Der Februar ist rasch eingeläutet! - Nachdem Francesco eine Woche lang ungeduldig bei seinen Eltern ausgeharrt und sich dabei streng nach dem Leitsatz seiner Mutter »Überanstreng’ dich bloß nicht, mein Junge« gerichtet hat, ist es ihm nun - nach einem ärztlichen Check - erlaubt, sich mit Hilfe von Krücken fortzubewegen. (Dauer des nachfolgenden Stockeinsatzes: mindestens eine Woche! Es kommt hierbei auf den hoffentlich günstigen Heilungsprozess des lädierten Beines an.)

Somit ist Francesco im Grunde genommen wieder arbeitsfähig und einsatzbereit. Vinzenz fährt ihn nun frühmorgens zum Bürogebäude und hinterher hilft er seinem gehandicapten Chef noch bei der Bewältigung der wenigen Treppen Richtung Arbeitsplatz. Im Anschluss an diese Tortur wird der humpelnde Boss schließlich seiner Privatsekretärin ausgehändigt, die ihm dann jeden Wunsch von den getreuen Äuglein abliest. (Ich habe aber wegen dieses kurzfristig eingebürgerten Übergabezeremoniells keine Bedenken. Die graumausige Frau Polzack kann in ihrem vermutlich sehr beschränkten Repertoire höchstwahrscheinlich ohnehin mit nichts aufwarten, was meine sorglose Wenigkeit nicht auch in irgendeiner Form anbieten könnte? – Nun gut, sie hat Francesco als Person, aber sonst hat sie nichts, ha! Er teilt Kopfkissen und Bett beziehungsweise Telefonleitung allein mit mir!)

Die Zeit, um mir in den nächsten Tagen einen Besuch abzustatten, reicht Francesco, durch die entgangene Arbeitswoche, bedauerlicherweise nicht aus. »Ich muss leider nachsitzen!« - hatte er mir gegenüber klagend erwähnt. »Tja, Übermut tut selten gut! S.S.: Selbst Schuld, du Raser!« – war meine neckische Antwort darauf.

Meine Freizeitgestaltung leidet dennoch nicht durch diese Bekanntmachung, ganz im Gegenteil: Caro möchte ohnehin zwei Tage (Montag und Dienstag) nach Wien reisen und nun kann ich sie auf diesem Ausflug bedenkenlos begleiten.

 

 

Der Wiener Sightseeingtrip ist bis zu einer unverhofften Begegnung aufschlussreich, anstrengend und vielseitig. Wir haben gleich am Anreisetag das altehrwürdige Schloss Schönbrunn und das ebenfalls antike Belvedere, wo zurzeit gerade eine bemerkenswerte Klimt-Ausstellung einlogiert ist, besucht. Als wir zu guter Letzt auch noch den Tourismusmagneten Prater erfolgreich hinter uns gelassen haben, tasten wir uns mit der Tram allmählich in den ersten Bezirk vor. Nach der ausgelassenen Spazierfahrt am Ring wollen wir unsere strapazierten Glieder eigentlich nur noch gemächlich hochlagern.

Was die anstrengende Lauferei des Tages vergessen lassen und was vornweg für unsere Knochen sofortige Linderung versprechen würde, liegt dabei so unglaublich nahe. Wenig später entspannen wir bereits bei einem absolut leckeren, kraftspendenden Drink im erlauchten Haas-Haus und beobachten sorgenfrei das emsige Drumherum.

Plötzlich bleibt unser Blick an jemanden haften. Ja … wen erspähen unsere aufmerksamen Augen an dem geschäftigen Ort der Bekömmlichkeit? Wer platzt ungeniert an der Bar? Unser beziehungsweise Nikes ehrenwerter Bernie! Und … platzt er da allein? Nein!!! Er lehnt lässigleger an der Bar und neben ihm sitzt ein zierlicher Hintern mit schwarzem, langem Haar, das ihr bis zum besagten Allerwertesten reicht. Sie schüttelt amüsiert die wallende Mähne, währenddessen Bernie anscheinend irgendetwas Vergnügliches ausplaudert und … er tätschelt ihr dabei gebieterisch ihre Sitzbacken! Darauf zieht er alle Register! Er zerrt sie stürmisch an sich heran und Madam folgt ihrem Befehlshaber willig und danach … küsst er sie mit jener Leidenschaft, wie Francesco mich küsst!!!

Mit Leidenschaft, die Leiden schafft!

Caro und ich beobachten verblüfft die funkenspritzende Szenerie und hoffen dabei noch inständig, dass uns unsere Adleraugen einen bitterbösen Streich spielen. Die turtelnden Täubchen sind wunderbar in der breiten Spiegelfront der in dunklem Holz gebeizten Bar auszumachen. Madams Hand durchstöbert unterdessen sanft Bernies Haar (hierbei funkelt mir erkennbar etwas Teures, Edles entgegen und … diese besagte Lichtreflexion steckt darüber hinaus anschaulich an Madams Ringfinger). Ich brauche eine flüchtige Schreckminute bis sich die gerade aufgedeckten und unglaublich widrigen Erkenntnisse bis zu meinem völlig schwerfälligen Großhirn durchgearbeitet haben. Caro ist in dieser fatalen Situation eindeutig schneller von Begriff. Sie peilt die beiden verschlungenen Zungen schnurstracks an und gibt Bernie einen ganz und gar unsanften Hieb in die Rippen.

»O Verzeihung! Ach, Bernie, mein Lieber, du hier! Ich wusste gar nicht, dass sie dich schon wieder entlassen haben, ich dachte mir ...«

»Hey, was soll denn das!«, bemerkt er barsch.

Dieser Bastard hat seine Stimme sofort wiedergefunden! Ich hätte ihm eigentlich, wegen unseres unerwarteten Stelldicheins viel mehr Fassungslosigkeit zugetraut, aber … so kann man sich täuschen! Ich leiste, auf diesem abrupten Kontra hin, Caro sofort Schützenhilfe.

»Hallo, Bernie! Sag einmal, ist das wahr oder behaupten das nur böse Zungen? Ich weiß, in unseren Kreisen ist das nicht üblich, aber …«, ich schleiche mich verschwörerisch zu ihm und pirsche mich geschickt an sein Ohr heran, um ihm etwas offensichtlich sehr Vertrauliches zuflüstern zu können. Natürlich kommuniziere ich genau in der richtigen Dosierung mit Bernies Ohrläppchen – nicht zu laut und auf keinen Fall zu leise -, denn es ist überaus wünschenswert, dass Madam die indiskreten Details auch belauschen kann, immerhin sollte die Pointe ja an der richtigen Stelle platziert werden, »hast du dir wirklich Syphilis eingefangen?«

»Hoffentlich noch im Frühstadion, sonst sieht’s bitter aus, was?«, entgegnet Caro flüsterleise und macht dabei ein schmerzverzerrtes Gesicht.

»Bernhard! Was reden diese beiden Frauen da bloß?«, will Miss. Schwarzkopf spitzmündig wissen.

»Wie lange sind Sie denn schon mit diesem werten Herren hier liiert?«, frage ich neugierig.

»Jetzt reicht’s aber! Hier hört der Spaß eindeutig auf!«, merkt er, an unsere Adresse gerichtet, an, bevor er sich wieder seiner konfus wirkenden Zungenbeschwörerin zuwendet. »Ich kann das erklären!«

Ups ... nun wird seine Stimmlage lauter und … jetzt wird sie wieder etwas leiser! Man könnte diese eigentlich momentan mit einer gänzlich unstabilen Tonleiter vergleichen, tja … mit einer so dermaßen wackeligen Tonleiter, die allenfalls sogar gleich vollends umzukippen drohte.

»Schatz, ich habe dich etwas gefragt! Wer sind diese beiden Frauen?«, will Zimtzicke noch immer wissen.

»Sei nicht so unhöflich und stell uns schon vor!«, versucht ihm Caro Mut zuzusprechen. »Nun gut, dann eben nicht!«

»Komm, wir gehen!«, faucht Bernie daraufhin seine bessere Hälfte verärgert an und knallt einen Geldschein auf die Bar.

»Ich denke nicht daran. Was soll das alles bedeuten?«, widerspricht sie ihm laut, währenddessen er sie bereits verzweifelt vom Barhocker runterzerrt und in Richtung rettenden Ausgang schiebt.

»Und Bernie …«, zirpt ihm Caro nach, »ich finde es wunderbar, dass du eine so selbstlos liebende Partnerin gefunden hast, mit der du alles, wirklich ALLES teilen kannst.«

»So lass mich doch endlich los!«, kreischt sein Püppchen nun aufmüpfig. Mit diesen Worten schnellt allerdings die Lifttür schon wieder zu und Bernie und sein geliebtes Wesen, mitsamt ihres derzeit sehr aufgebrachten Stimmchens, entschwinden.

Ich kann es schlichtweg nicht glauben! So ein elendiger Mistkerl! Hurensohn! Wie lange er diese Verbindung wohl schon aufrecht hält? Er führt, fernab von Nike, offenbar ein völlig sorgenfreies Doppelleben.

»Ist dir der Klunker an ihrem Finger aufgefallen?«, fragt mich Caro verblüfft und wirft sich dabei, erschöpft von der Bummelei oder niedergeschlagen von der bitteren Wahrheit, die wir eben erfahren haben, in einen Sessel. »Das kann doch wohl nicht sein! Nicht Bernie! Wie lange ist er nun schon mit Nike zusammen? Drei, vier Jahre, oder? Und Nike hat nichts gemerkt. Na, als Betroffene merkt man so was immer erst am Schluss, aber wenigstens wir hätten doch etwas checken müssen!«

»Ich muss gestehen, dass ich einmal einen sehr leisen Verdacht gegenüber diesem elenden Lump gehegt habe. Bitte frag mich nicht wieso, ich weiß es nämlich nicht! Ich hatte dazumal keine stichhaltige Begründung, ich hatte lediglich so ein flaues Gefühl in der Magengegend, also hab’ ich Nike gegenüber nichts erwähnt.«

»Unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist, was!«, bemerkt Caro stirnrunzelnd und in ihrer Stimme schwingt dabei eindeutig ein gewisses Maß an Resignation mit.

»An diesen Spruch hab’ ich mich tatsächlich gehalten«, gestehe ich ihr. »Aber ab heute sollten wir so dermaßen schlaue Leitsätze nicht mehr für bare Münze nehmen!«

Nun, die Bahnfahrt zurück in unsere heimatliche Wirkungsstätte ist folglich alles andere als lustig. Die Landschaft streicht wie eine imaginäre Künstlerlandschaft an meinem inneren Auge vorüber. Ich starre geistesabwesend aus dem Fenster und hänge dabei trübsinnigen Gedanken nach. Wie soll ich Nike nur dieses absolut scheibenbekleisterte Bernie-Fiasko-Dilemma erklären?

Wir (Elvira, Caro, Alex, Nike und meine Wenigkeit) haben einander einmal geschworen: Sollte sich eine von uns in einer Beziehung wieder finden und ihr ach so treuer Partner würde von einer von uns bei irgendetwas Illegitimen erwischt oder entlarvt werden, dann würden wir einander immer die Wahrheit sagen, egal wie schmerzvoll sie für die Betroffene auch sein mochte! Besser ist es, die Wahrheit zu kennen, als zuletzt als gehörnte Frau dazustehen!

Der Eingang einer Kurznachricht unterbricht meine grotesken Gedankengänge. Caro hat ebenfalls eine SMS erhalten, denn auch ihr Handy macht sich piepsend bemerkbar. Na, mal sehen!

Oh, ich habe gerade eine Nachricht von Raffael bekommen:

 

 

Hallo Mädels! Wir geben am Freitag den 13ten, um 20 Uhr in unseren Räumlichkeiten eine erlesene Valentin-Party und ihr seid dazu herzlich eingeladen. Falls ihr diesem Event beiwohnen möchtet, dann meldet euch bitte gleich im Anschluss, wir wollen nämlich ein Wichtelspiel veranstalten und dann müssen eure Namen auch in den Pot! Also, bis dann. L.G. Raffael

 

 

»Eine Valentin-Party am Dreizehnten? Typisch Raffael! Sollen wir das Happening in Augenschein nehmen?«, fragt mich Caro.

»Natürlich! Wird bestimmt lustig. Diese Party muss unter Umständen als kleine Stimmungserhellung herhalten.«

Ich antworte Raffael mit: »Zähl auf mich!« Wenige Minuten später leuchtet mein Display erneut auf und »Elvira = dein Wichtel (Kostenobergrenze bei Geschenk 50,- €)« erscheint. Nun, gut! Da lässt sich bestimmt etwas Passendes finden.

 

 

Das Taxi setzt mich zwei Stunden später vor meiner Haustür ab. Nike ist längst zu Hause, denn unsere Wohnung ist bereits hell erleuchtet. Ich habe mich entschlossen, ohne große Umschweife zum brisanten Thema zu kommen. Je schneller ich diese Unannehmlichkeit hinter mich bringen kann, desto besser.

Als ich die Wohnungstür aufstoße und mein Gepäck im Flur abstelle, dringt allerdings schon ein anhaltendes Schluchzen zu mir vor! Ich werfe die Tür zurück ins Schloss und mache mich unverzüglich auf die Suche nach meiner Freundin. Ich finde Nike mit einem trostspendenden Glas Mega-Nutella und einer bereits geleerten Piccoloflasche Prosecco im Bett vor, ihre Augen sind gequollen, ihre Wangen sind tränenüberströmt und der Fußboden im Umkreis zu ihrem Bett droht im Papiertaschentücherchaos unterzugehen.

Nachdem ich ihr schließlich entlockt habe (Bernie, dieser jämmerliche und feige Hurenbock, hat ihr per Telefon reinen Wein eingeschenkt. Er hat es nicht für nötig empfunden, seiner langjährigen Freundin persönlich die Hiobsbotschaft vom Beziehungs-Aus zu überbringen, da er morgen früh einen geschäftlichen Termin hat, den er anscheinend nicht verschieben oder gar absagen kann. Aber hinterher will er gütigerweise etwas Zeit für ein persönliches Vorsprechen einrichten. – Der Mistkerl hat ganz genau gewusst, dass ich meine Berichterstattung schneller als er an der entsprechenden Adresse abliefere), was hier vorgefallen ist, mache ich ihr schnell eine Tasse Tee, und bevor ich den dampfenden Becher serviere, entschließe ich mich dazu, noch einen großzügigen und in diesem Stadion der Verwundbarkeit sicherlich wohltuenden Schluck Rum hineinzukippen. Danach will Nike mit Nutella und ihrer heißen Kummertasse allein sein.

Die tourismusbedingte Hochkonjunktur in der Arbeit hilft Nike vorerst über die folgenreichen und doch noch so anhaltenden illusorischen Geschehnisse hinweg (zumindest tagsüber hält sie sich tapfer. Trost findet sie momentan in unzähligen Schokoladeriegeln, in Eiscreme, Waffeln, Kuchen, Kekse und natürlich in Nutella! – Anmerkung: Sie hat diese besagten Artikel nicht in der handelsüblichen Norm, sondern im allergrößten Megaformat erstanden).

Bernie ist zwar wie angekündigt auf unserer Schwelle aufgetaucht, aber Nike wollte ihn weder sehen noch sprechen und somit habe ich mich als unnachgiebiger Racheengel betätigt und ihn ins Höllenreich des Satans verbannt, wo ganz gewiss ein schnuckelig warmes Plätzchen für ihn reserviert ist.

Tags darauf ereilt mich im Coffee-Shop ein Anruf von Nike. Sie teilt mir kurz und bündig mit, dass sie ein wenig Abstand zum Alltag bräuchte und dass sie sich daher entschlossen hatte, eine Woche in den Süden zu fliegen. Auf meine Frage, wann denn dieser kurzfristige Ausflug beabsichtigt sei, bedeutete sie mir, dass sie schon mit gepackten Koffern am Flughafen stünde. Sie sei aber, so versichert sie mir, pünktlich zur Valentin-Party wieder im Lande. Ich wünsche ihr infolge einen guten Flug, ein tolles Hotel, leckere Drinks und ein paar heiße, durchtrainierte Animateure. Am Ende unseres Gesprächs ringe ich ihr noch das Versprechen ab, mir - ihrer zu Hause in der Kälte des Winters eingepferchten und tapfer ausharrenden Freundin und Wohnungsgenossin – wenigstens eine nette Postkarte zukommen zu lassen, damit meine unterkühlten Gliedmaßen eventuell auch etwas von der wärmenden Sonne, dem feinkörnigen Sandstrand und dem erfrischenden, azurblauen Meer aufnehmen können.

 

 

So … ich habe hiermit sturmfreie Bude! Ich werde gleich heute Abend Francesco von dieser glücklichen Fügung in Kenntnis setzen und ihn einfach zu mir einladen.

Tja, der Plan mit Francescos Übernachtung fällt bedauerlicherweise ins Wasser, da mein fleißiges Bienchen noch immer nachsitzen muss! (Aber er ist darum bemüht, sich eventuell ein paar Stunden freizuschaufeln. Sollte ihm dieses Vorhaben gelingen, dann wollte er unverzüglich bei mir vorbeikommen.)

 

 

Elviras Wichtelgeschenk ist wahrlich bezaubernd! Ich habe es in einem entzückenden Blumengeschäft in der Nähe des Marktplatzes entdeckt und sofort erstanden. Es handelt sich dabei um eine quadratische, safranfarbig grundierte Leinwand. In der Mitte befindet sich eine herzförmige Ausbuchtung, die mit zierlichen, burgunderroten Rosenblättern eingefasst ist und somit echt was her macht. Ideal für Valentin!

 

 

Freitag der 13.

 

 

Man soll jede gute Gelegenheit benützen zu feiern.

Das Leben sorgt schon dafür,

dass es nicht zu häufig vorkommt.

(Horst Wolfram Geissler)

 

 

Die zweite Februarwoche verläuft bislang verhältnismäßig ruhig. Francescos unermüdliches Bestreben nach meiner Nähe hat zum Glück Früchte getragen, denn er hat mir tatsächlich einen kleinen feinen Besuch abgestattet.

Ich musste unwillkürlich lächeln, als ich ihn auf Unterarmstützkrücken durch das Portal des Café Royal auf mich zuhumpeln sah. Tja, und nach diesem beglückenden Kaffeeklatsch ist mein Prinz leider auch schon wieder davongebraust! (Aber nett war es trotzdem – auch wenn die Zeit des Wiedersehens gar ein bisschen zu vergänglich war.)

Nikes Landeanflug ist um die Mittagszeit angesetzt, und da ich heute kurzfristig meinen freien Tag beanspruchen kann, habe ich es mir nicht nehmen lassen, sie (mit meinem lieben, getreuen Muckilein) am Flughafen abzuholen. Sie sieht erholt aus (Gott sei Dank!) und ihr sonst blasswangiger Teint ist erfreulicherweise einem Hauch Farbe gewichen.

Nachdem ich ihr während der kurzen Autofahrt die allernotwendigsten Berichte abgeknüpft und sie im Anschluss unversehrt zu Hause abgeliefert habe, stopft sie nur rasch ein paar Klamotten in die Waschmaschine. Danach macht sie sich schon wieder auf den Weg zurück in die Stadt, um irgendetwas abzuklären. Was ich mir unter dieser spärlichen Info vorstellen darf, hat sie mir allerdings nicht verraten. Zur Eröffnung der Valentin-Party wollte sie jedoch rechtzeitig zurück sein.

Da sich Nike offensichtlich nun doch verspätet, stapfe ich schon mal allein zu den Jungs hoch. Alex, Caro und die beiden Gastgeber platzen bereits im Wohnzimmer, die Hintergrundmusik ist dezent gehalten und in der ganzen Wohnung leuchten dem Besucher flackernde Kerzen entgegen. Raffael hat an einer Staffelei ein Bild mit einem riesigen Herz befestigt (zum Glück ist das schauderhafte Gemälde von Elisabeth verschwunden, das hätte gewiss nicht nur Nike deprimiert!) und davor findet sich der Präsenttisch für unser Wichtelspiel ein. Gleich nach mir trifft Elvira ein. Sie drapiert ihr Geschenk rasch auf dem Tischchen und gesellt sich dann ebenfalls zu uns auf die Couch. Wir nippen am Wein und überbrücken die Wartezeit mit einer fröhlichen Anekdote zum heutigen Tag.

Da Raffael heute Abend frei brauchte, hatte sich Iris dazu breitschlagen lassen, mit ihm den Dienst zu tauschen. Ein schwerwiegender Fehler - im Nachhinein betrachtet. Raffael erschaudert bei dem Gedanken daran noch immer, aber mich kann er nicht schockieren, ich kenne unser Hypochonderlein zu gut … dachte ich zumindest! Raffael spielte demzufolge in diesem Zweipersonenspiel eine der tragischen Hauptrollen und nun ja, Frau Grinsel besetzte die andere.

»Also, das glaubt ihr mir ja nie!«, bedeutet uns Raffael vehement. »Bevor ich euch das erzählen kann, brauche ich noch einen kräftigen Schluck Wein!«

»So schlimm, was? Du hast mein Mitgefühl«, antworte ich ihm anteilnehmend.

»Frühdienst ist für mich ab heute und für alle Ewigkeit gestrichen«, stellt er trocken fest und schüttelt sich dabei schon wieder angeekelt. »Darf ich den Damen noch etwas zu knabbern anbieten, bevor ich mit meiner Erzählung beginne?«

»Bloß nicht! Ich will in Dubai meine herrlichen Sommerkleider tragen, schon vergessen!«, bemerkt Alex entsetzt.

»Und, wie sieht’s nun bei dir aus? Gratis oder doch nicht gratis, das ist hier die Frage! Ein paar Kilo hast du auf jeden Fall abgenommen, das merkt man am Hinterteil«, gibt Raffael feinfühlend zurück.

Oh, über das Gesicht von Alex ist kurzfristig aber augenfällig ein Funkeln gehuscht. »Zwischen mir und meinem angestrebten Gratisurlaub stand heute Morgen um Punkt neun Uhr nur noch ein klitzekleines halbes Kilo. Ich bin daraufhin leicht in Panik geraten, da sich Stefan mitsamt Waage - um zehn Uhr angekündigt hat.«

»Oje!«, entweicht es mir spontan. »So knapp vor der Ziellinie. Das ist bitter!«

»Oh, nein, nein, nein! Du solltest eigentlich schon wissen, dass ich mich nicht so leicht geschlagen gebe«, merkt Alex an und sie strahlt dabei wie ein Honigkuchenpferd.

»Also, hast du es doch geschafft! Aber wie zum Teufel hast du es angestellt, dass die paar Gramm auch noch zeitgemäß gepurzelt sind?«, will Caro wissen.

»Ich habe einen uralten Trick angewendet.«

»Welcher wäre?«

»Ich habe mir schnell ein dampfendes Salzwasserbad eingelassen und danach habe ich in der Sole geschwitzt, was das Zeug hergehalten hat. Pünktlich um zehn bin ich dann auf die Waage gehüpft und siehe da, Trick siebzehn hat tatsächlich funktioniert! Stefan hat daraufhin unsere Reservierung bestätigt und morgen geht’s schon los.«

»Deswegen feiern wir den Valentin auch heute und nicht erst morgen«, erklärt uns Raffael.

»Und welche Diät hast du nun probiert?«, will ich wissen, da mein Gewicht trotz des grippalen Infekts, trotz meiner megamäßigen sportlichen Betätigung (haha!!!) und trotz der beständigen Inanspruchnahme des so hochkonzentrierten Zuckerfallenprogramms noch immer bei 63,70 Kilo liegt.

»Ehrlich gesagt, esse ich derzeit verhältnismäßig normal, am Abend lasse ich eben, so gut’s geht, die Kohlenhydrate weg. Trotzdem habe ich nicht ein Gramm zugelegt, ganz im Gegenteil. Ich habe über zwei Kilo abgespeckt.«

»Na, diese Diät lass’ ich mir allemal einreden«, bestätige ich neidisch.

»Gut, ihr seid dann also so weit«, unterbricht uns Raffael, um unser Gespräch wieder auf seine Geschichte zurückführen zu können. »Nach dieser Story habt ihr bestimmt kein Hungergefühl mehr«, versichert er uns. »Vertraut mir!«

»O Entschuldigung! Selbstverständlich sind wir schon ganz erpicht auf deine Geschichte«, teilt ihm Alex aufmerksam dreinblickend mit. »Möge der Vortrag nun beginnen. Also los, du hast nun unsere ungeteilte Aufmerksamkeit!«

»Darf es wirklich nichts mehr zu knabbern sein?«

»Nein, und jetzt erzähl schon endlich!«, fordere ich ihn wissbegierig auf. »Ich will schließlich abspecken.«

»Also, diese Frau Grinsel hat mir heute Einblicke in die tiefsten und verworrensten Winkel ihres Körpers gewährt, so was habe ich noch nicht erlebt.«

»Hast du sie etwa nach ihrem werten Befinden gefragt?«, will ich von ihm wissen und kann mir die Antwort darauf eigentlich schon ausmalen.

»Ja.«

»Oje, folgenschwerer Fehler!«

»Diese Warnung kommt für mich etwas zu spät«, erwidert Raffael streng, bevor er fortfährt. »Das Frühstücksgeschäft war heute Morgen leider nicht sehr lohnend und so konnte ich mich von ihr und ihren Krankheitssymptomen nicht und nicht loseisen. Zuerst hat sie etwas von ihrem immensen Ausfluss dahergeschwafelt, und da ich der Meinung war, dass wir über die Krankheitsboten eines Schnupfens und über den Ausfluss aus der Nase sprechen, habe ich dummer Esel auch noch nachgefragt. Ein schlimmer, schlimmer Fehler, denn ich nun zutiefst bereue, denn so genau wollte ich über die Konstellation des weiblichen Körpers auch nicht Bescheid wissen.«

»Und, wann hast du Idiot endlich gemerkt, dass sie von ihren tief verborgenen, unteren Regionen spricht?«, fragt Caro beinahe ein wenig schadenfroh nach.

»Sie ist dann ziemlich ins Detail gegangen«, spuckt unser männlicher Pendant zur Mutter Teresa angesäuert hervor. »Widerwärtig, kann ich euch nur sagen!«

»Also, hast du nun dem weiblichen Geschlecht endgültig abgeschworen?«

»Falls ich noch Zweifel gehabt hätte, dann wären diese seit heute Morgen, zur Gänze ausgeräumt.«

»Tja, und wir fragen uns immer, wieso dermaßen viele Männer schwul sind«, unterbreche ich ihn und blicke zu den Mädels. »Jetzt wissen wir’s. Die armen Teufel sind irgendwann in ihrem Leben auf eine Frau Grinsel gestoßen und die hat die armen Mannsbilder doch tatsächlich mit Gynäkologen verwechselt.

Ferner hat sie dann diese bedauerlichen Herren, die ihr so blindlings in die Falle gegangen sind – zu dieser Gruppe gehörst nun auch du, lieber Raffael«, erkläre ich ihm objektiv, »noch ihre Menstruations- und Ausflussbeschwerden anvertraut.«

»Igitt! Erinnere mich bloß nicht daran!«, fällt mir Raffael ins Wort. »Ich habe sie, als ich noch vom herkömmlichen Nasenschleim ausging, sogar nach dessen Beschaffenheit und Farbe gefragt.«

Nach diesem Geständnis können wir uns nicht mehr auf den Sitzen halten und prusten auf Kommando los.

»Das ist nicht komisch! Das ist ganz und gar nicht lustig! Hört sofort auf zu lachen!«, ermahnt uns der tapfere Geschichtenerzähler streng, bevor seine Rettung in Form des Schell the bell an der Tür naht.

Nun sind wir endlich komplett. Nike ist eben eingetroffen, aber ihr momentanes Aussehen lässt mich und meine Freunde augenblicklich erschaudern. In ihrem Gesicht ist erschreckenderweise nichts mehr vom sonnigen Teint und von der kurzfristigen Erholung auszumachen. Sie sieht aus, als ob ihr erst vor Kurzem ein Geist über den Weg gerannt wäre. Und sie wirkt dabei völlig verstört und daneben.

»Was ist denn nur mit dir passiert?«, will Alex sofort von ihr wissen.

»Ich habe eben ...«, stottert Nike hervor und lässt sich schwermütig auf die Couch fallen.

»Ich glaube ein Schluck Wein wird dir gut tun, Kleines«, bemerkt Riccardo und schenkt ihr gleich großherzig ein.

»Nun sag schon, was ist denn geschehen! Hast du dich etwa mit Bernie getroffen?«, will Caro wissen.

»Nein! Nein, nein! Ich war ... ich kann’s nicht glauben! Das kann doch nicht wahr sein! Warum muss mir das passieren und warum ausgerechnet jetzt!«

»Du bist doch wohl nicht etwa ...«, beginnt Alex ihre beinahe unaussprechliche Vorahnung auszuplaudern.

»Schwanger!«, beendet Nike den Satz und danach bricht sie in einem unendlichen Wolkenbruch aus unversiegbaren Tränen aus.

 

 

Verwechslungskomödie oder Verwechslungstragödie?

 

 

Enttäuschung: Schmerzliche Entlarvung einer falschen Hoffnung!

(Walter Nenzel)

 

 

***

 

 

Die Enttäuschung ist die Todesstrafe der Illusion!

(Eleonore van der Straten-Sternberg)

 

 

Gegenwärtig scheinen wir alle mit dieser Neuigkeit überfordert zu sein. Eigentlich wären ja, nach solch einer Offenbarung, Glückwünsche angesagt, aber Nikes’ Gemüt scheint damit nicht recht einverstanden zu sein. Sie sitzt resigniert wie ein Häufchen Elend in ihrem Sessel und vergräbt ihr Gesicht hinter einem Baumwollkleenex, das ihr Riccardo angeboten hatte. Nachdem wir uns alle einigermaßen von der Nachricht erholt hatten und Nikes Tränenkanal weitgehend versiegt war, hatten wir uns, aus dem Blickwinkel der Allgemeinheit, über das Für und Wider eines Kindes in der heutigen Zeit und Gesellschaft unterhalten. Die gedanklich aufgestellte Liste war schnell ziemlich einseitig belastet, wobei das Kontra unübersehbar die Oberhand behielt. Obwohl dieses Baby ja mitunter auch eine ganz große, einmalige Chance bedeuten konnte. Ganz andere Perspektiven taten sich mit einem Mal auf und zwar für uns alle. Das war alles sehr verwirrend und wir fühlten ausnahmslos mit. Nike wirkte nach der konstruktiven Diskussion noch verunsicherter als zuvor. Sie hatte uns davon in Kenntnis gesetzt, dass sie übers Wochenende zu ihren Eltern fahren wollte, denn sie hoffte, dort, in der Idylle ihres vertrauten Heimatortes, ein paar klare Gedanken fassen zu können.

Um kurz vor Mitternacht löste sich die, dem aktuellen Anlass entsprechende, überaus diskussionsreiche Valentin-Party rapide auf (da Alex und Stefan bereits in ein paar Stunden vom Flughafenshuttleservice abgeholt werden sollten und da Nike gleich morgen früh den ersten Zug nach Hause zu ihren Eltern nehmen wollte).

Ich kann in dieser Nacht lange Zeit nicht einschlafen. Ich versuche mich permanent in die Lage von Nike hineinzuversetzen und erschaudere dabei jedes Mal aufs Neue! Es ist wirklich zum Verzagen: Alleinerziehende Mutter, keine Vaterfigur in Sicht, die Wohnung ist auf Dauer auch zu klein, der Job hat irgendwann notgedrungen das Nachsehen und das Gerücht, dass man Karriere und Kindererziehung so lockerflocker unter einen Hut bringen kann, ist bestimmt auch nur auf die heuchlerische Vorgauklerei von immens verzerrten Tatsachen zurückzuführen! Sofern es irgendwo Sunshine-Daddys gibt, so gibt es für die Mütter zumeist keine Sunshine-Babys! Für diese tritt dann einzig der Spruch »In guten wie in schlechten Zeiten« in Kraft!

 

 

Am Wochenende bin ich arbeitsbedingt vollkommen eingespannt. Iris hat sich krankgemeldet. Der Dienstplan wird durch ihren Ausfall kurzfristig über den Haufen geworfen und die Arbeitsaufteilung erfolgt à la minute.

Francesco ist nach Paris geflogen, um sich dort mit seinem Geschäftspartner zu treffen. Er wollte dabei irgendein supertolles Projekt besprechen und irgendeine Baustelle inspizieren.

Ich habe mich indessen zum Spätdienst mit Raffael verdonnern lassen, und als wir beide Pechvögel pünktlich zu Dienstbeginn im Office eintrudeln, sticht mir sofort ein wunderschönes Bukett ins Auge.

»Ist heute für dich abgegeben worden«, erklärt mir Sandra und deutet auf den grandiosen Blumenstrauß.

Ein schmuckes Kärtchen verrät mir Herkunft und Auftraggeber des duftigen Straußes, obwohl ich die Karte dafür eigentlich nicht mehr eigens studieren müsste. Mein Rosenkavalier hat mir ein Gebinde aus samtroten, langstieligen Kaiserrosen zugedacht und ich bin aufrichtig verzückt. Nachdem ich mich dafür bei meinem Frenchman per SMS bedankt habe, piepst mein Handy bereits nach wenigen Minuten und

das Antwortschreiben mit »Nur eine kleine Aufmerksamkeit, um dich zu erfreuen« geht ein.

Damit Raffael und mir nicht langweilig wird (und damit wir nicht verdursten) hat er uns vor Dienstbeginn noch schnell eine Flasche Martini doro besorgt. Dadurch, dass der Konsum von alkoholischen Getränken (und enthalten diese auch noch so geringe Prozente) während der Arbeitszeit strikt verboten ist, haben wir zwei Longdrinkgläser im Office deponiert und sie mit Eiswürfeln und Martini aufgefüllt.

Martini doro ist im vorliegenden Fall in zweierlei Hinsicht überaus praktisch:

a) Martini schmeckt wirklich lecker und macht nicht annähernd betrunken.

b) Dieser spezielle Martini hat die Farbe von köstlichem und ungefährlichem Apfelsaft (als Tarnung ideal).

Im Laufe des eher langweiligen Abends haben wir zuerst eine Stunde lang Mise en place gemacht. Danach haben wir uns die Zeit mit StadtLand-Fluss vertrieben, wobei wir zwischenzeitlich einen kleinen Imbiss eingenommen haben. Der Homeservice des Ristorante Milano ist spitze und vor allem schnell. Unsere Bestellung - eine große Pizza Tonno, eine Piccata Milanese mit gemischtem Salat, ein Tiramisu und ein Himbeer-PannaCotta - ist prompt bei uns im Office eingegangen. Anmerkung: Diese Gerichte haben wir natürlich kameradschaftlich geteilt, aber trotzdem muss ich beichten, dass mir nun ein kleinwenig übel ist.

Caro und Elvira erwarten uns nach Dienstschluss im Passepartout. Riccardo hat, im Gegensatz zu Raffael und mir, heute richtig viel zu tun und stellt uns eilends eine Flasche Prosecco vor die Nase (damit wir nicht verdursten).

»Hier, sieh mal!«, sagt Caro und überreicht mir gleich im Anschluss ein Folder.

»Selbstverteidigungskurs für Frauen! – Was soll ich damit anfangen?«, will ich von ihr wissen.

»Nun, Elvira und ich wollen diesen Kurs besuchen. Kann doch nicht schaden, oder?«

Ich überfliege daraufhin rasch den Inhalt des Schreibens:

Selbstverteidigungskurs für Frauen: Die Polizei bietet ab 8. April für Mädchen und Frauen im Rahmen eines achtwöchigen Ausbildungsprogramms (à zwei Stunden) diesen Grundkurs an. Anmeldungen erbeten unter der Telefonnummer 0662/11222 Polizeistation Eichbrücke.

»Meldet mich auch an! Dabei kann ich gleich zwei Fliegen mit einer Klatsche erledigen«, füge ich noch an und beginne demonstrativ mit meiner Aufzählung, indem ich belehrend den Zeigefinger hebe. »Zum einen bewältige ich mein heißbegehrtes Fitnessprogramm und zum anderen lerne ich nebenbei, wie ich mich vor Wüstlingen schützen kann.« (An der Stelle fällt mir die Geschichte mit diesem Idioten in Seefeld wieder ein.)

»Kann ich da auch mitmachen?«, unterbricht uns Raffael aufgeregt.

»Ich befürchte nicht, mein Lieber«, antwortet ihm Elvira und sieht ihn dabei bedauernd an.

»Vielleicht ist uns das Glück ja hold und es schickt uns anbei einen adretten Ausbilder«, wirft Caro begeistert ein.

»Aber bitte in V und mit Polizeiuniform und Käppi!«, unterbreche ich sie ekstatisch. Mein Uniformfetisch spricht aus mir.

»Und einen Gummiknüppel wollt ihr wohl auch noch haben, was?«, fragt Raffael amüsiert.

»O ja!«, haucht ihm Elvira sinnlich entgegen, und an Raffaels augenblicklich finster gewordener Mimik ist zu erkennen, wie enttäuscht er darüber ist, dass er bei diesem offensichtlich vielversprechenden Event nicht teilnehmen kann.

 

 

Mutter Kunigunde hat sich bereits am darauffolgenden Samstag bei uns angemeldet.

Nike ist aus dem Wochenende zurückgekommen und wirkt glücklicherweise nicht mehr ganz so bedrückt.

Francesco hat seinen Parisaufenthalt verlängert. Demzufolge werden wir uns erst in vierzehn Tagen wiedersehen (das passt mir – so sehr ich seine Nähe auch schätze – eigentlich ganz gut ins momentane Konzept, denn Vorfreude ist bekanntlich fast immer das Schönste).

Zum Wochenende hin wird es hektisch. Die Fotos von der Valentin-Party sind gut gelungen, zumindest jene von Riccardo und mir, die von Nike und Raffael sind hingegen weniger herzeigbar.

Am Samstagmorgen schleppe ich einige Klamotten, Toiletteartikel und sonstige Accessoires zu Riccardo hoch, währenddessen Raffael in die entgegengesetzte Richtung pilgert. Die aktuellen Schnappschüsse von Riccardo und mir prangen gegenwärtig an sämtlichen Wänden der momentan entweihten und inoffiziellen Raffael/Riccardo-WG und sie leuchten demnach unserer teuren und vertrauensseligen Mama Kunigunde allerorts liebreizend entgegen. Riccardo hat uns beide (als rührseliges Pärchen getarnt) im Wintergarten einquartiert, da Mutter Kunigunde die einzige Nacht ihres Aufenthalts gemütlich in UNSEREM komfortablen Schlafgemach nächtigen darf. Nach dem kurzfristig arrangierten Wohnungstausch ist es schon an der Zeit, um Mütterchen vom Bahnhof abzuholen. Riccardo und ich machen uns deswegen auch gleich auf den Weg.

Indessen meldet sich Alex wieder zurück. Sie lässt uns kurz wissen, dass alles rund um das Thema Urlaub glattgegangen sei und dass sich der Trip nach Dubai als ein wahrer Glückstreffer herausgestellt hatte und dass dies, nebenbei bemerkt (als ob uns unsere lechzenden Zungen bei dieser Kurzinfo noch nicht lang genug aus dem Mund gehangen wären!), ein schier unvergesslicher Genuss gewesen sei. Details darüber sollte es allerdings erst am Damenabend geben.

Nachdem wir von Mutter Kunigunde am Bahnsteig überschwänglich begrüßt, geknuddelt und geküsst worden sind, bringen wir sie und ihr Gepäck nach Hause. Die Frage »Und … wann wollt ihr nu endlich eenmal heiraten?« stellt sie noch während der Taxifahrt. Ihr Statement »Kinder, ihr harmoniert eenfach so wunderbar zusammen!« fällt bereits im Stiegenhaus und »Ick möcht so unglaublich jerne eenmal das Jetrappel von Kinderfüßchen im Flur hören« lässt auch nicht lange auf sich warten. Nachdem Riccardo mit Mütterchen Kunigunde und deren Gepäck im Schlafzimmer verschwunden ist, schnappe ich zufällig ein gedämpftes Gespräch zwischen den beiden auf.

»Ich habe heute Abend einen Tisch im Pastranys reserviert«, erklärt ihr Riccardo (wahrscheinlich um sie von den verdrießlichen Gedanken an Enkelkinder abzulenken). »Wir haben nämlich etwas zu feiern.« (Oder doch nicht?)

»Wat jibt es denn so Großartiges zu bejubeln?«, prustet Mama Kunigunde neugierig hervor. »Lass deene Mutter nich eenen janzen Tach unwissend darüber, det würde meen Herz nich verkraften!«, ermahnt sie ihn im bejammernden Tonfall.

(Sie hofft tatsächlich, dass sie mit diesem plumpen Appell ihren barmherzigen Sohn dahingehend animieren kann, dass er ihr gnädigerweise doch noch sein Wissen anvertraut. Nun, raffiniert war sie ja schon immer, besonders wenn sie Lunte gerochen hatte. Infolgedessen war sie äußerst geschickt darin, bei ihren auserwählten Opfern die richtigen Knöpfe zu drücken, sodass sie ihr anstandslos alles Informative beiläufig mitteilten. Tja, Mütterchen war in dieser Disziplin derart gerissen, dass sich, nach der Befragung bei den ausgequetschten Zeugen nicht mal annähernd das Gefühl einschlich, dass sie kurz zuvor durch einen hartnäckigen und zugleich gefühlvollen Inquisitor befragt worden sind.)

»Nein, das ist und bleibt bis heute Abend mein Geheimnis«, gibt Riccardo unnachgiebig zurück.

Was kann denn Riccardo mit dieser phänomenalen Ankündigung nur meinen? Vielleicht eine bevorstehende Beförderung? - Nein, ich habe wirklich keinen blassen Schimmer! Nun, was soll’s! Ich werde es gewiss früh genug erfahren.

 

 

Dieser Tag war bislang gespickt mit einem Besuch im Museum der Retrospektiven Kunst, einem ausgedehnten Altstadtbummel mit inkludiertem Kaffeehausbesuch und einem Spaziergang im weitreichenden Schlosspark. Dann ist es rasch ab nach Hause gegangen. Wir durften sogar kurzerhand (Sklaventreiber Riccardo sei Dank!) noch unter die belebende Dusche springen und uns umziehen. Danach sind wir auch schon zum Landestheater (Logenplätze für Victor & Victoria ... das war eine absolut sensationelle Aufführung! Der Beifall verstummte selbst nach etlichen Minuten nicht) gebraust.

Nach diesem kulturellen Highlight chauffiert uns nun ein Großraumtaxi ins Pastranys.

An diesem Abend wird unsere Gesellschaft in einer anderen Stube untergebracht. Der Raum wirkt größer als jener zu Silvester und sein wohliges Flair wird durch die warmen, zarten Farbtöne der Tischdecken, Polster und Teppiche zusätzlich unterstrichen. Der Kachelofen in der einen Ecke sorgt außerdem für angenehme Wärme. Unser Tisch ist edel eingedeckt, sogar silberne Platzteller haben heute den Weg zu unserer très chic Tafel gefunden und in der Mitte prangt erhaben ein wunderschönes, ovales Blumenarrangement, das vortrefflich in Rot und Weiß gehalten ist. Nachdem ich schließlich platziert bin, grapsche ich mir gleich mal die Menükarte und schrecke dabei schon beim ersten Satz auf. Das Pastranys hat sich doch tatsächlich einen klitzekleinen Druckfehler erlaubt! Hier oben steht effektiv Verlobungsmenü (wahrscheinlich sind ihnen die regulären Speisekarten ausgegangen und auf diesem Weg haben sie sich Abhilfe geschaffen! – Derartige Missgeschicke oder Zweckentfremdungen kommen schließlich in den besten Häusern vor). Nun, zumindest verspricht die hier dokumentierte Auswahl der ausgewählten Speisenfolge ein Hochgenuss zu werden.

Ohne dass er bestellt worden wäre (oder ist mir das in der Aufregung entgangen), findet erfreulicherweise abermals eine Flasche Schampus den Weg zu unserer Tischgesellschaft, und nachdem alle ein Glas des Nobelperlweins in Händen halten, richtet sich Riccardo auf, um eine Ansprache zu halten!

»Liebe Mutter, meine Freunde, meine Liebe!« Ach wie süß, dabei sieht er mir ganz tief in die Augen. »Wir, also Amelie und ich, wollten mit unserer hochoffiziellen Verlobung noch so lange zuwarten, bis meine werte Mutter den weiten Weg von Berlin zu uns gefunden hat!«, verkündet Riccardo fröhlich.

(Ich glaube mir ist soeben meine Kinnlade auf den Tisch geknallt!

Raffael und Nike sehen mich genauso entsetzt an, wie ich sie, nur Mutter Kunigunde sieht wie ein strahlender Engel aus. Ihr Lächeln ist beinahe mit jenem eines Breitmaulfrosches zu vergleichen! – Na warte, mein lieber Riccardo! Sobald deine Gliedmaßen auch nur halbwegs in meine Reichweite kommen, werde ich mich wütend auf sie stürzen und anschließend schlage ich dir meine Krallen in deine wohl jetzt komplett übergeschnappten Weichteile!)

»Wir sind nun schon seit vielen Jahren glücklich vereint«, fährt mein momentan administrativer und offensichtlich geisteskranker Bettgenosse in spe einstweilen unbekümmert mit seiner Rede fort, »und jetzt wollen wir einen Schritt weiter gehen.«

(Jetzt schlägt es aber dreizehn! Wie will er denn dieses Theater aufrechterhalten? Und die Überfrechtheit dabei ist, dass er es nicht mal für nötig empfunden hat, mich - als seine inoffizielle Intimkomplizin – vorzuwarnen!)

»O meen Junge! Det is eener der schönsten Aujenblicke in meenem Leben!«, posaunt Mutter Kunigunde glückselig hervor und stürzt sich mit ihren angefutterten Massen auch schon auf meine fassungslose Wenigkeit und auf ihren nun behördlich anerkannten, durchgeknallten Sohn. »Wann is es denn so weit?36 Die Hochzeit, meene ick!37 Es jibt ja jetzt soviel zu tun!«

»Nicht so stürmisch! Schritt für Schritt«, versucht Riccardo seine nahezu cholerische Mutter zu zähmen. »Sonst verschreckst du mir noch meine Verlobte.«

»Ach Amelie, ick hab mir schon immer eene Schwiegertochter wie dir jewünscht! Wenn denn erst eenmal Enkelkinder da sind, dann muss ick mir dringend wegen meener jetzigen Wohnsituation etwas eenfallen lassen! Ick möcht die Kleenen ja schließlich aufwachsen sehen und ick möcht keinesfalls eene der nich greifbaren Postkartengroßmütter werden! Wie kiekt eijentlich der Wohnungsmarkt bei euch in Salzburg aus?«

»Mutter!«

»Ja, ick weiß, ick presche zu sehr vor, aber ick bin nu eenmal von Herzen glücklich!«

»Entschuldigt mich, ich muss dringend mal auf die Toilette«, unterbricht Nike diese groteske Unterhaltung.

»Du kiekst aber auch jar nich jut aus! Ist dir übel, Kleenes?«, fragt Großmutter Kunigunde besorgt nach.

»Meinem Magen geht’s nicht sonderlich gut!«

»Soll ich dich begleiten?«, frage ich fürsorglich.

»Nein, nein, lass es gut sein! Ich bin gleich wieder zurück.«

(Gott sei Dank winkt Nike ab, ich will nämlich momentan das explosive Terrain keineswegs verlassen. Wer weiß schon, welche Geschichten Riccardo sonst noch für uns bereithält.)

»Sie hat den Alkohol kaum anjerührt!«, stellt Chefinspektor Kunigunde nach Nikes Abgang grüblerisch fest. »Raffael, haben wir hier vielleicht noch etwas zu feiern?«

»Nun, also, wir sind ...«, stammelt Raffael verlegen hervor.

»Ick hab es jeahnt! Gratulation! Die beiden sind euch eenen Schritt voraus«, bemerkt sie lächelnd Richtung Riccardo und zwinkert uns begeistert zu. »Na, wenn det keen juter Abend is, dann weeß ick auch nich! Obwohl ick euch beide schon een bisschen tadeln muss, mir so lange im Unjewissen über eure Verlobung zu lassen. Wo ist denn nu eijentlich der Ring? Wie kiekt er denn aus?«, will sie wissen und sucht mit Adleraugen meine blitzblanken Hände ab.

»Nun, damit die Überraschung auch eine solche ist, habe ich mit der Überreichung des Ringes bis zu diesem denkwürdigen Abend gewartet«, merkt Riccardo an und kramt auffällig in der Brusttasche, um daraus eine dunkelblaue Schatulle hervorzuzaubern, die er mir im Anschluss vorsichtig präsentiert.

Ich nutze die Gunst der Sekunde und funkle ihn wütend an. Sein Gesichtsausdruck will mir »Bitte nimm den Ring« sagen und ich zögere daraufhin meisterhaft lange. (An welchem Punkt hört sich die nachbarliche Freundschaft auf? Er kann seine Mutter doch nicht so ins Boxhorn jagen! Außerdem bin ich nun eine reife Frau, die das Glück hat, seit zwei Monaten in einer erfüllten ... nun fast erfüllten, denn der Gipfel des zwischenmenschlichen Kolloquiums ist noch immer nicht erreicht … Beziehung mit einem großartigen Mann zu leben.

Ich entschließe mich demnach wie folgt: Ich werde bis morgen die Verlobte spielen, aber danach werde ich mich nieee wieder in der Rolle der Dauerfreundin/Verlobten/Ehefrau ... wenn er mich noch weiter reizt würde ich auch die Witwe nicht außer Acht lassen ... von Riccardo einfinden!)

»Au Backe! Det is ja ein wunderschönes Schmuckstück«, höre ich Kunigunde daherplappern und sie hat zugegeben recht. Mir funkelt ein graziler Ring in Weißgold entgegen, der in seiner Mitte einen trapezförmigen Edelstein präsentiert. Riccardo nimmt den Ring heraus und streift ihn mir sachte auf den Ringfinger. Oh, dieser Verlobungsring sieht wirklich märchenhaft aus, aber … er schlackert mir nur arglos auf dem Finger umher. Tja, er ist mir (wie auch viele andere Dinge in meinem Leben) um etliche Nummern zu groß.

»Ach, zu schade, der passt leider nicht, mein Liebling!«, bemerke ich süffisant in Richtung Riccardo und hauche ihm dabei einen verheißungsvollen Schmatz auf die Lippen.

»Na, das ist ja interessant.«

Ich drehe jetzt wohl komplett durch, denn mir ist, als ob ich eben durch die kunterbunte Geräuschkulisse des Raumes hindurch -Francescos Stimme vernommen hätte. Ich schüttle den absurden Gedanken gleich ab, mein wahrer Lebemann verweilt ja derzeit in Paris.

Aber wenn er mich hier sehen könnte, na ... dann würde er bestimmt durchdrehen. Ich muss bei diesem Hirngespinst nun doch lächeln. Wie das ganze Szenario hier etwa auf Francesco wirken würde: Ich drücke Riccardo einen Kuss auf die Lippen und dieser hält dabei liebevoll meine Hand und daran blitzt und funkelt ein graziler Ring. Und dann noch die Sache mit dem Verlobungsmenü! Ha ... nein wirklich, das wäre aufrichtig komisch! Ich breche augenblicklich in leises Gelächter aus.

»Würdest du bitte sofort mit mir mitkommen!«, knurrt jemand hinter meinem Rücken.

Woher kommt nur diese Stimme? Autsch! Irgendetwas zerrt vehement an meinem Ellbogen. Mich beschleicht ein ganz, ganz - also, ganz außergewöhnlich ungutes Gefühl ... und ich bin sicher nicht schwanger. Anmerkung: Wie denn auch!

Ich bleibe einstweilen geduckt sitzen und wage es nicht, mich umzudrehen. Es ist bestimmt nur ein schlimmer Albtraum und ich wache gleich daraus auf. Es kann sich nur noch um Sekunden handeln. Ich werde einfach die Augen schließen, mich komplett ausblenden und zählen.

»Erlauben Sie mal!38 Lassen Sie jefälligst den Arm meener Schwiegertochter los39, Sie unverschämter Mensch!40«, kreischt Mutter Kunigunde ungeduldig hervor.

»Schwiegertochter!41 Ha, das ich nicht lache! Ich will mich nun nicht mehr wiederholen42, Amelie!43«

Francescos Stimme klingt gegenwärtig alles andere als sanft und zart. Den nächsten Angriff auf meinen Arm bin ich nicht mehr gewachsen, denn dieser ist so kraftvoll, dass ich emporgerissen werde und zwangsweise herumwirble. Da sind sie, diese wunderbaren, rehbraunen Augen! Aber der Rest des sonst so süßen Antlitzes sieht ganz und gar nicht amused aus.

»Ich frage dich jetzt zum letzten Mal: Was soll dieser Zirkus hier und wer zum Teufel ist diese Person?«, fragt Francesco gereizt und deutet wütend auf die schnaubende Kunigunde.

»Ich kann dir das erklären, es ist alles ganz harmlos. Lass uns bitte hinausgehen!«, trällere ich ihm nach meiner anfänglichen Beklommenheit sanft entgegen und ich bin auch darum bemüht, ihn einigermaßen zu beschwichtigen.

»Du wirst mit diesem Flejel nirjendwo hin jehen!«, mischt sich Kunigunde ein. »Und Sie, juter Mann, lassen jetzt uff da Stelle den Arm meener Schwiegertochter44 los!«

Im Handgemetzel rutscht mir jetzt auch noch dieser idiotische Ring vom Finger und kullert unter den Tisch.

»Nu kieken Sie eenmal, was Sie anjerichtet haben!«, erwidert Kunigunde, bevor sie sich auf die Knie wirft und ihr beleibter Hintern unter der Tischdecke verschwindet.

»Was ist denn hier los?«, will Nike, die gerade von der Toilette zurückgekehrt ist, wissen.

Mittlerweile unterhalten wir schon die gesamte Stube mit unserer bizarren und brisanten Verwechslungskomödie.

»Nike, Gott sei Dank!«, rufe ich ihr erleichtert zu. »Ich glaube, ich halluziniere. Bitte kneif mich mal fest! Autsch!«

Oh, nicht Nike zerrt an meinem Arm, sondern Francesco. Er schubst mich Richtung Tür.

»Ach, da is er ja!«, röhrt Kunigunde und taucht wieder aus der Versenkung des Bodens auf, um meinen funkelnden Klunker zu präsentieren.

»Das ist ja hier ein komplettes Irrenhaus! Ich gehe!«, lässt mich Francesco wissen und humpelt mit seinem Gehgips den Flur Richtung Ausgang entlang.

»Francesco, bitte warte!«, ruft ihm Riccardo, der nach einer kurzen Schreckstunde seine Stimme zuerst wiedergefunden hat, nach und hechtet ihm hinterher. Im Gänsemarsch geht es weiter: Nach Riccardo reihe ich mich ein, dann folgt Nike, Raffael und zu guter Letzt begleitet uns außerdem noch Mutter Kunigunde. Riccardo holt Francesco erst am Ausgang ein. Im Hintergrund der Kulisse mache ich auch schon Raumschiff Enterprise aus! O, Zeit in Verzug!

Nachdem wir uns alle im Freien eingefunden haben, startet Riccardo mit seinem Erklärungsversuch und fängt mit seinem Outing an. Mutter Kunigunde versteht zuerst nur Bahnhof. Als allerdings die Bedeutung der Worte ihres Sohnes endlich zu ihren Gehirnwindungen vordringt, schüttelt sie nur verständnislos ihr Haupt. Tja, und folglich kippt die pfundige Berlinerin doch tatsächlich aus ihren Latschen und liegt danieder!

Raffael ist sofort zur Stelle, aber Kunigunde scheint einen totalen Nervenzusammenbruch erlitten zu haben. Nun rückt auch noch die Kellnerbrigade zu uns vor. Nike hängt sich ans Handy, um einen Rettungswagen zu rufen. Riccardo begleicht währenddessen die offene Rechnung. (Es geht alles furchtbar schnell!) Francesco steht ungläubig am Treppenabsatz und schüttelt nur noch den Kopf. Vinzenz wartet geduldig auf seinen Boss und öffnet ihm schon mal die Wagentür. Und ... was erspähen meine scharfen Adleraugen da? Gazellenartige Beine, in Netzstrümpfe gehüllt, rekeln sich gemächlich im Foyer der Limousine. Ich bin augenblicklich wie von Sinnen.

»Was soll denn das?«, fahre ich Francesco an und deute ins Wageninnere. »Wer ist diese Person?«

»Das ist Frau Polzack, wenn du erlaubst«, entgegnet er kühl.

»Das ist Frau Polzack!«, plärre ich ihn hysterisch an. Meine Stimme klingt nun zugegebenermaßen ein kleinwenig schrill und überfahren! Oh, ich bin fuchsteufelswild! Zornesröte steigt mir unweigerlich ins Gesicht. Mir ein schlechtes Gewissen einreden und selbst genug Dreck am Stecken (oder sonst wo) haben!

Während unseres lauten Disputs stöhnt Kunigunde mehrmals schmerzverzerrt auf.

»Wir müssen sie ins Krankenhaus schaffen«, bemerkt Nike besorgt. »Ich bin zwar keine Krankenschwester, aber sie sieht jetzt noch blasser aus wie ich, und das will was heißen.«

»Wir können meinen Wagen nehmen«, schlägt Francesco selbstlos vor. »Auf der Fahrt dorthin können wir bestimmt einiges klären«, merkt er, nun deutlich milder gestimmt, an.

Ha! Mein kleines Verlobungsfiasko ist ja beinahe harmlos und all meine Freunde können diese etwas skurrile Geschichte stichhaltig bestätigen.

Kunigunde fungiert dabei als äußerst zuverlässige Zeugin, denn so einen exzellenten Umfaller hätte kein noch so trainierter Stuntman zweckdienlicher ausführen können als sie. Aber was soll ich nun von Francesco und seinem merkwürdigen Gebärden halten?

 

 

· Wieso ist er eigentlich nicht in Paris?

· Wieso hat er mich angelogen?

· Wieso reist er in Begleitung dieser überaus attraktiven und langbeinigen Giraffe an? (Immerhin ist ja Wochenende! Diese Frau wird doch nicht an sämtlichen Wochenenden für ihn arbeiten, oder? Nun ja, vielleicht springt für sie etwas heraus, was bei mir noch nie herausgesprungen ist! – Ich bin entsetzt und enttäuscht von dieser Vorstellung, aber die Gesamtsituation lässt eindeutig auf diese Möglichkeit schließen, so schmerzlich sie für mich auch ist. Tja, diese Tatsache ist wohl nicht von der Hand zu weisen.)

· Und ... wieso taucht er ausgerechnet hier auf? Er wusste doch gar nichts über meine Vereinbarung mit Riccardo und über unser Dinner im Pastranys.

 

 

Nun, Francesco hat eindeutig ein schlechtes Gewissen. (Ich an seiner Stelle hätte es auch.) Tja, so zerplatzt mein Traum in tausend Scherben. Es wäre ja ohnehin zu schön gewesen, um wahr zu sein! Francesco ist eben – nüchtern betrachtet - auch nur ein testosterongefüllter Mann, nichts weiter.

 

 

Maskerade

 

 

Der einzige Unterschied zwischen einem Maskenball

und einem anderen Fest ist der,

dass du bei ersterem zum Schluss die Maske abnimmst,

bei letzterem aber nicht!

(Eleonore van der Straten-Sternberg)

 

 

Während der Fahrt bringe ich kein Wort heraus. Ich bin lediglich stummer Teilnehmer eines kuriosen Transportes. Nike platzt neben Vinzenz und erklärt ihm dabei den schnellsten Weg zum Krankenhaus. Ich habe meinen Hintern zwischen Riccardo und Raffael platziert und beäuge meine Sitznachbarn gegenüber (in Form des aufmerksam lauschenden Francescos, der ab und an aufstöhnenden Kunigunde und der zusammengepferchten Frau Polzack) mit Argwohn. Meine Kontrahentin sieht

- so sehr ich mich auch abmühe, einen Fehler an ihrem Erscheinungsbild zu finden - makellos aus. Sie blickt gelangweilt aus dem Fenster und scheint still und heimlich zu hoffen, dieser verfahrenen Situation so schnell wie irgend möglich entschlüpfen zu können. Am Beifahrersitz höre ich verschwommen Nike rezitieren und im Bereich der zum Zerbersten angespannten Luft des Großraumtaxis - beziehungsweise im momentan prädestinierten Krankentransport - schwafelt ausschließlich Riccardo.

Nachdem wir Kunigunde in der Notaufnahme abgeliefert haben, bleiben Nike und ich im Foyer zurück. Ich will eigentlich nur noch nach Hause. Die beiden Wohnungen gehören dringend wieder in den Normalzustand versetzt und anschließend möchte ich diesen desaströsen Abend mit einer Magnum Flasche Wein beenden (die muss ich allerdings allein bechern, da Nike momentan ja in anderen Umständen ist aber nach den letzten Stunden schaffe ich diese gewiss spielend).

»Wir setzen dich schnell im Hotel ab. Ich fahre noch mit Amelie und Nike mit«, teilt Francesco Frau Langbein mit.

(Aha! Die beiden duzen sich auch öffentlich. Nun, warum auch nicht! Wer miteinander Büro, Bett und Sonstiges teilt, sollte sich auch in Gesellschaft nicht verstecken müssen!)

»Mach dir bloß keine allzu große Mühe! Wir nehmen uns ein Taxi«, protestiere ich bockig.

»Ich will noch mit dir sprechen!«

»Ich aber nicht mit dir«, entgegne ich ihm widerspenstig und dabei funkle ich ihn nach wie vor fuchsteufelswild an. »Das führt doch ohnehin zu nichts. Du verschwendest nur meine und deine Zeit!«

»Du fährst jetzt mit dem Taxi nach Hause, beruhigst dich und ich komme in einer halben Stunde nach!« Francesco lässt nicht locker und sein befehlender Tonfall gefällt mir dabei ganz und gar nicht.

»Ich bin ruhig«, antworte ich ihm trotzig.

»Gut! Ich will dir das alles erklären«, sagt er beschwichtigend und anschließend tritt er unwillkürlich an mich und mein desolates Herz heran.

Ich kann ihm kaum in die Augen blicken. Kurz entschlossen senke ich den Blick, aber sein betörender Duft umwirbelt weiterhin meine Gedanken und meine Sinnesreize. Meine Gefühle spiegeln Verbitterung und Traurigkeit wider, und schlussendlich bin ich auch noch maßlos enttäuscht. Ich blicke noch immer starr zu Boden. Langsam scheine ich die Episoden dieses Abends zu erfassen. Francesco hat eine Liaison mit seiner Mitarbeiterin. Schmerzhaft wird mir bewusst, dass er mich betrogen hat. Wahrscheinlich sogar die ganze Zeit. Und noch eines ist mir mit einmal klar: Ich bin nach wie vor das naive Frauenzimmer von anno dazumal. Ich bin noch immer jenes dumme Mädchen, das, so gerne sie auch heute mit ihrer scheinbaren Lebenserfahrung und ihrem Scharfsinn prahlt, noch immer nichts dazugelernt hat.

Mit einem Mal muss ich jetzt sogar gegen das aufkommende Gefühl, einem unbändigen Tränenausbruch nahe zu sein und diesen tunlichst unterdrücken zu müssen, ankämpfen.

Francesco packt mich einstweilen am Ellbogen und bugsiert mich aus der Umgebung unserer unmittelbaren Zuhörerschaft.

»Ich glaube, dass ich mir deine Erklärung schon wunderbar ausmalen kann«, würge ich leise hervor.

»Ich habe mir diese bizarre Geschichte, die zugegeben ein bisschen verrückt klingt, die aber auf der einen Seite schon wieder so unbegreiflich ist, dass sie sich wahrscheinlich tatsächlich so zugetragen hat, wie mir Riccardo auf der Fahrt hierher tausendmal versichert hat, angehört und nun erwarte ich von dir dasselbe Zugeständnis«, sagt er sanft und dabei streicht er mir behutsam eine Haarsträhne hinter das Ohr.

Ich kann ihm einfach nicht ins Gesicht sehen. Und diese Berührung, diese zärtliche Geste der Vertrautheit, ist ihm denn nicht bewusst, dass ich dabei Höllenqualen leide!

»Gib uns eine Stunde Zeit, wir müssen noch einiges umräumen«, mischt sich Nike brüsk ein, und bevor ich protestieren kann, schleift sie mich zum Taxistand um die Ecke. »Hör dir seine Erklärung wenigstens an!«, fordert sie mich im Taxi eindringlich auf.

»Aber du hast doch seine Privatsekretärin gesehen. Was gibt es da noch zu besprechen oder zu erklären, frag’ ich dich! Er ist ein zweiter Bernie und nichts weiter«, gebe ich niedergeschlagen zurück. »Ich will heute nur noch meine Ruhe haben!«

»Hör dir an, was er zu sagen hat und danach kannst du immer noch entscheiden! Okay?«

»Hmmm … Okay!«

Francesco erscheint pünktlich. Es ist mittlerweile kurz nach zwei Uhr morgens, aber ich bin dermaßen aufgewühlt, dass ich trotzdem oder gerade deswegen kein Schlaf- oder Müdigkeitsbedürfnis empfinde. Während es sich Francesco auf der Couch gemütlich macht, schlendere ich angespannt, explosiv und fast wie in Trance durchs Wohnzimmer. Nike hat unsere Wohnung derweil geräumt und wartet in der Riccardo/ Raffael-WG auf die beiden Burschen, somit können wir uns ungestört unterhalten (obwohl: Wozu eigentlich?).

»Bitte setz dich! Ich werde bei deiner Hin- und Herpilgerei ganz nervös«, merkt Francesco mir gegenüber nachdrücklich an und schenkt sich im Anschluss an diese brüske Anweisung, und ohne dass ich ihn eigens dazu aufgefordert hätte, einen großzügigen Schluck des gekühl

ten Seelentrösters ein.

»Ich bleibe stehen und ich höre!«, gebe ich forsch zurück.

»Also, zuerst möchte ich mich bei dir entschuldigen.«

»Entschuldigen tut MANN sich eigentlich nur, wenn MANN etwas angestellt hat, was nicht rechtens war!«

»Ich bin darum bemüht, mich dir zu öffnen, also bitte lass mich sprechen und setz dich zu mir!«, eröffnet er seinen spärlichen Erklärungsversuch und unterstreichend klopft er dabei noch mit seiner Hand demonstrativ auf die freie Sitzfläche links von sich. »Dieses Eingeständnis fällt mir nicht leicht und ich weiß nicht, ob ich es dir schon anvertrauen würde, wenn dieser dumme Abend nicht gewesen wäre, aber ich schätze dich sehr und ich vertraue dir und ich hoffe, dass ich darauf bauen kann.«

Ich nehme währenddessen im Sessel Platz (so ist zumindest ein gewisses Maß an Abstand und Anstand gewährleistet) und ich höre ihm – höflicherweise - aufmerksam zu.

»Die Sache ist höchst delikat und sehr persönlich und für viele Männer ist sie ein schwerwiegendes Problem, und ich möchte mich hierbei nicht ausschließen.« Das anfängliche Statement wird nun hinweisend von einem tiefen Lungenzug begleitet und durchzuckt dabei seinen Körper. »Ich habe schon sehr vieles probiert, aber bislang ist das Endergebnis einfach noch nicht zufriedenstellend.«

»Ich verstehe dich nicht! Was ist mit dir los?«

»Nun, ich bin auf dem besten Weg zur ... Impotenz«, würgt er leise hervor und senkt dabei resignierend den Kopf, um in sein Weinglas zu starren. »Es liegt wahrscheinlich an der vielen Arbeit, dem Stress und den unzähligen Reisen. Seitdem mein Gefährte da unten immer wieder mal einen Durchhänger hat, habe ich mir selbst einen riesigen Erwartungsdruck auferlegt. Ich setze mich dermaßen unter Druck, dass das Ergebnis eigentlich nur zu einer weiteren Niederlage führen kann. Verstehst du mich und mein Verhalten nun etwas besser?«

Oh, bin ehrlich gesagt etwas schockiert. Nun, damit kann man doch nicht rechnen.

»Deswegen wolltest du es langsam angehen lassen?«, murmel ich notdürftig hervor.

»Ja, ich will dich nicht enttäuschen und nun, ach ich weiß auch nicht …«

»Und, kann man dagegen nichts tun?«, frage ich verdattert nach (diese Thematik ist mir neu. Nun, vom Hören und Sagen ist mir das Ganze natürlich ein Begriff, aber ich hätte nicht damit gerechnet, dass ich mal selbst damit konfrontiert werden würde).

»Tja, vieles spielt sich hierbei ausschließlich im Kopf ab«, klärt mich Francesco auf. »Ich habe es zuerst beim Psychiater versucht, aber die unzähligen Sitzungen haben nichts eingebracht, danach habe ich mit allerhand Aphrodisiaka, Kräuterextrakten, Tees, Duftsalben, Aromatherapien, Aufputschmittel - ja sogar Viagra findet sich mittlerweile in meinem Sortiment ein - experimentiert. Ich habe verschiedene Massageöle getestet, dann bin ich zu diversen Simulierungsringen und Kraftkugeln übergegangen, aber all dies blieb ohne nennenswerten Erfolg. Letztlich habe ich mich sogar verzweifelt einer Selbsthilfegruppe angeschlossen, aber das ist nichts für mich.«

»Ich verstehe«, gebe ich knapp zu und danach lässt mir Francesco etwas Zeit, um diese einschneidenden Neuigkeiten verdauen zu können. »Aber das Ganze erklärt nicht, warum du mit Frau Polzack im Pastranys aufgetaucht bist.«

(Dieses Problem gehört – neben einigen anderen - auch noch bereinigt.)

»Wir waren in Paris nun doch schneller fertig als geplant und da haben wir noch heute einen Flug nach Mailand gebucht. Vinzenz hat uns daraufhin gleich am Flughafen abgeholt, dann haben wir rasch unserer Mailänder Filiale einen Besuch abgestattet und von dort sind wir direkt hierher gefahren und morgen werden wir bereits wieder in München erwartet. Wir wollten eigentlich nur noch rasch etwas essen und da ist mir das Pastranys eingefallen. Das ist die simple Erklärung zu dieser Frage. So einfach ist das. Punkt, Schluss!«

»Aber wieso hast du mich nicht angerufen und mich über deinen Besuch informiert? Das verstehe ich überhaupt nicht!«

»Nun, es gibt da noch eine Möglichkeit, um mein mittlerweile doch sehr erhebliches Problem in der unteren Leistengegend zu beheben. Diese Methode ist wissenschaftlich nicht anerkannt, aber ich lasse keinen Versuch aus«, erklärt er mir. »Hier in der Stadt gibt es einen Arzt, der mir eventuell weiterhelfen kann und zu diesem fahre ich in regelmäßigen Abständen.«

»Und welche Methodik wendet dieser Arzt an?«

»Nun, darüber möchte ich mich nicht äußern, ich hoffe, du verstehst das!«

»Top secret, was?«

»Tja, Hauptsache das Endergebnis stimmt.«

»Und diese Frau Polzack nimmst du mit?«

»Nein, um Gottes willen! Susanne hat selbstverständlich keine Ahnung von meinen Steh- beziehungsweise Hängeproblemen. Sie ist schließlich meine Sekretärin und nicht meine sexuelle Animierdame.«

»Und ... wie lange warst du nun schon nicht mehr mit einer Frau intim?«

(Auch eine gewichtige Frage, die mir bei dieser Gelegenheit einfällt!)

»Es ist lange Zeit her. Meine letzte Beziehung ging deswegen in die Brüche.«

»Die Frau in Verona?«

»Ja. Sie war eine feurige Italienerin und nun ja ... ich konnte sie verstehen, so wie ich auch dich verstehen könnte.«

»Ich weiß – ehrlich gesagt – nicht, wie ich damit umgehen soll.«

»Du weißt doch, dass es mir mit dir ernst ist, oder?«, fragt mich Francesco offen.

»Ich finde, es läuft zwischen uns einfach fabelhaft.«

»Aber kannst du es ertragen, vielleicht nie mit mir zu schlafen, ich meine richtig mit mir intim zu sein. Den anderen nie ganz und gar mit Haut und Haaren zu spüren, ihn nie ganz innig zu erleben und zu fühlen. Wir können uns natürlich mit diversen Hilfsmitteln Abhilfe schaffen, aber ist dir das auf Dauer genug?«

Eine gute Frage. Aber dieser Mann ist es doch allemal wert!

»Das kann ich dir nicht beantworten. Ich weiß nur eines: Wir sollten einen Versuch wagen und unsere Beziehung vertiefen. Ich mag dich sehr und ich werde dich und deinen kleinen Vertrauten in nächster Zukunft so heiß machen, dass ihr dem Angebot nicht widerstehen könnt«, flüstere ich ihm verheißungsvoll zu und taste mich langsam an ihn heran. »Außerdem kann dir dein Doktor eventuell ja doch weiterhelfen, oder? Positiv denken! So, und nun würde ich es begrüßen, wenn du kurz Vinzenz anrufen würdest und ihm darüber Bescheid gibst, dass du heute bei mir nächtigst!«

»Nun, ich hätte Schlafanzug und Reservezahnbürste im Kofferraum«, überlegt er laut.

»Der Pyjama bleibt im Auto!«, teile ich ihm streng mit. »Du kannst notfalls von mir ein ausgeleiertes T-Shirt haben, aber ich glaube ohnehin nicht, dass wir überhaupt für ein derartiges Kleidungsstück Verwendung finden. Mit der Zahnbürste bin ich einverstanden.«

»Sehr gütig, vielen Dank!«

»Du brauchst dich nicht zu bedanken, das alles ist natürlich nicht umsonst. Wo kämen wir denn da hin!«

»Oh!!!«

»So, und nun küss mich endlich, denn dieses sinnliche Vorspiel beherrscht du hervorragend!«

»Oh, Befehlston! Das gefällt mir«, meint er grinsend.

»Wir könnten gleich mein Bettgemach einweihen und dort ein bisschen kuscheln und rummachen. Ich habe eine gut bestückte S.B.-Lade!«

»Hört sich abenteuerlich an, aber verrat mir bitte zuerst, was eine S.B.-Lade ist, bevor ich mich darauf einlasse!«

»Eine Selbstbefriedigungslade, auch Goody-Lade genannt.«

»Hört sich vielversprechend an, aber ich muss dich warnen, das meiste von dem Zeug kenne ich bereits.«

 

 

Kurzer Auszug aus dem Zitatenlexikon:

 

 

Impotenz ist noch immer die beste Form der Empfängnisverhütung! (Zarko Petan)

***

Wer an Impotenz leidet, hat mehr Zeit für andere Dinge!

(M. Olaf Kurtz)

***

Zur Potenz des Mannes muss man heutzutage im Allgemeinen die PS-Zahl seines Wagens hinzurechnen! (Mary Saunders)

 

 

Hundstage zu Frühlingsbeginn

 

 

Gewiss ist, dass eine einzige Stunde vertraulicher Mitteilung

einander näher bringt

als ganze Jahre gewöhnlichen Beisammenlebens!

(Friedrich von Bodenstedt)

 

 

Die Nacht war wunderschön, aber - dessen ungeachtet - viel zu kurz. Viel Schlaf haben wir beide nicht gefunden, denn es fand sich in meiner Goody-Lade doch noch eine S.B.-Version ein, die Francesco nicht geläufig war. Und, hilfsbereit wie ich nun mal bin, habe ich ihm natürlich einen kostenlosen Weiterbildungskurs erteilt (zugegeben: nicht ganz uneigennützig).

Nun ist mir auch klar, wieso er seine Hände so geschickt und punktgenau einsetzen kann. Er ist mit den weiblichen Stimulationsgegenden bestens vertraut und kann mit diesem Wissen wahre Höhenflüge bewirken. Hmmm ... bei ihm gibt es allerdings noch immer eine Sperrzone: Diese beläuft sich leider im unmittelbaren Umkreis zu seiner Problemzone (absolut Tabu für mich und meinen Tastsinn. Ich habe wahrlich probiert mich daran anzuschleichen, aber ich bin immer wieder an Francescos Hartnäckigkeit gescheitert).

Positive Anmerkung: Er hat sich, bevor er mich frühmorgens geküsst hat, die Zähne geputzt. Ich kann es nicht haben, wenn mir ein abgestandener Atem entgegenhechelt und nach einem innigen Kuss verlangt. (Das sieht zwar im Fernsehen immer sehr romantisch aus, aber an dieser Stelle wäre bei mir Schluss!). Natürlich nehme ich mich und meinen Rachen in diesem Fall auch nicht aus. (Aufgewendete Zeit für eigene Munddusche: zwanzig Sekunden – na ja, immerhin!)

Frühmorgens fand sich Vinzenz bereits vor meiner Tür ein, um mir meinen Lebemann wieder aus den Armen zu reißen.

Mutter Kunigunde verbrachte die Nacht in der Klinik. Sie wurde aber am nächsten Tag guten Gewissens entlassen. Riccardo hat sie abgeholt, danach hatten sie eine relativ einseitige Aussprache (Riccardo hat geredet und Kunigunde hat nur stumm und engstirnig dagesessen und ihren Kopf geschüttelt – vermutlich stand sie noch immer unter Schock) und dann hat er sie zum Bahnhof begleitet. Folglich haben sie sich leider auch sehr distanziert voneinander verabschiedet. Nun, Kunigunde wird sich bestimmt in ihrer vertrauten Umgebung wieder etwas beruhigen und dann wird ihr auch wieder einfallen, dass Riccardo ihr einziger Sohn ist, der ihrem Schoss entschlüpft ist und dann wird sie sich zweifellos wieder bei ihm ankündigen. (Wenigstens haben die Lügengeschichten ein für alle Mal ein Ende gefunden, denn bald hätte sich deswegen meine Nase mit der von Pinocchio vergleichen lassen können.)

 

 

Unser Sex and the City - Abend bringt eine folgenreiche Neuerung zutage. Nike hat sich dazu durchgerungen, ihr Baby zu bekommen und sich fortan als tapfere Alleinerzieherin durchzuschlagen. Bernie (Zusatztext: das Schwein!) will sie erst im geeigneten Augenblick einweihen (unser Vorschlag ist: mit dem ersten Alimentenanspruch! – als klitzekleine Überraschung sozusagen!).

Nun gut, das ist geklärt. Das Wohnungsproblem sollte momentan auch hinten anstehen, denn vorerst wollten wir alles beim Alten belassen und einfach die weitere Entwicklung abwarten. Riccardo und Raffael haben sich schon im Vorhinein als Onkeln registrieren lassen und nun ... ich würde eben demnächst eine gestresste, nervige und hyperaktive Tante werden (Caro, Elvira und Alex zählen natürlich auch zum Kreis der Tanten, aber sie sind dennoch nicht so unvermittelt betroffen wie ich und mein einigermaßen geordnetes und ruhiges Leben. – Aber Veränderungen können durchaus förderlich sein und den Horizont erweitern. Positiv denken!).

Gerade als ich mich an den Gedanken gewöhnt habe (ich habe diese Entwicklung schon vorausgeahnt, da ich Nike schon ab und zu dabei beobachten konnte, wie sie ihre Hand zärtlich auf den noch nicht existenten Babybauch auflegte), bald Haus und Heim mit einem Kindlein zu teilen, erreicht mich die nächste Hiobsbotschaft!

Alex hat mit einer Seelenruhe Nikes Entschluss abgewartet und dann hat sie ihre Bombe platzen lassen, denn sie ist ebenfalls in anderen Umständen!

Ich bin jetzt offen und ehrlich entsetzt! Ja, werden denn nun alle schwanger! Gibt es keine Verhütung mehr im Land? Unser beziehungsweise mein organisiertes Leben so auf den Kopf zu stellen! Niemand denkt an mich und meine Gefühle. Ich will nicht so schnell Doppeltante werden! Niemand hat mich darauf vorbereitet und mir Zeit gelassen, um mich ein bisschen an den Gedanken zu gewöhnen. (Ich dachte dabei an zwei, drei Jahre. Dieser Zeitraum würde mir reichen. Ach, wäre doch die Tragzeit bei Frauen mindestens in diesem Zeitrahmen bemessen, dann könnte man sich nach und nach an den Baby-im-Anflug-Gedanken gewöhnen und würde nicht so dermaßen überrumpelt werden!)

Alex’ Begleitumstände sind jedoch ganz und gar nicht mit jenen von Nike zu vergleichen. Bis auf diesen, dass beide Verhütungsmethoden buchstäblich in die Hosen gegangen sind. (Der Temperaturmessgrundlage habe ich ohnehin nieee vertraut und diese Knaus-Ogino-Methode mit diesem teuflischen Zählsystem?! Tja, die ist auch nicht viel besser, wie mir scheint. Beide Praktiken haben nun zu einem vermutlich unüberhörbarem – kommt auf die Lungenfunktion des Windelscheißers an - Problem geführt!) Außerdem sind beide ungewollt schwanger geworden. (Das hoffe ich zumindest. Ansonsten wäre es einem Anschlag auf mein Seelenleben gleichgekommen! Mich so dermaßen zu überfahren und mich vor so unwiderrufliche Tatsachen zu stellen!)

Nun, ich muss zugeben, dass ich über Alex’ Reaktion ziemlich überrascht bin, denn eigentlich hat sie immer die These vertreten, dass sie die Letzte wäre, die in diesem Leben Kinder auf die Welt bringen würde. Aber nun sitzt sie mir gegenüber und strahlt über das ganze Gesicht.

Sie ist vor drei Tagen zu ihrem Frauenarzt marschiert (wegen Beschwerden im Unterleib) und dieser hat sie im Anschluss an die Ultraschalluntersuchung gleich über die Ankunft eines neuen Erdenbewohners unterrichtet. Zuerst war sie entrüstet, aber im Laufe des Tages wich ihre Bestürzung reiner Freude - sie wusste auch nicht warum oder wie sie uns dieses Gefühl hätte sonst beschreiben können. Am Abend hat sie dann groß aufgekocht (besser gesagt: der Italiener nebenan) und ein Geschenkpäckchen aufgetischt. Sie wollte Stefan behutsam einweihen, da sie wusste, dass er dieses Thema schon seit geraumer Zeit abgeschlossen hatte. Als er es sich dann am Esstisch gemütlich machte, schob sie ihm eine kleine Schatulle zu. Er hob behutsam den Deckel herunter und darunter lugten gelbe Babyschühchen hervor!

Anfangs schien er zu denken, dass sie ihn veräppeln wollte. Er hat gescherzt und er hat sie wissen lassen »Wenn du mehr Aufmerksamkeit haben willst, dann musst du dir schon etwas anderes einfallen lassen!« -, bis er gemerkt hat, dass Alex nicht in sein Gelächter eingefallen war. Erst da hat er die Bedeutung ihres Präsentes erfasst. Zuerst war er baff (etwa drei Sekunden), dann hat er sich erhoben, ist um den Tisch gehechtet, hat sie hochgehoben und gemeint »Na, dann werden wir eben etwas reife Eltern werden«.

 

 

Unverhofft kommt oft!

 

 

Ich kann an diesem Abend schon wieder nicht einschlafen. Zu viele Dinge geistern in meinem Gehirn herum. Es ist in den letzten Wochen so viel passiert, dass mir die Abenteuer beinahe etwas zu übereifrig daherkommen. Die Welt scheint sich mit einmal viel schneller um die eigene Achse zu drehen, als im vorigen Jahr. Alles ist irgendwie ernsthafter geworden, die ausgeglichenen Tage meiner Jugend sind demnach gezählt und dahin. Ich versuche mit dem schnelleren Tempo Schritt zu halten und auf den Zug aufzuspringen, aber mir will es einfach nicht ganz gelingen.

Die Beziehung zu Francesco hat eine innere Ausgeglichenheit in mir hervorgerufen, wie ich es zuvor nicht zu wünschen gehofft hätte. Er erweist sich bislang als ein liebevoller und verständnisvoller Partner und wir sehen einander regelmäßig, wobei wir tagtäglich per Telefon oder E-Mail Kontakt halten.

(Mir gefällt die Vorstellung eine Fernbeziehung zu haben noch immer, aber seit Nikes Eklat mit Bernie bin ich doch etwas vorsichtiger geworden. Ich bin von Natur aus kein eifersüchtiges Weibchen, außer MANN gibt mir Anlass dazu, aber ein wenig Wachsamkeit kann ja nie schaden. Ach, übrigens: Der lästige Gips ist gottlob passé!)

Der Frühling meldet sich endlich mit seinen ersten zwitschernden Boten an. Die Tage werden nun fühlbar länger, die Sonne ist kräftiger und der Schnee schmilzt langsam auf eine braune, matschige Masse am Straßenrand zusammen. Die Menschen lachen nun wieder vermehrt und spazieren ohne Hetze durch künstlerisch gestaltete Parkanlagen. Sie saugen den Duft der ersten Frühlingsblumen ein und genießen das Leben in vollen Zügen. Die ersten Gaststätten befreien ihre Terrassen von den Utensilien der trostlosen Wintermonate und sie stellen in den windgeschützten Bereichen einige Tische und Stühle auf, die den unzähligen Spaziergängern einladend entgegenleuchten. Die Straßenmeisterei beendet ihren monatelangen Dauereinsatz mit der Beseitigung des Rollsplitts und der Säuberung der Straßen und Gehwege.

Nike frequentiert und blockiert jetzt zum Glück die Toilette etwas weniger oft als noch vor ein paar Wochen. Sie hat sich (wenn sie nicht gerade kopfüber in der Toilette hängt) voll in ihre Arbeit gestürzt. Auch in ihrem Gesicht findet sich nun häufiger wieder ein Lächeln ein (Gott sei Dank!). Sie ist nun – verständlicherweise - viel mit Alex zusammen. Die beiden durchforsten dabei manchmal die Buchläden der Stadt nach geeigneten Lektüren rund um die Geburt und angrenzende Themen, shoppen gelegentlich in der Mutter&Kind Boutique und haben sich sogar schon für das »Geburtshecheltraining« angemeldet (Alex und Stefan, Nike und Onkel Riccardo – er ist mir immerhin noch etwas schuldig).

Während Nike schwangerschaftsbedingt zunimmt, lege ich – vermutlich aus solidarischen Gründen - auch wieder leicht zu. (Derzeitiges Kampfgewicht: 64,10 kg! - Hierbei fehlt mir jetzt doch die verbrennende Wirkung von den rhythmischen und fettabbauenden Bewegungen, die beim gewohnten Liebesspiel normalerweise automatisch inkludiert sind.)

Bernie hat sich zwar wiederholt um ein Gespräch mit Nike bemüht, aber ich musste ihn jedes Mal vor der Tür abwimmeln und ihn des Hauses verbannen. (Er weiß noch immer nichts über den Spross seines Samens und seine jahrelang anhaltenden und stetig steigenden Unterhaltszahlungen. Oje!!!)

Elvira ist glücklicherweise noch nicht schwanger (das ist nur ironisch gemeint). Sie und Klaus denken aber schon ernsthaft über eine Wohnungszusammenlegung nach (für meinen Geschmack etwas zu früh, aber wer fragt mich schon - Hauptsache sie ist happy!).

Caro ist nun ein endgültiges Double-Single-Single (sexuell sowie partnerschaftlich). Nachbar Kurt hat sich doch jetzt tatsächlich ein gerade mal neunzehnjähriges Häschen angelacht und vernascht. Na, wenigstens kommt er nicht wegen Verführung Minderjähriger in den Knast.

Caro hat Kurt schon ein bisschen ausgehorcht und konnte in Erfahrung bringen, dass die kleine Erwachsene noch stolze Besitzerin einer Schülerfreifahrtkarte ist – sprich weder Führerschein noch Automobil besitzt - und bei den Eltern zu Hause wohnt, die sie und ihre Maroden noch finanzkräftig unterstützen. Nebenbei ist die junge Lady ganz und gar in Kurt vernarrt – so sehr, dass sie ihn jeden Tag sehen möchte. Anscheinend ist Kurt von dieser Vorstellung weniger begeistert, aber Miss Youngstar erweist sich bislang als äußerst hartnäckig und zäh. Tja, Good Luck, Kurt!

Ich entschließe mich, da es mir nichts einbringt, wenn ich unsere Waage weiter mit Missachtung strafe, eine fettverbrennende Joggingrunde durch den Schlosspark zu absolvieren. Das sonnige Wetter lädt geradewegs dazu ein. Ich zwänge mich demnach in meinen apfelgrünen Adidas-Jogger, schnalle meine Nike-Turnschuhe an, kämpfe mit dem Kabelsalat des iPod und, um das sportliche Outfit gänzlich zu komprimieren, setze ich noch meine hünenhafte Vogue-Sonnenbrille auf und ... ab geht die Post.

Um mich und meine müden Knochen aufzuwärmen, marschiere ich schnellen Schrittes die Straße zum Park entlang. Keuchend komme ich dort fünfzehn Minuten später an. Es tummeln sich viele Spaziergänger auf dem Schotterweg, in die doch noch ziemlich schlammige und wässrige Wiese wagt sich dabei kaum jemand. Nachdem mein Pulsschlag wieder einigermaßen normal ist, laufe ich los. Ich sauge die Luft ein, befreie meinen Kopf von den trägen Gedanken und recke mein Antlitz der Sonne entgegen. Meine Powerwomen-Musik gibt mir den Takt vor. Melissa Etheridge mit Bring me some water macht den Anfang und begleitet mich durch die Natur. Ich werde dabei immer leichtfüßiger und schneller.

Ich kann nicht sagen, wie lange ich dieses Affentempo durchgehalten habe, aber ich ringe augenblicklich nach Sauerstoff (ein Glas Wasser wäre auch nicht schlecht, da sie schon mal davon singt). Oh, nun beginnt erst der zweite Song auf der iPod-Auswahl! Nun ja, die erste Arie hat bestimmt zehn, wenn nicht sogar fünfzehn Minuten gedauert. Sehr gute Leistung fürs erste Lauftraining! (Ich weiß, Eigenlob stinkt, aber ich und mein Ego können diese dezente Duftnote durchaus vertragen.)

Ich halte nun nach einem geeigneten und nicht so belebten Platz für mein Stretchingprogramm Ausschau. Oh, beim Ententeich sieht es angenehm ruhig aus. Ich muss zwar, um dorthin zu gelangen, durch die aufgeweichte Wiese, aber was tut man nicht alles für ein wenig Erholung. Ich hopse von einem vermeintlichen Trockenplatz zum nächsten und gelange bald zu meinem auserkorenen Plätzchen. Ach, hier ist es einfach wunderbar. Ich stehe auf der erhöhten Uferböschung und genieße den Ausblick. Ein paar Meter unter mir breitet sich ein kleiner feiner, im Licht der Sonne schimmernder Teich aus und reflektiert die dahinter liegende Gebirgskette klar und deutlich. Das Dickicht am Ufer sorgt annähernd für die Abschirmung der brütenden Vogelarten, die sich hier zahlreich einfinden und die Gegend mit ihren freundlichen Melodien erfreuen. Um mein Stretchingprogramm durchlaufen zu können, suche ich nach einem möglichst trockenen Flecken Erde, aber der Untergrund scheint durchwegs triefend zu sein. Nun gut, wenn es überall nass ist, dann kann ich ebenso gut hier bleiben - so kann ich wenigstens auf den Teich hinabblicken und mich am Panorama erfreuen.

O, nun trällert meine heimliche Favoritin, Sandra Pires, ein Liedchen (My arms are open wide)! Ich kann der Versuchung mitzusingen einfach nicht widerstehen. Ich weiß, mein Gesang ist wirklich grässlich, aber hier - fernab der Zivilisation - kann ich es getrost wagen, zumindest leise! Aber wenn ich schon der Umwelt zuliebe leise singe, dann muss ich wenigstens die Lautstärke variieren und auf volle Power gehen! O, es dröhnt! So, jetzt geht’s! Ich bin bereit. Ich konzentriere mich vorerst auf die Haltungsübungen, die ich jede Woche in der Spieltanzschule praktiziere. Ich recke und strecke dabei meine Wirbelsäule zu allen erdenklichen Seiten. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und wachse mit meinen Armen gen Himmel. Bauchmuskulatur ist angespannt, Pobacken sind zusammengezwickt und die Brust ist auffordernd herausgereckt – ich verweile kurz so und lasse danach die Arme Richtung Boden gleiten. An dieser Stelle kommt nun mein Handicap ins Spiel: Ich bekomme nämlich meine Fingerspitzen nur in die Nähe des Bodens, wenn ich meine Beine leicht grätsche – ich weiß, das ist geschummelt, aber entweder so oder meine Knie sind nicht durchgestreckt (immerhin tippe ich so einigermaßen gekonnt mit den Fingerspitzen auf die feuchte Erde). Ich genieße den kurzen Augenblick, das leichte Ziehen der Muskeln, die herrliche Luft, die strahlende Sonne und das milde Klima.

»My arms are open wide, does anybody miss me«, stoße ich keuchend hervor (wegen der Anstrengung der Übung ist mein Zwerchfell leicht blockiert), bevor mich irgendetwas am Hinterteil trifft und nach vorn schiebt.

Ich verliere rasch das Gleichgewicht und kullere erschrocken die Böschung hinab. Die Klänge der Sandra Pires verlieren sich anfänglich in meinem Geschrei und Sekunden später würgt sich der iPod selbst ab! Ich komme im piksigen Gestrüpp zum Erliegen. Meine Sonnenbrille beschirmt meine Augenlider nur noch halbseitig, die Knöpfchenkopfhörer hängen mir alarmiert aus den Ohren und mein Haar ist komplett zersaust, und mit den Blättern und Gräsern der Vorsaison garniert, von meiner Kleidung will ich erst gar nicht sprechen.

Was war das? Ein Gewaltverbrecher? Mitten am Tag, in einem belebten Park! Nun, die Nachrichten sind voll mit solch perversen Typen.

(Zum Glück beginnt der Selbstverteidigungskurs bald.) Ich will mich rasch aufrichten und in Gefechtsposition gehen, aber meine Haare haben sich im Geäst verfangen. Meine Hände rasten sich einstweilen in einer natürlichen Schlammpackung aus. Oh, da kommt mir eine rettende Idee: Ich werde den näherkommenden Wüstling ablenken und ihn kräftig mit den feuchten Erdmassen bombardieren. Derweilen kann ich um Hilfe schreien. Irgendjemand wird wohl auf mich und mein Gebrüll aufmerksam werden, so weit ab vom Weg bin ich nun auch wieder nicht.

Igitt! Triebtäter hat sich an mich herangepirscht (ich blicke direkt in die Sonne und muss unwillkürlich gegen die Helligkeit anblinzeln) und schlappert jetzt mein Gesicht mit schroffen Bimsstein ab! Ekelhaft!

»Garfield!«, ertönt es in meiner Nähe.

(Verdammt! Wie hoch sind die Chancen, dass es mehrere hundeartige Garfields gibt, die ebenso wie ihre Herrchen kein Benehmen haben und ständig auf sämtliche Hinterteile grapschen? Gleich null, oder? Verdammt, verdammt!!! Na, der Idiot hat mir gerade noch gefehlt!)

»Nein! Aus, Garfield! Lass doch das Fräulein in Ruhe! O Gott, das tut mir wirklich leid! Sind Sie verletzt? Garfield, aus jetzt!«

Ich vergesse zornerfüllt meine schlammbesudelte Hand und streiche mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Shit! Die feuchte Masse bildet rasch ein spärliches Rinnsal über meine Wange. Ich sehe jetzt vermutlich wie ein Indianermädchen auf dem Kriegspfad aus.

(Nun, genau genommen bin ich ja auch auf dem Kriegspfad mit diesem Rhinozeros ... Obwohl mich derzeitig bestimmt auch das Bundesheer sofort verpflichten würde, denn zusätzlich zu meinem beschmierten Antlitz hat mein grüner Jogger schon unverkennbar deren Tarnfarbe angenommen.)

»Also, Ihr Garfield ist noch immer so ungestüm wie vor ein paar Wochen. Nun, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm«, entgegne ich bösartig, während ich an meinem Haar zerre, um es aus der Gefangenschaft zu befreien.

»Ja, wenn haben wir denn da!«, stößt der Sittenstrolch verblüfft hervor.

»Sind Sie eigentlich auch ein Hinterteil-Fetischist oder trifft diese Beschreibung nur auf Ihren vierbeinigen Weggefährten zu?«

»Tja, in einem sind wir beide komplett konträr: Während ich bei der Auswahl der Damengesellschaft Geschmack zeige, hat Garfield nun mal gar keinen. Aber er ist ja schließlich nur ein Hund, ich bin ihm deswegen nicht böse. Er sucht sich eben liebend gerne saure Essiggurken aus.«

»Könnte es nicht auch sein, dass Ihr Hund der Einzige in ihrer innigen Partnerschaft ist, der Geschmack beweist«, bemerke ich kurzweg. (Verflixt, dieses verästelte Gestrüpp kostet mich unzählige Haarbüschel!)

»Falls ich Ihnen – mal angenommen - zu Hilfe eile, beißen Sie mir dann die Hand ab?«

»Oh, beiß nie die Hand, die dich füttert!«, gebe ich keck zurück. »Dieses Sprichwort gilt allerdings ausschließlich für Garfield, also machen Sie sich schon vom Acker!«, schnauze ich ihn giftig an, währenddessen ich die Schlammpackung gründlich in meinem Haar verteile.

»Nun, seien Sie doch nicht so stur! Ich habe mich doch entschuldigt.«

»Das haben Sie und nun verschwinden Sie!«

»Tja, das Mundwerk scheint in Ordnung zu sein, nicht wahr, Garfield!«, sagt der ungehobelte Kerl und Garfield bellt lauthals auf und wedelt begeistert mit seiner Rute.

Mr. Unausstehlich tritt vorsichtig an mich heran und beugt sich herab, um mir mit seinen stahlblauen Augen direkt ins Gesicht zu grinsen. Aber was ist denn das? Er hat nun einen Rotzbremser (sprich: Schnurrbart. Absolut unküssenswert, da Behaarung nur pikt und mit diesem Scheusal als Anhängsel sowieso!) im Gesicht stehen! Igitt! Sein brünettes, zotteliges, schulterlanges Haar hat er gar nicht erst versucht zu bändigen. Aber er ist heute wenigstens nicht so nachlässig gekleidet wie anno dazumal. Sein Trainingsanzug wirkt annähernd sauber. (Nun, seiner ist momentan sogar bestimmt fleckenloser als meiner!)

»Tja, dem Mundwerk ist nichts geschehen! Und, wie sieht es sonst aus, was meinst du, Garfield? Nun, ES ist ein bisschen kratzbürstig und schlammig, aber ernsthafte Verletzungen scheint ES keine zu haben!«

»HALLO, ich bin auch noch da! Sie brauchen nicht in der dritten Person mit Ihrem Hund über meinen Gemütszustand zu diskutieren! Tun Sie nicht so, als wenn ich nicht anwesend wäre oder wenn ich mich bereits im Koma befinden würde!«

»Wenn wir ES nun so liegen lassen und ES hat sich doch eine Verletzung zugezogen, dann kann es uns passieren, dass wir irgendwann eine Anzeige wegen Fahrerflucht verantworten müssen. Sollen wir das riskieren, Garfield?«

»Ich bin nicht verletzt!«, fauche ich ihn wütend an. »Und ich bin hier und kann für mich selbst sprechen, verdammt noch mal!«

»Sie wirken noch immer extrem unbefriedigt!« Dieser Halunke visiert mich mit seinen blauen Augen direkt an und wagt es, mir eine solche Frage zu stellen! (Oh, das war ja gar keine Frage, sondern eine Feststellung! Nun, Unverschämtheit bleibt Unverschämtheit!) »Entspricht das nun der Tatsache oder täusche ich mich?«

»Hauen Sie bloß ab!«

Ich zerre jetzt wie wild an meinem Haar, bis das Geäst unter meinem unnachgiebigen Drang kapituliert. Daraufhin richte ich mich zur vollen Größe auf (ein Zweiglein hängt mir unterdessen eigensinnig vom Haupt ab, denn es konnte sich nicht von meinem Schopf trennen) und ... ich muss dabei feststellen, dass mein vermeintlicher Angreifer nur unwesentlich größer ist als ich. Na, den schnupfe ich in der Pfeife!!!

»Oh, da haben wir wohl ins Schwarze getroffen, Garfield!«

Noch nicht zur Größe eines Mannes herangereift, aber unverschämt wie zehn auf einen Streich! Wie alt mochte dieser Prototyp der männlichen Klasse sein? Nun, vielleicht zwischen dreißig und fünfunddreißig? (Man muss hierbei natürlich meine oftmals fatalen Fehleinschätzungen im Auge behalten.)

»Sie sollten lieber vor der eigenen Haustür kehren! Wissen Sie, ich bin durchaus nicht weltfremd und kenne dadurch viele Homophile, aber noch nie ist mir ein derart dreistes Exemplar, wie Sie eines sind, untergekommen!«

(Dieses Muster der Evolution ist keineswegs schwul, ich will ihn nur ärgern! Ich weiß nicht warum, aber das ist bei den Heteros immer ein wunder Punkt. Wahrscheinlich sehen sie dabei ihre Männlichkeit gefährdet, oder was weiß ich! - Schwule Männer sehen im Allgemeinen viel adretter und gepflegter aus und sie schlagen gegenüber Damen allzeit einen galanten Tonfall an! Sie sehen, hier trifft nichts von all dem zu! Also: Das ist ein typgerechtes Hetero-Männlein! Obwohl, den könnten sie sich auch behalten, aber ... den will ja keine/r!)

»Ich wüsste zwar nicht, warum ich mich vor Ihnen rechtfertigen sollte, aber ich favorisiere trotz allem die weibliche Spezies.«

»Und, ist Ihrer Charmeoffensive schon mal ein angepeiltes Objekt erlegen oder sieht’s da schlecht aus? Ach, was frag’ ich, ich kenn’ die Antwort ohnehin!«

»Ich glaube, wir können unser aufschlussreiches Gespräch hier beenden. Verletzt sind ja Sie offensichtlich nicht. Ach, ich weiß, ich habe Sie schon mal nach Ihrem werten Namen gefragt, aber Sie waren damals so in Wallung, dass Sie vergessen haben, ihn mir gegenüber zu erwähnen. Ich meine, nur wegen der Kosten für die Reinigung und wegen meiner Tabelle, sie wissen doch: die der zickigsten Frauen! Ach, und noch eine Frage: Frequentieren Sie diesen Park hier häufiger, denn dann müssen uns Garfield und ich unbedingt ein Messgerät, welches herannahende Naturkatastrophen rechtzeitig vorherbestimmen kann, anschaffen!«

»Sie wollen doch damit nicht sagen, dass Sie hier in der Nähe wohnen?«

»Das kommt ganz darauf an, wo Sie wohnen!«

»Nun, lassen wir das und hoffen wir das Beste für unser beider Zukunft. Der Park ist schließlich weitreichend! Und bringen Sie ihrem Hund endlich einmal ein paar Manieren bei!« Mit diesem Schlusswort wende ich mich Garfield zu, der schwanzwedelnd an meinem Jogger emporspringt und seine Pfotenabdrücke nun auch auf meiner Brusthöhe verteilt. »Und nun zu dir! Du bist noch jung! Du hast noch die Möglichkeit, dir ein herzeigbares Herrchen mit Kinderstube zu suchen. Ich empfehle dir abzuhauen, solange noch Zeit ist. Ergreif bloß die Chance, Junge!«, flüstere ich ihm ins Ohr, bevor ich mich von ihm löse.

Nach diesem Fingerzeig wende ich mich der Böschung zu, klettere hinauf und verlasse das virtuelle Minengebiet ohne mich umzudrehen.

So, genug Sport für heute. Ich gehe nun gemütlich nach Hause und befreie mich von den matschigen Turnschuhen (zwischen meinen Zehen haben sich mittlerweile bestimmt schon Schwimmhäute gebildet. Ich sollte das nächste Mal unbedingt imprägnierte Schuhe anziehen, falls es überhaupt ein nächstes Mal gibt, ich bin nämlich völlig ausgepowert!). Meinen ehemals apfelgrünen Jogger kann ich getrost verabschieden. (Nun, vielleicht geht der Schmutz ja bei fünfundneunzig Grad doch noch raus. Ich werde dem verunreinigten Kleidungsstück eine Chance einräumen und es gleich in die Waschmaschine werfen.)

Zwei Haarpflegekurpackungen und eine Dusche später sehe ich wieder halbwegs zivilisiert aus. Ich werde nun - aus Neugier - schnell nachsehen, wie viele Minuten mir das heutige Lauftraining abverlangt hat.

Oh, Schreck! Song Numero uno dauert nur knappe fünf Minuten (diese Zeitangabe kann doch wohl nicht ernsthaft der Wahrheit entsprechen, oder?). Ich bin entsetzt über diesen niederschmetternden Befund und ... K.o. bin ich sowieso!

 

 

Offenherzigkeiten

 

 

Gut trainiert ist halb krepiert! (Aurel Schmidt)

 

 

***

 

 

Sport hält jung. Ja, die Überlebenschance ist gering!

(André Brie)

 

 

Ich habe bis zum Wochenende meinen joggingbedingten Muskelkater gänzlich abgebaut. Zum Glück, da mich Francesco übers Wochenende nach Mailand eingeladen hat. Wir werden dort zusammen auf eine Vernissage spazieren und danach ist noch ein Dinner im erlesenen Künstler- beziehungsweise Freundeskreis geplant. Da will ich mich natürlich von meiner besten Seite präsentieren und nicht als humpelndes Rumpelstilzchen auftreten.

Ich stelle unverblümt fest, dass ich bislang in meinem Leben noch nie eine derart reife und vertrauensvolle Beziehung mit einem Mann erlebt habe, wie jene mit Francesco. Wir genießen die gemeinsamen Stunden, können über vieles schäkern, wir nehmen uns auch mal gegenseitig auf den Arm und wir können uns in sämtlichen Angelegenheiten austauschen. Ich fiebere unseren Treffen jedes Mal erwartungsvoll entgegen.

Ich habe mich jetzt schon öfters bei dem Gedanken, wie es beziehungstechnisch mit uns weitergehen könnte, ertappt. Diesen wunderbaren Mann nur alle vierzehn Tage bis drei Wochen zu küssen, ist mir zugegebenermaßen auf Dauer zu wenig. Ich möchte ihn - im Grunde - mindestens jeden zweiten Tag sehen, so sehr sehne ich mich nach ihm. Mein Herz rast, wenn mein Handy klingelt und wenn ich auf dem Display die blinkende Anzeige mit seinem Namen entdecke. Er übt eine animalische Anziehungskraft auf mich aus, die absolut vergleichbar mit den Gezeiten und dem Verhältnis des Meeres zum Mond ist. Es läuft wirklich alles optimal, zumindest wenn man von einer gewissen Problemzone absieht. Diese ist tabu. Dort unten herrscht Death Trouser

– zumindest noch ... tja, das ist jammerschade! Die Behandlungsweise dieses geheimnisvollen Inkognito Arztes ist bis jetzt ohne Erfolg geblieben, aber ich blicke auch hier positiv in die Zukunft.

Ich habe mir extra für die Mailänder Expedition ein bezauberndes Outfit besorgt. Die chinesische schulter- und rückenfreie Cheongsam ist aus hochwertigem bestickten Brokat-Seidenmaterial. Das Kleid ist äußerst figurbetont und wirkt mit seinem Kragen im chinesischen Stil und den Schmetterlingsknöpfen sehr elegant. Darüber hinaus hat es einen Seitenschlitz, der beinahe bis zu meiner linken Hüfte reicht. Das raffinierte Dekolleté lässt dabei nicht zu viel und nicht zu wenig erahnen und präsentiert meinen Busen optimal. Um das Ensemble zu ergänzen, setze ich auf eine edle, silbergraue Stola, eine schwarze Fendi-Handtasche und hohe Glattleder-Sling-Hacken (Letztere sind auch neu und sehen wirklich sexy aus!).

Erfreulicherweise sollte die Vernissage zuerst stattfinden, denn sonst hätte ich die Beköstigung verweigern müssen (Bauchzone!). Durch meine sportliche Aktivität und durch mein kontinuierliches Zuckerfallenaufspürprogramm zeigt die Waage nun die etwas erfreuliche Ziffer 61,80 kg an. Juhu!

Vinzenz lenkt Raumschiff Enterprise minutiös zu meiner Bleibe. O Scheibenkleister, ich hab’ verschlafen! Die Batterien meines Weckers haben justament in dieser Nacht den Geist aufgegeben. Wir wollten um sieben Uhr starten.

Uuuff ... Ich bin fünfzehn Minuten später tatsächlich abfahrbereit! Ich hoffe nur, dass ich in der Hektik nichts vergessen habe.

Einige Stunden, ein Frühstück und ein kurzes Nickerchen an Francescos breiter Schulter später, erreichen wir Mailand. – Ich betrete darauf das erste Mal Francescos italienisches Domizil. Er bewohnt die obere Etage einer Villa, die in einer noblen Gegend etwas außerhalb des Stadtzentrums gelegen ist. Die Räumlichkeiten sind freundlich und modern eingerichtet. An dem satten Grün der vielen Pflanzen lässt sich erkennen, dass hier ein wahrer Botaniker Hand angelegt hat und Sachverständnis beweist. Das Bett ist frisch bezogen und der Wohlgeruch, welcher der Küche entströmt, lässt auf eine köstliche Mahlzeit schließen.

Nachdem ich meine Habseligkeiten ausgepackt habe, klingelt es an der Tür und eine betagte Frau begrüßt Francesco überschwänglich (auf Italienisch und sie herzt meinen Lebemann, als ob sie ihn schon seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen hätte!). Francesco macht uns, nachdem er endlich wieder freigegeben wurde, bekannt. Die Frau stellt sich als seine Zia (Tante) Antonella heraus. Sie bewohnt die Wohnung unter ihm und sieht hier immer nach dem Rechten. Francesco bittet sie herein und macht uns einen Espresso. Und während die beiden ausgelassen plaudern, lehne ich mich entspannt in den Sessel zurück und lausche selig der italienischen Sprachmelodie.

Nachdem ich meine Tasse geleert habe, verabschiede ich mich, um eine Dusche zu nehmen (jene frühmorgens habe ich ja – dank des ausgefallenen Appells - versäumt!). Wenig später höre ich die Tür ins Schloss fallen und Francesco ruft mich zum Mittagessen.

Ich flutsche daraufhin, nur mit einem Bademantel bekleidet, zur Tür hinaus und halte nach meinem Liebhaber Ausschau. Ich finde das angepeilte Objekt schließlich auf dem Balkon vor. Die Balustrade ist kunstvoll aus Eisenstäben gefertigt und wird von unzähligen Terrakottatrögen, die mit einer Vielzahl mediterraner Gewächse und Kräuter bestückt sind, komplett eingesäumt. Geschützt wird der entzückende Erker durch einen geschwungenen Dachgiebel. Inmitten dieses Ambientes prangt ein schmiedeeiserner Tisch und zwei weiß getünchte Eisensessel, die mit wollig weichen Sitzkissen versehen sind. Zia Antonella hat uns eine Pasta mit Tomaten, Zucchini, Pinienkernen und Parmesan gezaubert. Sie versteht demzufolge nicht nur etwas von Pflanzen, sondern sie ist auch eine Koryphäe in der Küche. Dazu wird Weißbrot und eine Flasche Pinot blanc gereicht. Francesco schenkt mir großzügig ein und prostet mir zu.

Nachdem wir die Leckereien verspeist haben und demnach eines meiner Bedürfnisse gestillt ist, rücke ich meinen Stuhl quietschend an Francesco heran und streiche ihm sanft über das Hosenbein. Ich küsse ihn auffordernd und will eigentlich jetzt sofort und hier mit ihm schlafen. Er scheint auch nicht abgeneigt, denn er streicht mir langsam über den Hals bis zur Taille, löst den Knoten des Bademantels, öffnet ihn leicht, gleitet danach wieder zum Ausgangspunkt zurück und entblößt mein linkes Schulterblatt. Während er meinen Halsbereich erforscht, führe ich meine Beine geschickt zwischen den Lehnen seines Stuhls hindurch und nehme gemächlich auf seinem Schoss Platz. Mein ganzer Körper ist heiß und erregt, und jede einzelne Pore meiner Haut lechzt nach seiner Berührung. Währenddessen er sich nun mit meinem bebenden Schlüsselbein beschäftigt, fummle ich geschickt an den Knöpfen seines Hemdes herum. Ich nähere mich dabei ungeniert der Tabuzone und öffne die Gürtelschnalle seiner Hose. Nun noch der Reißverschluss (also, wenn ich mich nicht ganz täusche, dann regt sich hier unten eindeutig etwas!). Er zuckt leicht zusammen und atmet lange aus, als ich über seine empfindsame Stelle streiche. Ich glaube, er und sein Freund sind so weit, aber um mich davon überzeugen zu können, muss ich direkt auf Tuchfüllung gehen und die zwei hinderlichen Stofflagen auch noch entfernen.

»Ich möchte dir etwas zeigen«, keucht er schwer atmend hervor und will im Anschluss an diese Ankündigung auch schon aufstehen. »Es ist ein Geschenk und es befindet sich auf der Kommode im Schlafzimmer.«

»Jetzt nicht«, flüstere ich ihm mit begehrlicher Stimme ins Ohr, um es gleich danach zu liebkosen.

»Der Zeitpunkt könnte nicht passender sein, vertrau mir!«

Nun gut, aber wehe, wenn er sich davonstehlen wollte! Heute und jetzt nicht, meine beiden Herren!

Wir schlendern Hand in Hand ins Schlafzimmer, um die Überraschung begutachten zu können. Auf dem Weg dorthin küssen wir uns immer wieder heftig, bis ich ein golden verpacktes Päckchen überreicht bekomme. Während ich an den Geschenkbändern werke, schlägt Francesco die lilienweiße, jungfräulich wirkende Bettdecke zurück und suhlt sich danach entspannt in den sauberen Laken. Juhu! Der erste Schritt in die befreiende Richtung! Ich werfe mich ungestüm neben ihn ins Bett. Er sieht wirklich heiß aus. Das weiße Hemd ist aufgeknöpft und klafft verführerisch auseinander, um mir einen verheißungsvollen Einblick auf seine maskuline Brust zu gewähren, und sein Hosentor ist einladend geöffnet. Ich zerre nun wie wild an dem länglichen Paket, bis die linke Ecke nachgibt und eine schwarze Plastikspitze von Irgendwas zutage tritt.

»Nimm es ganz heraus!«, fordert mich Francesco auf, bevor er sich sanft auf mich schiebt und die Erforschung meines Brustbereiches wieder aufnimmt. Ach, es tut so unheimlich gut, einen Körper auf sich zu spüren (vor allem, wenn es jener von Francesco ist!).

Oh, was ist denn das? Während mein Liebster meine fälligen Lustzentren auf Touren bringt, versucht mein Kopf zu denken. Ich halte hier eine ... Kunstlederpeitsche mit ein paar Strängen in Händen und weiß nicht so recht, was ich damit anfangen soll.

»Und, wie gefällt dir die Überraschung?«, haucht er hervor.

»Nun, ich bin überrascht!«

»Das ist ein wunderbares Stimulationsgerät«, erklärt er mir und entlockt mir das masochistische Spielzeug wieder, um es nebenan abzulegen. Er befreit mich von meinem Bademantel und ich ihn von seinem Hemd. Danach schiebt er sich wieder sanft auf mich und beginnt eine Fontäne von leidenschaftlichen Küssen auf mich abzufeuern. Meine Hände gleiten wieder Richtung Sperrzone und er gewährt ihnen Zutritt. Ich versuche folglich seine Hose über seine Pobacken zu schieben ... mit Erfolg. Oh, was taucht denn hier auf: eine sexy Bruno-Banani-Pant. Ich setze meine Füße geschickt ein, um seine störende Hose über die Kniekehlen zu hieven - auch diese Aufgabe stellt kein Problem dar.

Oh, was macht er nun, er richtet sich auf! Nein, nein, was soll denn das! Ach, er entledigt sich nur der Hose, die lästig an seinen Knöcheln hängt. Wir fahren dann dort fort, wo wir aufgehört haben. Ich befummle nun den letzten Rest Stoff, der zwischen uns liegt. Ich taste dabei ganz genüsslich mit den Fingerspitzen über seine knackigen Gesäßmuskeln, gleite sanft sein Rückgrat entlang, erreiche seine Schultern, schummle meine Tastorgane nach vorn und beschreite den Abstieg über die Taille bis hin zum wunden Punkt. (Ha, irgendetwas regt sich da, ich kann die männliche Revolution gegen die Eingepferchtheit in diesem Höschen deutlich fühlen!)

Während ich auf seinen Leistenbereich konzentriert bin, schnappt er sich die Peitsche und gleitet mit deren Kunststrängen besinnlich meinen Körper entlang. Das kalte Material bringt mich augenblicklich noch mehr in Wallung.

»Weißt du, was mich wirklich heißmachen würde?«, fragt er mich und ohne eine Antwort abzuwarten, fährt er fort: »Wenn du mich damit ein bisschen bändigen würdest. Ich meine, nur wenn es nicht gegen deine Sittlichkeit geht, nur so zum Spaß - sozusagen«, haucht er mir aufgeregt entgegen und deutet auf die Peitsche. »Es wäre auch von Vorteil, wenn du mich etwas forscher ansprechen würdest. Bist du damit einverstanden?«

»So in Richtung Befehlston?«

»Ja.«

»Hilft dir das?«

»Ja.«

»Es ist dann quasi für einen guten Zweck!«

»Ja.«

»Und wir hätten dann alle drei einen Nutzen davon?«

»O ja!«, keucht er lüstern hervor.

»Nun, dann werde ich mich eben opfern ... und jetzt zieh’ die Unterhose aus! Ein bisschen dalli, wenn ich bitten darf!«

Ich bin überrascht von Überraschung und von mir selbst. Francesco hätte mir auch schon früher sagen können, dass ihn Kommandos und leichte Klapse auf den Hintern aufgeilen. Seine Potenz ist zwar damit nicht wieder hergestellt, aber wir sind auf dem besten Weg. Immerhin hatte er ansatzweise einen stehenden Herren.

Danach war es allerdings mit der Herrlichkeit schon wieder vorbei und Flaute war angesagt.

Am Nachmittag schlendern wir Händchen haltend durch die Mailänder Altstadt. Wir sehen uns in der sündhaft teuren Shoppingmeile Via Montenapoleone um (Francesco hat mir beim Schaufensterbummel galanterweise ein breites, mit blassrosa und rubinroten Steinchen besetztes Swarovski-Armband gekauft) und genießen in einem der vielen Stadtcafés einen köstlichen Aperol Sprizz.

Während ich mich zärtlich an Francescos Schulter anschmiege und glückselig in Gedanken versinke, wird mir klar, dass er mich erstmals in seine geheimsten Wünsche und Begierden einweiht. Ich sehe das als Vertrauensbeweis und dafür, dass wir unsere Beziehung nun wieder etwas vertieft haben. Ein Gedanke, der mich keinesfalls alarmiert, sondern der mir ein anhaltendes Lächeln in mein Antlitz zaubert.

Die Vegetation ist hier im Süden viel ausgeprägter als jene bei uns zu Hause. Die Luft ist milder und man ist umgeben vom südländischen Flair. Die Gässchen sind gesäumt mit den Klängen der italienischen Sprache und die Straßenmusikanten erhellen das Ambiente zusätzlich. Ich nippe gelassen am Drink, spiele mit Francescos Händen und sauge die typische Urlaubsstimmung umgehend in mich auf.

Die Vernissage beginnt um neunzehn Uhr. Als Francesco und ich erscheinen, ist sie schon voll im Gang. Das Armband passt hervorragend zu meinem Kleid und ich passe hervorragend zu meinem Begleiter. Francesco kommt mir allerdings schnell abhanden, da er hier alle zu kennen scheint und von einem Arm zum nächsten weitergereicht wird. Während er höflichen Small Talk betreibt, kämpfe ich mich durch die künstlerische Aufarbeitungskampagne einer scheinbar verirrten Seele. Die Bilder wirken auf mich düster und obszön. Die Künstlerin verwendet beinahe nur dunkle, bedrückende Ölfarben, wobei sich hie und da doch ein Farbklecks dazwischen drängt. Ich versuche die Charakteristik der dargestellten Kunst zu begreifen, aber ich scheitere abermals an meinen nicht vorhandenen Italienischkenntnissen.

Nachdem ich eine Runde durch die selbstmörderischen Leinwandlandschaften absolviert habe, machen sich bereits meine Füße bemerkbar. (Ich hätte die neuen hohen Hacken doch noch ein bisschen einlaufen sollen!)

Die Räumlichkeiten füllen sich kontinuierlich mit Neuankömmlingen und bald wachsen sie auf ein unüberschaubares Maß an. Francesco scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein, ich kann ihn nirgendwo ausmachen. Nun, ich werde mir in der Zwischenzeit an der Bar einen Drink genehmigen und darauf hoffen, dass ich bald einen Sitzplatz in Anspruch nehmen kann.

Am Ausschank werde ich im Minutentakt von irgendwelchen Typen angesprochen, aber ich verstehe nur Bahnhof. »No parlare italiano - ich spreche kein Italienisch« gebe ich allzeit höflich zurück und verrenke mir dabei auffällig den Hals nach meinem Begleiter.

Nach dem zweiten Campari-Orange beschließe ich, mich auf die Suche nach Francesco zu machen und finde ihn im lauschigen Innenhof, fernab der Gesellschaft, in Begleitung einer attraktiven Frau um die Vierzig vor. Die beiden lachen und unterhalten sich scheinbar prächtig (während ich geduldig ausharre und wie Aschenputtel auf das Erscheinen meines Prinzen warte). Mir fällt sofort auf, dass sich die Frau vertraut bei ihm eingehakt hat. Zusammen starren sie gen Himmel und sie bedeutet ihm mit ihrer freien Hand Ausschau nach irgendetwas zu halten. Tja, und während sie sich konzentriert dem Sternenhimmel zuwenden, wandert Francescos Hand an der Lady unbekümmert abwärts, bis sie sich schließlich gemächlich auf ihren wohlgeformten Vier Buchstaben niederlässt.

Nun, in dieser Pose finde ich also meinen Lebemann vor! Ich bin etwas erzürnt! Nein, ich bin eigentlich fuchsteufelswild! Er will im Befehlston angesprochen werden, na, das kann er haben! Zu schade, dass ich die Peitsche nicht eingesteckt habe, denn die würde ich ihm jetzt ungemein gerne überbraten!

»Ach, Amelie, da bist du ja!«

(Wie schön, er weiß meinen Namen noch! – Ich konnte mich leider nicht leise anpirschen und ihre Unterhaltung verfolgen, da Absätze am Kopfsteinpflaster zu geräuschvoll waren und im Innenhof sofort Resonanzen bildeten.)

»Ich habe dich vorhin überall gesucht«, trällert er mir freudestrahlend zu.

»Nun, du hast ja, wie ich feststellen muss, einen ganz netten Ersatz gefunden, nicht wahr«, antworte ich betont kühl.

»Amelie, darf ich dir Bibiana vorstellen!« Er greift nach meiner Hand und zieht mich zu sich. »Sie ist die Schwester meines besten Freundes. Wir haben uns gerade eben zufällig getroffen«, bemerkte er euphorisch.

Tja, was soll ich sagen! Die einzige Sprache, deren wir alle drei mächtig sind, ist die Englische, folglich kommunizieren wir dementsprechend. Wir tauschen einige Höflichkeitsfloskeln aus, wobei ich Bibiana misstrauisch beäuge. Nach wenigen Minuten schließen wir wieder zur Gesellschaft auf und danach werden wir zu Tisch geleitet. (Meine Füße jubeln lautlos auf!)

Bibiana wirft kurzerhand die Tischordnung über den Haufen und gesellt sich gleich neben Francesco. Sie ist wieder ins italienische Sprachmuster zurückgefallen und gestikuliert wie wild mit ihren Händen und

– was mir sehr missfällt – mit ihren Augen. Sie flirtet ungeniert mit Francesco, obwohl ich gleich nebenan platze. Nun, bald PLATZE ich, soviel ist gewiss! Ich suche unter der Tischdecke nach seinem Oberschenkel und kneife gleich, nach dessen Entdeckung, gewissenhaft hinein.

»Autsch!«, entweicht es ihm leise und er starrt mich daraufhin mit treuen Hundeaugen und mit »Ich will ja mit dir plaudern, aber ich kann mich nicht losreißen!« – Blick an.

Dieser Abend verläuft äußerst zäh. Während sich Francesco blendend unterhält, langweile ich mich fast zu Tode. Francesco platziert offenbar einen Witz oder schildert eine humoristische Situation, denn alle lachen herzhaft (außer meine Wenigkeit, da Sprachbarriere ja allseits vorhanden).

Ich frage mich aufrichtig, was ich hier mache. Warum hat er mich mit nach Mailand genommen und warum zum Teufel hat er mich auf diese Vernissage geschleppt? (Damit ich hier doof rumsitze!) Irgendwie fühle ich mich gegenwärtig überhaupt nicht wohl. Ich scheine in dieser kuriosen, italienischen Künstlerwelt komplett deplatziert zu sein! Ich will eigentlich auf der Stelle in die Villa. Ob Vinzenz vor dem Eingang wartet? - Auf der anderen Seite hat mich Francesco zu sich eingeladen und mich auf dieses Event mitgenommen. Er würde sich doch nicht in der Öffentlichkeit mit jemanden zeigen, denn er nicht zu schätzen wüsste, oder?

Nun, ich werde – quasi als Dame der Gesellschaft – meinen kurzweiligen Verpflichtungen nachkommen, allseits liebevoll lächeln und nicken, einen großzügigen Schluck Wein trinken, meine geschwollenen Füße aus den beengenden Schuhen befreien und geduldig abwarten!

 

 

Wenn man einen Menschen nicht verlieren will,

muss man seine verwundbare Stelle respektieren.

(Elise Pinter)

 

 

Nach zweistündiger Stillhalteparole halte ich es schließlich nicht mehr aus. Nachdem ich Francesco von meiner Absicht, endlich nach Hause in die Villa Kunterbunt fahren zu wollen, unterrichte, sieht er mich verärgert an.

»Was, jetzt schon? Ich kann ja verstehen, dass du dich ein wenig langweilst, aber halte mir zuliebe noch ein bisschen durch, ja!«

»Ich halte schon über drei Stunden durch«, erwidere ich. »Ich möchte wirklich nicht länger bleiben. Ich will nach Hause, in bequeme Klamotten schlüpfen, eine entspannende CD hören, in einem Buch blättern und am Balkon noch ein Gläschen Wein trinken. Du kannst ja später nachkommen. Würdest du mir bitte Vinzenz zur Verfügung stellen oder soll ich mir besser ein Taxi rufen?«, frage ich ihn freundlich und ohne dabei einen Hintergedanken zu verfolgen, oder das in meiner Frage Verärgerung mitklingen würde.

»Du kannst mich hier doch nicht allein zurücklassen, wie sieht denn das aus!«, faucht er mich leise an.

»Das würde dann so aussehen, als ob ich dir vertraue und dich auch ohne Aufsicht lassen könnte.«

»Ich würde es trotzdem begrüßen, wenn du meinen Wunsch würdigen und dich danach richten würdest.«

Oh, er hat still und heimlich den Spieß umgedreht und stellt seine Forderung nun im Befehlston an mich!

»Es tut mir leid, aber ich habe einfach keine Lust mehr«, antworte ich ihm hartnäckig.

Na, sieh mal an! Da hat sich doch tatsächlich eine fremde Hand an Francesco rangemacht! Sie streicht ihm sanft über das Knie und hält dann an seinem Oberschenkel inne. Ich blicke wütend zu Bibiana, aber diese ist scheinbar in ein interessantes Gespräch mit ihrem anderen, überaus greisen Tischnachbarn vertieft. Sie unterhält sich ungezwungen und lacht amüsiert auf, während sie meinen Begleiter ungeniert und in aller Öffentlichkeit begrapscht und anmacht.

»Ich habe es mir anders überlegt!«, entgegne ich abrupt.

»Sehr gut - das freut mich!«

Francesco tut gerade so, als ob er die fremde Hand nicht bemerkt hätte. Wie kann einem DIE entgehen? Oh, ich verstehe: Er fühlt sich geschmeichelt. Das muss es wohl sein!

»Ich bin zum Schluss gekommen, dass du mich begleiten solltest. Fremd und hilflos, wie ich nun mal bin, könnte ich mich ja auf dem Nachhauseweg verirren«, erkläre ich ihm ernsthaft, »wie beispielsweise diese Hand, die sich jetzt schon seit geraumer Zeit auf deinem Schenkel ausruht und die du anscheinend noch immer nicht bemerkt hast!« Nun liegt Verärgerung in meiner Stimme.

»Das ist doch nur Bibianas Arm!«, fährt er mich an. »Wir sind schon seit Ewigkeiten befreundet.«

»Nun, ich werde mich nicht mehr wiederholen, entweder du kommst jetzt mit oder ...«

»Oder was?«, herrscht er mich schnaubend an.

»Ach, dieses Gespräch führt doch zu nichts! Bleib ruhig hier45

- auf diesem berauschenden Fest - und erquicke deine Tischnachbarin, ich mach’ mich jetzt jedenfalls vom Acker!«, gebe ich zornig und nicht mehr ganz so leise zurück. Danach schlüpfe ich in die Pumps, raffe mich auf und verlasse schnellen Schrittes und erhobenen Hauptes den Saal.

Ach, bin ich wütend! Typisch Mann! Ich habe kurzfristig außer Acht gelassen, dass er ja auch dieser brunftigen Gattung angehört! Genießt vor meinen wachsamen Augen die Streicheleinheiten einer Alten Freundin! Dass ich nicht lache! Er führt sich auf wie ein aufgeblasener Gockelhahn im rammelvollen Hühnerstall! Er will sich nur beweisen und in Szene setzen! Bitte, das ist ihm gelungen!

Ich steuere auf den Ausgang zu und danach halte ich auch schon Ausschau nach der schwarzen Karosserie. Tja, leider lässt der Erfolg dabei deutlich auf sich warten, denn die gesamte Allee ist gesäumt mit dunklen Fahrzeugen.

»Amelie, so bleib doch stehen!«, ruft mir Francesco nach.

Oh, ich habe Glück, da kommt ein Taxi die Straße entlang. Ich werde gewiss nicht hier stehen bleiben und auf eine Moralpredigt des Monsignore Percher warten! Ich kämpfe mich mit meinen hohen Hacken die Treppen hinab und winke das Taxi heran. »Wo willst du eigentlich hin?«, fragt mich Francesco, als er zu mir aufgeschlossen hat. Er umfasst dabei rasch mein Handgelenk.

Tja, das ist eine absolut berechtigte Frage! Ich habe keinen Tau! Ich weiß blödsinnigerweise nicht einmal die Adresse von seiner Villa, geschweige denn, den Anfahrtsweg dorthin.

»Ich will hier weg!«, entgegne ich stur. »Was sollte denn das eben!«, fahre ich ihn funkelnd an. »Du willst dich doch nur vor deinen Freunden profilieren und mich willst du anscheinend nur provozieren! Das war einzig Sinn und Zweck dieses Abends, oder täusche ich mich da?«

»Es tut mir aufrichtig leid!«, stammelt er hervor.

»Verhältst du dich in solch einer Gesellschaft immer wie ein Chauvinistenschwein? Wenn sich das bewahrheitet, dann kannst du das mit uns getrost vergessen! Ich bin nicht dein dummes Frauchen, das stets stillhält und ruhig und gelassen abwartet, während du allerorts herumflirtest! Ich bin gewiss kein Mensch, den man schnell mit Eifersüchteleien reizen kann, aber du hast heute den Bogen bei Gott überspannt! Ich hätte dir in deinem Alter schon ein bisschen mehr Sinn für Anstand und Sitte zugetraut!«

»Es tut mir leid!«

»Ja, das sagtest du schon! Ich will jetzt nach Hause!«

»Ich habe Vinzenz bereits informiert, er ist schon auf dem Weg hierher. Ich werde mich nur noch rasch verabschieden.«

»Tu, was du nicht lassen kannst!«, sage ich emotionslos.

»Warte auf mich, ich bin gleich wieder zurück!«

Vinzenz rollt wenig später mit Raumschiff Enterprise an. Ich besteige hastig meine Transfermöglichkeit und gebe Vinzenz die Anweisung, mich bitte unverzüglich nach Hause zu chauffieren. »Und, Herr Percher kommt nicht mit?« - fragt er fürsorglich, »Nein, der kommt erst später nach« erwidere ich und damit brausen wir auch schon davon.

Mir gehen augenblicklich tausend Dinge durch den Kopf. Die Abfolge meiner vielen Fragen und die Ereignisse des Abends prasseln dermaßen auf mich herab, dass ich beinahe keine Luft mehr bekomme. Ich blicke starr aus dem Fenster und will die letzten Stunden eigentlich nur noch eilig aus meinem Gedächtnis canceln!

Tja, das Schönste an einem klärenden Gespräch oder einem heftigen Streit ist doch die Versöhnung! Nachdem ich Zia Antonella gebeten habe, mir die Wohnung aufzuschließen, setze ich all meine vorigen Bedürfnisse um. Gerade als der erste Schluck Wein meine Kehle hinunterstürzt, höre ich die Tür und Francesco betritt die Wohnung.

»Es tut mir ehrlich leid!«, versichert er mir abermals und steuert mit bekümmertem Gesichtsausdruck auf mich zu. So schnell bekommt er mich aber nicht rum, ich schmolle weiter auf meinem Sessel und kippe noch einen kräftigen Schluck Wein hinunter. »Mein Verhalten war wirk

lich unangebracht.«

»Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung«, sage ich trocken.

»Ich möchte dir etwas schenken.«

»Du kannst nicht etwas Unrechtes tun und darauf hoffen, dass du es mit Geschenken wiedergutmachen kannst.«

»Das ist mir bewusst, aber ich habe es heute für dich gekauft und es stellt eine Kombination dar, also mach bitte die Augen zu.«

 

 

Nun, was soll ich sagen! Der Ausklang dieses Wochenendes ist genauso bezaubernd wie der Anfang, nur den verheerenden Mittelteil hätten wir auslassen sollen.

Wir haben weiterhin fleißig an unserem sexuellen Techtelmechtel geübt, aber über den Einminutentakt ist Francescos Kumpel nicht hinausgekommen. Aber was soll’s, es war trotzdem sehr vergnüglich.

Ach, übrigens! Ich bin nun stolze Besitzerin eines glitzernden und funkelnden Dreier-Assemblies, bestehend aus: rosarubinrotem Armband, geschmeidigem Collier und dazupassenden Ohrringen, Marke Swarovski. Juhu!

 

 

Selbstverteidigungskurs mit zwingenden Hindernissen

 

 

Echte Missverständnisse vervielfältigen sich durch Zellteilung.

Der Kern des Irrtums spaltet sich,

und neue Missverständnisse entstehen.

(Erich Kästner)

 

 

Am Montag hat mich der Alltag wieder voll und ganz im Griff. Leider bin ich zum Frühdienst eingeteilt und muss somit mein Frühstück hastig hinunterwürgen, denn Frau Grinsel ist schon auf dem Weg hierher, das kann ich regelrecht spüren.

Unser Kaffeehaus-Kampfgeschwader hat bei hypochondierendem Mädchen nun eine neue Taktik eingeschlagen. Frau Grinsel ist ein Gewohnheitsmensch und erkundigt sich ja jeden Tag aufs Neue nach dem werten Befinden der Servicebrigade. An und für sich ein netter Charakterzug von ihr, aber - wie wir alle schon wissen - verbirgt sich dahinter nur ein geschickter Schachzug. Unser Anstand geht automatisch dazu über, sie dasselbe zu fragen, was katastrophal für Kellnergeist und –seele sein kann. Ach, ich glaube, ich höre sie schon die Treppen herauftrippeln.

»Guten Morgen, Frau Amelie! Auch wieder einmal im Dienst?«

»Ja, ab und an sehe ich hier schon vorbei«, erwidere ich lächelnd.

»Und, wie geht es Ihnen heute?«, fragt sie mich interessiert.

»Ach, was soll ich Ihnen sagen, Frau Grinsel! Ich habe seit Tagen entsetzliche Zahnschmerzen. Und durch diese mittlerweile schon chronisch gewordenen Attacken habe ich einen Kopf ... nein, ich kann’s Ihnen gar nicht beschreiben! Mir tut einfach alles in diesem Umkreis hier weh«, erkläre ich ihr und deute dabei schmerzverzerrt auf meine linke Backe.

»Na, Ihr scheint ja auf einmal alle krank zu sein«, bemerkt sie verärgert und daraufhin wechselt sie augenblicklich das Thema. (Iris hat ihr nämlich Bauchweh vorgegaukelt, Bernadette jammert über Rückenschmerzen, Elvira kann die Folter in ihren Gelenken nicht mehr ertragen und Isabella leidet nun ständig an Migräne! – Tja, wir versuchen nun, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.) »Ich möchte heute ein Kipferl, ein Stück Butter und eine Melange.«

»Gerne!«

 

 

Drei Tage später ereilt mich abermals der beliebte Frühdienst, und als ich Frau Grinsel mein Leid geschildert habe, hat sie nur gemeint: »Na, Sie jammern aber auch immer!«

 

 

Die Zeit unserer wetter- und winterbedingten Quarantäne ist auf einem Schlag zu Ende, denn die Terrassenmöbel finden endlich wieder den Weg hinaus ins Freie. Tischler, Maler, Lehrling und Hausmeister helfen rasch und stanzen in wenigen Stunden eine große Terrassenlandschaft aus dem Boden. Es gilt nun im Anschluss an ihre Herbeischaffung fünfunddreißig Tische, achtzig Stühle, neun Bänke, elf Sonnenschirme und -ständer, eine fahrbare Kuchenvitrine, vier Mülleimer, fünfzehn Blumentröge, drei Sideboards, vier Guéridons, zwei Wäschetruhen und drei Bonierkassen ordentlich und fachgemäß zu platzieren. Elvira, Iris und ich schlüpfen darauf in die braunen Wollwesten und nach drei Stunden ist die Parade beendet. Zufrieden betrachten wir das Ergebnis und feilschen noch, was die Tischordnung betrifft, an der einen und anderen Variante, bis wir schließlich ein gewisses Optimum erreicht haben. (Danach haben wir uns einen Kaffee redlich verdient!)

 

 

Am Abend des achten Aprils ist es schließlich so weit. Die erste Doppelstunde des Selbstverteidigungskurses steht auf dem Programm. Beginnzeit: 19:00 Uhr.

Elvira, Caro und ich wollen uns eine Viertelstunde vor Beginn des Kurses am Eingang des Polizeireviers Eichbrücke einfinden.

Ich bin überpünktlich ... nein, ich bin viel zu früh am Treffpunkt. Es ist erst 17:50 Uhr und ich nähere mich schon den Toren des Reviers. Auf dem Vorplatz parken unzählige Streifenwagen der Polizei, aber auch Privatfahrzeuge (oder sind dies vielleicht Zivilisierte Polizeiautos?) finden sich hier ein. Ich sehe mich ein wenig um und entdecke vor einem hoch aufragenden Eisentor einen beweglichen Farbklecks am Trottoir. Als ich vorsichtig näher trete, bellt mir ein aufmerksames Hündchen entgegen. Freudestrahlend wirbelt er seine Rute durch die Gegend und will auf mich zueilen, als er abrupt von seiner Leine daran gehindert wird.

»Garfield?«, frage ich das hüpfende Kerlchen verblüfft und tätschle ihm dabei den Kopf. (Ich beachte dabei den nötigen Respektabstand von schwanzwedelnden Hinterteil-Fetischisten zu meinen momentan sauberen Klamotten!)

Ich zerre am Halsband und entdecke doch tatsächlich den Namen des Hundes: Ich heiße Garfield und bin lieb und nett, zu jedem Bett (was ist denn das für ein bescheuerter Spruch?) und den seines Besitzers: Markus Handler, Prinz-Genius-Straße 5. Oh, das ist in meiner unmittelbaren Nähe. Zum Glück ist mir der Idiot noch nie über den Weg gelaufen.

»Na, was machst du denn hier? Wo ist denn dein Herrchen? Warst du klug genug, meinen Rat zu befolgen? Bist du tatsächlich ausgebüxt und sollst nun wieder zurückgebracht werden? Na, da hast du dich aber nicht sehr geschickt angestellt, mein Freund, was?«, frage ich ihn amüsiert.

Oh, da kommt mir ein anderer Gedanke: Vielleicht ist dieser unmögliche Mensch festgenommen worden, das kann ja ohne weiters sein. Vielleicht ist er ja ein Landstreicher? Nein, Landstreicher kolonisieren keine Häuser. Vielleicht handelt es sich bei ihm um einen Dealer? Ja, das könnte dem Ganzen schon beträchtlich näher kommen. Na, wundern würde es mich bei diesem ungepflegten Dromedar nicht!

»Na, seit wann musst du denn hier schon ausharren?«

»Der muss noch eine Weile auf sein Herrchen warten«, beantwortet mir eine freundliche Stimme die Frage.

»O, armer Kerl!«, erwidere ich und tätschle Garfield nach wie vor den Kopf. Was kann schließlich dieses bezaubernde Tier dafür, dass es an einen solchen Unhold geraten ist? Gar nichts.

Ich verrenke mir danach den Hals, um erkennen zu können, mit wem ich das Vergnügen habe. Neben mir ist ein Polizist durch das Eisentor getreten. Er sieht einigermaßen geschäftig aus. Raschen Schrittes tritt er an ein Dienstfahrzeug heran.

»Wo ist denn sein Herrchen?«, frage ich noch besorgt nach, bevor Mister - Ich hab’s extrem eilig die Autotür zuknallt.

»Nun, der sitzt im ...«

Ich würge hier den Polizeibeamten einfach ab, um mich dem hilflosen Tier zuzuwenden. »O, armes Kerlchen. Muss Herrchen einsitzen?« Der Streifenwagen startet und fährt eilig davon. »Bist nun sozusagen ein Waisenhund. Und, was machen die jetzt mit dir?« Ich blicke in die treuen Äuglein und will gar nicht erst über die Beantwortung dieser Frage nachdenken, obwohl sie eigentlich unweigerlich auf der Hand liegt: Garfield wird ins Tierheim abgeschoben! Oh, ich habe eine spontane Idee! »Na, möchtest du noch eine letzte Henkersmahlzeit in Freiheit genießen?«

Gleich ein paar Schritte den Kai entlang liegt ein uriges Gasthaus. Da könnte ich zur Überbrückung der Wartezeit noch eine Tasse Kaffee trinken und mein vierbeiniger Freund könnte im Warmen ausruhen (vielleicht hat der Koch sogar einen Knochen für ihn – Hunde lieben doch diese Kaugenüsse, nicht wahr?). Außerdem wird es ohnehin niemanden auffallen, wenn Garfield ein paar Minuten nicht hier rumhängt. Wir sind ja gleich wieder zurück. Einen letzten Test muss der Vierbeiner allerdings noch bestehen, sonst gehe ich nämlich allein auf einen Kaffee.

»Du musst jetzt ein ganz artiges Hündchen sein! Garfield, Platz!«, rufe ich streng hervor und wie ein Wunder legt sich das brave Bürschchen auf die Erde. Na, das war doch wirklich nicht schwierig! Meine Rede: alles reine Erziehungssache! Hierbei unterscheiden sich Hunde und Kinder wohl kaum voneinander. Jedem Individuum sollte einfach ein gewisses Maß an Erziehung beigebracht werden. Oh, ich habe das Gefühl, dass ich eine hervorragende Tante abgeben werde.

Ich löse darauf Garfields Leine vom Pflock und marschiere mit meinem neuen Beschützer los. Hätte ich einen Hund, dann bräuchte ich keinen Selbstverteidigungskursus besuchen. Nun, dies entspricht auch nicht ganz der Wahrheit, denn Garfield ist wahrlich alles andere als ein zähnefletschender Hüter ... aber Hündchen ist trotzdem ganz schön kräftig und zerrt ungeduldig an seiner Leine. »Bei Fuß! Bei Fuß!«, rufe ich energisch (das heißt doch so, oder?). Nun, sei es, wie es sei! Am Kai scheiden sich unsere beiden Geister endgültig. Während ich links weggehen will, will Garfield in die entgegengesetzte Richtung und ... setzt sich, unter immenser Kraftanstrengung, auch durch. »Wohl den gleichen Dickschädel wie das Herrchen, was? Und, wo ist Herrchen mit seiner Hartnäckigkeit gelandet? Hm? Na, wo, Garfield? - Wie der Herr, so i’s G’scher!«, sinniere ich vor mich hin. Nun, was soll’s! Gehen wir eben ein bisschen spazieren. Wer weiß, in welch muffigem Übungssaal ich mich bald einfinden muss.

Etwa fünfundzwanzig Minuten später: O Gott. Wo will der Köter mit mir hin! (Laut meines Orientierungsplanes nähern wir uns langsam meinem Wohnviertel!)

»Garfield, wir müssen bald umkehren, sonst kommen wir hoffnungslos zu spät. Ich weiß, dir ist das gleichgültig, aber ich habe eine Verabredung«, erkläre ich meinem Begleiter, der nicht daran interessiert zu sein scheint, was ich tue oder denke. Nun, hier geht eindeutig Hündchen mit Frauchen spazieren, denn Garfield schlägt daraufhin selbstsicher eine andere Richtung ein. Wir verlassen den Kai und wandern ein schmales Gässchen entlang. Zehn Minuten später stehen wir vor einem Haus mit der Anschrift: Prinz-Genius-Straße 5. »O armes Hündchen! Ja, das war dein zu Hause, aber Herrchen sitzt doch jetzt im Gefängnis«, erkläre ich meinem schwanzwedelnden Freund geduldig. »Und, nun gehen wir zurück. Komm schon. Bei Fuß!« Tja, Trick funktioniert leider nicht. Ach, ich hab’s: »Na, wo ist dein Herrchen? Na, wo ist er? Such dein Herrchen? Los, such ihn schon!«, feuere ich Garfield aufmunternd an, aber dieser visiert nur schnurstracks die dämliche Haustür an. »Herrchen ist nicht zu Hause. Komm, wir suchen dein Herrchen!« Ich reiße mit aller Kraft an der Leine und ... oh, Hündchen bewegt sich. »Wenn du jetzt ganz brav bist, dann bekommst du nachher einen schönen, fetten Knochen von mir. Versprochen! Und ich besuch’ dich im Tierheim und dann führ’ dich auch noch mal aus. Aber das mache ich nur, wenn du jetzt artig mit mir mitkommst«, sage ich streng. Garfield scheint es endlich kapiert zu haben und setzt sich wieder Richtung Kai in Bewegung.

Ein Blick auf die Uhr. Scheibenkleister! Ich sollte eigentlich in fünf Minuten am Treffpunkt sein, das schaffe ich nie (nicht einmal im Sprintdauerlauf!). Wenige Minuten später (Garfield und ich haben es noch nicht einmal bis in die Nähe des Kais geschafft, da Hündchen nun das dringende Bedürfnis verspürt, an jeder Ecke und jedem Baum seine Duftmarkierung zu versprühen und sein Revier abzugrenzen) macht sich mein Handy bemerkbar.

»Hallo, Caro!«, rufe ich keuchend in die Sprachmuschel.

»Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Wo zum Teufel steckst du? In einer Minute fängt der Kurs an? Wir sind schon umgezogen, ich hab’ mich gerade noch mal herausschleichen können, um dich anzurufen?«

»Ich habe hier ein klitzekleines Problem am Hals«, erwidere ich. »Kannst du den Beginn ein wenig hinauszögern?«

»Na, verrat mir mal, wie ich das anstellen soll! Soll ich den Kursleiter verschleppen oder was? Um was für ein Problem handelt es sich denn?«

»Nun, ich wollte einem süßen Hund noch einen letzten Gefallen erweisen und ihn ein bisschen ausführen, aber nun sind wir so weit von der Eichbrücke entfernt, dass ich bestimmt nicht mehr rechtzeitig ...«

»Von welchem Hund faselst du da?«, unterbricht sie mich brüsk. »Wenn du »Süßen Hund« sagst, dann meinst du doch einen Vierbeiner, oder?«

»Blöde Frage, natürlich!«

»Bitte sag mir jetzt nicht, dass du schon vor uns hier warst und einen rot gescheckten Hund vom Haupttor hast mitgehen lassen!«

Oh, ich bin erstaunt, woher weiß sie das? »Nun, ja. Garfields Fell würde ich als gescheckt bezeichnen, warum?«, frage ich ahnungslos nach. (Mich beschleicht ein flaues Gefühl. Vielleicht ist mittlerweile schon jemand vom Tierheim aufgetaucht?)

»Oh, du bist doch wirklich ein Esel!«, brüllt Caro ins Telefon. »Weißt du, was du angestellt hast?«

»Ach, ich bitte dich! Wieso machst du eine so große Sache wegen eines Hundes!«

»Nun, nicht nur ich mache eine große Sache um diesen Hund, hier im Revier wurde vor Kurzem eine Suchaktion gestartet.«

»Garfield ist doch bestimmt kein Polizeihund?«, bemerke ich verblüfft und starre auf meinen tollpatschig wirkenden Begleiter, der wirklich nicht das Zeug für einen Drogenhund zu haben scheint.

»Nein, das ist kein Polizeihund. Er gehört einem äußerst sympathischen Kripobeamten46, den wir gerade eben kennengelernt haben. Er hat sich uns als Markus ... so und so ... vorgestellt und er läuft beinahe Amok, so verzweifelt ist er wegen des Verbleibs seines Vierbeiners. Er hat gerade sämtliche seiner Kollegen gebeten, Ausschau nach dem Streuner zu halten. Er selbst ist auch eben davongebraust.«

»Ups!«

»Das ist alles, was dir dazu einfällt?«, fragt Caro. »Ups!!!«

»Ich könnte Garfield an einem Baum festbinden und einen anonymen Anruf tätigen, dann bin ich aus dem Schneider.«

»Wo bist du gerade?«

»Irgendwo auf der Verbindungsstraße zwischen der Prinz-Genius-Straße und dem Kai«, antworte ich ihr. »Wieso?«

»Bleib dort! Ich werde mal sehen, ob ich einen netten Polizisten finde, der dich und den Hund abholt. Sie werden bestimmt einer närrischen Frau - wie du eine bist -, die bei dieser Aktion keine böse Absicht hegte, nichts antun.«

»Nein, lass gut sein, das ist keine so gute Ideeeeee ...«

Piep! Piep! Piep! Scheibenkleister, Caro hat aufgelegt! Ich werde sie gleich zurückrufen. Sie kennt ja die fatalen Hintergründe der GarfieldTrue-Story noch nicht. Ich starte sofort die Wählerverbindung: »Diese Nummer ist momentan nicht erreichbar, bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal!« – ertönt es am anderen Ende der Leitung! Shit!

Oh, ich werde einfach Elvira anrufen! Ach, es läutet ... und läutet ... und läutet ... nun, sie scheint ihr Handy auf lautlos gestellt zu haben oder es liegt irgendwo außerhalb ihrer Hörweite! – Ich muss jetzt unverzüglich reagieren und einen geschickten Schlachtplan ausarbeiten. Ich könnte mich selbst ohrfeigen! Wie kann man nur so hirnrissig sein! (Aber zu meiner Verteidigung muss ich sagen: Wer konnte schon damit rechnen, dass dieses ungepflegte Individuum einen Gesetzeshüter darstellt?)

Mal überlegen:

a) Ich könnte jetzt meinen vorherigen Plan in die Tat umsetzen und Garfield hier anbinden! (Ob mich Caro verraten würde? Nicht absichtlich, das ist klar, aber ich weiß nicht, was sie jetzt gerade zum Besten gibt und dann verwickeln wir uns eventuell in eine widersprüchliche Aussage.)

b) Ich könnte uns ein Taxi rufen und ein wenig abseits der Eichbrücke aussteigen und so tun, als ob mir Garfield zufällig zugelaufen wäre. (Auch idiotischer Plan, da mich sein Herrchen ja sofort erkennen, und die Zusammenhänge bestimmt ganz und gar falsch deuten würde. – Dann würde ich vielleicht doch noch verhaftet werden.)

c) Ich könnte letzteren Plan, mit einer kleinen Abänderung, beibehalten. Ich rufe uns ein Taxi, steige vor der Eichbrücke aus und drücke irgendjemanden Garfields Leine in die Hand (notfalls bezahle ich diese Person auch) und derjenige soll dann den offensichtlich ausgebüxten Vierbeiner zurück zum Polizeirevier bringen. Währenddessen würde ich mit dem Taxi am Revier vorfahren und unbekümmert aussteigen (somit kann mich niemand mit dieser Tat in Verbindung bringen ... außer, dieser eine stressige Polizist, der hat mich ja knapp vor der Tat noch beobachtet und mir emsig Auskunft erteilt!) Ach, was grüble ich hier über so irrsinniges Zeug nach! Ich bin eine gestandene Frau und ich werde mich der Verantwortung stellen. (Ich will nur diesem Idioten keine Rechenschaft abgeben müssen.) Nun, die Entscheidung wird mir hier abgenommen, denn in diesem Augenblick kommt ein Polizeiwagen mit Blaulichtsignal auf uns zugerast und hält vor uns an.

»Na, Garfield, wie geht’s dir?«, fragt ein älterer, beleibter Polizist, der sich auf der Beifahrerseite des Wagens herausschält. »Hat dich da jemand verschleppt? Na, da hast du dir aber eine hübsche Entführerin ausgesucht!«, gibt er lächelnd zurück, bevor er sich mir zuwendet. »Guten Abend! Sie müssen Frau Parker sein. Ihre Freundinnen haben uns einen kleinen Tipp gegeben, wo wir Sie und unser zotteliges Kuschelmonster möglicherweise entdecken würden.«

»Ich muss mich entschuldigen! Das war bestimmt keine Absicht«, stammle ich verlegen hervor. (Ich bin etwas von der Rolle, da Polizist so freundlich! Zum Glück ist Garfields Herrchen nicht aufgetaucht, denn der hätte mich zweifellos nicht so galant behandelt!)

»Lassen Sie uns den Ausreißer jetzt nach Hause bringen«, schlägt der freundlicher Helfer in der Not vor. »Sie nehmen an unserem Kurs teil, wie mir zu Ohren gekommen ist?«

»Ja!«, erkläre ich ihm.

»Dann lassen Sie uns aufbrechen, Sie werden nämlich im Turnsaal erwartet. Aufgewärmt sind Sie ja nun schon, oder?«

»Ja, Garfield hat bravourös für mein Aufwärmtraining gesorgt«, erwidere ich schmunzelnd.

Ich fahre das erste Mal in einem Polizeiauto mit. Ich darf mit Garfield auf der Rückbank sitzen, wo normalerweise nur wirkliche Verbrecher platzen. Im Nu sind wir zurück im Polizeirevier Eichbrücke. Nachdem wir vor dem Eisentor angehalten haben, schaue ich mich gewissenhaft nach Mr. Unmöglich um, aber er scheint noch nicht wieder zurück zu sein. Gut, dann kann ich ungehindert im Gebäude verschwinden, mich umziehen und den Kursus besuchen.

Geplant, getan! Alles läuft folgerichtig ab. Ich bin zugegebenermaßen erleichtert. Ich will wirklich keine Konfrontation mit Garfields Herrchen heraufbeschwören, denn der ist bestimmt stinksauer auf den Dussel, der seinen Hund hat mitgehen lassen. Erschwerend kommt bei dieser Überlegung hinzu: wenn er wüsste, welcher Person er eigentlich diese Bredouille zu verdanken hatte!

Nachdem ich umgezogen bin, schleiche ich mich durch die angelehnte Tür in den Turnsaal, wo sich schon allerhand Frauen und Mädchen in quälenden Posen auf den Bodenmatten rekeln und sich zum Takt der popigen Musik aus dem Lautsprecher aufwärmen. Caro und Elvira haben weiter vorn einen Platz ergattert, ich werde vorläufig einfach hier hinten bleiben und die Übungen mitmachen. Ich lege mich auf den Boden und ahme das erste Manöver nach.

»So, das wär’s vorläufig«, gibt eine männliche Stimme bekannt, nachdem ich mich gerade hingelegt habe. »Ich hoffe, Sie sind alle warm!«, hallt es wider.

Oh, ganz vorn richten sich drei Männer auf, die allesamt einen weißen Judo-Karate-Anzug tragen. Von einem der drei kommen offenbar die Kommandos, wahrscheinlich ist das unser Kursleiter! Ich warte gespannt auf neue Instruktionen.

»Frau Parker!«

Ach, die Akustik in diesem Saal ist aber auch wirklich allzu trügerisch. Ich hätte schwören können, dass die Männer da vorn nicht einen Laut von sich gegeben haben.

»Frau Parker!«

»Ja!«, gebe ich leise zurück und blicke noch immer irritiert nach vorn (ich will ja hier kein Exempel statuieren und allein aufgerufen werden!).

»Schön, Sie wieder zu sehen!«

Oh, Stimme klingt ziemlich nahe. Ich würde mal schätzen, Mann steht direkt hinter mir. Und, was die Situation momentan sehr unmöglich erscheinen lässt, ich kenne diese Stimme nur allzu gut.

»Meine Damen, darf ich vorstellen: Das ist Hauptkommissar Handler!«, ertönt es von vorn. Der vermeintliche Kursleiter deutet dabei auf meine Rückenpartie. Ich wage es nicht, mich umzudrehen, obwohl sich nun alle Häupter auf meine Heckseite konzentrieren und freundlich nicken. »Herr Handler wird, je nachdem ob es ihm seine Zeit erlaubt, diesem Kurs beiwohnen und Sie ebenso mit Rat und Tat unterstützen. Scheuen Sie sich nicht, ihn oder uns, bei auftretenden Unklarheiten zu fragen.«

»Ich freue mich sehr, Sie hier alle so zahlreich begrüßen zu können! Einige von Ihnen durfte ich ja bereits vorhin kennenlernen«, bemerkt Stimme hinter mir. »Ach, Gustav! Frau Parker ist erst jetzt zu der Gruppe gestoßen und sie scheint mir noch unaufgewärmt. Wir wollen doch das Verletzungsrisiko nicht schüren und sie kalt einsteigen lassen. Ich werde mich persönlich um ihr Aufwärmprogramm kümmern. Du kannst einstweilen fortfahren.«

»Gut. Na dann meine Damen, aufgepasst!«, fährt Gustav fort (ich verliere hier den Faden, da mich an der Schulter etwas stupst).

»Sind Sie so weit?«, fragt die Stimme eines vermeintlichen Sklaventreibers ungeduldig.

»Wofür?«, will ich wissen und drehe mich rasch um, um den Anblick seines ungepflegten Aussehens rasch über mich ergehen zu lassen.

Also, also, ... nun, ich finde keine Worte. Dieser Mann kann unmöglich derselbe sein, wie jener, mit dem ich zweimal ein äußerst hitziges und verbales Wortgefecht ausgetragen habe. Ich bin baff und man merkt es mir leider auch an, da ich ihn mit offenem Mund anglotze! Dieser Mann vor mir hat nur noch zwei Dinge mit dem garstigen Kerl von Seefeld und vom Schlosspark gleich: Seine Körpergröße und diese unverschämt stahlblauen Augen (die mir schon bei unserer ersten Begegnung indirekt aufgefallen sind!). Der ekelhafte Rotzbremser ist mitsamt den anderen Barthaaren verschwunden und ein kleines Grübchen ist nun aus der Versenkung seines ehemaligen Kinnbewuchses aufgetaucht. Man entdeckt jetzt ein kantiges Gesicht und seine blauen Augen stechen kontrastvoll daraus hervor. Seine Nase ist schmal und geradlinig, und sein schulterlanges, brünettes Haar wirkt heute gepflegt und dabei ist es feinsäuberlich im Nacken zusammengebunden. (Wenn ich momentan nicht so daneben wäre, dann würde ich behaupten, dass ich allzeit seinem komplett gegensätzlichen Zwillingsbruder begegnet bin.) Und, der Clou des Ganzen ist das Gesamtbild, das er in seinem gut sitzenden Anzug abgibt.

Erde an Amelie ... Amelie, reiß dich zusammen!!!

Ich erwache rasch aus der Trance. Ich muss nun überrascht tun: »Oh, Sie sind’s?«, stoße ich beinahe glaubwürdig hervor.

»Ja, ich bin’s! Kommen Sie, Frau Parker!«

»Wohin? Zum Duellierplatz oder gleich zum Schafott?«, frage ich nach und bin dabei um eine freundliche Singstimme bemüht, um der Situation die Strenge zu nehmen.

»Saal zwei, in fünf Minuten!«

»Saal zwei?«, frage ich nach.

»Ja, gleich der kleine Saal links nebenan, in fünf Minuten. Seien Sie ja dort, sonst komme ich Sie holen!« Mit dieser Ankündigung entschwindet er aus meinem Gesichtsfeld.

Ich stemme mich rasch auf und schleiche mich, ebenfalls auf leisen Sohlen, aus Saal eins. Oh, Kommissario ist gerade hinter der letzten Tür des Ganges verschwunden. Ich muss ihm die Sache mit Garfield unbedingt erklären, und zwar, bevor er mich zu Tode gequält hat. Ich stehle mich barfuß und lautlos an die letzte Tür heran. Hierauf ist kein WC- oder Umkleideschild zu entdecken. Na, dann kann ich getrost einen Blick hinter die Kulissen riskieren. Zuerst sollte ich noch an der Tür lauschen. Nun, ich vernehme keine Stimmen. Nur das Öffnen und Verriegeln einer Lade ist zu hören. Oh, Kommissario ist scheinbar sehr verärgert, denn er greift bereits zu den Waffen (Pistole, Degen, Schwert ...).

Mein Plan sieht vor: Ich werde rasch eintreten und gleich mit meiner Erklärung beginnen. So unmöglich, wie er sich mir gegenüber auch verhalten hat, das entschuldigt nicht, dass ich ihm kurzfristig den geliebten Vierbeiner entrissen habe. (Und wenn dieser Rohling nun keine Menschenseele auf Erden hat, der er sich anvertrauen kann - bei seinem Gespür für Menschen würde mich das nicht wundern - und Garfield ist sein einziger Vertrauter! Na, dann bin ich schuld, dass er spätestens jetzt einen Psychiater benötigt oder vielleicht sogar schlimmstenfalls in der Klapsmühle landet.)

Ich reiße unverzüglich die Tür auf, trete ein und schlage die Tür wieder hinter mir zu.

»Was erlauben Sie sich!«, höre ich ihn schimpfen, während er rasch seine weiße Trainingshose hochzieht. »Können Sie nicht anklopfen?«

»Und können Sie sich nicht in einer Garderobe umziehen! Das kann ja kein Mensch vermuten«, stoße ich angriffslustig hervor, senke den Kopf und beschirme meine Augen (als ob es hier etwas zu spähen gäbe, was ich noch nie zuvor erblickt hätte! Aber mein Anstand erlaubt mir kein anderes Verhalten.) »Sind Sie endlich fertig?«, frage ich nach.

»Möchten Sie nicht gnädigerweise den Raum verlassen und in Saal zwei auf mich warten!«, erwidert er mürrisch.

»Ich möchte mit Ihnen sprechen!«

»Sie sind ja noch immer da!«, faucht er mich an.

Meine Güte, ist der beschämt und/oder verklemmt! Die Hose hat er doch ohnehin schon an, jetzt braucht er nur noch sein Hemd abzustreifen und dieses gegen ein weißes Leinentuch zu tauschen und fertig! Ich luge vorsichtig durch den Hohlraum meiner Hand in seine Richtung.

»Drehen Sie sich gefälligst um und wahren Sie wenigstens so ein klein bisschen Anstand! Wenn jetzt jemand hereinkommt! Wie glauben Sie, wirkt das dann auf denjenigen?«

»Anständige Menschen klopfen doch an«, erwidere ich gelassen und lasse meine Hand hinuntergleiten, um ihm herausfordernd in die Augen blicken zu können.

»Ich werde Sie wohl nicht los, was?«

»Also, das mit Garfield war ganz anders, als Sie vielleicht vermuten.«

»Können Sie jetzt schon Gedanken lesen oder was soll dieser Vortrag hier?«, entgegnet er verärgert, danach dreht er mir verächtlich den Rücken zu und beginnt an seinen Knöpfen zu hantieren.

»Ich habe also Ihre Aufmerksamkeit?«

»Ich bin derzeit in der Defensive, nun sagen Sie, was Sie zu sagen haben, denn nach unserem Training werden Sie ihren Atem ausschließlich für die Sauerstoffzufuhr ihrer Lungen benötigen!«

»Ich weiß, unsere bisherigen Zusammentreffen sind alles andere als glücklich verlaufen, aber Sie müssen zugeben, dass die Hauptschuld Sie und Garfield tragen!«

»Ich ...«

»Bitte unterbrechen Sie mich nicht!« Er hat sein Hemd abgestreift und legt daraufhin noch sein weiß geripptes Unterhemd ab. Seine entblößte Rückenpartie wirkt muskulös und auch die Arme sehen durchtrainiert und kräftig aus. (Verzeihung, ich bin bei dieser Gelegenheit leicht vom Thema abgekommen!) »Sie vermuten wahrscheinlich, dass ich Garfield mit Absicht entführt habe, nur um Ihnen einen Schrecken einzujagen, das verhält sich aber überhaupt nicht so! Durch ein dummes Missverständnis habe ich gedacht, dass Sie hier einsitzen und das Garfield dadurch ins Tierheim gebracht werden soll!«

»Das hier ist ein Polizeirevier und kein Gefängnis! Das sollte selbst Ihnen einleuchten!«, erwidert er und schnappt sich seine weiße Toga vom Stuhl.

»Nun, jetzt, da Sie es erwähnen«, gebe ich etwas stutzig zurück, »fällt es mir auch auf!«

»Oh, Madam sieht Ihren Irrtum ein. Nun, das ist ein positives Zeichen und ich werde es Ihnen bei unserer Sportstunde anrechnen«, gibt er zurück. »Und jetzt Abmarsch!« Er bindet sich rasch die Tracht mit einer Kordel zusammen, steuert auf mich zu, packt mich ungeduldig am Arm und schiebt mich zur Tür hinaus in den Gang.

»Aber meine Erklärung war doch einwandfrei, oder? Sie ... Sie sind doch nicht mehr böse?«

»Ich böse, ja wieso sollte ich Ihnen denn böse sein?«, fragt er zuckersüß. (Süffisanter Unterton lässt meine Alarmglocken hell erschallen – kein gutes Zeichen, kein gutes Zeichen, gar kein gutes Zeichen!!!) »Ich werde meine innere Wut dank Ihrer Hilfe nun rasch wieder abarbeiten und jetzt machen Sie schon, Saal zwei wartet ungeduldig auf uns!«

 

 

Sport ist Mord!

(Keine Ahnung, von wem dieser Spruch ist,

aber derjenige, der ihn verfasst hat, ist ein überaus kluger Mensch!)

 

 

Von Quacksalbern und anderen Problemen

 

 

Wenn du einmal bereust, dass du nicht gesprochen hast,

so bereust du es hundertmal, dass du nicht geschwiegen hast!

(Marie von Ebner-Eschenbach)

 

 

Ich habe die Torturen dieses, als vorweg amüsant eingeplanten Abends irgendwie überlebt (wobei sich die darauffolgenden Nachwehen als noch schmerzvoller erwiesen, als die eigentliche Folter unter Kommandante Handler)! Ich muss feststellen, dass dieser ein ganz und gar untypisches männliches Verhaltensmuster aufzuweisen hat, da er ungemein nachtragend ist (was ja normalerweise nur Frauen nachgesagt wird).

Nun gut, ich habe am besagten Abend unfreiwillig sportliche Überstunden machen müssen. Caro und Elvira waren mit ihrem nahezu lächerlichen Trainingsprogramm – im Vergleich zu meinem - eine beträchtliche Zeit vor mir fertig. Die beiden haben sich anschließend mit einigen anderen Kursteilnehmerinnen in den Clubräumlichkeiten der Polizei eingefunden und dort haben sie dann gütigerweise auf mich gewartet. (Natürlich haben sie während dieser Zeitspanne, ihrer werten Gesundheit zuliebe, ihren unausgeglichenen Flüssigkeitshaushalt wieder kompensiert.)

Als ich Stunden später (ich übertreibe hier ein wenig) dort auftauche, hocken sie gemütlich in der Runde und amüsieren sich köstlich, währenddessen ich mir einen Deppen abtrainiert habe und mir die Kontrolle meiner Gliedmaßen kurzfristig abhandenzukommen scheint! Ich bin fix und foxi und habe, um meine innere Ausgeglichenheit wiederzufinden, sofort einen großzügigen Schluck Radler getankt.

Tja, was soll ich sagen, das bisschen Alkohol reicht aus, damit ich mich nun komplett K.o. fühle! Ich lasse mich demnach bedacht in ein Sofa fallen. Ups ... das Ding ist dermaßen durchgeleiert, dass sich mein Hintern später bestimmt nicht mehr davon lösen kann! (Ich wünschte, diesen Zustand hätte der zuvor konsumierte Radler hervorgerufen, aber es handelt sich hierbei ausschließlich um einen furchtbaren Muskelkater!)

Kommandante Handler lässt sich schließlich auch dazu herab, im Club aufzutauchen und er bemerkt (Selbst)befriedigt meine monströse, körperliche Niedergeschlagenheit.

»Hallo, Markus! Schön, dass du auch noch vorbeischaust! Na, hat dein Kurs länger gedauert? Wir haben dich und Frau Parker den ganzen Abend nicht mehr zu Gesicht bekommen«, entgegnet Gustav und beäugt uns beide misstrauisch.

»Frau Parker hat mich darum ersucht, Ihr Training so anzuordnen, dass die Übungen mit Ihrem selbst auferlegten Fitnessprogramm konform gehen. Und ich muss sagen, Sie hat sich wirklich tapfer geschlagen«, antwortet er schelmisch. »Außerdem ist Sie so gut wie meine Nachbarin und das versteht sich unter Nachbarschaftshilfe. Wenn ich Sie regelmäßig in die Selbstverteidigungskünste einweihe, dann kann ich Ihre Wohnstraße als zunehmend sicherer einschätzen. So haben wir schließlich auch noch einen Nutzen davon.«

Caro und Elvira reagieren merkwürdig bei seiner letzten Bemerkung.

»Ach, Sie wohnen auch in der Fred-Dittl-Gasse?«, fragt Caro interessiert nach.

(Ich könnte meine Freundin an dieser Stelle ohrfeigen!)

»Ich wohne gleich um die Ecke.«

»Gut zu wissen, dass in der unmittelbaren Nähe ein so attraktiver ... oh, jetzt habe ich mich aber etwas verplappert, ich meinte natürlich ein so aktiver Beschützer wohnt, nicht wahr, Amelie?«, stellt Caro kokett fest und richtet somit das Wort an mich.

»Ja, das ist ein wahrer Segen, da gebe ich dir recht«, antworte ich ihr müde (ich könnte auf der Stelle einschlafen!).

Als eine Stunde später zum Aufbruch geblasen wird, mühe ich mich beim Hochstemmen aus dem weichen, samtigen Polster, extrem ab. Niemand nimmt Notiz von meiner Plagerei, außer ...

»Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein und Ihnen dabei etwas unter die Arme greifen?«, fragt Kommandante Handler feixend.

»Vielen dank der Nachfrage, aber es geht schon«, antworte ich stur, obwohl ich einen kleinen Kick in die richtige Richtung gut hätte gebrauchen können.

Wo sind eigentlich Caro und Elvira? Ach, die sind schon weg (wie alle anderen auch). Im Club ist momentan nur noch der Kommandante, ein Mann, der darauf wartet, die Tür hinter uns abzuschließen und mein träger Hintern.

Viele, viele, unzählige Stufen (fünf!!!) später erreiche ich die nächste Ebene und schleppe meine Knochen bis zum Vorplatz hinaus, wo meine Freundinnen geduldig auf mich warten. Nach einer kurzen Verabschiedungszeremonie gehen wir getrennte Wege. Ich will nur noch nach Hause, ins Bett fallen und schlafen.

Ob Raffael wohl schon zu Hause ist? Er ist sicherlich so zuvorkommend und trägt mich und meine lädierten Knochen die wenigen Stufen in mein Reich hoch.

Ich schlendere Richtung Taxistand, als sich von rückwärts ein Auto nähert.

»Kann ich Sie eventuell mitnehmen?«, will Kommandante Handler wissen und fährt langsam neben mir weiter, während mir Garfields freundliches Gebell ein Lächeln auf die Lippen (ich glaube, das ist momentan die einzige Stelle, die mich noch nicht schmerzt) zaubert.

»Nein, danke! Ich nehme ein Taxi«, erwidere ich aufmüpfig (obwohl ich eigentlich liebend gerne einsteigen würde – ich meine, nicht wegen dieses Scheusals, sondern wegen seines fahrbaren Untersatzes, das mich getrost schnell zu meinem Heim bringen würde! Er würde mich doch bis vor die Haustür bringen, oder? Nun, ich melde an dieser Stelle gewisse Zweifel an. Er ist ja nicht gerade ein Menschenfreund, obwohl er mit seinen Kollegen auf dem Revier ein überaus friedliches Miteinander zu haben scheint. Aber das kann auch auf seine Autorität zurückzuführen sein und beweist rein gar nichts!).

»Geben Sie’s zu! Sie können kaum mehr laufen?«

»Und, wem habe ich das zu verdanken?«

»Nun, steigen Sie schon ein! Ich würde Sie ja nicht mitnehmen, aber Garfield besteht darauf. Er ist Ihnen für den kleinen Abendspaziergang

äußerst dankbar.«

»Nein, ich nehme ein Taxi!«

»Also ich kenne bestimmt sehr viele engstirnige Personen, aber Sie schlagen dem Fass den Boden aus! Außerdem ...«

»Außerdem, was?«

»Außerdem müssten sie dann wohl ein Taxi bestellen, denn der Taxistand da vorn um die Ecke ist um diese Zeit nicht mehr besetzt.«

»Und das sagen Sie mir erst jetzt, wo ich schon direkt darauf zusteuere!«

»Nun, Sie haben nicht gefragt«, gibt er zurück. »Und, was ist jetzt?«

»Also gut! Garfield zuliebe.«

Wir meckern uns während der kurzweiligen Autofahrt nicht mehr weiter an (ich bin einfach zu erschlagen, um noch die Energie dafür aufbringen zu können). Er fährt mich ohne Aufforderung bis vor die Tore meines Heimes und ich würge beim Aussteigen leise ein »Danke« hervor (obwohl: wofür eigentlich?).

»Bis nächste Woche!«, ruft er mir fröhlich hinterher.

»Ich dachte mir, Sie haben für diesen Kurs nicht immer Zeit?«, frage ich vorsichtig nach.

»Oh, die Zeit nehme ich mir einfach. Auf Wiedersehen, Frau Parker!«, zwitschert er freundlich und ist damit auch schon weg.

Caro ruft mich am nächsten Tag aufgeregt an und lässt mich wissen, dass sie am Nachhauseweg vom Kurs zufällig von einem Wagen, dessen Fahrer sich als Roland herausstellte, eingeholt worden ist. Nachdem ich nicht weiß, von wem sie da spricht, erklärt sie mir, dass dies der zweite Ausbilder des Selbstverteidigungskurses sei und dass er ihr angetragen hatte, sie nach Hause zu geleiten. (Da scheint doch untrüglich eine Taktik dahinterzustecken oder täuscht mich das? Zuerst machen sie die Frauen in ihrem Kurs willenlos, indem sie sie körperlich so sehr schwächen, dass sie sich kaum mehr auf den Beinen halten können, und dann eskortieren sie ihre geschundenen Opfer noch freundlicherweise nach Hause. Ha, dass ich nicht lache! Autsch, selbst das bereitet mir heute Morgen Schmerzen!)

Caro berichtet mir weiters, dass sie Roland daraufhin auf einen Kaffee in ihre Wohnung eingeladen hat und dass er dieses Angebot – o, welch Wunder? - dankend angenommen hat. Nach einer halben Stunde hat er sich dann aber artig verabschiedet und gemeint, dass er sich jetzt schon auf ein Wiedersehen mit ihr freuen würde!

Ha, ich hab’s ja gewusst! Alles Banditen!

Nach dieser Story erzähle ich ihr von meiner verhängnisvollen Affäre zu diesem Handler und sie gluckst und gackert dabei durch den Telefonhörer, was das Zeug hält (als dass sie, wie es sich für eine wahre Freundin geziemen würde, Betroffenheit und Mitgefühl zeigen würde!).

 

 

Nike und Alex fahren übers Wochenende in eine Therme und wollen sich rundum verwöhnen lassen. Ich habe demnach - wieder einmal – sturmfreie Bude und kann dies - wieder einmal - nicht ausnutzen, da Francesco in Zürich logiert.

 

 

Am Samstag bekomme ich kurzfristig frei, da ich auf der Terrasse eingeteilt bin und es seit Stunden wie aus Kübeln schüttet. Demnach ist mein freier Tag nicht ins Wasser gefallen, sondern gerade aus dieser sprichwörtlichen Misere entstanden. Nun, auch nicht schlecht, so kann ich noch ein wenig meine offenen Wunden lecken und meinen Muskelkater pflegen. (Übrigens: Treppabwärts spüre ich alle Fasern meiner Muskeln dreifach. Dagegen ist das Hochsteigen ja ein wahrer Genuss! Nicht sadomasochistisch gemeint!)

Morgen und übermorgen wird es in der Arbeit ohnehin sehr stressig werden (Ostersonntag und –montag stehen bevor!), da tut ein bisschen Ruhe vornweg gewiss ganz gut.

Nachdem mich mein freier Tag so unverhofft getroffen hat, beschließe ich, Caro anzurufen. Eventuell verweilt sie ja gerade zu Hause und hat nebenbei Lust auf ein ausgiebiges Frühstück im Schabernack.

Jawohl, sie hat!

Wir lassen das Frühstück gemütlich zu einem Brunch ausschweifen, beobachten das hektische Treiben im und um das Café Schabernack, genießen das Nichtstun in vollen Zügen und unterhalten uns blendend.

Ich muss dabei von Caro erfahren, dass sich Nachbar Kurt ungemein gerne von neunzehnjähriger Klette befreien würde, aber dass ihm die Durchsetzung seiner Endabsicht bislang nicht und nicht gelungen ist! Ich falle bei dieser Geschichte unverzüglich in das verschmitzte Gelächter von Caro mit ein.

»Du solltest ihn sehen, er ist schon ganz verzweifelt!«, jault sie hervor.

»Der Arme!«, gebe ich zurück. »Er hat wirklich unser Mitgefühl verdient!«

 

 

Nach dem Brunch verabschieden wir uns voneinander und ich beschließe, mir noch rasch eine DVD zu besorgen. – Ich verbringe somit den gesamten Nachmittag anheimelnd auf der Couch und ziehe mir Dirty Dancing, Tatsächlich Liebe und eine Literpackung Marille-Schokoeis rein! Hmmm ...

Bei dieser ganzen Fernsehromantik erfasst mich augenblicklich eine Sehnsucht nach Francesco. Ich werde deswegen kurz bei ihm durchklingeln und ihn meine Gelüste wissen lassen.

Tja, er hat leider eine Rufumleitung installiert. Mein Anruf wird Folge dessen zum Firmen-AB umgeleitet. Ich lege rasch auf, da ich nichts aufs unpersönliche Band sprechen will!

Nun, der Abend ist jung. Ich werde möglicherweise noch ins Kino marschieren, mal sehen, welche Filme sie derzeit spielen. Ich habe zuletzt die Vorschau auf ein Remake von Stolz und Vorurteil gesehen, das hat mir ganz gut gefallen.

Nun, ich habe Glück! Der Film ist gerade angelaufen. Er wird um neunzehn und um einundzwanzig Uhr gespielt. Wenn ich mich ranhalte, dann schaffe ich es noch in die Neunzehn-Uhr-Vorstellung. Ich werfe mich rasch in die Klamotten, kontrolliere mein Aussehen und bin damit schon am Absprung.

Das Wetter ist zwar grau in grau, aber die Luft ist ungemein klar. Heute klappt alles wie am Schnürchen. Gerade, als ich abgehetzt an der Bushaltestelle ankomme, kommt mein Beförderungsmittel um die Ecke gebogen. Ich ziehe rasch ein Ticket und nehme gelassen Platz. Während sich mein Puls wieder normalisiert, blicke ich gedankenverloren aus dem Fenster und studiere dabei die vorbeiziehenden Gebäude.

Irgendetwas erregt jedoch plötzlich meine Aufmerksamkeit! War das eben Raumschiff Enterprise? Ein schwarzes Etwas hat gerade den Bus überholt. Ich bin mit einem Mal aufgewühlt! Sollte ich mich getäuscht haben? Ich drücke mir sogleich meine Nase am Fenster des Busses platt und blicke den anvisierten Rücklichtern verheißungsvoll nach. Zum Glück schließen wir vorn an der roten Ampel wieder zur Pkw-Spur auf. Ich verrenke meinen Hals nach dem Nummernschild und zoome dieses umgehend heran. Tatsächlich! Meine Augen haben mir also keinen Streich gespielt, das ist eindeutig Francescos Wagen.

O Scheibenkleister, die Ampel schaltet wieder um und der Verkehr beginnt zu rollen! Ich kann durch die abgeschotteten Fenster des hinteren Bereiches aber ohnehin nicht erkennen, ob Francesco mit an Bord ist oder nicht. Ich versuche nochmals bei ihm telefonisch durchzukommen, aber leider mit demselben Erfolg wie kurz zuvor.

· Warum hat er mir nicht gesagt, dass er in der Stadt ist?

· Ist das schon wieder eine seiner Überraschungen?

Wir fahren noch eine Weile parallel zueinander her, bevor sich die Limousine auf dem Linksabbieger einreiht.

Vor der Ampel ist eine Haltestelle. Ich werde dort aussteigen und mir auf der gegenüberliegenden Seite ein Taxi krallen. Der Kinofilm ist längst vergessen.

Gesagt, getan! Ich hechte beim nächsten Halt aus dem Bus und hetze über den Zebrastreifen. Ich versuche dabei Raumschiff Enterprise, das gerade den Abzweiger passiert hat, nicht aus den Augen zu verlieren. Ich laufe jetzt leichtfüßig los. Juhu! Francesco ist in der Stadt! Mein liebster Lebemann ist zum Greifen nahe. Dieser Gedanke beflügelt mich ungemein.

Gleich einige Meter die Straße entlang liegt das Unfallkrankenhaus, dort stehen allezeit Taxis bereit.

Ich habe auch jetzt Glück, besteige rasch eine Taxe und erteile dem Fahrer Anweisungen, wobei ich mein Augenmerk immerzu auf den schwarzen Wagen richte.

Vinzenz scheint vergnüglich in der Gegend umherzufahren. Ich erkenne in seinem Fahrverhalten kein offensichtliches Ziel. Wir passieren die Leopoldskroner-Allee, den St. Peter-Weiher und das Walkür-Viertel. Oh, Vinzenz setzt nun den Blinker. Aber dieser Weg führt doch zum Hotel Maindling!(Das Maindling ist das zweitbeste Hotel der Stadt. Es liegt etwas außerhalb des Zentrums und prangt dabei idyllisch auf einer niedrigen Anhöhe.)

Ich kann hier, etwas unterhalb der Zufahrtsstraße, mein Taxi getrost anhalten lassen, denn der Weg zum Hotel ist eine Sackgasse. Ich weise daher den Fahrer an, das Taxi in die nächste Auskerbung zu lenken. Daraufhin steige ich gespannt aus und schiele neugierig über die niedrige Hecke Richtung Hotel. Von meinem jetzigen Standort lassen sich die weiteren Geschehnisse wunderbar beobachten. Ich bin mit einem Mal aufgeregt! Francesco plant sicherlich eine Überraschung und ich bin ihm jetzt und hier auf die Schliche gekommen. Na, wenigstens bin ich nun, durch diesen glücklichen Wink des Schicksals, darauf vorbereitet. Vielleicht ist es ihm ja bei mir zu Hause etwas zu voll, obwohl ... ich habe ihn ja wissen lassen, dass sich Nike momentan in einer Therme verhätscheln lässt. Na ja, dann plant er gewiss etwas anderes. Ach, bin ich nervös! Es ist schon merkwürdig, hier zu stehen und seinem Liebsten nachzuspionieren, aber es ist zugleich auch ein bisschen aufregend.

Ich frage mich nur, warum Vinzenz hier hochfährt. Oh, ich bin ein Esel! Es fällt mir wie Schuppen von den Augen: Vinzenz hat bestimmt Francesco vor meiner Haustür abgeliefert und er selbst nächtigt hier. (Nein, auch dummer Gedanke, da Vinzenz doch Francesco nie vor meiner verschlossenen Tür warten lassen würde.)

Nun, das Raumschiff parkt jetzt gemächlich vor dem Hotelaufgang. Vinzenz hechtet darauf aus dem Wagen und begibt sich zur Beifahrerseite. Er öffnet nun bestimmt gleich seinem Boss die Tür. O ja! Damit liege ich vollkommen richtig. Ich kann Francescos Silberschopf bereits erkennen. Er blickt in den Innenraum des Wagens zurück und scheint Vinzenz Aufträge zu erteilen. Ein sehnsuchtsvoller, aber dennoch wohliger Schmerz durchzuckt mein Herz bei seinem Anblick.

Oh, was ist denn das?! Ich glaube mir wird jetzt ganz schnell übel. Mein Puls rast wie wild. Francesco hat seine Hand nach einer Frau, die im Wageninneren verweilte, ausgestreckt. Sie hat ihr dunkles Haar korrekt hochgesteckt, sonst lässt sich nichts mehr erkennen, denn da sind die beiden schon die Stufen hochgeeilt und hinter der Drehtür verschwunden. Vinzenz öffnet indes den Kofferraum und drückt dem Pagen einen kleinen Koffer in die Hand. Dann besteigt er abermals sein Gespann und macht sich auf den Weg zurück zur Hauptstraße.

Mein Herz tobt. Ich kann dem gerade eben Erspähten keinen Glauben schenken. Ich verschließe mich augenblicklich vor dem Offensichtlichem. Ich bin wie in Trance. Ich bin schockiert und ich bin rasend vor Eifersucht!

Es ist das eine, wenn man betrogen wird und nichts davon ahnt, aber es ist etwas ganz anderes, wenn man direkt einen Blick auf die Machenschaften des anderen erhaschen kann. Genau in diesem Augenblick (also jetzt) hat man das Gefühl, als ob einem das Herz bei lebendigem Leibe herausgerissen würde. Man ringt nach Atem, aber es hat keinen Zweck, man würde selbst in einer Sauerstoffkabine jämmerlich ersticken!

Ich springe rasch ins Taxi und fordere den Chauffeur auf, mich in die Fred-Dittl-Gasse zu bringen. Ich bin wie von Sinnen. Ich kann einfach nicht glauben, was ich gerade mit eigenen Augen beobachtet habe. Ich bin wütend! Sehr, sehr wütend! Dieser elendige Heuchler gaukelt mir seit Monaten Dinge vor, die wahrscheinlich allesamt nicht der Wahrheit entsprechen und ich bin noch dazu so dumm und kaufe ihm den ganzen Schmähfuh ab! Der glaubt wohl, er kann mich nach Strich und Faden veräppeln, na, das glaubt aber auch nur er!

Bevor Verbitterung, Niedergeschlagenheit und Resignation ihren Schleier über mein geschädigtes Seelenheil legen, sollte ich der momentan emporlodernden Wut Raum für deren Ausbreitung schaffen. Dieses kurzfristig heilsame und ungezügelte Gefühl würde danach zwar gewiss postwendend der Frustration weichen, aber das letzte Aufflammen der Ehre sollte man dem gekränkten Vertrauen schon entgegenbringen.

Meine Wut stachelt mich dermaßen an, dass ich gar nicht weiß, was ich zuerst machen soll. Fakt ist, um ihn in flagranti zu erwischen - und um ihm damit den Abend zu verderben, muss ich schnell handeln! Nun gut, ich weiß, er hat es gerne sachte und braucht eine gewisse Zeit, um auf Touren zu kommen. Das ist mein Vorteil.

Ich erstelle flugs einen hinterhältigen Racheplan, danach durchdenke ich diesen nochmals gründlich und gleich im Anschluss mache ich mich auch schon an die bevorstehenden Aufgaben heran. Diese gehören jetzt, wenn alles nach meiner Willkür ablaufen soll, und wenn mir Fortuna dabei wenigstens die nächsten Stunden zur Seite steht, detailgetreu umgesetzt!

Zu Hause tätige ich rasch einen Anruf. Ich darf keine Zeit verlieren, sonst verebbt meine Wut noch! Ich überschlage mich fast dabei, als ich Caro von meiner unmissverständlichen Späherei berichte. Caro kennt viele Leute, darunter ist auch der Concierge des Hotel Maindling. Sie ist, nachdem ich sie grob über meinen listigen Racheplan informiert habe, gleich Feuer und Flamme.

Fünf Minuten später ruft sie mich auch schon zurück und teilt mir mit, dass das Hotelrestaurant von Herrn Percher keine Tischreservierung vorliegen hat. Aber dafür belegt der besagte Gast die Suiten 305 und

306.

Er hatte also tatsächlich (ein) Zimmer für eine Übernachtung gebucht, dieser elende Jammerlappen, diese Schweinebacke, ach, ich finde ja für diesen treulosen Mistkerl keinen Ausdruck, der ihn auch nur annähernd würde beschreiben können!

»Und, jetzt halt dich fest, Amelie!«, entgegnet Caro scharf. »Ich habe außerdem herausfinden können, dass unser reizender Herr Percher bereits seit geraumer Zeit Stammgast in diesem bezaubernden Hotel ist!«

»Was? Wie lange treibt er dieses Spiel denn schon?«

»Nun, seit etwa Anfang des Jahres lässt er sich scheinbar regelmäßig im Maindling blicken und er ist immer in Begleitung von ein und derselben Dame.«

»Das ist ja unglaublich!«, stottere ich hervor.

»Finde ich auch! Und, sie sind heute, angeblich gleich nach der Schlüsselübergabe, aufs Zimmer marschiert«, informiert sie mich weiter. »Und ich habe beiläufig noch was in Erfahrung gebracht: Herr Percher besteht auf dem Wunsch, dass in seinem Zimmer automatisch immer eine Flasche Dom Pérignon und frisches Obst bereitstehen.«

»Nun, gut. Die Katastrophe überfährt mich nicht nach und nach, sondern sie kommt mit aller Kraft auf mich zugerast!«

»Und, willst du das jetzt echt durchziehen? Brauchst du Hilfe?«

»Nein, ich fürchte, das muss ich schon allein erledigen. Aber vielen Dank für dein Angebot! Ich erzähl’ dir alles in ein paar Stunden. Lass dein Handy ja an, hörst du?«

»Natürlich!«, gibt sie mit trübsinniger Stimme bekannt. »Ach, Amelie, das tut mir unendlich leid für dich, ich habe wirklich gedacht, dass Francesco etwas Besonderes sei. Und solltest du mich dennoch brauchen, dann zögere nicht und ruf mich an, ja?«

»Ja, bis später, tschüss!«

Die Ereignisse überschlagen sich! Mein Zorn ist nun noch mehr geschürt. Die neu gewonnenen Erkenntnisse bestärken mich in meinem Vorhaben, für eine unterschwellige Depression oder für eine aufkeimende Unschlüssigkeit ist momentan kein Platz in meinem Wesen. Es gilt, die Dämonen meiner Vergangenheit zu besiegen. Und wenn ich sie auch nicht ganz zu Fall bringen kann, dann bin ich wenigstens nicht klammheimlich davongerannt, sondern ich habe ihnen direkt ins Antlitz geblickt.

Ich eile in mein Zimmer, schlüpfe in mein dunkelgraues Kostüm (ich wirke damit annähernd wie eine spießige Chefsekretärin), schnappe mir Nikes Laptop, werfe ein paar unwichtige Papiere in eine edle Mappe, setze Nikes Lesebrille auf - um meine Geschäftstüchtigkeit zusätzlich darzulegen - und bestelle mir ein Taxi. Dieses bringt mich in wenigen Minuten zu meinem angepeilten Endziel: Hotel Maindling!

Ich steige dort hohen Hauptes und selbstsicher aus, und daraufhin betrete ich auch schon den sumpfigen Boden aus Intrigen und Verschleierungen. Der Page ist zum Glück nicht mehr in Sichtweite. Als ich die Drehtür passiere, strömt mir ein lautes Stimmengewirr entgegen. Die Halle ist mit einer Gruppe Japaner ausgefüllt, die sich alle um die Rezeption versammelt haben und die den Concierge kräftig bei Laune halten. Dieser schwenkt nach links, nach rechts, zurück, gibt Schlüssel aus, erteilt Auskünfte und ist somit rundum beschäftigt.

Ich entdecke gleich rechts neben dem Eingang die Liftanlagen, betrete sodann wie selbstverständlich das klaffende Maul eines der Lifte und drücke anbei den Knopf für die dritte Etage. Oben verlieren sich die aufgebrachten Stimmen schnell. Ein Pfeil weist mir die Richtung an. Die Lichter in den Gängen sind gedämpft und wirken beruhigend. Der Teppich ist flauschig und gibt bei jedem Schritt nach.

Ach, da ist ja Zimmer 306. Aha, »Bitte nicht Stören« prangt unübersehbar an der Türklinke. Mein Puls rast! 305 ist gleich ein Eingang weiter. Ich lausche vorsichtig an der Tür und vernehme rein gar nichts! Wahrscheinlich sind das hier Doppeltüren, da geht kein einziger Laut durch. Diese Türen sind erstklassig, wenn man ungestört ein gemeinsames Schläfchen abhalten will.

Nun, ich brauche jetzt dringlich Schützenhilfe. Jemand mit einem Generalschlüssel wäre da sehr von Vorteil. Ich muss schließlich irgendwie ins Zimmer 305 gelangen. (Da die Zimmer als Suite gebucht sind, gibt es zwischen den Räumen sicherlich eine Verbindungstür und da Bitte nicht stören nur auf Türklinke 306 vorzufinden ist, nehme ich mal an, dass sich dahinter die Hauptattraktion befindet.) Francesco hier am Gang in die Hände zu fallen, wäre nur der halbe Spaß!

Oh, das Glück ist mir hold! Ein Stubenmädchen biegt um die Ecke und kommt geradewegs auf mich zu. Ich drehe ihr schnell den Rücken zu und beginne sämtliche Innentaschen meines Kostüms demonstrativ abzuklopfen, danach stelle ich den Laptop und die Mappe vor Zimmer 305 ab und beginne äußerst augenscheinlich meine Handtasche nach meinem fingierten Zimmerschlüssel zu durchforsten.

»Ach, wo steckst du nur?«, rede ich leise fluchend auf meine Handtasche ein.

»Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?«, fragt mich die junge Asiatin freundlich.

»Ach, ich kann meine Schlüssel nicht finden. Mein Boss, Herr Percher, hat mich eigens hierher beordert, weil er gleich morgen früh diese ganzen Unterlagen braucht. Ich muss noch den ganzen Papierkram hier gewissenhaft sortieren und ihn griffbereit zurechtlegen.« Ich deute gewichtig auf die Mappe und den Laptop. »Und nun habe ich den Schlüsselbund bestimmt im Büro liegen lassen.«

»Wieso klopfen Sie nicht bei 306?«

(Oje, die ist leider nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen!)

»Oh, er hat ausdrücklich erwähnt, dass er in Zimmer 306 nicht gestört werden möchte. Sie wissen schon«, gebe ich zweideutig zurück und zwinkere ihr dabei verschwörerisch zu. Sie grinst mich ebenso konspirativ an und nickt. (Also auch diese Frau weiß offensichtlich über Francescos Treiben Bescheid! Das ist ein weiterer bitterer Fausthieb in meine empfindsame Magengegend!) »Sie wissen ja, wie Chefitäten manchmal sein können, oder? Und Herr Percher ist da sehr streng. Da kann ich mir Morgen wieder etwas anhören.«

»Ich mach’ Ihnen rasch auf, dann müssen Sie nicht noch mal zurück in Ihr Büro.«

»Vielen Dank, Sie retten mir das Leben!«, sage ich hörbar ausatmend und blicke dabei ungemein erleichtert drein. Ich zücke rasch zwanzig Euro aus dem Portemonnaie und stecke sie ihr zu. »Nehmen Sie nur, ich setze es ohnehin wieder als Fahrtengeld bei Herrn Percher ab!«, teile ich ihr augenaufschlagend mit, danach schnappe ich mir den Laptop und die Mappe und entschwinde leise hinter der aufgeschlossenen Tür. Dabei betätige ich den verräterischen Lichtschalter nicht und überfliege nur rasch den dahinterliegenden Gang, um mich notdürftig orientieren zu können. Danach schließe ich die Tür.

Der Gang führt mich weiter in ein geräumiges Zimmer. Die spärlichen Lichtquellen von draußen reichen zur Ausforschung dieses Raumes allemal aus. Hier ist beinahe alles ruhig, nur die gedämpften Klänge einer Entspannungsmelodie dringen bis zu mir vor. Ich stelle Laptop und Mappe ab und schleiche mich behutsam und tastend weiter. Mein Puls rast nach wie vor wie jener eines Marathonläufers! Ich habe meinen Plan bis hierhin durchdacht, jetzt ist alles nur noch eine Sache des spontanen Entschlusses und des Gefühls. Die Schiebetür lässt einen fast unmerklichen Lichtstrahl im dahinterliegenden Zimmer erkennen. Gläser klirren aneinander und Francesco murmelt danach irgendetwas daher. Dann ist es wieder ruhig. Ich warte geduldig ab. Mein Körper ist bis auf das Äußerste angespannt, mein Blut ist in Wallung! Es vergehen zwei, drei, vier Minuten, dann ist es amtlich. Ich erlebe hier tatsächlich ein fürchterliches Déjà-vu-Erlebnis! Shit!

»So ist’s gut!«, flüstert eine weibliche Stimme.

»Ja! Ja!«, entweicht es Francesco beschwörend. »O, ja, bitte!« Dann stöhnt er leise auf und wird mit der zunehmenden Gereiztheit seines – ach, so impotenten - Freundes flehentlicher und lauter.

»So gefällt es mir! Mach weiter! Ja, gut so!«, schmeichelt ihm die Frau sachte zu.

Hier, genau hier, platzt mir endgültig der Kragen. Ich mache im Halbschatten von Zimmer 305 eine Blumenvase aus. Ich kralle sie mir und reiße blindlings die Schiebetür auf.

»Du elender Scheißkerl!«, entfährt es mir laut.

Ich schieße wie eine Furie zielstrebig auf das Bettgelage zu, schnappe die langstieligen Rosen (auf diesem Gebiet lässt er sich nicht lumpen! Tja, was kostet die Welt?) und brate ihm die stacheligen Gefährten über. Danach ergieße ich das Blumenwasser auf seinem nackten Körper und mit der Vase visiere ich energisch sein Gehänge an.

»Nein, nicht!«, schreit er erschrocken auf und versucht sein Heiligstes mit den Händen zu schützen ... was ihm leider auch gelingt.

»Was nicht!«, kreische ich ihn heiser an. »Du bist wirklich der abscheulichste Mensch, der mir je untergekommen ist!«, plärre ich tobend hervor und – so sehr ich auch versuche, meinen Tränenkanal zu bändigen – hier versagt mein Wille. Ich wische mir rasch eine aufsteigende Träne ab und mache kehrt, damit ich dieses widerwärtige Bild nicht mehr länger betrachten muss.

»Bitte beruhigen Sie sich doch!«, gibt die weibliche Stimme zurück und mit diesen ihren Worten wird auch der Lichtschalter betätigt. Francesco springt mir nass und hüllenlos hinterher, und umfasst kraftvoll mein Armgelenk.

»Lass mich sofort los, du hundsgemeiner Heuchler! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben!«, plärre ich ihn hysterisch an und zerre in die gegensätzliche Richtung, um dieser prekären Situation entfliehen zu können. Die rettende Tür ist so nah und doch so fern. Ich wische mir mit der freien Hand eilig eine weitere Träne ab. »Lass mich jetzt endlich los, du verdammter Mistkerl! Was willst du noch von mir?«

Noch ein Satz und dann gewinnt meine aufkommende Heiserkeit unwiderruflich den Machtkampf! Ach, was soll’s! Mir ist ohnehin nicht mehr zum Plaudern zumute. Ich will nur schleunigst hier fort und das alles hinter mich bringen.

»Dreh dich um!«

»Ich will jetzt gehen! Also, lass sofort meinen Arm los!«

»Nein! Dreh dich jetzt sofort um, verdammt noch mal!«, sagt Francesco energisch und hilft nun kraftvoll nach.

»Autsch!«, entfährt es mir. »Das tut weh!«

Ich stehe nach dieser Polemik meinem Peiniger gegenüber. Meine Nase beginnt zu laufen und meine Augen tränen unaufhaltsam. Francesco packt nun auch mein anderes Handgelenk und hält dieses ebenso kräftig fest. Ich starre auf seine nackte Brust und weiß nicht, warum er mich hier noch so sinnlos demütigt. Ich schniefe laut auf. Da steht mein verwünschter Dämon, und ich finde mich wieder mal in der Rolle der gehörnten Frau ein.

»Bitte beruhige dich, Amelie! Ich liebe dich, das weißt du doch hoffentlich! Hörst du, was ich dir sage!« Er schüttelt und rüttelt meinen Körper, aber ich stehe nur da und lasse erschöpft den Kopf hängen. »Ich liebe dich, verdammt noch mal!«

Die berühmten drei Worte ... zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt vorgebracht. Das ist wohl die Ironie meines beschissenen Schicksals!

»Ich weiß ja nicht, was du unter Liebe verstehst«, gebe ich leise zurück und blicke ihm darauf direkt in die Augen, »aber wenn ich jemandem Besonderen sagen würde, dass ich ihn liebe, dann würde ich dies aus vollem Herzen tun und ich wäre ihm treu ergeben und ich würde seine Geheimnisse wahren und seine Maroden akzeptieren. Jetzt kennst du meine Ansichten über die bedingungslose Liebe und nun lass mich endlich gehen! Wir haben bei Gott nicht die gleichen Leitgedanken, was dieses Thema betrifft.«

»Darf ich mich hier kurz zu Wort melden?«, fragt Francescos Spielgefährtin und taucht neben ihm mit einer Packung Kleenex auf, die sie mir sogleich auffordernd vor die Nase hält.

Sie ist etwa in seinem Alter. Ihr Haar ist nach wie vor spießbürgerlich zusammengebunden und ihr Teint ist unverändert. (Hier hat sich Francesco aber wirklich eine einwandfreie Lady ausgesucht! Nun, da hat er sich nicht lumpen lassen! Ihre Frisur sitzt noch immer beneidenswert schicklich. Das würde mir nach einer sexuellen Ekstase nie und nimmer gelingen. Tja, dieses Exemplar ist scheinbar in der Gesellschaft, in der Küche und im Bett eine Lady.)

»Sie verkennen diese Situation entschieden«, gibt sie zu bedenken.

Ich befreie mich einstweilen mit einer Hand aus Francescos eisernem Griff und kralle mir ein Taschentuch.

»Ich glaube nicht, dass Sie hier die Befugnis haben, sich einzumischen!47 Und im Allgemeinen: Ich bin noch nicht blind«, entgegne ich bösartig und ich funkle sie dabei gereizt an.

»Amelie! Das ist die Ärztin, von der ich dir schon berichtet habe. Das ist Frau Doktor Aschenbrauer«, bemerkt Francesco und deutet auf die Frau im Hintergrund.

Ich war vorhin so in Rage, dass ich mein Augenmerk gar nicht auf sie gerichtet habe. Im Bett war sie zuvor jedenfalls nicht, aber wo war sie dann? Und wann zum Teufel hat sie sich eigentlich angekleidet beziehungsweise war sie überhaupt ausgezogen?

»Du hast mir nie von einer Ärztin erzählt, mit der du schläfst, das hätte ich mir gewiss gemerkt«, versichere ich ihm trocken.

»Wir schlafen nicht zusammen!«

»O natürlich! Entschuldigung, mein Fehler!«

»Ich habe dir von ihr erzählt. Sie hilft mir lediglich bei der Bewältigung meines Problems«, stammelt er verlegen hervor.

»Na, das ist aber nett von Ihnen«, sage ich zu ihr. »Vielen Dank auch, Frau Doktor!«

»Entschuldigung, aber ich glaube, wir regeln das besser unter uns. Wären Sie so freundlich, uns jetzt bitte allein zu lassen, ja?«, ersucht Francesco Frau Doktor Scheinfromm und diese verabschiedet sich tatsächlich im Anschluss an die Aufforderung ihres Gönners aus dem Zimmer!

Die Stimmung ist bedrückend. Francesco lässt mich los, sperrt die Tür hinter dem entschwindenden Hintern von Madam wieder ab und schaltet anbei noch das Licht aus. Nur die Kerzen erhellen mit einmal den Raum. Die Rosen liegen zerstreut über das triefende Bett und die Vase lungert inmitten des Gelasses und zeugt von dem brutalen Unwetter, das eben durch diesen Raum gefegt ist! Francesco nimmt meinen Arm, schleift mich ins Badezimmer und setzt mich bestimmend auf den Badewannenrand. Er ist noch immer wie Gott ihn schuf und kramt energisch ihm Erstehilfekasten des Hotels. Ich bemerke erst jetzt, dass ihm ein schmales Blutrinnsal über den Oberschenkel läuft und ein zweites Gerinne macht sich auf seinem Handrücken breit. Ich weiß, dass ihm das Ganze nur allzu recht geschieht, und dass er es bei Gott nicht anders verdient hat, aber augenblicklich tut er mir ein kleines bisschen leid – so wie er hier nackt herumsteht und ungeschickt im Koffer nach dem geeigneten Verbandsmaterial sucht.

»Gib schon her!«, sage ich forsch und grapsche nach dem Koffer, um einen Tupfer und etwas Desinfektionsflüssigkeit herauszuholen. »Setz dich!«

Er ist folgsam und nimmt nun an meiner Stelle am Badewannenrand Platz. Nachdem ich mich mit dem getränkten Wattebausch vorsichtig seiner Wunde nähere, zuckt er unter der Berührung leicht zusammen. Nun, die Wunden sehen schlimmer aus, als sie sind - Gott sei Dank! Es handelt sich lediglich um leichte Abschürfungen.

Wir sprechen bislang kein Wort. Die Musik ertönt nach wie vor aus dem Nebenraum und scheint uns daneben ein wenig zu entspannen.

Nachdem ich die Wunden gesäubert habe, marschiere ich gemächlich in das Zimmer zurück. Ich muss unbedingt meine Gedanken ordnen! Hier stimmt aber auch schon rein gar nichts mehr. Francesco eilt mir im Bademantel hinterher, umarmt mich von rückwärts, befreit mit einer zärtlichen Geste eine Seite meines Halsbereiches von meinem zersausten Haar und beginnt, sanft meinen Nacken zu küssen. Ich erschaudere zuerst bei seiner Berührung. Aber mein pulsierender Körper wehrt sich sofort gegen eine aufkommende Leidenschaft.

»Wie stellst du dir das weiter vor?«, will ich nüchtern wissen. »Soll ich das Ganze vergessen und so tun, als ob es nie stattgefunden hätte?«

»Nein! Lass mich bitte erklären!« Er behält die Umarmung bei und wir blicken beide aus dem Fenster in einen spärlich beleuchteten Park. »Ich habe dir doch erzählt, dass es hier in der Stadt einen Arzt gibt, der mir eventuell weiterhelfen kann.«

»Du hast nichts von einer Ärztin gesagt, da bin ich mir ganz sicher.«

»Das ist richtig! Ich wollte dich anfangs nicht verunsichern und nach dem Eklat in Mailand, wo du ausgerastet bist, als Bibiana ihren Arm auf mein Bein gelegt hat, dachte ich mir, ich spare diese Beichte komplett auf. Ab diesem Zeitpunkt hättest du mir wahrscheinlich ohnehin nicht mehr vertraut und nun das hier!«

»Wie lange geht das schon?«

»Seit einem halben Jahr.«

»Ein halbes Jahr? Na, prima!«

»Erinnerst du dich an unser erstes Treffen, nach dem Kino?«

»Natürlich!«

»Da bin ich zuvor gerade von meiner vierten Sitzung zurückgekommen.«

»Sitzung nennt sich das Ganze also, so, so!«

»Wir haben keinen Sex!«

»Dann erklär’ mir bitte, was ihr sonst treibt?«, fordere ich ihn auf, und lehne mich behutsam und erschöpft an ihn an.

»Nun, ich habe dir dazumal erklärt, dass die Methodik, die Frau Doktor Aschenbrauer anwendet, wissenschaftlich noch nicht anerkannt ist. Das alles war für mich ein Strohhalm und daran habe ich mich geklammert. Ist denn das so schlimm?«

»Schlimm ist nur, dass du mich nicht eingeweiht hast. Immerhin hatte ich das Gefühl, dass wir sehr vieles miteinander teilen und in diesem so wichtigen Punkt hast du nicht gewagt, mich aufzuklären.«

»Aber ich bin kein notorischer Fremdgänger oder Betthüpfer! So gut solltest du mich schon kennen.«

»Dann erklär’ mir doch bitte mal die Behandlungsmethode dieser Quacksalberin!«

»Nun, ich habe ihre Adresse aus dem Internet«, deutet er beschwichtigend an. »Doktor Aschenbrauer unterstützt die sogenannte Manipulationstheorie.«

»Manipulations ... was? Noch nie davon gehört«, unterbreche ich ihn schroff. »Sie manipuliert dich also. Und wie: Durch Stimulation, durch Masturbation?«

»Nun, sie versucht den Patienten durch Düfte, Lichtspiegelungen, Klänge und Materialien auf eine andere Sinnesebene zu geleiten. Ich konnte mir das auch nicht so recht vorstellen, also habe ich einen Versuch gewagt. Ich habe mich schon eine lange Zeit nicht mehr so fallen lassen können, wie unter ihrem Einfluss. Sie hat mich Schritt für Schritt unterwiesen.«

»Unterwiesen?«

»Nun, dies zu erklären, erfordert ein gewisses Maß an Fingerspitzengefühl. Ich werde versuchen, es dir bestmöglich zu schildern, aber bitte bedenke, dass dies alles rein körperlicher Natur war, nichts weiter! Nicht einmal küssen ist hierbei erlaubt«, wirft er noch rasch ein, um mich nachsichtiger zu stimmen, dann fährt er fort: »Zuerst solltest du wissen, dass man nur Aufnahme in dieses Programm findet, wenn zwischen dem Patienten und der Ärztin ein gewisses Maß an Sympathie vorhanden ist. Ansonsten besteht nämlich die Gefahr, dass man sich nicht so gehen lassen kann, wie man gerne möchte und wie es für die aufbauenden Therapiestunden erforderlich ist. Dadurch wäre ein negativer Ausgang im Grunde schon vorherbestimmt.«

»Ich weiß nicht, ob mich dieses Wissen beruhigen kann.«

»Nun, lass dir bitte erklären, Amelie!«, fällt er mir sanft ins Wort. »In dieser Aufwärmphase nähert man sich zuerst langsam an. Dies geschieht in einer Umgebung, wo sich der Patient wohlfühlt. Man trinkt zusammen Tee und plaudert über die Probleme, die einem belasten.«

»Ist man da noch angezogen oder ...?«

»Angezogen!«, antwortet Francesco prompt und dabei umklammert er mich noch kräftiger. »Nach und nach werden dann diese Sitzungen intensiver. Das ist selbstverständlich alles ganz individuell. Der eine ist schneller und der andere braucht eben ein bisschen mehr Zeit, um sich richtig entspannen zu können.«

»Und, warst du von der schnellen oder von der langsamen Sorte?«, frage ich zynisch nach.

»Amelie! Das Ganze ist bei Gott kein Spaß für mich! Du weißt genau, wie sehr ich unter diesem Problem leide«, mahnt er mich zu mehr Feinfühligkeit.

»Entschuldigung, aber das hört sich alles so extrem lächerlich an. Du bist doch von Grund auf ein solider, ernsthafter Mensch. Warum fällst du auf so einen Schwachsinn rein?«

»Weil ich so was von verzweifelt bin. Meine letzte Beziehung ist deswegen schon den Bach runtergegangen. Ich will, dass das mit uns Hand und Fuß hat, oder zumindest will ich mir nicht irgendwann vorwerfen müssen, dass ich nicht alles Erdenkliche unternommen und versucht hätte!«

»Tja, es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich mich in deine Lage versetzen kann«, gebe ich kleinlaut zu. »Aber ich finde trotzdem, dass dieser Weg, den du mit so viel Erklärungsbedarf beschreitest, nicht okay ist, wenn man sich bereits in einer Beziehung befindet.«

»Ich möchte aber ein erfülltes Leben mit dir, Amelie, und kein halbherziges«, zirpt er mir leise ins Ohr. »Und deswegen nehme ich auch diese Schmach hier in Kauf.«

»Und, wie bist du jetzt mit dieser verdrehten Doktorin hier gelandet?«, nehme ich den vorherigen Faden wieder auf.

»Seit ein paar Wochen ist offensichtlich die Vertrauensbasis zwischen mir und Frau Doktor Aschenbrauer so stabil, dass mir die Therapiephase demzufolge erlaubt hat, die nächste Stufe zu beschreiten. Dabei durfte ich im Bett oder auf dem Sofa liegen und soviel wie ich bereit war, abzulegen, ausziehen! Zu diesem Zeitpunkt bist du mir schon einmal sehr auf die Pelle gerückt?«, merkt er noch an.

»In Kitzbühl?«

»Ja! Ab diesem Zeitpunkt hatte ich bei den Sitzungen kein Problem mehr, die Hüllen fallen zu lassen.«

»Na, wie finde ich das nun: Gut oder schlecht?«

»Jedenfalls hat der Unterricht am Körperkult immer weitere Kreise gezogen. Doktor Aschenbrauer hat dann begonnen, mir Passagen aus erotischen Texten vorzulesen oder aber, wir haben uns gemeinsam ein erotisches Video angesehen.«

»Wie bitte? Ihr habt zusammen einen Sexfilm angesehen!« Ich bin aufrichtig entrüstet! (Nein, nein, nicht wegen dieses kleinen Sexfilms, sondern wegen der nahen Umstände und wegen dieser Frau, die sich doch tatsächlich Doktor schimpft!)

»Nein, das waren keine herkömmlichen Sexfilme, das waren erotische Filme. Ein Pornofilm würde meinen Freund noch mehr demotivieren, als er ohnehin schon ist, aber ein sinnlicher Film animiert mich«, erklärt er mir ruhig. »Und dann sind wir langsam einen Schritt weitergegangen. Zuerst hat mich Doktor Aschenbrauer sanft am Oberkörper berührt und im Laufe der Zeit hat sie meinen Unterleib beeinflusst.«

»Wie darf ich nun das wieder verstehen?«

»Nun, sie hat ihre Hände geschickt eingesetzt. Und, irgendwie scheint diese Methodik wirklich Fuß zu fassen, denn immerhin haben wir beide schon miteinander geschlafen oder sollte ich besser sagen: Wir haben einen Versuch gestartet. Zugegeben: Das Vergnügen war kurzweilig, aber es hat definitiv stattgefunden und das ist das Einzige, was für mich zählt!«

»Ich fasse es nicht! Du bezahlst sie für einen Dienst, den du von mir gratis hättest haben können.«

»Ich befinde mich mit meinem Freund in der Aufbauphase. Ich kann nicht von meiner Lebensgefährtin erwarten, dass sie monatelang darauf wartet, dass wir endlich einmal richtig intim sein können. Das würde dir auf Dauer nicht gefallen.«

»Du hättest mich fragen können! Nun bin ich mit der Tatsache konfrontiert, dass dir eine andere an die Wäsche geht. Und da wir gerade dabei sind: Wieso nimmst du ihre Dienste noch immer in Anspruch?«

»So gib es doch zu: Eine Minute Erektion löst nicht gerade einen Vulkanausbruch aus, oder? Ich wollte noch an meinem Handicap arbeiten und mich steigern!«

»Und sonst war nichts? Obwohl ... es ist eigentlich – genau genommen - schon genug zwischen euch passiert.«

»Nein! Es war nichts von Bedeutung zwischen uns«, versichert er mir einflößend.

»Du weißt, dass du dich mit diesen erotischen Abenteuern, und das sind sie für mich zweifelsohne, unweigerlich in einer undefinierbaren Grauzone befindest. Was ist hier noch erlaubt und was nicht?«

»Ich bedaure es von ganzem Herzen, dass du es auf diese Weise erfahren hast, und wenn ich gewusst hätte, dass du dafür Verständnis aufgebracht hättest, dann hätte ich es dir schon viel früher erzählt, aber nach Mailand ...«

»Ich hätte dafür kein Verständnis aufgebracht«, gebe ich ehrlich zu. »Ich kann verstehen, dass du verzweifelt bist, wirklich! Ich finde aber, dass dein Problem so intim und persönlich ist, dass, wäre ich in deiner Situation, ich mich nur bei einer geliebten und vertrauten Person gehen lassen könnte. Aber du kannst das anscheinend auch bei einer völlig Fremden.«

»Ich verstehe, was du meinst, glaub mir bitte und nun wird mir klar, dass es ein Fehler war, aber ich wollte dich glücklich machen und in unserer Beziehung einen richtigen Mann stehen und keine halb leere Flasche darstellen. Ich liebe dich von ganzem Herzen, Amelie!«

»Und ich dachte, du wärst die Liebe meines Lebens.«

»Du dachtest?«, fragt Francesco pikiert nach.

»Ja, ich dachte!«

Mit diesen Worten löse ich mich aus seiner innigen Umarmung und wende mich ihm zu. Ich lasse meine Finger sanft über seine Wange gleiten und hauche ihm einen zärtlichen Kuss auf die harmonischen Lippen. Ich verweile einen Augenblick, dann mache ich mich von ihm frei, schnappe den Laptop, die Mappe und meine Handtasche und gehe Richtung Tür.

»Es tut mir aufrichtig leid«, gebe ich noch zurück.

»Was tut dir leid?«, will er wissen.

»Vieles!«

»Und ... was wird nun aus uns?«

»Darüber muss ich nachdenken! Ich rufe dich an, wenn ich so weit bin!«

Mit dieser Ankündigung verlasse ich die offensichtliche Trugwelt und meinen vermeintlichen Prinzen dazu.

Nachdem die Tür hinter mir ins Schloss fällt, stürzen die letzten Wochen aber ohne Gnade auf mich herein.

Nun, zumindest habe ich dem Dämon der Vergangenheit kurzzeitig die Stirn bieten können. Ein Trost, der vergänglicher nicht sein könnte.

 

 

Sich kennen und lieben lernen - und dann sich trennen ist die traurige Geschichte vieler menschlicher Herzen.

(Samuel Taylor Coleridge)

***

Sei nicht verzweifelt, wenn es ums Abschiednehmen geht. Ein Lebewohl ist notwendig, ehe man sich wieder sehen kann. Und ein Wiedersehen, sei es nach Augenblicken, sei es nach Lebenszeiten, ist denen gewiss, die Freunde sind.

(Richard Bach)

 

 

Danksagung

 

 

Ich möchte mich bei meinen Freunden bedanken, vorneweg bei Ulrike, die mich tatkräftig unterstützt hat. Weiters sollte ich Eva, Andrea, Hermine und Heidrun erwähnen, die in meinem Freundeskreis eine sehr wichtige Rolle spielen. Keineswegs vergessen darf ich Richard und Matthias, deren Erlebnisse bei uns allezeit für Lacher sorgen. Durch Eure Geschichten und meine Fantasie ist dieses Buch erst möglich gewesen.

Ein weiterer Dank gebührt Schwester Karin.

Bedanken möchte ich mich bei meiner Familie, die mich allseits unterstützt hat (Anneliese und Mira, auch wenn ich wegen der Korrektur genervt hab’ – Danke fürs Lesen und Kontrollieren) ... und bei meiner Großmutter, die gottlob wirklich nicht so ist, wie einige Kunden des fiktiven Coffee-Shops.

Außerdem erwähnenswert sind jene weisen Menschen, deren Zitate ich mir zu Nutzen gemacht habe.

Hierbei möchte ich noch anfügen, dass dieses Buch zu Ihrer Unterhaltung gedacht ist und dass sein Inhalt und seine Zusammenhänge nicht konform mit einem wissenschaftlichen Institut gehen. Verzeihen Sie mir also bitte jegliche Fehlinterpretationen, diese sind ausschließlich mir zuzuschreiben.

Und verzeihen Sie mir, dass ich die Orte meiner Handlungen etwas umgestaltet habe. Ich habe etwa München um eine fantastische Galerie bereichert und auch sonst meinem Einfallsreichtum keine Grenzen aufgesetzt.

Die Handlung dieses Romans ist selbstverständlich völlig frei erfunden. Eventuell auftretende Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind absichtslos und rein zufällig.