe. Ranfahrt auf die Fensterfront in der ersten Etage.

Kommentarton: Das ist Lady Cora. Ihren richtigen Namen möchte sie aus verständlichen Gründen nicht nennen. Die 27-jährige Blondine kennt die Politiker von Bierstadt besser als jeder Wähler, denn sie ist eine der Damen, die engagiert wurden, um den Herren nach aufopferungsvoller Tätigkeit für die Bürger der Stadt Entspannung zu bereiten. Heute Abend, BILD-TV, wir zählen auf Sie!

Das Schlussbild der Ankündigung zeigte, wie Lady Cora in der Rathaustür verschwand.

Es geht doch nichts über einen gemütlichen Abend vor der Glotze, dachte ich und kuschelte mich aufs Sofa.

Am Ende des Tages war ich mir sicher, dass Anna Wachowiak es schaffen würde, einigermaßen heil aus der Szene herauszukommen. Der Moderator der Sendung versuchte, sie mit pesudo-moralischen Vorhaltungen aus der Ruhe zu bringen, wollte aber dann jedes schmutzige Detail wissen. Solche Sendungen kotzten mich an. Sie waren eine üble Mischung aus scheinheiliger Enthüllungswut und plattem Voyeurismus.

Frühstück mit Ingenieur Superschlau

Am nächsten Morgen weckte mich Kleists Anruf.

»Gute Arbeit, Maria«, meinte er. »Dass Madig hinter den dreißigtausend Euro her ist, war mir neu.«

»Du lobst mich?«, fragte ich erstaunt. »Ich dachte, ich kriege eins drüber, weil ich damit nicht sofort zu dir gerannt bin.«

Er lachte. »Nun gönne es mir doch, dass ich aus dem Tageblatt etwas Neues erfahre. Kann ich später zu dir zum Frühstück kommen? Ich bringe auch die knusprigsten Brötchen der Welt mit.«

»Warum hast du so eine schrecklich gute Laune?«, muffelte ich – mir den Schlaf aus den Augen reibend.

»Das erzähle ich dir später. So gegen elf Uhr?«

»Wo bist du denn gerade?« Ich hörte Straßengeräusche im Hintergrund.

»Nur kurz dienstlich unterwegs. Bis später dann?«

»Okay. Es ist ja erst sieben. Ich kriech noch mal ins Bett.«

Gesagt, getan. Ich stellte den Wecker auf zehn und zog die Decke über den Kopf.

Gerade wollte Morpheus seine Arme um mich legen, als mein Handy schrillte. Oh, nein! Pöppelbaum meldete sich – hörbar aufgeregt.

»Razzia in der SPD-Zentrale. Die Bullen transportieren Aktenberge raus. Madigs Haus ist auch schon durchsucht worden. Da war ich aber zu spät. Den Einsatz leitet dein Freund – zusammen mit dem Staatsanwalt.«

Mit einem Schlag war ich wach. Kleist war ein verdammter Hundesohn! Ich schäumte vor Wut. »Knips alles, was sich bewegt. Und fahr zu Madigs Hütte. Vielleicht ist ja doch noch was zu sehen. Muss das ausgerechnet heute, am Samstag passieren?«

»Die Sache ist Montag auch noch frisch«, tröstete mich Wayne. »Aber du könntest deinem Typen ruhig mal sagen, dass er seine Polizeiaktionen mit uns abstimmen soll.«

»Er ist nicht mein Typ!«, blaffte ich. »Sag das nie wieder!« An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich hatte aber auch keine Lust, zum SPD-Büro zu düsen und dort auf Kleist zu stoßen, der mich sowieso wieder nur abwimmeln würde.

Als es schließlich an meiner Haustür klingelte, war meine Wut einigermaßen verraucht. Ich kam auch ohne ihn klar und er ohne mich. Und damit basta.

»Du hast ja schon einiges erlebt heute«, begrüßte ich ihn.

Er umarmte mich brüderlich. »Ich weiß, dass du weißt. Pöppelbaum.«

»Genau.«

Ich nahm ihm die Tüte mit den Brötchen ab. Er folgte mir in die Küche.

»Ich mag es, wie du den Tisch deckst«, sagte er.

Huch. Ich sah ihn überrascht an. Auf dem Tisch sah es aus wie immer. Alles aufgefahren, was der Kühlschrank hergab. Verschiedene Käsesorten, eine leckere Feigen-Senf-Sauce und die italienische Wildschweinsalami. Marmelade mochte ich nicht.

»Ein Frühstücksei?«, fragte ich.

»Aber ja.«

Ich stach zwei braune Eier von garantiert frei laufenden und deshalb glücklichen Hühnern an und setzte das Wasser auf.

»Was war bei Madig?«, fragte ich. »Habt ihr was gefunden? Oder kommt jetzt der Satz mit der Pressestelle im Polizeipräsidium?«

»Heute nicht.« Kleist setzte sich an den Küchentisch.

»Kaffee?«

»Ja.«

Ich wusste, dass er für ihn rabenschwarz sein musste.

»Ich habe einen Haftbefehl gegen Mobby Madig erwirkt«, teilte Kleist mit. »Wegen Mordes an Sandra Becker und Thomas Schulz.«

»Wie bitte?« Meine Hand mit der Kaffeetasse zitterte.

»Müssen die Eier nicht ins Wasser?«

Hektisch schmiss ich die Eier ins kochende Wasser und stellte die Eieruhr. Sieben Minuten für mich, zehn Minuten für Kleist.

»Du hast Madig schon eingelocht?«, fragte ich, ins sprudelnde Wasser starrend.

»Madig sitzt in Untersuchungshaft, ja. Möchtest du Details wissen?«

»Dumme Frage!«

Kleist schnitt einen Apfel in mundgerechte Stücke. »Wir haben die Kontoauszüge der Parteizentrale überprüft und eine Abbuchung über dreißigtausend Euro gefunden. Genau die Summe, die wir in Sandra Beckers Bad gefunden haben.«

»Und? Hat Madig immer noch behauptet, dass Sandra das Geld gestohlen hat?«

Kleist war zum Herd gegangen, um die Eier zu beobachten. Prompt klingelte die Uhr. Er nahm einen Löffel, fischte mein Ei aus dem Wasser und hielt es unter fließendes kaltes Wasser.

»Er hat behauptet, dass dieses Geld eine Abfindung für Sandra Becker war. Aber ich glaube das natürlich nicht. Reine Schutzbehauptung. Sie hat ihn wohl erpresst.«

»Womit?«

»Mit dem Wissen um die Sexpartys im Rathaus – glaube ich. Aber er gibt es noch nicht zu. Sie wollte die Sache vielleicht an die Öffentlichkeit bringen«, fuhr Kleist fort. »Also hat Madig ihr das Geld gegeben. So sehe ich die Sache.«

»Reicht das, um ihn lange in Untersuchungshaft zu nehmen?«, fragte ich.

»Wir haben auch eine Waffe gefunden. Ein Gewehr Heckler & Koch SL7 mit Zielfernrohr! Die Marke, die zu dem Mord passt.«

»Und wo?«

»Im Büro der unsere Stadt regierenden Partei.«

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Kann man das Gewehr mit Madig in Verbindung bringen?«

»Bisher nicht«, erklärte er. »Ich glaube, jetzt ist mein Ei auch fertig.«

Er nahm den Topf von der Flamme, goss das Wasser aus und ließ kaltes Wasser über das Hühnerprodukt laufen.

»Er besitzt ein Landhaus in Templin. Aber ich nehme an, das wisst ihr.«

»Das Landhaus im Osten. Lady Coras Ausflug. Du hast darüber geschrieben. Darum hat sich noch niemand gekümmert. Warte, ich telefoniere einmal kurz.«

Er ging in den Flur. Ich hörte ihn in kurzen und klaren Worten Anweisungen geben. Ich riss die Brötchentüte auf. Jetzt erkannte ich das Design. Richtig. Kleist war bei der Bäckerei Schmitz eingekehrt. Das würde mir ein hochnotpeinliches Verhör durch die Bäckerin einbringen.

»Ich soll dich übrigens von Frau Schmitz grüßen«, sagte Kleist, der zurückgekehrt war. »Kennst du diese Frau eigentlich schon länger? Die kann ja sehr direkte Fragen stellen. Dagegen ist meine Verhörtechnik ein harmloser Kaffeeklatsch.«

»Tatsächlich?«, grinste ich. »Mir gegenüber ist sie immer ausgesprochen dezent und zurückhaltend – also eher schüchtern. Dann musst du wohl ihr Interesse erregt haben. – Nehmt ihr euch Madigs Hütte im Osten jetzt auch vor?«

»Ja, sicher. Die Kollegen vor Ort kümmern sich drum.«

»Dann läuft ja alles bestens. Viel zu einfach, oder?«

Kleist lächelte. »Das Einfache muss nicht zwangsläufig das Falsche sein. Aber wir werden sehen, was die Untersuchung der Waffe ergibt und die Vernehmungen der Mitarbeiter. Und jetzt habe ich Hunger.«

Versonnen sah ich ihm zu, wie er einige Messer auf Schärfe prüfte, eins wählte und dann ein Brötchen aufschnitt. Es entstand eine absolut gerade Fläche. Mein Hirn wollte nicht an die schnelle Lösung glauben.

»So blöd ist doch selbst Madig nicht, dass er eine Mordwaffe im Parteibüro versteckt«, überlegte ich. »Was sagt er zu dem Waffenfund?«

»Er behauptet, was alle in einer solchen Situation sagen: dass er das Gewehr noch nie gesehen hat. Dass er nicht weiß, wie es dahingekommen ist«, antwortete Kleist. »Kannst du mir bitte mal die Butter reichen?«

»Wenn er der Mörder ist, dann muss er mir den Film in die Tasche gesteckt haben. Er wäre doch auf dem Markt gesehen worden! Dann der Anruf auf meinem Handy. Es war definitiv nicht seine Stimme.«

»Denk an den Komplizen. Die waren zu zweit auf dem Dach. Auch der andere kann dir die DVD zugesteckt haben.«

»Es passt trotzdem nicht.« Ich nahm das Messer in die Hand, um das Ei zu köpfen. »Du hast selbst gesagt, dass der Täter Kontakt zu mir gesucht hat, um in der Öffentlichkeit groß rauszukommen. Das passt nicht zu Madig. Der ist eine hinterhältige Type. Einen Mord trau ich ihm schon zu, ja. Aber nicht diese Art, damit umzugehen.«

Ich holte zum Schlag aus, doch Kleist fasste meine Hand und hinderte mich, ihn auszuführen.

»Ist das ein Polizeigriff? Verhinderung des Köpfens eines unbescholtenen Eis?«

»Maria? Könntest du dieses Ding benutzen, das ich dir geschenkt habe?«, sagte er.

»Das Ding funktioniert nicht«, fauchte ich. »Die Kugel, die von oben runtersaust, ist nicht schwer genug, um das Metallhütchen dazu zu bringen, dass die Schale mehr als einen halben Millimeter angekratzt wird. Und wenn ich die Kugel mehrmals fallen lasse, wird die Schale im unteren Bereich völlig zerstört. Und wenn die Schale des Eis etwas dünner ist, dann saugt sich das ganze Ei in dem Metallhütchen fest und geht nicht mehr raus. Glaub mir, ich habe sämtliche achtunddreißig Variationen durchgespielt. Das Ganze hat mir einen Eiweißschock und mehrere Wutanfälle beschert. Von der verlorenen Zeit will ich gar nicht reden. Und weißt du was: Ich hasse diesen sinnlosen Eierschalensollbruchstellenverursacher, der in Wirklichkeit ein Eierschalensollbruchstellenvorgaukler ist. Also – aus dem Weg!«

Er seufzte und gab meine Hand frei. Mit einem Schlag enthauptete ich das Ei – ein sauberer, gerader Schnitt, der jedem Henker zur Ehre gereicht hätte.

»So macht man das!«

Kleist blickte mich amüsiert an. »Das ist keine Wohlfühlmethode. Soll ich dir zeigen, wie es auch anders geht?«

»Bitte schön!« Ich nahm das Geschenk aus dem Schrank und stellte es auf den Tisch. Dann begann ich, einen Trommelwirbel auf die Tischplatte zu schlagen.

Elegant ergriff Kleist das schlanke Horrording, setzte es auf sein Ei und ließ die Kugel fallen. Klack. Er nahm das Hütchen ab. Der obere Teil der Eierschale blieb sauber darin stecken. Das Ei glänzte mich weiß und höhnisch an.

»Wie hast du das denn hingekriegt?«, fragte ich entgeistert.

»Ich Ingenieur Superschlau«, griente er.

»Zufallstreffer! Oder es liegt daran, dass dein Ei fünfzehn Minuten gekocht hat.«

»Du könntest meine Leistung ruhig anerkennen«, maulte er. »Auch Männer brauchen mal Bestätigung.«

Wir vertilgten alles, was ich aufgefahren hatte. Zwischendurch sahen wir uns verstohlen an, doch keiner von uns beiden hatte den Mut, persönliche Themen anzusprechen.

Besser so, dachte ich, Emotionen machen alles immer so kompliziert.

Kleists Kollegen meldeten sich auf dem Handy und das Frühstück endete. Der Hauptkommissar hatte sich wieder seinen ungelösten Mordfällen zuzuwenden.

Den Rest des Tages streunte ich wie eine nervöse Katze durch Haus und Garten. Madig hatte Sandra Becker und Thomas Schulz nicht umgebracht – da war ich mir sicher.

Verhaftungen sind fotogen

Natürlich war die Festnahme des Parteichefs der Sozialdemokraten großes Thema in den abendlichen Fernsehsendungen. Die Kombination von politischer Macht, Sex, Drogen und Verbrechen zog die Menschen von jeher an. Friedemann Kleist machte sich gut als Interviewpartner im TV und stellte den umständlichen Staatsanwalt in den Schatten.

Jansen wartete in der Redaktion auf mich – es war Sonntagmittag und ich hatte einiges zur Montagsausgabe beizutragen. Gut gelaunt setzte ich mich in mein Auto – auch das Wetter war glänzend. Ich machte einen Umweg und stoppte bei einer Pizzeria. Zwei mal die kleine Ausgabe der Diavolo. Ich musste zwanzig Minuten warten und beschäftigte mich mit den ausliegenden Zeitschriften. Lady Cora brillierte als Titel-Girl in der Praline.

Das Girl, vor dem Politiker zittern: Ich mag es heiß und schmutzig! So wurde sie zitiert. Die Fotoserie war eindeutig.

Das ist nicht gut, Lady, dachte ich. Vermutlich bist du doch nicht so klug, wie ich dachte.

Ich packte die Schachteln mit den Pizzen und fuhr zur Redaktion. Sonntagsbesetzung mit Jansen, Pöppelbaum und Kulturredakteurin Margarete Wurbel-Simonis. Letztere hatte am Abend zuvor den Opernball im Konzerthaus besucht, das jährliche Event der oberen Tausend von Bierstadt. Diesmal hatten sie Helmut Lotti engagiert und ein halbwegs bekanntes Salonorchester. Der Ball holte eigentlich niemanden mehr hinter dem Ofen hervor und der Veranstalter verschenkte viele der Karten. Auch das Tageblatt hatte fünfzig unter den Lesern verlost. Die Preisfrage war: Wie heißt der Sänger des diesjährigen Opernballs? a) Lotto oder b) Lotti?

Margarete Wurbel-Simonis jedoch war voller Begeisterung und gab Jansen gerade einen blumigen Bericht. Er teilte ihr sechzig Zeilen zu.

»Leider hab ich nur zwei Pizzen mitgebracht«, entschuldigte ich mich.

»Kein Problem, Frau Grappa«, meinte die Kulturfrau. »Ich muss auf meine Linie achten.«

Ich sah ihr nach. Sie war etwa einen Zentimenter größer als ich und zwanzig Pfund leichter.

Jansen grinste und öffnete die Schachtel. »Mach den Mund wieder zu, Grappa, alles ist gut. Boah, ich hab vielleicht Hunger.«

»Ich auch«, sagte ich beherzt und teilte die Pizza in dreieckige Stücke. Pöppelbaum stieß zu uns.

»Hey, Wayne. Wie sind die Fotos geworden?«

»Gar nicht mal so übel«, antwortete er. »Oh, es gibt Pizza?«

»Du kannst die Hälfte abhaben. Ich muss auf meine Figur achten.«

»Du doch nicht, Grappa«, widersprach er. »Du brauchst deine Reserven. Stell dir mal vor, ab sofort würde eine Hungersnot ausbrechen. Du würdest uns alle überleben.«

Ich nahm ihm die Frechheit nicht übel. »Lieber nicht! Das Leben wäre so öde ohne euch.«

Wir lachten.

»Zeig mal die Bilder«, bat ich.

Zu dritt gingen wir zum Rechner. Wayne blätterte die Aufnahmen durch. Sie zeigten Polizei und Staatsanwaltschaft vor der SPD-Zentrale in voller Aktion. Vorwärts mit Ehrlichkeit und Solidarität – so prangte es passend auf einem Wahlplakat. Davor Parteichef Mobby Madig in Handschellen, flankiert von zwei uniformierten Beamten sowie Kleist und dem Staatsanwalt.

Nächstes Bild: Madig wird von einem Polizisten auf die Rückbank eines Fahrzeugs gedrückt. Der Beamte hat seine Hand auf Madigs Schädel gelegt, um eine Verletzung am Autoholm zu verhindern.

Bei dem geht nicht viel kaputt, dachte ich, ein Schlag auf den Kopf kann dessen Denkvermögen nur stimulieren.

Schicke Bilder waren das.

»Ich geh schreiben«, trillerte ich fröhlich und schnapptemir die Pizzareste.

»Das Fax der Staatsanwaltschaft liegt auf deinem Schreibtisch, Grappa-Baby!«

Am Nachmittag schrieb ich den fälligen Artikel.

SPD-MADIG VERHAFTET – IST ER DER HOCHZEITS-MÖRDER?

Überraschende Entwicklung im Brautpaar-Fall: Mobby Madig (56) wurde gestern in Handschellen (Foto) abgeführt: Mordverdacht! Madig war Arbeitgeber der ermordeten Sandra B. (28), die zusammen mit ihrem Bräutigam Thomas S. (32) auf den Treppen des Bierstädter Rathauses erschossen worden ist. Bei einer Hausdurchsuchung im Parteibüro der Sozialdemokraten stellte die Polizei ein Gewehr mit Zielfernrohr sicher, Typ Heckler & Koch. Mit einem solchen Gewehr wurde der Doppelmord begangen.

Im Nachlass der Braut wurden außerdem 30.000 Euro gefunden – Geld aus der Parteikasse, wie die von der Polizei beschlagnahmten Unterlagen (Foto) beweisen. In ersten Vernehmungen behauptete der Verdächtige, bei der Summe handle es sich um eine Abfindung für seine ehemalige Mitarbeiterin.

Wie das Tageblatt exklusiv erfuhr, stattete Madig wenige Tage nach dem Mord der Mutter der Sandra B. einen Besuch ab, um das Geld zurückzufordern. Er behauptete, die ermordete junge Frau habe es gestohlen. Die Mordkommission unter Leitung von Hauptkommissar Dr. Friedemann Kleist (Foto) hat jedoch einen anderen Verdacht: Die 30.000 Euro waren Erpressergeld. Aber wofür? Mobby Madig hüllt sich in Schweigen. Dem Tageblatt und den Ermittlungsbehörden ist allerdings bekannt, dass der Politiker regelmäßiger Besucher der Sex- und Drogenorgien im Rathaus war. Gegen Madig wird wegen Verstoßes gegen das Betäubungs- mittelgesetz ermittelt.

Ich wählte noch ein Foto aus, das Madig in besseren Tagen zeigte: Zusammen mit Sandra Becker und Ex-OB Nagel bei einer Diskussionsveranstaltung der Arbeiterwohlfahrt. Im Hintergrund war der Titel der Veranstaltung zu lesen: Entschieden sozial – Entschieden solidarisch – Entschieden sozialdemokratisch.

Eine Tote und zwei Auslaufmodelle, dachte ich, so schnell kann es gehen. Ich konnte es mir nicht verkneifen, eine süffisante Bildunterzeile zu formulieren: Als sie sich noch lieb hatten: Madig, Nagel und Sandra B. vereint im Kampf für soziale Gerechtigkeit.

»Zu flapsig«, meinte Peter Jansen nach der Lektüre. »Als sie sich noch lieb hatten … ts ts ts. Wie wäre es denn mit: Diese Tage sind vorbei: Madig, Nagel und Sandra B. vereint im Kampf für soziale Gerechtigkeit?«

»Ist mir auch recht«, willigte ich ein. »Krieg ich den Rest des Sonntags frei?«

Natürlich hatten die elektronischen Medien bereits das ganze Wochenende über die Vorkommnisse in Bierstadt berichtet. Seit Samstagmorgen war die Stadt im Ausnahmezustand. Madig war zum Abschuss freigegeben. Aber das hatte er sich selbst zuzuschreiben.

Vor dem SPD-Büro hatten Übertragungswagen Position bezogen. Lady Cora legte einen Marathon durch die abendlichen Magazinsendungen hin und präsentierte sich in der BILD am Sonntag als Kronzeugin.

Im TV waren auch Bilder aus Ostdeutschland zu sehen: Mobby Madigs Lustschloss. Es handelte sich um die Datscha eines ehemaligen hohen Stasioffiziers. SPD-Madig hatte sie ihm kurz nach der Wende für ein paar Mark abgeschwatzt. Inzwischen war sie hundertmal so viel wert.

Das Tageblatt würde am späten Abend erhältlich sein. Zum gleichen Zeitpunkt wurden die neuesten Artikel auf der Internetseite online gestellt. Das war gegen elf Uhr abends. Ich wusste nicht warum, aber ich rechnete mit einem Anruf des wirklichen Mörders.

Doch nichts geschah. Weder ging eine E-Mail ein noch schellte das Telefon. Auch an der Haustür klingelte niemand. Gegen Mitternacht verzog ich mich ins Bett.

Ein Bild taucht auf

Die Woche in der Redaktion begann mit zwei neuen Fakten. Die Kriminaltechniker im Polizeipräsidium hatten herausgefunden, dass es sich bei dem Gewehr aus dem Parteibüro um die Waffe handelte, mit der Sandra Becker und Thomas Schulz erschossen worden waren. Das war ein Erfolg für Friedemann Kleist.

Die andere Mitteilung stammte von Jakob Nagel, dem zurückgetretenen Oberbürgermeister. Er verschickte ein ärztliches Gutachten. Ein unabhängiges Labor hatte festgestellt, dass es keinerlei Spuren von Kokain oder anderen Drogen in Nagels Haaren gab.

»Das interessiert eigentlich keinen mehr«, meinte Jansen, nachdem er den Inhalt des Faxes studiert hatte. »Er hat das Handtuch geworfen und fertig.«

»Immerhin beweist es, dass das Foto, das Nagel auf der Party mit Schnee an der Nase zeigt, eine Fälschung ist«, widersprach ich. »Folgerichtig hat er inzwischen Anzeige gegen unbekannt erstattet.«

»Gut. Chronistenpflicht. Schreib eine kleine Meldung.«

»Warte mal«, bat ich. »Mir geht da gerade was durch den Kopf. Aber ich muss es erst einfangen.«

»Sag mir, wenn du es hast, ja? Ich habe einen Termin beim Verleger und muss los.«

»Oh! Was Wichtiges?«

»Gies verklagt den Verlag vor dem Arbeitsgericht.«

»Der hat ja Nerven.«

»Und kaum Chancen. Er hat uns über seine Vergangenheit belogen und nicht angegeben, dass er mal Schmuddelfilmchen gedreht hat.«

»Ach ja«, erinnerte ich mich grinsend. »Die Dessous-Bilder aus der Umkleidekabine.«

Nachdenklich ging ich in meine Einzelzelle. Nagel war unschuldig. Das Foto eine Fälschung.

Ich holte mir die alte BILD-Ausgabe, in der das Nagel-Foto veröffentlicht worden war, schaltete den Rechner ein und rief das Bildarchiv des Redaktionsrechners auf. Eines nach dem anderen verglich ich die Bilder mit dem Nagel-Foto und suchte nach Übereinstimmungen, doch ich fand nichts. Milva Grandi musste einen Fotoausschnitt vergrößert haben, damit Nagels Gesicht besser zu sehen war. Plötzlich fiel mir im Hintergrund des Bildes etwas auf. Ich nahm eine Lupe zur Hand und betrachtete die Stelle genau. Die Rasterung sorgte dafür, dass auf dem vergrößerten Ausschnitt noch weniger zu erkennen war. Was war das da im Hintergrund?

Dann wusste ich es plötzlich. Die Kopfhaltung einer blonden Frau im Hintergrund erinnerte mich an Lady Cora. Sie saß dort in genau der Haltung, in der ich sie am Tisch des Millefiori gesehen hatte, bei unserem ersten Treffen. Mir war diese Kopfhaltung schon aufgefallen, als sie noch als völlig Unbekannte am Nebentisch im Florian gesessen hatte.

Wenn das wirklich Lady Cora war, dann musste das Bild zu der Serie gehören, die mir Kleist zugespielt hatte, denn Lady Cora hatte nur an einer der Rathaus-Partys teilgenommen.

Wer war eigentlich alles im Besitz der Handyfotos? Die Polizei und das Tageblatt. Wir hatten einige davon veröffentlicht, die Gesichter aber unkenntlich gemacht.

Die Polizei hatte keinerlei Interesse daran, Jakob Nagel zu belasten. Milva Grandi schon: Sie war so stolz gewesen, den Rücktritt eines Politikers verursacht zu haben. Kleist hatte die Fotos nur mir geschickt – so hoffte ich wenigstens. Wie also war die Grandi an einen Schnappschuss vom Handy der toten Jessica Brühl gekommen?

Rudi Gies? Er hatte eben im Gespräch mit Jansen in meinem Kopf herumgespukt und wollte sich nicht fangen lassen. Als ich den Artikel damals schrieb, arbeitete Gies noch in der Redaktion und konnte sich ohne Weiteres Zugang zu den Bildern verschaffen.

Aber welches Bild war genommen worden, um den Oberbürgermeister hineinzukopieren? Es musste ja ein Original geben. Aber ich fand es nicht. Schließlich schaute ich mir die Dateinamen an. Sie hatten vorn einen Buchstabenteil, dann eine Zahl und am Ende die Kennzeichnung des Dateiformats. Die Zahlen waren fortlaufend – und eine fehlte!

Ich rief den EDV-Spezialisten an und schilderte die Lage. Er konnte nicht helfen. »Die Fotos sind an deine E-Mail angehängt. Die E-Mail ist nicht auf dem Rechner gespeichert, sondern auf einem Server des Mailsystems im Netz. Das wird von unserer nächtlichen Sicherung nicht erfasst, weil die Daten nicht im Hause sind.«

Ich war verwirrt. »Aber ich habe doch keins der Bilder gelöscht!«

»Dann hat jemand deinen Mailaccount geknackt. Oder er hat das Bild gelöscht, während du die Mail offen hattest und nicht im Büro warst. Ändere auf jeden Fall dein Passwort für die Mails.«

Ich war noch verwirrter. »Aber ich bin gar nicht in meiner E-Mail, ich bin im Bildarchiv auf dem Redaktionsrechner!«

Er lachte. »Dann schau doch in deiner E-Mail nach. Oder hast du alles gelöscht?«

»Nein.«

Ich rief meine alten E-Mails auf und Bingo! Dort war die Bilddatei, die auf dem Redaktionsrechner fehlte.

Meine Vermutung was richtig gewesen. Das Foto enthielt genau die Dinge, die auf dem Nagel-Bild zu sehen waren. Nur der Oberbürgermeister fehlte. Dafür war jemand anders da.

Es klopfte. Es war Harras. »Kommst du heute Abend mit zum Pressestammtisch?«, fragte er. »Wir haben eine neue Kneipe aufgetan.«

»Du weißt doch, dass ich Kollegen nicht im Rudel ertragen kann«, wehrte ich ab. »Die können nur über eins reden: ihren tollen Job. Und schöntrinken kann ich mir auch niemanden, weil ich noch fahren muss.«

»Grappa, du wirst eine komische Alte, wenn du so weitermachst!«

»Das war immer mein Ziel, Süßer«, lächelte ich. »Und ich arbeite jeden Tag daran. Davon kann mich auch kein noch so toller Stammtisch abbringen.«

»Die letzten Male ist sogar Milva Grandi gekommen. Sie ist weit weniger übel als das Blatt, für das sie schreibt. Und verdammt trinkfest.«

»Wahrscheinlich kann sie mit geschlossenen Augen zehn Biersorten voneinander unterscheiden«, mutmaßte ich.

»Sie hat letztes Mal nach dir gefragt.«

»Ach ja?«

»Ja. Also – kommst du? Acht Uhr in der Stechuhr. Neben dem Landgericht.«

»Die Grandi kommt auch dahin?« Plötzlich hatte ich einen Plan im Kopf.

»Bestimmt.«

»Gut. Dann sehen wir uns heute Abend.«

Die Nachricht über das Ergebnis von Nagels Haaranalyse war schnell geschrieben.

EX-OB NAGEL SIEHT SICH ALS OPFER EINER POLITISCHEN VERSCHWÖRUNG. HAARANALYSE BEWEIST: ICH HABE NIEMALS DROGEN GENOMMEN!

Ich zitierte aus dem Gutachten und erwähnte die Anzeige gegen unbekannt. Das sollte reichen.

Zufrieden ging ich ins Großraumbüro, um ein paar gegnerische Zeitungen zu lesen. Es war beruhigend zu sehen, dass Sekretärin Susi ihren Ausflug ins Landleben gut überstanden hatte. Sie saß mit Stella und Sarah zusammen und erzählte mit hochrotem Kopf von ihren Erlebnissen mit dem gemütlichen Getreidebauern Georg. Ich stellte meine Ohren scharf.

»Wieso haben die dich eigentlich romantische Redaktionsassistentin genannt?«, fragte Sarah.

»Wieso nicht? Ich bin doch romantisch«, wehrte sich Susi.

»Aber keine Redaktionsassistentin«, stellte Sarah klar. »Du bist Sekretärin. Wie wir. Nicht mehr und nicht weniger.«

»Die Leute beim Fernsehen übertreiben immer«, mischte ich mich ein.

»Der Getreidebauer war ja auch alles andere als gemütlich.« Susi lächelte mich dankbar an. »Die machen das wegen der beiden selben Buchstaben am Anfang.«

»Das nennt man Alliteration«, spielte ich die Oberlehrerin. »Oder auch Stabreim. Mich würden die dann wohl als ›zickige Zeitungsredakteurin‹ oder ›peppige Polizeireporterin‹ bezeichnen.«

»Wie war der Typ denn so?«, fragte Stella. »Bisschen viel auf den Rippen, oder?«

»Da sagst du was!« Susi seufzte. »Bei dem wurde aufgetischt, als wäre es der letzte aller Tage.«

»Ich dachte, du hast dich in sein Herz gebrutzelt«, grinste ich. »So stand es jedenfalls in der BILD-Zeitung.«

»Alles gelogen«, stellte Susi klar. »Die Buletten hat seine Mutter gemacht und er hat sich gleich zehn Stück von den Dingern zum Frühstück reingepfiffen. Und zum zweiten Frühstück noch mal welche. Ekelhaft, sag ich euch. Das Fett triefte an seinen dicken Backen runter. Und dann wollte er, dass ich mich auf seinen Dicken setze.«

»Auf seinen Dicken?«, fragte Stella mit großen Augen. »Nennt man das auf dem Land so?«

»Manno, nicht, was du denkst!« Susi war eingeschnappt. »Der Dicke ist sein Schwein. So ein grunzendes Riesenteil. Da bin ich zu der Moderatorin gegangen und hab gesagt: Ich bin kein Star, aber holt mich trotzdem hier raus!«

»Ich dachte, der Georg wäre ein gemütlicher Getreidebauer«, lachte ich. »Wie kommt denn ein Schwein auf den Hof?«

»Grappa, ich hab keinen blassen Schimmer. Und abends wollte er mir an den Arsch fassen, der Widerling! Als ich ihm eine scheuerte, ist er auf seinem versifften Sofa heulend zusammengesunken. Und dann kam die Alte und ging mit dem Schürhaken auf mich los«, empörte sich Susi. »Ich bin so froh, dass ich aus der Nummer raus bin.«

»Haben die wenigstens die zweihundertfünfzig Euro gezahlt?«, fragte ich.

»Das bisschen Schmerzensgeld!«

»Eigentlich sollte ich einen Artikel darüber schreiben«, überlegte ich.

»Geht nicht. Ich musste Stillschweigen versprechen. Steht so im Vertrag. Bei Verstoß muss ich Strafe zahlen.«

»Verstehe. Deshalb hast du uns die Geschichte ja auch ganz im Vertrauen erzählt.«

»Ihr sagt das doch nicht weiter, oder? Und du schreibst doch nicht etwa drüber, Grappa, oder?«

Und wer siegt im Zickenkrieg?

Die Stechuhr schien zwar renoviert, doch aus den Wänden dunstete trotzdem das Nikotin der Millionen Zigaretten, die hier in den zwanzig Jahren vor der Einführung des Rauchverbots konsumiert worden waren. Harras hatte mich entdeckt und winkte mir zu. Er saß allein an einem großen Tisch.

»Hallo, Grappa. Was willst du trinken? Das erste Glas geht auf mich.«

»Wasser. Wo sind die denn alle?«

»Die kommen schon noch. Du willst wirklich nur Wasser? Man kann auch Alkohol trinken, ohne fröhlich zu sein.«

»Ich weiß«, sagte ich. »Aber ich muss noch fahren.«

Nach und nach trudelten die lieben Kollegen ein. Die meisten von ihnen kannte ich von Pressekonferenzen und ähnlichen Terminen.

»Guck mal, wer da kommt«, raunte Harras.

Ich drehte mich zur Tür. Rudi Gies und Milva Grandi.

»Das Traumpaar. Porno-Rudi und Blödi-Tussi«, lästerte ich.

»Meinst du, die haben was miteinander?«, flüsterte er.

Ich zuckte die Schultern, antwortete aber nicht, denn die beiden standen schon am Tisch.

»Frau Grappa«, flötete die Grandi. »Schön, Sie zu sehen. Jemand erzählte mir, dass Sie eigentlich nicht gern unter Menschen gehen.«

»Unter Menschen schon. Hier sind aber vor allem Journalisten.«

»Ich hab Grappa überredet«, protzte Harras und glotzte der Grandi auf die Brüste.

»Weiß der ehrenwerte Herr Jansen, dass seine bissigste Schreiberline trinkend mit dem Feind fraternisiert?«, grinste Gies.

»Sie mich auch!«, lächelte ich. »Was machen Sie eigentlich hier? Spionage für Mobby Madig?«

»Ich bin Zeitungsjournalist – auch wenn mich das Provinzblatt, für das Sie schreiben, rausgeworfen hat«, antwortete mein ehemaliger Kollege. »Und was Herrn Madig betrifft – den kann ich im Moment schwer erreichen.«

»Wollen wir uns den ganzen Abend herumzanken?«, fragte Milva Grandi und krächzte ihr merkwürdiges Lachen. »Ich trink jetzt jedenfalls erst mal was.« Sie setzte sich neben Simon Harras und strahlte ihn an. »Einen Grappa für alle?«

Ich winkte ab. Gies platzierte seine Gestalt neben Grandi. Wir gaben vermutlich ein komisches Bild ab – ähnlich Hühnern auf einer Leiter.

Nach und nach wurde es voller am Tisch und die Atmosphäre lockerer. Grandi schüttete den Alkohol zügig in sich hinein und erzählte – laut plappernd – von ihren Heldentaten im Dienste der BILD-Zeitung. Ihr Busen wogte auf und ab und sie drückte ihren Oberschenkel an Simons schlabberige Cordhose. Das schien ihm zu gefallen, denn seine Hand berührte ganz zufällig ihr Fleisch.

»Kannst du mal aufs Klo verschwinden?«, flüsterte ich ihm zu.

»Warum? Ich muss nicht pinkeln!«, wehrte er ab.

»Bitte! Ich will was mit Blöd-Tussi bequatschen. Wenn ich noch länger warte, ist die stramm wie eine Haubitze. Dauert nicht lange – kannst bald wieder grapschen.«

Er zog ab. Ich rutschte auf seinen Stuhl. »Frau Grandi? Oder darf ich Milva sagen?«

Der Alkohol hatte sie offenbar noch nicht unvorsichtig gemacht, denn sie schaute mich mit leichtem Misstrauen an.

»Ich möchte Ihnen ein Kompliment spendieren«, sülzte ich. »Sie haben mir das Leben ganz schön schwer gemacht mit Ihren Artikeln. Und die Sache mit Nagel – die war einsame Spitze. Ein Foto des Oberbürgermeisters mit Schnee an der Nase! Ein Traum für jeden Journalisten. Veröffentlichen Sie denn auch das Ergebnis der Haaranalyse?«

»Klar. Machen wir. Aber es ist ja klar, dass derjenige, der das Gutachten bezahlt, das Ergebnis bekommt, das er sich wünscht.«

»So sagt man. Ist inzwischen sowieso egal, ob es sich um eine Fotomontage handelt. Nagel ist weg. Komisch ist nur, dass ich ebenfalls im Besitz der Handyfotos von Jessica Brühl bin. Aber auf keinem ist Nagel zu sehen.«

Rudi Gies – immer noch an der anderen Seite von Milva Grandi – spitzte die Ohren, um unseren Dialog zu verfolgen.

»Es ist doch ziemlich einfach, ein Foto zu manipulieren, nicht wahr, Herr Gies?«, sagte ich laut.

»Was meinen Sie?« Sein Blick wurde unruhig.

»Ich hatte die Fotos von den Rathaus-Partys auf dem Redaktionsrechner gespeichert. Jeder Kollege hat da Zugang. Auch Sie, Herr Gies. Ich habe alle Fotos überprüft und kontrolliert, wer sie sich alle angeschaut hat. Es gibt eine bestimmte Software für so was. Ein Experte aus unserer Technikabteilung hat mir geholfen. Und raten Sie mal, was ich entdeckt habe?«

Hoffentlich hat Gies genauso wenig Ahnung von Computern wie ich, betete ich innerlich.

»Keine Ahnung. Aber Sie scheinen Ihre Entdeckung ja für spannend zu halten.« Er winkte der Kellnerin zu. Seine Hände flatterten.

»Es war sogar ausgesprochen spannend«, machte ich weiter. »Sie haben alle Fotos angeschaut und kopiert, Herr Gies. Und dann haben Sie eins davon manipuliert und Herrn Nagel hineingezaubert. Und das Original haben Sie gelöscht. Und dann …«, ich wandte mich an Milva Grandi, »… dann hat der Kollege Gies das Foto Ihnen zugespielt. Hat er eigentlich Geld verlangt?«

Milva Grandi schaute erst mich und dann Gies an. »Also, mal langsam«, sagte sie.

»Das alles natürlich im Auftrag von Mobby Madig«, erklärte ich. »Bei dem hat Porno-Rudi mit Sicherheit auch abkassiert.«

»Porno-Rudi?« Grandi schaute verdattert. »Was geht denn hier gerade ab?«

»Erklären Sie es ihr, Herr Gies. Ich kann Ihnen auch den Artikel aus dem Spiegel faxen, Milva. Rudi Gies filmt heimlich Frauen in den Umkleidekabinen der Unterwäscheabteilungen. Und er fälscht Fotos.«

»Beweise? Oder nur dummes Geschwätz?« Gies hatte sich wieder gefangen.

»Alle Beweise sind bei der Polizei«, log ich. »Milva, es wird einiges auf Sie und Ihre Zeitung zukommen. Nagel plant eine Schadensersatzklage vom Allerfeinsten.«

»Du hast mich da reingeritten, du Wichser! Das kommt dich teuer zu stehen!« Grandi schlug mit der Faust nach Gies, aber er wich aus. Sein Bierglas kippte um.

»Was willst du denn?«, schrie Gies zurück. »Du warst doch geil auf das Bild! Einmal einen Politiker stürzen – dein Lieblingstraum, Mädchen!«

Die Kellnerin kam mit einem Lappen und feudelte das kühle Blonde vom Tisch.

Die Kollegen am Tisch schenkten uns dreien ihre volle Aufmerksamkeit. Harras saß inzwischen woanders.

»Gies! Weißt du, was man mit solchen Kartoffeln wie dir macht?« Grandi hyperventilierte. »Man lässt sie fallen oder verfüttert sie an die Schweine! Such es dir aus!«

»Hatten wir nicht alle einen gemütlichen Abend im Kollegenkreis geplant?«, flötete ich.

»Sie intrigante Kuh!«, schrie mich Gies an. »Freuen Sie sich nicht zu früh. Ich habe meine Möglichkeiten.«

»Oh, das war ja eine Drohung«, lächelte ich. »Ich schlottere vor Angst.«

»Es reicht!« Harras stand auf und steuerte seinen ursprünglichen Platz an. »Sie verschwinden, Gies! Grappa und Milva – bitte beruhigt euch.«

Der Rest des Abends wurde dann wirklich nett. Milva beruhigte sich etwas und blieb bei Bier. Ihre Wut auf Gies behielt sie jedoch. Klar, sie hatte Angst, dass das gefälschte Bild auf sie zurückfallen würde. Diese Befürchtungen waren berechtigt. Ich musste Nagel nur noch davon überzeugen, tatsächlich auf Schadensersatz zu klagen und Gies wegen übler Nachrede oder Beleidigung anzuzeigen. Vielleicht auch wegen falscher Anschuldigung.

Der Staatsanwalt wird das richtige Delikt schon finden, dachte ich.

Rudi Gies, Porno-Filmer und Medienberater des SPD-Parteichefs Mobby Madig, hatte keine schönen Monate vor sich.

Milva und ich tranken Schwesterschaft. Miese Kerle bringen die unterschiedlichsten Frauen dazu, Freundinnen zu werden.

Gegen Mitternacht hatte ich genug. Milva Grandi war vor mir aufgestanden. Sie war noch erstaunlich artikulationsfähig und hatte einen Freund angerufen, der sie nach Hause bringen sollte.

Ich traf sie draußen vor der Stechuhr.

»Dann gute Nacht«, sagte ich.

»Dir auch, Grappa. Ich darf doch Grappa sagen?«, nuschelte sie.

»Klar. Tun doch alle. Fast alle. Nur einer nennt mich Maria.«

»Da ist er ja!« Sie deutete auf einen Wagen, der nicht ganz bis zu uns fahren konnte, weil die Straße eine Fußgängerzone war. »Ich bin dann weg. Bis bald.«

Sie marschierte ziemlich gerade auf das Auto zu. Ich konnte den Schatten eines Mannes am Steuer erkennen. Milva stieg ein und winkte mir kurz zu. Das Fahrzeug fuhr los. Mein Herz stockte. Grandi war in ein Auto eingestiegen, das ich nur zu gut kannte: Es war der Dienstwagen von Friedemann Kleist!

Zärtlich fallende Taschentücher

Ganz ruhig bleiben. Nein, lieber toben. Was hatte Kleist mit Milva Grandi zu tun? Oder hatte nicht er, sondern jemand anders in dem Wagen gesessen?

Ich hatte eine schreckliche Nacht. Nagende Eifersucht verhinderte ein entspanntes Schlafen. Die Bilder, die mir durch den Kopf gingen, waren nicht dazu angetan, mich zu beruhigen.

Endlich Morgen. Mein Anblick im Spiegel grauste mich. Ich duschte lange – zuerst heiß, dann kalt –, hielt es zu Hause nicht mehr aus und fuhr zur Bäckerei Schmitz, um mir ein gutes Frühstück zu gönnen.

Der Geruch der frischen Backwaren versöhnte mich mit dem Leben. Solange ich noch Brötchen mümmeln und die Fragen der Bäckerin parieren konnte, gab es keinen Grund zu meckern.

»Die Frau Grappa«, rief Anneliese Schmitz. »Auch mal wieder da! Wie isses?«

»Muss. Und selbst?«

»Muss.«

»Wunderbar«, strahlte ich. »Ich hätte gern Ihr bestes Frühstück mit allem Zipp und Zapp.«

»Gut. Alles außer Marmelade und Fisch. Wie wollen Sie die Eier?«

»Gespiegelt. Und oben und unten gebraten«, entgegnete ich.

»Der Herr war neulich wieder da. Der, mit dem Sie nichts haben.« Sie lächelte verstohlen. »Hat vier Brötchen gekauft.«

Ich sagte nichts.

»Na, dann gehen Sie schomma rein.« Sie deutete Richtung Bistro. »Da sitzt übrigens einer, den Sie kennen.«

Hoffentlich nicht Kleist, dachte ich.

»Nee, der isses nu nicht«, meinte die Bäckerin.

Jetzt liest die auch schon meine Gedanken, dachte ich, das kann ja heiter werden.

Im Bistro saß nur ein einziger Mann, der sich hinter dem Bierstädter Tageblatt verkrochen hatte. Ich sah Beine in Feincordhosen, grobe Schuhe und kräftige Hände.

»Guten Morgen«, sagte ich.

Der Mann ließ die Zeitung sinken und ich blickte in das Gesicht von Anton Brinkhoff.

»Herr Brinkhoff! Schön, Sie zu sehen!« Ich ging auf ihn zu, er erhob sich und wir umarmten uns.

»Wie bekommt Ihnen der Ruhestand? Haben Sie Ihre Traumschiffreise hinter sich? Wie geht es Ihnen sonst?«

»Sie nun wieder, Frau Grappa! Drei Fragen in drei Sekunden«, lachte er. »Haben Sie Mitleid mit mir. Ich bin ein alter Mann.«

»So sehen Sie aus!«

Ich musterte ihn. Exhauptkommissar Anton Brinkhoff, jahrelang Leiter der Bierstädter Mordkommission, war braun gebrannt, trug das Haar länger als früher und schien bestens drauf zu sein.

»Sie wirken total entspannt und gesund«, lächelte ich. »Erzählen Sie. Was haben Sie die letzten Monate angestellt – außer zu leben.«

Frau Schmitz kam mit frischem Kaffee.

»Ist ja wie früher«, meinte sie. »Sieht er nicht klasse aus, der Mann?«

»Allerdings. Frischer als ich heute Morgen«, räumte ich ein.

»Tja, Frau Grappa, was soll ich dazu sagen?«, dehnte sie.

»Alles – nur nicht die Wahrheit, Frau Schmitz«, flehte ich.

»Zu wenig Schlaf, zu viel Wein – aber das wissen Sie ja selbst.«

»Falsch, Frau Schmitz«, korrigierte ich. »Zu wenig Wein, zu viel Schlaf und keinen Sex.«

»Der angenehme Herr neulich …«

»Frau Schmitz! Hören Sie endlich auf, mich zu verheiraten!«

Brinkhoff grinste breit. »Ich fühl mich gleich wie zu Hause. Manche Sachen ändern sich nie.«

Frau Schmitz trollte sich – den Kopf trotzig in den Nacken geworfen.

»Wer war denn der Herr neulich?«, wollte Brinkhoff wissen.

»Ein Bekannter. Alles rein dienstlich. Aber Sie wissen ja, wie die liebe Frau Schmitz tickt. Für sie ist die Welt voller Heiratskandidaten. Und alle sind sie für mich.«

»So was kenne ich. Meine Schiffsreise war eine Totalpleite. Sie sollte sechs Wochen dauern – einmal Karibik hin und zurück«, erzählte Brinkhoff. »Nach drei Wochen hab ich in Kuba einen Flug zurück gebucht. Auf dem Schiff wimmelte es nur so von alten, vertrockneten Weibern, die sich um jeden allein reisenden Mann prügelten. Dabei wollte ich nur meine Ruhe haben, gut essen und trinken und Sonne, See und Sicht genießen. War aber nicht möglich. Hinter jeder Ecke lauerte eine alte Schachtel und ließ ein Taschentüchlein fallen.«

»Und dann sind Sie einfach abgehauen?«, lachte ich.

»Ja. Hat mich leider eine Menge Geld gekostet, aber ich konnte die Attacken der älteren Damen auf meinen Astralkörper nicht länger ertragen. Außerdem war es langweilig. Nach einer Woche hatte ich alle Restaurants und Bars auf dem Dampfer durch. Alles schmeckte gleich. Die Bands spielten immer wieder dieselben Oldies. Lieder, die ich schon nicht leiden konnte, als sie neu waren. Und dann dieses betreute Amüsieren! Bingo am Pool, Karaoke auf dem fünften Sonnendeck von rechts oder Minigolf vor der Kinderbetreuungs-Lounge.«

»Hört sich nicht nach einem Wohlfühlurlaub an«, meinte ich. »Die hätten ja wenigstens mal eine Leiche für Sie besorgen und auf Deck auslegen können.«

»Na ja, die Leichen habt ihr ja jetzt hier.« Brinkhoff deutete aufs Tageblatt.

Die Bäckerin brachte das restliche Frühstück. Wortlos.

»Danke, Frau Schmitz.«

Wortlos verschwand sie.

»Sie ist eingeschnappt«, stellte Brinkhoff fest.

»Das gibt sich wieder«, sagte ich und machte mich über das Spiegelei her. »Ihre Erziehungsmaßnahmen mir gegenüber gehen oft ein bisschen zu weit.«

»Und? Wie läuft es so mit meinem Nachfolger? Macht er seine Sache gut?«

»Ja, das schon«, antwortete ich. »Er hat allerdings immer noch ein gestörtes Verhältnis zur gesellschaftlich wichtigen Aufgabe der Presse als Kontrollorgan der Exekutive in einem demokratischen Staat.«

»Toll, dass Sie diesen Satz auf die Reihe gekriegt haben, Frau Grappa. Und was heißt das übersetzt, sodass es ein Pensionär auch versteht?«

»Er will nicht so, wie ich wohl will.«

»Schon besser!«, lachte er. »Aber als Hauptkommissar ist er doch ganz erfolgreich. Mobby Madig sitzt in U-Haft, die Ermittlungen gegen die Stadt- und Verwaltungsspitze laufen. Was kann man nach gut zwei Wochen mehr erwarten?«

»Mobby Madig ist zwar ein elender Bursche, aber er ist nicht der Hochzeitsmörder«, stellte ich meine Sicht der Dinge dar. »Auch, wenn das Gewehr an seinem Arbeitsplatz gefunden wurde. Der bringt doch nicht seine Mitarbeiterin und ihren Mann um und lässt die Mordwaffe im Parteibüro rumliegen. Und schon gar nicht, wenn er der Frau vorher dreißigtausend Euro bezahlt hat und es darüber einen Kontoauszug gibt. Der ist zwar blöd, aber so blöd nun auch wieder nicht. Außerdem hat mich der Mörder angerufen.«

»Wissen Sie, was ich tun würde, wenn ich einen Mord begehen wollte?«, fragte der Hauptkommissar außer Diensten. »Ich würde entweder dafür sorgen, dass es nicht eine einzige Spur gibt, die auf mich hindeutet. Und wenn das nicht möglich ist – wie in diesem Fall, denn die Tote und Madig kannten sich ja –, dann würde ich die Indizien so anordnen, dass sie auf mich hinweisen. Und zwar in dem Maße, dass jeder über mich sagt: So blöd kann der doch nicht sein!«

»Okay. Dummheit als große Kunst der Täuschung. Eine brillante Inszenierung also.«

Ich überlegte. Was Brinkhoff sagte, klang logisch. Aber ich schüttelte den Kopf. »Ich kann einfach nicht glauben, dass Madig seine Sinne so beisammen hat. Eine solche Nummer überfordert ihn.«

»Abwarten«, meinte Brinkhoff. »Kleist ist ein erfahrener Polizist. Der schaut auch hinter die Indizien. Der lässt sich von einem Mobby Madig nicht täuschen.«

Ich blickte auf meine Uhr. »Ich muss jetzt in die Redaktion«, stellte ich fest. »Bleiben Sie die nächsten Wochen in Bierstadt? Oder wollen Sie den Himalaja besteigen oder über die Alpen paragliden?«

»Da wäre ich wenigstens vor alten Schachteln sicher«, parierte er. »Aber ich plane erst mal nichts. Warum?«

»Dann darf ich Sie anrufen?«

»Sicher dürfen Sie das. Und das Frühstück geht auf mich.«

»Danke, Herr Brinkhoff«, lächelte ich. »Und ich lasse auch nicht mein Taschentüchlein fallen – versprochen!«

Was ist eigentlich ein Dienstwagen?

Einigermaßen guter Stimmung kam ich in die Redaktion. Brinkhoff hatte mich auf andere Gedanken gebracht. Ich erzählte Jansen von der Auseinandersetzung mit Gies und dem gefälschten Foto.

»Ich zeige den Kerl an!«, ereiferte er sich.

»Das macht Milva Grandi schon. Und Nagel werde ich eine E-Mail mit den Informationen schicken. Aber zuerst informiere ich Kleist.«

Er war im Präsidium erreichbar.

»Nur eine kurze Info«, sagte ich sachlich. »Das Foto, das zu Nagels Rücktritt führte, ist von Rudi Gies gefälscht worden.«

»Danke, Maria. Aber das weiß ich schon. Frau Grandi hat mich informiert«, entgegnete Kleist.

»Ach! Wann denn?«

»Heute früh. Ich habe bereits die Staatsanwaltschaft verständigt.«

»Das hört sich gut an. Darf ich dich mal was fragen?«

Er lachte. »Seit wann fragst du denn, ob du mich was fragen darfst?«

»Okay. Benutzt du deinen Dienstwagen auch privat?«

»Sehr selten. Obwohl ich das dürfte – gegen eine entsprechende Kostenbeteiligung. Mir ist es aber zu kompliziert, ein Fahrtenbuch zu führen. Warum interessiert dich das?«

Ich fühlte mich plötzlich unwohl. »Vergiss es. Ich dachte, ich hätte den Wagen gestern Nacht gesehen. Aber ich habe mich wohl getäuscht. Gib es etwas Neues von Mobby Madig?«

»Er sieht sich als Opfer böser Intrigen.«

»Mit Intrigen kennt sich keiner besser aus als er«, sagte ich. »Was liegt sonst noch an, Herr Hauptkommissar?«

»Viele Spuren, viel Arbeit und kaum Erfolge. Die Bierstädter Politprominenz mauert, wo es nur geht. Diese Leute behindern die Ermittlungen auf eine Art und Weise, die schon beeindruckend ist. Entschuldigst du mich jetzt bitte, Maria? Herr Gies ist gerade eingetroffen. Ich habe ihn zur Vernehmung vorgeladen.«

Ich hätte gern als Mäuschen in Kleists Büro gesessen und gelauscht. Der schmierige Schreiberling und der intellektuelle Ermittler im Clinch. Mein Gefühl sagte mir, dass Gies jeden verraten würde, um die eigene Haut zu retten.

Ich sollte recht behalten.

»Gies hat Mobby Madig voll in die Pfanne gehauen!« Zwei Stunden nach meinem Gespräch mit Kleist stand Jansen in meinem Zimmer – ein Fax in der Hand. »Hier, lies mal!«

Die Polizeipressestelle teilte in knappen Worten mit, dass Rudi G. den Untersuchungshäftling Mobby M. beschuldige, ihn zur Fälschung eines Fotos angestiftet zu haben. Weiter stand da zu lesen:

Rudi G. wusste auch von der Zahlung von 30.000 Euro aus der Parteikasse an die ehemalige Mitarbeiterin Sandra B., wegen deren Tötung Mobby M. zurzeit inhaftiert ist. Sandra B. soll das Geld für ihr Schweigen über die Teilnahme des Beschuldigten an den Zusammenkünften im Bierstädter Rathaus erpresst haben, bei denen es in erheblichem Maße zu Drogenmissbrauch kam.

»Stecken wir die alle in einen Sack und hauen drauf. Wir treffen immer den Richtigen«, meinte ich. »Aber trotzdem bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass Madig kein Mörder ist. Warum – zum Teufel – meldet sich der anonyme Anrufer nicht mehr bei mir?«

»Provozier ihn doch!«, schlug Jansen vor. »Dann meldet er sich bestimmt.«

»Und wie?«

»Was kannst du denn am besten, Grappa? Schreiben! Also denk dir was aus.«

Das war eine klare Ansage. Ich überlegte, wie ich es am geschicktesten anstellen könnte. Friedemann Kleist hatte dem Anrufer ein ausgeprägtes Geltungsbewusstsein attestiert.

Ich schloss die Tür hinter mir, um mich besser konzentrieren zu können. Auf was würde der Unbekannte abfahren? Vielleicht, wenn sein ›Werk‹, auf das er ja stolz zu sein schien, einem anderen zugeschrieben wurde?

Ich fuhr den Rechner hoch und begann zu formulieren.

HATTE MOBBY MADIG EINEN KOMPLIZEN? NOCH SCHWEIGT SPD-PARTEICHEF ZU MORDVORWURF

Wer ist der Mann, der den Mord an Sandra B. und Thomas S. filmte und die Bilder dem Tageblatt zugespielt hat? Wer ist der Mann, der beim Tageblatt anrief und für diesen schrecklichen Film gelobt werden wollte?

Die Auswertung der Bilder hat eindeutig ergeben, dass der Täter nicht gleichzeitig filmen und schießen konnte. Mobby Madig muss demnach einen Mitwisser haben – falls tatsächlich der SPD-Chef seine ehemalige Mitarbeiterin und deren Mann getötet hat.

Doch nach Tageblatt-Recherchen gibt es inzwischen erhebliche Zweifel an der Täterschaft des Inhaftierten. Der Mord muss von einem ausgezeichneten Schützen ausgeführt worden sein, denn Sandra B. und Thomas S. wurden jeweils durch einen einzigen Schuss ins Herz getötet. Mobby Madig jedoch hat nach Recherchen des Tageblattes niemals ein Gewehr bedient.

Das Letzte war frei erfunden – aber wer wollte mir das nachweisen?

Rätselhaft ist auch: Die E-Mail des Täters an das Tageblatt wurde von einem Computer abgeschickt, der in der Universität Bierstadt steht. Warum sollte Mobby Madig zur Universität fahren, um Spuren zu verwischen, und bei der Mordwaffe so sorglos sein, sie im SPD-Büro zu deponieren?

Ich zeigte Jansen den Artikel.

»Da fehlt was«, meinte er.

»Und was?«

»Die Aufforderung, sich bei uns zu melden und sich feiern zu lassen.«

»Okay.«

Ich ging wieder in Kurzklausur, doch mir fiel nichts ein. Schließlich kam Jansen mit folgendem Satz um die Ecke:

Wir fordern den wahren Mörder des Brautpaares auf, erneut Kontakt mit dem Tageblatt aufzunehmen. Kommen Sie aus Ihrer Deckung, statt sich feige hinter einem Politiker zu verbergen, der weder die Nerven noch die Intelligenz hat, eine so perfide Tat zu planen und auszuführen!

»Ist das nicht ein bisschen dick aufgetragen?«, fragte ich. »Wenn der Typ sich meldet, gerät er doch in Gefahr, dass seine Deckung auffliegt. Das wäre doch unlogisch.«

»Ein Doppelmord ist auch nicht gerade logisch«, entgegnete Jansen.

Kein Schwein ruft mich an

Abends setzte ich mich hin und hielt alles, was ich wusste, auf einem Blatt Papier fest. Ich blieb bei meiner These, dass der Anrufer tatsächlich der Mörder war. Ich musste nur noch das Motiv finden. Und den Kerl ausfindig machen. Und seinen Komplizen.

Einer von beiden hatte die Tatwaffe ins Parteibüro geschmuggelt. Damit hatte er Madig geschadet. Kamen die Doppelmörder aus der Ecke der Madig-Feinde?

Was wusste ich noch? Mindestens einer der Täter hatte die Möglichkeit, von der Universität aus zu agieren. Die Mail an mich war von dort gekommen. Der Absender konnte sich also unter die Studenten mischen, ohne Verdacht zu erregen. Ich stutzte. Hatte sich die Stimme am Telefon eher jung oder alt angehört? Instinktiv ordnete ich sie einem eher jüngeren Mann zu. Doch Stimmen konnten täuschen. Ich kannte Menschen mit jungen Stimmen, die trotzdem alt waren, und umgekehrt.

Ich schaute auf die Uhr. Kurz vor 23 Uhr. Gleich würden die Internetseiten des Bierstädter Tageblattes aktualisiert werden – mit meinem Artikel als Aufmacher.

Ein Becher starker Kaffee hielt mich wach. Vielleicht meldete sich der Mörder schon in dieser Nacht. Ich legte mein Handy in Reichweite und öffnete meinen E-Mail-Account. Nur Spams von Fluglinien, Reisebüros und Viagrahändlern.

Eine Minute nach elf erschien der Aufruf an der Mörder auf dem Monitor. Eine halbe Stunde später klingelte mein Handy. Nummer unbekannt – erzählte mir das Display. Ich ging dran.

»Hier Grappa.«

»Bist du verrückt geworden?«, fuhr mich Friedemann Kleist an. »Du lockst den Mörder auf deine Fährte, Maria!«

»Ach, du bist es«, sagte ich enttäuscht. »Kannst du aus der Leitung gehen, damit mich der Kerl anrufen kann?«

»Was hast du dir nur dabei gedacht? Willst du mir in meine Arbeit pfuschen?«

»Wieso? Du hältst doch Mobby Madig für den Täter«, entgegnete ich.

»Ich ermittle in viele Richtungen. Glaubst du, ich habe vergessen, dass der Film die Anwesenheit eines zweiten Manns beweist?«

»Wunderbar. Ich sage dir auf jeden Fall Bescheid, falls sich der Täter bei mir meldet, oder liefere ihn direkt bei dir im Präsidium ab. Soll ich ihn verpacken?«

Eine E-Mail kann ein Wegweiser sein

In der restlichen Nacht blieben die Telefone stumm. Kleists Befürchtungen ließen mich nicht gut schlafen. Gegen acht Uhr wachte ich auf und stellte fest, dass ich noch lebte – aber auch, dass mein Aufruf unbeantwortet geblieben war.

Ach, der Tag ist ja noch jung, dachte ich und machte mich ausgehfertig. Gegen zehn war ich in der Redaktion und stürzte sofort in mein Büro. Ja, endlich! Die Mail, auf die ich gewartet hatte, war da. Absender: weddingplanner.

Die Nachricht enthielt nur zwei Worte: Marta Russo.

War das ein Name? Vielleicht ein Cocktail? Oder ein Schiff? Googeln hilft. Also gab ich die Begriffe in die Suchmaschine ein.

Marta Russo war eine italienische Jurastudentin. Ihre Ermordung im Jahre 1997 und die darauf folgenden Ermittlungen erregten internationales Aufsehen. Die Tat konnte bis heute nicht restlos aufgeklärt werden. Als die 22-jährige Russo am Freitag, dem 9. Mai 1997 gemeinsam mit einer Freundin den Hof der juristischen Fakultät der Universität Rom überquerte, brach sie plötzlich zusammen. Eine Kugel vom Kaliber .22 hatte sie in die Schläfe getroffen. Russo fiel zunächst ins Koma und erlag vier Tage später ihren Verletzungen. Die Polizei forschte vor allem im Umfeld der Fakultät. Nach Wochen vergeblicher Ermittlungen gaben zwei Studenten der Fakultät einen Hinweis. Die als ehrgeizig geltenden Dozenten der Rechtsphilosophie Giovanni Scattone (30) und Salvatore Ferraro (31) hatten während eines Seminars einige Wochen vor der Tat die These vertreten, dass ein perfekter Mord möglich sei. Scattone soll das Seminar mit folgenden Worten eröffnet haben: »Es ist unmöglich, einen Mord aufzuklären, wenn der Täter kein Motiv hat und die Tatwaffe nicht gefunden wird.« Kein Mordfall beschäftigte die Öffentlichkeit so nachhaltig wie dieser ›Universitäts-Mord‹. Ist es denkbar, dass zwei unauffällige, wenngleich hochintelligente Männer wahllos eine junge Frau erschießen, nur um zu beweisen, dass ihre Theorie stimmt?

Diese Parallelen! Mir lief es heiß und kalt den Rücken hinunter. Ich stürzte in Jansens Büro: »Der perfekte Mord. Das ist es!«

»Kannst du bitte in möglichst klaren und deutlichen Sätzen reden?«

Ich atmete mehrmals tief durch und berichtete.

Als ich fertig war, schien mein Chef beeindruckt. »Die Studenten wollten den perfekten Mord beweisen! Nicht zu fassen. Sind die Italiener denn verurteilt worden?«

»Erst sechs Jahre später. Die beiden bekamen sieben und fünf Jahre Haft. Doch nur wegen fahrlässiger Tötung und nicht wegen Mordes, obwohl alles perfekt geplant war. Dieser Strolch Ministerpräsident Silvio Berlusconi wollte die zwei sogar noch begnadigen, aber da spielte dann selbst das italienische Parlament nicht mit.«

»Wie auch immer – es ist ihnen jedenfalls nicht gelungen, den perfekten Mord zu verüben. Unser Täter und sein Komplize machen einen neuen Versuch«, grübelte Jansen. »Kennst du den Hitchcock-Film Cocktail für eine Leiche? Da töten zwei Studenten einen Kommilitonen – inspiriert durch eine Betrachtung ihres Lehrers über Mord als Kunst.«

Mir fiel etwas ein. »Jetzt verstehe ich auch den Sinn der ersten Mail. Alle Wege führen nach Rom. Marta Russo wurde in Rom ermordet.«

Perfektion hat kein Motiv

Hauptkommissar Kleist war nicht zu erreichen. Ich hinterließ eine Nachricht, dass er mich dringend anrufen sollte. Wenig später ermittelte Jansens netzkundiger Kontakt den Standort des Rechners, von dem aus die Mail gesandt worden war – es war wieder ein Rechner in der Universitätsbibliothek.

»Was soll ich schreiben?«, fragte ich Jansen.

»Gar nichts«, erklärte er. »Wir sollten erst reagieren, wenn die Polizei unsere These für denkbar hält. Langsam mache ich mir allerdings Sorgen.«

»Wieso das denn?« Ich verstand nicht.

»Grappa! Mörder ohne Motiv sind viel unberechenbarer als Mörder, die aus einem bestimmten Grund töten. Schau mal durch dieses Fenster nach draußen! Da steht vielleicht schon jemand und zielt.«

Ich schaute nach draußen. Die Fenster der gegenüberliegenden Gebäude verwandelten sich plötzlich in Schießscharten und die wenigen Menschen, die gerade aus dem Fenster schauten, in potenzielle Schützen. Schnell ließ ich die Jalousetten herab.

»Ich habe keine Angst«, behauptete ich trotzig. »Und jetzt rufe ich Brinkhoff an.«

»Brinkhoff?«

»Er ist wieder im Lande. Und da ich Kleist nicht erwische, will ich ihn um Rat fragen.«

Eine Stunde später saß ich mit Brinkhoff in einem Café in der Nähe des Verlagshauses. Hier waren die Mandelhörnchen nicht so knackig wie bei Anneliese Schmitz. Auch fehlte ihnen die Schokolade an den Enden.

Ich erzählte ihm von der Idee, hinter dem Doppelmord könne der Wahn der perfekten Tat stecken.

Aber Brinkhoff korrigierte mich: »Ein perfekter Mord ist das hier überhaupt nicht. Perfekt ist ein Mord nur dann, wenn das Opfer ganz normal beerdigt wird. Mit einem echten Totenschein. Keine Ermittlungen. Das ist der perfekte Mord. Woran Sie denken, das ist der Mord ohne Motiv.«

»Hm.« Mehr fiel mir nicht ein.

»Ich kenne den Fall Marta Russo«, sagte Anton Brinkhoff. »Er hat die Diskussion über den Mord ohne Motiv damals enorm angeheizt. Und über die Zwei-Klassen-Justiz. Die Angeklagten konnten sich die besten Anwälte leisten, haben hinter den Kulissen weiter die Fäden gezogen und Zeugen unter Druck gesetzt, bis die ihre Aussagen wieder zurückgenommen haben. Die Univerwaltung hat außerdem die Ermittlungen boykottiert und die wenigen Indizien, die auf die Täterschaft der beiden Männer wiesen, vernichtet.«

»Unser Mörder und sein Komplize, die wollen jetzt zeigen, dass es doch möglich ist, ungestraft jemanden zu töten«, beharrte ich auf meiner Theorie. »Was für ein widerliches Spiel.«

Brinkhoff sah aus dem Fenster. »Wissen Sie, was diesen Mördern einen Strich durch ihre Rechnung machen wird?«

Ich nickte. »Ihre Eitelkeit. Die beiden wollen für ihr göttliches Werk bewundert werden. Und deshalb werden wir sie kriegen.«

»Wen meinen Sie denn mit ›wir‹?«, lächelte der Hauptkommissar im Ruhestand. »Sie, mich oder Herrn Dr. Kleist?«

»Ist doch egal. Hauptsache, die Typen kommen nicht davon. Helfen Sie dabei?«

Nun lachte Brinkhoff. »Ich kann ja mal schauen, ob ich noch zu gebrauchen bin auf meine alten Tage. Aber Sie sind der Boss, Frau Grappa! Wie sieht Ihr Plan aus?«

Am Abend machte ich einen langen Spaziergang. Aber ein Plan wollte sich nicht bilden. Nur ein Vorhaben – am nächsten Tag würde ich die SPD aufsuchen.

Die Lady und der Adel

Das Parteibüro der SPD lag mitten in der City in einer kleinen Seitenstraße der Fußgängerzone. Über der Eingangstür prangten die fetten roten Buchstaben im Morgenlicht, im Schaufenster lenkte ein Foto des Vorsitzenden den Blick auf sich: Mobby Madig mit rotem Schlips und erhobenem Zeigefinger vor einem Mikrofon. Es schien niemanden zu stören, dass Madig im Knast schmorte. Seine Partei stellte ihn weiter aus.

Neben dem Bild war eine Tafel mit den güldenen Worten des großen Vorsitzenden angebracht:

Die Bierstädter Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind sich sowohl der Tradition als auch der Zukunftschancen unserer Stadt bewusst. Wir wissen, wodurch sich unsere Stadt ihre Stärke und Ausstrahlungskraft bewahrt hat. Gerade deshalb setzen wir uns mit viel Engagement für die Entwicklung des ›neuen Bierstadt‹ ein, damit die Bürgerinnen und Bürger eine gesicherte und zukunftsfähige Zukunft haben.

Na ja, dachte ich, auf die Wortkombination zukunftsfähige Zukunft muss man erst mal kommen.

Ich drückte die Tür auf und stand in einem Flur. Überall hingen Wahlplakate von Kandidaten, die inzwischen ihr Mandat in Bezirksvertretungen, Räten, im Landtag, im Bundestag und im Europaparlament absaßen. Auf einer Hinweistafel standen die Namen der Mitarbeiter und ihre Raumnummern. Ganz auf dem neuesten Stand waren die Genossen nicht – ich entdeckte auch noch den Namen von Sandra Becker. Sie war zuletzt für die Mitgliederbetreuung zuständig gewesen.

Das ist doch ein Anfang, dachte ich. Mal sehen, wer sich inzwischen um die Sorgen und Nöte der Parteisoldaten kümmert. Entschlossen nahm ich den Aufzug in die zweite Etage.

Wenigstens neben der Tür hatte man Sandra Beckers Namen entfernt. Ich klopfte und ein »Herein« ertönte. Ein junger Mann saß hinter einem Schreibtisch, die Beine auf den Tisch gelegt. Im Regal hinter ihm stapelten sich Flugblätter, SPD-Fähnchen, Luftballons und weitere rote Devotionalien. Er war um die dreißig, korrekt gekleidet, etwas dicklich und sah aus wie ein zu groß geratener und verjüngter Danny De Vito.

»Guten Tag«, sagte ich. »Kann man hier Mitglied werden?«

»Grundsätzlich schon.« Er nahm die Beine vom Tisch und musterte mich unverhohlen.

»Komisch«, sagte er dann. »Die letzten zwei Wochen hatte ich nur Austritte zu bearbeiten. Und nun das!«

»Solidarität mit einer Partei in schlechten Zeiten«, lächelte ich. »Ich hätte dann gern mal das aktuelle Parteiprogramm und ein Beitrittsformular.«

»Ist klar.« Er erhob sich tatsächlich, schlenderte zum Regal und kramte.

»Sie sind neu, oder?«, fragte ich. »Ihre Vorgängerin ist ja tot. Stand groß in den Zeitungen.«

»Ich arbeite hier nur als studentische Hilfskraft. Zwei Stunden am Tag. Und die sind gleich um.« Er reichte mir die Papiere.

»Dann haben wir mal miteinander telefoniert«, sagte ich. »Als ich Herrn Madig suchte. Er war an dem Tag auf der Klausur im Goldsaal.«

»Ich weiß, Frau Grappa.«

Ich starrte ihn an. »Sie haben sich meinen Namen gemerkt?«

»Der ist ja nicht schwer zu behalten. Und Sie wollen nun wirklich der SPD beitreten?«

»Nein«, gab ich zu. »Ich wollte mich in diesem Haus umsehen. Immerhin ist die Mordwaffe in der Parteizentrale entdeckt worden. Wie heißen Sie eigentlich?«

»Gestatten: Elberberg.« Er schlug die Hacken zusammen.

Ich reichte ihm die Hand. »Angenehm.« Sein Griff war fest, die Augen klar.

»Können Sie mir die Stelle zeigen, wo das Gewehr gefunden wurde?«

»Die Polizei hat alles auf den Kopf gestellt«, entgegnete er. »Alle Spuren sind gesichert. Was hoffen Sie noch zu finden?«

»Keine Ahnung«, gab ich zu. »Aber vielleicht bekomme ich ja eine Inspiration.«

»Das Gewehr lag im Putzschrank in der Besenkammer. Bestimmt der richtige Ort für eine Eingebung. Kommen Sie.«

Ich folgte ihm in die dritte Etage. Auf dem Flur mussten wir über verstaubte Kartons steigen, die wohl seit Jahren dort vor sich hin gammelten. Werbematerial für eine Partei, die regelmäßig zu großzügig disponierte.

Elberberg schüttelte den Kopf. »Den Kram hier räumt niemand auf. Nicht mal die Spusi.«

Ich musste grinsen.

»So.« Er öffnete die Tür zu einer Kammer. »Das Gewehr stand rechts hinten in der Ecke, Kolben auf dem Fußboden, Mündung nach oben. Hinter dem Besen und dem Schrubber.« Er lehnte sich lässig an die Wand. »Und jetzt lassen Sie sich mal inspirieren«, grinste er. »Darf ich zuschauen?«

»Sie sind ganz schön frech«, konstatierte ich. »Was studieren Sie eigentlich?«

»Jura.«

»Haben Sie Sandra Becker gekannt?«

»Nein. Ich hab nur von ihr gehört. Sie hatte schon gekündigt, als ich anfing. Kann ich die Tür wieder schließen?«

»Klar. Es riecht ein bisschen streng da drin«, sagte ich. »Wird die Besenkammer abgeschlossen oder hat jeder Zugang?«

»Keine Ahnung. Aber gerade war die Tür ja offen. Warum sollte man Schrubber und Besen einschließen?«

»Das bedeutet also, dass jeder das Gewehr hier abgelegt haben kann«, schloss ich messerscharf. »Das entlastet Madig.«

Eine Frau kam auf uns zu. Das bringt hier nichts, dachte ich.

»Guten Tag, Herr von Elberberg«, grüßte sie.

»Von Elberberg?«, fragte ich.

»Ich kann nichts dafür«, lächelte der Student.

»Ein Adelsspross bei den Sozis? Wie ungewöhnlich. Wie kommen Sie denn mit einem Proleten wie Mobby Madig klar?«

»Der Herr Parteichef beachtet mich kaum. Aber das ist ganz gut so. Soll ich Ihnen noch was zeigen?«

»Madigs Büro.«

»Das ist abgeschlossen«, antwortete er. »Und von der Polizei versiegelt. Was wollen Sie in einem Zimmer finden, das der Erkennungsdienst schon durchgebürstet hat?«

»Die sehen auch nicht immer alles. Und wissen Sie warum?«, sagte ich. »Weil ihre Wahrnehmung nur auf das gedrillt ist, was sie finden müssen, um einen Beschuldigten dranzukriegen. Warum kann zum Beispiel eine verwelkte Rose auf einem Schreibtisch keinen Hinweis auf Täter oder Motiv geben? Es muss ja nicht immer die qualmende Knarre oder das blutige Messer sein.«

»Womit wir bei den objektiven und subjektiven Beweisen wären«, meinte Elberberg.

»Lassen Sie uns zu Madigs Büro gehen und nachschauen, ob das Siegel noch klebt!«, schlug ich vor.

»Dann müssen wir eins höher.«

Ich stieg hinter von Elberberg die Treppe hoch. Ein ungewöhnlicher junger Mann! Ich erinnerte mich an die Studenten, die ab und zu beim Tageblatt hospitierten. Fast alle gehörten in die Abteilung Schlaffi. Der hier nicht. Er machte trotz seiner vertraulichen Art einen offenen, freundlichen Eindruck.

Wir waren da. Das Siegel klebte noch, war aber durchtrennt worden. Ich drückte die Klinke runter. Der Raum war abgeschlossen.

»Wahrscheinlich war die Polizei noch mal da«, sagte der Student. »Und wo der Schlüssel ist, weiß ich nicht. Ich bin ja hier nur das Mädchen für alles.«

»Schade«, meinte ich. »Aber da kann man nichts machen.«

»Wollen Sie nicht doch in die SPD eintreten?«, grinste er. »Würde der Partei sicher guttun, mal ein bisschen aufgemischt zu werden.«

»Danke für die Blumen«, lächelte ich. »Aber gerade in Bierstadt gibt es zu viele dumme Männer in der SPD. Gucken Sie sich die Leute doch mal an!«

»Ich weiß. Ich habe schon bei so einigen Vorstandssitzungen Kaffee gekocht und Schnittchen geschmiert. Es war schon Hardcore, was da manchmal abgesondert wurde.«

»Und warum müssen Sie sich durch so schmutzige Arbeit Geld verdienen?«

»Der Verdienst ist unerheblich, das sind nur ein paar Euro«, erklärte Elberberg. »Ich hab wegen meiner Abschlussarbeit hier angeheuert. Die handelt von bürgerlichen Parteien und ihren Programmen.«

»Hört sich ja sauspannend an. Ich dachte, Sie studieren Jura und nicht Politikwissenschaften.«

»Das hängt doch letztendlich alles zusammen«, behauptete er. »Den genauen Titel meiner Arbeit müsste ich nachlesen – mein Professor hat sich was ganz Kompliziertes ausgedacht.«

»Lassen Sie mal stecken. Und danke, dass Sie mir behilflich waren. Wollen Sie das Parteiprogramm zurück?«

Von Elberberg schüttelte grinsend den Kopf. »Wir haben noch viele Tausend davon im Haus. Und die liegen wie Blei in den Regalen.«

Ich reichte ihm die Hand zum Abschied. Dabei fiel mein Blick auf ein Abzeichen, das er am Revers seines Jacketts trug: ein winziger schwarzer Reichsadler in einem dreieckigen Ordensspiegel. Das Wappen derer von Elberberg?

Brinkhoff hatte seinen Teil des Jobs erledigt und wir trafen uns am Mittag in der Redaktion.

»Wenn ich hier mal aufhören sollte«, sagte ich, »machen wir zusammen eine Privatdetektei auf. Für die ganz schwierigen Fälle.«

»Wirklich?« Er sah mich zweifelnd an. »Ich glaube nicht, dass Ihnen das liegt.«

»Und warum nicht?«

»Detektive müssen verschwiegen und unauffällig sein. Sie aber brauchen eine Bühne. Und die heißt Tageblatt. Aber das ist nicht alles: Ihre roten Haare machen verdeckte Ermittlungen unmöglich und Ihr Einparkverhalten ist so verräterisch wie ein Fingerabdruck.«

»Meine Haare lasse ich umfärben«, meinte ich. »Oder kehre zur Naturfarbe zurück. Die dürfte inzwischen einem dezenten Mausgrau ähneln. Außerdem gibt es heutzutage Autos, die automatisch einparken. Sogar Cabrios. Jetzt bestelle ich uns erst mal eine Pizza.«

Die war eine halbe Stunde später da und wir vertilgten sie in meinem Büro.

»Das reinste Chaos hier«, stellte Brinkhoff mit Blick auf die Zeitungsstapel und Bücher fest.

»Ich komme einfach nicht zum Aufräumen«, entgegnete ich. »Aber in Ihrem Büro sah es auch nie besser aus – wenn ich mich richtig erinnere.«

»Stimmt. Das alles fehlt mir sehr«, seufzte er. »Ich hätte nicht gedacht, dass mir das passieren wird – ins Rentnerloch zu fallen.«

»Deshalb sind Sie ja jetzt mit dabei. Was haben Sie rausgekriegt?«, kam ich zur Sache.

»Der Rechner steht in einem Lesesaal der Universität. Also in der Bibliothek. Die ist neuerdings vierundzwanzig Stunden geöffnet. Der PC wird für Recherchen gebraucht, ist also internetfähig. Ich habe mit der Bibliothekarin gesprochen. Die erzählte, dass die Computer – es sind insgesamt zehn – ständig benutzt werden. Von Studenten aller Fakultäten.«

»Und wie loggen die sich dort ein?«, fragte ich.

»Es gibt keine persönlichen Kennungen. An jedem PC ist ein Schild mit den Zugangsdaten angebracht. Warten Sie mal, ich hab ein paar Fotos gemacht.«

Brinkhoff holte eine kleine Digitalkamera aus der Jacke. »Moment. Ich muss erst mal die Fotos von meiner missglückten Traumreise überblättern.«

»Die dürfen Sie mir auch gern zeigen«, lächelte ich und rückte näher an ihn ran.

»Das war die Aussicht.« Ich sah blaues Meer. »Und hier – zwei Tage später.« Wieder blaues Meer. »Und das war kurz vor Kuba.« Das Foto zeigte – blaues Meer.

»Aufregend, was?«, kommentierte Brinkhoff. »Dagegen sind diese Aufnahmen hier wirklich spannend.«

Auf dem Display erschien der Lesesaal der Bibliothek. Ich erkannte einen Tisch mit Computern und ein paar Menschen.

»Natürlich haben meine ehemaligen Kollegen schon alles hinterfragt«, berichtete Brinkhoff.

»Wer ist das?«, fragte ich. Mein Blick hatte sich an einem Foto festgehakt. Zwei Menschen saßen gemeinsam vor einem Rechner.

»Die hübsche Blondine?« Er grinste. »Ich konnte nicht widerstehen. Jetzt sagen Sie nicht, dass ich ein alter Trottel bin.«

»Keineswegs. Können Sie das Foto mal ein bisschen größer machen?«

Er konnte.

»Sie sind kein alter Trottel, sondern eher ein schlauer Schnüffler. Die hübsche Blondine heißt Anna Wachowiak alias Lady Cora. Und der junge Mann nennt sich von Elberberg.«

»Und was bedeutet das?«

Ich klärte ihn auf.

»Tut mir leid, dass ich mich erst jetzt bei dir melde«, sagte Friedemann Kleist. »Ich hatte Termine im Landeskriminalamt. Du wolltest mich sprechen?«

Ich saß im Auto und fuhr rechts heran.

»Der Mörder hat mir eine Mail geschickt. Sie besteht aus zwei Worten: Marta Russo. Und sie wurde wieder von der Uni aus abgeschickt.«

»Mh.«

Ich spürte durchs Handy, wie er nachdachte.

»Sagt dir der Fall Russo etwas?«

»Ja sicher. Ein Mord ohne Motiv. Einer der Klassiker in der Geschichte des Verbrechens. Wohin bist du unterwegs?«

»Zu einem beruflichen Termin.«

»Wir müssen reden«, sagte er. »Geht es heute Abend? Ich mache mir Sorgen um dich.«

»Du weißt ja, wo ich wohne«, gab ich zurück.

Lady Cora hatte einem Treffen zugestimmt. Ich hatte ihr keinen Grund für meinen Besuch genannt, doch ich nahm einen Ausdruck des Fotos mit, das sie und von Elberberg im Lesesaal der Universität zeigte.

Anna Wachowiaks Appartement befand sich in der Innenstadt in einem Haus mit vielen kleinen Single-Wohnungen. Geschickt gewählt, dachte ich, hier kann jeder sein eigenes Leben gestalten – ohne Nachbarschaftskontrolle.

»Fahren Sie in die achte Etage«, sagte Lady Cora durch die Sprechanlage.

Oben empfing sie mich – ungeschminkt, mit roter Nase und in einem schlabbrigen Jogginganzug. Keine Spur von dem Hochglanz-Erotikgirl.

»Seit heute Morgen geht es mir nicht gut«, schniefte sie. »Wollen Sie einen heißen Tee?«

Ich stimmte zu. Sie ging in die Küche und ich nutzte die Chance, mich in der Wohnung umzusehen. Auf dem Schreibtisch lagen Papiere, die mit ihrem BWL-Studium zu tun hatten, und die Zeitschriften, in denen sie mit den zweifelhaften Erotikfotoserien vertreten war. Die Bücher in den Regalen dokumentierten einen Streifzug von Nackenbeißerschmalz über Beziehungsromane bis zum Psychothriller. Nichts Auffälliges.

Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück und reichte mir eine Tasse Früchtetee. Ich zog das Foto aus meiner Handtasche.

»Heute Morgen waren Sie noch an der Uni«, sagte ich.

»Sie haben mich fotografiert?«, fragte sie verdattert. »Was soll das?«

»Nein, nicht ich. Ein Bekannter. Wer ist der Mann neben Ihnen?«

Sie machte zu. »Warum wollen Sie das wissen? Kann man mich denn nicht einfach in Ruhe lassen?« Tränen flossen.

Sie spielt mir was vor, dachte ich, aber sie spielt es schlecht. »Also? Wer ist er?«

»Ein Student. Ich hatte Probleme mit dem Computer. Er war da und hat mir geholfen. Das war alles. Und schon steht irgendein Spanner mit einer Kamera da und drückt ab. Wie krank ist das denn?«

»Der junge Mann heißt Elberberg.«

»Keine Ahnung, wie der heißt. Glauben Sie, ich tausche gleich mit jedem Trottel meine Daten aus? Und jetzt raus hier, Frau Grappa!«

Wieder im Auto informierte ich Brinkhoff.

»Die saßen nicht zufällig nebeneinander«, behauptete er. »Die beiden machten einen sehr vertrauten Eindruck.«

»Aber warum lügt sie?«, grübelte ich. »Sie hätte doch einfach zugeben können, dass sie ihn von der Uni her kennt.«

»Was studiert dieser Elberberg?«

»Jura.«

»Einen Jurastudiengang gibt es in Bierstadt nicht«, erklärte Brinkhoff. »Die nächsten Möglichkeiten, Jura zu studieren, sind in Bochum, Münster und Köln. Irgendwas stimmt mit diesem angeblichen Studenten nicht.«

»Das Gefühl habe ich auch. Obwohl er mir nicht unsympathisch ist. Morgen früh überprüfe ich das Adelsgeschlecht derer von Elberberg. Haben Sie eigentlich Lust, heute Abend zum Essen zu mir zu kommen? Ein Abendessen zu dritt?«

»Und wer ist der Dritte?«

Ich lachte. »Ein Überraschungsgast.«

»Der Mörder?«

Kleist staunte nicht schlecht, als er Brinkhoff in meiner Küche entdeckte. Sein Blick verriet Irritation.

Wir teilten die beiden Pizzen in Dreiecke. Ich hatte einen Salat zubereitet.

Als Brinkhoff die italienische Teigscheibe sah, bemerkte er trocken: »Das ist schon die zweite heute. Ich seh bald aus wie eine Pizza.«

»Na gut, Plan S dann«, gab ich ihm recht. »Grappas Single-Mahl. Die Pizza friere ich ein. Aber wir bleiben in Italien. Pasta. Einverstanden, die Herren?«

Ich erntete Zustimmung und setzte Wasser auf. Pastasaucen hatte ich ja immer da. Ich verfeinerte die all’arrabiata mit Kräutern aus dem Garten. Brinkhoff und ich tranken Wein, Kleist blieb wie üblich beim Wasser.

»Wollt ihr mir jetzt zu zweit ins Handwerk pfuschen?«, fragte Brinkhoffs Nachfolger.

»Nein. Herr Brinkhoff hilft mir bei meinen Recherchen«, stellte ich klar. »Als freier Mitarbeiter der Redaktion. Der Presseausweis ist bereits beantragt.«

»Dann muss ich mich ja anstrengen.«

»Wir helfen dir, wo wir nur können.« Ich lächelte ihn an. »Und eine These habe ich auch schon.«

»Die wievielte wäre das dann?«, spöttelte Kleist.

Ich überhörte die Frechheit. »Ich bleibe dabei, dass Mobby Madig unschuldig ist. Neu ist der Hinweis auf den Fall Marta Russo.«

»Es kann auch sein, dass uns der Mörder in die Irre führen will«, wandte Kleist ein. »Vielleicht stammt die Mail von Madigs Komplizen.«

Wir ergingen uns in den wildesten Thesen. Vielleicht hatte Madig nicht Sandra Becker, sondern Jessica Brühl umgebracht? War Student Elberberg vielleicht kein echter Adelsspross, sondern der uneheliche Sohn von Jakob Nagel, der sich für Madigs jahrelange Intrigen rächen wollte? Welche Rolle spielte Lady Cora noch – außer der einer Edelnutte?

Inzwischen waren zwei Flaschen Wein geleert und die Pasta vertilgt. Brinkhoff und ich waren gut drauf. Kleist beobachtete uns mit einem milden Lächeln. Oder langweilte er sich einfach?

»Wir haben Frau Schmitz bei unseren Überlegungen vergessen«, nuschelte Brinkhoff. »Vielleicht hat sie die Schnittchen für die Sexpartys im Rathaus geliefert und Lady Cora ist ihre heimliche Enkelin?«

»Vielleicht betreibt Frau Schmitz ja auch einen konspirativen Kokainhandel«, steuerte ich bei. »Kokain sieht ja aus wie Zucker und es würde gar nicht auffallen, wenn in den Zuckertüten in Wirklichkeit Schnee wäre.«

»Dann werde ich ihr eine andere Backmischung für deine Mandelhörnchen vorschlagen«, meinte Kleist. »Wenn ich das nächste Mal unsere Frühstücksbrötchen hole.«

Brinkhoff grinste in sich hinein, ich wurde rot und Kleist amüsierte sich.

Schlagzeilen

Am Morgen weckte mich ein kleiner Kater. Ich verscheuchte ihn mit dem Einwerfen von für diesen Fall empfohlenen Tabletten, aß ein halbes Glas Gurken zum Frühstück und fuhr zur Arbeit. Von Elberberg – ich komme!

In der Redaktion holte ich mir als Erstes einen großen Becher Kaffee.

Bei den von Elberbergs gab es eine schlesische und eine ostpreußische Linie. Ich überflog die zahlreichen Burg- und Markgrafen seit dem 12. Jahrhundert und wurde schnell müde. Merkwürdig, dass Geschichte – zumindest wenn sie aufgeschrieben wird – fast nur aus Kriegen, Scharmützeln und anderen Gewalttaten besteht.

Das Stammwappen der Familie zeigte auf blauem Feld zwei schräg gekreuzte sechsendige silberne Hirschstangen. Auf dem Helm mit blau-silbernem Federbusch stand eine gekrönte Jungfrau mit langem güldenem Loreley-Haar. Als jüngster Sprößling des Geschlechts war Aldwin von Elberberg verzeichnet, Student.

Ich erinnerte mich an die Nadel mit dem Wappen an seinem Jackett. Das hatte allerdings keine Hirschgeweihe gezeigt, sondern den Reichsadler.

Ich setzte den Vornamen Aldwin vor den Nachnamen und landete auf seiner Homepage. Er war mit dreißig Jahren ein etwas zu alter Student. Aber sonst fiel mir zunächst nichts Ungewöhnliches auf. Unter dem Titel Aktuelles wurde ich dann fündig. Aldwin gehörte einer Burschenschaft an, dem Corps Potentia, das von Elberberg mit seiner Seite verlinkt hatte.

Ich klickte auf den Link.

Vor mehr als 250 Semestern gegründet, kann unsere Burschenschaft auf einige Höhen und Tiefen in ihrer Geschichte zurückblicken. Doch egal, ob wir uns Repressalien durch die Öffentlichkeit ausgesetzt sahen oder mit unserer Meinung dem Zeitgeist entsprachen, stets verband und verbindet unsere Mitglieder der Wille, auf der Basis einer freiheitlich-konservativen Grundordnung eine politische Meinung zu bilden und diese nach außen zu vertreten, fernab jeglicher politischer Opportunität. Die Verteidigung unserer traditionellen Werte ist unsere größte Herausforderung.

Das hörte sich sehr nach gestern, aber nicht kriminell an.

Das Corps Potentia hatte den schwarzen Reichsadler im Wappen. Der Wahlspruch lautete Virtus fidesque bonorum corona. Ich aktivierte meine rudimentären Lateinkenntnisse und kam auf folgende Übersetzung: Tugend und Treue, die Krone der Guten.

Was wollte der Dichter damit sagen? Keine Ahnung. Ob mir Brinkhoff aus meiner Ratlosigkeit helfen konnte? Ich erreichte ihn auf seinem Handy.

»Ich werde den Herrn Studenten observieren«, kündigte Brinkhoff an. »Er kennt mich nicht und wird keinen Verdacht schöpfen.«

»Hat er Sie in der Bibliothek nicht bemerkt?«

»Kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete der Hauptkommissar im Ruhestand. »Ich bin noch nicht so lange aus dem Job raus, dass ich alles verlernt hätte. Ich melde mich, sobald es was zu erzählen gibt.«

Nach der Redaktionskonferenz überflog ich die Konkurrenzzeitungen. Nichts Neues über die beiden Mordfälle. Das Interesse meiner Kollegen schien zu erlahmen. Neue Themen drängten sich in den Vordergrund: Eine Frau in Kalifornien hatte Achtlinge bekommen, obwohl sie schon sechs Kinder hatte. Eine italienische Patientin durfte nach siebzehn Jahren im Wachkoma endlich sterben.

Die konservative Regierung von Silvio Berlusconi hatte mit einem Gesetz die Sterbehilfe für die 38-Jährige verhindern wollen. Auch der Vatikan hatte immer wieder gegen die ›Euthanasie‹ argumentiert.

Das passt ja super, dachte ich. Die Mörder von Marta Russo hatte Berlusconi begnadigen wollen und diese junge Frau versuchte er, zum Weiterleben zu zwingen.

Auch Milva Grandis Elan, jeden Tag mit einer Schauergeschichte in ihrem Schmuddelblatt vertreten zu sein, schien verflogen. Ich blätterte die BILD durch. Bierstadt war nur einmal erwähnt.

WAR DER SEX ZU HEISS? HUREN-MOBIL STEHT IN FLAMMEN

Ein mächtiger Bums erschüttert einen VW-Bus in Bierstadt. Es ist das Sex-Mobil der Prostituierten Lola M. (28; Name von der Redaktion geändert). Dann brennt der Liebeswagen lichterloh. In letzter Sekunde rettet sich die Hure aus dem Bus. Sie erleidet Verbrennungen zweiten Grades, wird später im Krankenhaus behandelt. Die Feuerwehr löscht den Brand mit Schaum. Das Liebesgefährt ist nicht mehr zu retten. Der Freier wird gesehen, wie er hinter einem Busch seine Kleidung anlegt und das Weite sucht.

Es langte.

Der Tag plätscherte dahin. Bis zum frühen Nachmittag. Sekretärin Stella überraschte mich mit einer für sie ungewöhnlichen Aktivität. Sie brachte mir höchstpersönlich ein Fax in mein Büro.

»Ist bestimmt interessant für dich«, nuschelte sie durch ihr Kaugummi.

Ich schaute auf der Papier und erstarrte: Mobby Madig hatte den Mord gestanden. Allerdings den falschen. Er gab zu, Jessica Brühl erwürgt zu haben. Die Tötung von Sandra Becker und Thomas Schulz stritt er nach wie vor vehement ab.

Ich schrieb eine kurze Nachricht für die Händlerschürzen, die noch am Abend an die Verkaufsstellen des Bierstädter Tageblattes verteilt wurden.

Mobby Madig gesteht Mord – so die Überschrift in fetten Lettern. Und darüber in kleiner Schrift: Morgen im Bierstädter Tageblatt.

Danach verwandelte ich die karge polizeiliche Mitteilung in einen Sechzigzeiler und reicherte den Text mit Fotos aus Madigs bewegtem politischem Leben an. Auf einem Foto war er beim Verteilen von Rosen zu sehen. Ich untertitelte: Für Mobby Madig wird es keine roten Rosen mehr regnen – er gab zu, Jessica B. erwürgt zu haben.

Dann noch ein Bild von Jessica B., das uns die Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt hatte.

DIE KOKSERIN AUS DEM OB-BÜRO: JESSICA B. ERPRESSTE SPD-PARTEICHEF MIT SEXFOTOS

Der Inhalt des Schließfaches in der Sparkasse Bierstadt ist brisant: Fotos, die den SPD-Politiker Mobby Madig (56) beim Schmuddelsex mit Prostituierten und beim Drogenkonsum zeigen. Weitere Fundstücke: Belege, die beweisen, dass das Honorar für die Damen aus der Stadtkasse bezahlt wurde. Das Schließfach war auf den Namen von Jessica B. angemietet worden. Die Polizei entdeckte den Schlüssel im Landhaus des Parteichefs im ostdeutschen Brandenburg und konnte ihn zunächst nicht zuordnen.

In einer ersten Vernehmung gab Mobby Madig zu, mit den Fotos erpresst worden zu sein. Bei einem Treffen mit Jessica B. in deren Wohnung sei es dann zu einem heftigen Streit gekommen, in dessen Verlauf der Politiker die ehemalige Stadtbedienstete erwürgte. Danach suchte er in der Wohnung nach den Fotos, fand sie aber nicht. Den Schlüssel für das Schließfach nahm er an sich.

»Ich wollte das alles nicht«, so Madig. »Aber sie hat mich bis aufs Blut gequält.«

Die Opferrolle nehmen ihm Polizei und Staatsanwaltschaft nicht ab. Sie glauben, dass Madig niemals die Absicht hatte, auf die Erpressung einzugehen. »Wir ermitteln wegen Mordes«, so Hauptkommissar Friedemann Kleist. »Herr Madig tötete aus niederen Beweggründen. Er sah seine politische Karriere in Gefahr. Frau B. hätte ihn immer wieder zur Kasse gebeten – und das wollte er verhindern.«

Ich kochte mir einen starken Kaffee. Irgendetwas passte mir an der Sache nicht. Hatten sich Sandra Becker und Jessica Brühl eigentlich gekannt? Gesehen hatten sie sich bestimmt, denn zwischen SPD-Fraktion und Oberbürgermeisterbüro besteht stets reger Kontakt. Wenn Madig Jessica Brühl wirklich im Streit erwürgt hatte, dann käme er in einem Gerichtsprozess vermutlich mit Totschlag davon. Bei den bestens geplanten Taten an dem Brautpaar wäre eine Verurteilung wegen Mordes unumgänglich. Gab Madig die Tötung der Jessica B. zu, um von dem Doppelmord abzulenken?

Mir schwirrte der Kopf. Der bringt doch nicht drei Menschen um, dachte ich. Und was war mit Aldwin von Elberberg? Hatte der Adelsspross Madig unterstützt? Er saß schließlich in dessen Parteibüro – sozusagen Tür an Tür mit ihm.

Wenn er Madigs Komplize sein sollte, warum hat ihn Madig nicht auch eliminiert? Und was für einen Sinn machte der Hinweis auf Marta Russo und den Mord ohne Motiv?

Ich kam mir vor wie eine Puzzlespielerin, die zu viele Teile unterbringen musste.

Vielleicht wusste Sandras Mutter, Waltraud Becker, wie eng der Kontakt zwischen ihrer Tochter und Jessica Brühl gewesen war – falls es überhaupt einen gegeben hatte. Doch sie meldete sich nicht am Telefon. Ich hinterließ mein Sprüchlein auf ihrem Anrufbeantworter.

Als ich den Weg nach Hause nahm, dämmerte es schon. Die weißen Händlerschürzen des Bierstädter Tageblattes waren bereits ausgeliefert und angebracht worden. Der Satz Mobby Madig gesteht Mord prangte hundertfach in der Stadt und begleitete mich bis fast vor die Haustür.

Wer kennt wen?

Frühstückszeit am Wochenende. Kleist hatte sich eingeladen und das bedeutete: frische Brötchen, viel Kaffee und ein freimütiges Gespräch. Während ich den Tisch deckte, las er meinen Artikel im Bierstädter Tageblatt. Wir agierten wie ein älteres Ehepaar: Sie macht sich in der Küche nützlich und er wendet sich dem Weltgeschehen zu.

»Wie kam es eigentlich zu Madigs plötzlichem Geständnis?«, fragte ich.

»Ich habe ihm damit gedroht, dich zu ihm zu lassen«, grinste Kleist. »Wenn das bei allen so klappen würde, bekämst du eine Festanstellung bei uns.«

»Aber nur mit Pensionsanspruch«, meinte ich. »Wie geht es weiter mit ihm?«

»Er plappert wie ein Wasserfall. Ist kaum zu bremsen. Natürlich versucht er, seine Schuld so klein wie möglich zu reden.«

»Machst du mir noch einen Kaffee, bitte?«

Er stand auf und bediente die Hightechmaschine. Die Milch zischte und schäumte in die Tasse. Ich überlegte, ob ich jeden Tag einen Mann in meinem Haus ertragen könnte, kam aber zu keinem Ergebnis.

»Madig behauptet allen Ernstes, dass Jakob Nagel der Drahtzieher hinter allem ist.« Kleist stellte die Tasse vor mich auf den Tisch. »Nagel höchstpersönlich habe Jessica Brühl auf ihn, Madig, angesetzt.«

»Und sie hat ihn dann mit vorgehaltener Waffe gezwungen, Kokain zu schnupfen und mit Nutten rumzumachen. Klingt ja vollkommen logisch. Habt ihr eigentlich eine Haarprobe von Madig genommen?«

»Sicher. In der Untersuchungshaft ist mal zufällig ein Haar in seinem Kamm hängen geblieben. Das landete dann ebenso zufällig in der Analyse.«

»Und?«

»Du würdest es so ausdrücken, Maria: Der Kerl hat gekokst wie ein Weltmeister.«

Wir lachten. Kleist nahm meine Hand und hielt sie. Tiefe Blicke. Zum Glück klingelte mein Handy. Ich pflückte meine Hand aus seiner und packte das Telefon. Waltraud Becker.

»Danke, dass Sie anrufen«, sagte ich. »Sagt Ihnen der Name Jessica Brühl etwas?«

»Das ist doch die tote Frau, die beim Oberbürgermeister gearbeitet hat. Ich hab davon in der Zeitung gelesen«, antwortete sie.

»Kannten sich Sandra und Frau Brühl? Vielleicht sogar näher?«

»Näher? Nein. Thomas war mit ihr besser bekannt.«

»Ihr Schwiegersohn?«

»Ja. Frau Brühl war seine Tante. Sie hat dafür gesorgt, dass Thomas den Job bei der Stadtverwaltung bekam.«

Das war mir neu. Ich hatte Thomas Schulz bei meinen Recherchen völlig vernachlässigt.

»Wo hat er denn gearbeitet?«, wollte ich wissen.

»Als Sachbearbeiter beim Rechnungsprüfungsamt.«

Stimmt, das hatte Frau Becker ja schon mal erzählt. Das passt ja gut, dachte ich. Die Tante unterschlägt Geld aus der Stadtkasse und der Neffe arbeitet in dem Amt, das die Auszahlungen nicht prüft.

»Mochten sich Sandra und Jessica nicht?«

»Sie gingen sich aus dem Weg«, antwortete Frau Becker. »Sandra hat Frau Brühl … warten Sie mal, wie war das doch? Sie hatte so einen komischen Spitznamen. Irgendwas mit Frosch. Ich hab’s gleich.«

»Lassen Sie sich Zeit.«

»Ah, ja. Froschauge. Frau Brühl wurde Froschauge genannt.«

»Froschauge?« Ich war irritiert. »Warum das?«

»Die Frau Brühl hatte so hervorstehende Augen und einen breiten Mund«, antwortete Frau Becker. »Vielleicht deshalb. Sandra hat sich jedenfalls darüber lustig gemacht.«

Kleist hatte mein Gespräch mit Frau Becker mitgehört und dabei entspannt ein Glas Fruchtsaft getrunken.

»Habt ihr euch eigentlich um Thomas Schulz gekümmert?«, fragte ich und widmete mich wieder einem Brötchen.

»Wir haben die privaten und dienstlichen Umstände aller Toten untersucht«, antwortete er. »Das ist die Grundlage jeder Polizeiarbeit. Möchtest du mal ein Praktikum machen bei uns?«

»Wenn, dann nur in deinem Vorzimmer! Dann weißt du bestimmt, dass Thomas Schulz beim Rechnungsprüfungsamt beschäftigt war und die Brühl ihn dort untergebracht hatte?«

»Schulz war nur ein kleiner Sachbearbeiter ohne jegliche Kompetenzen«, erklärte Kleist.

»Aber das hat doch alles miteinander zu tun!«, rief ich aus.

»Mag sein. Das liegt an den Konstellationen in dieser Stadt. Die SPD ist hier schon so lange an der Macht, dass alle nur denkbaren Posten mit parteinahen Menschen besetzt sind. Und mit ihren Kindern, Nichten und Neffen. Ich habe selten so viel Filz gesehen wie hier. Der Stadtkämmerer wird Chef der Stadtwerke und beerbt den früheren Oberstadtdirektor. Der Geschäftsführer der SPD wird Flughafenchef. Und das sind nur zwei Beispiele.«

»Für die CDU fällt aber auch mal was ab«, wandte ich ein. »Ein CDU-Politiker war lange Jahre Chef des Bierstädter Hafens. Und zum Pressechef des städtischen Entsorgungsunternehmens hat es sogar ein Grüner geschafft. Selbst willfährige Journalisten können es weit bringen.«

Kleist lachte. »Weshalb bist du bei deinem Tageblatt geblieben? Hat dir keiner ein Angebot gemacht?«

»Weil ich nicht willfährig bin.«

»Schade.«

»Was?«

»Ich fände ein bisschen Willfährigkeit jetzt gerade gar nicht so übel«, grinste er. »Ich gehe schon mal vor.«

Es wurde ein sehr gemütlicher Sonnabend.