14. Kapitel

Hornblower kam nach vom, wo der Feuerwerker und seine Maate an Deck hockten und nach McCullums Anweisungen an den Luntenschläuchen arbeiteten.

»Hoffentlich machen Sie die Nähte da so, daß sie auch dicht halten, Mr. Clout.«

»Aye, aye, Sir«, sagte Clout.

Die Männer saßen auf einem Stück alten Segeltuch, das sie an Deck ausgebreitet hatten. Dadurch sollte verhindert werden, daß das heiße Pech aus dem neben ihnen stehenden Topf die makellosen Decksplanken beschmutzte.

»Die Schnellunte brennt fünf Sekunden auf den Fuß, Sir. Sie sagten, wir sollten zuerst einen Fuß langsam brennender Zündschnur nehmen, Sir?«

»Ja, das stimmt.«

Hornblower beugte sich über die Arbeit. Die Lederschläuche waren ungleich lang, ihre Länge schwankte zwischen drei und fünf Fuß. Es paßte so recht zu der widerborstigen Art der Natur, daß sie einfach keine längeren Lederhäute lieferte. Einer der Feuerwerksmaate war mit einem schlanken Pricker zugange und fädelte das Ende einer schier endlosen Schnellunte durch einen dieser Schläuche. Kam der Pricker wieder zum Vorschein, dann schob er den Schlauch weiter über die Lunte, bis er das bereits aufgefädelte Stück erreichte.

»Vorsicht damit«, sagte Clout. »Wir wollen nicht riskieren, daß uns womöglich die Lunte reißt.«

Der andere Feuerwerksmaat machte sich mit Nadel und Segelhandschuh daran, jede neue Schlauchlänge durch eine doppelte Naht mit ihren Nachbarstücken zu verbinden. War das sauber geschehen, dann kam Clout und tränkte die Verbindungsstelle samt der Längsnaht des neuen Schlauchstücks reichlich mit warmem Pech. Am Ende sollten so insgesamt hundertzwanzig Fuß Schlauch zusammengenäht und verpicht sein, durch die sich eine ebenso lange, schnell brennende Lunte zog.

»Ich habe mir ein paar gute Fässer ausgesucht, Sir«, sagte Clout. »Sie fassen zwar fünfzig Pfund, aber ich nehme eben Säcke mit trockenem Sand, um sie aufzufüllen.«

»Das ist gut«, sagte Hornblower.

McCullum wollte als Sprengladung genau dreißig Pfund, nicht mehr und nicht weniger. »Ich denke nicht daran, das ganze Wrack in Stücke zu jagen«, hatte er erklärt, »ich möchte es nur an der richtigen Stelle öffnen.«

Das gehörte zu McCullums Berufsgeheimnissen. Hornblower hätte keine Ahnung gehabt, wieviel Pulver man brauchte, um in einer Tiefe von hundert Fuß dieses Resultat zu erzielen. Ein langer Neunpfünder, das wußte er, brauchte drei Pfund Pulver, um die Kugel ungezielt eineinhalb Meilen weit zu treiben, aber das war etwas ganz anderes, und in dem unelastischen Medium Wasser ließ sich mit solchen Zahlen natürlich erst recht nichts anfangen. Wenn aber für ein Fünfzig-Pfund-Faß nur dreißig Pfund Pulver vorgesehen waren, dann mußte das Faß auf alle Fälle mit einem neutralen Stoff, zum Beispiel trockenem Sand, aufgefüllt werden.

»Machen Sie mir Meldung, sobald Sie fertig sind«, sagte Hornblower und wandte sich wieder nach achtern.

Hier trieb sich Turner herum, der eben von Land gekommen war und nun Hornblowers Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen suchte. »Nun, Mr. Turner?«

Turner hielt wohl den gebotenen Abstand, aber sein Benehmen verriet, daß er etwas streng Vertrauliches zu sagen hatte. Als Hornblower zu ihm trat, sagte er mit unterdrückter Stimme:

»Es handelt sich um den Mudir, Sir. Er möchte Sie besuchen.

Er will etwas von Ihnen, ich bin nur noch nicht dahintergekommen, was es ist.«

»Und was sagten Sie ihm?«

»Ich sagte - entschuldigen Sie, Sir, aber es blieb mir nichts anderes übrig -, ich sagte, Sie würden sich sehr darüber freuen.

Auf alle Fälle habe ich den Eindruck, daß irgendeine faule Sache dahintersteckt. Er meinte, er käme sofort.«

»Dann scheint er es sehr eilig zu haben.«

Natürlich, dachte Hornblower, hier in diesen unruhigen Gewässern stank es ja wohl an allen Ecken und Enden; im gleichen Augenblick kam ihm jedoch seine Regung stillos und unwürdig vor.»Fähnrich der Wache!«

»Sir?«

»Was können Sie in Richtung der Stadt ausmachen?«

Smiley warf einen Blick durch den Kieker über die Bucht »Soeben läuft ein Boot aus, Sir, es ist das gleiche Lateinersegel wie gestern abend.«

»Erkennen Sie eine Flagge?«

»Jawohl, Sir, eine rote, es scheint die türkische zu sein.«

»Schön. Mr. Jones, wir bekommen offiziellen Besuch. Lassen Sie Seite pfeifen.«

»Aye, aye, Sir.«

»Nun, Mr. Turner, haben Sie eine Ahnung, was der Mudir will?«

»Nein, Sir. Ich habe nur verstanden, daß er Sie dringend zu sprechen wünscht.›Il Capitano‹war alles, was er sagte, als wir an Land gingen. Der Markt sollte für uns eröffnet sein, aber das war nicht der Fall. Er wollte nur durchaus den Kapitän sprechen, da sagte ich ihm, daß Sie ihn empfangen würden, Sir.«

»Er gab Ihnen auch keine Andeutung?«

»Nein, Sir. Er sagte kein Wort, aber ich hatte den Eindruck, daß er ziemlich aufgeregt war.«

»Nun, wir werden ja bald erfahren, was er auf dem Herzen hat.«

Der Mudir betrat das Deck in würdiger Haltung, obwohl der unbequeme Aufstieg seinen alten Beinen recht schwergefallen sein mochte. Er sah sich sofort mit scharfen Augen um, man konnte nicht erkennen, ob er die Ehrenbezeigung der Bootsmannsmaate und Fallreepsgäste richtig auf sich bezog. Ein weißer Bart umrahmte sein kühngeschnittenes Geiergesicht, und seine lebhaften, dunklen Augen nahmen hurtig die Szene in sich auf, ohne daß man hätte sagen können, ob sie ihm neu war oder nicht. Hornblower legte grüßend die Hand an den Hut, der Mudir grüßte wieder, indem er die seine mit schwungvoller Grazie zur Stirn führte.

»Bitten Sie ihn, mit mir unter Deck zu kommen«, sagte Hornblower. »Ich werde mir erlauben voranzugehen.«

In der Kajüte bot ihm Hornblower mit einer Verbeugung Platz an. Der Mudir setzte sich, und Hornblower nahm mit Turner an seiner Seite ihm gegenüber Platz. Dann nahm der Besucher sogleich das Wort, Turner übersetzte.

»Er hofft, daß Gott Ihnen gute Gesundheit verliehen hat, Sir«, sagte Turner.

»Antworten Sie ihm, wie es hier Sitte ist«, sagte Hornblower.

Während er sprach, begegnete er dem Blick der scharfen braunen Augen mit einem höflichen Lächeln.

»Er fragt, ob Sie eine glückliche Reise hatten, Sir«, meldete Turner.

»Antworten Sie, wie Sie es für richtig halten«, meinte Hornblower darauf.

So ergingen sich die Gesprächspartner noch eine ganze Weile in höflichen Redensarten. Hornblower wußte wohl, daß das im Orient der Brauch war. Würde und Taktgefühl verboten es dem Besucher, schon bei den ersten Worten mit seinem Anliegen herauszuplatzen.

»Soll ich ihm nicht etwas zu trinken anbieten?« fragte Hornblower.

»Bei geschäftlichen Besprechungen ist es üblich, Kaffee zu servieren, Sir.«

»Meinen Sie nicht, daß wir das tun sollten?«

»Ich weiß nicht, Sir, unser Kaffee ist nicht das, was er sich darunter vorstellt.«

»Das kann ich leider nicht ändern. Wollen Sie bitte veranlassen, daß wir welchen bekommen.«

Die Unterhaltung ging weiter, aber der Zweck des Besuches blieb immer noch im dunkeln. Es war interessant zu beobachten, wie gut sich der Mudir darauf verstand, hinter seinen beweglichen und klugen Zügen alles zu verbergen, was ihn wirklich beschäftigte. Erst als der Kaffee aufgetragen wurde, trat darin ein gewisser Wandel ein. Er musterte die dickwandigen Tassen und die zerbeulte Blechkanne mit scharfem Blick, sein Ausdruck blieb jedoch immer noch teilnahmslos, während er nacheinander die Gesten höflicher Zurückweisung und dankbarer Annahme zelebrierte. Dann aber nahm er den ersten Schluck des schwarzen Gebräus, und schon war es mit seiner Selbstbeherrschung vorbei. Unwillkürlich verrieten seine Züge fassungslose Überraschung, obwohl er bemüht war, sich nichts anmerken zu lassen. Er verfiel auf den Ausweg, so viel Zucker zu nehmen, daß sein Kaffee zu richtigem Sirup wurde. Die Tasse faßte er nicht an, sondern führte sie mit Hilfe der Untertasse an seine Lippen.

»Eigentlich sollte es dazu kleine Kuchen und Süßigkeiten geben, Sir«, meinte Turner, »aber Hartbrot mit Marmelade können wir wohl nicht gut anbieten.«

»Nein, das wäre zuviel verlangt«, sagte Hornblower.

Der Mudir nippte vorsichtig an seiner Tasse und setzte die Unterhaltung fort.

»Er sagt, Sie hätten ein sehr schönes Schiff, Sir«, übersetzte Turner. »Ich glaube, daß er nun bald zur Sache kommt.«

»Danken Sie ihm für die freundliche Anerkennung«, sagte Hornblower, »und loben Sie die Schönheiten seines Ortes, wenn Sie das für richtig halten.«

Der Mudir lehnte sich auf seinem Stuhl zurück - offenbar war ihm diese Sitzgelegenheit höchst ungewohnt - und forschte erst in Hornblowers, dann in Turners Mienen. Erst nach einer ganzen Weile nahm er in besonders beherrschtem und wohlmoduliertem Tonfall wieder das Wort:

»Er fragt, ob die Atropos lange bleiben wird, Sir«, sagte Turner.

Auf diese Frage hatte Hornblower die ganze Zeit gewartet.

»Sagen Sie ihm, daß ich meine Vorräte noch nicht ergänzt habe«, sagte er.

Immerhin konnte er damit rechnen, daß die Vorbereitungen für das Bergungsunternehmen, das Suchen und Ausbojen des Wracks sowie die ersten Tauchversuche unbemerkt geblieben oder mindestens für einen Beobachter an Land nicht zu durchschauen waren. Während Turner seine Worte übersetzte und der Mudir antwortete, ließ er den Türken nicht aus den Augen.

»Er sagt, er nehme an, daß Sie auslaufen, sobald das geschehen ist«, sagte Turner.

»Sagen Sie ihm, das würde ich wahrscheinlich tun.«

»Er meint, dies sei der beste Platz, um Meldungen über französische Schiffe abzuwarten, Sir. Die einlaufenden Fischerboote brächten oft wichtige Nachrichten mit.«

»Sagen Sie ihm, ich hätte meine Befehle.«

In Hornblower reifte der Verdacht, daß der Mudir das Auslaufen der Atropos aus irgendeinem Grund hinauszögern wollte. Ob er ihn so lange festhalten wollte, bis ihm ein Hinterhalt gelegt werden konnte, bis die Geschütze des Forts bemannt waren, bis der Wali mit seinen Truppen zurückkam?

Jedenfalls eignete sich die Unterhaltung über einen Dolmetscher ausgezeichnet zur Führung eines diplomatischen Gesprächs. Er konnte den Mudir dabei ständig im Auge behalten und war außerdem in der Lage, jede unachtsame Äußerung als Übersetzungsfehler Turners oder aus irgendeinem anderen Grund von sich zu weisen.

»Von hier aus könnten wir am besten die Passage von Rhodos überwachen, meint er, Sir, die werde von den Franzosen erfahrungsgemäß am häufigsten benutzt. Es scheint, als möchte er auf alle Fälle seine zwanzig Guineen kassieren, Sir.«

»Schon möglich«, sagte Hornblower und suchte durch den Ton dieser Antwort auszudrücken, daß er Turners Bemerkung überflüssig fand.

»Sagen Sie ihm, daß mir meine Befehle leider wenig Handlungsfreiheit lassen.«

Nachdem der Mudir seinen Wunsch geäußert hatte, war es offenbar das beste, ihm alle möglichen Bedenken vorzutäuschen, die nicht so ohne weiteres, am Ende aber vielleicht doch hintangesetzt werden konnten. Hoffentlich reichte Turners Kenntnis der Lingua franca so weit, daß er das richtig zum Ausdruck brachte.

Der Mudir gab sich bei seiner Antwort lebhafter als zuvor, er schien jetzt wirklich im Begriff, die Karten auf den Tisch zu legen.

»Er möchte, daß wir noch länger bleiben, Sir«, sagte Turner.

»In diesem Fall könne er uns auch viel besseren Proviant aus dem Hinterland verschaffen.«

Das war natürlich nicht der wahre Grund für seinen Vorschlag.

»Das ist kein Grund zu bleiben«, sagte Hornblower. »Wenn wir den Proviant nicht rechtzeitig bekommen, dann segeln wir eben ohne ihn.«

Hornblower mußte dabei sehr genau auf seinen Ausdruck achten. Jedes Wort, das er zu Turner sprach, mußte so klingen, als ob es sein voller Ernst sei, denn der Mudir ließ sie keine Sekunde aus den Augen.

»Jetzt bekennt er endlich Farbe, Sir«, sagte Turner. »Er bittet uns, hierzubleiben.«

»Dann fragen Sie ihn gleich, was ihn zu dieser Bitte veranlaßt.«

Diesmal dauerte die Antwort des Mudirs erheblich länger.

»Jetzt haben wir endlich Klarheit, Sir«, meldete Turner. »Er spricht von Piraten.«

»Bitte geben Sie mir wörtlich wieder, was er sagte, Mr. Turner.«

Turner steckte die Zurechtweisung ein. »Hier an der Küste sind Piraten aufgetaucht, Sir«, erklärte er. »Ihr Anführer ist ein Mann namens Michael - Michael, der Türkenschlächter, Sir. Ich habe selbst schon einiges über ihn gehört - es ist natürlich ein Grieche. Er überfällt und plündert kleine Küstenorte. Vorgestern soll er in Fettech gewesen sein, das liegt nur ein paar Meilen von hier, Sir.«

»Und der Mudir hat wohl Angst, daß sein Ort als nächster an die Reihe kommt?«

»Jawohl, Sir«, sagte Turner. Als er Hornblowers Blick begegnete, fügte er rasch hinzu: »Um sicherzugehen, will ich ihn noch besonders danach fragen, Sir.«

Nachdem die Wahrheit endlich heraus war, wurde der Mudir recht gesprächig. Turner mußte ihm lange zuhören, ehe er wieder Gelegenheit zum Übersetzen fand.

»Michael brennt die Häuser nieder, Sir, und raubt die Frauen und das Vieh. Er ist der geschworene Feind aller Mohammedaner. Seinetwegen ist auch der Wali mit den hiesigen Truppen unterwegs. Er rückte aus, um Michael zu fangen, aber seine Rechnung war falsch. Zur Zeit steht er bei Adalia, sieben Tagesmärsche von hier.«

»Jetzt sehe ich klar.«

Solange die Atropos in der Marmarisbucht lag, wagte sich natürlich kein Seeräuber herein, der Mudir und seine Leute waren also in Sicherheit, wenn er hierblieb. Es lag auf der Hand, was der Mudir mit seinem Besuch bezweckte. Er wollte Hornblower überreden, hier liegenzubleiben, bis Michael wieder in sicherer Entfernung war. Alles in allem genommen war das ein erstaunlicher Glücksfall, der nach Hornblowers Meinung den Schlag reichlich ausglich, den ihm das Schicksal durch McCullums Verletzung im Zweikampf zugefügt hatte. Im Krieg ging es eben zu wie beim Whist. Hielt man nur zäh genug durch, dann machten die Gewinne stets die Verluste wieder wett. Auf Unglück folgte allemal ein Glücksfall - das zuzugeben war für Hornblower immerhin eine Leistung, obwohl ihm die umgekehrte Anschauung geläufig war, daß jedes Glück nur zu leicht ein späteres Unglück heraufbeschwor. Jetzt aber durfte er sich seine Freude auf keinen Fall anmerken lassen. »Das kommt uns wunderbar zustatten, Sir«, sagte Turner. »Bitte behalten Sie Ihre Ansichten für sich, Mr. Turner«, versetzte Hornblower beißend.

Dem Mudir, der die beiden nicht aus den Augen ließ, fehlte natürlich jede Erklärung für Hornblowers scharfen Ton und Turners bestürzten Ausdruck, aber er wartete geduldig, bis sich die Ungläubigen wieder an ihn wandten.

»Nein«, sagte Hornblower entschlossen. »Sagen Sie ihm, daß ich seinen Wunsch nicht erfüllen kann.«

Hornblowers Kopfschütteln sagte dem Mudir genug. Man merkte ihm seine Bestürzung an, ehe Turner noch mit Übersetzen fertig war. Er strich seinen Bart und sprach dann einige vorsichtig und bedachtsam gewählte Sätze.

»Er bietet uns eine Gegenleistung an, Sir«, übersetzte Turner.

»Fünf Lämmer oder Kitze für jeden Tag, den wir länger bleiben.«

»Das läßt sich eher hören«, sagte Hornblower. »Sagen Sie ihm, Geld wäre mir lieber.«

Als der Mudir gehört hatte, was ihm Turner weitergab, war die Reihe an ihm, den Kopf zu schütteln. Hornblower, der ihn dabei scharf beobachtete, fand keinen Anlaß, seine Aufrichtigkeit anzuzweifeln.

»Er sagt, er habe keinen Pfennig Geld. Der Wali habe bei seinem letzten Besuch alles mitgenommen.«

»Auf alle Fälle hat er noch unsere zwanzig Guineen. Sagen Sie ihm, er solle sie zurückerstatten und dazu für jeden Tag sechs Lämmer - keine Kitze. Erklärt er sich dazu bereit, so will ich bleiben.«

So kamen sie am Ende überein. Turner brachte den Mudir mit der Barkaß an Land, Hornblower begab sich wieder nach vorn, um die Arbeit des Feuerwerkers zu überprüfen. Der war inzwischen beinahe fertig geworden. An die hundert Fuß Luntenschläuche lagen sauber aufgeschossen an Deck, das eine der beiden Enden verschwand in einem in Segeltuch eingenähten Pulverfaß, das der Feuerwerker soeben dick mit Pech überzog. Hornblower beugte sich darüber, um sich die schwächste Stelle der ganzen Vorrichtung genau anzusehen, die natürlich dort war, wo sich der Segeltuchüberzug des Fasses rund um den einmündenden Schlauch legte.

»Ich habe alles so gut abgedichtet, wie ich konnte, Sir«, meinte der Feuerwerker, »aber der Schlauch ist eben doch gewaltig lang.«

In hundert Fuß Tiefe war der Überdruck schon recht erheblich. Da genügte ein winziger, unauffindbarer Nadelstich an irgendeiner Stelle, und schon wurde das Wasser hindurchgepreßt.

»Wir können es damit versuchen«, sagte Hornblower. »Je eher, je besser.«

So war es immer - dieses›je eher, je besser‹brannte jedem Seeoffizier im Herzen, wie der Tag von Calais einstmals der Königin Mary. Was hatte Hornblower allein heute schon alles unternommen. Frühmorgens wurde die Gig klargemacht und mit allem Nötigen ausgerüstet, die Taucher hineingepackt, nachdem ihnen McCullum noch die letzten Anweisungen gegeben hatte, und dann ging es ohne eine Minute Verzug ans Tauchen. Eine Stunde später saß er mit einem türkischen Mudir beim Kaffee, und in der nächsten hatte er sich mit dem Gerät für Unterwassersprengungen zu befassen. Wenn Abwechslung die Würze des Lebens war, dachte er, dann konnte man sein augenblickliches Dasein in der Tat mit einem orientalischen Curry vergleichen.

»Auf Riemen!« kommandierte Hornblower, und die Gig trieb langsam auf die verankerte Planke zu, die die am leichtesten zugängliche Stelle des Wracks bezeichnete.

Looney verstand sein Geschäft. Das eingenähte Pulverfaß lag neben ihm, es war in das Ende einer langen Leine eingeknotet.

Looney nahm ein anderes, kurzes Stück Leine, befestigte das eine Ende an dem Faß, nahm die Bucht um die Bojenleine herum und befestigte dann auch das zweite Ende am Faß. Dann überzeugte er sich, daß das freie Ende des Luntenschlauches sicher an der leeren Tonne befestigt war, die es nachher an der Oberfläche halten sollte. Als alles klar war, gab er einem seiner beiden Gehilfen mit zwitschernder Stimme einen Befehl, worauf dieser aufstand und seine Kleider ablegte. Looney selbst versuchte unterdessen das Pulverfaß anzuheben, aber es war für seine spindeldürren Arme zu schwer.

»Helft ihm«, befahl Hornblower den beiden vordersten Bootsgästen. »Achtet darauf, daß die Leine klar ist und daß vor allem der Schlauch klar ausläuft.«

Unter Looneys Leitung wurde das Pulverfaß hochgelüftet und über die Bordwand gehoben.

»Fier langsam weg - langsam!« rief Hornblower.

Es war ein spannender Augenblick - der wievielte allein an diesem Tag -, als das Pulverfaß unter der windbewegten Wasserfläche verschwand. Die Matrosen fierten langsam die Leine, an der es hing, der Luntenschlauch lief gleichmäßig mit aus. Die Bucht, die Looney um die Bojenleine genommen hatte, bewirkte, daß das Faß an der richtigen Stelle unten ankam.

»Grund, Sir«, meldete ein Matrose, als die Leine in seiner Hand lose kam. Einige Fuß von dem Schlauch waren noch im Boot nachgeblieben. Der Taucher saß bereits auf dem gegenüberliegenden Setzbord, er trug ein Messer an einer Schnur um die nackten Hüften und hielt die Kanonenkugel in den Händen, die Looney ihm gereicht hatte. Nun ließ er sich über Bord gleiten und verschwand in der Tiefe. Jetzt hieß es warten, bis er wieder hoch kam, wieder warten, bis der nächste verschwand und wieder erschien, und nochmals warten, bis Looney selbst getaucht war. Noch ein zweites Mal tauchte einer um den anderen auf den Grund, da es offensichtlich nicht so einfach war, das Faß genau an die richtige Stelle an der Vorkante des Achterdecks der Speedwell zu bringen. Doch am Ende schien dort unten alles in Ordnung zu sein. Jetzt kam Looney nach einer besonders langen Tauchzeit wieder hoch. Er war so ausgepumpt, daß er ins Boot gezogen werden mußte und hier eine Weile keuchend liegenblieb, bis er wieder zu Kräften kam.

Dann setzte er sich auf und zeigte Hornblower die unmißverständliche Geste des Feuerschlagens mit Flintstein und Stahl.

»Schlagen Sie Feuer«, sagte Hornblower zu Leadbitter - er selbst hatte sich sein Leben lang vergeblich bemüht, den richtigen Kniff dabei herauszufinden. Leadbitter öffnete die Zunderschachtel und schlug. Schlug einmal, zweimal und hatte schon beim sechsten Male Erfolg. Er beugte sich nieder und blies den Funken im Zunder zu heller Glut. Dann griff er zu einem Stückchen Zündschnur und entzündete sie daran. Als er auch sie angefacht hatte, blickte er Hornblower in Erwartung seiner weiteren Befehle an.

»Ich will selbst anstecken«, sagte Hornblower.

Leadbitter gab ihm die Lunte, Hornblower hielt sie noch eine Sekunde in der Hand, um rasch noch einmal zu überprüfen, ob alles klar war. Er bebte innerlich vor Erregung.

»Die Tonne klar zum Aussetzen«, sagte er. »Leadbitter, halten Sie den Stöpsel bereit.« Aus dem Luntenschlauch hingen vier bis fünf Fuß Schnelllunte. Als Hornblower seine Glut daran hielt, fing sie in Sekundenschnelle Feuer. Er konnte verfolgen, wie der Funke an der Schnellunte entlanglief und im Schlauch verschwand.

»Stöpseln Sie dicht«, sagte er. Leadbitter zwängte sogleich den hölzernen Stöpsel in die Mündung des Schlauches und zermahlte dabei die mürbe Asche der verbrannten Zündschnur.

Einen Fuß in fünf Sekunden legte die Glut jetzt hoffentlich im Schlauch zurück, tiefer und immer tiefer, bis hinab auf den Grund der See. Am anderen Ende, dicht am Pulverfaß, schloß sich noch ein Fuß langsam brennender Lunte an, die brauchte fünf Minuten für den Fuß. Es war also noch eine Menge Zeit, kein Grund zu fieberhafter Eile, sosehr man sich auch dazu getrieben fühlte.

»Über Bord damit!« befahl Hornblower. Leadbitter griff nach der leeren Tonne und ließ sie sacht ins Wasser gleiten. Da schwamm sie nun und hielt das verstöpselte Ende des Luntenschlauchs über der Oberfläche.

»Klar bei Riemen!« befahl Hornblower. »Ruder - an!«

Die Gig schlug einen Bogen und entfernte sich von dem schwimmenden Faß. Noch eilte der Funke nach Hornblowers Berechnung die Schneilunte entlang, es mußten immer noch einige Sekunden verstreichen, ehe er das langsam brennende Stück unten am Wrack der Speedwell erreichte. Hornblower vergaß nicht, diesen Zeitpunkt durch einen Blick auf die Uhr festzuhalten.

»Steuern Sie zum Schiff zurück«, befahl er Leadbitter. Er selbst verwandte keinen Blick von dem Faß, das nun schon weit hinten auf den Wellen tanzte.

McCullum hatte ihn gewarnt: »Ich rate Ihnen dringend, guten Abstand von der Detonation zu halten.« Anscheinend rief die Explosion eines Pulverfasses, auch wenn sie tief unter Wasser erfolgte, an der Oberfläche einen Strudel hervor, der die Gig gefährden konnte. Längsseit des Schiffes waren sie eine Viertelmeile von der Stelle entfernt, da konnte ihm nicht mehr viel zustoßen. Als der Bugmann mit dem Haken nach den Großrüsten der Atropos faßte, sah Hornblower wieder auf die Uhr. Es waren genau fünf Minuten vergangen, seit er den Funken im Schlauch hatte verschwinden sehen. Von jetzt an konnte die Ladung jede Sekunde hochgehen.

Natürlich drängten sich bereits alle Nichtstuer an der Reling, wo sie nur irgend noch ein freies Plätzchen ergattern konnten.

Die Vorbereitung der Pulverladung und der Lunte hatte ja das ganze Schiff in Aufregung versetzt.

Hornblower hatte die Explosion in der Gig abwarten wollen, jetzt ließ er diese Absicht fallen und kletterte an Deck.

»Mr. Jones!« brüllte er. »Sind wir hier auf dem Jahrmarkt?

Sorgen Sie gefälligst dafür, daß die Leute bei der Arbeit bleiben.«

»Aye, aye, Sir.«

Er brannte selbst darauf, die Explosion zu sehen, aber er fürchtete, dabei eine Neugier zu verraten, die sich mit seiner Stellung schlecht vertrug. Und außerdem war es am Ende möglich, ja, nach McCullums Meinung sogar wahrscheinlich, daß die Explosion überhaupt ausblieb. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, daß sie schon überfällig war. Darum tat er, als ob ihm das Ganze höchst gleichgültig wäre, und schlenderte langsam nach vorn zu McCullums Lager, wo sich dieser eben anhörte, was ihm seine Taucher zu berichten hatten.

»Immer noch nichts?« fragte McCullum.

»Nein, nichts.«

»In Tiefen über fünf Faden habe ich kein Vertrauen zu diesen Luntenschläuchen«, sagte McCullum, »nicht einmal dann, wenn ich selbst damit arbeite.«

Hornblower unterdrückte eine gereizte Antwort und spähte nach der Stelle, wo er eben noch gewirkt hatte. Auf dem bewegten Wasser konnte er ab und zu einen winzigen dunklen Punkt erkennen, das war die Tonne, die das Ende des Luntenschlauchs über Wasser hielt. Er sah noch einmal nach der Uhr.

»Längst überfällig«, sagte er.

»Der Schlauch ist natürlich undicht. Es hilft nichts, Sie werden doch mit Zeitzündung arbeiten müssen.«

»Je eher, je besser«, sagte Hornblower. »Lassen Sie mich nur gleich hören, wie man das macht.«

Im Hinblick auf seine kostbare Kommandantenwürde war er jetzt heilfroh, daß er nicht unter den Augen seiner Männer umsonst gewartet hatte.