7
Jake stand gleich hinter der offenen Tür, das Herz schlug ihm bis zum Hals und er atmete schwer, um den Leoparden in Schach zu halten. In diesem Augenblick, als er Emmas unschuldiges Lachen hörte und ihre Erregung witterte, erkannte er, dass er unberechenbar wurde. Irgendetwas lief verdammt schief. Er sollte in seinem Büro sein, abgeschirmt von allen Geräuschen, statt diesem Geplänkel zwischen Mann und Frau zu lauschen. An den Stimmen konnte er hören, wie interessiert der Mann klang, während Emmas Tonfall ganz unschuldig war. Dennoch war sie offenbar erregt, und das machte ihn verrückt. Ihn ergriff eine derartige Wut, die bald unbändig und grausam zu werden drohte. Er verabscheute diese hässliche Seite, die von zu leidenschaftlichen Gefühlen ausgelöst wurde, denn sie bewies, dass er den Keim des Bösen in sich trug.
Jake wusste, dass er Hilfe brauchte. Er musste mit Drake reden und einen Weg finden, die heftige Eifersucht zu bekämpfen, die ihm schon bei der Vorstellung, dass ein Mann sich in Emmas Nähe aufhielt, den Atem raubte. Diese Frau war zu einer Obsession geworden, er dachte jede Sekunde an sie, und sein Körper wurde von einer anhaltenden Erektion gequält, die so massiv und schmerzhaft war, dass er manchmal kaum laufen konnte. Nichts half dagegen, keine Frau befriedigte ihn - er wollte nur Emma. Irgendwie war es ihr tatsächlich gelungen, den Spieß umzudrehen. Anstatt dass sie sich nach ihm verzehrte, war es genau andersherum gekommen.
Jake lehnte sich lässig an den Türpfosten und wartete darauf, dass Emma aufschaute und er ihr Gesicht sah - ihre leuchtenden Augen und den ausdrucksvollen Mund. Sie hielt den größtmöglichen Abstand zu dem anderen Mann, das war das Einzige, was Jake daran hinderte, die Beherrschung zu verlieren. Der Leopard war kaum noch zu bändigen. In seiner Brust rumorte es, und er verspürte den Drang laut zu brüllen. Die Zähne schmerzten, so fest presste er sie zusammen, um die Verwandlung zu unterdrücken und sich nicht auf seinen Feind - seinen Rivalen - zu stürzen und ihm die Eingeweide herauszureißen. Oder auf Emma, um das zu tun, was er schon lange mit ihr tun wollte.
Sein Körper war stocksteif, jeder Muskel angespannt, die Haut fiebrig, das Glied so dick und hypersensibel, dass jeder Schritt wehtat. Es war nicht mehr aufzuhalten … es musste sein.
Da schaute Emma auf und begegnete seinen Augen. Einen Moment lang schien die Zeit stillzustehen. Dann bekam ihr Blick etwas Weiches, Freundliches, und sofort zog sich sein Herz fest zusammen, und sein Magen verkrampfte sich. Jake ballte die Fäuste. Er sagte kein Wort, denn er befürchtete, dass seine Stimme nicht mehr menschlich klang.
»Greg kann dieses Geräusch in der Telefonleitung nicht hören.«
Greg? Wieso zum Teufel wurde der Kerl beim Vornamen genannt? Kannte sie ihn etwa? Der Mann starrte ihn mit diesem leicht ehrfürchtigen Ausdruck an, den die Menschen in seiner Gegenwart so häufig bekamen. Jake zeigte die Zähne, ohne wirklich zu lächeln. Wahrscheinlich erinnerte es eher an ein Zähneblecken. Es war ihm scheißegal. Jedenfalls erstarrte Greg mitten in der Bewegung, also musste es wohl bedrohlich ausgesehen haben. Mit der Zunge tastete Jake nach den Eckzähnen. Fühlten sie sich schärfer an? Er atmete tief ein und aus, um seinen Leoparden im Zaum zu halten.
»Joshua hat mir gesagt, dass er es auch gehört hat«, brachte er heraus. Obwohl er sehr leise gesprochen hatte, warf Emma ihm einen besorgten Blick zu. Doch er war nicht in der Verfassung, ihre Sorgen zu zerstreuen.
»Greg meint, wenn wir trotz intakter Leitung etwas hören, könnte es sich um Wanzen handeln. Du weißt ja, wie gern die Paparazzi ins Haus kämen.«
»Ich könnte die Telefonbuchsen auf Abhörgeräte untersuchen«, bot Greg an.
»Machen Sie sich keine Mühe, mein Sicherheitsdienst wird sich darum kümmern«, erwiderte Jake herablassend und stakste aus dem Zimmer. Der Mann sollte so schnell wie möglich wieder verschwinden.
Jake wollte nicht gehen, doch es blieb ihm keine andere Wahl. Er musste Drake einfach finden, er brauchte Auslauf, dort, wo er als Leopard keinen Schaden anrichten konnte. Schwer atmend wandte Jake sich ab, ging durch die Küche und blieb abrupt stehen, als er Joshua sah, der mit hochgelegten Beinen Kaffee trank und eine Scheibe frisch gebackenes Brot vertilgte.
»Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst bei Emma bleiben?«, fuhr Jake ihn an.
Joshua sprang so hastig auf, dass sein Stuhl hintenüber kippte. »Es hieß, bleib im Haus, und hier bin ich.«
»Das ist doch Quatsch. Du hast einen Mann reingelassen, der Emma anglotzt, als wäre sie ein Sahnetörtchen in der Auslage, und du sitzt bloß da und stopfst dir den Bauch voll. Wirf diesen Scheißkerl raus und lass die Sicherheitsleute nochmal die Telefone überprüfen, nicht nur mit Geräten, sondern von Hand. Und wenn sie ihren Job nicht verstehen, dann kannst du sie gleich feuern.«
»In Ordnung, wird gemacht«, beschwichtigte Joshua.
Jake lief erregt auf und ab, wog den Kopf hin und her. Sein Gesicht war finster, und seine Augen nahmen einen dunklen Goldton an, während er begann, mit der visuellen Wahrnehmung des Raubtiers zu sehen.
Joshua nahm das Funkgerät vom Gürtel und sprach hastig hinein, während er den Tisch zwischen sich und seinen Chef brachte. Die von der Sicherheit sollten die Telefonbuchsen näher in Augenschein nehmen und außerdem rief er nach Drake.
»Jake. Hör mir zu. Konzentrier dich. Du bist brünstig. Das ist wie ein Anfall von Wahnsinn. Du musst dagegen ankämpfen. Komm mit. Wir schaffen dich hier weg, ehe es zu spät ist.« Joshuas Stimme war rauer geworden, und er begann anders zu sehen, denn auch seine Sinne schärften sich.
Jake hörte ihn wie aus weiter Ferne, mit schwankender Lautstärke. Seine Muskeln schmerzten, und sein Rücken krümmte sich bereits. Er wollte, dass Emma unter ihm lag und seinen Namen schrie. Er hatte nur noch dieses eine Bild vor Augen, dann witterte er plötzlich andere Männer und sah rot.
»Verdammt, Drake, beeil dich«, brüllte Joshua ins Funkgerät. »Allein werde ich nicht mit ihm fertig.« Er streckte Jake abwehrend die flache Hand entgegen. »Du hast mich auf deine Ranch geholt, damit ich dir helfe, Jake. Das versuche ich gerade. Geh laufen. Lass deinen Leoparden frei.«
In Jakes Ohren dröhnte es. Das Blut kreiste heiß durch seine Adern, und das Verlangen nach Paarung war so überwältigend, dass er bebte. Das Tier in ihm gewann Stück um Stück die Oberhand.
»Deine animalische Seite macht es dir sehr schwer. Aber wir wollen doch keinen Kampf in der Küche, oder?« Von Jakes Aggression geweckt, drängte auch Joshuas Leopard an die Oberfläche. Eine Katastrophe bahnte sich an.
Da flog die Tür auf, und Drake humpelte herein. Er raunzte einen Befehl in der Sprache ihrer Spezies; Jake verstand ihn nicht, wohl aber sein Leopard. »Jake. Geh zum Wagen. Wir müssen sofort weg.« Drakes Ton duldete keinen Widerspruch. Jeden Augenblick konnte ein Unglück passieren.
Jake sah in die Richtung, aus der Emmas Stimme kam. Sie unterhielt sich immer noch leise mit dem Techniker.
»Evan kommt gleich und schafft ihn vom Grundstück«, beteuerte Joshua.
Jake erkannte, dass er kaum noch Gewalt über sich hatte, und kämpfte darum, den Leoparden zu zügeln, wenigstens so lange, bis Emma und die Kinder in Sicherheit waren. Die vereinten Kräfte von Joshua und Drake würden nötig sein, um den wutentbrannten, mordlustigen Kater im Zaum zu halten. Er versuchte, etwas zu sagen, doch heraus kam nur noch ein zorniges Knurren. »Emma.« Er konnte - er würde nicht gehen, ehe sichergestellt war, dass jemand auf sie aufpasste.
Als ob dieses eine herausgepresste Wort alles sagte, gab Drake Joshua einen weiteren knappen Befehl. »Hol Darrin. Sag ihm, er soll noch zwei Männer mitbringen und das Haus mit Emma und den Kindern bewachen, bis einer von uns dreien zurückkehrt.« Unterdessen drängte er Jake aus dem Haus.
Jake konnte kaum laufen, so steif und schwer fühlte sich sein Körper an, er war derart erregt, dass jeder Schritt schmerzte. Der Leopard kämpfte gegen ihn an und wollte zurück, versuchte um Drake herumzulaufen, probierte bedrohlich fauchend ein paar Finten. Drakes Leopard fauchte zurück und trieb Jake weiter. Sobald Joshua wieder dazu imstande war, half auch er mit. Zwar achtete er darauf, zu seinem aufgebrachten Chef Abstand zu halten, während das wütende Knurren immer lauter und wilder wurde, doch am Ende hatten sie Jake zum Wagen gescheucht.
Die größte Gefahr bestand, wenn sie alle im engen Wagen gefangen waren. Drake und Joshua mussten sich auf Jakes Selbstbeherrschung verlassen, dass er seinen Leoparden so lange hinhielt, bis sie ihn zur anderen Seite der Ranch geschafft hatten, wo sie ihn laufen lassen konnten.
Sobald Jake im Auto gefangen war, schlug Drake die Tür zu und sprang auf den Fahrersitz. »Was zum Teufel ist passiert, Joshua? Ich war nicht im Haus, aber er ist definitiv brünstig. War eine Frau in der Nähe?«
Joshua zuckte die Achseln. »Nur Emma. Ich war schon Dutzende Male mit ihr zusammen, und nie hat mein Leopard reagiert. Obwohl …« Er brach ab und beobachtete seinen Chef.
Jake keuchte, seine Brust hob und senkte sich unter der Anstrengung, die Verwandlung aufzuhalten. Seine Haut kribbelte und spannte, als ob sie zerreißen wollte. Als der Juckreiz unerträglich wurde, riss er sich das Hemd herunter, und man sah, wie seine Muskeln ein Eigenleben entwickelten. In seinem Hirn vermengten sich rote Nebel, brutale Wut und gieriger Hunger auf eine einzige Frau. Er war besessen von Emma, dem Verlangen nach ihrem Körper und dem Drang, sie zu seiner Gefährtin zu machen. Er hasste alle anderen Männer und lechzte förmlich danach, jeden Rivalen zu töten; vor hitziger Erregung beinah unzurechnungsfähig, begriff Jake, woher die Grausamkeit seiner Eltern kam.
Er kämpfte gegen das Tier in sich und ließ hechelnd den Kopf hängen, sein Mund war voller Zähne, sein Herz grausam, sein Körper lüstern. Schweiß brach ihm aus allen Poren, er wollte Drake zur Eile antreiben, doch er sagte kein Wort, wagte es nicht, den Mund zu öffnen, aus Angst, dass ihm bereits ein Maul gewachsen sein könnte. Sie waren noch meilenweit von einem sicheren Auslauf entfernt, rasten mit Höchstgeschwindigkeit über den unbefestigten Weg zu seinem abgelegenen Zufluchtsort, und Drake und Joshua, die beiden Männer, die er Freunde nennen konnte, waren mit ihm im engen Führerhaus des Wagens eingesperrt und riskierten ihr Leben, um die anderen Menschen auf der Ranch zu schützen.
Die Bäume und die üppige Belaubung erinnerten an einen kühlen, exotischen Wald, in dem sein Leopard frei herumlaufen konnte, ohne die Gefahr, dass er Vieh tötete, Cowboys verletzte oder gesehen wurde. Dort wachte Drake über ihn und lehrte ihn nicht nur, wie er im Laufen die Gestalt wechseln konnte, sondern auch wie die Leopardenmenschen lebten und wie sie vorausschauend alle paar Meilen Kleidung und Vorräte versteckten.
Die Atmosphäre im Truck blieb angespannt, Pelz überzog Jakes Körper, und Krallen wuchsen aus seinen Fingerspitzen. Er zitterte vor Anstrengung, die Verwandlung zu unterdrücken.
»Kämpf dagegen an«, brüllte Drake im Befehlston. »Du hast einen starken Willen, Jake. Wer zu uns gehört braucht den, denn man muss stets die Kontrolle behalten, egal, in welcher Gestalt. In beiden bist du für all deine Taten voll verantwortlich.«
Joshua fluchte leise. »Wir haben das von Kindesbeinen an gelernt. Und außerdem durften wir uns immer bei den Ältesten Rat holen. Wie soll er auf die Brunst vorbereitet sein? In der Zeit können selbst die meisten von uns ihren Leoparden kaum bändigen, und wir haben jahrelang trainiert. Er wird noch jemanden umbringen.«
»Nein, wird er nicht«, erwiderte Drake mit fester Stimme. »Hörst du mich, Jake? Beherrsche dich. Wenn du dich verwandelst, denkst du sicher, der Leopard hat gewonnen, aber du bist immer noch da. Im Kern ist er Du. Du bestimmst über ihn. Er wird jeden Kater in der Nähe seiner Dame töten wollen. Das ist natürlich, völlig normal, doch dieser Drang ist stärker als alles, was du je erlebt hast, stärker als Hass oder Wut; ein mörderisches Verlangen wird in deinen Eingeweiden brennen und in deinem Bauch rumoren. Du musst es in den Griff bekommen. Wenn du in diesem Zustand in der Nähe deiner Gefährtin bist, wird es noch tausendmal schlimmer, und du musst aufpassen, dass du ihr nichts antust. Der Trieb, sie zu unterwerfen und zu dominieren, ist überwältigend. Kontrolle ist alles. Verstehst du mich? Nick mit dem Kopf, wenn du mich hören kannst und begreifst, was ich sage.«
Jake zerfetzte den ledernen Sitz, das Grollen in seiner Brust wurde lauter. Er nickte mit dem Kopf und versuchte, sich Drakes wichtige Hinweise zu merken, während jeder Knochen in seinem Körper zu brechen oder splittern schien, jeder Muskel dehnte sich, und jede Zelle schrie nach Emma. Ihm war klar, dass sie der Auslöser für diesen wilden Anfall von Leidenschaft war. Ihr Geschmack lag ihm auf der Zunge; er dachte nur noch daran, ihr Fleisch an seinem zu spüren, sein Glied tief in sie hineinzustecken. Und gnadenlos zuzustoßen. Ihr die Zähne in den Nacken zu bohren und sie vollständig zu unterwerfen. Sie zu zwingen, zuzugeben, dass sie ihm gehörte und nur ihm. Emma.
Oh, Gott, Emma, wie geht es dir? Bist du in Sicherheit? Pass auf dich auf, ich brauche dich. Jake holte tief Luft und kämpfte um seinen Verstand, damit sie trotz seines überwältigenden Verlangens vor ihm geschützt war. Nein! Bleib weg von mir. Was zum Teufel geht mit mir vor?
Seine Augen schmerzten. Er bekam Angst. Diesen Anfall würde er nicht überstehen, ohne jemanden zu töten. Der Drang wurde unwiderstehlich, überrollte ihn wie eine Flutwelle und riss ihn mit - schlimmer noch, er weckte das hemmungslose Verlangen, jemandem wehzutun, jemandem genauso viel Schmerz zuzufügen, wie er in den Fängen dieses schrecklichen Triebes ertragen musste. Jakes Magen verkrampfte sich heftig, fast hätte er sich erbrochen bei der Vorstellung, so pervers und widerlich zu sein, dass er sich allen Ernstes wünschte, jemanden zu quälen und sich womöglich noch am Leid anderer zu weiden. Lieber wollte er tot sein. Eher brachte er sich um, als zuzulassen, dass er Emma oder den Kindern etwas antat und so wurde wie seine Eltern.
Mit bebenden Flanken sank Jake auf den Boden des Wagens. Die Wände des Gehäuses waren zu nah, das Auto zu eng. Er gab sich alle Mühe, den Leoparden zu zähmen. Nur noch ein paar Meilen. Wie lange dauerte das bloß?
»Seine Augen sind schon völlig hinüber«, berichtete Joshua. »Mir ist schleierhaft, wie er die Oberhand behält. Wir müssen ihn aus dem Wagen lassen.«
Drake drückte das Gaspedal durch. Gemessen am Straßenzustand fuhr er viel zu schnell, aber lieber riskierte er einen Unfall, als mit einem voll ausgewachsenen, wutentbrannten Leoparden mitten in der Brunst in einem kleinen Käfig eingesperrt zu sein. Auch Drakes Leopard drängte nach außen, um ihn zu beschützen. Zweimal traten seinen messerscharfen Krallen hervor und zogen sich wieder zurück. Seit er angeschossen worden war und die Ärzte sein Bein mit einer Metallplatte wieder zusammengeflickt hatten, hatte er sich nicht mehr verwandelt. Für ihn und seinen Leoparden gab es keine Freiheit mehr.
Drake riss das Steuer herum und brachte den Wagen in dem Wäldchen gleich hinter der Grenze zum Reservat schlitternd zum Stehen. Er riss ein Betäubungsgewehr von der Halterung am Rückfenster und sprang aus dem Auto. Joshua, auf der anderen Seite, folgte seinem Beispiel.
Während Jake im Auto noch verzweifelt versuchte, die Jeans abzustreifen, und sie mit den Krallen in Fetzen riss, verkrümmte sich sein Körper. Er warf die Kleiderreste beiseite und überließ sich dem Wandel, die Muskelstränge unter dem Rosettenfell wuchsen um das Doppelte bis Dreifache.
Drake rannte von dem schwankenden Wagen weg, entfernte sich von den Bäumen, in der Hoffnung, dass Jake seinen Leoparden dann in Richtung des Waldes zwingen würde. Wenn Jake allerdings dem Tier nachgab, würde der Kater zu seiner Katze laufen. In dem Fall blieb ihnen keine andere Wahl, als ihn zu betäuben, sonst tötete er alle Männer in Emmas Nähe. Drake hoffte, dass es nicht so weit kam. Einen Leoparden mit einem Betäubungspfeil zu treffen, war keine leichte Aufgabe, und konnte ernste Folgen haben. Oft vertrug das Herz einer Großkatze die Medikamente nicht und hörte einfach auf zu schlagen.
Der große Leopard im Wagen wurde wild, er warf sich gegen die Innenwände, zerfetzte die Sitze und schlug vor die Fenster, bis in der Windschutzscheibe spinnwebenartige Risse erschienen.
»Er ist außer sich, Drake«, sagte Joshua warnend. »Er ist nicht mehr bei Verstand. Du musst ihn betäuben, wenn er zu fliehen versucht.«
Störrisch schüttelte Drake den Kopf. »Er ist stark.«
»Falls Emma seine Gefährtin ist, die kurz vor dem Han Vol Don steht, und die beiden sich in einem anderen Leben mindestens einmal gepaart haben, kann ein Neuling dem inneren Drang nicht widerstehen. Wir wissen doch gar nicht, was in ihm steckt, Drake. Du hast selbst gesagt, dass seine Eltern aus einer schlechten Blutlinie stammen. Er ist gefährlich. Er könnte ein Blutbad anrichten.«
»Er wird es schaffen.«
»Er weiß doch gar nicht, was das Han Vol Don ist. Wie soll er verstehen, was mit ihm vorgeht?«
»Er wird es schaffen«, wiederholte Drake. »Ich kenne ihn. Er hat die Kraft und die Entschlossenheit. Er wird seinen Leoparden beherrschen.«
»Verdammt, Mann. Du spielst mit deinem Leben.«
Wieder wackelte der Wagen, dann steckte der Leopard den Kopf durch die offene Tür. Es wurde eigenartig still. Kein Laut war zu hören. Der Leopardenpelz war dunkel von Schweiß. Als ob sie die Gefahr erkannt hätten, verstummten die Vögel, und selbst die Insekten hörten auf zu summen. Der Leopard senkte den Kopf und richtete den starren Blick seiner goldenen Augen auf Drake.
»Er hat dich ins Visier genommen, pass auf«, warnte Joshua, während er das Hemd auszog und es beiseitewarf. Ohne den Leoparden aus den Augen zu lassen, streifte er sich beide Stiefel von den Füßen.
Aus dem Stand gelang dem Leoparden ein Satz von gut zwei Metern, dann berührte er kurz den Boden und machte einen weiteren Riesensprung auf Drake zu.
»Schieß«, flehte Joshua, während er sich die Jeans herunterriss und sie fortwarf. Er lief los, verwandelte sich nach zwei Schritten und hielt auf den Leoparden zu.
Jake rammte Drake mit der Kraft einer Dampflokomotive und brachte ihn ins Straucheln. Drake wehrte die kräftige Raubkatze mit dem Gewehr ab, was ihm aber nicht viel half, und die spitzen Krallen kratzten brennend heiß über seinen Brustkorb, nur knapp an seiner Kehle vorbei.
»Jake. Kämpf dagegen an!« Drake schaute ihm direkt in die goldenen Augen.
Joshuas Leopard kam von der Seite. Jake sprang hoch und drehte sich mitten in der Luft, um seinem Angriff auszuweichen. Er war so wütend und blutrünstig, dass er nur noch rot sah und Drakes Stimme kaum hörte. Dabei respektierte er Drake. Er mochte ihn sogar. Trotzdem konnte er ihn kaum noch von seinen tödlichen Feinden unterscheiden.
Obwohl er gerade den menschlichen Geruch eines Mannes witterte, der ihm den Weg zu seiner Gefährtin verstellte, ein anderer Leopard dabei war, sich auf ihn zu stürzen und in seinem Herzen eine mörderische Wut tobte, versuchte Jake, sich auf Drakes Stimme zu konzentrieren. Er musste auf etwas hören, dass das Gebrüll seines Leoparden ausblendete.
Joshuas Leopard übersprang die letzten Meter, um Jake unbedingt von Drake fernzuhalten. Jake wirbelte herum, sein biegsames Rückgrat erlaubte ihm fast eine Kehrtwende, um der neuen Bedrohung zu begegnen. Doch schon bohrten sich messerscharfe Krallen in seine Hinterbeine. Einen Moment brannten seine Lungen vor Schmerz, und er holte tief und schaudernd Luft. Sieg. Wieder hatte er den Schmerz besiegt. Schmerz war das, was sein Leben bestimmte, und Schmerz war es auch, der ihn am ehesten zur Besinnung brachte.
Jake nahm seinen fauchenden Leoparden an die Kandare und zwang ihm seinen eisernen Willen auf. Leise und beruhigend auf ihn einredend, versprach er ihm, dass es bald zur Paarung kommen würde. So drängte er den erregten Kater schrittweise zurück. Der Leopard kämpfte um jeden Fußbreit, seine Instinkte im Clinch mit dem menschlichen Verstand. Doch Jake war stark - wilder entschlossen als der Leopard -, da gab die Raubkatze abrupt auf, drehte sich um und lief in den Wald.
Der Leopard rannte, um so schnell wie möglich tief in das Reservat vorzudringen. Der Paarungsdrang trieb ihn schier zur Verzweiflung, und Jake wollte, dass der Leopard so weit wie möglich von Emma entfernt war. Er hatte keine Ahnung, was mit ihm - dem Leoparden wie dem Mann - gerade geschah, aber er musste lernen, es zu beherrschen, ehe er es überhaupt wagen konnte, irgendwelche Ansprüche an Emma zu stellen.
Wind erhob sich und fuhr heulend durch die Bäume, ein Sturm kündigte sich an. Es wurde dunkler, und mit der Dunkelheit kam der Regen. Die Tropfen fielen so dicht, als weinte selbst der Himmel über die zügellose Grausamkeit, die Jake im Blut lag. Durch die dicken Tatzen konnte er sich trotz seiner Eile lautlos fortbewegen und in dem Bemühen, vor sich und seiner hässlichen, brutalen Natur davonzulaufen, zog er sich immer tiefer in den Schutz des Waldes zurück. Sein ganzes Leben hatte er befürchtet, ihnen - den Feinden - ähnlich zu sein, und ein Teil von ihm hatte sich immer das Gegenteil beweisen wollen, doch die Tatsache, dass sein Körper und sein Geist von Emma wie besessen waren, die Art und Weise, wie er reagierte, wenn er sie nur sah, und die leidenschaftlichen Gefühle, die ihn dabei überkamen, deuteten auf etwas anderes hin.
Der Leopard hob den Kopf und setzte ihn Wind und Regen aus in der Hoffnung auf einen reinigenden Effekt. Der Sturm nahm zu, pfiff durch die Bäume, verbog Schösslinge, riss Blätter ab und knickte kleinere Zweige, die auf ihn herabregneten. Der Wind auf seinem Pelz fühlte sich gut an, und der Sturm passte zur Gereiztheit des Leoparden. Er war frei. In seinem Schutzgebiet, wo statt Stadtlärm nur das Rascheln der Bäume und der Regen zu hören waren, brauchte er sich keinen Zwang anzutun. Niemand konnte ihn daran hindern zu jagen, wie es seine Art war. Das Rascheln der Blätter war Musik in seinen Ohren, und er fühlte sich eins mit der Tierwelt. Er hatte eine Zufluchtsstätte. Der Leopard genoss seine Freiheit und lief meilenweit, obwohl er das Gefühl hatte, sein Herz würde zerspringen, wobei sein Atem in großen Dampfwolken entwich.
Er kam an einen angeschwollenen Fluss und sprang schnurstracks hinein, ungeachtet der Strömung, die ihn ergriff und auf eine Biegung zutrug. Der Leopard stieß sich den Kopf an dicken Ästen, wurde unter Wasser gedrückt, tauchte fauchend und spuckend wieder auf und benutzte seine mächtigen Muskeln, um ans Ufer zu gelangen und sich an Land zu ziehen.
Mit gesenktem Kopf und bebenden Flanken stand er da und rang um Atem - und mit sich selbst. Was war mit ihm los, verdammt? Stets war er seinem Racheplan gefolgt, doch irgendwo unterwegs war er davon abgekommen. Er kapierte das mit den Gefühlen einfach nicht, sie waren ihm nicht ganz geheuer. Seine jedenfalls waren viel zu heftig, zu gefährlich, denn er war durchaus imstande, jemanden zu verletzen.
Die schmerzenden Kratzwunden an seinen Beinen erinnerten ihn an jeden einzelnen Sieg seiner Kindheit, an jeden Vorfall, bei dem er sich beherrscht hatte, jede Gelegenheit, bei der er sich vorgenommen hatte, zu überleben und stark zu werden. Der Leopard legte sich unter einen großen Baum. Der Schirm aus Blättern und Ästen schwankte heftig unter dem Ansturm des Windes und erlaubte dem Regen, ihn weiter zu durchnässen, was seinen erhitzten Körper ebenso abkühlte wie seinen erregten Geist.
Drake lebte nun schon zwei Jahre bei ihm. Joshua war ihm gefolgt, hatte den Regenwald verlassen, um es mit einem anderen Leben zu versuchen. Er war unbekümmerter als Drake und lachte mehr, doch in seinen grünen Augen lauerten dunkle Schatten. Jake hatte ihn nicht weiter ausgefragt, als er um einen Job gebeten hatte. Er wusste, dass Joshua zu den Leopardenmenschen gehörte und mit Drake befreundet war, und obwohl ein Teil von ihm die beiden Männer, die zusammen aufgewachsen waren, um ihre lockere Beziehung beneidete - die er nur von außen betrachten konnte -, war er doch dankbar, einen zweiten Leoparden zu haben, der bei seiner Erziehung half. Allerdings hatte keiner von beiden ihn auf das hier vorbereitet - diesen völligen Zusammenbruch.
Jake bewunderte Drakes Kraft. Der Leopard in ihm war Drake so selbstverständlich wie das Atmen, doch er konnte sich nicht mehr verwandeln. Eine Kugel hatte sein Bein zerfetzt und die Metallplatte, die es zusammenhielt, hinderte ihn daran, seine animalische Gestalt anzunehmen. Diesbezüglich musste bald etwas geschehen. Drake konnte nicht ewig ohne seinen Leoparden leben.
Tief im Innern des Leoparden, merkte Jake mit einem Mal auf. Ihm war ein wichtiger Gedanke gekommen. Drake konnte nicht ewig ohne seinen Leoparden leben. Drake war kein Leopard. Und kein Mensch. Er war beides. In einem. Der Mensch brauchte den Leoparden, und der Leopard brauchte den Menschen. Der eine konnte ohne den anderen nicht lange überleben. Der Leopard war in Drake, konnte aber nicht heraus, konnte nicht frei laufen und atmen und den Spaß haben, den das Tier hatte, wenn es über offenes Gelände lief oder lässig von einem Ast zum anderen sprang. Was machte der Leopard? Was dachte und fühlte er? Diesen Zustand konnte er nicht ewig ertragen - und Drake auch nicht.
Was war dann aber mit seinem eigenen Leoparden? Was hatte er ihm gestattet? Was für ihn getan? Von diesem Teil seines Ichs hatte er sich stets abgeschottet, um sich zu schützen. Jake fürchtete, dass der Leopard ihn wie seine Eltern werden ließ und seinen animalischen Instinkten zum Durchbruch verhelfen würde. Doch Nacht für Nacht frei herumzulaufen, hatte seinen Zorn besänftigt und ihm erlaubt, dem Schmerz seiner alptraumhaften Kindheit zu entfliehen. Sein Leben lang, schon als Knirps, lange bevor der Leopard sich zum ersten Mal zeigte, hatte das Tier ihm die Kraft zum Überleben gegeben.
Drake war freundlicherweise Tausende von Meilen mit ihm gekommen und hatte freiwillig einen Teil seines Lebens aufgegeben - den Regenwald, den er so sehr liebte und brauchte -, nur um Jake an sein Erbe heranzuführen. Geld bedeutete ihm nicht viel. Es war nur ein Mittel zum Zweck, etwas, das ihm half, die Dinge zu tun, die er für wichtig hielt. Er war nur aus einem Grund in Texas, um Jake zu helfen. Und wie üblich hatte Jake auch dieser netten Geste misstraut. So wie er dem Leoparden misstraute - seiner anderen Hälfte. Das Tier hatte stets gewartet, bis es willkommen war, sich nur erhoben, wenn Jake seine Kraft brauchte, nur wenn etwas - oder jemand - seine Instinkte weckte oder wenn Jake verschwinden und laufen musste. Nicht ein einziges Mal hatte Jake den Leoparden als Teil seiner Persönlichkeit akzeptiert, so wie es laut Drake zur Vervollkommnung nötig war.
Er hatte Angst davor. Diese Erkenntnis verblüffte ihn. Er hatte immer gedacht, nichts könne ihn mehr schrecken. Er hatte Dinge überstanden, die andere umgebracht hätten. Und er hatte überlebt, allein durch seinen Mut und seine Entschlossenheit, inmitten eines wilden Sturms, wenn er am ganzen Körper zitterte, schweißnass und schwer atmend vor Furcht, wo er sich doch ständig dessen bewusst gewesen war, was eigentlich in ihm steckte. Er wollte sich von niemandem beherrschen lassen, weder von den Kindern noch von seinem Leoparden und ganz sicher nicht von Emma. Sie alle mussten ihm gehorchen. Sich seiner Kontrolle unterwerfen. In der perfekten Welt, die er sich aufgebaut hatte, mussten sie seinen Regeln folgen.
Drake hatte die ganze Zeit davon geredet, er müsse die Zügel lockern. Das erschreckte ihn und ließ sein Herz schneller schlagen. Wenn er die Zügel schleifen ließ und der Leopard ihn verschlang, war er verloren. Wenn er seine Kinder liebte und ihnen etwas zustieß, würde es ihm das Herz brechen. Wenn er sich Emma öffnete und sie ihn abwies, würde er das nicht überleben.
Der Leopard legte den Kopf auf die Tatzen und weinte; während der Sturm langsam abflaute, mischten seine Tränen sich mit den Regentropfen. Jake hatte sich stets geweigert, sich als Opfer zu betrachten. Er hatte überlebt, weil er stark war, und weil er den Entschluss gefasst hatte, nicht zurückzuschlagen. Er hatte dem Leoparden nie gestattet, sich auf seine Feinde zu stürzen und sie zu zerfleischen, obwohl das Tier mehr als einmal wutschnaubend danach verlangt hatte. Seine Selbstbeherrschung war für ihn stets der Beweis gewesen, dass er anders war. Das aufzugeben, jemandem zu vertrauen und etwas von sich preiszugeben, war für ihn wahrlich furchterregend.
Zum ersten Mal in seinem Leben dämmerte Jake, dass er vielleicht doch nicht stark genug war, das Trauma seiner Kindheit zu verarbeiten. Er hatte sich selbst nie eingestanden, dass er missbraucht worden war. Sein Leben war eben so gewesen, und er hatte seine Lektionen lernen müssen - zugegeben sehr harte Lektionen, aber sie hatten ihn zu einem erfolgreichen Mann gemacht, und zu einem überaus erfolgreichen Unternehmer. Er hielt sich für unantastbar, und in vielerlei Hinsicht war er es auch. Er stand in dem Ruf, so reich, politisch so gut vernetzt, so skrupellos und so gefährlich zu sein, dass man sich besser nicht mit ihm anlegte.
Dabei hatte er Angst vor sich selbst. Sein größter Feind steckte tief in seinem Innersten. Drake hatte gesagt, er könne nicht getrennt von seinem Leoparden leben, und wenn er das Tier nicht akzeptiere, es annehme und lerne, das, was er als Nachteil empfinde, zum Vorteil zu nutzen, würde er nie zufrieden sein. Und eines Tages würde der Leopard sich gegen ihn wenden. Das wollte Jake eigentlich nicht riskieren. Alles in ihm rebellierte dagegen, doch er war gefährlich nah daran, Emma zu verletzen und sein Heim zu zerstören - das einzige, das er je gekannt hatte.
Der Leopard streckte die Pranken aus und zog die Krallen tief durch das Erdreich. Die Nacht brach herein, und man konnte die Geräusche von Insekten und jagenden Eulen hören. Er blieb ruhig liegen, lauschte dem ewigen Kreislauf des Lebens, und ihm wurde klar, dass er Emma nicht aufgeben konnte. Eigentlich sollte sie von ihm abhängig sein - so wie die Kinder. Damit konnte er leben, darin, für alle zu sorgen, war er unglaublich gut, aber er wollte nicht auf andere angewiesen sein. Das konnte er nicht zulassen.
Jake haderte stundenlang mit sich selbst, bis er endlich zu dem Schluss kam, dass ihm keine Wahl blieb. Er konnte sich unmöglich jemandem ausliefern, der genauso grausam und reizbar war wie seine Feinde. Schließlich rann ihr Blut auch durch seine Adern. Ihre animalische Seite war zwar im Gegensatz zu seiner nicht vollständig ausgeprägt, doch sie hatten die gleichen Eigenschaften, nur ohne jene Selbstbeherrschung, die er sich über die Jahre angeeignet hatte. Es war ihm gelungen seinen Leoparden, trotz dessen wütender Raserei, von Drake fortzureißen, und er würde dem Tier nicht einmal einen Bruchteil der Kontrolle überlassen. Er würde es nicht riskieren, Emma und die Kinder zu verlieren - oder sich selbst.
Barfuß und ohne Hemd kam Jake aus dem Wald und knöpfte sich im Gehen die Jeans zu, die Drake und Joshua fürsorglich an einen Ast gehängt hatten. Drake saß im Regen, auf der Ladefläche des Pickup; als Jake auf ihn zukam, hob er wachsam den Kopf und sprang hastig herunter. Trotz seiner Behinderung bewegte er sich mit einer geschmeidigen Grazie, die Jake immer wieder erstaunte.
»Bist du in Ordnung? Ich habe schon überlegt, ob ich Joshua hinter dir herschicken soll, aber …« Drake verstummte.
Jake zuckte die Achseln. »Du dachtest, ich könnte ihn womöglich in Stücke zu reißen.«
Drake brachte nur ein schwaches Lächeln zustande. »So etwas Ähnliches.«
Kopfschüttelnd trat Jake näher. Das Hemd seines Freundes hing in Fetzen, und seine Brust war blutig. »Bist du verletzt?«
Jake wurde vor Scham ganz heiß. Obwohl er so stolz auf seine Selbstbeherrschung war, hätte er es beinah nicht geschafft, seinen Leoparden davon abzuhalten, auf Drake loszugehen. Er war heilfroh, dass er nicht ausprobiert hatte, dem Tier mehr Raum zu geben. Drake und Joshua stammten von anderen Blutlinien ab, die ganz offensichtlich ein weniger aufbrausendes Temperament besaßen.
»Bloß ein paar Kratzer«, erwiderte Drake lässig. »Hab schon Schlimmeres abbekommen, wenn wir früher als Leoparden zum Spaß miteinander gebalgt haben.«
Jake streckte die müden Muskeln. Der Regen hatte nachgelassen. »Es tut mir leid, Drake. Ich hätte dich ernsthaft verletzen können.«
Drake grinste schief. »Ich wusste, dass du es nicht tun würdest.«
»Dann wusstest du mehr als ich. Wo ist Joshua?«
Das Grinsen wurde breiter. »Schläft wie ein Baby. Er macht sich nie viele Sorgen.«
»Es sieht zumindest so aus«, erwiderte Jake. »Aber irgendetwas bedrückt ihn. Was glaubst du, warum hat er den Regenwald verlassen? Hier scheint er nicht allzu glücklich zu sein, aber zurück will er auch nicht.«
»Joshua ist eben Joshua. Er verrät nicht sehr viel über sich. Was auch passiert sein mag, es muss schlimm gewesen sein, sonst wäre er nicht weggegangen. Niemand geht ohne guten Grund.«
»Du schon«, bemerkte Jake.
»Ich konnte nicht im Regenwald bleiben, ohne meinen Leoparden gelegentlich laufen zu lassen, und ich kann mich nicht mehr verwandeln. Es wurde immer«, er stockte kurz, »immer schwieriger.«
»Haben die Ärzte es mit eigenem Knochenmaterial versucht?«
Drake nickte. »Es hat nicht funktioniert. Ich habe das nicht ganz verstanden, aber einige von uns besitzen wohl die Fähigkeit, ihre Knochen wieder aufzubauen und andere nicht. Ich habe sie anscheinend nicht.«
»Und was ist mit der Knochentransplantation von einem Spender?«
»Etwa von einem Kadaver?« Drake verzog das Gesicht. »Unsere Toten werden umgehend verbrannt. Das ist der einzige Weg, die Existenz unserer Spezies geheim zu halten und zu überleben. Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass mit einer Spende gelingt, was mit meinen eigenen Knochen nicht klappt, oder?«
»Heutzutage kann man viel machen, Drake. Man muss nur die richtigen Leute kennen.« Jake öffnete die Autotür, hielt inne und sah sich noch einmal um.
Alles im Umkreis von mehreren Kilometern gehörte ihm. Er hatte geduldig einen Morgen nach dem anderen aufgekauft und dem Land hinzugefügt, das er von seinem Urgroßvater geerbt hatte, bis er eine Zufluchtsstätte hatte. Ein großer Teil davon war in ein schattiges, bewaldetes Areal für seinen Leoparden verwandelt worden. Dann hatte er ein Rinderimperium aufgebaut. Schritt für Schritt, ganz planmäßig. Schließlich hatte er damit angefangen, nach dem Öl zu bohren, das, wie er wusste, in anderen Gebieten des ererbten Landes zu finden war. Erst kürzlich hatte er mehrere große Grundstücke erworben, wo er Erdgas entdeckt hatte, das nur darauf wartete, gefördert zu werden. Doch wenn er Drake anschaute - seinen Freund -, die einzige Person, die bisher für ihn eingetreten war, wurde ihm klar, dass all seine Anstrengungen nicht viel gebracht hatten. Milliarden von Dollar vielleicht, aber Geld war für ihn nur ein Mittel. Und nun wusste er, wofür er es einsetzen konnte.
Drake brauchte Hilfe. Verglichen mit dem Problem seines Freundes erschienen die Jahre, die Jake in die Rache an seinen Feinden investiert hatte, wie vergeudet. Ein guter Mensch wie Drake sollte nicht leiden müssen.
Jake räusperte sich. Er war es nicht gewöhnt, über andere nachzudenken und sich um sie zu sorgen. Emma hatte ihn dazu gebracht. Ihre Gegenwart beeinflusste ihn auf eine Weise, die er nicht ganz verstand, doch dass sie ihn in den kurzen zwei Jahren, die sie bei ihm wohnte, irgendwie verändert hätte, war eindeutig klar. Er wusste nicht, wann sich dieser Wandel in ihm vollzogen hatte, nur, dass Drake jetzt wichtiger war als jede Art von Revanche.
Jake klappte die Tür auf. »Soll ich fahren?«
Drake schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Schieb nur Joshua etwas beiseite.«
Jake gab seinem schlafenden Freund einen kleinen Stups, woraufhin Joshua den Kopf hob und ein warnendes Knurren von sich gab. »Geh nach hinten«, forderte ihn Jake auf. »Da kannst du weiterschlafen.«
Joshua gehorchte grummelnd, rollte sich zusammen und war wieder eingeschlafen, noch ehe Jake auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte. »Wer hat dich operiert? Gibt es Ärzte in eurem Dorf?«
»Wir haben in unserer Gemeinschaft einen Doktor, aber der ist kein Spezialist für so einen Fall, und meine Knochen eignen sich auch nicht für eine normale Transplantation.«
An der Oberfläche klang er sachlich, doch Jake hörte genauer hin. Obwohl Drake seinen Kummer nicht zeigte, nahm Jake den traurigen Unterton in seiner Stimme wahr und musterte ihn scharf. »Ich brauche dich hier, Drake.« Er sprach absichtlich leise, denn bei diesem Eingeständnis drehte sich ihm der Magen um. Er hasste dieses Gefühl, das er mit einem Mal empfand - diese siedend heiße Angst, er könnte seinen Freund verlieren. Er wollte auf niemanden angewiesen sein, das brachte ihn nur dazu, sich schwach und verletzlich zu fühlen.
Jake holte tief Luft. Nein, er hatte keine Angst. Da er Drake gebeten hatte, den Regenwald zu verlassen und ihm zu helfen, trug er auch die Verantwortung für ihn. Das war es. So wie er für Emma und die Kinder und sogar für Joshua die Verantwortung trug. Er musste einen Weg finden, dem Mann zu helfen und ihn zu retten, denn es gab nur wenige gute Menschen auf der Welt.
Drake machte ihm nichts vor, er verstand genau, worum es ihm ging. »Du wirst bald herausfinden, dass ein Leopard nicht ewig unterdrückt werden kann. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, Jake. Aber verdammt nochmal, was soll ich dagegen tun?«
»Dich operieren lassen. Sei doch nicht dumm. Man gibt doch nicht auf, ehe man alles ausprobiert hat, und du hast noch nicht einmal an der Oberfläche gekratzt. Deine eigenen Knochen eignen sich nicht, und wir haben keinen toten Spender, aber du hast mich. Und Joshua. Vielleicht hat einer von uns diese Fähigkeit zum Knochenaufbau, und wenn dem nicht so ist, finden wir jemanden, der sie hat.«
Drake warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. »Ich fürchte, so einfach ist es nicht.«
»Wie bei allen wichtigen Dingen.« Jakes Verstand arbeitete bereits auf Hochtouren. Er konnte ohne weiteres mehrere seiner Leute darauf ansetzen, ein hochkarätiges Team von Orthopäden zusammenzubekommen. Für Geld war jeder zu haben. Und wenn er eins hatte, dann Geld. »Morgen leite ich alles in die Wege. Wenn Joshua und ich nicht infrage kommen, suchen wir so lange, bis wir einen Spender finden.«
Drake befeuchtete seine trockenen Lippen. »Glaubst du wirklich, dass man mich wieder hinkriegt? Dass es ohne diese Platte geht? Ich habe schon darüber nachgedacht, das Bein amputieren zu lassen.«
»Warum sollte man dich nicht wieder zusammenflicken können? Wir brauchen nur den richtigen Arzt und einen passenden Spender.« Jake sah aus dem Fenster. »Du hast vergessen, die Scheinwerfer anzumachen. Du benutzt die Nachtsicht deines Leoparden.«
Ihm war aufgefallen, dass Joshua und Drake oft ihre geschärften animalischen Sinne zu Hilfe nahmen. Vielleicht waren ihre Leoparden nicht so aggressiv wie seiner und leichter zu beherrschen. Er hatte sich ausführlich mit der Spezies befasst. Leoparden waren launisch und neigten zu heftiger Eifersucht. Außerdem galten sie als hochintelligent, listig und sehr scheu. Über all diese Charaktereigenschaften verfügte er ebenfalls, nur tausendmal schlimmer.
Drake interessierte sich nicht für die Scheinwerfer, er schlug ein anderes Thema an, als sie über den unbefestigten Weg zum Haus zurückfuhren. »Du must mir alles sagen, was du über Emma weißt, wo sie herkommt. Sicher hast du Erkundigungen einziehen lassen, ehe du sie eingestellt hast.«
»Ich habe eine Akte über sie, aber es steht nicht viel drin. Nur wo sie zur Schule gegangen ist. Und etwas über ihre Eltern.« Wieder zuckte Jake kurz die Achseln.
»Hast du schon mal vom Han Vol Don gelesen oder gehört?«, fragte Drake.
»Ich habe mitbekommen, dass ihr davon geredet habt. Was ist das?«
»Es betrifft die Weibchen unserer Art, bei denen vieles anders ist als bei den Männchen. Niemand weiß, wodurch das Han Vol Don ausgelöst wird, jedenfalls nicht durch die Pubertät oder sexuelle Aktivität. Wir tappen im Dunkeln, und du kannst mir glauben, wir haben alles versucht, es herauszufinden. Bei den Männern zeigt sich der Leopard, wenn er stark genug ist oder wenn er als Junge starkem Stress ausgesetzt ist. Vielleicht auch bei einer Mischung aus beidem. Bei unseren Frauen hingegen passiert etwas ganz anderes.«
»Und das Han Vol Don ist …« Jake schaute Drake erwartungsvoll an, eine Spur von Ungeduld im Blick. Den männlichen Part kannte er.
»Gefährlich. Für alle Beteiligten. Dann ist die Leopardenfrau plötzlich ganz heiß auf Sex, sowohl als Mensch wie auch als Katze. Sie verströmt einen Duft, um den Partner zu locken, und wenn er ihr zu nahekommt, kann er vom Paarungstrieb überwältigt werden - diesem rasenden Verlangen, das du erlebt hast. Gefährten finden und erkennen einander in jedem Lebenszyklus. Ich denke, Emma könnte eine von uns sein.«
In dem Augenblick, in dem das Wort Gefährte fiel, sprang das Tier in Jake auf, und der Mann in ihm schrak zurück. Er war niemandes Gefährte, schon gar nicht Emmas. Er war ihr Herr. Sie gehörte ihm, doch er war unabhängig. Er lebte in einer sorgfältig konstruierten Scheinwelt.
»Das ist unmöglich. In ihrer Vergangenheit gibt es absolut nichts, was darauf schließen lässt. Außerdem war sie mit jemand anders verheiratet.« Der letzte Satz hörte sich fast wie eine Anklage an, und Jake hielt den Blick auf die vorbeirasenden Zäune gerichtet.
»Das heißt nicht, dass sie in einem früheren Leben nicht deine Gefährtin gewesen ist. Gibt es manchmal Momente, in denen sie dir vertraut erscheint? Hast du Erinnerungen an sie, die du eigentlich nicht haben dürftest?«
Jake machte einen bewussten Atemzug. »Wie kann sie eine Leopardenfrau sein und es nicht wissen?«
»Die Erregung steigert sich ganz allmählich, mit kleinen Unterbrechungen zwischendurch. An einem Tag ist die Frau noch gut gelaunt, am nächsten kann sie schon äußerst reizbar sein, und ihre erhöhte sexuelle Bereitschaft lockt die Männchen aus der Umgebung an. In den ruhigen Phasen können selbst Leoparden solche Weibchen nicht am Geruch erkennen, doch sobald die Brunstphase beginnt, laufen ihr alle hinterher.«
»Was passiert, wenn sie sich in eine Katze verwandelt?«
»Irgendwann zeigt sich ihre Leopardin zum ersten Mal, das geschieht immer auf dem Höhepunkt der Läufigkeit. Dann hat die animalische Seite so großen Einfluss auf die Frau, dass sie genauso sexhungrig wird wie die Katze in ihr.«
Der Gedanke an Emma in einem solchen Zustand löste bei Jake heftige körperliche Reaktionen aus. Schließlich konnte er ihre Bedürfnisse befriedigen wie kein anderer. Er war sich absolut sicher, sobald sie miteinander schliefen, wäre sie die Seine, denn er hatte schon vor langer Zeit gelernt, wie man Frauen dazu brachte, mehr zu wollen. Vielleicht hatte er bei Emma bislang die falsche Taktik angewendet.
Drake fuhr über die lange, gewundene Zufahrt um das Haus herum und hielt am Hintereingang zur Küche. »Eins noch, Jake. Während du unterwegs warst, haben die Sicherheitsleute Bescheid gegeben. Sie haben einen Mikrochip im Apparat auf dem Flur gefunden, der über Stimmfrequenzen zur Aufnahme aktiviert wurde. Der Chip ist entfernt und liegt für dich bereit. Außer den beiden Leuten, die Susan abgeliefert haben, war niemand auf der Ranch. Ich habe mir ihre Namen geben lassen. Susans Erzieherin heißt Dana Anderson, und ihr Lehrer Harold Givens. Wir lassen sie gerade überprüfen.«
»Danke, Drake. Für alles.« Jake sprang aus dem Wagen, hielt aber die Tür fest, so dass Drake noch nicht weiterfahren konnte. »Ich meine es ernst mit der Operation. Ich setze gleich ein paar Leute darauf an.« Er zwang sich hinzusehen, schaute auf Drakes blutig zerkratzte Brust. »Pass bloß auf, dass sich nichts entzündet.«
»Ja, Mama«, erwiderte Drake. »Gute Nacht.« Damit warf er Jake seine Brieftasche und sein Handy zu.
Jake schnappte die beiden Sachen, schlug die Tür zu, trat zurück und sah Drake nach, der dem Weg zu den kleineren Häusern folgte, in denen einige der Farmarbeiter untergebracht waren. Dann machte er kehrt und ging zur Küchentür. Einen Augenblick blieb er noch stehen, um seinen Rechtsanwälten eine SMS zu schicken, damit sie schnellstmöglich für Emma die Adoptionspapiere vorbereiteten. Dann betrat er das Haus.
Sofort hielt er erneut inne. Selbst im Dunkeln konnte er den Kuchen sehen, was ganz offensichtlich Absicht war. Sonst räumte Emma immer auf, doch diesmal hatte sie den Kuchen mitten auf dem Tisch stehen lassen, neben seinem Leopardenbild und zwei bunt eingepackten anderen Geschenken. Jake sah sie sich näher an. Auf dem einen stand Kyle, mit grünem Buntstift geschrieben, und auf dem anderen Von Andraya, in verschmiertem Dunkelrot.
Sein Herz zog sich zusammen. Er hatte es völlig vermasselt. Er taugte einfach nicht für diese Familienvater-Nummer. Noch während er das dachte, ging er die Treppe hinauf ins Kinderzimmer, gab den Schlafenden einen Gute-Nacht-Kuss und wandte sich dann entschlossen Emmas Schlafzimmer zu. Knapp davor blieb er irritiert stehen. Die Tür war zu. Solange Emma bei ihm war, hatte sie immer bei halb offener Tür geschlafen, damit die Kinder stets in Hörweite waren. Jake legte die Hand auf den Türgriff und drückte ihn herunter. Es war abgeschlossen.
Maßlose Wut packte ihn, und seine Stimmung verfinsterte sich drastisch. Sie wagte es, beleidigt die Tür vor ihm zu verschließen? Er wollte verdammt sein, wenn er sich das bieten ließ.