fünf
Ich liege neben Tanja und bin durchaus zufrieden. Da könnte ich mich fast dran gewöhnen. Ich bin zufrieden. Was für ein komischer Satz, wunder und staun, fängt mit «Ich» an und hat nichts grob Gehacktes zum Inhalt. Ich bin zufrieden wie ein schwuler Strauß, der von dem riesigen Objektiv eines Dokumentarfilmers tief in den Arsch gefickt wurde, während er den Kopf in den Sand steckt. Das wäre ein doch schöner Satz für dasselbe.
Tanja zieht Streichelspuren über meine Brust, große umgefallene Achten, Unendlichzeichen und kleine Nullen um die Brustwarzen. Sie erlaubt mir, in ihrem Bett zu rauchen.
«Fragt die eine Frau die andere, Sag mal, Qualmst du nach dem Sex? Sagt die, muss ich nächstes Mal drauf achten.» Das ist ein guter Witz. Der Aschenbecher steht auf meinem Bauch und wackelt, wenn ich lache. Tanja lacht nicht, vielleicht hat sies nicht verstanden. Sie bestaunt mein Gesicht wie ein Kreisdiagramm, als könnte sie darin die prozentuale Ausprägung meines Charakters lesen: Fünfzehn Prozent Humor, vierzig Prozent Geilheit, Rest Frust und jetzt gerade durchaus zufrieden. Ich wackel mit dem Fuß. Tanja fängt an, sich wie ein Wurm zu benehmen, und ich bin der Apfel. Sie kraucht in mir herum und versucht herauszufinden, warum ich stinke. Ich soll mich erklären, am besten noch ausweisen. Da könnte ich mich nicht dran gewöhnen. Sie fragt totalen Schnulli. Ich bin null Prozent Schnulli. Wie ich es finden würde, wenn mein bester Freund mir die Freundin ausspannen würde? Mein Gott, du Schöpfer vorm Herrn, was pflanzen diese Vorabendserien in junge Köpfe? Wenn ich Tanjas Weltbild erhalten wollte, müsste ich wohl sagen, dass ich den Freund mit einem Schuhanzieher umbringen würde, danach erzählt mir der ermittelnde Kommissar beim Verhör, dass wir Brüder sind und ich verliebe mich in meine Ex-Freundin neu, die im Wachkoma liegt und mich für ihren Pfleger hält. Fortsetzung folgt.
Da spiele ich nicht mit. Ich habe keinen besten Freund. Anton wohnt in Kiel. Und ich habe keine Freundin. Heike wohnt in Stuttgart. Und einen Schuhanzieher habe ich auch nicht. Ich spiele dieses Spiel nicht mit. Was wäre wenn. Ich spiele sowieso nicht, weil ich ein Verlierer bin. Vielleicht fragt sie sonst noch, welche drei Gewürze ich mit auf eine einsame Insel nehmen würde. Ich sage zu Tanja: «Weiß ich nicht.» Sie gafft mich an ohne zu zwinkern. Was is? Ich mach dich Geschlechtsverkehr, pass uff. Wir schlafen miteinander. Sie oben. Sie wimmert dabei. Das ist schön, nicht schlecht. Sie krallt sich an mir fest und äußert Zustimmung, Zustimmung, Zustimmung, Erleichterung. Ob sie gekommen ist, will ich wissen, und sie fängt gleich an, mich zu trösten. Das ist doch ’ne klare Frage. Jawoll oder Nee? Nicht was wäre wenn. Ich frage sie, was sie getan hätte, wenn sie gekommen wäre, dabei kneife ich sie in die Brustwarzen, damit sie rauskommen und zuschauen, wie Tanja selber solche Fragen nicht beantworten kann. Tanja sagt: «Ich würde dich links und rechts neben die Augen küssen und dir sagen, dass ich dich liebe.»
Holla! Na Hupsi Pupsi, sagt der Koch, als ihm die Putenbrust runter fällt. Ich lecke an Tanjas Putenbrust. Würde sie sagen, hat sie gesagt, hat sie aber nicht gesagt. Hat ja auch was Gutes, dass junge Frauen oft nicht zum Höhepunkt kommen. Würde. Könnte. Hätte. Ich brauche jetzt was Handfestes und reibe an ihren süßen Stellen, während ich mir einen runterhole. Das findet sie schön. Sie sieht verrückt aus. Würde. In Würde altern. Könnte. Ich könnte heute Nacht hier bleiben. Sollte. Sollte ich auch, denn draußen ist es kalt wie das Sozialsystem. Ach, das Sozialsystem, woran man so denkt, damit man nicht zu früh kommt. Danach sucht Tanja mit Blicken durch den Raum, pustet aber die Kerzen aus, bevor sie etwas gefunden hat. Wir küssen uns. Ein Männchen könnte in unserer aus Mündern gebauten Höhle eine Atomkatastrophe überleben. Hermetisch abgeriegelt. Nicht schlecht. Dann noch ein kurzer Kuss, und wir rollen uns unter die Decke. Ich liege hinter ihr und umfasse ihr Handgelenk. Es sind genau dieselben Griffe wie bei Ursel, Sylvia, Heike und anderen Frauen. Und Tanja. Ich soll was Schönes träumen. Was ist was Schönes? Ein Gemälde von einem Birkenwäldchen? Ich schlafe sofort ein.
Nachts werde ich wach, weil die Blase drückt. Ich gehe auf die Toilette, dieses Mädchenklo, voller Strohblumen. Tanja wacht nicht auf, und ich nehme die zweite Decke. Um neun werde ich das erste Mal wach. Um neun ist in der Woche Frühstückspause. Ich schlafe wieder ein und wache um zehn auf. Um zehn ist in der Woche der Feierabend aasig weit entfernt. Tanja wird auch wach, und wir reden träge darüber, dass wir nichts geträumt haben, und dass wir als Kinder mehr geträumt haben. Sie schmust sich schon wieder einen ab an mir. Wenn ich ihr junges Gesicht sehe, fühle ich mich wie ein Kuschelkissen, besabbert und gebraucht. Das behagt mir wie ein Pflaster, das schnell von einer haarigen Stelle abgerissen wird. Gleich wird’s haarig. Ich streichel mich vor. Immer drum herum, um den offenen Eingang, und mehrere Ehrenrunden. Ich kreise so lange, bis das ganze Haus weiß, dass Tanja Besuch hat und dass der Besucher Peter heißt. Ich mag meinen Namen nicht, auch nicht geschrien. Ich finde den Namen Peter nicht männlich. Ich sehe immer einen pubertierenden Peter vor mir. Was bist du denn für ein Peter? Tanja ist ein annehmbarer Name, kann man nicht meckern.
«Peter», sagt Tanja. Ja, ich bin Peter. Sie hält meinen Kopf zwischen ihren Händen, küsst mich links und rechts neben die Augen. Na, das kommt mir bekannt vor. «Ich liebe dich» sagt sie, nicht kitschig, nur todernst.
«Wieso sagst du das? Bist du gekommen?», frage ich. Das war nicht nett. Ich hätte was anderes sagen können, aber sie hätte auch was anderes sagen können. Wir hätten beide was anderes sagen sollen. Würde sie sagen, hat sie gestern Abend gesagt und jetzt hat sie es gesagt. In Würde aus dem Bett kommen. Ich küsse sie, nass und warm, wo sie nass und warm ist. Sie sagt, dass sie nicht mehr will, und dass wir aufstehen und frühstücken, also ist es so. Sie sagt, sie liebt mich, also ist es so. Ich frage mich wirklich, ob sie gekommen ist, würde sie aber nie ein zweites Mal fragen. Wir reden beim Frühstück wenig. Die Eier? Mit Salz? Milch in den Kaffee? Isst du gerne süß morgens? Sie fragt mich nichts Seltsames mehr. Welche Zutat ich am liebsten an den Reichstag werfen würde. Was ich machen würde, wenn ich Diabetes hätte und mir jemand Puderzucker in den Drink mixt. Sie fragt nichts. Sie fragt an der Tür noch etwas und klatscht mir den Satz nochmal um die Ohren. Ich liebe dich. Ein Satz wie die Rote Arme Fraktion. Ich sage inhaltlich nee. Nee, Tanja, da hast du dich geirrt. Mächtig gewaltig. Ich weiß nicht, wie sie schaut. Ich kann es nicht einschätzen. Sicherlich ist sie enttäuscht und traurig und ich bin schuld. Ich fahre am Mittwoch in Urlaub. Schöne Bescherung! Ja, auch über Silvester. Bis später, Peter! Bis dann ja, Tanja!
In einem Moment von völligem Glück sage ich es ihm: Da, nimm! Ich halte dabei seinen Kopf: Da, friss! Ich liebe dich: Da, schluck! Er macht ein Trickfilmgesicht wie schon in der Nacht, als ich ihm gesagt habe, ich könnte es ihm sagen. Da sind ihm die Augen raus gesprungen, mit Sprungfedern hintendran, sie sind zurück geschnellt und durch den Aufprall schoss ihm die Zunge aus dem Mund, rollte sich wie ein roter Teppich durch mein Zimmer und an der gegenüberliegenden Wand hoch. Als ich ihm sage, dass es so ist, denn so ist es, ich liebe ihn, da wird seine Haut ein Gemäuer und bröckelt weg. Die Steine liegen in meinem Bett. Wie alt er aussieht, wenn er sich nicht wehren kann.
Mein Körper hat die ganze Nacht «Ja» zu ihm gesagt, alles ja. Ich mag sogar, dass er mich anatmet beim Ausatmen. Das mochte ich noch nie bei jemandem, nie. Die Eskimos mögen das, Eskimokuss. Sie reiben ihre Nasen aneinander, um einzuatmen, was der andere ausatmet, weil das intim ist, ist es. Ich küsse ihn auf jede Art und Weise, die es gibt, gerne. Alles «Ja» und dann sagt er «Nee». Ich hätte mich geirrt. Da hat er sich geirrt. Dann ist er weg.
Ich bin glücklich, weil er meine Handgelenke umfasst hat, seine Hände als meine Pulswärmer. Er hat mich gehalten, jetzt soll er halten, was er nicht versprochen hat. Er kommt in mein Leben gerast und macht einen Verkehrsunfall, fährt mich an, hupt und will Fahrerflucht begehen. So ein Peter! Mit Nachnamen heißt er Berg, das weiß ich jetzt, den erklimme ich. Ich bin obenauf. Das Gipfelbuch ist geklaut, Schweinerei! Das wird nachgeholt. Ich trage mich in dein Gipfelbuch ein, Peter. Geh jetzt weg! Komm wieder! Schöne Weihnachten! Ich liebe dich. Ich habe seine Knie noch nie angefasst. Das muss ich nächstes Mal machen und fragen, ob Zorro sein Kindheitsheld war, ob er sich mal was gebrochen hat. Warum er mir nicht sagt, dass er mich liebt.
Mein Nachbar hört sehr laut Musik. Ich höre nicht mal mehr meinen Kühlschrank brummen. Ti aaamo, ti amo, ti aaamo. Petermännchen, feiges Stück. In ein paar Tagen fährt er weg. Bis dahin wird sich alles noch klären. Ein «Nee» im Türrahmen ist nicht hinnehmbar. Ab – ge – lehnt!, rufe ich, denn ti aaamo, ti amo, ti aaamo. Ich bin aufgedreht wie Knallkörper. Ich räume meine Küche auf. Wir haben gestern Abend Essen bestellt. Ich habe eine Bissspur am Hüftknochen, die fotografiere ich. Ich habe ein in Wellen geficktes Laken, das fotografiere ich. Ich habe ein glückliches Gesicht. Ein «Nee» ist kein Weltuntergang, nicht mal ein «Nein», nur drei Buchstaben, so klein, dass es verschwindet, wenn ein bisschen Wind weht.
Er stand im braun lackierten Türrahmen und sagte «Nee». Geh jetzt! Du kannst es doch zugeben. Ich tu dir nichts. Ich lasse dich, wie ich dich vorgefunden habe. Nachdem die Küche sauber ist, stehe ich dumm da mit dem angefangenen Samstag. Ich vermisse ihn. Er hat meine Wohnung voll gerochen. Mein Nachbar hört inzwischen Abba. Mein Nachbar ist sehr dick. Ich muss lachen, bei der Vorstellung, wie er mit seiner Frau zu Dancing Queen im eichenvertäfelten Wohnzimmer tanzt. Richtig laut muss ich da lachen.
Was nun? Ich muss meine wichtigen Sachen mal erledigen. Ich krame die Formulare unterm Teppich hervor. Als Peter das erste Mal hier war, habe ich sie drunter geschoben, ewig lange her. Es sind noch dieselben. GEZ-Gebühren – nein, ich habe kein Radio. Wohngeldantrag – ich weiß nicht, wann das Haus gebaut wurde. Krankenkasse – nein, ich beziehe keine Kriegsversehrtenrente. Es sind noch ein paar Mahnungen dazugekommen und eine Telefonrechnung. Ich rufe Frank an. Er ist nicht da. Ich muss mit ihm Schluss machen. Ich rufe Holger an. Er ist da. Er lädt mich zum Brunch ein. Bis er bei mir ist, dusche ich den Geruch von Peter ab. Ich denke sonst, ich bin er, wenn ich wie er rieche und dann behaupte ich, dass ich mich nicht liebe, dabei liebe ich mich, ja.
Holger füllt alle meine Formulare aus, und dann gehen wir frühstücken. Das Café ist nicht sehr voll, aber voll genug, dass an unserem Tisch ein anderes Liebespaar sitzt. Kann sein, es ist kein Liebespaar und der dicke Mann und die dicke Frau haben nur eine Affäre. Sie sehen nicht aus wie die Menschen, die Affären haben. Als ich das dritte Mal zum Büfett gehe, hole ich nur noch Obst, weil ich schon satt bin. Obst ist wichtig. Holger kuckt mir zu, wie ich esse. Er behauptet, dass ich schön esse, im Gegensatz zu ihm. Da hat er Recht. Er frisst wie ein wilder Wolf. Deshalb bin ich damals mit ihm ins Bett gegangen und habe mich verliebt, aber dann hat er Liebe gemacht wie ein Lamm, weich. Geblökt hat er. Ich nenne ihn Holle, weil er meine Betten aufschüttelt. Holger will darüber reden, wie es mit uns weitergehen soll. «Wie weitergehen?», sage ich. Ihm knicken die Augen weg, wie hinterrücks angeschossen.
Ich rede schnell weiter: «Nicht, wieso weitergehen … also nicht wieso, sondern wieso wieso? Wieso fragst du, meine ich. Ist doch alles in Ordnung. Du liebst mich. Ich lieb dich.» Ich zucke die Achseln. Holger atmet große Mengen aus. An den Nachbartisch setzen sich zwei Männer, die ich nicht ansehen mag. Sie gefallen mir nicht. Sie falten riesengroße Zeitungen auf und halten sie vors Gesicht. Ich muss sie nicht ansehen. Ich bin satt.
«Komm, wir gehen», sage ich zu meinem lieben Holle und fasse in sein Nackenhaar. Er lässt seit Monaten seine Haare wachsen. Sein Haar ist dicht und braun. Es gefällt mir. Holger bezahlt, umständlich. Dann braucht er ewig, um seine Geldbörse wegzustecken, und ich ahne, dass er noch über etwas reden will. Er will gar nicht gehen, und wenn, dann mit mir mit. «Wollen wir noch auf den Weihnachtsmarkt?», frage ich. Also fahren wir nach Spandau. Auf der Fahrt lasse ich ihn reden, was er will, seine Arbeit und dann seine Band. Auf dem Weihnachtsmarkt essen wir klebriges Zeug und halten uns an den Handschuhen. Holger ist mein bester Freund. Er denkt, er ist etwas anderes von mir. Jeder denkt, er wäre etwas anderes von mir. Dabei bin ich einfach wer anders. In der Mitte des Weihnachtsmarktes ist eine Krippe aufgebaut, mit echten Schafen und einem Esel. Das müffelt! Die Kinder werfen mit zusammengeknüllten Pappbechern nach den Tieren. In der Wiege liegt ein Holzjesus, auf seinem Gesicht ein paar Pommes. Ein Schaf frisst die Pommes aus der Wiege. Wir lachen darüber. Mir tut beim Lachen der Bauch weh. Ich bekomme von Peter Muskelkater, weil ich mich ihm beim Sex entgegenstemme.
Wieder im Auto hat Holger so einen Ausdruck um den Mund, macht den Mund aber nicht auf.
«Ich habe meine Tage», sage ich, und er ärgert sich darüber. «Es war ein Witz!»
Er ärgert sich trotzdem. Anscheinend ging es genau darum, denn er sagt die restliche Fahrt nichts. Er singt jedes Lied im Radio mit. Er singt immer die Gitarre mit und nicht den Gesang. Vor dem Haus muss ich weinen. Er nimmt mich in den Arm und wartet, bis ich fertig bin. Er küsst meine Stirn und sagt, dass alles in Ordnung ist, weil wir ehrlich zueinander sind. Ich vermisse Peter, werde ihn sehr vermissen, wenn er so lange weg ist. Weg ist alles, was einen Vogelwurf entfernt ist, weit weg.
Ich soll mich nicht ärgern, dass er manchmal aufdringlich ist, sagt Holger. «Liebst du mich?», frage ich ihn, und er sagt nicht «Nee». Mir geht es gut.