4. Drei Paare, wie sie jede(r) kennt, zwei Trainer, wie wir sie kennen, in einem EPL-Kurs, wie Sie ihn vielleicht kennenlernen
In den vorangegangenen Kapiteln beschrieben wir Ihnen unser Kommunikationstraining für junge Paare, das EPL.
Vielleicht haben Sie sich dabei im Stillen gefragt, welche Paare das wohl sind, die so einen Kurs besuchen.
Darauf können wir Ihnen nur antworten: »Ziemlich unterschiedliche« und »ziemlich normale« Paare.
Doch damit das Ganze nicht so theoretisch bleibt, wollen wir Ihnen drei EPL-Paare vorstellen, die wir uns zugegebenermaßen ausgedacht haben. Allerdings haben wir uns dabei von unseren Erfahrungen als Trainer mit zahlreichen »echten« Paaren inspirieren lassen.
Wir haben uns für Sie drei Paare ausgedacht, die in leicht überspitzter Form, aber hoffentlich für Sie gut nachvollziehbar und auf sympathische Art und Weise ganz »typische« und leider auch »riskante« Paarkonstellationen veranschaulichen sollen.
Da sind zum einen Friedemann Heger und Clementia Pfleger. Sie bilden ein sogenanntes »idealisierendes Paar«. Idealisierende Paare sind Paare, die, aus welchen Gründen auch immer, ihren ganzen Ehrgeiz daran setzen, in ihrer Beziehung nur das Schöne, Angenehme und Glückliche wahrzunehmen. Negative Gefühle, Meinungsverschiedenheiten und Konflikte werden mit allen Mitteln verhindert, weggeschoben, nicht zur Kenntnis genommen. In solchen Partnerschaften besteht die Gefahr, dass beide sich um des lieben Friedens willen etwas vormachen. Da Konflikte nicht angesprochen, bzw. häufig noch nicht einmal wahrgenommen werden können, stauen diese sich bis zu einem unerträglichen Maße an. Wenn es dann endlich zu konfliktbehafteten Auseinandersetzungen kommt, ist die Lage häufig schon so verfahren, dass die Beziehung auseinanderbricht.
Als zweites Paar wollen wir Ihnen Karl Nudel und Diana Holz vorstellen. In der Beziehung der beiden sind Macht und Einfluss ungleich verteilt. Wir sprechen deshalb von »einseitiger Dominanz«. Wie bei vielen anderen Paaren mit einseitiger Dominanz meint es auch in unserem Beispiel die dominierende Person mit dem Partner keinesfalls böse. Sie fühlt sich nicht nur für sich und die Beziehung, sondern auch für den Partner verantwortlich und entscheidet dementsprechend für beide. Wenn mir jegliche Verantwortung abgenommen wird, so kann ich das eine Zeit lang sogar als ganz angenehm empfinden. Bald jedoch wird das Gefühl, entmündigt zu werden, vorherrschen, und ich werde meinen dominierenden Partner in allem und jedem boykottieren, so gut ich nur kann. Umgekehrt wird sich mein Partner unverstanden und schließlich restlos überfordert fühlen. Das ist wohl die größte Gefahr für Beziehungen wie die der Nudel-Holzens: Beide geraten unter Druck, fühlen sich vom jeweils anderen getäuscht und ziehen sich schließlich enttäuscht und tief frustriert aus ihrer Partnerschaft zurück. Umso wichtiger ist es also, dass solche Paare möglichst frühzeitig Gefühle wie die oben beschriebenen nach allen Gesprächsregeln der Kunst zum Ausdruck bringen. Nur so lässt sich mehr Ausgewogenheit herstellen, die wiederum dringend nötig ist, um Partnerschaft auf Dauer befriedigend erleben zu können.
Als drittes Paar gibt es noch Viktor Hick und Viktoria Hacker, bereits aus der Eröffnung bekannt, und ein klassisches Hick-Hack-Paar. Hier scheinen Macht und Einfluss in der Beziehung auf beide gleich verteilt zu sein. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch schnell deutlich, dass dieses Gleichgewicht ziemlich instabil ist. Beide verhalten sich nämlich so, als müssten sie sich dem Partner gegenüber mit aller Kraft durchsetzen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten, um nicht in ihrem »Paarkampf« als Verlierer dazustehen. Wohlgemerkt: Auch wenn die letzten Sätze recht negativ klingen, Viktor und Viktoria mögen sich trotz allem sehr gern. Und beide leiden unter diesem (wett-)kampfmäßigen Verhalten. Genau das ist auch die große Gefahr in solchen Beziehungen, da ein Großteil dieser Kämpfe ausgesprochen verletzend ausgetragen wird. Jede Verletzung aber reißt Wunden, die die gegenseitige Liebe langsam aber sicher schwinden lassen. Die wichtigste »Beziehungs-Arbeit« für die beiden – und alle ebenso gearteten Paare – wird darin bestehen, eine positivere, weniger verletzende Form des Gesprächs zu entwickeln. Nur so wird sich bei beiden das nötige Vertrauen herausbilden können, die dahintersteckenden Gefühle selbst wahrzunehmen und dann auch dem anderen mitzuteilen.
Doch schauen wir uns zunächst einmal unsere drei Paare etwas genauer an. Gewisse Ähnlichkeiten mit Ihnen bekannten Personen – eventuell sogar mit Ihnen selbst – wären durchaus nicht rein zufällig.
Friedemann ist 33 Jahre alt. Er stammt aus einem kinderreichen Elternhaus. Seine vier Geschwister (zwei Brüder und zwei Schwestern) und er hatten unter den Wutanfällen ihres Vaters viel zu leiden. Besonders wenn dieser abends völlig frustriert von seiner Fließbandarbeit heimkam, ging es bei Hegers recht lautstark zu. Seine Mutter, deren »böse Zunge« in der ganzen Nachbarschaft gefürchtet war, war die ideale Kampfpartnerin für Friedemanns jähzornigen Vater. So flogen während der zahlreichen elterlichen Auseinandersetzungen nicht nur sprichwörtlich die Fetzen. Friedemann als der Älteste hatte alle Hände voll zu tun, seine vier Geschwister vor diesen unberechenbaren Ungewittern einigermaßen zu schützen. Und nur der »vornehmen Zurückhaltung« der Nachbarn war es zu »verdanken«, dass die fünf Kinder nicht behördlicherseits vor ihren eigenen Eltern in Schutz genommen wurden.
Auch stellte Friedemann sich schon sehr früh die Aufgabe, zwischen seinem Vater und seiner Mutter zu vermitteln; eine Aufgabe, an der jedes Kind zwangsläufig scheitern muss. Es war sehr schmerzlich für ihn, einsehen zu müssen, dass er seinen Eltern nicht aus ihrem Teufelskreis der Gewalt heraushelfen konnte. Aber eines schwor er sich damals: Falls er jemals eine eigene Partnerschaft eingehen oder sogar eine eigene Familie gründen sollte, dann würde er alles anders machen. Jede Form von Wut und Aggression würde er gewissenhaft aus dem eigenen Hause herauszuhalten wissen. Wofür gibt es denn schließlich Boxhandschuhe und die dazugehörigen Sandsäcke, oder deutsche Autobahnen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Alles, alles ist für ihn besser als ein Streit oder auch nur ein lautes Wort, denn durch letzteres fühlt er sich zu sehr an das Streitverhalten seiner Eltern erinnert, das er aus ganzem Herzen verabscheut.
Friedemann schloss eine Lehre zum Landschaftsgärtner ab und ist heute noch in diesem Beruf tätig. Er ging früher gerne auf Demos gegen Krieg und Gewalt. Dort lernte er auch Clementia, eine Frau, die seinem Ideal von Friedfertigkeit entsprach, kennen und lieben.
Clementia, 34 Jahre alt, ist die älteste von drei Schwestern. Ihr Elternhaus hat sie in bester Erinnerung. Ihre Mutter ist eine stille sanftmütige Frau, die geduldig Clementias Großmutter bis zu deren Tode gepflegt hatte. Auch um die drei Töchter kümmerte sie sich in aufopfernder Weise. Allerdings litt sie damals häufig an heftigen Migräneanfällen, und brauchte absolute Ruhe, solange die Attacken andauerten.
Clementia machte es sich früh zur Aufgabe, in diesen Situationen ihre beiden um einige Jahre jüngeren Schwestern zu betreuen und dafür zu sorgen, dass sie keinen Lärm machten. Ihr Vater, der sich sehr um den Gesundheitszustand seiner Frau sorgte, jedoch wegen beruflicher Überlastung kaum zu Hause war, bestärkte Clementia noch in dieser Aufgabe. Sie spürte, wie dankbar er ihr war, und da sie ihren Vater sehr verehrte, machte sie seine Dankbarkeit außerordentlich stolz. Wenn Clementia an die wenigen Male zurückdenkt, als sie nicht »artig« war, sondern laut und frech und ungehorsam, empfindet sie heute noch Scham darüber, was sie ihren Eltern angetan hat. Dann sieht sie heute noch die entsetzten Blicke ihrer Mutter und die enttäuschten Blicke ihres Vaters vor ihrem geistigen Auge, die damals für sie die schlimmste Strafe waren. Trotz ausgezeichneter Schulnoten begnügte sich Clementia mit der mittleren Reife, half dabei aber ihren Schwestern, die beide auf das Gymnasium gingen, so gut sie nur konnte. Schon bald stand ihr Entschluss fest, Kindergärtnerin zu werden. Ihre Eltern hätten sich zwar einen »angeseheneren« Beruf für ihre begabte Tochter gewünscht, mussten jedoch selbst zugeben, dass sie die geborene Kindergärtnerin war. Bei den Kindern ist Clementia heute noch beliebter als ihre Kolleginnen. Vielleicht ist sie es deshalb, weil sie die Kinder zuweilen direkt aufzufordern scheint, »laut und frech und ungehorsam« zu sein. Als sie Friedemann auf einer Friedensdemonstration trifft, ist sie schnell von seiner sanften Art eingenommen. Und als sie beim näheren Kennenlernen auch von seiner schlimmen Kindheit erfährt, liebt sie ihn nur umso mehr.
Sie wollen bald heiraten, weil sie nun schon seit gut zwei Jahren zusammenleben und stolz darauf sind, dass es noch keinen einzigen Streit zwischen ihnen gegeben hat. Deshalb betrachten sie den Prospekt über ein Kommunikationstraining für junge Paare, den sie in ihrer Gemeindekirche entdeckt hatten, erst einmal skeptisch. Sie bestätigen sich gegenseitig, dass sie sowieso im Umgang miteinander alles richtig machen. Trotzdem bleibt die Neugierde, ob es da vielleicht doch noch etwas dazuzulernen gibt, das ihrer eh schon idealen Partnerschaft doch noch zugute kommen könnte. Und wenn nicht, dann wäre das doch eine schöne Bestätigung für sie, dass es in ihrer Partnerschaft absolut nichts mehr zu verbessern gibt. Mit dieser beruhigenden Aussicht in ihren Köpfen melden sich die beiden für einen Kurs an.
Karl ist 25 Jahre alt, zierlich, gutaussehend und Schreiner von Beruf. Er wuchs als mittleres Kind einer einfachen Arbeiterfamilie mit seinen beiden Schwestern auf. Sein Vater verstarb, als Karl sechs Jahre alt war, seine Mutter und seine zehn Jahre ältere Schwester sorgten alsdann tatkräftig für den Lebensunterhalt der Familie. Schon früh gewöhnte er sich an ein entsprechend zupackendes Frauenbild. Karls künstlerisch verträumte Neigungen sorgten immer wieder für Konfliktstoff in der Familie. Mit seinen Gedichten und Zeichnungen, die er als Kind anfertigte, wusste seine handfest denkende Mutter kaum etwas anzufangen. Als Karl 16 Jahre alt war, verfügte sie, dass er statt des Gymnasiums eine Schreinerlehre absolvieren sollte. In diesem Beruf war er nur leidlich erfolgreich und hatte nur wenig Freude an der Arbeit. Es gab auch wenig Gelegenheit, ein passendes Mädchen zu finden, weswegen der schüchterne Karl bislang nur eine sporadische Freundschaft mit einer Schulfreundin erlebt hatte. Nach einigen Jahren Tätigkeit in der Schreinerei eines Onkels hatte sich Karl dazu durchgerungen, als Bühnenbildner beim Theater zu arbeiten und – um eventuell doch noch studieren zu können – nebenher am Abendgymnasium das Abitur nachzuholen.
Dort lernte Karl Diana kennen. Diana unterrichtete als Studienrätin Deutsch und Geschichte. Karl imponierte Dianas Bildung, ihre souveräne Ausstrahlung, ihre Schlagfertigkeit und nicht zuletzt ihre sehr weibliche Erscheinung.
Diana, 30 Jahre alt, einziges Kind einer gutbürgerlichen Unternehmerfamilie, wuchs unter materiell wesentlich günstigeren Bedingungen heran. Ihre relativ alten Eltern sorgten für eine optimale Ausbildung bis zum Abitur, mit dem Ziel, ihr später einmal die eigene Möbelfirma zu übergeben. Wegen der aufreibenden Geschäftstätigkeit konnten sich Dianas Eltern nur unzureichend um sie kümmern. Das Mädchen lernte aber früh, sich Ersatzzuwendung durch ihre Geselligkeit, ihren Einsatz und ihre Hilfsbereitschaft bei Nachbarn und Schulkameradinnen zu holen. Sie gehörte immer zu den Besten in der Klasse und wurde regelmäßig zur Sprecherin derselben gewählt. Anderen Menschen etwas beizubringen, sich für sie einzusetzen, erschien ihr wesentlich sinnvoller, als sich ins gemachte Firmenbett der Eltern zu legen. So entschloss sich Diana, schon als kleines Mädchen immer ausgesprochen eigenwillig, den elterlichen Plänen nicht Folge zu leisten und statt eines betriebswissenschaftlichen Studiums das Lehramt anzustreben, worauf es zum Zerwürfnis mit den Eltern kam, die ihr fortan ihre Unterstützung entzogen. Während des Studiums war sie mit einem gleichaltrigen Kommilitonen befreundet, der sie nach vier Jahren plötzlich verließ, wie sie vermutete, wegen einer äußerlich noch attraktiveren Frau. Nach ein paar Single-Jahren und einer mühsamen beruflichen Etablierung als eine von nur zwei Lehrerinnen an einem Abendgymnasium glaubt sie in Karl endlich einen Mann gefunden zu haben, den sie heiraten möchte.
Ihr gefällt an ihm seine aufmerksame Art, seine Achtung ihr gegenüber, seine gelegentlich liebenswerte Unbeholfenheit in Gesellschaft, seine unbedingte Treue und vieles mehr.
Beide verlieben sich sehr rasch ineinander und leben seit zwei Wochen in einer frisch bezogenen Wohnung zusammen. Sie denken an Heirat.
Als Diana aufgrund eines Rundfunkberichts vom EPL-Kommunikationstraining erfährt, notiert sie sich spontan die Telefonnummer zur Anmeldung und lässt diese erst einmal in den unergründlichen Tiefen ihrer Handtasche verschwinden.
Eines Abends, als sie die unbändige Lust packt, mal wieder tanzen zu gehen, erntet sie nur ein indifferentes »meinetwegen, wenn’s denn sein muss« ihres weniger tanzwütigen Karls. Diana fällt auf, dass ihr mit solchen Antworten jegliche Stimmung verdorben wird und sie eigentlich höchst selten weiß, was ihr Lebensgefährte nun wirklich will oder auch nicht will. Eine klare Artikulation seiner Wünsche würde seiner Persönlichkeitsentwicklung gut zu Gesicht stehen, und sie erinnert sich wieder an das Kommunikationstraining.
In ihrer unnachahmlichen Entschlossenheit meldet sie sich und Karl für den nächsten Kurs an. Karl wird das Vorhaben beim Abendessen mitgeteilt:
»Du Schatz, ich habe für uns am übernächsten Wochenende ein Kommunikationstraining für Paare gebucht, das scheint eine recht gute Sache zu sein und wird auch dir sicherlich viel bringen.«
»Ja aber, das kostet doch bestimmt einen Haufen Geld …«
»Mach dir da mal keine Sorgen – das kostet uns fast gar nichts – und im Übrigen könnten wir ruhig mal wieder was für unsere Beziehung tun.«
»Na, ich weiß nicht …«
»Jetzt maul nicht rum, das wird dir bestimmt gefallen.«
»Na da bin ich ja mal gespannt. Du immer mit deinen Überraschungen …«
»Was heißt hier ich immer? Du könntest ruhig mal dankbar sein, dass ich mir immer was für uns einfallen lasse, oder?«
»Ist ja gut, ich sag ja gar nichts mehr.«
Viktor ist 31 Jahre alt. Er ist ein Einzelkind aus sehr angesehenem Hause. Sein Vater, ein bekannter Rechtsanwalt, führte ein strenges Regiment in Viktors Elternhaus. Was für ihn zählte, war ausschließlich Leistung. Die ein wenig träumerisch veranlagte Mutter konnte sich mit ihren künstlerischen Neigungen in dieser Ehe nicht entfalten. Viktor liebte das Wesen seiner Mutter sehr, identifizierte sich aber doch bald mit dem Leistungsdenken seines Vaters. Schon als kleiner Junge trat er einem Leichtathletikverein bei und trainierte dort wie ein Besessener, bis sich die ersten Erfolge in Wettkämpfen einstellten. Als er dann ins Gymnasium kam, begann für ihn eine schwere Zeit. Wollte er doch seine sportlichen Erfolge beibehalten, oder sogar noch vergrößern, und zugleich den Schulstoff mit Bravour bewältigen. Mit eiserner Disziplin schaffte er beides. Nach dem Abitur begann er – zum Leidwesen seines Vaters (»Du hättest einmal meine Kanzlei übernehmen sollen«) – ein naturwissenschaftliches Studium, das er ebenfalls mit großem Erfolg abschloss. Heute ist Viktor als Biochemiker an einem renommierten Forschungsinstitut tätig. Um Mädchen hatte sich Viktor relativ wenig gekümmert, obwohl er mit seinem athletischen Äußeren und seiner Bildung nicht gerade unbegehrt war. Ein paar kurze Freundschaften dienten lediglich dazu, seine Erfolgsliste auch in diesem Bereich ein wenig anwachsen zu lassen. Doch das änderte sich mit Viktoria.
Viktoria, 29 Jahre alt, kommt aus sehr einfachen Verhältnissen. Sie ist das zweite von drei Geschwistern. Vater und Mutter waren, soweit sie zurückdenken kann, beide berufstätig, um der Familie einen gewissen Lebensstandard bieten zu können. An die Kinder wurden relativ wenig Anforderungen gestellt. Zumindest für Viktoria und ihre ältere Schwester reichte es völlig, solange sie den schulischen Anforderungen einigermaßen gerecht wurden. Lediglich ihr kleiner Bruder wurde aufgrund einiger guter Zensuren (wie sie genau betrachtet auch die beiden Mädchen aufweisen konnten) als begabt eingeschätzt und auf die höhere Schule geschickt. Viktoria konnte das damals noch nicht einmal als Ungerechtigkeit empfinden. Sie besuchte ihre Realschule, schloss sie mit leidlich guten Noten ab und begann eine kaufmännische Lehre. Während dieser Zeit konnte sie sehen, wie ihre Eltern bei dem vergeblichen Versuch, doch noch zu ein wenig Wohlstand zu gelangen, immer mehr verbitterten; wie ihre ältere Schwester reich heiratete und binnen weniger Monate in dieser Ehe todunglücklich wurde; wie ihr kleiner Bruder auf dem Gymnasium scheiterte und seither seinen Lebensunterhalt mit ebenso lukrativen wie zwielichtigen Geschäften fristet. Spätestens von da an war ihr klar, dass sie ihr Leben nicht in den Dienst des Geldes stellen wollte. Nach abgeschlossener Lehre nahm sie einen Posten als Sekretärin an einem medizinischen Institut der Universität an, den sie heute noch innehat. Hier ist die Bezahlung zwar nicht besonders gut, auch Aufstiegsmöglichkeiten sind so gut wie nicht vorhanden, dafür hält sich ihr Arbeitsaufwand in Grenzen. Das ist ihr sehr wichtig, weil sie dadurch genügend Zeit für ihre diversen Hobbys findet. Trotz des fehlenden Verständnisses in ihrer Familie und bei den meisten ihrer Freundinnen begeistert sie sich für die schöngeistigen Dinge des Lebens. So besucht sie, wann immer es ihre Zeit erlaubt, Volkshochschulkurse oder Universitäts-Vorlesungen über Literatur, Malerei und Musik. In den Beziehungen, die sie bisher hatte, waren ihr die Männer schnell entweder zu erfolgsorientiert und/oder zu desinteressiert erschienen. So richtig verstehen, dachte sie sich, konnte sie bisher jedenfalls noch keiner. Doch dies, hoffte sie, würde mit Viktor anders werden.
Viktor und Viktoria lernten sich auf der Türschwelle eines mikrobiologischen Labors kennen. Beide hatten sich gerade über ein und denselben Professor geärgert. Sie schauten sich damals ein wenig länger in ihre vor Wut geröteten Gesichter, als dies zwischen männlichen Studenten und weiblichen Angestellten des Instituts üblich war. Vielleicht würden sie heute bestreiten, dass der gemeinsame Ärger sie verband. Wahrscheinlich würden sie sich auch nicht mehr daran erinnern, dass sie dieses zornig trotzige, hübsche Gesicht des jeweils anderen magisch anzog. Jedenfalls verabredeten sie sich und lernten sich schnell näher kennen und lieben. Viktor war und ist fasziniert von dieser Frau, die sich gegen so viele Widerstände ihr eigenes Leben eingerichtet hat. Sie erkämpft sich die Werte, die ihr wichtig sind, auch gegen die Überzeugungen ihrer Umgebung. Unbewusst hätte er sich ein solches Verhalten wohl sehnlich von seiner allzu nachgiebigen Mutter gewünscht. Auch Viktoria ist von der Stärke dieses Mannes begeistert. Hatte er sich doch aus dem gemachten Nest davongemacht, um seinen eigenen – zugegebenermaßen erfolgsorientierten – Weg zu gehen. Zudem reizt sie Viktors Bildung, die dieser quasi mit der Muttermilch mitbekommen hatte, während sie sie sich mühsam aneignen musste.
So ist es auch kein Zufall, dass der letzte heftige Streit zwischen den beiden in der gutbestückten Bibliothek von Viktors Vater ausbrach. Sie waren von Viktors Eltern zum Mittagessen eingeladen. Nach dem Essen begab sich Viktoria in ihren Lieblingsraum, die Bibliothek. Während sie Viktor von all den faszinierenden Werken um sie herum vorschwärmte und ihm – sehr indirekt – Vorwürfe machte, dass er die Bibliothek seines Vaters so wenig nütze, meinte er nur trocken, dass die ganze Bildung seinen Alten auch nicht davor hätte bewahren können, ein Familientyrann zu werden, und deshalb pfeife er auf all dies bedruckte Papier. So gab ein Wort das andere, bis beide, müde vom gegenseitigen Anschreien, sich wieder mal der Unsinnigkeit ihrer Form des Streitens bewusst wurden. Noch leicht verheult erzählte Viktoria ihrem Viktor von einer Ausschreibung über ein Kommunikationstraining für junge Paare, auf die sie bei ihrer Suche nach Fortbildungsseminaren gestoßen war. Viktor war erst sehr abwehrend, doch erinnerte ihn sein jüngstes Streitgebrüll zu sehr an seinen Vater, als dass er gewagt hätte zu behaupten, er hätte so ein Gesprächstraining nicht nötig. Für die beiden war die gemeinsame Anmeldung zum Kurs eine Art Versöhnungsakt. Dass beide eher skeptisch waren und wild entschlossen, sich nicht irgendetwas von den Kursleitern einreden zu lassen, was ihnen nicht passte, das behielten sie lieber für sich.
Nachdem wir Ihnen nun die drei Paare näher vorgestellt haben, wird es Zeit, Ihnen anhand von jeweils einem Gesprächsbeispiel zu zeigen, auf welche Schwierigkeiten diese im EPL stoßen und welche Möglichkeiten ihnen umgekehrt dieses Programm bieten kann.
Da alle sechs EPL Sitzungen schwerpunktmäßig aus Paargesprächs-Übungen bestehen, die von den teilnehmenden Paaren als sehr intensiv erlebt werden, sind deren Erfahrungen so vielfältig, dass wir uns in diesem Buch ganz bewusst auf jeweils nur ein Beispiel pro Paar beschränken müssen.
Für unser Nudel-Holz Paar, das Ihnen die Paarkonstellation der einseitigen Dominanz verdeutlichen soll, wählen wir die Paargesprächsübung aus der ersten EPL-Sitzung. In der ersten Sitzung erarbeiten sich die Paare die wichtigsten Gesprächsregeln, indem sie zuerst aus einem von den Trainern vorgeführten, sehr unfruchtbaren und verletzenden Streitgespräch die Kommunikationsfehler heraussammeln und daraus dann die Regeln ableiten. Im Anschluss werden diese für manchen doch recht neuen oder zumindest ungewohnten Regeln in der gleich geschilderten Paarübung an einem für die jeweiligen Teilnehmer positiven Thema eingeübt. Positiv muss das Thema deshalb sein, weil sich die Paare in der ersten Gesprächsübung mit einem belastenden Thema leicht überfordert fühlen und sich dementsprechend nicht auf ihre Gesprächsregeln konzentrieren könnten. Die Paare zur Besprechung von Konfliktthemen aufzufordern, ist erst sinnvoll, wenn die Gesprächsregeln durch vorausgegangene Rollenspiele und Übungen ausreichend vertraut sind.
Karl und Diana sollen anhand eines freigewählten positiven Themas die Gesprächsregeln üben. Sprecher- und Zuhörerrolle bleiben vorerst noch streng getrennt, um die Paare nicht zu überfordern.
In dem folgenden Gesprächsbeispiel sind auch die Interventionen einer unserer Trainerinnen enthalten. Diese werden zum Teil in Fußnoten kurz erläutert. EPL-Trainer intervenieren allerdings in der Regel häufig etwas frühzeitiger, als in den Gesprächsausschnitten dargestellt. Damit versuchen wir einen optimalen Lerneffekt in kurzer Zeit zu erreichen. Zudem wird dadurch vermieden, dass ein Gespräch auch nur leicht eskaliert.
Damit Sie als Leser aber einen kleinen Eindruck davon gewinnen können, zu welchen teilweise ganz und gar nicht »regelgerechten« Verhaltensweisen im Gespräch unsere hier dargestellten Partner tendieren, verzichten wir lieber auf die Beschreibung eines sofortigen Eingreifens der Trainer in den Gesprächsverlauf.
Der besseren Lesbarkeit zuliebe, wird auch die unter »3.« beschriebene »Kontingente Verstärkung« durch die Trainer nicht in den Text aufgenommen. (Sie erinnern sich? Durch kurze verbale und nonverbale Signale wird den einzelnen Partnern angedeutet, dass sie gerade richtig mit den Gesprächsregeln umgehen.)
So, nun aber zu Karl und Diana in ihrer ersten Übung:
Nachdem Birgit, die Trainerin (T.), nochmals kurz die Übung erklärt hat, schickt sich Diana (D.) zielsicher an, mit der Sprecherrolle zu beginnen und Karl (K.) ihre Urlaubspläne darzulegen:
D.: »Also Karl, ich stelle mir vor, dass wir im Juni nach Holland fahren, uns dort Fahrräder ausleihen und die Deiche entlang radeln. Das ist gesund und interessant und schont deinen Geldbeutel.«
T. (souffliert Diana)1: »Bitte bleiben Sie nur bei sich und schildern Sie Ihrem Partner, warum Sie sich das wünschen …«
D.: »Ja, ich war halt noch nie in Holland und ich möchte dort unbedingt mal hin. Weißt du, meine Großmutter hat dort vor dem Krieg gelebt und Großvater kennengelernt und sie schwärmt heute noch davon.«
K. (fasst zusammen): »Also du möchtest in unserem Sommerurlaub Holland mit dem Rad erkunden und ein bisschen auf den Spuren deiner Großmutter wandeln.«
D.: »Mmh …«
K.: »Ja, muss das unbedingt mit dem Rad sein?«
T. (souffliert Karl)2: »Bitte melden Sie ihr kurz ihr momentanes Gefühl zurück.«
K.: »Tja, der Gedanke an anstrengende Radtouren lässt mich dir kaum weiter zuhören. Ich habe eigentlich keine Lust, im Urlaub durch die Gegend zu keuchen.«
D.: »Ja, glaubst du, ich wär da soo scharf drauf? Du beklagst dich doch immer, du hättest zu wenig Bewegung …«
T. (souffliert Diana)3: »Bitte bleiben Sie jetzt einmal ganz bei Ihren eigenen Gefühlen und Bedürfnissen …«
D.: »Also gut. Ob wir das mit dem Rad oder mit dem Wagen machen, spielt für mich kaum eine Rolle. Ich will halt eine kleine Reise in die Vergangenheit meiner Familie unternehmen – und ich – und ich stelle mir das Ganze irgendwie recht romantisch vor.«
K. (stutzt, irgendwie kannte er diese Ader noch gar nicht): »Das finde ich ja ganz süß von dir, ich wusste gar nicht, dass du auch so träumerisch sein kannst. Und wie malst du dir diese Reise aus?«
Diana bleibt nun ganz bei sich und schildert detailliert den Ablauf ihres Wunschurlaubs, wobei sie Karl mit einbezieht. Karl kann ihr gut zurückmelden, bemerkt, dass ihm ihr Plan fast wie eine vorgezogene Hochzeitsreise vorkäme. Diana bricht in herzliches Lachen aus, Karl bricht ebenfalls in Lachen aus, die Trainerin bricht die Übung zufrieden ab und freut sich, dass dieses erste, noch sehr kurze Gespräch nach den Regeln und mit ungewöhnlichen Vorgaben so gewinnbringend verlaufen ist. Sie ist außerdem froh, dass bei diesem Paar ihre Interventionen ohne Widerstand aufgenommen wurden.
Als im Gegenzug Karl sich in der Sprecherrolle üben soll, tut er sich erst einmal relativ schwer, ein Thema zu finden, über das er sprechen möchte.
Karl erzählt schließlich, wie er die gemeinsame Wohnung gestalten möchte. Nach einem kurzen Anlauf schildert er sehr ausführlich seine Pläne, verliert sich dabei fast in Details, ohne zu erwähnen, warum ihm dies und jenes so wichtig ist.
K.: »… ja und dann möchte ich die ganze Wohnzimmerdecke in Teakholz täfeln …«
D.: »Also jetzt mach mal einen Punkt. Ich finde deine Vorhaben ja recht interessant, aber das ist doch alles viel zu aufwendig, und wer soll’s bezahlen? Doch nicht du …«
T.4: »Bitte drücken Sie nur Ihr momentanes Gefühl Ihrem Partner gegenüber aus und vermeiden Sie Du-Sätze und Wertungen.«
D.: »Also ich habe ganz einfach Angst, dass die Wohnung monatelang im Umbauzustand ist und ich zu viel Geld für Vorhaben ausgeben muss, so dass z. B. auch der Urlaub flachfällt. Ich versteh gar nicht, warum du so viel Aufwand betreiben willst?«
K.: »Ich finde das gar nicht so viel Aufwand und so teuer stell ich’s mir auch nicht vor.«
D.: »Aber das liegt doch auf der Hand. Du machst dir da keinerlei realistische Vorstellungen. Ich hab’ schon zweimal eine Wohnung eingerichtet …«
T.5: »Bitte vermeiden Sie Du-Sätze und Beweisführungen. Fragen Sie doch einfach noch mal, warum ihm so sehr daran gelegen ist, und bleiben Sie noch in der Zuhörerrolle.«
D.: »Also, warum sind dir diese Pläne so wichtig und warum willst du so viel selber machen?«
K.: »Ich dachte, du verstehst das von selbst, einfach weil ich glaube, dass es Spaß macht – und weil ich momentan eh’ wenig zu tun habe, könnte ich mich da voll reinhängen …«
D.: »Meinst du nicht, dass du dich da überforderst?
T.6: »Bitte fassen Sie erst zusammen.«
D.: »Gut. Dir macht die Sache Spaß. Kann ich verstehen – und du möchtest die Zeit, in der du jetzt nicht arbeitest, nutzen. Aber warum willst du in so großem Umfang tätig werden?«
T.: (verstärkt diese Passage ausdrücklich)
K.: »Im Grunde genommen habe ich auch das Gefühl, dir was schuldig zu sein. Du zahlst den Löwenanteil der Miete und wohl auch den Urlaub, solange ich noch keinen Job als Bühnenbildner habe. Und ich möchte das ungern so stehen lassen. Auch ist es mir peinlich, vor unseren Bekannten so dazustehen. Wenn ich für alle sichtbar die Wohnung schick einrichte, hätte ich das Gefühl auch was geschaffen zu haben.«
T.: (zu Diana) »Was ist bei Ihnen angekommen?«
D.: »Es ist mir klar, dass du das ein Stück weit für deine Selbstbestätigung machst und es freut mich, dass du’s auch zum Teil für mich tun willst. Ich habe bis jetzt eigentlich noch nicht gewusst, dass dir die Tatsache, dass ich momentan besser verdiene, etwas ausmacht und es dir vor anderen sogar peinlich ist. Und wenn die Leute sehen, was du alles in der Wohnung gemacht hast, gleicht sich das irgendwie wieder aus?«
K.: »Ja, zumindest ein bisschen. Ganz abgesehen davon, dass es mir Spaß macht, Räume zu gestalten und solange ich noch nicht die neue Arbeit angefangen habe, fehlt mir so eine Art Aktionsfeld.«
D.: »Also du möchtest dich auch kreativ austoben. Find ich gut. Andererseits möchte ich bei der Wohnungsgestaltung schon ein Wörtchen mitreden. Schließlich wohne ich ja auch drin.«
K.: »Aber selbstverständlich. Ich werde Gnädigste bei jedem Detail um Ihre Zustimmung bitten.«
D.: »Was soll denn das nun wieder?«
T.7: »Einen Moment bitte, gerade lief ’s noch so gut, aber jetzt können Sie sich leicht in Vorwürfen verheddern und nicht mehr bei sich bleiben. Bitte bleiben Sie weiter in Ihren Rollen und vermeiden Sie Ironie und Vorwürfe. (zu Karl): Erzählen Sie Ihrer Partnerin, was im Moment in Ihnen vorgeht und warum. (zu Diana): Melden Sie Ihm das dann bitte gleich zurück und sagen Sie ihm, was Sie gerade gefühlt haben.«
K.: »Also, wie du gesagt hast, du wolltest ein Wörtchen mitreden, da habe ich mich wie ein kleiner Junge behandelt gefühlt, so was Ähnliches haben sie zuhause auch immer gesagt, und deswegen habe ich ironisch reagiert.«
D.: »So war’s wirklich nicht gemeint. Ich wusste nicht, dass ich zufällig den Sprachgebrauch deiner Eltern verwendet habe. Aber mit dieser deiner Ironie könnte ich die Wände hochgehen, da konnte ich auch gar nicht mehr zuhören. Wenn du dich eben wie ein kleiner Junge gefühlt hast, kam ich mir wie eine verwöhnte Zicke vor. Das bin ich nun mal nicht. Ich hoffe, du siehst das ein!«
K.: (schweigt)
T.: (Die erste Übung mündet wider Erwarten schon in einem Konflikt, die Übungszeit ist längst um, es gilt jetzt zum Schluss zu kommen, ohne das Gespräch »abzuwürgen«. Sie ärgert sich über den schulmeisterlichen Du-Satz, den Diana ihrer sonst so offenen Rückmeldung hinzugefügt hat, sieht aber angesichts der Zeit keine Möglichkeit mehr, nochmals einzuhaken.) »Wir müssen jetzt leider die Übung gleich beenden. Wenn Sie möchten, können Sie das Thema in einer der nächsten Übungen, in denen mehr Zeit zur Verfügung steht, nochmals aufgreifen. (zu Karl): Bitte sagen Sie doch kurz ihrer Partnerin, wie es Ihnen jetzt gerade geht.«
K.: »Ich fühl mich schon wieder so wie vorhin.«
D.: »Was stört dich denn?«
K.: »Irgendwie hast du da manchmal einen Sound drauf, den verputz’ ich nicht ganz.«
D.: »Ich weiß jetzt auch nicht genau, was du meinst, aber wenn du willst, reden wir halt nachher noch darüber.«
K.: »Meinetwegen.«
Die erste Übung wird beendet. Für Konfliktstoff in der zweiten Sitzung scheint gesorgt zu sein. Vorläufig sieht es so aus, als ob gerade Dianas Ausrutscher in der Zuhörerrolle einem befriedigenderen Gespräch immer mal wieder im Wege stehen. Ihr rasches Eingehen auf die Trainerinterventionen zeigt jedoch ihre schnelle Lernfähigkeit. Sie hat wahrscheinlich von dieser ersten kurzen Übung etwas mehr profitiert als Karl, dessen Stärken und Schwächen im Gespräch womöglich in einer anderen Übung, unter anderen Voraussetzungen deutlicher werden.
In dieser ersten Übung ist sicher noch nicht abzusehen, welche Entwicklung dieses Paar im EPL-Kurs durchlaufen wird. Eine große Chance könnte darin bestehen, dass Diana merkt, wie fruchtbar es für ihre Beziehung ist, wenn sie es schafft, länger in der aktiven Zuhörerrolle zu bleiben und dadurch mehr von ihrem Partner erfährt. Wo sie ihn vorher interpretierte, kann sie nun offen nachfragen und braucht sich die Antworten nicht mehr selbst zu geben. Dadurch verhindert sie Missverständnisse und erweckt nicht mehr den Eindruck, Karl zu bevormunden.
Karl dagegen könnte die positive Erfahrung machen, dass er seine Bedürfnisse klar und offen ansprechen kann, ohne gleich unter Rechtfertigungsdruck zu geraten (und dabei seine argumentative Unterlegenheit zu spüren). Das macht es ihm gleichzeitig leichter, Diana besser zuzuhören. Beide haben es dann auch nicht mehr nötig, zur Abwehr kleine Spitzen oder allzu ironische Bemerkungen in ihren Dialogen einzusetzen. Wenn Diana und Karl im weiteren Kursverlauf diese Lernschritte vollziehen, wirkt sich das sicherlich ausgezeichnet auf das gegenseitige Verständnis und ihre Fähigkeit zur Tolerierung des Andersseins aus.
Als Gesprächsbeispiel für unser idealisierendes Heger-Pfleger Paar wählen wir die dritte Partnerübung aus der zweiten EPL-Sitzung. Die zweite Sitzung hat zum Thema das »Äußern negativer Gefühle«. Während in den ersten beiden Übungen dieser Sitzung den Paaren noch Konfliktthemen vorgegeben werden, damit sie sich daran spielerisch mit den Kommunikationsregeln vertraut machen können, suchen sie sich für diese dritte Übung ein echtes eigenes Thema aus, um es nach allen Regeln miteinander zu besprechen.
Friedemann und Clementia geraten zunächst in große Schwierigkeiten, überhaupt ein eigenes Problemthema zu finden. Sie haben in ihren sonst so unterschiedlichen Elternhäusern gelernt, dass Probleme, Meinungsverschiedenheiten, Unstimmigkeiten usw., kurz alles, was den Frieden stören könnte, unbedingt aus Partnerschaft und Familie herausgehalten werden muss. So haben beide sich »verboten«, in ihrer Beziehung Probleme auch nur zu sehen, geschweige denn sie anzusprechen.
Clementia zermartert sich ihr Gehirn, denn sie möchte ja ernsthaft weiterarbeiten. Aber vergeblich: Sie findet beim besten Willen kein Problemthema in ihrer Beziehung.
Als Trainer bin ich schon versucht, den beiden ein weiteres problembesetztes Rollenspielthema vorzugeben. Denn meine Erfahrung sagt mir, dass Paare instinktiv dazu neigen, für ihre Rollenspiele Themen auszuwählen, die sie unbewusst doch betreffen. Doch da sehe ich an Friedemanns Gesicht, dass ihm doch noch ein eigenes Thema eingefallen ist, das ihn sehr zu beschäftigen scheint.
Er denkt daran, dass es immer wieder Situationen gab, z. B. wenn er Ärger mit Arbeitskollegen hatte, in denen er sich nach dem Nachhause-Kommen gerne ein wenig zurückgezogen hätte, um in aller Ruhe darüber nachzudenken. Doch Clementia konnte ihm jedes Mal den Ärger vom Gesicht ablesen und tat alles, um ihn abzulenken und wieder aufzuheitern. Dabei hätte er seinem Ärger gerne nachgespürt, nicht um ihn wie sein Vater zu Hause hemmungslos auszuleben, sondern um ihn ganz allein für sich noch einmal zu betrachten und zu bearbeiten, bis er ihn dann in einem nächsten Schritt seiner Clementia erzählt hätte.
Für Clementia dagegen ist dieses stille zurückhaltende Verhalten Friedemanns schier unerträglich. Wie sie es in ihrem Elternhaus gelernt hat, hält sie sich allein verantwortlich für die Stimmung, in der sich ihre Lieben befinden. Also muss sie sich umso liebenswerter und fürsorglicher betragen, um »den Haussegen wieder gerade zu hängen«. Da kann ihr Friedemann tausendmal sagen, dass er nichts habe, und wenn, dass es nichts mit ihr zu tun habe. Ihr geht es erst wieder gut, wenn er wieder zufrieden lächelt. Und dafür legt sie sich mächtig ins Zeug.
Friedemann ahnt ungefähr, was in solchen Situationen in Clementias Kopf vor sich geht. Deshalb nimmt er dieses Bedürfnis nach Rückzug auch nur mit einem schlechten Gewissen wahr. Trotzdem will er es diesmal riskieren. Er will die Chance, die das Gesprächstraining ihm dazu bietet, nützen, und dieses Thema endlich einmal ansprechen.
Er zögert noch. In seinem Gesicht spiegelt sich der Widerstreit seiner Gefühle. »Soll ich meiner Partnerin wirklich sagen, was in mir in solchen Momenten vorgeht? Wie wird sie reagieren? Wie soll ich es ihr überhaupt sagen? Kann ich hier in diesem Rahmen eigentlich offen sein? Wird uns der Trainer weiterhelfen können, wenn’s doch schiefgehen sollte? Umgekehrt steht jetzt das Problem ja deutlich im Raum. Zu Hause schaffe ich es wahrscheinlich eh’ wieder nicht, es ihr zu sagen. Dann ziehe ich mich wieder schweigend zurück, und der Knatsch beginnt von vorne.« Er gibt sich sichtlich einen Ruck und beginnt über das zu sprechen, was ihn bewegt.
Nicht auf alte Verhaltensmuster zurückzugreifen, sondern bewusst etwas Neues auszuprobieren, gleicht oft dem Sprung ins kalte Wasser. Auch wenn ich mit dem, wie ich es bisher gemacht habe, nicht zufrieden bin, so weiß ich doch wenigstens, was daraufhin passieren wird. Und das gibt eine gewisse Sicherheit. Wenn ich mich anders als üblich verhalte, kann ich die Reaktion meiner Partnerin viel schlechter einschätzen, und das kann sehr verunsichernd wirken. Der Rahmen, den das Kommunikationstraining setzt, erleichtert diese Veränderung. Die Einhaltung der Regeln schützt beide vor Verletzungen. Auf diese Weise sammeln beide positive Erfahrungen mit ihrem neuen Gesprächsverhalten.
Er: »Ja also, es fällt mir jetzt ziemlich schwer, darüber zu sprechen, aber ich probier’ es. Also, oft brauche ich einfach ein bisschen Abstand, dann möchte ich am liebsten allein sein. Einfach für ’ne kurze Zeit nichts hören und nichts sehen und nur abspannen.«
Sie: »Ja, da verstehe ich dich gut. Aber hast du denn nicht eh’ schon mehr als genug Zeit für dich allein?«
Dieser im ersten Moment harmlos wirkende Satz steckt voller wichtiger Äußerungen und Anspielungen, die leider in Kommunikationsfehler verpackt und deshalb sehr indirekt und für das ungeschulte Ohr nur schwer erkennbar sind. Formulierungen wie »das verstehe ich«, »das ist natürlich verständlich« usw. sind häufig nur Phrasen, die vorhandene Meinungsverschiedenheiten schnell unter den Tisch kehren sollen. Außerdem kann der jeweilige Sprecher nach solch einer Entgegnung noch nicht einmal sicher sein, ob er wenigstens akustisch richtig verstanden wurde. Viel nützlicher für das Gespräch ist deshalb ein kurzes Zusammenfassen des Gesagten. Das ist zum einen die beste Möglichkeit zu überprüfen, ob ich den Sprecher auch wirklich richtig verstanden habe; zum anderen verlangsamt sich dadurch das Gespräch, sodass beide Zeit zum Nachdenken und »Nachfühlen« bekommen (der Sprecher z. B., ob das, was er gesagt hat, und das, was er empfindet, auch wirklich übereinstimmt; der Zuhörer z. B., was das eben Gehörte wirklich in ihm auslöst); und zum dritten signalisiert das Zusammenfassen dem Sprecher die Bereitschaft des Zuhörers, ihm aufmerksam zuzuhören und seine Aussagen auf ihn wirken zu lassen. Dass die Formulierung »Ja, da verstehe ich dich gut« auch in unserem Gesprächsbeispiel nur eine Konflikt vermeidende Phrase und keine echte Überzeugung war, zeigt gleich der nächste Satz. Er beginnt mit dem Wort »aber«. Dieses »aber« stellt den Inhalt des vorausgehenden Satzes wieder in Frage, oder es widerlegt ihn sogar.
Und gleich die nächste Formulierung macht deutlich, dass die Zuhörerin Clementia ganz anderer Meinung ist als ihr Sprecher Friedemann. Sie nimmt eine eindeutige Wertung vor (»mehr als genug Zeit für dich allein«), die besagt, dass ihr Partner nach ihrem Gefühl viel zu wenig Zeit mit ihr zusammen verbringt.
Zusätzlich wird die ganze Aussage noch in eine Suggestivfrage verpackt (»hast du denn nicht eh’ schon …?«), die suggerieren soll, dass Clementia sich an ihre Zuhörerrolle hält. Inhaltlich drängt diese Frage, die in Wirklichkeit gar keine ist, Friedemann als Sprecher allerdings gehörig in die Ecke, weil dieser Typ von Fragen die einzig erwünschte Antwort bereits vorgibt, es sei denn, Friedemann wagt es, sich massiv gegen diese Form der Beeinflussung zu wehren.
Für einen positiven Verlauf des Gespräches ist es besser, wenn Clementia, nachdem sie die Aussagen ihres Friedemanns zusammengefasst hat, noch weitere Zuhörerregeln zur Anwendung bringt.
Sie könnte beispielsweise rückmelden, was das Gesagte in ihr auslöst. Sie könnte dabei etwa ihre Überraschung, ihre Enttäuschung, ihre Besorgnis usw. darüber zum Ausdruck bringen. Sie könnte auch Friedemann für seinen Mut, sich offen zu äußern, positive Rückmeldung geben. Und sie könnte Friedemann noch Fragen, diesmal allerdings »offene Fragen«, stellen; z. B. ob er insgesamt mehr Zeit für sich möchte, oder ob er dies nur in ganz bestimmten Situationen und wenn ja, welchen, möchte. Zudem sollte an dieser Stelle Clementia als Zuhörerin noch klar gemacht werden, dass sie mit ihrer Sichtweise nicht zu kurz kommen wird, sondern diese ganz im Gegenteil ihrem Partner im darauffolgenden Gesprächsabschnitt umso besser wird nahebringen können, je besser sie jetzt ihre Zuhörerrolle wahrnimmt.
Alle diese Vorschläge gehören in die Intervention des Kommunikationstrainers, ohne dass er dabei inhaltlich Stellung beziehen darf. Eine geeignete Intervention könnte ungefähr so lauten:
»Nach solch einer Selbstöffnung Ihres Partners ist es ganz besonders wichtig, dass Sie als Zuhörerin kurz das zusammenfassen, was Sie aufnehmen konnten. Dadurch wird er sich verstanden fühlen und seinerseits ein aufmerksamer Zuhörer werden, wenn Sie ihm in einem späteren Abschnitt dieses Gesprächs als Sprecherin Ihre Sichtweise des Themas darstellen werden. Nach dem Zusammenfassen können Sie Ihrem Partner kurz die Gefühle rückmelden, die das Gesagte hier und jetzt in Ihnen ausgelöst haben. Wenn Sie den Eindruck haben, er hat als Sprecher seine Sache gut gemacht, können Sie ihm dafür eine positive Rückmeldung geben. Und schließlich können Sie ihm noch offene Fragen stellen, um noch mehr von der Sache zu erfahren, z. B. könnten Sie ihn nach konkreten Situationen oder vielleicht nach einem ganz bestimmten Beispiel aus der näheren Vergangenheit fragen.«
In Clementias Gesicht ist deutlich die Selbstbeherrschung abzulesen, die jetzt nötig ist, um auf meine Vorschläge eingehen zu können. Ja, es fällt ihr schwer, Friedemanns Bedürfnis, das sie so ganz und gar nicht teilen kann, noch einmal aufzugreifen. Doch aufgrund der positiven Erfahrungen, die sie in den bisherigen Rollenspielen mit den Kommunikationsregeln machen konnte, lässt sie sich auf diese ein.
»Also, ich habe dich so verstanden, dass du oft einmal Abstand brauchst und dann am liebsten allein wärest, um richtig abspannen zu können. Mich überrascht dein Wunsch total, aber ich bin wirklich froh, dass du dieses wichtige Thema auch ansprichst. Jetzt möchte ich dich gerne noch fragen, was du unter ›oft‹ verstehst? Kannst du mir vielleicht ein paar Situationen nennen, in denen es dir ganz besonders wichtig ist, dich zurückzuziehen?«
Ich kann aufatmen, denn Clementia hat, indem sie alle fünf Zuhörerregeln einsetzte, ihr Möglichstes getan, um das Gespräch mit ihrem Partner weiterhin in positiven Bahnen zu halten.
Und das ist der große Vorteil dieses Gesprächstrainings: Beide Partner werden beständig angeleitet, sich ausschließlich nach den Gesprächsregeln zu unterhalten, verletzende Formulierungen werden so weitgehend verhindert und eine konstruktive Ausdrucksweise gefördert. Auf diese Weise machen beide die positive Erfahrung, sich im Gespräch weiter hervorwagen zu dürfen, über die eigenen Gefühle und Bedürfnisse intensiver nachzudenken und diese dann auch dem Partner mitzuteilen.
Unserem Beispielpaar könnte das bereits begonnene regelgemäße Gespräch vielleicht folgende Einsichten bringen:
Durch Clementias aufmerksames Zuhören könnte Friedemann dazu ermutigt werden, sich selbst und seiner Partnerin einzugestehen, dass er manchmal entgegen seiner eigentlichen Bedürfnisse Clementias Nähe sucht, nur um sie nicht zu enttäuschen und einer Missstimmung in der Beziehung vorzubeugen. Dann quält ihn freilich das schlechte Gewissen, weil er Clementia im Grunde etwas vorspielt, weil er in solchen Momenten nicht ehrlich zu ihr ist. Doch hatte er bisher einfach Angst davor, ihr das zu sagen, weil sie dann vielleicht glauben könnte, er liebe sie nicht mehr so wie früher. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Wenn er sich guten Gewissens öfter mal zurückziehen könnte, in dem Wissen, dass sie das toleriert, wäre das für ihn ein weiterer Ausdruck ihrer gegenseitigen Liebe. Vielleicht wird ihm während dieses Gesprächs auch deutlich, wie sehr seine Angst vor Konflikten und Missstimmungen mit den Erfahrungen zusammenhängt, die er in seinem Elternhaus sammeln musste, und dass Auseinandersetzungen mit Clementia eine völlig andere Situation mit völlig anderen Möglichkeiten und Chancen darstellen, als er sie als Kind mit seinem gewalttätigen Vater hatte.
Umgekehrt könnte Clementia mit Hilfe von Friedemann als aufmerksamem Zuhörer zu der Einsicht gelangen, dass ihr Bedürfnis, allzeit für ihren Partner da zu sein und ihm zu helfen, nicht die einzige Möglichkeit ist, ihre Liebe ihm gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Sie kommt möglicherweise sogar zu dem Schluss, dass dieses Verhalten, das sie von sich selbst fordert, weil es ihren Vorstellungen von einer liebenden (Ehe-)Frau entspricht, sie bisweilen stark unter Druck setzt. Ja, vielleicht gesteht sie sich sogar ein, dass sie manchmal das Gefühl hat, in der Partnerschaft zu kurz zu kommen, weil sie, nur auf das Wohlergehen ihres Friedemann bedacht, eigene Bedürfnisse und Interessen zurückstellt. Solche Überlegungen gehen dann unter Umständen mit Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend einher, während der sie auch ausschließlich für andere – nämlich ihre Familie – dachte und fühlte. So könnte die Überzeugung reifen, dass sie unter Partnerschaft eigentlich etwas anderes versteht, als diese selbstlose Aufopferung für den Partner.
Friedemann und Clementia wären nicht das erste Paar, dem während eines fair geführten Gesprächs solche oder ähnliche »Missverständnisse« deutlich würden, die beide bisher an einer offeneren und befriedigenderen Partnerschaft hinderten.
Wie schon bei Friedemann und Clementia wählen wir als Gesprächsbeispiel für unser Hick-Hacker Paar mit ihrer zweiseitigen Dominanz die dritte Paargesprächs-Übung aus der zweiten EPL-Sitzung, in der die Paare zum ersten Mal ein eigenes selbst gewähltes Konfliktthema kommunikationsregelgemäß miteinander besprechen.
Viktor und Viktoria suchen sich als erstes eigenes Problemthema etwas aus, was sie nicht allzu sehr, aber immer wieder mal belastet und häufig zu unschönen Streitszenen zwischen ihnen führt. Es geht darum, dass Viktoria nicht so recht verstehen kann, warum Viktor sich so wenig für schöngeistige Dinge erwärmt, wo er doch z. B. über seinen Vater an die tollsten Bücher herankäme. Oder als seine Eltern ihnen vor kurzem einmal die teuren Theaterkarten schenken wollten, habe er dies ziemlich schroff abgelehnt. Diese und ähnliche Situationen machen wiederum Viktoria so wütend, dass sie zugegebenermaßen total überreagiere und lautstark auf ihn einschimpfe.
Als Trainer folge ich dem Gespräch sehr konzentriert, da gerade in dieser ersten Übung mit einem eigenen konfliktbehafteten Thema die Gefahr relativ groß ist, dass beide in ihrer Erregung wieder in alte – sprich: verletzende – Gesprächsmuster zurückfallen. Und schon ist es passiert. Viktor schert als erster aus dem regelgemäßen Gespräch aus und sagt:
»Da bist du einfach zu impulsiv; ich nehme dich deshalb nicht für voll.«
In mir leuchten alle Trainer-Warnlampen rot auf. Die Partnerin nicht für voll nehmen bedeutet das Ende jeder partnerschaftlichen Beziehung. Die beiden haben bisher einen ganz anderen Eindruck auf mich gemacht. Trotz oder gerade wegen ihrer Spannungen schätzen und mögen sie sich. Viel Zeit habe ich nicht. Eine Sekunde vielleicht, dann geht das Gespräch frustrierend, verletzend für die beiden weiter, und sie werden sich gegenseitig nicht besser verstehen, sondern sich eher weiter voneinander entfernen. Ich muss also eingreifen, das Gespräch wieder in Bahnen lenken, in denen die beiden positive Erfahrungen miteinander machen können. Mein Eingriff darf nicht als rüde Unterbrechung, als eine Art Bestrafung empfunden werden, sonst verlieren sie vielleicht die Lust am Weitersprechen oder sie stellen sich mir zuliebe brav, ohne wirklich von der Übung zu profitieren. Die beste und für einen Kommunikationstrainer einzige Möglichkeit besteht darin, für das Paar informativ und an die Regeln erinnernd einzugreifen.
»Ich breche an dieser Stelle Ihr Gespräch ab und gebe Ihnen eine kurze Rückmeldung darüber, wie es bisher abgelaufen ist.«
Ich betone in kurzen Sätzen, welche Regeln die beiden bisher angewandt haben, hebe ihre Leistung hervor, sich auf ein für sie belastendes Thema so beherzt einzulassen, denn nur so können die beiden am meisten mit- und füreinander lernen. Dafür haben sie wirklich Lob verdient, und ich will es ihnen nicht vorenthalten. Erst im nächsten Schritt gehe ich auf die Formulierung »ich nehme dich nicht für voll« ein, die ich für so kritisch halte. Nicht für voll genommen werden heißt, nicht als Person, nicht als gleichwertiger Partner angesehen zu werden. Für den Betroffenen ist das in aller Regel eine tiefe Kränkung. Was aber bedeutet eine solche Äußerung in diesem Fall bei Viktor als Sprecher? Wenn er seine Partnerin liebt und trotzdem diese Formulierung wählt, steckt etwas anderes dahinter. Es muss irgendein Gefühl sein, das Viktor in solchen Situationen zu dieser Äußerung verführt; ein Gefühl, das er verstecken will, weil es ihm unangenehm vorkommt, oder das ihm vielleicht sogar selbst gar nicht so richtig bewusst ist. Mit dieser sehr kurzen Überlegung versuche ich meine Art des Eingreifens zu gestalten: Jemanden nicht für voll nehmen ist keine Gefühlsäußerung, und genau darauf werde ich den Sprecher aufmerksam machen. Gleichzeitig werde ich ihm – ähnlich dem Souffleur im Theater – eine ganze Palette von Gefühlen soufflieren, in der Hoffnung, dass eines davon seine wirkliche Empfindung trifft und er meine Formulierung wörtlich oder abgewandelt, bis sie genau für ihn stimmig ist, verwenden kann.
»Denken Sie bitte daran, wie wichtig es ist, dass Sie Ihrer Partnerin möglichst genau die Gefühle zu beschreiben versuchen, die Sie in solchen Momenten empfinden. Nur so wird sie Sie besser verstehen können. Je nachdem, wie es für Sie am stimmigsten ist, könnten Sie z. B. sagen: »Ich bin in dieser Situation total verwirrt, hilflos, unsicher, weil ich dich nicht verstehen kann«; oder: »Ich bin ärgerlich, wütend auf dich«; oder: »Solche Situationen machen mir Angst«; oder: »Sie sind mir peinlich.« Nennen Sie Ihrer Partnerin doch die Gefühle und Empfindungen, die in Ihnen vorgingen.«
Sprecher Viktor hat mir aufmerksam zugehört, manchmal fast unmerklich genickt, manchmal deutlich verneinend das Gesicht verzogen. Die ganze Zeit über hat er jedoch seine Partnerin ernst aber nicht abweisend angesehen. Er überlegt einige Zeit bis er sich schließlich äußert.
»Na ja, es stimmt schon, wenn ich mir so eine Situation genau vorstelle, dann fühle ich mich im ersten Moment verwirrt und meine, dich nicht zu verstehen. Aber dann merke ich, dass ich auch wütend werde. Ich habe dann das Gefühl, ich muss mich wehren, weil ich sonst auf der Strecke bleibe.«
Viktor wirkt geradezu erlöst, so aus sich herausgehen zu können. Ich bin sehr erleichtert, dass das Gespräch diesen Verlauf nimmt. Viktor wird als Sprecher für die Zuhörerin jetzt als ein menschliches Gegenüber mit eigenen Sorgen und Nöten spürbar. Nur so ist überhaupt partnerschaftliches Verständnis für den anderen möglich. Es fällt mir schwer, Viktor an dieser Stelle kurz zu unterbrechen. Ich tue es trotzdem, weil meine Sorge in dem Moment der Zuhörerin gilt. Schließlich wurde sie gerade mit einigen gewichtigen negativen Gefühlen ihres Partners konfrontiert. Ich halte es für ungünstig, bereits jetzt einen Rollenwechsel einzuleiten, damit die momentane Zuhörerin Viktoria wieder ihrerseits in der Sprecherrolle ihre Gefühle und Bedürfnisse äußern kann. Allerdings erscheint es mir wichtig, dass sie jetzt Gelegenheit bekommt, kurz ihre eigenen Gefühle rückzumelden, eventuell ihrem Partner positive Rückmeldung zu geben und vor allem die Selbstöffnungen des Partners zusammenzufassen, ehe dieser damit fortfahren kann. Dementsprechend sieht meine Intervention aus:
»Ihr Partner hat gerade einige Gefühle geäußert. Für den weiteren Gesprächsverlauf ist es sehr wichtig, dass Sie diese zusammenfassen. Sie können an dieser Stelle Ihrem Partner auch Ihre eigenen Gefühle rückmelden, die das Gesagte gerade in Ihnen ausgelöst hat. Zusätzlich können Sie ihm noch, wenn Sie das möchten, positive Rückmeldung für sein Gesprächsverhalten geben.«
Viktoria ist sichtlich bewegt, sie sammelt sich kurz, bevor sie meine Vorschläge aufgreift.
»Ich bin total überrascht, wie es dir in solchen Situationen ergeht, und dass du auch wütend auf mich wirst, trifft mich schon hart. Aber ich find’s toll, dass du mir das so offen sagen kannst.«
Ich erinnere noch einmal kurz an die Regel des Zusammenfassens.
»Also ich hab’ mitgekriegt, dass du erst einmal ziemlich verwirrt bist, dann aber bald wütend wirst und das Gefühl bekommst, dich wehren zu müssen. Aber das mit dem »auf der Strecke bleiben« versteh’ ich nicht ganz. Kannst du mir noch deutlicher erklären, was du damit meinst?«
Die Zuhörerin hat meine drei Interventionsvorschläge, »Rückmeldung der eigenen Gefühle«, »Positive Rückmeldung« und »Zusammenfassen« gut anwenden können und sie noch um eine »Offene Frage« ergänzt. Damit hat sie eine weitere Weiche für einen günstigen Gesprächsverlauf gestellt.
Was aber macht nun die positive Wirkung einer solchen Gesprächssequenz aus?
Bei einem Paar wie Viktor und Viktoria haben beide schon von früh an gelernt, um ihr Recht zu kämpfen. Diese »Lehre« beeinflusst natürlich auch ihren Umgang miteinander. Jeder von beiden fürchtet, wenn er seine Bedürfnisse dem anderen gegenüber nicht mit aller Macht durchsetzt, der Verlierer zu sein.
Auf das obige Gesprächsbeispiel bezogen, könnte das bedeuten: Viktor denkt, wenn er sich die »Schwäche« leistet, auf die Argumentation von Viktoria einzugehen, dann wird er nicht bestehen können. Deshalb beschließt er, sie gar nicht erst für voll zu nehmen. Mit dieser massiven »Abwertung« seiner Partnerin steigt er in einen ihrer zahlreichen Paarkämpfe ein, deren Markenzeichen Angriff-Gegenangriff oder Angriff-Rechtfertigung sind. Dieser Stil verletzt natürlich. Nach solchen verbalen Attacken fühlen sich beide schlecht und unglücklich. Doch trauen sie sich in der entsprechenden Situation normalerweise nicht, auch nur einen Millimeter von ihrer gewohnten Kampfstrategie abzuweichen, denn dann könnte ja der andere die Oberhand gewinnen und man selbst der Unterlegene sein.
Im Kommunikationstraining sieht die Situation jedoch anders aus.
Hier wird den Partnern ein geschützter Rahmen geboten. Die Trainerin oder der Trainer sorgen dafür, dass während des Paargesprächs keinerlei Verletzungen angebracht werden können. Die beiden machten in den vorausgehenden Rollenspielen die angenehme Erfahrung, dass sie sich nicht mehr sorgfältig voreinander schützen mussten, weil dies Trainerin und Trainer für sie übernahmen. Das hat zur Folge, dass sie sich zum einen weiter mit ihren Gefühlen und Bedürfnissen hervorwagen, zum anderen aber auch, dass sie sich besser auf die Gesprächsregeln konzentrieren und diese folglich auch besser einhalten können. Mit dem immer häufigeren Einsatz der Regeln gehen umgekehrt die Verletzungen immer weiter zurück, sodass die beiden schließlich lernen, dass sie für ein faires Gespräch gar keinen Trainer mehr benötigen, sondern selbst kompetent genug geworden sind, partnerschaftlich miteinander zu sprechen.
In unserem Beispiel könnte Viktor durch die aufnehmende Zuhörerrolle, die Viktoria einnimmt, soweit angeregt und ermutigt werden, einmal ganz ehrlich für sich selbst zu überlegen, was diese »Angst, auf der Strecke zu bleiben« nun eigentlich wirklich für ihn bedeutet. Er könnte zu der Einsicht kommen, dass er mit seinen heftigen Reaktionen nur versucht, sich gegen seinen dominanten Vater zur Wehr zu setzen, um nie wieder in die Gefahr zu kommen, von ihm bevormundet zu werden. Ihm würde dann vielleicht deutlich werden, dass viele seiner Attacken gegen Viktoria gar nicht wirklich ihr gelten. Wenn er es dann noch schafft, diese Einsichten seiner Viktoria mitzuteilen, dann würde diese höchstwahrscheinlich viele Parallelen zu ihrem eigenen Verhalten entdecken. Sie würde daran denken, wie schwer es auch für sie war, sich durchzusetzen und ihren eigenen Weg zu gehen. Sie würde vielleicht erkennen, dass ihr Aufbrausen oft durch Neid auf Viktors gebildetes Elternhaus bedingt ist. Und je ausführlicher und regelgerechter die beiden sich darüber austauschen, desto mehr Verständnis werden sie für ihr eigenes Verhalten und das des anderen gewinnen. Und dieses gegenseitige Verständnis ist eine wichtige Voraussetzung für einen befriedigenderen Umgang miteinander.
Trotz aller Spekulationen, frommen Wünsche und auch Hoffnungen von uns EPL-Trainern, was die Paare in ihren Gesprächen alles von sich selbst und voneinander erfahren können, sollen, dürfen: Wir überlassen das getrost den Paaren selbst, in dem Wissen, dass die meisten diese Chance des partnerschaftlichen Gesprächs für sich zu nützen verstehen.
Unsere drei Beispielpaare sind zwar frei erfunden, allerdings haben wir zahlreiche Erfahrungen, die wir seit Jahren mit »echten« EPL-Paaren sammelten, in diese sechs Personen und ihre »typischen« Partnerschaftsstärken und -schwächen einfließen lassen. Und mindestens eines haben diese drei sonst so unterschiedlichen Paare gemeinsam: Ihre Beziehung wird trotz aller Schwierigkeiten, Meinungsverschiedenheiten und Unterschiedlichkeiten der Personen getragen von gegenseitiger Sympathie und Respekt voreinander.
Wir sehen dies als eine Grundvoraussetzung für Paare an, die einen EPL-Kurs besuchen und von diesem für ihre Partnerschaft profitieren wollen. Nur wenn dies gegeben ist, werden beide Partner auch die nötige (Beziehungs-)Arbeit investieren und sich auf die zahlreichen Gesprächsübungen einlassen. Denn partnerschaftliche Gespräche nach allen Regeln der Kunst zu führen, kann zuweilen ganz schön in Arbeit ausarten. Eine Arbeit allerdings, die der Mühe wert ist. Bietet sie doch die beste Chance, sich und den Partner besser kennenzulernen, mehr Verständnis und Toleranz bestimmten Verhaltensweisen des anderen gegenüber zu entwickeln, Missverständnisse von Anfang an zu verhindern oder zumindest im Nachhinein auszuräumen und so Misstrauen ab- und Vertrauen aufzubauen.
Doch gilt auch hier die Devise: Einmal ist keinmal. In den EPL-Kursen haben Gesprächsübungen zwar absoluten Vorrang. Dennoch kann diese Übungszeit niemals ausreichen, alle für die eigene Partnerschaft wichtigen Themen zu Ende zu besprechen. Und selbst wenn dem so wäre: Partnerschaften sind nichts Statisches, nichts Unveränderbares. Im Gegenteil: Lebendige Partnerschaften brauchen die Veränderung. Dementsprechend verändern sich auch die vordringlichen Themen und Probleme einer Beziehung. Das allerdings bedeutet, dass faire offene Gespräche über alle diese die Beziehung betreffenden Inhalte eine »beziehungslange« Aufgabe für beide Partner sind und bleiben. Das heißt, dass die Paargespräche während eines EPL-Kurses, so intensiv und erlebnisreich sie normalerweise auch ablaufen, nur ein Anstoß zum Einüben der Regeln und eine gute Möglichkeit für das Sammeln erster positiver Erfahrungen darstellen. Die nächste Aufgabe der beiden Partner besteht darin, die Gesprächsregeln, die sie als wirkungsvoll und positiv erlebt haben, auch bei sich zu Hause anzuwenden, ihnen eine Chance gegenüber den alt gewohnten Kommunikationsfehlern einzuräumen und zumindest bei wichtigen Themen auch wirklich anzuwenden.
Dabei ist es ganz entscheidend, mit diesen Gesprächen nicht so lange zu warten, bis sich ein ganzer Berg von wichtigen Themen und Problemen angehäuft hat, so hoch, dass die beiden ihn beim besten Willen nicht mehr übersehen, geschweige denn wegschieben können. Diesen klärenden und problemlösenden Gesprächen sollte eine fest vereinbarte Zeit, am besten einmal wöchentlich, reserviert werden. Es muss dabei nicht jedes Mal ein gewichtiges Problem gelöst werden. Die Hauptsache ist, dass die Beziehung der beiden »im Gespräch bleibt«, »damit Liebe nicht auf der Zunge zergeht«.
Erst die »Regelmäßigkeit« solcher »regelgemäßer« Gespräche vermittelt die nötige Vertrautheit zwischen den Partnern, die eine Voraussetzung für Zufriedenheit in der Beziehung darstellt.