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Sand und Kies war unter mir, und irgendwo ganz in der Nähe donnerte die See.
Ich hob den Kopf und schaute hinaus über das westliche Meer, das an den schmalen Strand trommelte und zischte und das hinaufflutete zu dem tiefen Teich voll Süßwasser am Fluß der Klippe. Llyn Gwalch.
Die Erinnerung an die vergangene Nacht kehrte zu mir zurück, und ich lag eine Weile still da und bedachte alles. Ich fühlte mich müde, zu müde, um überhaupt etwas zu fühlen, und die Erinnerung war schwer und hart. Nach einer Weile aber begriff ich, daß ich sehr durstig war, und deshalb kroch ich zum Teich hinauf und trank daraus. Das Wasser war sehr kalt, sehr klar und frisch, sehr köstlich. Ich spritzte es mir über den Kopf, als ich meinen Durst gelöscht hatte, und dann ging ich hinüber, setzte mich, lehnte mich gegen die Klippe und schaute hinaus auf die See.
Ich dachte an den wilden Ritt, der mich den Pfad zur Klippe hinabgeführt hatte und auf dem der Dämon der Dunkelheit mich gejagt und beinahe den Rand meiner Seele gefaßt hatte. Ich erinnerte mich daran, daß ich Llyn Gwalch erreichte, absaß und mein Pferd mit einem Schlag auf die Kruppe weiterschickte. Dann war ich die Felsen hinuntergeklettert und hatte mich erschöpft in meinem einzigen Versteck niedergelegt. Und offenbar war es in der Tat ein Versteck gewesen, denn ich war noch immer am Leben und bei Verstand. Ich fragte mich, wie lange das wohl dauern würde, und dann wunderte ich mich darüber, weil es doch scheinbar keine Rolle mehr spielte. Ich fühlte mich schwach und leer, aber nicht krank. Nein, ich fühlte mich besser, als ich mich seit langer, langer Zeit gefühlt hatte. Ich war frei. Selbst wenn ich mein Leben verlor, ich war frei.
Die Sonne war untergegangen, und ihre Strahlen krochen über den Ozean näher. Ich lächelte das Licht an und sagte ihm ein altes Gedicht zum Gruß:
Willkommen, wohltätige, segnende Sonne,
Die du durchquerst die Welten von weit.
Hoch schwebst du auf strahlenden Schwingen,
milde Mutter des Morgensterns.
Ein tauchst du am Abend in Tiefen der See,
Doch entsteigst du stolz wieder den Wogen,
Befreist von Gefahr dich und Finsternis,
In heller Schönheit, Königin hold.
In einem Augenblick schwindeligen Triumphes dachte ich: Ich bin der Sonne gefolgt, der holden Königin. Ich habe meine Schritte vom Avernus zurückverfolgt. Und dann, dicht hinter dem Triumph, kam der Schmerz. Meine Mutter versuchte, mich zu töten. So lebendig, als ob ich es wiedererlebte, sah ich ihre Wut, als ich mein Messer auf Connall niederzischen ließ - den armen Connall. Und ich sah die Finsternis, die aus dem Schatten hinter ihr sprang.
Ich schauderte. Ich konnte nicht zurück nach Dun Fionn. Ich preßte meine Hände zusammen, bis sie schmerzten, und ich versuchte, nicht zu begreifen, was das hieß. Ich würde nie wieder durch diese lichten Mauern in die Burg einreiten, ich würde nie wieder Orlamhs trockenen, höflichen Erklärungen über Metrik und Genealogien zuhören und auch nicht Diurans groben Witzen. In einem einzigen Schlag hatte ich mich von meiner Sippe und meinem Zuhause getrennt, für immer. Selbst wenn ich irgendwann einmal, später, zurückkehrte, ich würde niemals wiedergewinnen, was ich gerade verloren hatte. Ich hatte die Welt der Krieger schon einmal verloren, und jetzt hatte ich auch die andere Welt verloren, nach der ich mich gesehnt hatte. Wenn ich frei war, dann war es die Freiheit der Ausgestoßenen, der Sippenlosen, der Namenlosen, der Heimatlosen. Ich konnte nicht nach Dun Fionn zurückkehren - und daher, wie konnte ich am Llyn Gwalch sicher sein?
Vielleicht, dachte ich, durch Überraschung vom Schmerz abgelenkt, vielleicht herrscht hier eine Macht, die der Macht der Königin widersteht.
Artus fiel mir wieder ein.
Mit Sicherheit hätte meine Mutter ihn schon vor langer Zeit vernichtet, wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre. Sie haßte ihn genug. Aber sie war unfähig, ihn zu vernichten, wegen seiner neuen Götter und seines Gegenzaubers, den meine Mutter nicht verstand.
Ich erinnerte mich streng daran, daß Artus meinen Vater geschlagen hatte und daß er meinen Bruder als Geisel hielt. Artus sollte mein geschworener Feind sein. Und ich erinnerte mich an die dauernden Kriege, die Britannien zerrissen, an die Invasionen. Aber Strenge nützte mir nichts. Ich begann an all die Orte zu denken, von denen ich gehört hatte: Camlann, mit seinem dreifachen Wall, das neue Herz von Britannien; Caer Ebrauc, eine große Stadt mit massiven Mauern. Sorviodo-num, Caer Gwent, Caer Legion, herrliche Festungen. Klöster, angefüllt mit Büchern und Gelehrsamkeit, große Straßen von einem Ende der
Inseln zum anderen, Triumphbögen, so hoch wie Bäume, Mosaiken in den Höfen der reichen Villen, Brunnen und Statuen, Theater und Arenen, Dinge, von denen ich gelesen, die ich aber noch nie gesehen hatte. Britannien, der letzte Rest vom Reich der Römer - außer im Osten. Aber Konstantinopel lag weiter entfernt als die andere Welt, und es war noch unerreichbarer. Britannien, umgeben von Männern, die das Land begehrten, unbesiegt, mitten in der Niederlage. Dort, in diesem sagenhaften Land, hatte der Hohe König Artus Augustus die Standarte mit dem Drachen aufgerichtet, und er wurde von einer Magie geschützt, die Morgas nicht überwinden konnte. Und mir fiel ein, daß Artus, obwohl er durch seine Taten wohl zu meinen Feinden zählte, durch sein Blut mein Onkel war, und das gewann mir vielleicht eine Heimat. Ich war nicht Krieger genug, um mich seinem Heerbann anzuschließen, aber es gab vielleicht etwas, was ich tun konnte, wenn ich ihm dienen wollte.
Ja, ich würde versuchen, nach Camlann zu reisen oder zum Hohen König Artus, wo immer er war, und ich würde ihm meine Dienste anbieten.
Nachdem ich mich dazu entschlossen hatte, starrte ich wieder auf die See hinaus und fragte mich, wie ich es wohl anfangen sollte.
Aus irgendeinem Grund war Llyn Gwalch sicher, wenn auch nur für kurze Zeit. Aber Morgas hatte die finsteren Mächte gegen mich versammelt, und ich wußte, wenn ich wieder die Klippe hinaufkletterte, dann würde ich vernichtet, lange, ehe ich den Hafen im Osten der Insel erreichen konnte. Und selbst wenn ich den Hafen erreichte, was konnte ich tun, um ein Boot zu bekommen? Wenn ich ein kleines Boot stahl, wie konnte ich, auf dem Meer ziemlich unerfahren, die trügerischen nördlichen Gewässer bis zum Land der Pikten überwinden, jetzt, wo der Winter kam? Und ich besaß nichts, um die Überfahrt auf einem größeren Schiff zu bezahlen.
Einen Augenblick dachte ich daran, mit der Geschichte zu meinem Vater zu gehen, aber ich ließ den Gedanken sofort wieder fallen. Es würde Morgas nicht möglich sein, mir zu erlauben, zu meinem Vater zu gehen. Denn ich hätte ihm erzählt, daß sie den Tod eines seiner Krieger verschuldet hatte. Ich fragte mich, was sie ihm jetzt wohl erzählen würde. Daß ich Connall getötet hätte? Wahrscheinlich nicht. Das würde zu viele Erklärungen verlangen. Nein, sie würde so tun, als ob sie von Connalls Verschwinden oder von meinem nichts wüßte, und sie würde einen Weg finden, sich Connalls Leiche zu entledigen. Mein Pferd würde reiterlos zu den Ställen zurückkehren, oder vielleicht fand man es auch, während es auf der Klippe herumwanderte. Meine Sippe würde daraus schließen, daß ich verrückt geworden und am Samhain-Fest die Klippen entlanggeritten war. Und Medraut - er weinte vielleicht. Mir war wieder übel. Wenn ich ihm nur hätte helfen. wenn ich ihn nur hätte verstehen können. Aber es war zu spät. Vielleicht war es schon seit langem zu spät. Es war am besten, wenn er mich für tot hielt. Wenn er wußte, daß ich am Leben war - dann würde er mich hassen.
Ich starrte auf das Meer und brütete über all diesen Dingen, ich drehte sie in Gedanken hin und her und verfolgte alle möglichen Ideen. Aber die Antwort - oder vielmehr die Abwesenheit einer Antwort - blieb immer die gleiche. Ich saß in Llyn Gwalch gefangen.
Um die Mittagszeit fühlte ich mich ziemlich hungrig, aber ich war kräftiger, als ich nach dem Aufwachen gewesen war. Hoffnungsvoll schaute ich in dem Teich nach Fischen, aber ich fand keine. Ein paar Austern hingen an den Felsen am Fuß der Klippe, und viele Seevögel nisteten an den Felswänden. Ich zog mich aus und schwamm hinaus, und dann tauchte ich am Fuß der Klippe und sammelte Austern in meine Tunika. Ich hatte schon eine ganze Menge, als ich plötzlich eine Kälte spürte, kälter als das Wasser. Ich blickte auf. Die Sonne schien auf die Wände der Klippe, umhüllt von einem leichten Nebel. Auf halber Höhe zeigte sich auf der Klippe ein Schattenfleck. Ich schaute nach oben, dann wieder zu dem Schatten hinüber, und ich begriff, daß nichts auf der Klippe war, was einen Schatten werfen konnte. Eilig drehte ich mich um und schwamm zurück zum Strand, und die Kälte wurde wieder zu der normalen Kälte der Nordsee im November. Das Wesen, das Morgas beschworen hatte, wartete also auf mich.
Ich legte meine Tunika in die Sonne, wickelte mich in den Umhang, zitterte und aß meine Austern. Sie schmeckten sehr gut, aber ich wußte, daß sie mir nicht immer reichen würden. Ich konnte nicht am Llyn Gwalch bleiben; ich konnte ihn auch nicht verlassen.
Nun, früher oder später mußte ich fort, aber zuerst würde ich mich ausruhen. Ich blickte hinauf zur Sonne. Sie sank schon zum Horizont, und der Nebel wurde unmerklich dichter. Der Winter kam, und die Tage würden kürzer. Ich ließ meinen Blick auf den Strand fallen, auf den klaren Bach, der über die wellengeglätteten Steine hinaus in den Ozean floß, auf den Tang und das Treibholz. Ich lächelte, und ich entschied mich, ein Spielzeugschiff zu machen.
Wie das ging, das hatte ich nicht vergessen. Die Karacke schwamm in Vollkommenheit auf dem Teich. Schade, daß ich kein großes bauen konnte, groß genug, um mich zu tragen. Aber das kleine Ding war schön genug, so wie es war. Ich betrachtete es, wie es den Bach hinuntersegelte, und ich machte mir Sorgen, daß es vielleicht in der Brandung kentern könne. Es machte einen Ruck, als es die Wellen erreichte, rollte, wurde dann von der Strömung gefaßt und begann aufs Meer hinauszugleiten. Ich sah zu, wie es wegtrieb, und ich dachte wieder an die Inseln der Seligen. Plötzlich fragte ich mich, was für Inseln das wohl waren. Die Mächte der Finsternis waren wirklich und besaßen Kraft. Was war mit den Mächten des Lichts? Artus’ Magie war stark genug, um Morgas’ abzuwehren: Wenn er den Schutz des Lichts erringen konnte, vielleicht konnte ich es dann auch.
Ich war in großer Dunkelheit gewesen, ich war fast darin ertrunken, und der Gedanke an ein Licht, einen Gegner der Finsternis, war süß. Also sprach ich leise in meinem Herzen, während ich zuschaute, wie die kleine Karacke auf den Wellen tanzte, »Licht, wie immer dein Name lautet. ich habe mit der Finsternis gebrochen, und sie sucht mein Leben. Aber ich würde dir folgen, wie ein Krieger seinem Herrn folgt. Ich schwöre den Eid meines Volkes, ich will dir dienen vor jedem anderen, solange ich lebe. Schütze mich, wie ein Herr seinen Krieger schützt, und bring mich nach Britannien. Oder laß meinen Schwager, Lugh von der langen Hand, wenn er existiert und wirklich einer meiner Sippe ist, laß Lugh von der langen Hand mir von den Inseln her helfen, zu denen mein Boot reist. Ich bitte dich, hilf.«
Die kleine Karacke glitt weiter über die Wellen, als ob sie eine Botschaft trüge. Ich sah zu, bis sie aus meinem Gesichtsfeld verschwand.
Die Sonne sank langsam hinab in den Westen, brach sich frei aus dem Nebel, als sie unterging, und sprühte Rotgold auf das Gesicht der See. Schwere Wolken lagen unter ihr, sahen aus wie eine Insel. Dort kam einer der großen Winternebel. Vor dem Morgen würde er hier sein, und es würde kalt werden. Ich sah zu, bis die Sonne ganz fort war, und danach betrachtete ich das Zwielicht, dessen Schattierung vom ersten sanften Grün und Blau immer tiefer wurde. Die See wurde zuerst silbern, dann grau, dann silbern und schwarz, während der Mond über der Klippe aufstieg, eingehüllt in blaßgoldenen Nebel. Ich saß da, übergossen von seinem Licht und halb betrunken davon und von der Schönheit der Erde. Ich sang ihm Lieder, und das Steigen und Fallen der See schien mir zu antworten. Als ich mich am Fuß der Klippe niederlegte, dem trockensten Teil des Strandes, hatte ich mich kaum in meinen Umhang gehüllt, als ich auch schon einschlief.
Ich wachte um Mitternacht auf, öffnete die Augen und starrte, gefroren vor Schrecken, in die schwarze Dunkelheit. Ein Traum, der mit schwarzen Schwingen durch meine Gedanken gezogen war, verließ mich wieder. Eine üble Erinnerung blieb. Ein Geräusch war dagewesen, der Dämon! Er war in mein Versteck eingebrochen und mußte jetzt auf dem Weg zu mir sein. Er kroch heran. Am besten war es zu wimmern und sich in die Erde zu graben.
Ich setzte mich auf und warf den Mantel zurück. Ich griff nach meinem Dolch, erinnerte mich daran, daß er in Connalls Kehle steckte. Du mußt hinausgehen wie ein Krieger, sagte ich mir.
Aber es war kein Schatten auf dem Strand, und auch kein Hinweis auf die Finsternis. Das Mondlicht war dämmrig vor Nebel, aber ich konnte klar genug sehen, daß ich allein am Llyn Gwalch war. Nur ein Boot lag da, es ruhte Bug voraus auf dem Strand.
Es war ein seltsames Boot, ein wunderschönes. Es hatte einen hochgezogenen Bug, und auch sein Heck war hoch, ganz anders als bei einer Karacke, obwohl es sonst wie eine aussah. Aber es besaß weder Ruder noch Mast noch Steuer, und die Farbe glich keinem Holz und keiner Haut, die ich je gesehen hatte. Es wirkte grauweiß im leuchtenden Nebel. Es war auch kein Wrack, das sah ich. Kissen und Decken waren darin gehäuft. Und dennoch saß niemand darin. Der Kiel lag auf den Steinen, und die Wellen, die ganz still geworden waren, klatschten und rollten hinaus in den Nebel. Ein anderes Geräusch hörte ich nicht.
Ich stand langsam auf und starrte hin. Kein Boot wäre so beim Llyn Gwalch gelandet. Die Strömung des Baches, zusammen mit einem Sog, der oft wild war, schob alles Schwimmende auf die Felsen an der Seite. Ich machte ein paar Schritte auf das Boot zu. Es lag da, halb an Land, halb im Wasser, wie eine bleiche Blüte. Ich bemerkte jetzt, daß es kein Schemen war, den das Mondlicht im Nebel warf, sondern das Boot schimmerte wirklich leicht in der Dunkelheit. Ich fühlte die Magie, die mit ihm verwoben war, sie berührte mein Haar wie eine schwache Brise, und ich blieb stehen und sah zu.
Und dennoch.
Es fühlte sich nicht an wie dunkle Magie. Der Zauber war hell und leicht und rein wie eine Möwe, die über den Wellen schwebt. Und obwohl die Dinge anders sein konnten, als sie wirkten, ich hatte an diesem Nachmittag Worte gesprochen, während ich meiner kleinen Karacke zusah, wie sie davonsegelte, und das Schweigen in meinem Herzen hatte zugehört.
Selbst wenn dies nur ein Phantom war, eine Falle, gestellt von dem Dämon, der auf der Klippe lauerte, was konnte denn geschehen, außer daß ich jetzt starb, anstatt später? Ich entschloß mich, und ich ging vorwärts, um meine Hand auf den Kiel des Bootes zu legen. Das Boot war weich, warm, wie etwas Lebendiges, ein ausgebildeter Falke, der voll Eifer, zu fliegen, seine Federn aufplustert. Ich zog meine Schuhe aus, warf sie ins Boot, schob es von den Steinen ab, kletterte hinein, als es ein paar Fuß vom Strand entfernt war.
Während das Boot dort schwamm, während es auf der ruhigen See auf- und abtanzte und ich nach einem Ruder suchte, spürte ich, wie sich über mir etwas regte, und ich blickte auf. Der Schatten lag wieder auf der Spitze der Klippe, jetzt wie der Schatten einer Wolke. Meine Fäuste ballten sich, und wieder sehnte ich mich nach meinem Dolch. Dann fuhr ich zusammen, denn das Boot begann sich von selbst zu bewegen, ganz langsam. Es wandte sich ab vom Llyn Gwalch, bis sein Bug nach Westen zeigte. Es begann, sich über die Wellen vorwärtszubewegen, die im Mondlicht zitterten.
Der Schatten auf der Klippe wurde kleiner, dunkler. Er huschte nach unten an der Felswand, er schwang um Llyn Gwalch herum. Eine kalte Finsternis wischte an mir vorüber, wie ein unsichtbarer Vogel, und das kränkliche, erstickende Gefühl der Nacht, die vergangen war, berührte mich wieder. Aber das Boot gewann an Geschwindigkeit, glitt über die Wellen, und plötzlich fiel mir ein, was man von bösen und offenen Wassern sagt und daß manche Geister die weite See nicht überqueren dürfen. Ich lachte. Die schwarzen Tentakel fielen ab von mir.
Vom Heck aus sah ich zu, wie Llyn Gwalch hinter mir zusammenschrumpfte, zu einem kleinen, blassen Fleck an der Felswand wurde und dann zu einer weichen Stelle im Schäumen der hellen Brandung im Mondlicht. Der Wasserfall des Bachs sah aus wie eine Kette aus Silber, die von der Klippe herabhing - und dann wurde der Nebel dichter, und das Boot glitt hinein, und Llyn Gwalch und die Insel, auf der ich bis jetzt mein Leben verbracht hatte, schwanden vor meinem Blick. Keine Worte des Abschieds fielen mir ein, und ich schaute über den Bug des Bootes nach Westen. Wir gewannen noch immer an Geschwindigkeit. Ich lachte wieder, fühlte den gleichen, überschwenglichen Triumph und die Freiheit, die ich an diesem Morgen gefühlt hatte, und ich sang ein Lied des Triumphes im Krieg. Das Boot sprang vorwärts wie ein williges Pferd, und es glitt weiter, schnell wie eine Möwe oder ein Falke, hinein in den Nebel und ins Mondlicht. Der Schaum glitzerte an seinem Bug, während es den Pfad des Lichtes entlangschwamm, den der sinkende Mond warf.
Ich gähnte, ich begriff, daß ich noch immer sehr müde war. Die Kissen, die ich bemerkt hatte, waren weich und die Decken aus Seide und Hermelin viel wärmer als mein abgenutzter Umhang. Es war kalt bei der rauschenden Geschwindigkeit über die offene See. Ich legte mich nieder und zog die Decken über mich, und ich flüsterte ein Wort des Dankes für das Boot und für die Macht, die es mir geschickt hatte.
Ich erinnere mich nicht daran, wie ich einschlief, aber das nächste, was ich wieder sah, war das Licht des Sonnenaufgangs, das sich über mich ergoß. Es war heller als jeder Sonnenaufgang, an den ich mich erinnern konnte. Ich lag auf dem Rücken im Boot und starrte hinauf auf die langen Bänder von Farbe, die den Himmel vom Osten bis zum Zenit bedeckten.
Solcher Glanz versprach ein Schicksal von gleicher Schönheit.
Ich setzte mich auf. Das Boot bewegte sich noch immer, aber jetzt ein wenig langsamer. Sein Bug und seine Seiten glühten im Widerschein des Feuers auf dem Wasser. Selbst die See wirkte nicht wie Wasser, das ich je gesehen hatte. Sie war klar, aber gefärbt mit Smaragd und Azur, Farben, strahlender als irgendwelche Farben auf Erden, Juwelentöne mit all ihrer Leuchtkraft, und sie glitzerten im Licht der Dämmerung. Die Sonne warf meinen Schatten vor dem Bug des Bootes aufs Wasser, und wir glitten vorwärts wie auf einer Straße. Während ich zusah, flogen Vögel von Westen her, und ihre weißen und goldenen Schwingen blitzten. Ich schaute eifrig nach vorn, und ich hoffte, das Land zu sehen, von dem sie kamen.
Bald näherten wir uns ihm. Es erhob sich grüngolden aus dem Ozean. Die Sonne traf auf irgendeine leuchtende Oberfläche, und ein reines, klares Licht blitzte auf wie ein Freudenschrei. Wirklich, dieses Land mußte die Ebene des Glücks sein, von dem so viele Lieder sangen. Das Licht hatte mich gehört. Ich hob meine Arme dem Morgen entgegen und sang eins der Lieder über die Inseln, denen ich mich schnell näherte:
Da siehst du das Land, das Silberne,
Dort regnen Drachenstein und Diamant,
Und auf den Sand schleudert die See
aus der glänzenden Mähne gleißend’ Geschmeide.
Ich hatte kaum Zeit, mein Lied zu Ende zu bringen, als das Boot sich zu einem weißen Dock hinüberschob, das vom Land ins Meer ragte. Dort hielt es an, seine Reise war vorüber.
Ich stand auf und trat hinaus auf das Dock. Ich warf einen Blick zurück in das Boot, ich hatte ein wenig Angst, es zu verlassen. Aber dann schaute ich zum Land hinüber, zum grünen Gras, zu dem goldsandigen Pfad, der von der Landungsbrücke hinaufführte, zu den hohen Bäumen
- Bäumen! Das waren Dinge, die man auf den Orkneys kaum sieht - sie machten schwebende Bewegungen wie Tänzer. Ich begann, den Pfad hinaufzugehen, ich ging ganz langsam und wunderte mich. Aber die lähmende Ungläubigkeit, die man erwarten würde, die fühlte ich nicht. Obwohl alles wundervoll war, wirkte es völlig natürlich wie Dinge, die in einem leuchtenden Traum vorkommen. Später, das war mir klar, mußte das Erstaunen kommen. Aber jetzt war es unmöglich. Diese Insel der Seligen war für mich wirklicher als die Orkneys. Das, was ich verlassen hatte, schien mir wie ein Traum.
Ich ging den Pfad hinauf, ich genoß die Schönheit um mich her. Überall waren Blumen, und keine zwei glichen sich. Ihr Duft mischte sich mit dem Gesang der Vögel, den Klängen der Brise in den Bäumen. Ich ging schneller, dann rannte ich, aus reiner Freude an der Bewegung, und dann umrundete ich eine Kurve im Pfad und blieb stehen, denn ich hatte die Halle gefunden, die der Mittelpunkt dieses Ortes war.
Sie sah ziemlich genauso aus wie in den Beschreibungen. Die Wände waren aus weißer Bronze und Goldfiligran, dicht miteinander verwoben. Sie waren poliert und leuchteten. Das Dach bestand aus Schwungfedern aller Vögel, die je gelebt hatten, von jeder Farbe, und alle Farben vertrugen sich miteinander. Das Dach glänzte fast so leuchtend wie die Sonne.
Ich ging langsam darauf zu, halb angsterfüllt, obwohl ich wußte, daß ich nicht hier gewesen wäre, wenn man mich nicht haben wollte. Ich näherte mich den großen silbernen Türen und klopfte leise an. Sie öffneten sich von selbst, enthüllten die innere Halle, die unbeschreiblich schön ist. Dennoch ähnelte sie einer irdischen Festhalle genug, so daß ich wußte, wo ich meine Augen zu dem Mann erheben mußte, der am hohen Tisch saß, über den anderen, die die Halle bevölkerten. Sie waren alle so schön, daß mir die Tränen in die Augen stiegen, und ich spürte meine Menschlichkeit und meine schmutzigen Kleider, als ob das Gewicht der ganzen Welt auf mir läge. Aber der Mann, der am hohen Tisch saß, der Herr der Halle, lächelte mich an - es war strahlendes, wildes Lächeln. Er winkte mich näher.
Ich durchwanderte schweigend die Halle, die Augen auf die Gesellschaft geheftet, die um mich saß. Ich kann nicht beschreiben und auch nicht erklären, was ich dort sah. Langsam stieg ich aufs Podium und blieb stehen. Ich schaute den Herrn über den hohen Tisch hinüber an, und ich wußte nicht, was ich tun oder sagen sollte.
Er erhob sich und lächelte wieder, und der Gedanke blitzte in mir auf, daß Lot und Agravain wirklich ziemlich genauso aussahen, wie er aussehen würde, wenn das flammende Strahlen in seinem Gesicht nicht so stark wäre.
»Willkommen, Mann meiner Sippe«, sagte Lugh, der Herr der Sonne. »Nimm Platz. Du bist weit gereist, und du mußt hungrig sein.«
Also setzte ich mich an den hohen Tisch in der Halle der Sidhe, und ich aß mit ihnen und trank den süßen, hellen Wein, der wie eine Essenz des Lichts ist. Und ich redete mit Lugh von der langen Hand.
Er fragte mich nach Lot, und ich erzählte ihm von Artus. Er hörte mir zu, dann nickte er. »Das Schicksal hat es bestimmt. Ein neuer Tag erhebt sich erst, wenn der alte gefallen ist.«
»Dient dann also Artus von Britannien dem Licht?« fragte ich.
»Er dient ihm.« Lugh zuckte die Achseln. »Dies ist etwas Größeres, und viel ist darin verwoben. Und das Ende ist mir nicht klar. Auch mein Tag ist vorüber.«
Ich starrte ihn erstaunt an. »Dein Tag, mein Herr? Aber du bist Herrscher hier!«
»Dennoch habe ich auf der Erde, wo mir einst die Macht gehörte, nur noch wenig Kraft. Einst wandte sich der ganze Westen an mich. Jetzt wenden sie sich anderswohin. Mit der Zeit wird das wenige, das mir noch bleibt, vergangen sein, und aus mir wird eine Erinnerung werden, und meine Halle und mein Volk existieren dann nur noch in Geschichten, die man Kindern erzählt. Und mit der Zeit noch nicht einmal mehr das.« Er sprach ganz ruhig, wie von Dingen, die gewiß waren, und ganz ohne Bedauern.
»Soll das Licht dann gelöscht werden?« fragte ich und schaute mich in dieser strahlenden Halle um.
Lugh schüttelte den Kopf. Er lächelte über meine Frage. »Dieses Licht? O nein. Wir werden feiern bis zum Ende der Erde und darüber hinaus. Die Zeit berührt diesen Ort nicht, auch nicht der Tod oder irgendein Kummer. Hier ist es besser als auf der Erde, wo wir einmal lebten.«
»Dann hast du auf der Erde gelebt, wie es in den Liedern heißt?«
»Vor langer Zeit.« Lugh nippte an dem Wein, und seine blauen Augen waren heiß und strahlend wie der Himmel. »Viellefcht dort, wo heute Erin ist. Menschen waren damals nur ein Traum im Osten, weit von meiner Domäne. Hier im Westen wurde ich geboren, aber nicht, wie Menschen geboren werden. Und hier lebte mein Volk, hier entstand die Musik. Meine Mutter war Baiurs Tochter, mein Vater Cian, der Sohn von Diancecht, dem Heiler. Wie du selbst, Maienfalke, bin auch ich aus Licht und Dunkelheit geschaffen. Einst wurde mir angeboten, entweder dem einen oder dem anderen zu dienen, und ich wählte das Licht. Eine Zeitlang regierte ich in ihm, obwohl ich wußte, meine Herrschaft würde hart sein und nicht ewig dauern.«
»Du weißt von meiner Mutter Morgas.«
»Ich weiß von einer, die man die Königin der Lüfte und der Finsternis nennt und die zu Morgas wurde. Sie ist eine alte Feindin, und einst gehörte sie zu meinem Volk. Sie sucht die Welt zu zerstören, die sie nicht länger besitzen kann.«
»Aber du hast sie doch einmal besessen.«
Wieder lächelte Lugh. »Einst fuhr ich meinen Streitwagen auf dem Wind von Temair, aber es war nicht das gleiche Temair, wo jetzt der Herr Ui Niaill sitzt. Einst herrschte mein Volk über die Erde, befahl dem Feuer und dem Wasser und der Luft, wie ein König Menschen befiehlt. Aber diese Zeit ist längst vergangen, so daß selbst das Land sie vergißt. Und so sollte es auch sein.«
»Ich habe eine Geschichte gehört«, sagte ich, »in der es hieß, daß die Söhne des Mil nach Erin kamen, als erste Menschen, die seine Küste erreichten. Das geschah vor langer Zeit. Und hier fanden sie die Sidhe, die damals einen anderen Namen trugen. Und es wird erzählt, daß die Söhne des Mil mit den Sidhe kämpften oder daß Gericht gehalten wurde über sie durch Avairgain, dem Poeten von den Söhnen des Mil, und daß Erin den Menschen gegeben wurde.«
»Die zweite Geschichte kommt der Wahrheit näher«, meinte Lugh. »Aber die Angelegenheit wurde nicht von Avairgain entschieden.«
»Wer entschied sie dann?«
»Der Hohe König, das Licht, das ewig leuchtet. Er gab mir mein Königreich, und er nahm es mir wieder und gab es den Söhnen des Mil, und Avairgain der Poet sagte den ersten Menschen, daß dies so geschehen war. Aber die Königin der Finsternis wollte weder mir noch dem Licht noch Avairgain gehorchen, sondern sie wollte das Land für sich selbst behalten.«
»Das Licht, dieses Licht«, sagte ich. »Ich weiß nicht, was damit gemeint ist.«
Er schaute mich sanft und belustigt an. »Wie solltest du auch? Niemand weiß es, wenn er ihm zum erstenmal begegnet. Und du bist gerade erst aus großer Finsternis gekommen. Die Dunkelheit blendet das Auge. Aber hast du nicht geschworen, ihm zu folgen und ihm zu dienen?«
»Das habe ich.«
»Dann wirst du es bald genug besser kennenlernen. Das Licht ist ein starker Herr, ein großer König und oft ein strenger Meister. Aber es ist auch freundlich. Das Licht braucht Diener und Freunde, und es wird dir mehr Dinge zeigen, die zu tun sind, als du für möglich gehalten hättest. Wenigstens habe ich das festgestellt.«
»Du hast es festgestellt. Aber ich dachte.«
»Daß ich das Licht wäre? Nein, das ist wirklich nicht so. Viele haben das gedacht, und einst, in Erin, wurde mir als dem Licht gehuldigt. Aber man sucht es jetzt anderswo, an einem besseren Ort. Auf der
Erde hat sich viel verändert. Auch ich bin nur ein Diener.«
So redeten wir und tranken den Wein. Ich spürte nicht, wie die Zeit verging. Ich glaube nicht einmal, daß man die Zeit an jenem Ort bemerkt. Vielleicht gehen die, die in der Halle sind, manchmal hinaus auf die Insel - es gibt Lieder von den Pferden der Sidhe, und von den Wagen aus Gold, die über Felder voll Blumen fahren, und von Tänzen und auch von Kriegen -, aber ich glaube, all dies muß ohne die Zeit geschehen, und auch nicht gleichzeitig oder zu früheren oder späteren Zeiten, sondern in einer Folge, die vom Geist festgesetzt wird und nicht vom Wandern der Sonne. Ich kann es selbst mir nicht klarmachen, aber so war es. Als ich eine Weile mit Lugh gesprochen hatte - ich kann nicht sagen: eine Zeitlang -, war das Fest zu Ende, und ein Mann der Sidhe, der zu meiner Rechten am hohen Tisch saß, erhob sich und ging zu einer großen Harfe in der Ecke hinüber. Er spielte darauf. Das Lied besaß alles, was Menschen je geträumt oder gesucht haben und was sie nur einen Augenblick lang begreifen können, ehe es sich auflöst. Es war Licht, Feuer, die reine Ekstase unsterblichen Glücks, völlig ungemischt mit dem Kummer, der die Lieder auf der Erde immer begleitet. Ich hörte zu, und ich hatte das Gefühl, als ob meine Seele sich vom Körper losreißen und davonschweben wollte auf diesem goldenen Wind bis zur äußersten Spitze des Himmels. Ich hörte zu, völlig verloren in den Labyrinthen der Musik, und ich fühlte nichts als die Folge der Töne. Ich hätte ewig so sitzen können, wenn Lugh nicht meinen Arm berührt hätte.
Da begriff ich, daß ich weinte. Ich saß verwirrt da und wunderte mich darüber, und der Harfner spielte weiter. Lugh erhob sich und machte mir ein Zeichen, mit ihm zu kommen. Ich folgte ihm, ich riß mich von der Musik los, und es tat so weh, als ob ich mir das eigene Fleisch aus einer tiefen Wunde gerissen hätte. Wir verließen die Halle, und als die Musik hinter den Mauern schwach geworden war, traf sie mich erst wirklich. Ich setzte mich auf den Boden und weinte vor Kummer. Lugh stand schweigend und geduldig neben mir.
Als mein Schmerz sich in Tränen aufgelöst hatte, ließ er sich neben mir auf die Knie nieder und legte mir die Hand auf die Schulter. »Du hättest nicht so lange bleiben und zuhören sollen«, sagte er sanft. »Die Lieder der Sidhe sind nicht für Menschen. Denn es ist zuviel Schmerz im Glück, und das Feuer brennt zu stark, als daß man es ertragen könnte. Dennoch ist es gut, daß du Taliesin hier hast singen hören. Jetzt weißt du etwas vom Licht. Du mußt dich daran erinnern, und wenn die Finsternis dich umgibt, dann denk darüber nach. Es wird dir helfen, zusammen mit dem, was ich dir jetzt geben will, wenn du es annehmen
kannst.«
Da blickte ich zu ihm auf, und er nickte und machte mir wieder ein Zeichen, ihm zu folgen. Wir erhoben uns.
Er führte mich durch einige Korridore hinter der Halle, und es ging nach unten, bis ich das Gefühl hatte, daß wir unter der Festhalle waren. Es war sehr still hier, und die Gänge waren dunkel, abgesehen von dem schwachen Licht, das in den Wänden zu glühen schien, und dem strahlenderen, lodernden Feuer, das Lugh, den Meister aller Künste, umgab. Es war auch schön hier, aber ich spürte eine Ausstrahlung großer Macht wie von einem eingedämmten Feuer. Das Lied in der Halle hatte mich nicht erschöpft, wie es auf der Erde gewesen wäre, und deshalb spürte ich die Kraft, die wie Herzblut an diesem Ort pulsierte.
Lugh blieb vor einer Tür aus dunklem, goldfarbenem Holz stehen, das mit roter Bronze beschlagen war. Er legte die Hand auf den Riegel. Er wandte sich zu mir um.
»Du hast dich sicher gefragt, warum du hierhergebracht wurdest, Maienfalke«, sagte er. Seine Stimme war fast ein Flüstern, aber in ihr lag der gleiche Klang wie in dem stillen Schlag der Kraft, die hinter jener Tür brannte.
»Ja, das habe ich, Herr.«
»Gut, daß du daran gedacht hast, dich zu fragen. Du bist nicht einfach hierhergeholt worden, damit du dieses Land siehst und glücklich bist. Obwohl es nötig war, daß du nach soviel Finsternis Licht siehst. Du wurdest auch nicht zu meiner Halle gebracht, nur damit du dem Dämon entkommen konntest, der dich verfolgte. Obwohl auch das notwendig war. Nein, dafür wurdest du hergebracht: um die Waffen zu erheben, um gegen die Finsternis zu kämpfen, die du vor anderen erkennen kannst. Du bis jetzt fast siebzehn, und das ist das richtige Alter, um die Waffen zu nehmen.«
»Herr«, sagte ich, »es dauert noch ein halbes Jahr, bis ich fünfzehn bin.«
Lugh schüttelte den Kopf. »Während du in meiner Halle saßest, ist der Winter auf der Erde vergangen, und der Frühling und der Sommer, und ein weiteres Jahr danach. Jetzt ist März in Britannien. Wenn du zurückkehrst, dann wird der Mai angefangen haben.«
Plötzlich wurde mir kalt, und ich wandte mich ab. Ich kannte die Geschichten, wie ein Mann zu den Sidhe geht, für eine einzige Nacht. Und bei seiner Rückkehr stellt er fest, daß hundert Jahre vergangen sind. Aber ich hatte nie daran gedacht, daß dies mir geschehen könnte. Fast drei Jahre. Nun, vielleicht war es gut so. Ich würde gewachsen sein, und mein Arm hätte mehr Kraft. Dennoch.
Lugh lächelte sehr sanft. »Länger wird es nicht sein, Frühlingsfalke, ich gebe dir mein Wort. Aber, siehst du, du hast sogar das Alter schon überschritten, in dem man die "Waffen nimmt. Und wenn du zur Erde zurückkehrst, dann wirst du eine Waffe brauchen, um dich vor den Mächten der Finsternis zu schützen, die deinen Tod suchen. Außerdem hast du im Herzen geschworen, den Hohen König des Lichts als deinen Herrn anzuerkennen. Vergiß nicht, daß ein Krieger für seinen Herrn kämpfen muß.«
Ich nickte.
»Du mußt eine Waffe haben«, meinte Lugh, »und hier werde ich dir eine geben.«
Er öffnete die Tür und hielt sie mir auf, und ich ging langsam in den Raum.
Es war ein einfaches Zimmer, ganz dunkel, außer an der Stelle, wo auf der gegenüberliegenden Wand ein Schwert stand. Licht glühte in tiefen Farben in dem großen Rubin, mit dem sein Knauf besetzt war. Der Schatten des Schwertes fiel in der Form eines Kreuzes dahinter auf die Wand. Ich spürte die Kraft, die in ihm brannte, sie war groß und schrecklich, und ich fühlte, wie eine Welle kalter Angst mich überflutete.
»Herr«, sagte ich zu Lugh, der hinter mir in der Tür stand, »Herr, das ist zu groß für mich. Das ist keine Waffe für Menschen. Es ehrt mich, daß du es für mich gedacht hattest, aber ich könnte solch ein Schwert nicht tragen.«
»Aber es ist ein Schwert für Menschen«, sagte Lugh sanft. »Ja, seine Macht ist groß genug, um viele zu vernichten, und es bringt seinem Träger oft Kummer. Aber es ist eine Waffe, wie nur Menschen sie brauchen: meine Art benutzt andere Waffen.«
Ich wußte, daß er recht hatte, aber ich starrte noch immer das Schwert an, das vor der Mauer schlummerte und das auf die Hand wartete, welche es im Feuer ziehen würde. Und was für ein Feuer das sein würde, was für ein verzehrendes Licht.
»Wenn du wirklich dieses Schwert nicht annehmen willst«, sagte Lugh, »dann kannst du es ablehnen. Ich sage dir, du kannst noch immer dem Licht dienen, wenn du es zurückweist.«
Einen Augenblick lang hatte ich den Wunsch, sein Angebot anzunehmen. Aber es war mir unmöglich. Ich konnte nicht ungehorsam dem Licht gegenüber sein, nachdem es mich eben gerettet hatte. Wenn mein neuer Herr wünschte, daß ich das Schwert zog, dann mußte ich versuchen, es zu ziehen. Sicher, so tröstete ich mich, würde das Licht dies nicht wünschen, wenn ich nicht in der Lage war, es zu tun, ohne vernichtet zu werden. Wie auch immer die Wahrheit aussah, ein Krieger mußte seinem rechtlichen Herrn gehorchen. Also schüttelte ich den Kopf. »Ich will versuchen, dieses Geschenk anzunehmen.« Mein Mund war trocken, und meine Hände waren schweißnaß.
Ich konnte Lugh nicht sehen, aber ich spürte sein Lächeln. »Geh also und zieh es.«
Ich ging hinüber zu dem Schwert, und jeder Schritt wurde mir schwer. Mein Tod würde jetzt kommen, wenn ich nicht die Kraft hatte, das Schwert zu heben. Ich stand davor, und das Licht, warm und dunkelrot, ergoß sich über mich. Ich fiel auf die Knie.
»Licht«, sagte ich, »mein Herr, Hoher König, die See ist um mich, und der Himmel ist über mir und die Erde unter mir, und wenn ich dir die Treue breche, möge die See aufsteigen und mich ertränken, möge der Himmel zerbrechen und auf mich fallen, möge die Erde sich öffnen und mich verschlingen; so sei es.« Der dreifache Eid war unnötig, das wußte ich. Aber er wurde immer geschworen, wenn man Waffen von seinem Herrn empfing. Ich holte tief Atem, streckte beide Hände aus, schloß sie um das Heft des Schwertes und begann, es zu ziehen.
Es war heiß, heiß wie Flammen, und meine Hände brannten. Das Licht in dem Rubin sprang, wurde stärker, wurde wild und rot, so rot wie Blut, wie das Blut, das in meinen Ohren donnerte und mit seinem Pulsschlag meinen ganzen Körper erschütterte. Ich zog an dem Schwert, und das Licht glitt die entblößte Klinge entlang, es war noch immer rot. Ich spürte meine Hände nur als Zentrum des Schmerzes, ich war sicher, daß sie mir abbrannten. Ich konnte fast riechen, wie sie stanken. Ich zog das Schwert weiter heraus, und plötzlich war es aus der Scheide, und ich schrie auf, weil das Licht und das Feuer dieses Schwertes plötzlich an meiner Seele entlanglief. Ich verbrannte darin, und ich sah mich selbst, mein ganzes Selbst, enthüllt in diesem Licht. Alle Finsternis, die ich gesehen hatte, lag dort, und alle Finsternis, die ein Teil meiner selbst war, schrie auf und befahl mir, das Schwert fallen zu lassen, ehe es mich erschlug. Und es erschlug mich, denn ich war eingehüllt von seinem Licht, und es war wirklich kein Schwert für Sterbliche. Aber das Licht wünschte, daß ich es zog. Deshalb hielt ich fest, spürte, wie die Luft weißglühend in meine Lungen zog, wie sie jeden Teil in mir verbrannte: Herz, Seele, verzehrt in einem Licht, das nicht länger rot, sondern brennendweiß war wie das Herz der Sonne. Meine Kraft verließ mich, und ich zog mich in mich selbst zurück, suchte irgendeine Kraft, die mir half, das Schwert in dieser Qual zu halten. Einen Augenblick lang schien es, als ob ich keine Kraft hätte, als ob ich mich in Nichts auflöste, denn jetzt war es zu spät, das Schwert sinken zu lassen.
Und dann spürte ich, wie plötzlich eine Kraft in mir meine Glieder erfüllte, klar und weißglühend. Sie erfüllte mein innerstes Wesen, das schon lange davon geträumt hatte, wenn ich es auch nicht einmal geahnt hatte. Ich hob das Schwert hoch über den Kopf, so daß die Spitze zum Himmel zeigte, und ich bemerkte jetzt ganz schwach, daß es rein und strahlend brannte wie ein Stern. Ich schrie im Triumph auf, ich wußte nicht, was ich sagte, denn ich hatte gesiegt, und es war mein.
Und dann, ganz plötzlich, war der Schmerz vergangen, und ich kniete vor der leeren Wand, und das Schwert glühte in meinen Händen langsam schwächer.
»Es ist geschehen«, sagte Lugh sehr sanft. »Ich bin froh.«
Ich schaute erst das Schwert, dann meine Hände an. Sie waren überhaupt nicht verbrannt. Ich schaute wieder das Schwert an. Sein Licht war dunkler geworden, nur noch ein Glitzern lag auf der Klinge. Ich drehte mich zu Lugh um, der noch immer still in der Tür stand, umgeben von einem strahlenden, klaren Licht. Er lächelte. »Der Name des Schwertes ist Caledvwlch, das Harte«, sagte er. »Es hatte früher einen anderen Namen, aber jetzt ist es dein, und ein neuer Name wurde ihm verliehen für einen neuen Tag.«
»Es ist mein«, sagte ich noch immer verwirrt. Eine Welle großer Freude überflutete mich. »Mein Herr gab mir Waffen.«
Lugh nickte. »Du bist jetzt Krieger des Lichts. Vergiß das nicht, Maienfalke. Jetzt,« - Lugh durchquerte das Zimmer und half mir auf die Beine - »jetzt ist dein Herr in einen Krieg verwickelt, und du mußt deine Waffe benutzen.«
»Wo ist die Schlacht?« fragte ich. »Und welchem Heerbann soll ich mich anschließen?«
»Die Schlacht wird überall um dich her toben. Und laß dich warnen: Sie wird nicht immer mit dem Schwert gekämpft, selbst mit einem Schwert wie deinem.«
»Ich verstehe, Herr. Ich habe meine eigene Finsternis besiegt, aber ich kann sie nicht vernichten.«
Lugh nickte und lächelte. »Und wenn du daran denkst, dann wirst du weise sein. Die Finsternis kann deinen eigenen Willen benutzen, und du kannst andere benutzen, wenn sie selbst es nicht merken. Du bist in der Finsternis gegangen, und du hast das Licht gewählt, und das Licht ist schwer zu betrügen. Aber unmöglich wird es nicht sein. Auf der Erde gibt es viel Leid, und die Finsternis ist sehr stark - « Er hielt abrupt inne und wandte seinen Blick aus der Zukunft wieder auf die Gegenwart und auf mich. »Was den Heerbann betrifft, so wirst du in der Lage sein, die zu erkennen, die dem Licht dienen. Von Artus weißt du es schon. Geh zu ihm und erkenne ihn als deinen Herrn auf Erden an. Aber zuerst wirst du ihn überzeugen müssen, daß du die Finsternis verlassen hast. Erwarte nicht, daß es leicht wird. Was immer geschieht, ich bin sicher, daß in diesen Tagen auf der Erde große Dinge getan werden, denn es findet ein großer Kampf statt. Wie das Ende aussehen wird, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß es seltsam sein wird und anders als das, was man erwartet. Aber ich glaube, du wirst ehrenhaft kämpfen. Und jetzt komm.«
Ich folgte ihm aus dem Zimmer, ich trug mein Schwert, und er führte mich durch ein Labyrinth von Korridoren nach draußen. Irgendwie kamen wir auf eine Plattform, dicht unter dem Dach der Festhalle. Wir schauten hinaus nach Westen. Die Sonne ging unter und bedeckte die ganze Welt mit Licht, und es schien mir näher und leuchtender zu sein als auf der Erde. Lugh deutete nach Westen, und ich folgte der Richtung, in die er zeigte. Nur für einen Augenblick schien es mir, als ob ein Licht wie ein neuer Stern hinter der See brannte, hinter dem Horizont. Und in diesem Moment spürte ich, daß ich das Lied in der Halle verstanden hatte, daß ich wußte, wem ich mein Schwert geweiht hatte. Ich fiel auf die Knie und hob das Schwert vor mir auf. Ob das zur Huldigung oder zur Verteidigung geschah, weiß ich nicht. Lugh warf seine Arme hoch, wie im Gebet, und das Licht in mir schien aufzuspringen. Dann berührte die Sonne den Horizont und bedeckte das andere Leuchten, und Lugh wandte sich mir wieder zu.
»Es ist Zeit, daß du gehst«, meinte er sanft. »Vielleicht wirst du eines Tages zurückkehren, wenn die Erde vergangen ist, und dann kannst du das Ende des Liedes hören. Aber bis dann, fürchte ich, werden wir uns nicht mehr sehen. Auch wirst du nie wieder in mein Reich kommen. Daher, Mann meiner Sippe, daher gebe ich dir meinen Segen.« Und er legte die Hände auf meine Schultern, während ich noch immer kniete. »Trag es gut in den Schlachten, die vor dir liegen.« Er half mir auf die Beine, dann umarmte er mich zärtlicher, als mein Vater das je getan hatte. »Wandle im Licht, mein Herz, und wundere dich nicht über das, was geschieht.«
Das Gold und die Bronze in den Wänden der Halle, die untergehende Sonne auf den Federn des Daches, all das löste sich in diesen Klang auf; die Ebenen und Wälder, die Ozeane um die Insel der Seligen, sie alle verschwanden langsam im Wind. Als letztes löste sich Lugh selbst, der jetzt wie Feuer flammte, in einen leuchtenden Nebel auf. Er lächelte noch immer, und das letzte Echo des magischen Wortes trug mich sanft, ganz sanft zur Erde und in den Schlaf.