VIER

In einer Welt, in der sich wahre Identitäten hinter Codenamen verbargen, hatte der Spürhund seinem neuen Helfer das Pseudonym Ariel verpasst. Er fand es amüsant, den Namen des Luftgeists aus Shakespeares Sturm zu nehmen, der unsichtbar durch die Gegend fliegen und nach Lust und Laune Unfug treiben konnte.

Denn so mühsam Roger Kendrick sich auf dem Planeten Erde bewegte, war er doch ganz anders, wenn er vor dem berauschenden Schatz der Geräte saß, die ihm der amerikanische Steuerzahler beschafft hatte. Wie der Mann aus Fort Meade gesagt hatte – hier wurde der Junge zu einem Fliegerass am Steuerknüppel des besten Abfangjägers, den man für Geld kaufen konnte.

Zwei Tage lang studierte er die Konstruktion, die der Prediger entwickelt hatte, um seine IP-Adresse und damit seinen Aufenthaltsort zu verbergen. Er sah sich auch die Predigten an und war von Anfang an in einem Punkt sicher: Das Computergenie war nicht der maskierte Mann, der hier religiösen Hass predigte. Irgendwo war da noch jemand, sein wahrer Gegner, das feindliche Ass, mit dem er sich messen musste: geschickt, ungreifbar, fähig, jeden Fehler zu erkennen, den Ariel machte, und ihn von sich fernzuhalten.

Was niemand wusste: Ariels Cybergegner war Ibrahim Samir, ein in Großbritannien geborener Sohn irakischer Eltern, ausgebildet am Institut für Naturwissenschaft und Technologie der Universität Manchester, kurz UMIST. Kendrick nannte ihn den Troll.

Er war es, der den Proxyserver eingerichtet hatte, mit dessen falscher IP-Adresse sein Herr und Meister seinen wahren Aufenthaltsort verschleiern konnte. Aber einmal, zu Beginn des Predigt-Feldzugs, hatte es eine echte IP-Adresse gegeben, und wenn Ariel die herausgefunden hätte, würde er die Quelle überall auf der Welt ausfindig machen können.

Er sah auch sehr schnell, dass es einen Fanklub gab. Begeisterte Jünger konnten Nachrichten an den Prediger posten. Er beschloss, dem Klub beizutreten.

Ihm war klar, dass der Troll sich nicht würde täuschen lassen, wenn Ariels Alter Ego nicht bis ins Detail vollkommen wäre. Er erfand einen jungen Amerikaner namens Fahad, den Sohn jordanischer Immigranten, geboren und aufgewachsen im Raum Washington. Aber zuerst stellte er Nachforschungen an.

Er benutzte den Background des seit Langem toten Terroristen al-Zarqawi, der al-Qaida im Irak geführt hatte, bis sie dort von Special Forces und durch einen Luftangriff vernichtet worden war. Im Netz fand sich eine Fülle von biografischen Informationen. Er stammte aus dem jordanischen Dorf Zarqa. Ariel erfand ein Elternpaar aus demselben Dorf, das in derselben Straße wohnte. Auf Befragen würde er sie aufgrund der Onlineinformationen beschreiben können.

Ariel erschuf sich neu und ließ sich zwei Jahre nach der Ankunft seiner Eltern in den USA auf die Welt kommen. Er konnte die Schule beschreiben, auf die er tatsächlich gegangen war, denn dort hatte es mehrere muslimische Schüler gegeben.

Und er studierte den Islam in verschiedenen internationalen Onlinekursen, er machte sich mit der Moschee vertraut, zu der er und seine Eltern gehörten, und fand den Namen des ansässigen Imams heraus. Dann bat er um Aufnahme in den Fanklub des Predigers. Es gab Fragen – nicht vom Troll persönlich, sondern von einem anderen Jünger in Kalifornien. Ariel beantwortete sie. Ein paar Tage lang herrschte Schweigen, und dann wurde er aufgenommen. Die ganze Zeit hielt er sein eigenes Virus, seine Malware, versteckt, aber einsatzbereit.

In dem Dorf bei Ghasni, der Hauptstadt der gleichnamigen afghanischen Provinz, saßen vier Talibankämpfer in einem Backsteinbüro. Wie sie es bevorzugten, saßen sie nicht auf Stühlen, sondern auf dem Boden.

Sie hatten sich fest in ihre Gewänder und Mäntel gehüllt, denn obwohl der Mai gerade begonnen hatte, wehte immer noch ein kalter Wind von den Bergen herunter, und in dem Regierungsgebäude aus Backstein gab es keine Heizung.

Anwesend waren ebenfalls drei Regierungsbeamte aus Kabul und die beiden feringhee-Offiziere von der NATO. Die Männer aus den Bergen lächelten nicht. Sie lächelten nie. Feringhee (Foreigners, weiße, ausländische Soldaten) hatten sie bisher immer nur im Visier einer Kalaschnikow gesehen. Aber das war in einem Leben gewesen, das sie aufgeben wollten, und deshalb waren sie ins Dorf heruntergekommen.

In Afghanistan gibt es ein wenig bekanntes Programm mit dem schlichten Namen »Reintegration«. Es ist ein Gemeinschaftsunternehmen der Regierung in Kabul und der NATO unter Leitung eines britischen Major General namens David Hook.

Unter den besten Köpfen herrscht seit Langem die fortschrittliche Ansicht, dass das Zählen von toten Taliban allein nie zum Sieg führen wird. So schnell, wie die angloamerikanischen Militärführer sich dazu beglückwünschen, hundert, zweihundert oder dreihundert Talibankämpfer »eliminiert« zu haben, so schnell tauchen einfach wieder neue auf.

Manche kommen aus der afghanischen Bauernbevölkerung, wie sie es immer getan haben. Einige melden sich zu den Waffen, weil Verwandte – und in dieser Gesellschaft kann eine Großfamilie an die dreihundert Personen umfassen – getötet worden sind, durch eine fehlgeleitete Rakete, einen falsch dirigierten Fliegerangriff oder unachtsames Artilleriefeuer. Andere kommen, weil die Stammesältesten ihnen befehlen zu kämpfen. Aber es sind junge, kaum erwachsene Männer.

Jung sind auch die Studenten aus Pakistan, die scharenweise von den religiösen Schulen kommen, den madrasa, wo sie jahrelang nichts als den Koran studieren und den extremistischen Imamen zuhören, bis sie darauf abgerichtet sind zu kämpfen und zu sterben.

Doch die Talibanarmee ist anders als jede andere. Ihre Einheiten sind weitgehend an die Gegend gebunden, aus der sie hervorgegangen sind, und ihre Ehrfurcht vor ihren alten, erfahrenen Befehlshabern ist grenzenlos. Eliminiert man die Veteranen, bekehrt man die Clanchefs, gewinnt man die Stammesführer, kann ein ganzer Bezirk den Kampf einfach aufgeben.

Schon seit Jahren streifen britische und amerikanische Special Forces, verkleidet als Bergbewohner, durch die Wildnis und bringen die mittleren und oberen Ränge der Talibanführer zur Strecke, weil sie davon ausgehen, dass die kleinen Fische im Grunde nicht das Problem sind.

Parallel zu den Operationen der Nachtjäger bemüht sich das Reintegrationsprogramm, die Veteranen »umzudrehen« und dazu zu bringen, den Ölzweig entgegenzunehmen, den die Kabuler Regierung ihnen entgegenhält. An diesem Tag in dem Dorf Qala-e-Zai vertraten Major General Hook und sein australischer Assistent Captain Chris Hawkins die »Force Reintegration Cell«, die dieses Aussteigerprogramm durchführte und kontrollierte. Die vier graubärtigen Talibanführer, die da an der Wand kauerten, hatte man aus den Bergen gelockt, um sie zur Rückkehr ins Dorfleben zu überreden.

Wie immer beim Angeln, braucht man einen Köder. Ein Reintegrierungswilliger muss einen Kurs zur Deindoktrination absolvieren. Dafür bekommt er ein Haus und eine Schafherde, damit er die Landwirtschaft wiederaufnehmen kann, und außerdem Amnestie und das afghanische Äquivalent von hundert Dollar pro Woche. Das Zusammentreffen an diesem strahlenden, aber kalten Maimorgen diente dem Versuch, die Veteranen davon zu überzeugen, dass die religiöse Propaganda, der sie jahrelang ausgesetzt gewesen waren, falsch sei.

Da sie Paschtu sprachen, konnten sie den Koran nicht lesen, und wie alle nichtarabischen Terroristen waren sie dem gefolgt, was die Dschihadistenausbilder ihnen erzählt hatten, von denen viele sich als Imame oder Mullahs ausgaben, ohne es zu sein. Deshalb war ein paschtunischer Mullah oder maulvi anwesend, der den Veteranen erklären sollte, wie man sie getäuscht hatte und dass der Koran in Wahrheit ein Buch des Friedens sei, das nur wenige Stellen über das »Töten« enthalte, die von den Terroristen absichtlich aus dem Zusammenhang gerissen wurden.

In der Ecke stand ein Fernsehgerät, ein Gegenstand der Faszination für die Bergbewohner. Es zeigte aber kein Liveprogramm, sondern eine DVD von einem daran angeschlossenen Player. Der Mann auf dem Bildschirm sprach Englisch, aber der Mullah konnte mit der Pausentaste der Fernbedienung den Wortstrom unterbrechen, um zu übersetzen, was der Prediger gesagt hatte, und dann zu erklären, dass es im Sinne des heiligen Koran lauter Unsinn sei.

Einer der vier, die da auf dem Boden hockten, war Mahmud Gul, der schon zur Zeit von Nine/Eleven ein hochrangiger Kommandant gewesen war. Er war noch keine fünfzig, doch dreizehn Jahre in den Bergen hatten ihn altern lassen. Das Gesicht unter dem schwarzen Turban war runzlig wie eine Walnuss, und die knotigen Hände schmerzten von einer beginnenden Arthritis.

Als junger Mann war er indoktriniert worden, aber nicht gegen die Briten und die Amerikaner, die, wie er wusste, mitgeholfen hatten, sein Volk von den Russen zu befreien. Mahmud Gul wusste wenig über Bin Laden und seine Araber, und was er wusste, gefiel ihm nicht. Er hatte gehört, was vor Jahren in Manhattan passiert war, und er billigte es nicht. Zu den Taliban war er gegangen, um gegen die Tadschiken und Usbeken der Nordallianz zu kämpfen.

Doch die Amerikaner verstanden die Vorschrift des paschtunwali nicht, des heiligen Gesetzes zwischen Gastgeber und Gast, das es Mullah Omar strengstens verbot, seine al-Qaida-Gäste der Gnade der Amerikaner auszuliefern. Also waren sie in sein Land eingedrungen. Deshalb hatte er gegen sie gekämpft, und er tat es weiter. Bis jetzt.

Mahmud Gul fühlte sich alt und müde. Er hatte viele Männer sterben sehen. Ein paar hatte er mit seinem eigenen Gewehr von ihrem Leiden erlöst, wenn ihre Verletzungen so schwer waren, dass sie nur noch ein paar Stunden oder Tage unter Schmerzen hätten leben können.

Er hatte britische und amerikanische Jungen getötet, aber er wusste nicht, wie viele. Seine alten Knochen taten weh, und seine Hände wurden zu Klauen. Die Hüfte, die vor vielen Jahren zerschmettert worden war, ließ ihm in den langen Bergwintern keine Ruhe. Die Hälfte seiner Familie war tot, und seine Enkel hatte er nur bei hastigen Besuchen in der Nacht sehen können, bevor das Morgengrauen ihn wieder in die Höhlen zurücktrieb.

Mahmud Gul wollte aussteigen. Dreizehn Jahre waren genug. Der Sommer kam. Er wollte in der Wärme sitzen und mit den Kindern spielen. Er wollte sich von seinen Töchtern das Essen bringen lassen, wie es sich im Alter gehörte. Also hatte er beschlossen, das Angebot der Regierung anzunehmen, ein Haus, ein paar Schafe, eine Rente, auch wenn er dafür einem Trottel von Mullah und einem maskierten Redner im Fernsehen zuhören musste.

Als der Fernseher abgeschaltet wurde und der Mullah endlos weiterredete, murmelte Mahmud Gul leise etwas auf Paschtu. Christ Hawkins saß neben ihm; er verstand die Sprache, aber nicht den ländlichen Dialekt von Ghasni. Er glaubte zwar, richtig gehört zu haben, war sich jedoch nicht sicher. Als der Vortrag schließlich zu Ende war und der Mullah zu seinem Auto und seinen Bodyguards zurückgeeilt war, wurde Tee gebracht. Stark, schwarz – und die feringhee hatten Zucker dabei, was gut war.

Captain Hawkins ließ sich neben Mahmud Gul nieder, und sie tranken in geselligem Schweigen. Dann fragte der Australier: »Was hast du gesagt, als der Vortrag zu Ende ging?«

Mahmud Gul wiederholte seine Worte. Er hatte gesagt: »Ich kenne die Stimme.«

Chris Hawkins hatte noch zwei Tage in Ghasni zu verbringen und woanders ein weiteres Reintegrationstreffen zu absolvieren. Dann würde er nach Kabul zurückkehren. Er hatte einen Freund in der britischen Botschaft, von dem er ziemlich sicher war, dass er dem geheimen Nachrichtendienst, dem MI6, angehörte. Vielleicht sollte er ihm davon erzählen.

Ariel hatte recht mit seiner Einschätzung des Trolls. Der Iraki aus Manchester war von überwältigender Arroganz. Im Cyberspace war er der Beste, und das wusste er. In dieser Welt trug alles, was er in die Hand nahm, den Stempel der Perfektion. Darauf bestand er. Es war sein Markenzeichen.

Er zeichnete die Reden des Predigers nicht nur auf, sondern er allein schickte sie auch in die Welt hinaus, wo sie auf wer weiß wie vielen Bildschirmen verfolgt wurden. Und er organisierte den wachsenden Fanklub. Er unterzog die Mitgliedschaftsanwärter einer intensiven Prüfung, bevor er einen Kommentar von ihnen akzeptierte oder sie gar einer Antwort würdigte. Doch trotz allem bemerkte er den unauffälligen Virus nicht, der von einem dunklen kleinen Dachboden in Centreville, Virginia, in sein Programm geschleust wurde. Und wie geplant, begann der eine Woche später, seine Arbeit zu tun.

Ariels Malware bewirkte lediglich, dass die Website des Trolls verlangsamt wurde, periodisch und nur minimal. Das Resultat waren kleine Pausen in der Übertragung des Bildes, während der Prediger redete. Die winzigen Abweichungen von der Perfektion, bemerkte der Troll sofort. Das war inakzeptabel. Es ärgerte ihn, und dann machte es ihn wütend.

Er versuchte den Fehler zu korrigieren, aber ohne Erfolg. Wenn Website eins einen Fehler entwickelte hatte, schloss er, würde er Website zwei aufbauen und dorthin umziehen müssen. Das tat er, und dann musste er den Fanklub auf die neue Website umdirigieren.

Bevor er den Proxyserver einrichtete, um eine falsche IP-Adresse einzuschalten, hatte er eine echte, nämlich die IP, die als Art Mailadresse fungierte. Um den gesamten Fanklub von Website eins nach Website zwei zu verlegen, musste er über die echte IP-Adresse gehen. Das dauerte nur eine Hundertstelsekunde, vielleicht weniger. Während des Umzugs war die echte IP-Adresse für diesen Sekundenbruchteil offen. Dann war sie wieder verschwunden. Aber auf dieses winzige Fenster hatte Ariel gewartet. Die IP-Adresse verriet ihm ein Land, und sie hatte einen Eigentümer: France Telecom.

Wenn die Supercomputer der NASA für Gary McKinnon kein Hindernis dargestellt hatten, würde die Datenbank der France Telecom Ariel erst recht nicht lange aufhalten. Innerhalb eines Tages hatte er sie gehackt, unbemerkt und ohne Verdacht zu erregen. Wie ein guter Einbrecher war er bald darauf wieder draußen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Jetzt hatte er einen Längen- und einen Breitengrad – eine Stadt.

Das musste er Colonel Jackson mitteilen, aber er wusste, dass er ihm die Nachricht nicht per E-Mail schicken konnte. Es gab Leute, die E-Mails mitlasen.

Der australische Captain hatte in zwei Punkten recht. Die beiläufige Bemerkung des Talibanveteranen war tatsächlich eine Erwähnung wert, und sein Freund gehörte tatsächlich zu der großen und aktiven SIS-Einheit in der britischen Botschaft. Und aufgrund des Hinweises wurde unverzüglich gehandelt. Die Information ging sicher verschlüsselt nach London und von dort weiter zu TOSA.

Zum einen hatte Großbritannien es ebenfalls mit drei Morden zu tun, zu denen der gesichts- und namenlose Prediger angestiftet hatte. Zum andern war bereits ein Fahndungsersuchen an alle befreundeten Dienste übermittelt worden. Angesichts des starken Verdachts, dass der Prediger aus Pakistan stamme, herrschte in den britischen SIS-Stationen in Islamabad und im benachbarten Kabul besondere Alarmbereitschaft.

Innerhalb von vierundzwanzig Stunden war eine Grumman Gulfstream 500 des J-SOC mit einem einzigen Passagier auf der Andrews Air Base am Rand von Washington gestartet. Sie landete zum Tanken auf der amerikanischen Basis in Gloucestershire, Großbritannien, und noch einmal auf dem großen amerikanischen Stützpunkt in Doha, Katar. Die dritte Station war die Basis, die noch immer von den USA auf dem riesigen Gelände von Bagram, nördlich von Kabul, unterhalten wurde.

Der Spürhund flog nicht nach Kabul. Das brauchte er nicht, und seine Maschine war im Schutz von Bagram sicherer als auf dem internationalen Flughafen von Kabul. Aber was er brauchte, war bereits vorausgemeldet worden. Wenn das Reintegrationsprogramm finanziellen Einschränkungen unterlag, so galten sie nicht für J-SOC. Die Macht des Dollars tat ihre Wirkung. Captain Hawkins wurde per Hubschrauber nach Bagram gebracht. Nach dem Auftanken brachte derselbe Hubschrauber die beiden Männer und eine von einer Rangerkompanie gestellte Schutzeinheit nach Qala-e-Zai.

Es war Mittag, als sie am Rand des ärmlichen Dorfes landeten, und die Frühlingssonne schien warm. Als sie Mahmud Gul fanden, tat er, was er schon so lange hatte tun wollen: Er saß in der Sonne und spielte mit seinen Enkeln.

Beim Anblick des dröhnenden Blackhawk, der vom Himmel herunterkam, und der Soldaten, die herausstürmten, nachdem er auf dem Dreschplatz der Gemeinde gelandet war, flüchteten die Frauen in die Häuser. Türen und Fensterläden wurden zugeschlagen. Schweigende Männer mit versteinerten Gesichtern standen auf der einzigen Straße der Ortschaft und sahen zu, wie die feringhee in ihr Dorf marschierten.

Der Spürhund befahl den Rangern, beim Hubschrauber zu bleiben. Nur Captain Hawkins begleitete ihn, um ihn vorzustellen und zu übersetzen, als er die Straße entlangging, nach links und rechts nickte und den traditionellen Salaam-Gruß sprach. Hier und da kam ein widerwilliges Salaam zurück. Der Australier wusste, wo Mahmud Gul wohnte. Der Veteran saß vor seinem Haus. Ein paar Kinder rannten erschrocken auseinander. Nur eins, ein dreijähriges Mädchen, eher neugierig als verängstigt, klammerte sich an den Mantel seines Großvaters und starrte die beiden Männer mit großen runden Augen an. Die beiden Fremden setzten sich mit gekreuzten Beinen vor dem Kriegsveteranen auf den Boden und begrüßten ihn. Er erwiderte den Gruß.

Der Afghane schaute die Straße hinauf und hinunter. Die Soldaten waren nicht mehr zu sehen.

»Ihr habt keine Angst?«, fragte er

»Ich glaube, ich besuche hier einen Mann des Friedens«, sagte der Spürhund, und Hawkins übersetzte seine Worte in Paschtu. Der ältere Mann nickte und rief etwas über die Straße.

»Er sagt dem Dorf, dass keine Gefahr besteht«, flüsterte Hawkins.

Mit Übersetzungspausen erinnerte der Spürhund Mahmud Gul an seine Sitzung mit dem Reintegrationsteam nach dem Freitagsgebet der vergangenen Woche. Die dunkelbraunen Augen des Afghanen waren auf das Gesicht des Spürhunds gerichtet, und er zuckte nicht mit der Wimper. Schließlich nickte er.

»Es ist viele Jahre her, doch es war dieselbe Stimme.«

»Aber im Fernsehen hat er Englisch gesprochen. Du verstehst kein Englisch. Woher willst du es wissen?«

Mahmud Gul zuckte die Achseln.

»Es war die Art, wie er sprach«, sagte er, als wäre da nichts anderes zu bedenken. Bei Mozart nannte man es das »absolute Gehör« – die Fähigkeit, Töne aufzunehmen und sich exakt so an sie zu erinnern, wie sie waren. Mahmud Gul mochte ein analphabetischer Bauer sein, doch wenn seine Überzeugung sich als richtig erwies, verfügte er über das gleiche absolute Gehör.

»Bitte erzähl mir, was gewesen ist.«

Der alte Mann schwieg, und sein Blick fiel auf das Bündel, das der Amerikaner mitgebracht hatte.

»Zeit für die Geschenke«, flüsterte der Australier.

»Entschuldige«, sagte der Spürhund und riss die Schnur auf. Er breitete aus, was er mitgebracht hatte: zwei Büffelgewänder aus einem Geschäft für indianische Folkloreartikel, mit warmem Fleece gefüttert.

»Vor langer Zeit jagten die Menschen in meinem Land den Büffel, um Fleisch und Felle zu haben. Es ist der wärmste Pelz, den wir kennen. Im Winter hüllst du dich hinein. Du schläfst auf dem einen und deckst dich mit dem anderen zu, und du wirst nie wieder frieren.«

Langsam zerfurchte ein Lächeln Mahmud Guls Walnussgesicht, das erste Lächeln, das Hawkins bei ihm gesehen hatte. Er hatte nur noch vier Zähne, aber sie taten ihr Bestes, um das Lächeln breit erstrahlen zu lassen. Er fuhr mit den Fingern durch den dichten Pelz. Die Juwelentruhe der Königin von Saba hätte ihm keine größere Freude bereiten können. Also erzählte er seine Geschichte.

»Es war im Kampf gegen die Amerikaner, gleich nach der Invasion und dem Angriff auf die Regierung Mullah Omars. Tadschiken und Usbeken strömten aus ihrer Enklave im Nordosten. Wir wären mit ihnen fertiggeworden, aber sie hatten Amerikaner auf ihrer Seite, und die feringhee steuerten die Flugzeuge, die mit Bomben und Raketen aus dem Himmel kamen. Die Amerikaner konnten mit den Flugzeugen sprechen und ihnen sagen, wo wir waren, sodass die Bomben selten fehlgingen. Es war sehr schlimm.

Nördlich von Bagram, auf dem Rückzug durch das Salang-Tal, wurde ich im freien Gelände erwischt. Ein amerikanisches Kampfflugzeug schoss viele Male auf mich. Ich versteckte mich hinter einem Felsen, doch als sie weg waren, sah ich, dass mich eine Kugel an der Hüfte getroffen hatte. Meine Männer trugen mich nach Kabul. Dort legte man mich auf einen Lastwagen und brachte mich weiter nach Süden. Wir kamen durch Kandahar und überquerten bei Spin Boldak die Grenze nach Pakistan. Unsere Freunde dort gaben uns Unterschlupf. Wir kamen nach Quetta, und dort war ein Arzt, der meine Hüfte versorgte.

Im Frühling konnte ich wieder mit dem Laufen anfangen. Ich war damals noch jung und stark, und die zersplitterten Knochen heilten gut. Aber ich hatte große Schmerzen und musste mit einer Krücke gehen. In diesem Frühling wurde ich zur Schura in Quetta eingeladen und saß mit dem Mullah im großen Rat.

Im selben Frühling kam eine Delegation aus Islamabad nach Quetta zu einer Beratung mit Mullah Omar. Es waren zwei Generäle, doch sie sprachen kein Paschtu, sondern nur Urdu. Einer der Offiziere hatte seinen Sohn mitgebracht, einen Jungen noch. Er sprach fließend Paschtu, mit dem Akzent des Hochlands von Siachen, und er übersetzte für die Generäle. Sie sagten uns, sie müssten so tun, als kooperierten sie mit den Amerikanern, aber sie würden uns niemals im Stich lassen und erlauben, dass unsere Talibanbewegung vernichtet würde. Und so war es auch.

Ich sprach mit dem Jungen aus Islamabad, und er war es, der auf dem gläsernen Schirm sprach. Er war es, hinter der Maske. Übrigens hatte er bernsteinfarbene Augen.«

Der Spürhund bedankte und verabschiedete sich. Er ging die Straße hinunter zum Dreschplatz. Überall standen schweigende Männer und starrten ihn an, und die Frauen spähten durch die Ritzen der Fensterläden. Die Kinder versteckten sich hinter ihren Vätern und Onkeln. Niemand behelligte ihn.

Die Ranger bildeten einen auswärts gewandten Kreis, ließen die beiden Offiziere in den Hubschrauber steigen und gingen ebenfalls an Bord. Der Hubschrauber startete, wirbelte Staub und Kleie auf, und sie flogen zurück nach Bagram. Dort gibt es halbwegs komfortable Offiziersunterkünfte, gutes Essen, aber keinen Alkohol. Der Spürhund brauchte jedoch nur eins: zehn Stunden Schlaf. Während er schlief, leitete die CIA-Station in der Kabuler Botschaft seinen Bericht weiter.

Vor seinem Abflug aus den Staaten hatte man dem Spürhund mitgeteilt, die CIA stehe allen Rivalitäten zwischen den Diensten zum Trotz bereit, ihm volle Unterstützung zu bieten. Die brauchte er aus zwei Gründen.

Zum einen unterhielt die CIA große Niederlassungen in Kabul und in Islamabad, einer Hauptstadt, in der jeder Amerikaner unter intensiver geheimpolizeilicher Beobachtung stand. Zum anderen verfügte sie in Langley über eine vorzügliche Einrichtung zur Herstellung falscher Papiere für den Einsatz im Ausland.

Als der Spürhund aufwachte, war der stellvertretende Stationschef wunschgemäß zu einer Besprechung von Kabul heraufgeflogen. Der Spürhund hatte eine Liste von Anforderungen, die der Nachrichtendienstoffizier sich sorgfältig notierte. Die Einzelheiten würden noch am selben Tag verschlüsselt nach Langley übermittelt werden, wie er versicherte. Wenn die gewünschten Papiere fertig seien, werde ein Kurier sie aus den USA herüberbringen.

Als der CIA-Mann per Hubschrauber vom US-Gelände in Bagram zur Botschaft nach Kabul zurückgekehrt war, bestieg der Spürhund den wartenden Privatjet des J-SOC und flog zu der großen amerikanischen Basis in Katar am Persischen Golf. Nach allen amtlichen Unterlagen war niemand namens Carson je im Land gewesen.

Das Gleiche galt für Katar. Dort konnte er die drei Tage verbringen, die es dauern würde, die neuen Papiere herzustellen, die er auf dem Gelände einer amerikanischen Basis brauchen würde. Nach der Landung auf dem Stützpunkt außerhalb von Doha ließ er die Grumman in die Vereinigten Staaten zurückfliegen. Dann gab er zwei Flugtickets in Auftrag.

Das eine war für den kurzen Flug mit einer billigen einheimischen Airline an der Küste entlang nach Dubai, ausgestellt auf den Namen Christopher Carson. Das andere war ein von einem Reisebüro in einem Fünfsternehotel ausgestelltes Businessclass-Ticket für einen British-Airways-Flug von Dubai über London nach Washington, ausgestellt auf den fiktiven Namen John Smith. Als er die Nachricht bekommen hatte, auf die er wartete, flog er das kurze Stück zum internationalen Flughafen Dubai.

Nach der Landung begab er sich geradewegs zum Transitgebäude. In der wahrhaft riesigen Duty-Free-Shopping-Mall wimmelte es von Tausenden Passagieren, die über das größte Luftverkehrsdrehkreuz des Nahen Ostens reisten. Ohne den Transitschalter zu bemühen, ging er unverzüglich in die Transitlounge der Klubklasse.

Der Kurier aus Langley erwartete ihn am vereinbarten Treffpunkt vor dem Eingang der Herrentoilette, und sie wechselten im Flüsterton das Erkennungszeichen. Sehr altmodisch, eine hundert Jahre alte Methode, aber sie funktioniert immer noch. Sie suchten sich ein ruhiges Eckchen mit zwei einzelnen Sesseln.

Beide Männer hatten nur Bordgepäck dabei. Die Taschen waren nicht identisch, doch das machte nichts. Der Kurier hatte einen echten amerikanischen Pass auf den Namen John Smith mitgebracht, der zu dem Flugticket in die USA passte. Am British-Airways-Schalter ein Stockwerk tiefer würde er eine Bordkarte bekommen. John Smith, der mit einem Emirates-Flug gekommen war, würde nach einem bemerkenswert kurzen Zwischenstopp und mit einer anderen Linie weiterfliegen, und niemand würde etwas bemerken.

Sie tauschten auch das Reisegepäck. Was der Spürhund dem Kurier gab, war bedeutungslos. Was er bekam, war ein Trolley mit Hemden, Anzügen, Toilettenartikeln, Schuhen und allem, was für einen kurzen Aufenthalt nötig war. Zwischen Kleidungsstücken und Paperbackthrillern aus der Flughafenbuchhandlung befanden sich diverse Rechnungen, Quittungen und Briefe, die bestätigten, dass der Eigentümer Mr. Daniel Priest hieß.

Er übergab dem Kurier jedes Stück Papier mit dem Namen Carson, das er bei sich trug. Auch das würde ungesehen in die Vereinigten Staaten zurückkehren. Was er dafür bekam, war eine Brieftasche mit den Papieren, für deren Herstellung die CIA drei Tage gebraucht hatte.

Dazu gehörte ein Pass auf den Namen Daniel Priest, der als leitender Redakteur bei der Washington Post tätig war. Er enthielt ein vom pakistanischen Konsulat in Washington ausgestelltes Visum, das Mr. Priest die Einreise nach Pakistan ermöglichte. Die Beschaffung dieses Visums bedeutete, dass die pakistanische Polizei über sein Kommen informiert war und ihn erwarten würde. Journalisten sind für empfindliche Regime von größtem Interesse.

Ein Schreiben des Chefredakteurs der Post bestätigte, dass Mr. Priest eine umfangreiche Serie von Artikeln zum Thema »Islamabad – Die Entstehung einer erfolgreichen modernen Großstadt« plane. Ein Rückflugticket über London lag ebenfalls bei.

Dazu kamen Kreditkarten, ein Führerschein und die üblichen Papiere und Plastikkarten, die man in der Brieftasche eines gesetzestreuen amerikanischen Staatsbürgers und leitenden Angestellten erwartete, sowie die Reservierungsbestätigung für ein Zimmer im Serena-Hotel in Islamabad, einschließlich der Abholung durch ein Hotelshuttle. Der Spürhund hatte nicht vor, sich am internationalen Flughafen von Islamabad in das wimmelnde, wogende Chaos zu stürzen, um sich in irgendein altes Taxi zerren zu lassen.

Der Kurier übergab ihm außerdem den Passagierabschnitt einer Bordkarte für den Flug von Washington nach Dubai und das unbenutzte Weiterflugticket von Dubai nach »Slammy«, wie Islamabad von der Bruderschaft der Special Forces genannt wird.

Eine gründliche Durchsuchung seines Zimmers, mit der sicher zu rechnen war, würde nur ergeben, dass Mr. Priest ein ausgewiesener Auslandskorrespondent aus Washington mit gültigem Visum war, der einen nachvollziehbaren Grund für seine Anwesenheit in Pakistan hatte, und weiterhin, dass er nur wenige Tage bleiben und dann nach Hause fliegen würde.

Als Identitäten und »Legenden« ausgetauscht waren, gingen die beiden Männer einzeln zu verschiedenen Airline-Schaltern hinunter, um sich die Bordkarten für ihre Weiterflüge zu holen.

Es war kurz vor Mitternacht, und der Flug EK 612 startete um drei Uhr fünfundzwanzig. Der Spürhund schlug die Zeit in der Lounge tot und war trotzdem eine Stunde zu früh am Gate, hielt sich jedoch im Hintergrund und musterte die übrigen Passagiere. Er wusste, dass es ratsam war, niemandem aufzufallen.

Wie er vermutet hatte, waren die Economy-Passagiere überwiegend pakistanische Arbeiter, die nach den vorgeschriebenen zwei Jahren, die sie als regelrechte Zwangsarbeiter auf Baustellen verbracht hatten, nach Hause zurückkehrten. Es ist üblich, dass die Gangsterbosse des Baugewerbes dem Arbeiter bei der Ankunft den Pass abnehmen und ihn erst nach Ablauf des Zwei-Jahres-Vertrags zurückgeben.

In dieser Zeit leben die Arbeiter in primitiven Hütten ohne die nötigste Einrichtung und schuften in furchtbarer Hitze für einen Hungerlohn, den sie teilweise noch nach Hause zu schicken versuchen. Als sie sich zum Einsteigen an die Tür drängten, stieg ihm der Geruch von schalem Schweiß in die Nase, gewürzt von einer einförmigen Ernährung mit Curry. Gottlob waren Economy- und Businessclass bald voneinander getrennt, und er entspannte sich »vorn« im gepolsterten Komfort zusammen mit einigen Geschäftsleuten aus Pakistan und vom Arabischen Golf.

Der Flug dauerte etwas mehr als drei Stunden, und um sieben Uhr dreißig Ortszeit landete die Boeing 777-300 der Emirates. Durch das Bullauge der rollenden Verkehrsmaschine sah er, wie der militärische C-130-Hercules-Transporter und die präsidentiale Boeing 737 vorüberglitten.

Vor der Passkontrolle wurde er vom Gewimmel der Pakistani getrennt und stellte sich in die Schlange der Ausländer. Der neue Pass für Daniel Priest, den neben dem pakistanischen Visum nur ein paar europäische Ein- und Ausreisestempel zierten, wurde Seite für Seite sorgfältig studiert. Die routinemäßigen, höflichen Fragen waren leicht zu beantworten. Er zeigte seine Reservierungsbestätigung für das Serena-Hotel vor. Männer in zivilen Anzügen standen im Hintergrund und musterten ihn scharf.

Mit seinem Trolley kämpfte er sich durch die lärmenden, drängenden, schiebenden Menschenmassen in der Gepäckhalle, und ihm war klar, dass hier im Vergleich zum Chaos draußen noch eine teutonische Ordnung herrschte. In Pakistan steht man nicht Schlange.

Draußen vor der letzten Halle schien die Sonne. Anscheinend waren Tausende gekommen, große Familien, um die Heimkehrer vom Golf willkommen zu heißen. Der Spürhund ließ den Blick über die Wartenden schweifen, bis er den Namen Priest auf einer Tafel sah, hochgehalten von einem jungen Mann in der Livree des Serena. Er ging auf ihn zu und wurde zu der Limousine auf dem kleinen VIP-Parkplatz rechts neben dem Terminal eskortiert.

Der Flughafen liegt auf dem ausgedehnten Gebiet des alten Rawalpindi, und wenn man das Flughafengelände verlassen hat, führt die Straße auf den Highway nach Islamabad. Da das Serena, das einzige erdbebensichere Hotel in Slammy, am Stadtrand liegt, war der Spürhund überrascht, als der Wagen in eine scharfe Kurve einbog – rechts, links und vorbei an einer Schranke, die für normale Gästeautos geschlossen sein würde, für die Limousine des Hotels aber offen stand. Über eine kurze, aber steile Rampe ging es hinauf zum Eingang.

An der Rezeption wurde er mit Namen begrüßt, und man führte ihn auf sein Zimmer. Ein Brief mit dem Logo der amerikanischen Botschaft erwartete ihn. Der Spürhund strahlte und gab dem Pagen ein Trinkgeld. Er tat, als ahnte er nicht, dass die Geheimpolizei sein Zimmer verwanzt hatte, und öffnete den Brief. Der Presseattaché der Botschaft begrüßte ihn in Pakistan und lud ihn für den Abend zum Essen in seinem Haus ein. Gerry Byrne, lautete die Unterschrift.

Von der Vermittlung des Hotels ließ er sich mit der Botschaft verbinden, verlangte Gerry Byrne zu sprechen und wechselte mit ihm die üblichen Höflichkeitsfloskeln. Ja, der Flug sei angenehm gewesen, das Zimmer sei ebenso angenehm, und er werde gern zum Essen kommen.

Gerry Byrne war ebenfalls entzückt. Er wohne in der Stadt, in Zone F7, Straße 43. Der Weg sei kompliziert, und deshalb werde er einen Wagen schicken. Es werde unterhaltsam werden. Nur eine kleine Gruppe von Freunden, ein paar Amerikaner, ein paar Pakistani.

Beide wussten, dass noch jemand an ihrer Unterhaltung teilnahm und das Gespräch wahrscheinlich eher langweilig als unterhaltsam finden würde. Er würde an einer Konsole im Keller einer Ansammlung von Lehmziegelbauten zwischen Rasenflächen und Springbrunnen sitzen, die eher aussah wie eine Universität oder wie eine Klinik, nicht wie das Hauptquartier einer Geheimpolizei. Aber genau so sieht der Sitz des ISI an der Straße Khayaban-e-Suhrawardy aus.

Der Spürhund legte auf. So weit, so gut, dachte er. Er duschte und rasierte sich und zog frische Sachen an. Es war spät am Vormittag. Er beschloss, früh zu Mittag zu essen und ein Nickerchen zu machen, um den verlorenen Schlaf der vergangenen Nacht nachzuholen. Vor dem Lunch ließ er sich ein großes, kaltes Bier aufs Zimmer bringen und unterschrieb eine Erklärung, mit der er bestätigte, kein Muslim zu sein. Pakistan ist ein streng islamischer Staat und daher »trocken«, aber das Serena hat eine Lizenz, wenn auch nur für Gäste.

Pünktlich um sieben war der Wagen da, ein (aus gutem Grund) unauffälliger japanischer Viertürer. Von dieser Sorte waren Tausende auf den Straßen von Slammy unterwegs. Er würde keine Aufmerksamkeit erregen. Am Steuer saß ein angestellter Fahrer der Botschaft, ein Pakistani.

Der Fahrer kannte den Weg – die Atatürk Avenue hinauf, über die Jinnah Avenue hinweg und dann nach links in die Straße Nazim-ud-din. Der Spürhund kannte den Weg ebenfalls, jedoch nur, weil unter den Sachen, die ihm der Kurier aus Langley auf dem Flughafen Dubai gegeben hatte, eine Beschreibung gewesen war. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Seinen ISI-Beschatter hatte er schon an der nächsten Ecke hinter dem Serena entdeckt. Er folgte ihm wie ein treuer Hund an den Hochhäusern vorbei und die Marvi-Straße hinauf bis zur Straße 43. Nichts Überraschendes also. Der Spürhund mochte keine Überraschungen, wenn er sie nicht selbst hervorrief.

Über der Haustür hing kein Schild mit der Aufschrift »Regierungseigentum«, aber es hätte genauso gut dort hängen können. Angenehm und geräumig genug, eins von einem Dutzend Häusern für Botschaftsangestellte außerhalb der Botschaft. Gerry Byrne und seine Frau Lynn begrüßten ihn und führten ihn auf eine Terrasse hinter dem Haus, wo sie ihm einen Drink anboten.

Es hätte beinahe aussehen können wie in einem amerikanischen Vorort, wenn da nicht ein paar Details gewesen wären. Jedes Haus in der Straße 43 war von einer über zwei Meter hohen Mauer mit Stahltoren in gleicher Höhe umgeben. Das Tor hatte sich ohne jede Kommunikation geöffnet, als hätte drinnen ein Beobachter gesessen. Der Wachmann trug eine schwarze Uniform, Baseballkappe und eine Pistole. Wie in einem normalen Vorort.

Ein pakistanisches Ehepaar war schon da, ein Arzt und seine Frau. Bald kamen noch andere. Ein Wagen der Botschaft fuhr auf das Grundstück, andere parkten auf der Straße. Ein Ehepaar von einer Hilfsorganisation konnte berichten, wie schwierig es sei, die religiösen Fanatiker oben in Bajaur zu überreden, die Polioschutzimpfung der einheimischen Kinder zuzulassen. Der Spürhund wusste, dass ein Mann anwesend war, dessentwegen er gekommen war, und ein anderer noch nicht erschienen war. Die übrigen Gäste waren »Tarnung«, wie das ganze Abendessen.

Der noch Fehlende kam schließlich mit seinen Eltern. Der Vater war ein offener, leutseliger Mann. Er hatte Konzessionen für den Abbau von Halbedelsteinen in Pakistan und sogar in Afghanistan und schilderte wortreich die Probleme, die seinen Geschäften durch die derzeitige Situation bereitet wurden.

Der Sohn war ungefähr fünfunddreißig und begnügte sich damit zu sagen, er sei in der Army, doch er trug Zivil. Auch über ihn war der Spürhund informiert worden.

Der zweite amerikanische Diplomat wurde als Kulturattaché Stephen Dennis vorgestellt. Eine gute Tarnung, denn es war völlig normal, dass der Presseattaché einen prominenten amerikanischen Journalisten zum Abendessen einlud und dass der Kulturattaché ebenfalls dazukam.

Der Spürhund wusste jedoch, dass es sich in Wirklichkeit um die Nummer zwei der CIA-Niederlassung handelte. Der Stationschef wurde offiziell als Nachrichtendienstoffizier geführt – mit anderen Worten, die CIA machte kein Hehl daraus, wer er war und was er tat. In jeder Botschaft auf heiklem Territorium besteht das Vergnügen darin herauszufinden, wer die »inoffiziellen« sind. Die gastgebende Regierung hat meistens ein paar Vermutungen, und ein paar davon treffen zu, aber sicher kann man nie sein. Die »Inoffiziellen« betreiben Spionage, und dazu benutzen sie meist einheimische Staatsbürger, die sich »umdrehen« ließen und bereit waren, für einen neuen Arbeitgeber tätig zu sein.

Es war ein geselliges Essen mit Wein und später auch Johnnie Walker Black Label, der im gesamten Offizierscorps – muslimisch oder nicht – das Getränk der Wahl ist. Als die Gäste sich zum Kaffee zerstreuten, nickte Steve Dennis dem Spürhund zu und schlenderte auf die Terrasse hinaus. Der Spürhund folgte ihm, und als Dritter kam der junge Pakistani.

Nach wenigen Sätzen war klar, dass er nicht nur der Army, sondern auch dem SIS angehörte. Wegen der westlichen Ausbildung, die sein Vater ihm hatte ermöglichen können, hatte man ihn ausgesucht, damit er die britische und amerikanische Gesellschaft in der Stadt infiltrierte und alles Brauchbare meldete, was ihm zu Ohren kam. Tatsächlich tat er jetzt das Gegenteil.

Steve Dennis war ihm schon nach wenigen Tagen auf die Schliche gekommen und hatte ihn angeworben. Dschawad war ein Maulwurf der CIA im ISI geworden. An ihn war das Ersuchen des Spürhunds geleitet worden. Unter einem unauffälligen Vorwand hatte er das Archiv aufgesucht und die Unterlagen über das Jahr 2002 und Mullah Omar durchsucht.

»Wer immer Ihre Quelle war, Mr. Priest«, sagte er leise, »sie hat ein gutes Gedächtnis. 2002 war tatsächlich eine geheime Delegation in Quetta zu einer Zusammenkunft mit Mullah Omar, geführt von dem damaligen Ein-Stern-General Schaukat, der inzwischen Oberbefehlshaber der gesamten Army ist.«

»Und der Junge, der Paschtu sprach?«

»Das wird nicht erwähnt, aber – ja. Es heißt nur, dass ein Major Muscharraf Ali Schah von den Panzergrenadieren zur Delegation gehörte. Bei den Sitzplatzzuweisungen im Flugzeug und für das Hotelzimmer seines Vaters in Quetta findet sich auf der Liste ein Sohn namens Zulfikar.«

Er holte einen Zettel aus der Tasche und reichte ihn herüber. Darauf stand eine Adresse in Islamabad.

»Weitere Erwähnungen des Jungen?«

»Ein paar. Ich habe noch einmal unter seinem Namen und dem seines Vaters nachgesehen. Anscheinend machte er eine schlechte Entwicklung. Es wird erwähnt, dass er sein Elternhaus verließ und in die Stammesgebiete ging, um sich Laschkar-e-Taiba anzuschließen. Wir hatten da viele Jahre lang mehrere Agenten tief im Innern. Die Rede war von einem jungen Mann, einem fanatischen Dschihadisten, der scharf darauf war, etwas zu tun. Es gelang ihm, in die Brigade 313 aufgenommen zu werden.«

Von der 313 hatte der Spürhund schon gehört. Sie war nach den 313 Kriegern benannt, die dem Propheten gegen viele hundert Feinde beigestanden hatten.

»Dann verschwand er wieder. Unsere Quellen sprechen von Gerüchten, nach denen er sich dem Hakkani-Clan angeschlossen habe. Das dürfte ihm dank seiner Paschtukenntnisse gelungen sein, denn etwas anderes sprechen die nicht. Aber wo? Irgendwo in einem der Stammesgebiete, in Nord- oder Süd-wasiristan oder in Bajaur. Danach nichts mehr. Stille. Schluss mit Ali Schah.«

Andere kamen zu ihnen auf die Terrasse. Der Spürhund steckte den Zettel ein und bedankte sich bei Dschawad. Eine Stunde später brachte ihn der Botschaftswagen zurück ins Serena.

In seinem Zimmer überprüfte er die drei oder vier kleinen Hinweisgeber, die er ausgelegt hatte: Haare, die er mit Speichel über Schubladen und das Schloss seines Trolleys geklebt hatte. Sie waren weg. Sein Zimmer war durchsucht worden.