16. Kapitel
Bush blieb zögernd stehen, nachdem er seine Nachmittagsmeldung erstattet hatte.
»Verzeihung, Sir«, begann er und hielt dann inne, ehe er über die Lippen brachte, was ihm auf der Seele lag. »Ja, was ist, Mr. Bush?«
»Ich mache mir Sorgen, Sir. Ihr Aussehen will mir gar nicht gefallen.«
»Finden Sie?«
»Sie übernehmen sich, Sir. Tag und Nacht sind Sie auf den Beinen.«
»Das sagen Sie einem Seemann, Mr. Bush? Und noch dazu einem Königlichen Seeoffizier?«
»Dennoch stimmt es, Sir. Seit Tagen haben Sie kaum eine Stunde geschlafen; Sie sind so mager, wie ich Sie noch nie gesehen habe.«
»Und doch muß ich durchhalten, es bleibt mir keine andere Wahl.«
»Dazu kann ich nur sagen: Ich wünschte, Sie wären davon erlöst.«
»Ich danke Ihnen, Mr. Bush, und jetzt, denken Sie, lege ich mich aufs Ohr.«
»Darüber bin ich sehr froh, Sir.«
»Sorgen Sie bitte dafür, daß ich sofort geweckt werde, wenn die Anzeichen vermuten lassen, daß es dicker wird.«
»Aye, aye, Sir.«
»Kann ich mich auch wirklich auf Sie verlassen, Mr. Bush?«
Diese Frage zauberte ein lindes Lächeln auf die allzu ernsten Mienen der beiden Männer. »Das können Sie, Sir.«
»Danke, Mr. Bush.«
Nach Bushs Abgang fand er es interessant, einen Blick in den fleckigen, gesprungenen Spiegel zu werfen, um selbst zu sehen, was seinem Ersten Offizier aufgefallen war: seine Magerkeit, die eingefallenen Wangen und Schläfen, die scharfe Nase, das spitze Kinn. Aber was er da sah, war ja nicht der wirkliche, der echte Hornblower; der hauste verborgen in seinem Inneren, dem machte Anstrengung und Mangel an Schlaf - zum mindesten bis jetzt - nichts aus. Dieser echte Hornblower blickte ihm im Spiegel aus einem Paar tiefliegender Augen entgegen und grüßte ihn mit einem Zwinkern des Erkennens, das sich rasch in ein belustigtes Grinsen verwandelte. Aus seiner Miene sprach nicht etwa Hohn auf sich selbst, aber doch etwas Verwandtes: eine Art zynischen Vergnügens beim Anblick seines wahren Ichs, das sich hier sein schwaches Fleisch vor Augen führte. Aber die Zeit war kostbar, man durfte sie nicht verschwenden, der müde Leib, den der echte Hornblower umherschleppen mußte, verlangte nach Ruhe. Und - was das schwache Fleisch betraf - wie schön, wie angenehm war es, sich die Wärmflasche auf den Leib zu packen, die ihm der tüchtige Doughty in die Koje gelegt hatte! Das gab trotz des feuchten Bettzeugs und der naßkalten Luft in der Kajüte ein köstliches Gefühl von Wärme und Geborgenheit.
Noch schien ihm kaum eine Minute vergangen, aber seine Uhr verriet ihm, daß schon volle zwei Stunden um waren, als Doughty wieder in die Kajüte kam.
»Sir«, sagte er, »Mr. Prowse sendet mich. Ich soll melden, Sir, daß es schneit.«
»Gut, ich komme.«
Wie oft hatte er diese Worte schon gebraucht! Sobald es dicker wurde, war er jedes Mal weit in den Goulet hinein vorgedrungen und hatte dabei immer wieder die schwere Verantwortung auf sich genommen, ohne Sicht ein Revier zu befahren, in dem überall die schrecklichsten Gefahren lauerten.
Dabei galt es unablässig auf Wind und Strömung zu achten, die genauesten Berechnungen anzustellen und ständig auf eine Änderung der bestehenden Verhältnisse gefaßt zu sein, um beim ersten Anzeichen einer Besserung der Sicht sofort kehrtzumachen und davonzusegeln. Das mußte sein, damit er nicht in das Feuer der Küstenbatterien geriet, und damit vor allem die Franzosen nicht entdeckten, wie dicht er ihnen auf den Leib gerückt war. »Es hat eben erst angefangen zu schneien, Sir«, sagte Doughty, »aber Mr. Prowse sagt, es würde die ganze Nacht über anhalten.« Mit Doughtys Hilfe hatte sich Hornblower wie ein Automat in sein dickes Winterzeug geworfen, ohne von seinem eigenen Tun Notiz zu nehmen.
Dann trat er in eine verwandelte Welt hinaus: Ein dünner Schneeteppich breitete sich über das Deck unter seinen Füßen, und Prowses Gestalt tauchte im schneebedeckten Ölzeug hellschimmernd aus dem Dunkel auf.
»Der Wind ist Nord zu Ost, mäßig stark. Wir haben noch eine Stunde Flut.«
»Danke. Wecken Sie alle Mann und schicken Sie sie auf Gefechtsstation. Sie können an den Geschützen schlafen.«
»Aye, aye, Sir.«
»Von jetzt gerechnet in fünf Minuten will ich keinen Laut mehr hören.«
»Aye, aye, Sir.«
Das gehörte alles zur gewöhnlichen Routine bei einem solchen Vorstoß. Je schlechter die Sicht war, desto rascher mußte das Schiff bereit sein, das Feuer zu eröffnen, falls plötzlich in nächster Nähe ein Gegner auftauchte. Nur für Hornblowers eigene Pflichten gab es keine feste Regel, denn bei jedem Vorstoß waren die Bedingungen anders, wehte der Wind aus anderer Richtung, war die Tide verschieden alt. Heute hatte der Wind zum erstenmal so weit nördlich gedreht. Das hieß, daß er die Untiefen von Petit Minou so dicht passieren mußte, wie er irgend wagen durfte. Dann konnte die Hotspur hart am Wind und geschoben von der letzten Flut durch die nördliche Fahrrinne segeln, wobei die Fillettes die›Kleinen Mädchen‹- an Steuerbord blieben. Die Besatzung war noch immer guter Dinge. Es wurde gescherzt und gelacht, man hörte überraschte Rufe, als die Männer aus der Hitze und dem Gestank des Zwischendecks in den Schnee heraustraten, aber scharfe Befehle unterbanden sofort jeden Lärm. Als erst die Rahen getrimmt und die Ruderbefehle gegeben waren, verstummte auf der Hotspur jeder Laut; wie ein Geisterschiff glitt sie durch die rabenschwarze Nacht, deren Dunkel der dichte Flockenwirbel noch undurchdringlicher machte.
An der Heckreling hing eine abgeblendete Laterne, damit man das Log ablesen konnte, obwohl das nicht viel besagte, weil die Fahrt über Grund ja stark von der geloggten Fahrt durchs Wasser abweichen konnte. Viel wichtiger als alle Hilfsmittel waren hier Instinkt und Erfahrung. Zwei Mann bedienten in den Backbord-Großrüsten das Lot. Vom Luv Achterdeck aus konnte Hornblower auch ihre leisen Meldungen noch verstehen, für den Notfall stand auf halbem Wege ein Mann, um sie zu wiederholen. Fünf Faden - vier Faden. War seine Navigation fehlerhaft, dann saßen sie vor dem nächsten Lotwurf schon auf Grund - gestrandet unter den Geschützen von Petit Minou, verloren und erledigt. Unwillkürlich spannte Hornblower alle Muskeln seines Körpers und ballte die behandschuhten Hände zu Fäusten. Sechseinhalb Faden! Darauf hatte er gerechnet, aber er atmete doch erleichtert auf, als die Meldung kam. Schlimm genug, dachte er, daß er gegen sein eigenes seemännisches Urteilsvermögen so mißtrauisch war. »Voll und bei!« befahl er.
Sie waren so dicht unter Petit Minou, wie es überhaupt möglich war, nur eine Viertelmeile von jenen wohlbekannten Höhen entfernt. Allein es war nichts, rein gar nichts von ihnen zu sehen. Wohin Hornblower den Blick auch wandte, meinte er eine undurchdringliche schwarze Wand dicht vor Augen zu haben. Elf Faden - das war der Rand des Fahrwassers. Heute, zwei Tage nach den niedrigsten Nipptiden, bei letzter Flut und Wind aus Nord zu Ost, war der Flutstrom kaum noch eine Meile stark und der Wirbel vor dem Mengam-Riff nicht mehr zu fürchten.
»Keinen Grund!«
Also mehr als zwanzig Faden, die Rechnung stimmte. »Eine gute Nacht für die Froschfresser, Sir«, murmelte Bush neben ihm; er hatte das schon eine ganze Weile sagen wollen. Gewiß, wenn die Franzosen ausbrechen wollten, war diese Nacht ausnehmend günstig für sie. Über Ebbe und Flut wußten sie genauso Bescheid wie er selbst, und den Schnee sahen sie auch.
Die Zeit reichte noch bequem, um Anker zu lichten, Segel zu setzen und mit günstigern Wind, unterstützt vom Ebbstrom, durch den Goulet auszulaufen. Durch den Chenal du Four konnten sie bei dieser Windrichtung unmöglich entkommen, die Iroise-Bucht war - hoffentlich - durch das Küstengeschwader blockiert, aber in einer so dunklen Nacht wie dieser versuchten sie vielleicht dennoch lieber auf diesem Weg zu entkommen als durch den schwierigen Raz de Sein.
Neunzehn Faden - er war also gut luvwärts der›Kleinen Mädchen‹und konnte damit rechnen, daß er vom Mengam-Riff freikam. Wieder neunzehn Faden.
»Wir dürften Stauwasser haben, Sir«, murmelte Prowse, der gerade beim Licht der abgeblendeten Kompaßbeleuchtung nach der Uhr gesehen hatte.
Jetzt waren sie in Luv des Mengam-Riffs, für die nächsten Minuten war eine etwa gleichbleibende Tiefe von neunzehn Faden zu erwarten. Es wurde Zeit, sich für die nächste - nein, lieber gleich die übernächste - Maßnahme zu entschließen.
Sofort entrollte sich das Bild der Karte vor seinem inneren Auge.
»Horchen Sie!« Bush stieß Hornblower aufgeregt mit dem Ellbogen in die Rippen.
»Ausscheiden mit Loten!« befahl Hornblower. Er sprach mit erhobener Stimme, um sicherzugehen, daß er verstanden wurde.
So, wie der Wind stand, waren seine Worte gewiß nicht weit in der Richtung zu hören, nach der sie jetzt lauschten.
Da war es wieder, das Geräusch, und gleich darauf gesellten sich ihm auch noch andere Töne zu. Jetzt trug der Wind ein langgedehntes einsilbiges Wort herüber, und Hornblower faßte es mit seinen überwachen Sinnen sofort auf. Ein Franzose hatte seize - Sechzehn - gerufen. Die französischen Lotsen benutzen zum Messen der Wassertiefe immer noch das altmodische Maß der Toise, die um ein weniges länger war als der englische Faden.
»Da sind Lichter«, murmelte Bush und rammte Hornblower seinen Ellbogen erneut in die Rippen. Richtig, da und dort sah man jetzt einen Schimmer - der Franzose hatte sein Schiff längst nicht so wirksam abgeblendet wie die Hotspur. Der schwache Lichtschein genügte, um den Beobachtern einige Klarheit über die Lage zu verschaffen. Ein Geisterschiff glitt in Steinwurfweite vorüber. Unvermittelt sah man seine Marssegel, ihre Hinterfläche mußte ein dünnes Schneekleid tragen, dessen schimmernde Weiße jedes Licht reflektierte, das sich an Deck zeigte. Man sah... »Drei rote Lichter nebeneinander an der Kreuzmarsrah«, flüsterte Bush. Jetzt waren sie gut zu sehen, wahrscheinlich waren sie nach vorn abgeblendet und leuchteten nur nach achtern, um nachfolgende Schiffe zu führen.
Hornblower fühlte plötzlich, wie ihm seine Eingebung zwingend vorschrieb, was zu tun war, jetzt sofort, in fünf Minuten, auf lange Sicht.
»Los«, zischte er Bush zu, »lassen Sie auch bei uns an der gleichen Stelle drei Lampen heißen. Sie bleiben vorläufig abgeblendet, aber so, daß sie ohne Verzug gezeigt werden können.«
Bush war beim letzten Wort verschwunden, Hornblower mußte schnell weiterdenken, blitzartig mußten seine Entscheidungen fallen. Eine Wendung war für die Hotspur zu gewagt, also mußte sie halsen. »Halsen!« befahl er Prowse kurz.
Für die höflichen Formeln, die ihm sonst so leicht über die Lippen flössen, war jetzt keine Zeit. Als die Hotspur herumschwang, sah er, wie die drei nebeneinandergesetzten roten Laternen fast in eins zusammenrückten und wie im gleichen Augenblick ein blauer Schein aufleuchtete. Das französische Schiff änderte Kurs, um den Goulet seewärts zu passieren, und brannte als Signal für die nachfolgenden Schiffe ein Blaufeuer ab, damit sie der Reihe nach in seinem Kielwasser abfielen. Jetzt erkannte Hornblower auch das zweite französische Schiff - einen zweiten schwachen Schatten -, das Blaufeuer half ihm, es zu entdecken.
Als Hornblower seinerzeit in Ferrol gefangensaß, hatte Pellew mit der alten Indefatigable einem aus Brest flüchtenden französischen Geschwader schwere Kopfschmerzen bereitet, indem er die französischen Signale kopierte, aber das war in dem vergleichsweise offenen Fahrwasser der Iroise-Bucht gewesen. Hornblower hatte schon mit dem Gedanken gespielt, eine ähnliche Taktik zu versuchen, aber hier, in dem engen Goulet, war Gelegenheit, dem Gegner härtere Schläge zu versetzen.
»Mit Steuerbordhalsen an den Wind!« befahl er Prowse kurz und barsch, und die Hotspur drehte weiter - unsichtbare Männer holten an den unsichtbaren Brassen.
Das zweite Schiff des französischen Verbandes beendete eben seine Kursänderung, der Bug der Hotspur zeigte fast recht darauf zu. »Etwas Backbord!« Die Hotspur drehte. »Stütz!
Recht so!« Er wollte so dicht herankommen, wie es ohne Kollision überhaupt möglich war.
»Ich habe einen zuverlässigen Mann mit den Laternen nach oben geschickt, Sir«, meldete Bush. »In zwei Minuten sind sie klar.«
»Kümmern Sie sich jetzt um die Geschütze«, fuhr ihn Hornblower an, und da es jetzt nicht mehr auf Leisesein ankam, griff er nach dem Megaphon:
»Oberdeck! An die Steuerbordgeschütze! Ausrennen!« Was für Schiffe waren es, aus denen dieses französische Geschwader bestand? Ganz bestimmt war ihnen ein bewaffnetes Geleit beigegeben, nicht um ihnen kämpfend den Weg durch die Kanalflotte zu bahnen, wohl aber, um die Transportschiffe nach gelungenem Durchbruch vor einzelnen britischen Fregatten zu schützen, die den Atlantik unsicher machten. Mit zwei großen französischen Fregatten war da bestimmt zu rechnen, von denen wahrscheinlich die eine führte, die andere den Beschluß bildete.
Alles andere waren voraussichtlich wehrlose Transporter, Fregatten, die en flute bewaffnet waren. »Hart Backbord!«
»Recht so!«
Rahnock an Rahnock ging es mit dem zweiten Schiff der französischen Linie durch den Goulet, zwei Geisterschiffe rauschten Seite an Seite durch die finstere, schneeverhangene Nacht. Das dumpfe Rollen der Lafetten war verstummt.
»Feuer!«
An zehn Geschützen rissen zehn Arme die Abzugsleinen zurück, aus der Bordwand der Hotspur brachen zuckende Flammen und warfen ihren hellen Schein auf Segel und Rumpf des Franzosen. In der blitzenden Helle nahmen sich die Schneeflocken aus, als hielten sie sich schwebend auf der Stelle.
»Schießt, Männer, schießt!«
Drüben erhob sich sofort wildes Geschrei, eine französische Stimme rief ihm erregte Worte geradewegs ins Ohr - das war der Kommandant dort drüben, nur dreißig Meter entfernt, der mit dem Megaphon genau auf ihn zielte. Seine Worte klangen entrüstet, der Mann war offenbar empört, weil er annahm, daß er von einem der eigenen Schiffe beschossen wurde - denn daß ein Brite so weit vorgedrungen war, konnte er natürlich nicht vermuten. Seine aufgeregte Rede wurde mitten im Satz abgeschnitten, als der erste Schuß der zweiten Breitseite krachte.
Ihm folgten alsbald die anderen, denn die Männer luden und schossen, so schnell sie nur konnten. Bei jedem Aufblitzen tauchte das französische Schiff für den Bruchteil einer Sekunde aus dem Dunkel auf, um sogleich wieder in der pechschwarzen Nacht zu versinken. Die Neunpfünderkugeln der Hotspur krachten ohne Pause in das mit seiner Menschenfracht vollgepackte Schiff. Während Hornblower starr und reglos auf seinem Achterdeck stand, starben drüben - in seiner nächsten Nähe - Dutzende einen qualvollen Tod, nur weil sie der Tyrann des Kontinents in seinen Dienst gezwungen hatte. Dieses furchtbare Erlebnis, diesen überraschenden, unerklärlichen Beschuß ihres wehrlosen Schiffes standen die Franzosen bestimmt nicht gleichmütig durch, es war unvermeidlich, daß sie versuchten, ihm zu entgehen. Aha, jetzt drehten sie ab, obwohl sie damit auf die Klippen und Sande der nahen Nordküste des Goulet zusteuerten. Schon sah man die drei roten Laternen an der Kreuzmarsrah des Franzosen. Ob er mit Absicht oder nur infolge eines eingetretenen Schadens Ruder gelegt hatte?
Hornblower mußte herausfinden, was da drüben los war.
»Langsam Steuerbord!«
Die Hotspur drehte dem Gegner nach, ihre Kanonen spien Feuer. Genug, weiter ging es nicht. »Stütz! Etwas Backbord!
Recht so wie's jetzt geht!« Nun ein Griff nach dem Megaphon:
»Feuer einstellen!« In der Stille, die jetzt eingesetzt hatte, hörte man es laut krachen, als der Franzose auf Grund lief: Spieren stürzten polternd an Deck, Menschen schrien verzweifelt durcheinander. In der Finsternis, die den hellen Feuerblitzen folgte, war Hornblower ärger geblendet denn je, und doch mußte er handeln, als ob er einwandfrei sehen könnte, er durfte keinen Augenblick verlieren. »Großmarssegel back! An die Brassen!«
Die übrigen französischen Schiffe mußten auch noch erscheinen, ob sie nun wollten oder nicht. Der achterliche Wind, der Ebbstrom unter dem Kiel und die Felsen zu beiden Seiten ließen ihnen keine andere Wahl. Er brauchte nur schneller zu denken als sie, denn noch hatte er den Vorteil der Überraschung, es war nicht anzunehmen, daß der Kommandant des nächsten französischen Schiffes schon Zeit gefunden hatte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen.
Die›Kleinen Mädchen‹lagen jetzt genau in Lee, er durfte keinen Augenblick länger zögern. »Braß voll!«
Da tauchte er auf, der Franzose, er war ganz nah, kam immer näher, von seiner Back tönte aufgeregtes Geschrei herüber.
»Hart Backbord!«
Die Hotspur machte gerade so viel Fahrt durchs Wasser, daß sie dem Ruder gehorchte. Die Vorsteven der beiden Schiffe schwenkten auseinander, der Zusammenstoß war um Haaresbreite vermieden. »Feuer!« Die Segel des Franzosen killten, er verlor rasch Fahrt und gehorchte darum nur schlecht dem Ruder. Da jetzt obendrein die Neunpfünderkugeln über sein Deck fegten, bekam ihn sein Kommandant wohl auch nicht so bald wieder in die Gewalt. Die Hotspur durfte jetzt nicht weglaufen, denn der Gegner hatte immer noch Zeit und Raum für ein neues Manöver. »Großmarssegel back!«
Die Besatzung war glänzend ausgebildet, das Schiff manövrierte so präzise wie eine Maschine. Selbst die Pulverjungen, die in stockdunkler Nacht die Niedergänge herauf- und hinuntereilten, taten eifrig und zuverlässig ihre Pflicht und versorgten die Geschütze unermüdlich mit Pulver.
Denn das Feuer ging ohne Unterlaß weiter, die Salven krachten betäubend, ihr Mündungsfeuer übergoß die Franzosen wieder und wieder mit seinem rötlichen Schein, während sich der Qualm in dicken Schwaden leewärts wälzte.
Aber jetzt durfte er keine Minute länger mit dem backgesetzten Großsegel nach Lee abtreiben. Es gab nur eins: vollbrassen und Fahrt aufnehmen, auch wenn er sich damit vom Gegner löste. »An die Brassen!«
Bis jetzt hatte er gar nicht beachtet, welchen infernalischen Lärm die beiden Achterdeckskarronaden neben ihm machten.
Sie feuerten rasch hintereinander und überschütteten das Deck des Transporters mit gehacktem Blei. Sooft sie aufblitzten, konnte man sehen, daß sich die Masten des Franzosen um so weiter entfernten, je mehr Fahrt die Hotspur wieder gewann. Als dann abermals ein Mündungsfeuer aufleuchtete, sah Hornblower plötzlich etwas ganz anderes - wieder das Bild eines Augenblicks. Da war das Bugspriet eines weiteren Schiffes, das sich von der der Hotspur abgewandten Seite her über das Deck des Franzosen schob. Dann hörte man ein Krachen und gleich darauf Geschrei. Das nachfolgende französische Schiff war seinem Vordermann mit dem Bug in die Seite gerannt. Dem ersten krachenden Stoß folgten noch einige schwächere.
Hornblower eilte achteraus, um möglichst noch etwas zu sehen, aber die Nacht hatte sich schon wieder wie eine Mauer um seine geblendeten Augen geschlossen. Nur lauschen konnte er, und was er hörte, verriet ihm, was sich dort hinten zutrug. Das rammende Schiff wurde nach dem Zusammenstoß vom Wind herumgedrückt, seine Bugspriet sprengte Wanten und Stagen, bis es gegen den Großmast schlug, die Vorstenge krachte ab, Rahen kamen von oben. Die beiden Schiffe waren hilflos ineinander verhakt und hatten dabei die›Kleinen Mädchen‹in Lee. Jetzt sah man Blaufeuer aufleuchten, offenbar versuchten sie, ihre hoffnungslose Lage noch auf irgendeine Art zu meistern. Da die Schiffe herumschwojten, kreisten diese Blaufeuer und die roten Laternen an den Rahen wie ein Planetensystem umeinander. Sie hatten keine Aussicht, heil davonzukommen, - Hornblower glaubte sogar noch zu hören, wie sie krachend auf das Riff der›Kleinen Mädchen‹stießen.
Aber er war seiner Sache nicht sicher und hatte - selbstverständlich - auch keine Zeit, noch einen Gedanken daran zu wenden. In diesem Stadium der Ebbe gab es hier einen Wirbelstrom, der auf das südwestlich der›Kleinen Mädchen‹gelegene Pollux-Riff zu setzte und den er daher unbedingt in Rechnung stellen mußte. Dann war er endlich wieder draußen in der Iroise-Bucht, deren Gewässer ihm so gefährlich erschienen waren, ehe er sich in den Goulet hineingewagt hatte. Von Brest her waren jetzt noch Schiffe in unbekannter Zahl zu erwarten, denen das Geschützfeuer und all der sonstige Tumult verraten hatte, daß sich mitten unter ihnen ein Gegner herumtrieb.
Er warf einen raschen Blick nach dem Kompaß und schätzte die Windstärke nach dem Gefühl auf seinen Wangen. Die feindlichen Schiffe - so viele es ihrer noch gab - steuerten bei diesem Wind ganz sicher den Raz de Sein an und ließen dabei die Untiefe Le Trepied gut frei an Backbord. Er mußte also versuchen, ihnen den Weg dorthin zu verlegen. Das nächstfolgende Schiff der gegnerischen Kolonne war ihm auf jeden Fall dicht auf den Fersen, aber schon in ein paar Sekunden war es ebenfalls aus der engen Fahrrinne des Goulet heraus und hatte dann freies Manöver. Vor allem aber: Was unternahm die erste Fregatte, jene, die er vorbeigelassen hatte, ohne sie anzugreifen? »Achtung, Großrüsten! Weiter loten!«
Er mußte sich so weit in Luv halten, wie es das Fahrwasser erlaubte. »Zwanzig Faden und keinen Grund!« Das hieß, daß er gut frei vom Pollux-Riff war. »Ausscheiden mit Loten!«
Sie liefen mit Steuerbordhalsen den gleichen Kurs weiter. In der undurchdringlichen Finsternis hörte er neben sich nur Prowses schwere Atemzüge, sonst war es ringsum totenstill. Da, was war das? Wind und Wasser hatten einen ganz eindeutigen Laut an sein Ohr getragen, einen Plumps wie von etwas Schwerem, das ins Wasser fiel. So hörte sich nur ein Lotwurf an - und nach angemessener Pause folgte denn auch richtig der hohe singende Ruf des Lotgasten. In Luv, ganz in der Nähe, mußte sich also ein Schiff befinden. Da ihm die Hotspur offenbar immer näher kam und Hornblower überdies angestrengt in die Richtung lauschte, aus der die ersten Laute gekommen waren, hörte er sehr bald auch noch einiges andere: menschliche Stimmen, das Knarren von Rahen. Er lehnte sich weit über die Querreling und gab auf das Großdeck hinunter mit leiser Stimme den Befehl: »Klar bei den Geschützen.«
Da war das Schiff, Steuerbord voraus, ein kaum erkennbarer dunkler Schatten.
»Zwei Strich backbord! Stütz!«
Drüben hatte man die Hotspur im gleichen Augenblick ebenfalls gesichtet, aus der Dunkelheit drang durchs Megaphon ein Anruf herüber, aber Hornblower fiel dem Rufer sogleich ins Wort, indem er mit lauter Stimme aufs Großdeck hinabrief:
»Feuer!«
Die Schüsse lösten sich fast zur gleichen Zeit, so daß Hornblower fühlte, wie sich der leichte Rumpf der Hotspur unter der Wucht des Rückstoßes nach Feuerlee überlegte. Jetzt sah man wie vorhin im hellen Schein des Mündungsfeuers für einen Augenblick die Umrisse des anderen Schiffes.
Hornblower konnte nicht hoffen, auch diesen Gegner zum Auflaufen zu zwingen, dazu gab es hier zuviel Seeraum. Mit einem Griff hatte er das Megaphon in der Hand. »Geschütze hochrichten! Auf die Takelage zielen!« Das eine konnte er: Den Gegner manövrierunfähig schießen. Der erste Schuß der neuen Breitseite löste sich, kaum daß er diesen Befehl gegeben hatte - irgendein Trottel hatte nicht aufgepaßt. Dann erst, nach der Pause, die zum Herausschlagen der Richtkeile nötig war, folgten Blitz auf Blitz und Knall auf Knall die anderen Schüsse, einer, noch einer, wieder einer. Bald schon zeigte ein neuer Mündungsblitz, daß das aufscheinende Kreuzmarssegel des Franzosen plötzlich anders aussah als zuvor. Es schien sich soeben langsam achteraus zu drehen. Der Franzose hatte in der Verzweiflung alle Segel backgeholt, um seinem Peiniger zu entgehen. Auf die Gefahr hin, längsschiffs bestrichen zu werden, wollte er es wagen, hinter der Hotspur herumzugehen, um vor den Wind zu kommen. Hornblower seinerseits wollte daraufhin augenblicklich halsen und den Gegner mit seinen Backbordgeschützen unter Feuer nehmen, um ihn so auf den Trepied zu jagen. Eben setzte er das Megaphon an die Lippen, da verwandelte sich die Dunkelheit voraus urplötzlich in einen feuerspeienden Vulkan. Chaos! Aus der schwarzen, von wirbelnden Flocken erfüllten Nacht brach heulend eine Salve herein, die die Hotspur längsschiffs vom Bug bis zum Heck bestrich. In den Donner der Geschütze mischte sich das Krachen berstender Hölzer, lautes metallisches Klingen, als eine Kugel eine Geschützmündung traf und das Pfeifen wirbelnder Splitter.
Gleich darauf hörte man die Schmerzensschreie der Verwundeten, die nach dem Verklingen des Lärms messerscharf durch die nächtliche Stille schnitten.
Eine der bewaffneten Geleitfregatten - wahrscheinlich das Spitzenschiff des Verbandes - hatte das Geschützfeuer der Hotspur gesehen und war ihm nah genug gewesen, um eingreifen zu können. Also war sie quer vor ihrem Bug vorübergelaufen und hatte sie mit einer Breitseite längsschiffs bestrichen. »Hart Backbord!«
Selbst wenn er die Gefahr in Kauf nahm, mit seiner sicherlich schwer mitgenommenen Takelage nicht durch den Wind zu kommen, konnte er unmöglich wenden, weil er von dem in Luv liegenden Transporter nicht klargekommen wäre. Er mußte halsen, obwohl er dabei ein zweites Mal längsschiffs bestrichen wurde. »Halsen!«
Die Hotspur drehte, während ihre letzten Geschütze noch auf den Transporter schossen. Jetzt barst die Dunkelheit zum zweiten Male, und wieder kamen Bruchteile von Sekunden nacheinander die Geschosse angeheult. Eine um die andere krachten die Kugeln in das grausam zerschmetterte Vorschiff.
Hornblower stand auf dem Achterdeck, er gab sich alle Mühe, eisern die Ruhe zu bewahren und überlegte, was als nächstes zu tun war. Ob der Schuß eben der letzte der Salve war? Da hörte er von vorn plötzlich wieder ein splitterndes Krachen, dann eine Folge reißender Geräusche und zuletzt einen zweiten donnernden Krach, dem von der Back her wildes Geschrei folgte. Kein Zweifel, der Fockmast war gebrochen, und dann war die Vormarsrah auf das Deck heruntergestürzt.
»Das Schiff gehorcht nicht dem Ruder, Sir«, rief der Rudergänger. Natürlich, ohne Fockmast hatte die Hotspur das unwiderstehliche Bestreben in den Wind zu schießen, und die über Bord gefallenen Trümmer der Takelage, die im Wasser treibend wie ein Treibanker wirkten, leisteten dieser Tendenz noch Vorschub. Er fühlte schon auf der Gesichtshaut, wie der Wind allmählich weiter von vorn einfiel. Die Hotspur war nun ein hilfloses Wrack, das der Vernichtung durch einen Feind entgegensah, der zweimal so groß war, dessen Breitseite das Vierfache der ihren wog und dessen doppelt so starke Verbände für das schwache Feuer der Hotspur undurchdringlich waren.
Jetzt galt es, sich mit dem Mute der Verzweiflung zur Wehr zu setzen, bis das bittere Ende da war. Es sei denn...
Man durfte annehmen, daß der Gegner jetzt Backbord Ruder legte, um die Hotspur diesmal von achtern her zu bestreichen.
Spätestens war das zu erwarten, sobald er trotz der Dunkelheit ausmachen konnte, welchen Schaden er bereits angerichtet hatte.
Die Zeit verging sehr rasch, der Wind war Gott sei Dank beständig, und der Transporter lag noch immer dicht an der Steuerbordseite. Hornblower befahl laut durchs Megaphon:
»Ruhe an Deck! Ruhe!«
Der Lärm und das Getöse auf dem Vorschiff, wo sich die Männer mit den herabgestürzten Spieren abmühten, erstarb augenblicklich, ja, selbst das Stöhnen der Verwundeten verstummte. Das war Disziplin, eine andere, bessere als jene, die nur der Neunschwänzigen Katze zu verdanken war! Hornblower hörte gerade noch das Poltern der Lafettenräder und ein paar laute Befehle, als die Geschütze der Fregatte für die nächste Breitseite ausgerannt wurden. Offenbar drehte der Franzose bereits, um seinem Widersacher den Coup de Grace - den Gnadenstoß - zu versetzen, sobald er ihn im Dunkeln wiederfand. Hornblower richtete das Megaphon steil aufwärts, als ob er den Himmel selbst anrufen wollte und versuchte möglichst leise und deutlich zu sprechen. Er wollte vermeiden, daß man ihn auf der französischen Fregatte hörte.
»Kreuzmarsrah! Die Laternen aufblenden!«
Das waren schlimme Sekunden. Wie leicht konnten die Lampen erloschen sein. Und der Junge auf der Rah war womöglich tot, gefallen. Er mußte den Befehl zum zweiten Male geben. »Die roten Laternen zeigen!«
Eiserne Disziplin verbot es dem Mann dort oben, zurückzurufen. Aber da waren sie ja: eine, zwei, drei rote Laternen längs der Kreuzmarsrah. Selbst gegen den Wind hörte Hornblower den erregten Befehl, der auf der französischen Fregatte schreiend gegeben wurde. Die Stimme verriet fassungslose Bestürzung, ja Panik. Der französische Kommandant verbot seiner Artillerie weiterzufeuern.
Wahrscheinlich meinte er, es sei ein schauerlicher, nicht wieder gutzumachender Irrtum vorgekommen. Vielleicht sei die verwirrende Finsternis daran schuld gewesen, daß er die Hotspur mit ihrem letzten, ganz in der Nähe treibenden Opfer verwechselte. Wie dem auch war, jedenfalls stellte er das Feuer ein, jedenfalls entfernte er sich jetzt nach Lee. Hundert Meter Abstand nach Lee waren aber in dieser Dunkelheit mindestens so viel wert wie eine ganze Meile am Tage.»Laternen wieder abblenden!«
Es war unnötig, den Franzosen ein leuchtendes Ziel für ihr Geschützfeuer zu bieten oder ihnen zu zeigen, wohin sie ihren Schlag zu richten hatten, wenn es ihnen gelang, die Lage schnell zu klären. Jetzt hörte er aus der Dunkelheit dicht neben sich eine Stimme: »Leutnant Bush, Sir. Ihr Einverständnis voraussetzend habe ich die Leute für den Augenblick von den Geschützen weggenommen, Sir. Das Vormarssegel liegt über der Steuerbordbatterie, diese Geschütze sind also zur Zeit ohnedies nicht schußbereit.«
»Danke, Mr. Bush. Welche Schäden haben Sie sonst noch festgestellt?«
»Der Fockmast ist sechs Fuß über Deck gebrochen, Sir, sein ganzes Geschirr ist nach Steuerbord über Bord gegangen. Die meisten Wanten haben gehalten, daher treibt jetzt alles längsseit.«
»Dann wollen wir uns gleich an die Arbeit machen - aber bitte mäuschenstill. Als erstes möchte ich, daß jeder Fetzen Segel festgemacht wird, dann erst befassen wir uns mit der Havarie.«
»Aye, aye, Sir.«
Wenn man alle Segel festmachte, war das Schiff für den Gegner viel schwerer zu erkennen, außerdem trieb die Hotspur dann vor ihrem seltsamen Treibanker nicht so rasch nach Lee.
Jetzt erschien der Zimmermann aus den unteren Räumen auf dem Achterdeck. »Wir machen sehr schnell Wasser, Sir. Im Raum haben wir schon zwei Fuß. Meine Leute sind gerade dabei, ein Schußloch zu dichten, das achtern bei der Pulverkammer liegt, aber vorn im Kabelgatt muß noch ein zweites sein. Wir brauchen Leute an den Pumpen, Sir, und auch für das Kabelgatt hätte ich gern noch eine Handvoll Burschen.«
»Gut, die sollen Sie haben.«
So unendlich viel gab es jetzt zu tun, und das in einer Lage, die für Hornblower etwas seltsam Unwirkliches, etwas Gespenstisches an sich hatte. Zum Teil fand dieses Gefühl, in einer Traumwelt zu leben, wohl darin seine Erklärung, daß ein halber Fuß Schnee das Deck überzog und sich vor allen senkrechten Wänden sogar noch höher türmte; Schnee, der jedes Geräusch verschluckte und jeder Bewegung hinderlich war. In der Hauptsache aber war diese Benommenheit doch wohl einfach eine Folge davon, daß er nach all dem Erlebten körperlich erschöpft und mit der Nervenkraft am Ende war.
Aber während die Arbeit jetzt ihren Fortgang nahm, durfte er das beileibe nicht gelten lassen, er mußte vielmehr versuchen, in dieser betäubenden Finsternis weiter klar zu denken, er mußte sich insbesondere vor Augen halten, daß jetzt, bei fallender Ebbe, ganz nahe in Lee die Untiefe Le Trepied lag. Dann, als die Trümmer beseitigt waren und wieder Segel gesetzt werden konnten, stellte sich ihm wieder die Aufgabe, nur mit Hilfe seines seemännischen Instinkts herauszufinden, wie sich die Hotspur ohne Fockmast manövrieren ließ. Nur der Druck des Windes auf seinen Wangen und die unruhige Kompaßrose im Nachthaus kamen ihm dabei zu Hilfe. Und wenn seine Rechnung nicht stimmte, lauerte in nächster Nähe das Riff. »Mr. Bush, bitte lassen Sie das Sprietsegel setzen.«
»Aye, aye, Sir.«
Für die Männer war es nicht ungefährlich, dieses Segel im Dunkeln unter dem Bugspriet zu setzen, da ja die gewohnten Stage, die ihnen sonst Halt geboten hatten, mit dem Sturz des Fockmastes alle verschwunden waren. Aber darauf konnte man jetzt keine Rücksicht nehmen; dieses Segel war nötig, weil es vorn als Hebel diente, der die Hotspur daran hinderte, in den Wind zu schießen. Weiter galt es, das ungeschlachte Großsegel zu setzen, weil man es nicht mehr wagen konnte, die Großstenge dem Druck des Marssegels auszusetzen. So schlich sich die Hotspur mit trübsinnig klappernden Pumpen langsam westwärts davon. Allmählich wich die Schwärze der Nacht einem dunklen Grau, das heller wurde, als die Dämmerung fortschritt und der Schneefall ein Ende nahm. Endlich war es hell genug, daß man das Durcheinander an Deck und die Fußspuren im zertrampelten Schnee unterscheiden konnte - in diesem Schnee, der da und dort große rötliche Flecken zeigte.
Dann kam die Doris in Sicht, das bedeutete Hilfe, ja man mochte sagen, Sicherheit, wenn man außer Betracht ließ, daß sie später vielleicht gegen widrige Winde, mit Not-Fockmast und leckem Schiff nach Plymouth kreuzen mußten, um dort in die Werft zu gehen. Als sie schließlich beobachteten, wie die Doris Boote aussetzte, um Mannschaften zur Verstärkung herüberzuschicken, sah sich Bush endlich in der Lage, Hornblower ein persönliches Wort zu sagen. Er ahnte natürlich nicht, wie er aussah: sein Gesicht war schwarz vom Pulverdampf, seine Wangen waren hohl und von dichten Bartstoppeln bedeckt, aber auch ohne dieses Wissen bot ihm schon der groteske Anblick des ganzen Schiffes Anlaß genug, seinem etwas grobschlächtigen Humor die Zügel zu lockern.
»Ich wünsche Ihnen alles Gute zum neuen Jahr, Sir«, sagte er und grinste dabei, daß man unwillkürlich an einen Totenschädel dachte. Ja, heute war der Neujahrstag. Dabei kam den beiden Männern im gleichen Augenblick der gleiche Gedanke, und Bushs Grinsen wich sogleich einem gesetzteren Ausdruck.
»Ich hoffe, Ihre verehrte Gattin...«
Unvorbereitet wie er war, fand Hornblower nicht gleich die angemessene Antwort: »Danke, Mr. Bush.«
Heute am Neujahrstag wurde ja das Kind erwartet. Während sie sich hier unterhielten, lag Maria vielleicht schon in den Wehen.