3. Das digitale Spiegelbild des Selbst: Welche Daten in unserem Körper stecken und wie wir sie nutzen können


Es ist schon erstaunlich, wie viel Wissen und Erfahrung uns umgibt. Seit Jahrtausenden schreiben wir es auf, reichen es weiter und verfeinern es. Noch erstaunlicher ist es, dass wir heute mit nur wenigen Mausklicks quasi das komplette Wissen der Menschheitsgeschichte abrufen und es nach unseren eigenen Bedürfnissen, Wünschen und Interessen durchsuchen können. Mit einem Smartphone ist das Weltwissen sogar ständig und überall bei uns. Mit den omnipräsenten, digital verknüpften Mobilcomputern erweitern wir allerdings nicht nur unser Wissen, sondern auch unseren Freundeskreis. Denn dank sozialer Netzwerke ist der selbst dann bei uns, wenn wir alleine sind. Auch unsere Sinne erweitern wir in gewisser Weise. Wir navigieren mithilfe intelligenter Assistenten, können Verkehr und Wetter vorhersagen, organisieren unseren Alltag digital und kaufen in virtuellen Geschäften ein.

Was heute für die meisten alltäglich ist, wäre vor nicht einmal 20 Jahren pure Science-Fiction gewesen. Der digitale Nachrichtenstrom, der von außen zu uns herangetragen wird, ist immens. Die Technik dient uns dabei bisher hauptsächlich als Filterwerkzeug für die Verarbeitung, Organisation und Optimierung der uns umgebenden Welt. Stück für Stück rückt sie nun jedoch immer dichter an unseren eigenen Körper heran. So dicht, dass wir mit ihr nicht mehr nur die Welt um uns herum betrachten, sondern den digitalen Blick auch nach innen richten und ihn dabei zunehmend schärfen. Digitale Schrittzähler dokumentieren unsere körperliche Aktivität, mit EEG-Stirnbändern können wir unsere Hirnaktivität und so zum Beispiel unseren Schlaf überwachen, und dank spezieller Smartphone-Apps lässt sich die eigene Ernährung verbessern. Wir werden gleichzeitig zum Datenlieferanten und Informationskonsumenten. Nachdem die digitale Vermessung und virtuelle Kartografierung der Welt in vollem Gange ist, rücken wir nun selbst in die vernetzte Betrachtung und werden zunehmend ein passendes Teil im digitalen Puzzle – aktiv und passiv, in Körpernähe, direkt am Körper und bald sogar im Körper selbst. Aber welche Daten stecken eigentlich in unserem Körper, wie können wir sie auslesen, und was bringt uns das digitale Spiegelbild des Selbst?

Aus Kilogramm wird Kilobyte

Fast jeder kennt sein Gewicht und seine Körpergröße, diese beiden Variablen zur Beschreibung des Selbst gelten in unserer Gesellschaft quasi als Pflichtwissen. Bereits vor 7000 Jahren wurde gemessen, wie schwer ein Objekt im Vergleich zu einem anderen ist, zumindest lässt sich die bislang älteste bekannte Balkenwaage auf diesen Zeitraum zurückdatieren. Seitdem sie vor knapp 7000 Jahren einem ägyptischen Grab beigelegt wurde, hat sich die grundsätzliche Erfassung des Gewichts nur unwesentlich verändert. Neben der Schwere eines Körpers messen moderne (Körper-)Waagen aber noch ein bisschen mehr. Mit der sogenannten bioelektrischen Impedanzanalyse können Muskel- und Knochenmasse, Körper- oder sogar Organfettanteil erfasst werden. Beim Betreten einer solchen Körperfettwaage wird ein geringer Strom durch den Körper gelenkt. Währenddessen misst die Waage den Widerstand und die Schwankung des Stromflusses. Die so erfassten Werte ermöglichen Rückschlüsse auf die Zusammensetzung des gewogenen Objekts. Praktischerweise errechnen die Geräte nach einmaliger Angabe von Geschlecht, Alter und Körpergröße auch gleich den entsprechenden Body-Mass-Index sowie andere Körpermaßzahlen. Die neuesten Modelle erfassen sogar den Herzschlag und messen die Luftqualität im Raum – und werden damit zu einer Art Gesundheitsmessgerät.

Wirklich interessant wird die Waage aber erst im Zusammenspiel mit dem Internet. Die sogenannten WLAN-Waagen senden die gemessenen Daten an ein persönliches Online-Konto, wo die entsprechenden Werte chronologisch aufgelistet und gespeichert werden. Betreten Sie eine solche Waage, können Sie im Nachhinein am Computer, Smartphone oder Tablet die Ergebnisse ausführlicher betrachten. Die nackten Zahlen werden online in schicke Grafiken, Verlaufskurven und Trend-Diagramme verwandelt und können bei einigen Herstellern sogar exportiert werden, etwa für einen Arztbesuch. Der selbst erklärte Marktführer bei WLAN-Waagen, die Firma Withings, schreibt: »Erstellen und drucken Sie (für Ihren Arzt) Ihre Wachstums-, Gewichts-, Größen- und BMI-Kurven im Gesundheitspass-Format.« Wer will, kann sein Gewicht auch mit anderen Personen teilen. So erhält beispielsweise der Fitnesstrainer, der Ernährungsberater oder der virtuelle Twitter-Freundeskreis via Internet Zugriff auf die Körperdaten. Immer mehr Menschen nutzen soziale Netzwerke, um sich über ihre Diätziele, Erfolge oder Misserfolge auszutauschen. Der Twitter-Nutzer Steve Schutzbier alias aviationsteve teilt zum Beispiel öffentlich mit: »Mein Gewicht: 107,7 kg. Noch 7,65 kg abzunehmen.« Das Öffentlichmachen des eigenen Körpergewichts kann die Motivation steigern und dabei helfen, das angestrebte Wunschgewicht tatsächlich zu erreichen, so die Theorie. Außerdem ermöglicht das Teilen der eigenen Daten einen Austausch mit anderen Nutzern, die gerade ein ähnliches Ziel verfolgen. So wird das Abnehmen zum gemeinschaftlichen, gegenseitig motivierenden Event. Die erwähnten Mess- und Mitteilungsfunktionen stehen übrigens nicht nur einem Benutzer innerhalb eines Haushalts zur Verfügung. Die »intelligenten« Körperwaagen können die ganze Familie vermessen, denn sie erkennen und unterscheiden automatisch bis zu acht verschiedene Benutzer.

Körpermaße per Webcam

Im Internet Klamotten kaufen könnte so einfach sein, wenn man nur wüsste, welche Maße der eigene Körper hat. Mit Zollstock, Bandmaß, zwei helfenden Händen und einem Notizblock geht’s natürlich. Doch bequem ist anders.

Das Berliner Unternehmen Upcload zum Beispiel hat eine Methode entwickelt, wie man seine Körpermaße millimetergenau selbst ermitteln kann. »3 Minuten und 4 einfache Posen. So genau vermessen werden wie beim Schneider!« lautet das Versprechen an den Kunden. Alles, was man dazu braucht, ist ein Computer oder Laptop mit eingebauter Webcam und irgendeine CD, die man sich vor den Bauch hält. Die Compact Disc gilt dabei als standardisierte Vergleichsgröße im Messvorgang. Aus dem Größenverhältnis zwischen Körper und CD-Durchmesser errechnet eine Bilderkennungs-Software dann die genauen Körpermaße. In einem Experiment mit 500 Testpersonen hat diese Methode zur Fern-Körpermessung bereits funktioniert. Die so gewonnenen Größen können vor der Shoppingtour im Netz in einem persönlichen Onlineprofil hinterlegt und später in einer Art virtuellen Umkleidekabine jederzeit abgerufen werden.

Noch einfacher funktioniert die Körpervermessung mit dem 3D-Scanner der Microsoft-Spielkonsole Kinect. In dem Webcam-ähnlichen Gerät sind Kameras eingebaut, die nicht nur das Bild, sondern auch die Tiefe des Raumes erfassen können. Zusammen mit einem ebenfalls integrierten Raum-Mikrofon ermöglicht das Gerät dem Spieler, Videospiele allein mit Körperbewegungen zu steuern. Die britische Firma Bodymetrics hat das Kinect-System weiterentwickelt und setzt es zur millimetergenauen Vermessung eines beliebigen Körpers ein. Es verzichtet auf Bilddaten und scannt mit einem Infrarot-Laser anhand unzähliger Messpunkte die Größe eines Menschen. Dazu sollte man sich möglichst hauteng bekleidet vor der Kamera um die eigene Achse drehen. Der mit dem Computer verbundene Scanner misst währenddessen die Körpermaße. Innerhalb von fünf Sekunden werden so Hunderte Daten erfasst, wie zum Beispiel Größe, Taillenumfang, Oberschenkeldurchmesser sowie unzählige weitere Messpunkte, Längen- und Breitenverhältnisse. Auch bei diesem Beispiel liegt das Haupteinsatzgebiet der Technik vor allem im Bereich der Textilbranche. Ein von Microsoft eingereichtes Patent mit dem Titel »Parental Control Settings Based On Body Dimensions« aus dem Jahr 2010 sieht jedoch noch eine andere Funktion vor: So könnte die Technik theoretisch dafür eingesetzt werden, um Altersfreigaben bei Spielen, Filmen oder anderen Medieninhalten durchzusetzen. Wenn Kinder vor dem Computer oder Fernseher sitzen, könnten so automatisch altersgerechte Inhalte angezeigt werden, da das System durch die erfassten Maße der Person Rückschlüsse auf ihr Alter ziehen kann, so die Theorie.

Das fotografische Gedächtnis

Es besteht die Annahme, dass unser Gehirn jeden erlebten Moment abspeichert, allerdings können wir uns nur an Ausschnitte erinnern – und selbst die verblassen mit der Zeit. Sogenannte Lifelogging-Kameras, tragbare Minifotoapparate mit Automatikfunktion, wie sie etwa die britische Firma OMG anbietet, wollen dieses »Defizit« ausgleichen. In den etwa streichholzschachtel großen Geräten sind Fotolinsen, GPS- und Lichtsensoren sowie Speicherchips verbaut. Um den Hals gehängt oder an die Hemdtasche geklemmt, halten sie jeden Moment in einem Leben fotografisch fest. Die Mini-Cam des schwedischen Unternehmens Memoto knipst Bilder im 30-Sekunden-Takt und sichert zusätzlich den Ort des Geschehens dank GPS-Sensor auf dem Speicherchip der Kamera. Solange die Memoto-Cam an Hemd, Jacke oder Hose befestigt ist, solange fotografiert sie auch – erst wenn das Gerät abgenommen und mit dem Bildsensor nach unten abgelegt wird, stoppt die fortlaufende Dokumentation des Alltags. Auch hier entsteht der Mehrwert im Zusammenspiel mit dem Internet, denn man kann die geschossenen Bilder anschließend chronologisch sortiert ins Netz bzw. auf das eigene Telefon oder auf den Computer übertragen – Momente und Erlebnisse, visuell festgehalten und jederzeit rekonstruierbar. Die Herausforderung besteht darin, die riesige Flut an Bildern für eine spätere Betrachtung zugänglich zu machen. Was nutzen mir Zigtausende Bilder von Erlebnissen, die ich vor einem Jahrzehnt hatte? Die entsprechenden Unternehmen arbeiten deshalb an Auswertungs- und Sortierprogrammen, die zum Beispiel den Fokus auf häufig besuchte Orte oder regelmäßig getroffene Personen legen und beim späteren Betrachten der Bilder eine individuelle Vorauswahl treffen und eine Sortierung auf bestimmte Ereignisse vornehmen. Ein ähnliches System wird bereits im sozialen Netzwerk Facebook verwendet. Facebook listet in der Chronik automatisch sogenannte persönliche Highlights aus dem eigenen Leben auf. Welche Bedingungen genau bei der Bestimmung der Relevanz eine Rolle spielen, bleibt jedoch das Geheimnis der Netzwerk-Macher. In einer womöglich lebenslangen digitalen Fotosammlung könnte eine ausgeklügelte Bild-Software an Ihrem Geburtstag beispielsweise die schönsten Geburtstagsfotos der vergangenen Jahre anzeigen. Wenn Sie im Urlaub nach Paris fahren und am Eiffelturm entlangschlendern, könnte Ihnen die Bildauswahl die persönliche Perspektive aus der Vergangenheit zeigen, vorausgesetzt, Sie waren bereits an dem besuchten Ort und hatten die Kamera dabei.

Den Alltag in Bildern zu archivieren und dadurch in gewisser Weise nie wieder zu vergessen, ist allerdings kein neues Konzept. Schon in den Siebzigerjahren entwickelte der Amerikaner Steve Mann, heute Informatik-Professor an der Universität Toronto, tragbare, computerähnliche Geräte, die mit einer Kamera sein komplettes Leben filmten. Im Laufe der Jahre wurden seine selbstgebauten Computer-Kamera-Helme immer kleiner und leistungsfähiger. Der US-amerikanische Forscher und Microsoft-Mitarbeiter Gordon Bell hat die Idee des sogenannten Lifeloggings weiter vertieft, indem er von 2001 bis 2007 in einer ständig digital präsenten Always-on-Manier u. a. sämtliche Schriftstücke, Fotos, Videos und Aufnahmen seines Anrufbeantworters digital archiviert hat und von Computerprogrammen strukturiert auswerten ließ. Die Ergebnisse seines »MyLifeBits« getauften Forschungsprojekts veröffentlichte er in den Büchern Total Recall (2009) und Your Life, Uploaded (2010). Darin prophezeit er die seiner Meinung nach bevorstehende Revolution eines 100-prozentig digitalisierten Lebens.

Die Kraft des alltäglichen Fotos wird übrigens auch von der Kunst erforscht. Der New Yorker Fotograf Noah Kalina schießt seit der Jahrtausendwende täglich ein Selbstporträt und lädt jedes Foto von sich ins Netz. Aus den Einzelbildern komponiert er anschließend Zeitraffervideos, in denen man Kalina in wenigen Minuten um Jahre altern sehen kann. Inzwischen hat er damit viele Nachahmer gefunden. Das tägliche digitale Selbstporträt hat sich zu einem eigenen Genre entwickelt, das dem Betrachter aus einer faszinierenden, zeitlich verzerrten Perspektive einen völlig neuen Blick auf ein Menschenleben ermöglicht und gleichzeitig einen kleinen Eindruck von der technologisch initiierten Wahrnehmung des Selbst vermittelt.

Sprechen in Zahlen

Die Kommunikationsleistung des Menschen nimmt stetig zu, vor allem die technisch vermittelte Kommunikation. Heute ist das Mobiltelefon für viele zum Knotenpunkt der persönlichen Unterhaltung geworden. Telefonate, E-Mails, SMS, Chatnachrichten: Informationen und Mitteilungen zwischen Menschen sind im ständigen Fluss und komplett im Alltag integriert. Aber wie genau läuft dieser Kommunikationsalltag eigentlich ab? Um das herauszufinden, gibt es sogenannte Device Tracker. Installieren Sie eines dieser kleinen Programme auf Ihrem Smartphone, analysiert es Ihre persönliche Kommunikationsleistung, indem es sämtliche Informationsein- und Ausgänge Ihres Telefons protokolliert und grafisch aufbereitet. So wird zum Beispiel klar, mit wem Sie wann und wie lange in Kontakt waren und wie viel Zeit Sie am Telefon oder vor dem Computer verbracht haben. Neben einer genauen Auflistung von ein- und ausgehenden Telefonaten stellen Programme wie »Current Caller ID« eine visuelle Aufbereitung der SMS-Gewohnheiten bereit, berechnen den Anteil der getätigten und verpassten Anrufe, analysieren Zusammenhänge zwischen Anrufbeantworter-Nachrichten und Rückrufraten. So entsteht ein individuelles, einfach nachzuvollziehendes Kommunikationsprofil sowie eine Liste von Personen, mit denen Sie am häufigsten in Kontakt stehen. Zusätzlich wird abgebildet, zu welcher Tageszeit Sie die meisten Gespräche geführt haben und wann Sie am besten zu erreichen sind.

Ein Forschungsprogramm der Universität Cambridge geht noch weiter: Das »Device Analyser« getaufte Telefon-Analyse-Programm der britischen Forscher, das Nutzer freiwillig auf ihrem Handy installieren können und dabei einwilligen, ihre erfassten (und anonymisierten) Daten der Wissenschaft zur Verfügung zu stellen, speichert sämtliche Informationen, die das mobile Gerät hergibt. Wie oft und wann es in Benutzung ist, die Menge der Daten, die via Mobilfunknetz oder heimisches WLAN übertragen werden, wann und wie oft es aufgeladen wird, wo sich das Gerät befindet, welche Programme auf dem Telefon installiert sind und welche der Apps wann und wie oft benutzt werden. So entstehen objektive Zahlen, die normalerweise im alltäglichen, häufig »unbewussten« Gebrauch verschwinden. Installieren Sie solche Programme auf Ihren Telefon oder Computer, entstehen Datensätze, mit denen sich Ihr Zeitmanagement verbessern lässt. Vielleicht kann dank der Ergebnisse sogar die allgegenwärtige Zivilisationskrankeit der digital vernetzten Gesellschaft besiegt werden, die Prokrastination – das Aufschieben von Arbeit durch die ständige Ablenkung multimedialer Kommunikationsereignisse im Netz. Den Eindruck, dass die eigene Leistung optimiert werden kann, vermittelt zumindest der Webdienst Rescuetime. Mithilfe eines kleinen Programms auf dem eigenen Computer oder Smartphone wird das Onlineverhalten protokolliert und ausgewertet. Wer will, bekommt einen wöchentlichen Bericht darüber, mit welchen Webseiten, Online-Diensten und Computerprogrammen man wie viel Zeit verbracht hat. Neben den Nutzungsstatistiken bietet der Dienst auch eine Analyse der persönlichen Effizienz- und Produktivitätsleistung und sagt Ihnen ganz genau, wann Sie wo wie viel Zeit am Computer oder Smartphone verschwendet haben.

Real besuchte Orte auf virtuellen Karten

Das digital vernetzte Leben macht die Welt kleiner, zumindest gefühlt. Eine Analyse der Facebook-Nutzerstatistik aus dem Jahr 2011 ergab, dass sich zwei zufällig ausgewählte Facebook-Nutzer über gerade einmal fünf Facebook-Freundschaften »zusammenführen« lassen. Das sogenannte Kleine-Welt-Phänomen bestätigt sich aber auch im »echten« Leben: Onlineflugbörsen und temporäre Wohnungstauschangebote machen das Reisen so einfach wie nie. Taxifahrer und Fahrgäste verabreden sich per Smartphone-App, Fahrrad- und Autofahrer finden dank mobiler Navigation den besten Weg in der Großstadt, und wer die eigene Position per GPS mit Freunden teilt, kann sich schnell zum Shoppen oder Essen verabreden. Obwohl Pessimisten das Internet oft als isolierendes, vereinsamendes Medium bezeichnen, sind wir in Wirklichkeit so mobil wie nie zuvor, in geolokaler ebenso wie in sozialer Hinsicht.

Wie mobil wir genau sind, lässt sich dank der Ortungschips in Smartphones genau feststellen. Erfolgreiche Webdienste wie Foursquare, Facebook-Places oder Google Latitude protokollieren nach Aktivierung die persönliche Mobilität und teilen auf Wunsch die aktuelle Position des Nutzers innerhalb des eigenen Sozialen Netzwerks mit. So entsteht eine zeitlich chronologische und virtuell nachvollziehbare Übersicht von real besuchten Orten. So könnten Sie zum Beispiel festhalten, wann und wie oft Sie im Monat in der Kneipe, im Schwimmbad oder im Supermarkt waren und mit diesen Informationen in der nachträglichen Betrachtung das persönliche Verhalten an einen Ort koppeln. Das Thema »digitale Eitelkeit« wird uns in Kapitel acht noch beschäftigen.

Die ortsbezogenen Daten können nicht nur Informationen zur eigenen Mobilität erzeugen und den Nutzer motivieren, sich mehr zu bewegen. Sie können auch kreative Werke schaffen: Das zeigen die malerischen Ergebnisse der Smartphone-App Figurerunning. Das Programm gibt dem mobilen Nutzer auf seinem Smartphone einen digitalen Pinsel in die Hand, und sobald das Programm aktiviert ist, wird die virtuelle Landkarte automatisch zur Leinwand. Schritt für Schritt entsteht so ein Pinselstrich nach dem anderen, und es bilden sich kleine Gemälde, die sich zwischen Häuserschluchten, Brücken und Fahrradwegen künstlerisch in das virtuelle Kartenmaterial einfügen.

Bewegungsdrang dank Fitness-Chip

Der wohl populärste Bereich der digitalen Selbstvermessung ist das Erfassen der eigenen körperlichen Aktivität. Ob »intelligente« Armbänder oder digitale Schrittmesser im Schuh – kleine, beinahe unsichtbare Geräte, ausgestattet mit ausgeklügelter Sensorik, halten akribisch fest, wie und wann Sie sich bewegen. Ausgestattet mit Lage-, Bewegungs- und Funksensoren messen die ansteckbaren Clips von Fitbit oder die modisch designten Armbänder von Firmen wie Jawbone oder Nike, wie weit Sie gehen, wie schnell Sie laufen oder wie viele Stockwerke Sie an einem Tag bewältigt haben. Die Bewegung Ihres Körpers wird von den tragbaren Sensoren erfasst und in digitale Signale verwandelt. So werden Ihre Schritte, Sprung- oder Laufbewegungen von der Technik erkannt, gespeichert, gezählt und analysiert. Die rohen Bewegungs- und Aktivitätsdaten übertragen die unscheinbaren Geräte ganz automatisch an ein persönlich verwaltetes Onlineprofil, sobald sie eine Verbindung zum Internet erlangen. Anschließend können Sie Ihre körperliche Aktivität auf dem Smartphone oder per Webbrowser im Internet betrachten, dazu erhalten Sie Infografiken und Diagramme sowie Tipps zur Steigerung der eigenen Fitness und Mobilität. So wird die unsichtbare Technik in der Hosentasche möglicherweise zu einem ganz persönlichen Fitnesstrainer in Fortschrittsbalken-Optik inklusive Schritt-für-Schritt-Motivation und Freunde-Vergleich. Denn wer will, kann im Fernduell auch mit verbundenen Online-Bekannten um die Wette joggen, mit seinen 150 zu Fuß bewältigten Stockwerken prahlen oder einfach nur für sich selbst erkunden, wie viel oder wenig man sich am Tag bewegt hat.

Besonders interessant ist diese Form der digitalen Selbstvermessung für Sportler oder diejenigen, die es werden wollen. Vor allem für Anfänger sorgt das Messen der eigenen Schrittanzahl, Laufgeschwindigkeit oder zurückgelegten Distanz für einen Einblick in das eigene Leistungsvermögen, das sich anschließend schrittweise steigern lässt. Dank der Formulierung simpler Trainingsziele nimmt die Motivation zu, sich mehr zu bewegen. Wer weiß, dass er bereits 85 Prozent seines Tagespensums geschafft bzw. erlaufen hat, dem fallen auch die restlichen zwei Jogging-Kilometer leichter. Die digitalen Fitness-Armbänder und Ansteck-Clips geben zudem ein hilfreiches Echtzeitfeedback, inklusive Trainingszwischenstand und aktueller Aktivitätsanzeige. Und ein Blick auf die persönliche Wochen- oder Monatsübersicht, die sich per Smartphone-App oder direkt im Browser betrachten lässt, kann je nach Ergebnis zusätzlich motivieren. Steigt die Aktivitätskurve in der Onlinegrafik und wurden alle Trainingsziele erreicht oder gar übertroffen, macht das Bewegen umso mehr Spaß.

Die Technik allein macht aber noch keinen fitten, beweglichen und gesünderen Körper. Denn wer auf Dauer zu wenige oder keines der selbst gesteckten Ziele erreicht und deshalb ständig auf sinkende Aktivitätskurven blicken muss, wird höchstwahrscheinlich eine ähnliche Entwicklung in der eigenen Motivation verspüren. Das digitale, in gewisser Weise also »schonungslose« Feedback kann je nach erfolgter Leistung und Persönlichkeitstyp eine Abwärts- oder Aufwärtsspirale in Gang setzen.

Essenmesser

Auch Lebensmittel lassen sich quantifizieren, also in Zahlen abbilden. In Gramm oder Kalorien zum Beispiel. Etwas abstrakter rechnen die Weight Watchers bereits seit knapp 50 Jahren am Essen herum. Jedem Lebensmittel wird dabei ein Punktwert zugewiesen, der sich aus unterschiedlichen Faktoren zusammensetzt. Diese und ähnliche Messmethoden zur Nahrungsaufnahme eignen sich perfekt für eine digitale Erfassung. Per »Food-App« auf dem Smartphone können Sie mit wenigen Klicks festhalten, wie viel Energie Sie Ihrem Körper zuführen. Wie bei einer Gemüsewaage im Supermarkt reicht ein Klick auf ein digital abgebildetes Lebensmittel. Zwei Scheiben Brot, fünf Kartoffeln, ein Cheeseburger. Im Hintergrund durchforsten die Programme riesige Ernährungsdatenbanken und errechnen beispielsweise Ihre tägliche Kalorien-, Fett- oder Vitaminaufnahme. Die Digitalisierung des Essens hat allerdings oft einen faden Beigeschmack, denn für die virtuelle Nachbereitung brauchen Sie Ausdauer. Wer die nicht mitbringt, wird schnell aufgeben. Die meisten digitalen Ernährungstabellen beherrschen leider nur die englische Sprache und können mit lokalen oder leicht abweichenden Gerichten nur wenig anfangen. Wer zudem keine Lebensmittelwaage im Haus hat, dem wird es oft sehr schwerfallen, Kalorien und andere Werte zu sammeln. Die Auflistung aller Bestandteile eines 3-Gänge-Menus ist so gut wie unmöglich und führt bei Ungeduldigen wohl eher zu einer digitalen Nulldiät. Denn die Lust am Messen vergeht umso schneller, je mehr Zeit und Nerven sie kostet.

Abhilfe schaffen sollen hier »intelligente« Kamerafunktionen, die mit moderner Bilderkennung ein Gericht »scannen«, also selbstständig erkennen. Das funktioniert bei Fertiggerichten dank Strichcode und genauer Inhaltsangabe der Hersteller schon heute perfekt. Einfach die Handy-Kamera an die Verpackung halten, Strichcode abscannen, fertig. Wer lieber selbst kochen will, dem bleibt nur die manuelle Eingabe. Der Aufwand kann sich aber lohnen. Während Schrittzähler und Fitness-Apps auf dem Handy für die Messung Ihrer körperlichen Aktivität zuständig sind und nebenbei auch Ihren Kalorienverbrauch ermitteln, sind die sogenannten Food-Tracker für das Erfassen der Energiezufuhr zuständig und halten fest, wann Sie was und wie viel gegessen haben. In Verbindung mit den Bewegungsdaten des Körpers lässt sich so die eigene Ernährung steuern. Wenn Sie zum Beispiel effektiv und nachhaltig abnehmen möchten, sollten Sie über Ihren individuellen Energieverbrauch genauso Bescheid wissen wie über Ihre persönliche Energiezufuhr. Per Knopfdruck errechnen die Ernährungsprogramme für Sie auch Ernährungspyramiden, erstellen auf Wunsch Diätziele, geben Tipps für den nächsten Einkauf oder schlagen Rezepte für ein gesünderes Essen vor. Auch hier gilt: Der Einblick in das eigene (Ess-)Verhalten kann ein Umdenken in der Ernährung hervorrufen. Nur wer genau hinsieht und versteht, wie er isst, kann seine Ernährung auch verändern. Dass es dabei nicht nur um quantifizierte Kalorien und um die langweilige Protokollierung des eigenhändig zugeführten Fettgehalts gehen muss, zeigt eine junge digitale Bildästhetik rund um die eigene Ernährung. Wie jeder weiß: Das Auge isst mit – und das gilt auch im Internet. Das Verbreiten virtueller Hochglanzbilder einer selbst bereiteten Mahlzeit ist ein anhaltender Trend bei den Fotoplattformen Instragram, Flickr, Facebook und Co. Das englischsprachige Netz bezeichnet das digitale Ablichten der heimischen Kochkünste augenzwinkernd als »food porn«.

Vernetzte Stimmungsbarometer

Wie fühlen Sie sich? Diese an sich einfache und zugleich schwer zu beantwortende Frage stellen sogenannte Mood-Tracker, digitale Stimmungs-Messgeräte auf dem Smartphone. Dienste und Applikationen wie Moodpanda, Moodscope oder mood247 fordern ihre Benutzer mindestens einmal täglich auf, die eigene Stimmung zu bewerten. Je nach Dienst entweder per SMS oder als Ranking, grafisch dargestellt auf dem Display des Telefons. Meistens orientieren sich die Programme an einem klassischen Bewertungs- oder Selbsteinschätzungsformat, der Skala von eins bis zehn, wobei eins sehr unglücklich und zehn sehr glücklich bedeutet. Einige Programme vereinfachen die Auswahl und bieten lediglich drei grafisch abgebildete Stimmungen in Form von Smileys – für das schnelle digitale Abspeichern des flüchtigen emotionalen Gedächtnisses. Ihre so erfasste Stimmung, die Sie mit einer persönlichen Notiz anreichern können, wird von der Software automatisch mit einem Zeitstempel versehen. Wer will, kann sein Gefühl auch einer Aktivität zuordnen und so zum Beispiel festhalten, wie das persönliche Glücksgefühl vor, während und nach dem täglichen Waldlauf aussieht. Je nachdem wie lange Sie Ihre Emotionen in dieser Form notieren, entstehen durchaus wochen-, monats- oder jahresbezogene Stimmungskurven.

Diese Daten bieten wertvolle Erkenntnisse darüber, wie man so »tickt«, und wer sie ausliest, kann das eigene Glücksgefühl verbessern. Das kommunizieren zumindest die App-Hersteller und Anhänger der Mood-Tracker-Szene. So stellt sich zum Beispiel womöglich heraus, dass Sie sich nach dem Joggen langfristig glücklicher fühlen als nach dem Radfahren. Oder Sie könnten erfahren, wie sehr die Ernährung oder der Aufenthaltsort nachhaltig Ihr allgemeines Wohlbefinden beeinflussen kann. Wie beim Messen der eigenen Ernährung wird auch bei den Mood-Trackern ein aktiver Nutzer vorausgesetzt. Allerdings unterscheidet sich das Erfassen der eigenen Stimmung von dem der eigenen Ernährung. Auch wenn Sie in beiden Fällen Ihre Selbstbeobachtung manuell protokollieren, bildet Ihr längerfristig erstelltes Emotions-Ranking im besten Fall eine Tendenz ab. Eine monatelang quantifizierte Stimmung im Zahlenraster von eins bis zehn reicht allerdings nicht aus, um einen digitalen Einblick in die emotionale Tiefe des Selbst zu erlangen.

Hierzu wiederum eignen sich die digitale Tagebücher. Wer sein Leben und seine innersten Vorgänge minutiös in solch ein digitales Tagebuch hineinschreibt, kann im Nachhinein viele interessante Zahlen aus den persönlichen Texten herauslesen. Einige Mood-Tracker durchsuchen auf Wunsch beispielsweise Tagebücher nach Wörtern, Formulierungen und Sätzen, die auf eine Stimmung hindeuten und interpretieren die Texte entsprechend. Eine solche semantische Analyse kann zum Beispiel den Anteil an Wörtern mit emotionaler Bedeutung isolieren und mit früheren persönlichen Texten in Beziehung setzen. So steigt eventuell die Anzahl emotional »negativer« Wörter in den Wintermonaten, oder es stellt sich heraus, dass Sie zu bestimmten Zeiten im Jahr weniger selbstbezogen schreiben. Interessant wäre an dieser Stelle auch ein Vergleich der Analyse-Daten mit den Eindrücken der emotionalen Selbsteinschätzung, um herauszufinden, ob und wenn ja wie stark die bewusste Selbsteinschätzung von der eher »neutralen« Tagebuchanalyse abweicht.

Traumkurven und Schlaflinien

Wer schlecht einschlafen kann, der sollte ein Glas warme Milch mit Honig trinken, so lautet einer von unzähligen, althergebrachten Ratschlägen zur Schlafoptimierung. Helfen diese Tipps tatsächlich? Mithilfe von Schlaftracking-Tools soll das jeder für sich selbst herausfinden können. Wie viele Minuten dauert es durchschnittlich, bis Sie einschlafen, wie oft bewegen Sie sich im Schlaf, und wie wirkt sich Ihre Ernährung oder der Sport auf Ihren Schlafrhythmus aus? Diese und weitere Fragen wollen Anbieter wie Wakemate oder Jawbone Up beantworten und versprechen mit ihren Schlafanalyse-Konzepten eine erholsamere Nacht. Spezielle Stirnbänder, ansteckbare Clips und Applikationen für das Smartphone zeichnen die nächtliche Körperaktivität auf und liefern so Daten für eine Analyse, die den Schlaf verbessern soll. Die Clips oder Armbänder, die man für eine erfolgreiche Messung in der Nacht anlegen muss, sind mit Lage- und Bewegungssensoren ausgestattet, die jedes noch so kleine Drehen oder Wenden des schlafenden Körpers elektronisch erfassen und digital speichern. So entsteht ein nächtliches Aktivitätsprotokoll des Körpers, das Rückschlüsse auf das Schlafmuster zulässt. Auch hier bieten die Dienste eine Diagrammdarstellung, inklusive interessanter Kennwerte wie Einschlafdauer, genaue Einschlaf- und Aufwachzeit, gesamte Schlafdauer, Anzahl der Bewegungen und eine sogenannte Schlafeffizienz, die sich aus den erhobenen Werten zusammensetzt. Demnach wäre ein Schlaf effizient, wenn die Schlafdauer möglichst hoch, die Einschlafzeit möglichst früh und die Körperaktivität möglichst gering ist. Nützliche und praktische Erkenntnisse liefern die Daten vor allem in der Kombination mit weiteren Informationen: Möglicherweise stellt sich beim Betrachten der Schlaf- und Ernährungsprotokolle heraus, dass eine schlechte, zum Beispiel zu fette Ernährung für einen unruhigen Schlaf sorgt, oder dass ein Glas warme Milch Sie tatsächlich früher einschlafen lässt. Sie könnten zudem erfahren, welche Sportart Sie nachts besser schlafen lässt, an welchen Tagen in der Woche Sie den ruhigsten Schlaf haben und wie lange Sie schlafen sollten, um morgens fit zu sein.

Ein weiterer Grund für das Messen des eigenen Schlafs ist die daraus entstehende Weckoption. Die muss nicht auf eine feste Zeit beschränkt bleiben, sondern kann sich nach dem persönlichen Schlafmuster richten, denn das lässt sich in mehrere Stadien sowie Tief- und Leichtschlafphasen einteilen. Einige Wecker-Applikationen auf dem Smartphone klingeln zum Beispiel genau dann, wenn die Schlafphase ein möglichst erholsames Aufwachen erlaubt. Um diese Dienste optimal nutzen zu können, sollte man vor dem Einschlafen ein Zeitfenster von mindestens 30 Minuten wählen, in dem man gerne am nächsten Morgen aufwachen möchte. Wirklich ausgereift sind diese Konzepte allerdings (noch) nicht, denn die meisten Programme »schätzen« die Schlafphasen lediglich. Aufgrund der Datenbasis zur Einschlafzeit und der Körperbewegungen während der Nacht können die Apps die jeweilige Schlafphase, in der man sich zur gewünschten Weckzeit befindet, nur näherungsweise berechnen. Eine genauere Datenbasis und damit einen tiefen Einblick in den eigenen Schlaf ermöglichen mit Elektroden ausgestattete Stirnbänder, die im EEG-Messverfahren die elektrische Aktivität des Gehirns erfassen und so sehr genau feststellen können, ob Sie gerade in einer leichten Schlafphase sind, ob Sie sich im Tiefschlaf befinden oder ob Sie träumen. Jede dieser Schlafphasen erzeugt eine andere Hirnwellenfrequenz, die das Stirnband messen und an das Smartphone übertragen kann. Einige Dienste bieten neben der grafischen Aufbereitung der einzelnen Schlafphasen auch Handlungsempfehlungen und geben als digitaler Schlaftrainer Tipps für einen erholsameren, längeren und gesünderen Schlaf.

Bewusstsein in Wellenform

Jeder kennt das Gefühl des eigenen Herzschlags und wie sich Rhythmus und Schlagzahl verändern, wenn dem Körper Kraft, Schnelligkeit oder Ausdauer abverlangt wird. Wenn wir aber unser Gehirn beanspruchen, spüren wir nichts. Zumindest bekommen wir kein direktes Feedback unseres Gehirns, wir erfahren lediglich körperliche oder mentale Nebenwirkungen wie Erschöpfung, Entspannung oder Verwirrung. Das Gehirn ist also auch in unserer hochtechnisierten und aufgeklärten Welt immer noch ein Mysterium.

Man kann sich diesem wundersamen Organ jedoch heute auf faszinierende Art nähern. Bis vor wenigen Jahren war das allein Ärzten vorbehalten, die Zugang zu kaum bezahlbar teuren Spezialgeräten hatten. Mit EEG-Headsets von Firmen wie Neurosky oder Emotiv ändert sich das grundlegend. Bereits ab 100 Euro bekommt man Zutritt zum eigenen Gehirn. Mit den kopfhörergroßen Messgeräten lässt sich die elektrische Aktivität des eigenen Gehirns messen und anschließend digital protokollieren. Wirklich interessant werden die EEG-Headsets allerdings erst dank der Visualisierungsfunktion der eigenen Hirnaktivität. Je nach Anspannung oder Bewusstseinszustand erzeugt das Gehirn unterschiedliche elektrische Wellen, die das Headset an Stirn und Schläfe messen kann. Die Daten kann ein gängiger Heimcomputer live in Bilder verwandeln und somit das eigene Bewusstsein visuell erfahrbar machen. Erste praktische Anwendungen zeigen das Potenzial für den Alltag: ein EEG-Fahrradhelm, entwickelt im renommierten MIT Media Lab an der US-amerikanischen Stanford University, leuchtet bei einem konzentrierten Fahrer grün, bei Unsicherheit oder Angst blinken die Lichter rot und warnen somit andere Verkehrsteilnehmer. Dank der Methode des Neurofeedbacks ist zudem auch ein Art »Schreibvorgang« bzw. Trainingseffekt des Gehirns möglich. Durch die visuelle Wahrnehmung der Hirnaktivität und der daraus resultierenden Rückmeldung des eigenen Hirnstrommusters wird die Selbstregulationsfunktion des Gehirns angesprochen. So können Sie beispielsweise Fortschritte bei Entspannungs- oder Meditationsübungen nicht nur visuell erfahren, sondern auch steuern und verstärken. Es ist durchaus vorstellbar, dass Sie durch eine regelmäßige Messung Ihrer Gehirnaktivität herausfinden könnten, zu welcher Tageszeit Sie besonders fokussiert arbeiten können und an welchen Tagen Sie überdurchschnittlich angespannt oder entspannt sind.

Den Zugriff auf das menschliche Gehirn haben übrigens auch Kunst und Kultur für sich entdeckt. »Das Gehirn ist das einzig wahre Instrument«, schreibt etwa Lee Sankey in seinem Buch Brainstruments, und der Norweger Mats Sivertsen zeigt mit seinem SubCONCH-Projekt, wie er seine Hirnwellen in Töne verwandelt. Er verstärkt das elektrische Signal seines Gehirns, das er per EEG-Headset misst, leitet es an den Computer weiter und sonifiziert die Daten. So werden die eigentlich für den Menschen unhörbaren Frequenzen akustisch wahrnehmbar. Vereinfacht gesagt, macht er seine Gedanken und Gefühle hörbar.

Der digitale Puls

Sie wissen höchstwahrscheinlich, wie viele Gigabyte Daten auf die Festplatte Ihres Computers passen. Mit wenigen Klicks können Sie auch herausfinden, wie viel Speicher belegt ist, mit wie vielen Takten der Prozessor Ihres Rechners pro Sekunde arbeitet usw. Viele Menschen kennen diese Zahlen sogar auswendig. 500 Gigabyte Festplattenspeicher, 2,5 Gigahertz Prozessorleistung, 100 MBit WLAN-Modul. Andere kennen ihr Auto in- und auswendig: 75 PS, 96 000 Kilometer Laufleistung, 6,5 Liter Benzinverbrauch pro 100 Kilometer. Wir wissen so gut wie alles über die Objekte und Gegenstände, die uns täglich umgeben. Aber wenn es um den eigenen Körper geht, den wir jede Sekunde unseres Lebens mit uns herumtragen, dann sind die Erkenntnisse meist sehr beschränkt. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper beginnt in der Regel erst dann, wenn ein Defekt auftritt. Wahrscheinlich kennen Sie Ihre Blutgruppe, aber wie sieht es mit dem Puls aus, dem Blutzuckerwert oder der Lungenkapazität? All das sind Werte, die uns doch eigentlich im höchsten Maße interessieren. Das Merkwürdige ist, dass unser Körper all diese Daten zwar ständig produziert, wir aber nur ein vages Gefühl von der Funktion und Beschaffenheit unseres Organismus haben – verstehen können wir unseren Körper nur begrenzt, zumindest nicht ohne Hilfsmittel.

Um uns besser kennenzulernen, müssen wir aber nicht unbedingt zum Arzt gehen, denn viele medizinische Geräte, die noch vor wenigen Jahren ausschließlich Ärzten vorbehalten waren, sind heute bereits für den Massenmarkt erschlossen. Von Pulsuhren für Sportler bis zu Blutzuckermessgeräten für Diabetiker sind unzählige Technologien zur digitalen Körpervermessung erhältlich. Einige Hersteller bieten Verbindungsmöglichkeiten zu modernen Smartphones, so können die Daten, etwa die zum eigenen Blutdruck, nach der Übertragung gespeichert und analysiert werden. Dazu müssen Sie das digitale Blutdruckmessgerät um Ihren Arm wickeln und ans Telefon anschließen. Danach können Sie wahlweise eine Einfach- oder Dreifachmessung durchführen und erhalten anschließend einen Durchschnittswert. Wer will, kann die Gesundheitsdaten auch direkt mit seinem Hausarzt teilen. Im sogenannten eHealth-Bereich hat sich neben Blutdruckmesssgeräten eine ganze Reihe von Technologien etabliert. Die Sauerstoffsättigung des Blutes lässt sich beispielsweise durch einen kleinen Daumen-Clip ermitteln, der mit einem Lichtstrahl die Haut durchleuchtet und misst, wie viel Licht reflektiert wird. Per Airflow-Sensor kann der Atemfluss vor Mund oder Nase gemessen und analysiert werden, und digital vernetzte Thermometer ermitteln automatisch die Körpertemperatur. Mit einer entsprechenden Software auf dem heimischen Computer oder Smartphone werden die unterschiedlichen Werte zusammengeführt und tabellarisch und grafisch ausgewertet. So lassen sich die eigenen Körperfunktionen überwachen, Trends und Entwicklungen werden sichtbar.

Computer, die unter die Haut gehen

Vielleicht erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Computer. Er füllte wahrscheinlich den kompletten Schreibtisch aus, war verhältnismäßig langsam und konnte nur die Daten verarbeiten, die man ihm manuell per Tastatur einspeiste. Heute passen Gigabytes an Daten auf fingernagelgroße Speicherchips, und die Rechenleistung aktueller Telefone übertrifft die von den alten, schreibtischfüllenden Computern um Längen. Außerdem verarbeiten die mobilen Mini-Computer heute ganz selbstständig Daten, da sie mit diversen »Sinnen« ausgestattet sind: Sie »hören« mit dem Mikrofon, »sehen« dank eingebauter Kamera und »fühlen« per Lage- Beschleunigungs- und Drucksensoren. Trotz höherer Leistung nimmt die Technik dabei immer weniger Platz in Anspruch. Das geht sogar so weit, dass Computerchips und Sensoren mittlerweile auf Sandkorngröße geschrumpft sind – so klein, dass sie in Tabletten eingearbeitet und vom Körper verdaut werden können.

Was hier nach Science-Fiction klingt, ist längst Realität. Der US-amerikanischen Firma Proteus Digital Health wurde im Sommer 2012 die Zulassung für eine solche digitale Tablette erteilt. Nach dem Schlucken nimmt der ein mm große Sensorchip seine Arbeit auf, sobald er den Magen erreicht hat. Ein batteriebetriebenes, digital vernetztes Pflaster, das der Patient am Arm trägt, überwacht die Funktion des Chips und misst zudem Puls, Aktivität und Körpertemperatur. Bis zu sieben Tage lang soll das Pflaster ausführliche Daten sammeln und sie per Funk an das eigene Smartphone senden. Dort werden die Informationen grafisch aufbereitet. Als »digital health feedback system« bezeichnet das Unternehmen diese Technologie, die in Zukunft u. a. auch die Dosierung von Medikamenten überwachen soll. Das könnte hilfreich für Alzheimer-Patienten sein, die die Einnahme ihrer Medikamente vergessen oder die Wochentage verwechseln. Eine nachlässige oder falsche Medikamentierung führt in den USA zu über 200 000 Todesfällen im Jahr, davon geht zumindest die American Heart Association aus. Die Überwachung des Organismus an und in den Körper zu verlagern, daran arbeitet auch die 2008 gegründete Firma MC10. Sie entwickelt elektronische medizinische Geräte, die sich der Bewegung des Körpers anpassen. Die flexible Bauart der Pflaster-Computer soll zudem einen Betrieb durch körpereigene Energie ermöglichen. Die biegsame Technik ähnelt der Haut und soll sich sogar für eine längerfristige Anwendung innerhalb des Körpers eignen, beschreiben die Entwickler auf der Firmenwebseite. Bisher handelt es sich dabei jedoch zum Großteil nur um Prototypen und Konzepte. Mit diesem Ansatz könnten etwa Computerpflaster chirurgisch auf Organen angebracht werden und so die Funktion von Herz, Lunge oder Magen kontrollieren.

Die eigenen Gene entschlüsseln

Wer bin ich? Diese Frage hat sich ganz sicher jeder schon einmal gestellt. Sie lässt sich zumindest biologisch mit einer genetischen Analyse beantworten. Vor wenigen Jahren galt das noch als nicht machbar. Über ein Jahrzehnt lang haben Wissenschaftler des Humangenomprojekts geforscht und daran gearbeitet, das menschliche Genom zu entschlüsseln. Seit April 2003 ist es soweit. Die rund 25 000 Gene und 3,2 Milliarden Basenpaare des menschlichen Genoms sind entschlüsselt. Allerdings ist die Bedeutung aller Gene bis heute unbekannt. Einer der ersten Menschen, der sein genetisches Material komplett entschlüsseln ließ, ist der US-amerikanische Autor Richard Powers. In seiner 2010 erschienenen Reportage Das Buch Ich #9 beschreibt er, wie aus einer Blutprobe »nach 2000 Arbeitsstunden und 9000 Stunden Premium-Rechenzeit« vier Gigabyte Genomdaten werden. Powers’ Erbinformationen passen damit auf einen handelsüblichen DVD-Rohling oder USB-Stick. Aufwand und Preis einer solchen Entschlüsselung sind in den vergangenen Jahren um ein Vielfaches gesunken. Die US-Biologin Ellen Jorgensen geht davon aus, dass ab 2013 die Entschlüsselung eines individuellen menschlichen Genoms innerhalb eines Tages geschehen kann und gerade einmal 1000 Euro kostet. Gilean McVean, Professor im Bereich Statistical Genetics an der Universität Oxford, geht derzeit von einem Preis von 3000 Dollar aus. Dieser Wert deckt sich mit dem Angebot des derzeitigen Marktführers aus China. In der chinesischen Technologiehochburg Shenzen werden nicht nur Smartphones, sondern auch Gendaten erschaffen. Bei dem Forschungsunternehmen BGI entschlüsseln laut Technology Review derzeit 4000 Wissenschaftler menschliche Gendaten zum Schnäppchenpreis.2 Der dahinterstehende Sektor der Biotechnologie sei der weltweit am stärksten wachsende Technikmarkt, behauptet Jorgensen, und er wird die Medizin und den menschlichen Alltag revolutionieren, davon ist die Forscherin überzeugt. Fest steht: Wer ein paar Hundert Euro investiert, kann bereits heute problemlos einen Blick in die Bausteine des eigenen Lebens werfen und erfahren, was in seinen Genen angelegt ist, welche Begabungen vorliegen oder mit welchen gesundheitlichen Risiken man eventuell zu rechnen hat. Eine solche Analyse bietet das US-Unternehmen 23andme bereits für 99 US-Dollar an. Wenn Sie sich online registrieren und bezahlen, erhalten Sie per Post einen Behälter, in den Sie eine Speichelprobe hinterlegen können. Anschließend müssen Sie die Probe an das Unternehmen senden, und nach zwei bis drei Wochen, so verspricht es die Firma, können Sie Ihre persönliche Genanalyse über ein verschlüsseltes Onlinekonto einsehen. Die möglichen Erkenntnisse: Eine Liste von 23andme-Mitgliedern sowie eine Markierung auf der Weltkarte, aus der hervorgeht, mit wem oder welcher Menschen-Gruppe Sie besonders hohe genetische Übereinstimmungen haben, Informationen zu Herkunft und Familiengeschichte, eine Liste von möglichen genetisch bedingten gesundheitlichen Risiken sowie Informationen zur persönlichen Medikamentenverträglichkeit. Wer noch mehr Neugier in Sachen Erbgut verspürt und seine Gendaten gerne eigenständig verwalten möchte, der kann dank einer engagierten Internet-Community auch selbst zum Genforscher werden. Die Onlinegemeinschaft rund um das OpenPCR getaufte Do-it-yourself Genforschungsprojekt bietet die Einzelteile und einen dazugehörigen Bauplan für ein DNA-Analyse-Gerät für wenige Hundert US-Dollar an. Nach drei Stunden Bauzeit kann so jeder sein eigenes Genmaterial per Speichelprobe erforschen und am Computer auswerten. Diese BioDIY-Bewegung besitze großes Potenzial, sagt Ellen Jorgensen. Die Biologin betreibt eine offene Bioforschungs-Werkstatt in New York, in der jeder interessierte Hobbyforscher unter Anleitung kleine Gentests durchführen kann. Sie nennt das individuelle Forschen »DNA Barcoding«. So wie man mit einem Scanner den Strichcode eines Produkts ablesen kann, so lässt sich auch der Gencode einer beliebigen biologischen Probe entziffern. Ist in dem Hackfleisch wirklich nur Rind? Stammt der teure Ziegenkäse tatsächlich von einer Ziege? All diese Fragen lassen sich laut Jorgensen mit dieser Methode schnell beantworten.

Massenhafte Individualisierung

Die vielen unterschiedlichen Geräte, Dienste und Applikation verdeutlichen den wachsenden Trend rund um die digitale Selbstvermessung. Das eigene Verhalten, den eigenen Körper, letztendlich die persönliche Individualität in ein Produkt einfließen zu lassen, scheint zum Großteil ein marketinggetriebenes Unterfangen zu sein. Dessen Potenzial ist enorm. Unternehmen werden in Zukunft nicht nur darum bemüht sein, den persönlichen Wunsch eines Kunden zu erfüllen, sie werden zudem Dienste und Produkte perfekt auf die persönlichen Bedürfnisse und Körper der Kunden ausrichten können. Der Massenmarkt der Zukunft wird, so sieht es aus, zu einem hybriden Individualmarkt der Massen werden. Bereits heute werden uns personalisierte Suchergebnisse bei der Suchmaschine Google angezeigt. Je mehr kostenlose Dienste des Unternehmens wir in unserem Alltag nutzen, desto besser kann uns Google »vermessen« und »verstehen«. Google »weiß« immer besser, was uns gefällt oder gefallen könnte. Die Ambitionen des Unternehmens gehen sogar so weit, dass uns Dinge gezeigt werden sollen, von denen wir nicht einmal wissen, dass sie wichtig für uns sind. Die Strategie hinter »Google Now« lässt vermuten, dass die Zukunft der Suche ein allwissender, digitaler Assistent sein wird, der uns angeblich besser versteht, als wir es je selbst könnten. Google Now verknüpft bereits heute sämtliche Informationen des eigenen Google-Benutzerkontos und berechnet beispielsweise automatisch die Fahrtzeit zum Arbeitsplatz oder zeigt standortbezogene Wetterinformationen an, ohne dass der Nutzer danach suchen muss.

Auch die Herangehensweise von Facebook lässt sich auf Körperdaten übertragen. Bisher spielt die soziale Verbindung die größte Rolle bei Facebook. Das Unternehmen verfolgt die These, dass Nutzer Informationen besonders dann als wertvoll und überzeugend ansehen, wenn sie aus dem eigenen Freundes- oder Bekanntenkreis kommen. Die Peergroup, vereinfacht gesagt: der persönliche Freundeskreis, ist maßgebend für unser individuelles Verhalten, da wir uns daran orientieren, was unsere Freunde machen, so die These. Der sogenannte Social Graph, die Summe meiner Vernetzungsdaten, lässt sich auch ohne weiteres mit Körperdaten erweitern. So könnten Einfluss und Bindung noch stärker werden. Diese sozial- und körperdatenbetonte Personalisierungsthese lässt sich ohne Weiteres auch auf andere Bereiche des Marktes übertragen. Die genaue Vermessung des Körpers eröffnet beispielsweise völlig neue Produktionsmöglichkeiten. Kleidergrößen in groben Kategorien gehören vielleicht bald der Vergangenheit an. »Produce On Demand« könnte die auf Körperdaten basierende Fertigung der Zukunft heißen. Das würde den Unternehmen, der Umwelt und der Gesellschaft nicht nur Ressourcen sparen, sondern auch Vorteile für jeden einzelnen Kunden bringen. So wie man heute auf Knopfdruck per Print On Demand Bücher bestellen kann, lassen sich auch Hosen, Jacken und T-Shirts herstellen. Die Voraussetzung dafür sind entsprechende Datenbanken, in denen die genauen Körpermaße der Kunden hinterlegt sind. Auch Mediziner und Ärzte könnten dank genauerer Daten Fortschritte machen und Patienten individuell behandeln und eine entsprechend personalisierte Vorsorge leisten. In Kapitel sechs gehen wir näher darauf ein. Umgekehrt bedeutet das natürlich, dass die sogenannte Filter Bubble noch wichtiger und mächtiger wird. Der Begriff der Filter- oder Informationsblase geht auf den Internetaktivisten Eli Pariser zurück, der in seinem gleichnamigen Buch darlegt, dass immer mehr Webdienste Algorithmen zur persönlichen Vermessung verwenden, um vorhersagen zu können, welche Informationen für Nutzer tatsächlich relevant sind. Dadurch entsteht eine eingeschränkte, vorsortierte Sicht auf die Welt, die zwar individuell zugeschnitten, aber auch isolierend sein kann. Der Diskussionsstoff rund um das Thema digitale Selbstvermessung ist demnach unerschöpflich. Wie ändert diese Entwicklung die Perspektive auf Privatsphäre und Datenschutz? Wem gehören die Daten, die zwar ihren Ursprung im individuellen Körper haben, aber mit Diensten und Technologien von Unternehmen digitalisiert, analysiert und gespeichert werden? Ein Blick in die Medien zeigt bereits heute eine gewisse gesellschaftliche Spaltung zwischen Befürwortern und Kritikern dieser neuen Phase der vernetzten Entwicklung des Menschen.


http://www.quantifiedself.com/guide/

Die Webseite Quantifiedself.com listet hunderte Dienste, Geräte und Applikationen zur digitalen Selbstvermessung auf.