Entscheidung

Die Heilige Stadt war in Feststimmung.

Von allen hohen Gebäuden flatterten die Banner herab. Menschen säumten die Straßen und warfen Blumen vor die Edlen, die auf ihren Sänften zum Stadion getragen wurden. Es war ein hoher Festtag, und wer konnte an einem solchen schon Sorgen haben?

Einer, der sich allerdings Sorgen machte, traf in diesem Augenblick im Musterraum des Stadions ein. Die letzten Töne einer Glocke kündeten noch vom Erscheinen eines Erhabenen aus Tsuranuanni. Milamber schüttelte seine düstere Stimmung vorübergehend ab, als er den Musterraum verließ. Die Menge der Tsurani-Adligen, die darauf wartete, daß die Spiele begannen, teilte sich, um Milamber durch die Arkade zu den Plätzen der Magier gehen zu lassen. Er schaute sich unter den schwarzen Roben um und gewahrte Shimone und Hochopepa, die ihm einen Platz freigehalten hatten.

Sie grüßten sich, als er den Gang zwischen den Plätzen der Magier und denen der kaiserlichen Gruppe verließ und zu ihnen kam. Unten, m der Arena, kämpften ein paar vom zwergenähnlichen Volk der Tsubar – dem sogenannten Verlorenen Land jenseits des Blutigen Meeres – gegen große Insektenwesen. Sie ähnelten den Cho-Ja, waren aber ohne Verstand. Weiche Holzschwerter und im wesentlichen harmlose Bisse sorgten dafür, daß der Kampf mehr komisch als gefährlich aussah. Die einfachen Bürger und die kleinen Adligen, die schon auf ihren Plätzen saßen, lachten fröhlich und zufrieden. Diese Wettkämpfe hielten sie bei Laune, während die Großen und fast Großen darauf warteten, das Stadion zu betreten. In Tsuranuanni war es fast eine Tugend, zu spät zu kommen, wenn man erst eine gewisse soziale Stufe erreicht hatte.

Shimone sagte: »Es ist eine Schande, Milamber, daß du so lange gebraucht hast, um hierherzukommen. Vor einer kurzen Weile hat es einen wirklich feinen Kampf gegeben.«

»Ich dachte doch, das Töten würde erst später beginnen.«

Hochopepa, der in süßem Öl gekochte Nüsse kaute, sagte: »Richtig, aber unser Freund Shimone ist so etwas wie ein sachverständiger Liebhaber der Spiele.«

»Vorhin haben junge Offiziere aus adligen Familien mit Ausbildungswaffen bis zum ersten Blut gekämpft. So wollten sie ihre Geschicklichkeit zur Schau stellen und Ruhm und Ehre für ihre Clans erringen.«

»Ganz zu schweigen von den Früchten ziemlich gewagter Wetten«, fiel Hochopepa ein.

Ohne sich um die Bemerkung zu kümmern, fuhr Shimone fort: »Es gab einen lebhaften Kampf zwischen den Söhnen der Oronalmar und der Keda. Seit Jahren habe ich kein besseres Schauspiel mehr gesehen.«

Während Shimone den Kampf beschrieb, ließ Milamber seine Blicke wandern. Er konnte die kleinen Standarten der Keda, Minwanabi, Oaxatucan, Xacatecas und anderer großer Familien des Kaiserreiches sehen. Ihm fiel auf, daß das Banner der Shinzawai nicht darunter war, und er erkundigte sich danach. Hochopepa erklärte: »Du scheinst sehr beschäftigt, Milamber.«

Milamber nickte zustimmend. »Ehe ich heute zum Fest aufgebrochen bin, erhielt ich die Nachricht, daß eine Änderung der Grundsteuern und der Sklaverei aufgrund von Schulden im Hohen Rat eingebracht worden ist, und zwar gestern. Die Nachricht kam vom Herrn der Tuclamekla. Ich konnte beim besten Willen nicht verstehen, warum er sie mir sandte, bis ich ganz unten an eine Stelle kam, wo er mir dankte. Ich hätte die Konzepte für die soziale Reform vorgelegt. Ich war überrascht.«

Shimone lachte. »Wenn du als Schüler so langsam mit dem Kopf gewesen wärst, dann würdest du noch heute die weiße Robe tragen.«

Ausdruckslos erwiderte Milamber seinen Blick, und Hochopepa meinte: »Da gehst du her und wühlst mit deinen Reden vor der Versammlung alles auf, greifst ständig alle möglichen gesellschaftlichen Krankheiten an, und dann sitzt du benommen da, weil irgendwer da draußen dir zugehört hat?«

»Was ich zu unseren Mitbrüdern gesagt habe, war nicht für eine Diskussion außerhalb der Hallen der Versammlung bestimmt.«

»Wie unvernünftig. Irgend jemand aus der Versammlung hat mit einem Freund gesprochen, der eben kein Magier war!«

»Ich möchte gerne wissen, wie es kommt, daß diese Reformen, die der Hunzan-Clan dem Hohen Rat vorgelegt hat, deinen Namen tragen?«

Milamber schien sich nicht recht wohl in seiner Haut zu fühlen, sehr zum Entzücken seiner Freunde. »Einer der jungen Künstler, die an den Wänden meines Besitzes gearbeitet haben, ist ein Sohn der Tuclamekla. Wir haben über die Unterschiede zwischen der Kultur der Tsuranis und der des Königreichs gesprochen, und über soziale Werte, aber nur als Fortsetzung unserer Diskussionen über die verschiedenen Stilrichtungen in der Kunst.«

Hochopepa verdrehte die Augen gen Himmel, als suchte er eine göttliche Führung. »Als ich hörte, daß die Fortschrittspartei – die vom Hunzan-Clan beherrscht wird, der von der Tuclamekla-Famihe geleitet wird – dich als Inspiration angab, konnte ich meinen Ohren kaum trauen. Aber jetzt sehe ich, daß du tatsächlich überall deine Hände im Spiel hast.« Mit ironisch-ernstem Gesicht sah er seinen Freund an. »Sag mir, ist es richtig, daß die Fortschrittspartei ihren Namen ändern will? In Milamber-Par-tei?«

Shimone lachte, während Milamber Hochopepa einen düsteren Blick zuwarf. »Katala findet es amüsant, wenn ich mich über diese Dinge aufrege, Hocho. Und du kannst es ruhig auch lustig finden. Aber ich möchte öffentlich bekanntgeben, daß ich nicht wollte, daß dies geschieht. Ich habe einfach ein paar Beobachtungen und Meinungen ausgesprochen, und was der Hunzan-Clan und die Fortschrittspartei daraus machen, ist nicht meine Sache.«

Tadelnd meinte Hochopepa: »Ich fürchte, wenn eine so berühmte Persönlichkeit nicht wünscht, daß solche Dinge geschehen, dann muß sie sich den Mund zunähen lassen.«

Shimone lachte, und auch Milamber wurde allmählich wieder fröhlicher. »Also gut, Hocho«, sagte er. »Ich nehme die Schuld auf mich. Trotzdem, ich weiß nicht, ob das Kaiserreich schon für die Veränderungen bereit ist, die es meiner Ansicht nach braucht.«

»Wir haben deine Argumente schon früher gehört, Milamber, aber heute ist nicht der rechte Zeitpunkt, und dies ist nicht der rechte Ort für eine gesellschaftliche Diskussion. Kümmern wir uns lieber um die Dinge hier. Vergiß nicht, daß viele Mitglieder der Versammlung beleidigt sind, weil du dich für Dinge interessierst, die in ihren Augen politischer Natur sind. Und während ich dazu neige, deine Gedanken als erfrischend und progressiv anzusehen, vergiß du nicht, daß du dir unter ihnen Feinde schaffst.«

Trompeten und Trommeln erklangen und kündigten die Ankunft der kaiserlichen Gruppe an.

Jegliche Unterhaltung wurde dadurch unterbrochen. Die Tsubar-Leute und die Insektentiere wurden aus der Arena gejagt. Als alles leer war, eilten Arbeiter mit Harken herbei und glätteten den Sandboden. Der Ton der Trompeten wurde erneut vernommen, und die ersten Mitglieder des kaiserlichen Zuges tauchten auf. Es waren Herolde im kaiserlichen Weiß. Sie trugen lange, geschwungene Trompeten, die aus den Hörnern irgendwelcher großer Tiere angefertigt waren. Sie hatten sie um ihre Schultern gelegt. Ihnen folgten die Trommler, die ein stetiges Signal ertönen ließen.

Als sie vor der kaiserlichen Loge Aufstellung genommen hatten, trat die Ehrengarde des Kriegsherrn ein. Jeder der Männer trug Rüstung und Helm aus Needra-Haut, die so lange gebleicht worden war, bis sie jegliche Farbe verloren hatte. Brustpanzer und Helm eines jeden waren mit kostbarem Gold verziert. Milamber hörte Hochopepa wütend etwas über die Verschwendung dieses kostbaren Metalls murmeln.

Als sie auf ihren Plätzen waren, rief der älteste Herold: »Almecho, Kriegsherr!«, und die Menge erhob sich jubelnd. Er wurde von seinem Stab begleitet. Darunter waren ein paar Männer in schwarzer Robe – die Schoßmagier des Kriegsherrn, wie sie von den übrigen Mitgliedern der Versammlung genannt wurden.

Dann rief der Herold: »Ichindar! Einundneunzigmal Kaiser!« Die Menge brüllte freudig, als ›der junge Licht des Himmels‹ eintrat. Er war umgeben von Priestern aus jedem der zwanzig Orden. Die Menge jubelt wieder. Weiter und weiter ging es, und Milamber fragte sich, ob die Liebe des Tsurani-Volkes das ›Licht des Himmels‹ unterstützen würde, wenn es zu einer Konfrontation zwischen dem Kriegsherrn und dem Kaiser kommen sollte. Trotz der Liebe der Tsuranis zur Tradition glaubte er nicht, daß der Kriegsherr einfach von seinem Amt zurücktreten würde – etwas, was in der Geschichte noch nie dagewesen war! –, wenn der Kaiser es befahl.

Als der Lärm sich legte, sagte Shimone: »Es scheint so, Freund Milamber, als würde das faule Leben dem ›Licht des Himmels‹ nicht liegen. Kann ihm allerdings keinen Vorwurf daraus machen.

Es muß schrecklich langweilig sein, den ganzen Tag über nur herumzusitzen und als einzige Gesellschaft nur ein paar Priester und alberne Mädchen zu haben, die aufgrund ihrer Schönheit und nicht ihrer Klugheit ausgewählt worden sind.«

Milamber lachte. »Ich zweifle daran, daß die anderen Männer dir zustimmen würden.«

Shimone zuckte mit den Schultern. »Ich vergesse immer, daß du schon recht alt warst, als du mit der Ausbildung angefangen hast, und daß du auch eine Frau hast.«

Als er Ehefrauen erwähnte, sah Hochopepa schmerzlich berührt aus. Er unterbrach die beiden.

»Der Kriegsherr will etwas sagen.«

Almecho erhob sich und hielt beide Hände nach oben, Stille gebietend. Als alles im Stadion ruhig war, ertönte seine Stimme. »Die Götter lächeln auf Tsuranuanni! Ich bringe Kunde von einem großen Sieg über die Welt der Barbaren! Wir haben ihre größte Armee zerschlagen, und unsere Krieger feiern! Schon bald werden all die Länder, die zum Königreich gehören, dem Licht des Himmels zu Füßen gelegt werden.« Er wandte sich um und verneigte sich vor dem Kaiser.

Milamber verspürte einen schmerzhaften Stich bei diesen Worten. Ohne sich dessen bewußt zu werden, wollte er schon aufstehen, als Hochopepa ihn am Arm griff und zischte: »Du bist Tsurani!«

Milamber schüttelte das unerwartete Entsetzen ab und riß sich zusammen. »Danke, Hocho. Ich hätte mich fast vergessen.«

»Pst!« machte dieser.

Sie wandten ihre Aufmerksamkeit wieder dem Kriegsherrn zu. »…und als ein Zeichen unserer Ergebenheit dem Licht des Himmels gegenüber widmen wir diese Spiele seiner Ehre.« Ein Jubeln ging durch die Arena, und der Kriegsherr setzte sich.

Leise sprach Milamber mit seinen Freunden. »Scheint so, als wäre der Kaiser nicht sonderlich erfreut über die Neuigkeiten.« Hochopepa und Shimone sahen sich nach dem Kaiser um, der mit stoischem Gesichtsausdruck in seiner Loge saß.

Hochopepa sagte: »Er verbirgt es gut, Milamber, aber ich glaube, du hast recht. Irgend etwas bei alldem beunruhigt ihn.«

Shimone tippte Milamber auf die Schulter. »Die Spiele beginnen.«

Als sich die Türen zur Arena öffneten, um die Wettkämpfer einzulassen, studierte Milamber den Kaiser. Er war jung, Anfang Zwanzig, und strahlte Intelligenz aus. Seine Stirn war hoch, sein rötlichbraunes Haar reichte ihm bis auf die Schultern. Er drehte sich in Milambers Richtung, um mit einem Priester an seiner Seite zu sprechen. Milamber konnte seine klaren, grünen Augen in der Sonne blitzen sehen. Einen Augenblick stellten die Männer einen Blickkontakt her, und Milamber dachte: Also wißt Ihr von meiner Aufgabe in Eurem Plan, denn die Augen des Kaisers zuckten kurz. Er fuhr jedoch ohne Pause in seiner Unterhaltung fort, und niemand sonst bemerkte den kurzen Austausch.

Hochopepa sagte: »Dieser Kampf dauert so lange, bis nur noch einer steht. Er wird dann für seine Verbrechen begnadigt.«

»Und was für Verbrechen haben sie begangen?« fragte Milamber.

Shimone antwortete. »Die üblichen. Kleine Diebstähle, Betteln ohne Erlaubnis durch die Kirche, Falschaussagen, Steuerunterschlagungen und so weiter.«

»Und was ist mit Kapitalverbrechen?«

»Mord, Verrat, das Schlagen seines Herrn, das sind alles Verbrechen, die nicht verziehen werden können.« Seine Stimme hob sich, um den Lärm der Menge zu übertönen. »Sie werden mit Kriegsgefangenen zusammengebracht, die nicht bereit sind, als Sklaven zu dienen. Sie sind dazu verurteilt zu kämpfen und zu kämpfen, bis sie tot sind.«

Eine Gruppe von Wachsoldaten verließ die Arena und überließ sie den Gefangenen. Hochopepa sagte: »Gewöhnliche Verbrecher. Das wird keinen großen Spaß geben.«

Seine Bemerkung schien sich gleich darauf zu bewahrheiten, denn die Gefangenen waren ein armseliger Haufen. Abgesehen von ihren Lendenschurzen waren sie nackt. Sie hatten Waffen und Schilde in den Händen, die ihnen fremd waren. Viele von ihnen waren alt und krank. Sie waren anscheinend verwirrt, denn sie hielten ihre Streitäxte, Schwerter und Speere locker an der Seite.

Eine Trompete verkündete den Beginn des Wettkampfs, und die Alten und Kranken wurden schnell getötet. Ein paar von ihnen hatten ihre Waffen überhaupt nicht erhoben. Sie waren so verwirrt, daß sie gar nicht daran dachten, sich zu verteidigen und zu versuchen, am Leben zu bleiben. Innerhalb weniger Minuten lag die Hälfte der Gefangenen tot oder sterbend im Sand. Jetzt wurde alles langsamer, denn die Kämpfenden sahen sich Gegnern von gleichen Fähigkeiten gegenüber. Langsam wurden es immer weniger, und die ausgelassene Art des Kampfes änderte sich. Gelegentlich, wenn ein Gegner fiel, blieb ein Kämpe neben einem anderen, kämpfenden Paar stehen. Oft endete das in einem Kampf nach drei Seiten, was der Pöbel mit lautem Jubeln begrüßte, denn das resultierte dann in einem Übermaß an Blutvergießen und Schmerz.

Zum Schluß blieben noch drei Kämpfer übrig. Zwei von ihnen hatten ihren Streit zu keinem Ende bringen können. Beide standen am Rande der Erschöpfung. Der dritte Mann näherte sich ihnen vorsichtig, hielt zu beiden den gleichen Abstand und wartete auf seinen Vorteil.

Den sollte er ein paar Sekunden später auch bekommen. Er benutzte Messer und Schwert und machte einen Satz nach vorne. Dann versetzte er einem der beiden Streitenden einen Schlag an die Schläfe, der ihn stürzte. Shimone sagte: »Dieser Idiot! Hat der denn nicht gesehen, daß der andere Mann der kräftigere Kämpfer ist? Er hätte warten sollen, bis ein Mann wirklich im Vorteil ist, ihn dann angreifen und auf diese Weise dafür sorgen, daß er dem schwächeren Gegner gegenübertreten muß.«

Milamber bebte. Shimone, sein ehemaliger Lehrer, war nach Hochopepa sein bester Freund.

Doch trotz all seiner Bildung, seiner Weisheit schrie er nach dem Blut von anderen, als wenn er der dümmste Bürger auf dem einfachsten Platz wäre. Sosehr er es auch versuchte, Milamber konnte den Enthusiasmus der Tsuranis für den Tod anderer nicht teilen. Er wandte sich an Shimone und sagte:

»Ich bin sicher, er war ein wenig zu beschäftigt, um sich noch mit den feineren Punkten der Taktik zu befassen.« Doch Shimone entging seine Ironie, so sehr konzentrierte er sich auf den Kampf.

Milamber bemerkte, daß Hochopepa sich nicht um den Wettkampf kümmerte. Statt dessen registrierte der Magier jede Unterhaltung in den Rängen: Für ihn waren die Spiele nur eine weitere Gelegenheit, um die Aspekte des Spiels des Rates zu untersuchen. Milamber wurde von dieser Nichtachtung des Todes und des Leids in der Arena ebenso beunruhigt wie von Shimones Enthusiasmus.

Der Kampf war schnell vorüber. Sieger blieb der Mann mit dem Messer. Die Menge umjubelte ihn. Münzen wurden in den Sand geworfen, damit der Sieger mit einer kleinen Summe in die Gesellschaft zurückkehren konnte.

Während die Arena gesäubert wurde, rief Shimone einen Herold herbei und erkundigte sich nach den restlichen Kämpfen. Dann wandte er sich, offensichtlich erfreut über die Neuigkeiten, den anderen zu. »Nur noch ein paar gleichstarke Kämpfer, dann zwei besondere Kämpfe, eine Gruppe Gefangene gegen einen hungrigen Harulth, und dann ein Kampf zwischen Soldaten aus Midkemia und gefangenen Thuril-Kriegern. Das wird bestimmt interessant.«

Milambers Ausdruck verriet, daß er dem nicht zustimmte. Er hielt den richtigen Zeitpunkt für gekommen und fragte: »Hocho, hast du schon ein Mitglied der Shinzawai-Familie gesehen?«

»Nein, Milamber. Aber das hatte ich auch nicht erwartet.«

»Warum nicht?«

»In letzter Zeit ist der Kriegsherr ihnen nicht sehr wohl gesonnen. Hat was damit zu tun, daß sie die eine oder andere Aufgabe, die er ihnen übertragen hatte, nicht richtig erfüllt haben. Und ich habe gehört, daß sie als verdächtig gelten, obwohl sie kürzlich wieder dem Krieg beigetreten sind.

Der Kanazawai Clan hängt seinen vergangenen glorreichen Taten nach, und die Shinzawai sind die altmodischsten von allen überhaupt.«

Den ganzen Nachmittag hindurch zogen sich die Kämpfe hm. Ein jeder war kunstvoller als der vorhergehende, denn die Geschicklichkeit der Gegner nahm immer weiter zu. Bald war auch das letzte Paar fertig. Jetzt wartete die Menge gespannt und schweigend. Nicht einmal die Edlen sagten noch etwas, denn das kommende Ereignis war ungewöhnlich. Eine Gruppe von zwanzig Kämpfern, ihrer Größe nach stammten sie aus Midkemia, marschierte in die Arena, genau bis zur Mitte. Sie trugen Taue, Netze, Speere und lange, geschwungene Messer. Sie hatten nur Lendenschurze an, und ihre geölten Körper glänzten in der späten Nachmittagssonne. Sie wirkten ganz entspannt, als sie da standen, aber die Soldaten in der Menge erkannten die unterschwelligen Zeichen von Anspannung, wie sie jeder Kämpfer ausstrahlt, ehe er in die Schlacht zieht. Nach einer Minute wurde das große Tor am anderen Ende des Stadions geöffnet, und ein sechsbeiniges Geschöpf stürmte in die Arena.

Entsetzen verbreitete sich.

Der Harulth bestand nur aus langen Zähnen und scharfen Klauen, dazu hatte er eine trotzige Haltung und eine Haut wie eine Rüstung. Er war fast so groß wie ein Elefant aus Midkemia. Er zögerte nur so lange, um einmal ins Licht zu blinzeln. Dann griff er die Gruppe vor sich an.

Die Männer stoben vor der Kreatur auseinander und versuchten sie zu verwirren. Der Harulth verfolgte einen unglücklichen Mann. Mit drei riesigen Schritten hatte er den Mann unter sich zermalmt und verschlang ihn gierig. Dann würgte er ihn in zwei Bissen hinunter. Die anderen versammelten sich hinter dem Tier und breiteten hastig die Netze aus. Der Sechsfüßler wirbelte herum, schneller, als man es bei dieser riesigen Gestalt für möglich gehalten hätte, und griff erneut an. Diesmal warteten die Männer bis zum letzten Augenblick, warfen ihre Netze aus und spritzten davon. In den Netzen waren Haken befestigt, die sich in der dicken Haut des Tieres festhängen sollten. Es trat darauf, und gleich darauf zerfetzte es den Stoff. Während es damit beschäftigt war, rannten die Speerträger herbei, um anzugreifen. Der Harulth war verwirrt. Er wußte nicht genau, woher sein Schmerz rührte. Die Speere erwiesen sich als unwirksam, denn sie konnten die dicke Haut des Tieres nicht durchdringen. Einer der Kämpfer erkannte die Nutzlosigkeit der Sache, packte einen anderen am Arm und zeigte auf den Rücken der Kreatur. Sie hasteten zu ihrem Schwanz zurück, der mit der Kraft eines Rammbocks über den Boden fuhr, hin und her, hin und her.

Einen Augenblick berieten sie miteinander. Dann ließen sie ihre Speere fallen, als sie sahen, daß sich das Geschöpf für ein Ziel entschieden hatte. Es sauste vorwärts und hatte auch schon einen anderen Mann in seinem Maul. Einen Augenblick lang war es ruhig, während es seine Beute verschlang. Die beiden Männer liefen von hinten nach vorne und sprangen hoch auf den Schwanz des Tieres. Zuerst schien es sie gar nicht zu bemerken, doch dann wirbelte es heftig herum und warf den zweiten Mann ab. Kaum war es ganz herum, da blieb es stehen, um den benommenen Kämpfer zu verschlucken. Dem anderen gelang es irgendwie, sich festzuklammern. Er nutzte die wenigen Augenblicke, die der Harulth benötigte, um seinen Kameraden zu fressen, indem er sich auf dem Schwanz weiter bis zu den Keulen hinaufzog. Er holte aus und hieb ihm sein langes Messer zwischen zwei Wirbel. Es war ein verzweifeltes Spiel, und die Menge im Stadion brüllte beifällig.

Das Messer durchdrang den festen Knorpel zwischen den Knochenteilen und bohrte sich m die Wirbelsäule. Die Kreatur kreischte wütend auf, wollte sich drehen, und drohte den unerwünschten Reiter abzuwerfen. Aber schon brach ihr hinterstes Beinpaar zusammen. Einen Moment stand der Harulth verblüfft da, während die beiden vorderen Beinpaare sich gegen das Gewicht des Hinterteils stemmten. Zweimal versuchte er vergebens, nach seinem kleinen Quälgeist zu schnappen, aber sein dicker Hals erwies sich hierfür als ungeeignet. Der Mann zog die Klinge heraus und kroch auf dem Rückgrat entlang nach vorne, während die überlebenden Speerwerfer hin und her liefen, um das Tier abzulenken. Dreimal wurde der Mann fast vom Rücken des Tieres geschleudert, aber irgendwie gelang es ihm immer wieder, seine Position zu halten. Als er ein Stückchen vor dem mittleren Beinpaar kniete, hieb er seine Klinge erneut zwischen die Wirbel.

Einen Augenblick später brachen auch die zentralen Beine zusammen, und der Mann wurde vom Rücken des Ha-rulths geworfen. Das Geschöpf schrie vor Wut und Schmerz auf, aber es war unbeweglich gemacht worden. Die Kämpfer wichen zurück und warteten. Zwei Treffer in die Wirbelsäule erwiesen sich als ausreichend. Der Harulth fiel um, zuckte noch ein paarmal mit den Vorderbeinen und lag dann ganz still.

Die Menge brüllte begeistert. Noch nie war es einer Gruppe von Kämpfern gelungen, einen Harulth zu besiegen, ohne nicht mindestens fünfmal so viele Männer verloren zu haben. In diesem Kampf waren nur drei gestorben. Die Kämpfer standen herum. Vor Erschöpfung fielen ihnen die Waffen aus den schlaffen Fingern. Der Kampf hatte nicht einmal zehn Minuten gedauert, aber der Aufwand an Energie, Konzentration, Schweiß und Angst hatte jeden Mann an den Rand der Erschöpfung gebracht. Benommen, ohne sich um das Jubeln der Menge zu kümmern, taumelten sie auf den Ausgang zu. Nur der Mann, der das Tier tatsächlich getötet hatte, zeigte seine Erregung. Er weinte, als er durch den Sand schritt.

»Warum, glaubst du, ist dieser Mann so traurig?« fragte Shimone. »Es war ein großer Triumph.«

Milamber zwang sich, ruhig zu antworten. »Weil er erschöpft ist und Angst hat, und weil ihm das Übelkeit verursacht.« Und sanfter fügte er hinzu: »Und er ist sehr weit fort von daheim.« Er schluckte hart und kämpfte gegen seinen Zorn an. »Er weiß, daß es umsonst ist. Wieder und wieder wird er in diese Arena marschieren, und früher oder später wird er sterben.« Hochopepa starrte Milamber an, und Shimone schien verwirrt. »Hätte ich nicht Glück gehabt, wäre ich vielleicht einer von denen da unten«, fügte Milamber hinzu. »Die dort gekämpft haben, sind Männer. Sie hatten Familien und Heime, sie haben geliebt und gelacht. Jetzt warten sie darauf, zu sterben.«

Hochopepa winkte ab. »Milamber, du hast eine erschreckende Art, alles persönlich zu nehmen.«

Milamber fühlte sich unwohl und war wütend über das blutige Schauspiel, er zwang sich aber, diese Gefühle zu unterdrücken. Er war entschlossen, hierzubleiben. Er würde ein Tsurani sein.

Der Sand wurde gesäubert. Wieder erklangen die Trompeten und kündigten den letzten Kampf des Nachmittags an. Ein Dutzend stolz dreinblickender Krieger in ledernen Rüstungen, die Gelenkschützer mit Nieten besetzt und mit Federkopfputz in bunten Farben, schritten aus einer Ecke der Arena herbei. Milamber hatte noch nie solche Menschen in natura gesehen. Er erkannte aber ihre Kleidung nach der Erscheinung, die er auf dem Turm gehabt hatte. Sie waren Nachkommen der stolzen Schlangenreiter, die Thuril. Aus jedem Gesicht, aus den harten Augen sprach grimmige Entschlossenheit.

Vom anderen Ende marschierten zwölf Krieger in farbenprächtigen Imitationen der Rüstungen aus Midkemia auf. Ihre eigenen Metallrüstungen waren als zu wertvoll und zu langweilig für den Wettkampf angesehen worden, und so hatten Tsurani-Künstler diese Nachbildungen angefertigt.

Die Thuril standen reglos und betrachteten die Neuankömmlinge voll Verachtung. Von allen menschlichen Rassen hatten nur die Thuril dem Kaiserreich widerstehen können. Sie waren unbestritten die besten Bergkämpfer in Kelewan, und ihre Bergfestungen und das hochgelegene Weideland waren nicht zu erobern gewesen. Sie hatten das Kaiserreich jahrelang in Schach gehalten, bis der Frieden erklärt worden war. Sie alle waren groß. Das war das Ergebnis ihrer Politik, sich nicht mit den kleineren Rassen Kelewans zu verbinden, die sie als minderwertig ansahen.

Wieder erklangen die Trompeten, und Schweigen senkte sich auf die Menge. Mit klarer Stimme verkündete ein Herold: »Da diese Soldaten der Thuril-Konföderation den Vertrag verletzt haben, indem sie Krieg gegen die Soldaten des Kaisers führten, sind sie von ihrem eigenen Volk ausgestoßen worden. Man hat sie Gesetzlose genannt und sie uns zur Bestrafung überstellt. Sie werden gegen die Gefangenen aus Midkemia kämpfen, und zwar so lange, bis nur noch ein Mann stehen bleibt.« Die Menge jubelte.

Die Trompete erklang, und die Kämpfer nahmen ihre Plätze ein. Die Männer aus Midkemia duckten sich und hielten die Waffen bereit. Die Thuril aber standen aufrecht, mit trotzigem Ausdruck im Gesicht. Ein Thuril schritt vor und blieb vor dem nächsten Mann aus Midkemia stehen. In verächtlichem Ton sprach er hastig auf ihn ein und umfaßte mit einer ausholenden Armbewegung die ganze Arena.

Milamber fühlte, wie heiße Wut in ihm aufstieg, gepaart mit Scham über das, was er da mit ansehen mußte. Es gab Spiele in Midkemia – er hatte davon gehört –, aber sie waren nicht so wie das hier. Die Männer, die in Krondor und anderen Städten des Königreichs kämpfen, waren Professionelle, die sich ihren Lebensunterhalt damit verdienten, zu kämpfen, bis das erste Blut floß.

Gelegentlich wurde auch ein Duell bis zum Tode ausgefochten, aber dann handelte es sich immer um eine persönliche Angelegenheit, nachdem alle anderen Mittel, den Disput zu beenden, erschöpft worden waren. Doch das hier war eine sinnlose Vergeudung von Menschenleben. Es diente nur zur Unterhaltung der Gelangweilten und der Gesättigten, die auf der Suche nach immer lebhafteren Erinnerungen daran waren, daß ihr eigenes Leben etwas wert war. Milamber sah sich um und empfand Abscheu angesichts der Gesichtsausdrücke derjenigen, die in seiner Nähe saßen.

Der Thuril-Krieger redete weiter, während die Männer aus Midkemia zusahen. Irgend etwas in ihrer Haltung deutete auf eine veränderte Stimmung hin. Anfangs waren sie angespannt gewesen und bereit zum Kampf. Jetzt schienen sie fast beruhigt, als der Thuril auf die versammelte Menge wies.

Dann trat ein Midkemianer vor, groß und breitschultrig, und er schien etwas sagen zu wollen.

Der Thuril riß sofort das Schwert hoch, bereit zum Schlag. Eine Stimme erklang von hinten. Ein anderer Krieger sagte etwas in beruhigendem Ton. Der erste Thuril wurde sichtbar ruhiger.

Der Midkemianer setzte langsam seinen Helm ab und enthüllte ein müdes, eingefallenes, von feuchtem, strähnig-schwarzem Haar umrahmtes Gesicht. Er sah sich in der Arena um, während die Menge langsam zu flüstern anfing. Ein Murren über das unerwartete Verhalten der Soldaten hob an, und schließlich nickte der Mann aus Midkemia kurz. Er ließ sein Schwert und seinen Schild fallen und sprach dann mit seinen Kameraden. Schnell folgten die anderen Kämpfer in der Arena seinem Beispiel, und bald darauf lagen alle Waffen im Sand.

Milamber staunte über dieses merkwürdige Benehmen, aber Shimone sagte: »Das wird ein böses Ende nehmen. Die Thuril kämpfen nicht gegeneinander, und wie es scheint, auch nicht gegen die Barbaren. Ich habe einmal gesehen, wie sechs Thuril jeden getötet haben, der sich gegen sie stellte, sich dann aber weigerten, sich gegenseitig umzubringen. Als die Wachen kamen, um sie zu töten, kämpften sie und trieben sie zurück. Zum Schluß mußten sie von Bogenschützen auf der Mauer erschossen werden. Es war eine Schande. Die Menge brüllte und tobte, und der Direktor der Spiele wurde m Stücke gerissen. Mehr als einhundert Bürger sind damals gestorben.«

Milamber empfand Erleichterung: Zumindest würde es ihm erspart bleiben, zusehen zu müssen, wie sich Katalas Volk und sein eigenes bekämpften. Doch da fing die Menge auch schon an, ihren Mißmut über die zögernden Wettkämpfer hinauszuschreien.

Hochopepa stieß Milamber in die Seite. »Der Kriegsherr scheint alles andere als froh darüber zu sein.«

Milamber bemerkte das wütende Gesicht des Kriegsherrn, als dieser zusehen mußte, wie seine Vorstellung für den Kaiser begann, sich in eine Farce zu verwandeln. Langsam erhob sich Almecho von seinem Platz in der Nähe des Lichts des Himmels und bellte: »Laßt den Kampf beginnen!«

Untersetzte Wachen, die als Helfer des Direktors der Veranstaltung arbeiteten, rannten in die Arena und schwenkten dabei ihre Peitschen. Sie umringten die reglosen Kämpfer und fingen an, auf sie einzuschlagen. Milamber fühlte, wie sein Zorn wuchs, als er mit ansehen mußte, wie sie an Armen und Beinen die ungeschützte Haut der Soldaten aus Thuril und Midkemia blutig schlugen.

Ihm selbst war die Peitsche seit seiner Sklavenzeit im Sumpf nicht fremd, und er kannte ihre schreckliche Berührung. Er spürte jeden Schlag, den die Männer unten im Sand empfingen, wie auf seinem eigenen Körper.

Die Menge wurde unruhig. Sie war nicht gekommen, um zuzusehen, wie reglose Männer ausgepeitscht wurden. Buhrufe hagelten auf die Männer in der kaiserlichen Loge herab, und ein paar kühne Seelen warfen Abfall und kleine Münzen in die Arena und zeigten so, was sie von diesem Sport hielten. Schließlich wurde einer der Handlanger ungeduldig. Er trat vor einen Thuril-Krieger hin und hieb ihm mit dem Griff seiner Peitsche über das Gesicht. Ehe der Mann reagieren konnte, sprang der Thuril vor, riß dem überraschten Mann die Peitsche aus der Hand und schlang sie augenblicklich um seine Kehle.

Die anderen Helfer wandten ihre Aufmerksamkeit dem Krieger zu, der ihren Kameraden angegriffen hatte, und fingen an, wütend auf ihn einzupeitschen. Nach ungefähr einem Dutzend Schlägen fing der Thuril an zu schwanken und fiel auf die Knie. Aber noch immer hielt er die Peitsche fest und würgte den keuchenden Mann. Weiter hagelten die Hiebe auf den Thuril herab, bis seine ganze Rüstung blutüberströmt war. Aber noch immer hielt er sein Opfer fest.

Als der Handlanger tot war und die Augen aus dem blauen Gesicht hervortraten, verließ auch den Thuril seine letzte Kraft. Kaum lag die schlaffe Gestalt des Handlangers im Sand, da fiel auch schon der Thuril-Krieger neben ihn.

Es war ein Soldat aus Midkemia, der zuerst reagierte. Mit kalter Entschlossenheit hob er einfach ein Schwert auf und durchbohrte einen der Handlanger. Und dann hatten plötzlich alle Soldaten aus Thuril und Midkemia Waffen in den Händen, und innerhalb einer Minute waren alle Helfer tot. Und wieder – wie ein Mann – legten die Gefangenen ihre Waffen zu Boden.

Milamber kämpfte mit sich, um angesichts eines solchen Schauspiels ruhig zu bleiben. Er empfand nichts als Bewunderung für diese Männer. Sie wollten lieber sterben als einander niedermetzeln. Möglicherweise waren ein paar von ihnen vor so vielen Jahren mit ihm zusammen durch das Tal geritten, wo sie die Spaltmaschine entdeckt hatten. Nach außen hin blieb er ruhig, ein Tsurani, aber innerlich kochte er.

Hochopepa flüsterte: »Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei. Almecho wollte mit den Spielen des heutigen Tages seine Stellung beim Kaiser verbessern, aber das scheint ihm nicht zu gelingen. Ich fürchte, er wird das Zögern deiner ehemaligen Landsleute nicht gut zu tragen wissen. Sie müssen sterben, zur Unterhaltung des Lichts des Himmels.«

Milamber spie ihm entgegen: »Zur Hölle mit dieser Art von Unterhaltung.« Mit brennenden Augen sah er Hochopepa an, der einen solchen Ausdruck bei dem Magier noch nie zuvor gesehen hatte. Milamber stand halb auf, als er hinzufügte: »Und zum Teufel mit all denen, die Vergnügen an solch blutigem Sport haben.«

Hochopepa ergriff seinen Arm und versuchte, ihn wieder auf seinen Platz zurückzuziehen.

»Milamber, beruhige dich doch!«

Milamber riß sich los.

Er und seine Freunde schauten zur kaiserlichen Loge hinüber, wo ein Leutnant der Wache sich mit dem Kriegsherren beriet. Milamber spürte eine seltsame Hitze in sich aufwallen. Er kämpfte einen Augenblick gegen den plötzlichen Impuls an, seine ganze Kraft einzusetzen, um den Kriegsherrn mitten zwischen die da unten zu stellen. Er hätte gern gesehen, wie er sich gegenüber denen ausnahm, die sich weigerten, auf seinen Befehl hin in Würde zu sterben.

Dann ertönte Almechos Stimme und brachte alle anderen zum Schweigen. »Nein, keine Bogenschützen. Diese Tiere werden nicht den Tod eines Kriegers erleiden.« Er wandte sich an einen seiner Schoßmagier und erteilte Anweisungen. Der schwarz-gewandete Mann nickte und fing zu murmeln an. Milamber fühlte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten, als er die Gegenwart von Magie spürte.

Ehrfürchtige Erwartung legte sich über das Stadion, als diejenigen im Sand unten benommen in einem Nebel umherrollten.

Der Kriegsherr rief: »Jetzt geht und fesselt sie, baut ein Gerüst und hängt sie, und alle sollen zusehen können!«

Betäubtes Schweigen folgte seinen Worten, dann erklangen Rufe: »Nein!« – »Es sind doch Krieger!« – »Das ist ehrlos!« Die Menge tobte.

Hochopepa schloß die Augen und seufzte hörbar. Er sprach zu sich ebenso wie zu seinen Freunden. »Wieder einmal läßt der Kriegsherr sein berühmtes Temperament die Oberhand gewinnen. Wir haben ein Debakel vor uns. Das wird weder seine Stellung im Hohen Rat festigen, noch dem Kaiserreich nutzen.«

Wie ein wütendes Tier drehte sich der Kriegsherr um, und alle in seiner Nähe verstummten. Aber andere, die weiter entfernt waren, nahmen die Schreie auf. Nach Tsurani-Art war das zu empörend.

Nur Männer ohne Ehre konnten einer solchen Behandlung unterworfen werden. Obwohl sie das Vergnügen des Pöbels gestört hatten, hatten die Gefangenen doch auch gezeigt, daß sie noch immer Kämpfer waren, und als solche verdienten sie einen ehrenvollen Tod.

Hochopepa wandte sich um, um etwas zu Milamber zu sagen. Er unterließ es aber, als er das Gesicht seines Freundes sah. Milambers Zorn war jetzt für jedermann zu erkennen, und er stand dem des Kriegsherrn in nichts nach. Hochopepa spürte, daß etwas Entsetzliches geschehen würde.

Er wollte Shimone darauf aufmerksam machen und mußte feststellen, daß dieser Milambers furchterregendes Gesicht ebenso stumm beobachtete. Alles, was Hochopepa hervorbringen konnte, war ein leises: »Milamber, nein.« Dann bewegte sich der ehemalige Sklave und jetzige Magier auch schon.

Er rauschte an dem entsetzten Hochopepa vorüber und sagte nur: »Sorgt für die Sicherheit des Kaisers.« Eine Flut von Emotionen, die jahrelang in ihm verschlossen gewesen waren und sich jetzt befreit hatten, trieb Milamber vorwärts. Er war sich plötzlich einer Tatsache gewiß. Ich bin kein Tsurani! gestand er sich selbst ein. Niemals kann ich an so etwas teilnehmen. Zum erstenmal, seit er in die schwarze Robe geschlüpft war, waren seine beiden Naturen im Einklang miteinander. Dies hier war nach beiden Kulturen unwürdig, und er hatte keine Zweifel daran, daß er etwas tun mußte.

Abgesehen von jenen in der kaiserlichen Loge war die gesamte Menge am Singen: »Das Schwert, das Schwert, das Schwert.«

Damit verlangten sie für jeden Mann da unten, daß er wie ein Krieger sterben durfte. Der Rhythmus wurde zu einem dröhnenden Pulsschlag für Milamber und verstärkte noch seine Wut.

Als er eine Stelle zwischen den Magiern und der kaiserlichen Loge erreicht hatte, betrachtete Milamber die Soldaten und Schreiner, die in die Arena eilten. Die betäubten Midkemianer und Thuril wurden wie Tiere vor dem Schlachten gebunden, und der Zorn der Menge erreichte eine gefährliche Stufe. Ein paar der jüngeren Offiziere aus adligen Familien, die in den unteren Reihen des Stadions saßen, schienen bereit, ihre Waffen zu zücken und in den Sand zu springen, um persönlich für das Recht der Gefangenen auf einen ehrenvollen Tod zu kämpfen. Sie waren tapfere Krieger gewesen, und viele unter den Zuschauern hatten sowohl gegen Thuril als auch gegen Soldaten des Königreiches gekämpft. Sie würden diese Männer jederzeit auf dem Schlachtfeld töten, aber sie wollten nicht zusehen, wenn ihre tapferen Feinde beleidigt wurden.

Eine Welle von Zorn, Abscheu und Mitleid schlug in Milamber hoch. Sein Geist schrie auf, sosehr er sich auch bemühte, sich zu beherrschen. Sein Kopf fiel nach hinten, seine Augen rollten in dem Kopf, und wie schon zweimal zuvor in seinem Leben tauchten feurige Lettern vor seinem geistigen Auge auf. Aber nie zuvor hatte er die Kraft gehabt, den Augenblick zu packen. Von einer nahezu animalischen Freude erfüllt, tauchte er ein in diesen neuen Quell der Macht. Sein rechter Arm kam vor, und Energie explodierte aus seiner Hand. Eine blaue Flamme schoß hervor, wirbelte nach unten und schlug in den Sand zwischen den Wachtposten des Kriegsherrn. Lebende Männer wurden nach allen Seiten geschleudert. Diejenigen, die gerade mit dem Material für das Schafott eintraten, wurden in die Knie gezwungen, und diejenigen auf den niederen Plätzen waren wie betäubt von seiner Wut. Jeglicher Lärm in der Arena hörte abrupt auf, und die Menge verfiel in stummes Entsetzen.

Alle Augen wandten sich dem Ursprung des Blitzes zu, während sich diejenigen in seiner Nähe instinktiv zurückzogen. Sein Gesicht war rot vor Zorn, das Weiß seiner Augen zeigte sich um schwarze Pupillen. Mit einer knappen Bewegung der einen Hand sagte der Magier: »Das reicht!«

Außer Hochopepa und Shimone rührte sich niemand. Sie hatten keine Ahnung, was Milamber beabsichtigte, aber angesichts seiner Handlung nahmen sie seinen Befehl ernst. Sie eilten zu dem halb betäubten, halb faszinierten jungen Kaiser hinüber, der wie alle anderen im Stadion in die Arena starrte. Hastig berieten sie sich mit Ichindar, und einen Augenblick später war der Sitz des Kaisers leer.

Milamber schaute nach links, als dort ein wütendes Gebrüll erklang. »Wer wagt es!«

Milamber sah sich dem Kriegsherrn gegenüber, der wie ein wütender Halbgott in seiner weißen Rüstung vor ihm stand. Sein Ausdruck stand dem Milambers in nichts nach.

»Ich wage es!« rief Milamber zurück. »Das kann und darf nicht geschehen! Nie mehr werden Männer zur Unterhaltung anderer sterben!«

Almecho, der Kriegsherr der Nationen von Tsuranuanni, konnte sich nur mühsam beherrschen.

Er schrie: »Mit welchem Recht tut Ihr so etwas!« Die Muskeln seines Nackens traten deutlich hervor, und jede Faser seines Körpers bebte, als Schweiß auf seine Stirn trat.

Milamber senkte die Stimme, und seine Worte kamen beherrscht, doch waren sie von Trotz und Zorn erfüllt. »Mit dem Recht zu tun, was ich für angebracht halte.« Dann wandte er sich an einen Wachtposten in der Nähe. »Die Männer in der Arena sollen losgebunden werden. Sie sind frei!«

Der Mann zögerte einen Moment, doch dann gewann seine Ausbildung in ihm die Oberhand.

»Euer Wille geschehe, Erhabener.«

Der Kriegsherr brüllte: »Du bleibst hier!«

Die Menge holte zischend Luft. In der ganzen Geschichte des Kaiserreichs hatte es noch niemals eine solche Konfrontation zwischen Erhabenem und Kriegsherrn gegeben. Der Posten blieb stehen, aber Milamber schnaubte: »Meine Worte sind Gesetz. Geh!«

Plötzlich setzte sich der Wachtposten in Bewegung, und der Kriegsherr brüllte vor Wut. »Ihr brecht das Gesetz! Niemand darf einen Sklaven befreien!«

Milambers Wut brodelte wieder erneut, und er brüllte zurück: »Ich kann es! Ich stehe außerhalb des Gesetzes!«

Der Kriegsherr wich zurück, als hätte man ihm einen unsichtbaren Schlag versetzt. In seinem ganzen Leben hatte noch niemand versucht, so gegen seinen Willen anzugehen. Kein Kriegsherr in der Geschichte war gezwungen gewesen, diese öffentliche Beschämung zu ertragen. Er schien wie benommen.

In der Nähe des Kriegsherrn sprang ein anderer Magier auf. »Ich erkläre dich zum Verräter. Du bist ein falscher Erhabener. Du suchst die Herrschaft des Kriegsherrn zu untergraben und Chaos in die Ordnung des Kaiserreichs zu bringen. Du wirst diese Frechheit widerrufen.«

Sofort breitete sich große Aktivität aus, denn alle in der Nähe versuchten, außer Reichweite der beiden Magier zu kommen. Milamber betrachtete den Liebling des Kriegsherrn. »Heißt das, du willst deine Kräfte mit den meinen messen?«

Der Kriegsherr sah Milamber an, und blanker Haß stand in seinem Gesicht. Er wandte den Blick nicht von dem jungen Magier, als er zu seinem Lieblingsmeister sagte: »Zerstöre ihn!«

Milambers Arm schoß empor, dann der andere, und sie kreuzten sich an den Handgelenken.

Augenblicklich umgab ihn ein weiches, goldenes Licht. Der andere Magier schleuderte einen Energieblitz, aber der blaue Feuerball verglühte harmlos an dem goldenen Schild.

Milamber erstarrte. Er erstickte fast vor Zorn. Zweimal in seinem Leben – als die Trolle ihn angriffen und als er mit Roland kämpfte – hatte er in einen verborgenen Quell der Macht gegriffen.

Jetzt schob er die letzten Barrieren beiseite, die sein Bewußtsein von diesen verborgenen Reserven trennten. Das war kein Geheimnis mehr für ihn, sondern der Brunnen all seiner Kraft und Macht.

Zum erstenmal begriff Milamber voll, was er wirklich war, wer er war: keine Schwarze Robe, eingeschränkt durch die alten Lehren einer einzigen Welt, sondern ein Anhänger der Größeren Kunst, ein Meister im vollen Besitz aller Energie, die die beiden Welten ihm geben konnten.

Der Magier des Kriegsherrn betrachtete ihn voll Furcht. Da stand mehr als nur ein barbarischer Magier. Da stand eine ehrfurchtgebietende Gestalt, die Arme emporgereckt, der Körper vor Wut bebend, die Augen von einer inneren Kraft erleuchtet.

Milamber klatschte über dem Kopf in die Hände, und Donner grollte und erschütterte die um ihn her. Energie schoß aus seinen Händen nach oben, die er hoch über dem Kopf erhoben hielt. Ein Wirbel der Macht umgab ihn, erhob sich nach oben, wie ein Springbrunnen, immer weiter, bis er hoch über den Köpfen verhielt. Dann zog sich der Wirbel auseinander, bis er das gesamte Stadion wie ein großer Baldachin überspannte. Das verwirrende Spiel hielt noch kurz an, und dann schienen die Himmel zu explodieren, und viele, die nach oben schauten, wurden geblendet. Der Himmel wurde dunkel, und die Sonne verblaßte, als würden langsam graue Schleier vor sie gezogen.

Milambers Stimme war von allen im Stadion zu hören, als er sagte: »Daß ihr gelebt habt, wie ihr gelebt habt, und das jahrhundertelang, ist kein Grund zu dieser Grausamkeit. Alle hier werden jetzt beurteilt, und alle sind als mangelhaft erkannt worden.«

Einige Magier verschwanden von ihren Plätzen, aber es blieben auch viele sitzen. Die vernünftigeren Bürger flohen durch nahe gelegene Ausgänge. Einige warteten noch, denn sie hielten das nur für einen weiteren Wettbewerb zu ihrer Belustigung. Viele waren zu betrunken oder durch das Schauspiel aufgeregt, um auf die Warnung des Magiers zu achten.

Milambers Arm vollführte einen Bogen um ihn her. »Ihr wolltet euch am Tod und der Entehrung anderer vergnügen. Nun, laß sehen, wie gut ihr euch angesichts der Zerstörung haltet!« Ein Keuchen stieg aus der Menge auf, als Antwort auf diese Ankündigung.

Milamber hob eine Hand hoch über den Kopf, und alle wurden still. Selbst die leichte Sommerbrise verging. Dann erklang seine Stimme erneut. Sie war von einer entsetzlichen Kraft erfüllt, und alle im Stadion konnten sie hören. Sie erblaßten bei seinen Worten, denn es war, als wäre der Tod leibhaftig gekommen und hätte gesprochen. Durch das Stadion hallten Milambers Worte: »Zittert und verzweifelt, denn ich bin die Macht!«

Ein schriller, scharfer Ton hob an, mit Milamber als Ursprung. Ein leises Stöhnen des Kummers und der Furcht wurde vom Wind davongetragen. Er wurde immer stärker, und je mehr er zunahm, desto drohender und verzweifelter erschien er. Der Wind wurde kühler, bis er für jene, die nur selten Kälte erlebt hatten, beißend war. Männer weinten, und hoch über dem Stadion bildeten sich Wolken in der Düsterkeit.

Der Sturm heulte und erstickte die Schreie der Menge in der Arena. Adlige versuchten zu fliehen. Sie waren jetzt zu entsetzt, um an etwas anderes zu denken, und sie hasteten sogar an ihren eigenen Familien vorbei. Alte und Langsame wurden unter ihren Füßen niedergetrampelt. Viele wurden gepufft, bis sie auf den Knien lagen, oder wurden von ihren Plätzen in den Sand der Arena gestoßen.

Riesige Unwetterwolken, schwarz und grau, rasten über ihren Köpfen dahin. Sie schienen um einen Punkt direkt über Milambers Kopf zu wirbeln. Der Magier war in ein unwirkliches Licht gehüllt, pulsierend von Energie. Er stand im Zentrum des Sturms, eine schreckliche Gestalt in der Dunkelheit. Der Wind kreischte vor Wut, aber Milambers Stimme durchschnitt das Geräusch wie ein Messer.

»Regen!«

Ein kalter Regen fiel, und er wurde vom Sturm vor sich her getrieben. Er wurde schneller und immer schneller und wurde dann zum tosenden Schwall. Das Wasser prasselte auf die da unten hernieder. Es schlug sie bewußtlos mit einer erschreckenden Wucht, die eindeutig unnatürlich war.

Einigen gelang es, in die Tunnel zu fliehen, während andere sich voll Entsetzen aneinander klammerten.

Andere Magier versuchten, seinem Zauber entgegenzuwirken, waren aber nicht dazu in der Lage. Vor Anstrengung wurden sie ohnmächtig. Nie zuvor hatte es ein solches Schauspiel purer Macht gegeben. Hier stand ein wahrer Meister der Magie, einer, der sogar die Elemente beherrschte. Der Magier, der Milamber herausgefordert hatte, lag benommen auf seinem Platz.

Seine Augen zuckten, aber er bemühte sich, etwas wie Ordnung in das Chaos um sich her zu bringen. Der Kriegsherr versuchte, dem Sturm standzuhalten. Er kämpfte, um aufrecht zu bleiben und weigerte sich, sich dem Entsetzen der anderen um sich her zu unterwerfen.

Milamber ließ die Arme fallen, hob dann eine Hand und streckte sie vorwärts. »Feuer!« rief er, und wieder konnten ihn alle hören.

Die Wolken schienen zu brennen. Die Himmel öffneten sich, und Flammen jeder erdenklichen Farbe fielen herab, rasten und tobten durch das Dunkel. Zackige Blitze schossen über den Himmel, als wollten die Götter das Jüngste Gericht verkünden. Menschen schrien, als die Elemente verrückt spielten.

Dann setzte der feurige Regen ein. Tropfen fielen auf Arme und Kleider, Gesichter und Mäntel und fingen dann zu brennen an. Von allen Seiten ertönten Schmerzensschreie, und Menschen versuchten vergebens, das Feuer zu ersticken, das ihr Fleisch verbrannte. Noch mehr Magier verschwanden aus der Arena und nahmen ihre bewußtlosen Kameraden mit, bis Milamber allein in der Loge stand. Der Gestank von verbranntem Fleisch erfüllte die Luft und war mit dem beißenden Geruch von Angst vermischt.

Milamber verschränkte die Arme vor sich. Er schlug die Augen nieder.

»Erde!«

Ein tiefes Grummeln setzte ein. Der Boden unter dem Stadion fing zu beben an. Die Bewegungen wurden immer deutlicher spürbar. Die Luft war von einem wütenden Summen erfüllt, als wäre die Arena von einem Schwärm gigantischer Insekten umgeben. Dann gesellte sich ein leises Rumpeln zu dem Summen, und die Erde fing an, sich zu bewegen.

Die Vibrationen wurden zu einer zitternden, dann heftig rollenden Bewegung. Milamber stand ruhig, wie auf einer Insel. Es war, als wenn der Boden, die Erde selbst, flüssig geworden wäre.

Menschen wurden auf den Grund der Arena niedergeworfen. Das riesige Stadion bebte unter dem Ansturm urzeitlicher Kräfte. Statuen fielen von ihren Säulen, und die riesigen Tore wurden aus ihren Angeln gehoben. Man hörte das uralte Holz krachend splittern. Wie betrunken taumelten sie von den Tunneln fort und fielen schließlich in den Sand, alles zermalmend, was vor ihnen dort gelegen hatte. Viele der Tiere unterhalb der Arena wurden wahnsinnig vor Angst vor dem Erdbeben. Sie tobten in ihren Käfigen und zerschmetterten Schlösser und Türen. Sie flohen die Tunnel entlang, rasten über die gestürzten Tore, bellten und heulten und brüllten angesichts des Flammenregens. Irrsinnig vor Entsetzen stürzten sie sich auf die benommenen Zuschauer, die im Sand lagen, und töteten sie ganz nebenbei. Es kam vor, daß ein Mann benommen dasaß und abwesend nach den brennenden Tropfen aus dem Himmel schlug, während ein paar Schritte entfernt ein anderer von einer Schreckensgestalt aus dem fernen Wald verschlungen wurde.

Jetzt fing die Arena selbst zu wehklagen an, als die alten Steine sich rührten und übereinander glitten. Ein jahrtausendealter Mörtel verwandelte sich innerhalb eines Augenblicks in Staub, als das ganze Stadion zusammenbrach. Schreie um Gnade wurden von der Kakophonie der Zerstörung davongetragen. Die Wut nahm noch immer weiter zu. Die Welt schien bereit, entzweigerissen zu werden. Milamber erhob wieder die Hände über den Kopf. Er legte die Handflächen aneinander, und der bisher mächtigste Donner erscholl. Dann, ganz plötzlich, nahm das Chaos ein Ende.

Über ihnen war der Himmel sonnig und klar. Eine leichte Brise blies aus dem Osten. Die Erde war reglos und fest, und der Flammenregen war bloß noch eine Erinnerung.

Die Stille, die jetzt folgte, war ohrenbetäubend. Dann konnte das Stöhnen der Verletzten, das Schluchzen der Entsetzten vernommen werden. Der Kriegsherr stand immer noch da. Aus seinem Gesicht war jegliche Farbe gewichen, und kleine Verbrennungen zeichneten seinen Kopf und seine Arme. Anstelle des mächtigen Führers des Kaiserreiches stand ein Mann, der allen Gefühls mit Ausnahme des Entsetzens beraubt war. Seine Augen waren so weit aufgerissen, daß das Weiße zu sehen war. Seine Lippen bewegten sich, als wolle er etwas sagen, aber kein Wort war zu hören.

Wieder hob Milamber die Hände über den Kopf, und mit einem Schluchzer der Angst fiel der Kriegsherr nach hinten. Der Magier klatschte in die Hände und war verschwunden.

 

Die Nachmittagsbrise brachte den Duft von Sommerblumen mit sich. Im Garten spielte Katala ein Wortspiel mit William. Sie hatte darauf bestanden, daß sie alle beide die Sprache erlernen sollten, die m der Heimat ihres Mannes gesprochen wurde.

Es war schon fast Abend, denn sie waren weit im Osten der Heiligen Stadt. Die Sonne stand schon tief im Westen, und die Schatten im Garten waren lang. Da kein Gong Milambers Ankunft angekündigt hatte, war Katala überrascht, als ihr Mann auf der Schwelle ihres Hauses auftauchte.

Langsam erhob sie sich von ihrem Platz, denn sie spürte, daß etwas nicht in Ordnung war. »Gatte, was gibt es?«

William lief zu seinem Vater, während Milamber sagte: »Ich werde dir später alles erklären. Jetzt müssen wir William nehmen und fliehen.«

William zupfte seinen Vater an der Robe. »Papa!« rief er, Aufmerksamkeit fordernd. Milamber hob seinen Sohn hoch und zog ihn fest an sich. Dann sagte er: »William, wir machen eine Reise in meine Heimat. Du mußt ein tapferer Junge sein und darfst nicht weinen.«

William schob die Unterlippe vor, denn wenn sein Vater ihn bat, nicht zu weinen, dann mußte es einen sehr guten Grund dafür geben. Aber er nickte und hielt die Tränen zurück.

»Netoha! Almorella!« rief Milamber, und einen Augenblick später betraten die beiden Diener den Garten. Netoha verbeugte sich, aber Almorella eilte an Katalas Seite. Katala hatte darauf bestanden, daß sie sie in Milambers neues Haus begleitete, als er seine Familie vom Besitz der Shinzawai geholt hatte. Almorella war mehr wie eine Schwester für Katala und für William mehr eine Tante als eine Sklavin. Sofort erkannte sie, daß etwas nicht in Ordnung war, und ungewollt traten ihr Tränen in die Augen.

»Ihr reist ab«, erklärte sie, mehr eine Feststellung als eine Frage.

Netoha blickte seinen Herrn an. »Ihr wünscht, Erhabener?«

»Wir reisen ab. Wir müssen. Es tut mir leid«, erklärte Milamber. Netoha nahm die Neuigkeit stoisch hin, wie es sich für einen anständigen Tsurani geziemte. Almorella aber umarmte Katala, und dabei weinte sie und schämte sich dieser Tränen nicht.

»Ich möchte sicher sein, daß für euch gesorgt ist. Ich habe für den heutigen Tag Dokumente vorbereitet. Wenn wir fort sind, wirst du, Netoha, all mein Werk in meinem Arbeitszimmer finden.

Über meinem Tisch, in dem Regal ganz oben, findest du ein Pergament mit einem schwarzen Siegel daran. Ich vermache dir den Besitz, Netoha.« Dann wandte er sich an Almorella. »Ich weiß, daß ihr beiden euch gern habt. Das Dokument, durch das Netoha Besitzer des Anwesens wird, enthält auch eine Klausel, die dir deine Freiheit gibt, Almorella. Er wird dir ein guter Ehemann sein, Mädel. Und nicht einmal der Kaiser kann dieses Dokument übergehen, denn es trägt das Siegel eines Erhabenen. Also mach dir keine Sorgen.«

Auf Almorellas Gesicht spiegelten sich Unglauben, Glück und Kummer. Sie nickte langsam, zum Zeichen, daß sie verstanden hatte, und aus ihren Augen sprach deutlich ihr Dank.

Milamber wandte seine Aufmerksamkeit wieder Netoha zu. »In meinem Arbeitszimmer findest du außerdem verschiedene Pergamente, die mit rotem Wachs versiegelt sind. Diese müssen unverzüglich verbrannt werden. Was immer du auch tust, verbrenne sie, aber ohne die Siegel vorher aufzubrechen. Alle anderen Arbeiten sollen Hochopepa von der Versammlung zugeschickt werden, mit meinen besten Grüßen und dem Wunsch, daß er sie nützlich finden möge. Er wird wissen, was damit zu geschehen hat.«

Wieder umarmte Almorella Katala und küßte William. Netoha sagte: »Schnell, Mädel. Noch bist du nicht Herrin dieses Besitzes, und es gibt wichtige Arbeit zu erledigen.« Der Hadonra setzte zu einer Verbeugung an, zögerte dann aber und meinte stockend: »Erhabener, ich… wünsche Euch alles Gute.« Dann verbeugte er sich schnell und eilte zum Arbeitszimmer. Milamber konnte eine feuchte Spur in seinen Augen entdecken.

Almorella, der Tränen über die Wangen liefen, folgte Netoha ins Haus. Katala wandte sich Milamber zu. »Nun?«

»Nun.« Als er sie mit sich zum Musterraum nahm, sagte er: »Es gibt noch etwas, das ich herausfinden müßte, ehe wir den Spalt versuchen.« Er hielt seine Frau und den Sohn zwischen sich und wünschte sie zu einem anderen Muster.

Einen Augenblick umhüllte sie weißer Dunst. Dann befanden sie sich in einem anderen Raum.

Sie eilten durch die Tür, und Katala erkannte, daß sie im Heim des Shinzawai-Herrn waren.

Sie gingen schnell zu Kamatsus Arbeitszimmer und öffneten einfach die Tür. Kamatsu schaute auf. Er war verärgert über diese Unterbrechung. Sein Ausdruck änderte sich jedoch sofort, als er sah, wer in der Tür stand. »Erhabener, was gibt es?« fragte er, als er sich erhob.

Schnell berichtete ihm Milamber von den Geschehnissen des Tages, und Katala erblaßte bei seiner Erzählung. Der Herr der Shinzawai schüttelte den Kopf. »Damit habt Ihr vielleicht Prozesse in Gang gesetzt, die die innere Ordnung des Kaiserreichs für alle Zeiten ändern, Erhabener. Ich hoffe, es ist kein Todesurteil. Auf jeden Fall wird es Jahre dauern, die Auswirkungen zu beheben.

Schon jetzt macht die Fortschrittspartei Annäherungen an die Friedenspartei und sucht eine Verbindung. Innerhalb kurzer Zeit habt Ihr großen Einfluß auf mein Heimatland genommen.«

Kamatsu fuhr fort und hinderte Milamber am Sprechen. »Aber das ist keine Sache des Augenblicks. Ihr, der Ihr einst mein Sklave gewesen seid, habt viel gelernt, aber Ihr seid noch immer kein Tsurani. Ihr müßt verstehen, daß der Kriegsherr einen solchen Schlag nicht erdulden kann. Höchstwahrscheinlich wird er sich von Scham erfüllt das Leben nehmen. Aber diejenigen, die seiner Führung folgen – seine Familie, sein Clan, seine Untergebenen –, sie werden alle Euren Tod wünschen. Vielleicht haben sie bereits Mörder gedungen, oder Magier, die bereit sind, gegen Euch vorzugehen. Euch bleibt keine andere Wahl, als mit Eurer Familie in Eure Heimat zu fliehen.«

William entschied, daß es jetzt angebracht war, zu weinen. Trotz all seiner Versuche, tapfer zu sein, war seine Mutter doch ängstlich, und der Junge spürte dies. Milamber wandte sich von Kamatsu ab und sprach einen Zauberspruch. Kurz darauf schlief William. »Er wird schlafen, bis wir in Sicherheit sind.« Katala nickte. Sie wußte, es war das Beste so, aber dennoch haßte sie diese Notwendigkeit.

»Ich fürchte keine anderen Magier, Kamatsu«, sagte Milamber, »aber ich fürchte um das Kaiserreich. Ich weiß jetzt, daß ich niemals ein Tsurani sein kann, sosehr sich meine Lehrer in der Versammlung auch darum bemüht haben. Aber ich diene dem Kaiserreich. In meiner Empörung über das, was ich in der Arena mit ansehen mußte, wurde ich mir einer Sache sicher, die ich schon seit einiger Zeit vermutet habe. Das Kaiserreich muß sich verändern, oder es ist zum Scheitern verurteilt. Das schwache, verfaulte Herz dieser Kultur kann ihr eigenes Gewicht nicht mehr länger tragen, und wie ein Ngaggi-Baum mit fauligem Innern wird sie bald zusammenbrechen.

Ich muß fortgehen, denn wenn ich bleibe, werden die Versammlung, der Hohe Rat und das gesamte Kaiserreich gespalten. Ich hätte Schwierigkeiten, das Kaiserreich zu verlassen, wäre es nicht zum Besten von Tsuranuanni. Aber ehe ich Euch verlasse, muß ich wissen, ob Ihr Nachricht von Laurie und Eurem Sohn habt, bezüglich des Friedensangebotes durch den Kaiser.«

»Nein. Wir wissen nur, daß sie in der ersten Nacht schon während eines Scharmützels verschwunden sind. Hokanus Männer haben nach dem Kampf das Gebiet abgesucht und keine Spur von ihnen gefunden. So nehmen wir an, daß sie sicher davongekommen sind. Mein jüngerer Sohn ist überzeugt davon, daß sie eine Straße jenseits der Königsreich-Truppen erreicht haben. Seit damals haben wir nichts weiter von ihnen gehört. Andere Mitglieder unseres Clans warten mit ebenso viel Angst und Beben darauf wie ich.«

Milamber überlegte. »Dann ist der Kaiser noch immer nicht zum Handeln bereit. Ich hatte gehofft, daß es bald soweit sein würde, so daß wir im Rahmen des Waffenstillstands einfach das Land verlassen könnten, ehe meine Gegner sich organisieren können. Jetzt jedoch, wo der Kriegsherr den Sieg über Herzog Borrics Armee verkündet hat, werden wir vielleicht nie wieder Frieden haben.«

»Es ist offensichtlich, daß Ihr kein Tsurani seid, Erhabener«, bemerkte Kamatsu. »Nachdem Ihr die Spiele zerstört habt, die der Kriegsherr zur Ehre des Lichts des Himmels gegeben hat, wird in der Kriegspartei nichts als Unordnung herrschen. Jetzt wird sich der Kanazawai-Clan noch einmal von der Allianz des Krieges absondern. Unsere Verbündeten in der Partei der Blauen Räder werden doppelt hart arbeiten, um im Hohen Rat einen Waffenstillstand durchzudrücken. Die Kriegspartei ist ohne wirksamen Führer. Selbst wenn sich der Kriegsherr als schamlos erweisen und sich nicht selbst töten sollte, wird er schon bald abgesetzt werden, denn die Kriegspartei benötigt einen starken Führer. Sie werden in Unordnung sein, und wir gewinnen Zeit, um unsere Position zu festigen, während das Spiel des Rates weitergeht.«

Kamatsu schaute Milamber lange an. »Wie gesagt, es gibt einige, die Euch nach dem Leben trachten. Begebt Euch unverzüglich in Eure Heimatweit. Zögert nicht, und Ihr solltet sicher hindurchkommen. Es wird vielleicht nur wenigen in den Sinn kommen, daß Ihr Euch umgehend zum Spalt begebt. Jeder andere Erhabene würde eine Woche oder mehr benötigen, um sein Haus in Ordnung zu bringen und alles übrige zu regeln.« Er lächelte Milamber zu. »Erhabener, Ihr wart wie ein frischer Wind in diesem stickigen Raum, als Ihr bei uns wart. Es tut mir leid, sehen zu müssen, wie Ihr unser Land verlaßt, aber Ihr müßt sofort ziehen.«

»Ich hoffe, daß der Tag kommen wird, an dem wir uns wieder treffen, als Freunde, Herr der Shinzawai, denn es gibt vieles, was unsere beiden Völker voneinander lernen können.«

Der Herr der Shinzawai legte eine Hand auf Milambers Schulter. »Auch ich hoffe auf diesen Tag, Erhabener. Meine Gebete werden Euch begleiten. Eines noch. Solltet Ihr zufällig Kasumi in Eurer Heimatwelt sehen, sagt ihm, daß sein Vater an ihn denkt. Jetzt geht, und auf Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen«, antwortete Milamber. Er nahm seine Frau am Arm und eilte mit ihr in den Musterraum zurück. Als sie ihn erreichten, ertönte die Klingel, und Milamber schob seine Frau und seinen Sohn hinter sich. Ein kurzer weißer Dunst erschien über dem Muster im Boden, und dann stand Fumita dort, vollkommen überrascht.

»Milamber!« sagte er und trat vor.

»Halt, Fumita!«

Der ältere Magier stand still. »Ich will dir nichts tun. Die Kunde von den Ereignissen hat schon die Mitglieder der Versammlung erreicht, die den Spielen nicht beigewohnt haben. Die Versammlung ist in Aufruhr. Die Schoßmagier des Kriegsherrn fordern dein Leben. Hochopepa und Shimone setzen sich für dich ein. Nie zuvor hat es solche Unstimmigkeiten gegeben. Im Hohen Rat fordert die Kriegspartei das Ende der Unabhängigkeit der Versammlung während Kriegszeiten, und die Partei des Fortschritts und die Partei des Friedens verbünden sich in aller Öffentlichkeit mit der Partei der Blauen Räder. Das Kaiserreich ist völlig durcheinander.«

Während er das erzählte, schien der ältere Magier sichtbar zu schrumpfen. Er sah um Jahre älter aus, als Milamber ihn je zuvor gesehen hatte. »Ich glaube, du hast mit vielen deiner Vermutungen recht gehabt, Milamber. Wir müssen Änderungen in unserer Nation vornehmen, wenn wir nicht verfallen wollen, aber gleich so viele? So schnell? Ich weiß nicht.«

Einen Augenblick herrschte Stille zwischen ihnen. Dann sagte Milamber: »Was ich getan habe, habe ich für das Kaiserreich getan, Fumita. Das mußt du mir glauben.«

Der ältere Magier nickte langsam. »Ich glaube dir, Milamber, oder zumindest möchte ich es tun.« Er schien sich wieder ein wenig aufzurichten. »Wie auch immer, es wird viel für die Versammlung zu tun geben, wenn die Dinge geklärt sind. Vielleicht können wir das Kaiserreich auf einen gesünderen Weg bringen.

Aber du mußt schnell fortgehen. Kein Soldat wird versuchen, dich aufzuhalten, denn niemand außerhalb der Heiligen Stadt weiß von deinen Taten. Die Schoßmagier des Kriegsherrn werden dich aber vielleicht schon suchen. Bei den Spielen hast du unsere Brüder überrascht, und kein einziger konnte sich gegen dich stellen. Wenn sie sich aber gegen dich verbünden, werden dir selbst deine enormen Kräfte wenig nützen. Du müßtest einen anderen Magier töten oder würdest deinerseits getötet.«

»Ja, Fumita, ich weiß. Ich muß ziehen. Ich habe nicht den Wunsch, einen anderen Magier zu töten, aber ich werde es tun, wenn es sein muß.«

Fumita schien bei diesen Worten schmerzerfüllt. »Wie wollt ihr den Spalt erreichen?«

»Ich gehe zur Stadt der Ebene, und von dort aus kann ich eine Sänfte befehlen.«

»Das ist zu langsam. Damit werdet ihr über eine Stunde benötigen, um das Abreisegebiet zu erreichen.« Er griff in sein Gewand und zog ein Gerät hervor, das er Milamber entgegenstreckte.

»Das wird euch direkt zur Spaltmaschine bringen.«

Milamber nahm es entgegen. »Fumita, ich möchte versuchen, den Spalt zu schließen.«

Fumita schüttelte den Kopf. »Milamber, selbst mit deinen Kräften glaube ich nicht, daß du das kannst. Unzählige Magier haben daran gearbeitet, diesen Spalt zu schaffen, und die beherrschenden Zauber befinden sich alle auf der Seite Kelewans. Die Maschine in Midkemia dient nur zur Stabilisierung.«

»Ich weiß, Fumita. Du wirst es bald erfahren, denn ich habe meine Arbeiten an Hocho schicken lassen. Meine ›geheimnisvolle‹ Forschung war eine intensive Studie der Spaltenergien. Vielleicht weiß ich jetzt mehr darüber als irgendein anderer Magier in der Versammlung. Ich verstehe, daß es eine verzweifelte, vielleicht zerstörerische Aktion wäre, von der midkemianischen Seite aus, aber dieser Krieg muß ein Ende haben.«

»Dann reise in deine Heimat und warte. Der Kaiser wird bald handeln, dessen bin ich ganz sicher. Man hätte dem Kriegsherrn keinen schlimmeren Schlag versetzen können, wenn er den Krieg verloren hätte. Wenn das Licht des Himmels den Frieden befiehlt, dann können wir vielleicht mit der Frage des Spaltes fertig werden. Halte dich im Zaum, bis du weißt, wie der König auf das Friedensangebot reagiert hat.«

»Dann spielst du also auch das Große Spiel?«

Fumita lächelte. »Ich bin nicht der einzige Magier, der sich dazu herabläßt, in der Politik mitzuspielen, Milamber. Hochopepa und ich haben dabei von Anfang an mitgemacht. Jetzt geh, und mögen die Götter bei dir sein. Ich wünsche dir eine sichere Reise und ein langes, glückliches Leben in deiner Heimatwelt.«

Dann ging er an Milamber und seiner Familie vorüber. Kaum war er außer Sichtweite, als Milamber das Gerät in Betrieb nahm.

 

Der Soldat sprang auf. Einen Augenblick hatte er unter einem Baum gesessen, geschützt vor der Hitze der untergehenden Sonne, und im nächsten Augenblick war plötzlich ein Magier mit Frau und Kind vor ihm aufgetaucht. Bis er auf die Füße kam, bewegten sie sich schon auf die Spaltmaschine zu, ein paar hundert Meter entfernt von ihm. Als sie die Maschine erreichten – eine Plattform mit hohen Pfählen auf beiden Seiten, zwischen denen ein schimmerndes ›Nichts‹ zu erkennen war-, nahm ein Offizier Haltung an, der für den Durchzug der Truppen verantwortlich war.

»Ruft diese Männer von der Plattform zurück.«

»Euer Wille geschehe, Erhabener.« Er bellte seine Befehle, und die Männer zogen sich zurück.

Milamber nahm Katala bei der Hand und führte sie durch den Spalt.

Ein Schritt, ein Augenblick der Verwirrung, und schon standen sie mitten in einem Tsurani-Lager im Tal der Grauen Türme. Es war Nacht, und die Lagerfeuer brannten hell. Ein paar Offiziere waren überrascht von den ungewöhnlichen Ankömmlingen, sie machten ihnen aber Platz.

»Habt Ihr erbeutete Pferde?« fragte Milamber sie.

Einer der Offiziere nickte benommen.

»Dann bringt zwei, sofort. Und gesattelt.«

»Euer Wille geschehe, Erhabener«, sagte der Mann und eilte davon.

Bald brachte ihm ein junger Soldat zwei Pferde. Als er näher kam, erkannte Milamber Hokanu.

Der jüngere Shinzawai schaute sich kurz um, als er Milamber die Zügel überreichte. »Erhabener, wir haben soeben Nachricht erhalten, daß etwas Entsetzliches bei den kaiserlichen Spielen vorgefallen ist, aber die Berichte sind sehr unklar. Ich vermute, daß Euer plötzliches Auftauchen damit zu tun hat. Ihr müßt schnell aufbrechen, denn die Männer hier im Lager sind Untergebene des Kriegsherrn, und wenn sie zum selben Schluß kommen wie ich, dann wage ich nicht zu sagen, was sie riskieren könnten.«

Milamber hielt William, während Katala mit Hokanus Hilfe aufs Pferd stieg. Er reichte ihr den Sohn hinauf und bestieg sein eigenes Roß. »Hokanu, ich habe gerade deinen Vater gesehen. Begib dich zu ihm. Er braucht dich jetzt.«

»Ich werde zum Besitz meines Vaters zurückkehren, Erhabener.« Der junge Tsurani zögerte, ehe er hinzufügte: »Solltet Ihr meinen Bruder treffen, so sagt ihm, daß ich lebe, denn er weiß es nicht.«

Milamber versprach es. Dann wandte er sich Katala zu und nahm die Zügel ihres Pferdes. »Halte dich am Sattelhorn fest, Geliebte, und lege deinen Arm um William.«

Ohne ein weiteres Wort ritten sie aus dem Lager. Einige Male wollten Soldaten sie aufhalten, aber der Anblick der schwarzen Robe hielt sie zurück. Stundenlang ritten sie im Mondschein dahin.

Milamber konnte die Rufe der Soldaten hören, als er seine Familie in die Sicherheit führte.

Katala ertrug all das wie die Krieger, von denen sie abstammte, und Milamber bewunderte sie.

Nie zuvor hatte sie auf einem Pferd gesessen. Sie wurde gnadenlos umhergeworfen, aber sie klagte nicht. Von daheim fortgeholt und in eine fremde, dunkle Welt gebracht zu werden, in der sie niemanden kannte, mußte eine erschreckende Erfahrung für sie sein. Sie enthüllte eine zähe Ader ihres Charakters, die er vorher nur hatte erahnen können.

Nach dem scheinbar endlosen Ritt erklang plötzlich eine Stimme aus der Dunkelheit.

Schattenhafte Gestalten konnten zwischen den Bäumen ausgemacht werden. »Halt! Wer reitet da durch die Nacht?« Die Stimme erklang in der Sprache der Könige. Die drei Reiter hielten, und der Mann an der Spitze rief erleichtert: »Pug aus Crydee!«