7
Jake stand gleich hinter
der offenen Tür, das Herz schlug ihm bis zum Hals und er atmete
schwer, um den Leoparden in Schach zu halten. In diesem Augenblick,
als er Emmas unschuldiges Lachen hörte und ihre Erregung witterte,
erkannte er, dass er unberechenbar wurde. Irgendetwas lief verdammt
schief. Er sollte in seinem Büro sein, abgeschirmt von allen
Geräuschen, statt diesem Geplänkel zwischen Mann und Frau zu
lauschen. An den Stimmen konnte er hören, wie interessiert der Mann
klang, während Emmas Tonfall ganz unschuldig war. Dennoch war sie
offenbar erregt, und das machte ihn verrückt. Ihn ergriff eine
derartige Wut, die bald unbändig und grausam zu werden drohte. Er
verabscheute diese hässliche Seite, die von zu leidenschaftlichen
Gefühlen ausgelöst wurde, denn sie bewies, dass er den Keim des
Bösen in sich trug.
Jake wusste, dass er Hilfe brauchte. Er musste mit
Drake reden und einen Weg finden, die heftige Eifersucht zu
bekämpfen, die ihm schon bei der Vorstellung, dass ein Mann sich in
Emmas Nähe aufhielt, den Atem raubte. Diese Frau war zu einer
Obsession geworden, er dachte jede Sekunde an sie, und sein Körper
wurde von einer anhaltenden
Erektion gequält, die so massiv und schmerzhaft war, dass er
manchmal kaum laufen konnte. Nichts half dagegen, keine Frau
befriedigte ihn - er wollte nur Emma. Irgendwie war es ihr
tatsächlich gelungen, den Spieß umzudrehen. Anstatt dass sie sich
nach ihm verzehrte, war es genau andersherum gekommen.
Jake lehnte sich lässig an den Türpfosten und
wartete darauf, dass Emma aufschaute und er ihr Gesicht sah - ihre
leuchtenden Augen und den ausdrucksvollen Mund. Sie hielt den
größtmöglichen Abstand zu dem anderen Mann, das war das Einzige,
was Jake daran hinderte, die Beherrschung zu verlieren. Der Leopard
war kaum noch zu bändigen. In seiner Brust rumorte es, und er
verspürte den Drang laut zu brüllen. Die Zähne schmerzten, so fest
presste er sie zusammen, um die Verwandlung zu unterdrücken und
sich nicht auf seinen Feind - seinen Rivalen - zu stürzen und ihm
die Eingeweide herauszureißen. Oder auf Emma, um das zu tun, was er
schon lange mit ihr tun wollte.
Sein Körper war stocksteif, jeder Muskel
angespannt, die Haut fiebrig, das Glied so dick und hypersensibel,
dass jeder Schritt wehtat. Es war nicht mehr aufzuhalten … es
musste sein.
Da schaute Emma auf und begegnete seinen Augen.
Einen Moment lang schien die Zeit stillzustehen. Dann bekam ihr
Blick etwas Weiches, Freundliches, und sofort zog sich sein Herz
fest zusammen, und sein Magen verkrampfte sich. Jake ballte die
Fäuste. Er sagte kein Wort, denn er befürchtete, dass seine Stimme
nicht mehr menschlich klang.
»Greg kann dieses Geräusch in der Telefonleitung
nicht hören.«
Greg? Wieso zum Teufel
wurde der Kerl beim Vornamen genannt? Kannte sie ihn etwa? Der Mann
starrte ihn mit diesem leicht ehrfürchtigen Ausdruck an, den die
Menschen in seiner Gegenwart so häufig bekamen. Jake zeigte die
Zähne, ohne wirklich zu lächeln. Wahrscheinlich erinnerte es eher
an ein Zähneblecken. Es war ihm scheißegal. Jedenfalls erstarrte
Greg mitten in der Bewegung, also musste es wohl bedrohlich
ausgesehen haben. Mit der Zunge tastete Jake nach den Eckzähnen.
Fühlten sie sich schärfer an? Er atmete tief ein und aus, um seinen
Leoparden im Zaum zu halten.
»Joshua hat mir gesagt, dass er es auch gehört
hat«, brachte er heraus. Obwohl er sehr leise gesprochen hatte,
warf Emma ihm einen besorgten Blick zu. Doch er war nicht in der
Verfassung, ihre Sorgen zu zerstreuen.
»Greg meint, wenn wir trotz intakter Leitung etwas
hören, könnte es sich um Wanzen handeln. Du weißt ja, wie gern die
Paparazzi ins Haus kämen.«
»Ich könnte die Telefonbuchsen auf Abhörgeräte
untersuchen«, bot Greg an.
»Machen Sie sich keine Mühe, mein Sicherheitsdienst
wird sich darum kümmern«, erwiderte Jake herablassend und stakste
aus dem Zimmer. Der Mann sollte so schnell wie möglich wieder
verschwinden.
Jake wollte nicht gehen, doch es blieb ihm keine
andere Wahl. Er musste Drake einfach finden, er brauchte Auslauf,
dort, wo er als Leopard keinen Schaden anrichten konnte. Schwer
atmend wandte Jake sich ab, ging durch die Küche und blieb abrupt
stehen, als er Joshua sah, der mit hochgelegten Beinen Kaffee trank
und eine Scheibe frisch gebackenes Brot vertilgte.
»Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst bei Emma
bleiben?«, fuhr Jake ihn an.
Joshua sprang so hastig auf, dass sein Stuhl
hintenüber kippte. »Es hieß, bleib im Haus, und hier bin
ich.«
»Das ist doch Quatsch. Du hast einen Mann
reingelassen, der Emma anglotzt, als wäre sie ein Sahnetörtchen in
der Auslage, und du sitzt bloß da und stopfst dir den Bauch voll.
Wirf diesen Scheißkerl raus und lass die Sicherheitsleute nochmal
die Telefone überprüfen, nicht nur mit Geräten, sondern von Hand.
Und wenn sie ihren Job nicht verstehen, dann kannst du sie gleich
feuern.«
»In Ordnung, wird gemacht«, beschwichtigte
Joshua.
Jake lief erregt auf und ab, wog den Kopf hin und
her. Sein Gesicht war finster, und seine Augen nahmen einen dunklen
Goldton an, während er begann, mit der visuellen Wahrnehmung des
Raubtiers zu sehen.
Joshua nahm das Funkgerät vom Gürtel und sprach
hastig hinein, während er den Tisch zwischen sich und seinen Chef
brachte. Die von der Sicherheit sollten die Telefonbuchsen näher in
Augenschein nehmen und außerdem rief er nach Drake.
»Jake. Hör mir zu. Konzentrier dich. Du bist
brünstig. Das ist wie ein Anfall von Wahnsinn. Du musst dagegen
ankämpfen. Komm mit. Wir schaffen dich hier weg, ehe es zu spät
ist.« Joshuas Stimme war rauer geworden, und er begann anders zu
sehen, denn auch seine Sinne schärften sich.
Jake hörte ihn wie aus weiter Ferne, mit
schwankender Lautstärke. Seine Muskeln schmerzten, und sein Rücken
krümmte sich bereits. Er wollte, dass Emma unter ihm lag und seinen
Namen schrie. Er hatte nur noch dieses eine
Bild vor Augen, dann witterte er plötzlich andere Männer und sah
rot.
»Verdammt, Drake, beeil dich«, brüllte Joshua ins
Funkgerät. »Allein werde ich nicht mit ihm fertig.« Er streckte
Jake abwehrend die flache Hand entgegen. »Du hast mich auf deine
Ranch geholt, damit ich dir helfe, Jake. Das versuche ich gerade.
Geh laufen. Lass deinen Leoparden frei.«
In Jakes Ohren dröhnte es. Das Blut kreiste heiß
durch seine Adern, und das Verlangen nach Paarung war so
überwältigend, dass er bebte. Das Tier in ihm gewann Stück um Stück
die Oberhand.
»Deine animalische Seite macht es dir sehr schwer.
Aber wir wollen doch keinen Kampf in der Küche, oder?« Von Jakes
Aggression geweckt, drängte auch Joshuas Leopard an die Oberfläche.
Eine Katastrophe bahnte sich an.
Da flog die Tür auf, und Drake humpelte herein. Er
raunzte einen Befehl in der Sprache ihrer Spezies; Jake verstand
ihn nicht, wohl aber sein Leopard. »Jake. Geh zum Wagen. Wir müssen
sofort weg.« Drakes Ton duldete keinen Widerspruch. Jeden
Augenblick konnte ein Unglück passieren.
Jake sah in die Richtung, aus der Emmas Stimme kam.
Sie unterhielt sich immer noch leise mit dem Techniker.
»Evan kommt gleich und schafft ihn vom Grundstück«,
beteuerte Joshua.
Jake erkannte, dass er kaum noch Gewalt über sich
hatte, und kämpfte darum, den Leoparden zu zügeln, wenigstens so
lange, bis Emma und die Kinder in Sicherheit waren. Die vereinten
Kräfte von Joshua und Drake würden nötig sein, um den
wutentbrannten, mordlustigen Kater
im Zaum zu halten. Er versuchte, etwas zu sagen, doch heraus kam
nur noch ein zorniges Knurren. »Emma.« Er konnte - er würde nicht
gehen, ehe sichergestellt war, dass jemand auf sie aufpasste.
Als ob dieses eine herausgepresste Wort alles
sagte, gab Drake Joshua einen weiteren knappen Befehl. »Hol Darrin.
Sag ihm, er soll noch zwei Männer mitbringen und das Haus mit Emma
und den Kindern bewachen, bis einer von uns dreien zurückkehrt.«
Unterdessen drängte er Jake aus dem Haus.
Jake konnte kaum laufen, so steif und schwer fühlte
sich sein Körper an, er war derart erregt, dass jeder Schritt
schmerzte. Der Leopard kämpfte gegen ihn an und wollte zurück,
versuchte um Drake herumzulaufen, probierte bedrohlich fauchend ein
paar Finten. Drakes Leopard fauchte zurück und trieb Jake weiter.
Sobald Joshua wieder dazu imstande war, half auch er mit. Zwar
achtete er darauf, zu seinem aufgebrachten Chef Abstand zu halten,
während das wütende Knurren immer lauter und wilder wurde, doch am
Ende hatten sie Jake zum Wagen gescheucht.
Die größte Gefahr bestand, wenn sie alle im engen
Wagen gefangen waren. Drake und Joshua mussten sich auf Jakes
Selbstbeherrschung verlassen, dass er seinen Leoparden so lange
hinhielt, bis sie ihn zur anderen Seite der Ranch geschafft hatten,
wo sie ihn laufen lassen konnten.
Sobald Jake im Auto gefangen war, schlug Drake die
Tür zu und sprang auf den Fahrersitz. »Was zum Teufel ist passiert,
Joshua? Ich war nicht im Haus, aber er ist definitiv brünstig. War
eine Frau in der Nähe?«
Joshua zuckte die Achseln. »Nur Emma. Ich war schon
Dutzende Male mit ihr zusammen, und nie hat mein Leopard
reagiert. Obwohl …« Er brach ab und beobachtete seinen Chef.
Jake keuchte, seine Brust hob und senkte sich unter
der Anstrengung, die Verwandlung aufzuhalten. Seine Haut kribbelte
und spannte, als ob sie zerreißen wollte. Als der Juckreiz
unerträglich wurde, riss er sich das Hemd herunter, und man sah,
wie seine Muskeln ein Eigenleben entwickelten. In seinem Hirn
vermengten sich rote Nebel, brutale Wut und gieriger Hunger auf
eine einzige Frau. Er war besessen von Emma, dem Verlangen nach
ihrem Körper und dem Drang, sie zu seiner Gefährtin zu machen. Er
hasste alle anderen Männer und lechzte förmlich danach, jeden
Rivalen zu töten; vor hitziger Erregung beinah unzurechnungsfähig,
begriff Jake, woher die Grausamkeit seiner Eltern kam.
Er kämpfte gegen das Tier in sich und ließ hechelnd
den Kopf hängen, sein Mund war voller Zähne, sein Herz grausam,
sein Körper lüstern. Schweiß brach ihm aus allen Poren, er wollte
Drake zur Eile antreiben, doch er sagte kein Wort, wagte es nicht,
den Mund zu öffnen, aus Angst, dass ihm bereits ein Maul gewachsen
sein könnte. Sie waren noch meilenweit von einem sicheren Auslauf
entfernt, rasten mit Höchstgeschwindigkeit über den unbefestigten
Weg zu seinem abgelegenen Zufluchtsort, und Drake und Joshua, die
beiden Männer, die er Freunde nennen konnte, waren mit ihm im engen
Führerhaus des Wagens eingesperrt und riskierten ihr Leben, um die
anderen Menschen auf der Ranch zu schützen.
Die Bäume und die üppige Belaubung erinnerten an
einen kühlen, exotischen Wald, in dem sein Leopard frei herumlaufen
konnte, ohne die Gefahr, dass er Vieh tötete,
Cowboys verletzte oder gesehen wurde. Dort wachte Drake über ihn
und lehrte ihn nicht nur, wie er im Laufen die Gestalt wechseln
konnte, sondern auch wie die Leopardenmenschen lebten und wie sie
vorausschauend alle paar Meilen Kleidung und Vorräte
versteckten.
Die Atmosphäre im Truck blieb angespannt, Pelz
überzog Jakes Körper, und Krallen wuchsen aus seinen Fingerspitzen.
Er zitterte vor Anstrengung, die Verwandlung zu unterdrücken.
»Kämpf dagegen an«, brüllte Drake im Befehlston.
»Du hast einen starken Willen, Jake. Wer zu uns gehört braucht den,
denn man muss stets die Kontrolle behalten, egal, in welcher
Gestalt. In beiden bist du für all deine Taten voll
verantwortlich.«
Joshua fluchte leise. »Wir haben das von
Kindesbeinen an gelernt. Und außerdem durften wir uns immer bei den
Ältesten Rat holen. Wie soll er auf die Brunst vorbereitet sein? In
der Zeit können selbst die meisten von uns ihren Leoparden kaum
bändigen, und wir haben jahrelang trainiert. Er wird noch jemanden
umbringen.«
»Nein, wird er nicht«, erwiderte Drake mit fester
Stimme. »Hörst du mich, Jake? Beherrsche dich. Wenn du dich
verwandelst, denkst du sicher, der Leopard hat gewonnen, aber du
bist immer noch da. Im Kern ist er Du. Du
bestimmst über ihn. Er wird jeden Kater in der Nähe seiner Dame
töten wollen. Das ist natürlich, völlig normal, doch dieser Drang
ist stärker als alles, was du je erlebt hast, stärker als Hass oder
Wut; ein mörderisches Verlangen wird in deinen Eingeweiden brennen
und in deinem Bauch rumoren. Du musst es in den Griff bekommen.
Wenn du in diesem Zustand in der Nähe deiner Gefährtin bist, wird
es
noch tausendmal schlimmer, und du musst aufpassen, dass du ihr
nichts antust. Der Trieb, sie zu unterwerfen und zu dominieren, ist
überwältigend. Kontrolle ist alles. Verstehst du mich? Nick mit dem
Kopf, wenn du mich hören kannst und begreifst, was ich sage.«
Jake zerfetzte den ledernen Sitz, das Grollen in
seiner Brust wurde lauter. Er nickte mit dem Kopf und versuchte,
sich Drakes wichtige Hinweise zu merken, während jeder Knochen in
seinem Körper zu brechen oder splittern schien, jeder Muskel dehnte
sich, und jede Zelle schrie nach Emma. Ihm war klar, dass sie der
Auslöser für diesen wilden Anfall von Leidenschaft war. Ihr
Geschmack lag ihm auf der Zunge; er dachte nur noch daran, ihr
Fleisch an seinem zu spüren, sein Glied tief in sie
hineinzustecken. Und gnadenlos zuzustoßen. Ihr die Zähne in den
Nacken zu bohren und sie vollständig zu unterwerfen. Sie zu
zwingen, zuzugeben, dass sie ihm gehörte und nur ihm. Emma.
Oh, Gott, Emma, wie geht es
dir? Bist du in Sicherheit? Pass auf dich auf, ich brauche
dich. Jake holte tief Luft und kämpfte um seinen Verstand,
damit sie trotz seines überwältigenden Verlangens vor ihm geschützt
war. Nein! Bleib weg von mir. Was zum Teufel
geht mit mir vor?
Seine Augen schmerzten. Er bekam Angst. Diesen
Anfall würde er nicht überstehen, ohne jemanden zu töten. Der Drang
wurde unwiderstehlich, überrollte ihn wie eine Flutwelle und riss
ihn mit - schlimmer noch, er weckte das hemmungslose Verlangen,
jemandem wehzutun, jemandem genauso viel Schmerz zuzufügen, wie er
in den Fängen dieses schrecklichen Triebes ertragen musste. Jakes
Magen verkrampfte sich heftig, fast hätte er sich erbrochen
bei der Vorstellung, so pervers und widerlich zu sein, dass er
sich allen Ernstes wünschte, jemanden zu quälen und sich womöglich
noch am Leid anderer zu weiden. Lieber wollte er tot sein. Eher
brachte er sich um, als zuzulassen, dass er Emma oder den Kindern
etwas antat und so wurde wie seine Eltern.
Mit bebenden Flanken sank Jake auf den Boden des
Wagens. Die Wände des Gehäuses waren zu nah, das Auto zu eng. Er
gab sich alle Mühe, den Leoparden zu zähmen. Nur noch ein paar
Meilen. Wie lange dauerte das bloß?
»Seine Augen sind schon völlig hinüber«, berichtete
Joshua. »Mir ist schleierhaft, wie er die Oberhand behält. Wir
müssen ihn aus dem Wagen lassen.«
Drake drückte das Gaspedal durch. Gemessen am
Straßenzustand fuhr er viel zu schnell, aber lieber riskierte er
einen Unfall, als mit einem voll ausgewachsenen, wutentbrannten
Leoparden mitten in der Brunst in einem kleinen Käfig eingesperrt
zu sein. Auch Drakes Leopard drängte nach außen, um ihn zu
beschützen. Zweimal traten seinen messerscharfen Krallen hervor und
zogen sich wieder zurück. Seit er angeschossen worden war und die
Ärzte sein Bein mit einer Metallplatte wieder zusammengeflickt
hatten, hatte er sich nicht mehr verwandelt. Für ihn und seinen
Leoparden gab es keine Freiheit mehr.
Drake riss das Steuer herum und brachte den Wagen
in dem Wäldchen gleich hinter der Grenze zum Reservat schlitternd
zum Stehen. Er riss ein Betäubungsgewehr von der Halterung am
Rückfenster und sprang aus dem Auto. Joshua, auf der anderen Seite,
folgte seinem Beispiel.
Während Jake im Auto noch verzweifelt versuchte,
die
Jeans abzustreifen, und sie mit den Krallen in Fetzen riss,
verkrümmte sich sein Körper. Er warf die Kleiderreste beiseite und
überließ sich dem Wandel, die Muskelstränge unter dem Rosettenfell
wuchsen um das Doppelte bis Dreifache.
Drake rannte von dem schwankenden Wagen weg,
entfernte sich von den Bäumen, in der Hoffnung, dass Jake seinen
Leoparden dann in Richtung des Waldes zwingen würde. Wenn Jake
allerdings dem Tier nachgab, würde der Kater zu seiner Katze
laufen. In dem Fall blieb ihnen keine andere Wahl, als ihn zu
betäuben, sonst tötete er alle Männer in Emmas Nähe. Drake hoffte,
dass es nicht so weit kam. Einen Leoparden mit einem
Betäubungspfeil zu treffen, war keine leichte Aufgabe, und konnte
ernste Folgen haben. Oft vertrug das Herz einer Großkatze die
Medikamente nicht und hörte einfach auf zu schlagen.
Der große Leopard im Wagen wurde wild, er warf sich
gegen die Innenwände, zerfetzte die Sitze und schlug vor die
Fenster, bis in der Windschutzscheibe spinnwebenartige Risse
erschienen.
»Er ist außer sich, Drake«, sagte Joshua warnend.
»Er ist nicht mehr bei Verstand. Du musst ihn betäuben, wenn er zu
fliehen versucht.«
Störrisch schüttelte Drake den Kopf. »Er ist
stark.«
»Falls Emma seine Gefährtin ist, die kurz vor dem
Han Vol Don steht, und die beiden sich in einem anderen Leben
mindestens einmal gepaart haben, kann ein Neuling dem inneren Drang
nicht widerstehen. Wir wissen doch gar nicht, was in ihm steckt,
Drake. Du hast selbst gesagt, dass seine Eltern aus einer
schlechten Blutlinie stammen. Er ist gefährlich. Er könnte ein
Blutbad anrichten.«
»Er wird es schaffen.«
»Er weiß doch gar nicht, was das Han Vol Don ist.
Wie soll er verstehen, was mit ihm vorgeht?«
»Er wird es schaffen«, wiederholte Drake. »Ich
kenne ihn. Er hat die Kraft und die Entschlossenheit. Er wird
seinen Leoparden beherrschen.«
»Verdammt, Mann. Du spielst mit deinem
Leben.«
Wieder wackelte der Wagen, dann steckte der Leopard
den Kopf durch die offene Tür. Es wurde eigenartig still. Kein Laut
war zu hören. Der Leopardenpelz war dunkel von Schweiß. Als ob sie
die Gefahr erkannt hätten, verstummten die Vögel, und selbst die
Insekten hörten auf zu summen. Der Leopard senkte den Kopf und
richtete den starren Blick seiner goldenen Augen auf Drake.
»Er hat dich ins Visier genommen, pass auf«, warnte
Joshua, während er das Hemd auszog und es beiseitewarf. Ohne den
Leoparden aus den Augen zu lassen, streifte er sich beide Stiefel
von den Füßen.
Aus dem Stand gelang dem Leoparden ein Satz von gut
zwei Metern, dann berührte er kurz den Boden und machte einen
weiteren Riesensprung auf Drake zu.
»Schieß«, flehte Joshua, während er sich die Jeans
herunterriss und sie fortwarf. Er lief los, verwandelte sich nach
zwei Schritten und hielt auf den Leoparden zu.
Jake rammte Drake mit der Kraft einer
Dampflokomotive und brachte ihn ins Straucheln. Drake wehrte die
kräftige Raubkatze mit dem Gewehr ab, was ihm aber nicht viel half,
und die spitzen Krallen kratzten brennend heiß über seinen
Brustkorb, nur knapp an seiner Kehle vorbei.
»Jake. Kämpf dagegen an!« Drake schaute ihm direkt
in die goldenen Augen.
Joshuas Leopard kam von der Seite. Jake sprang hoch
und drehte sich mitten in der Luft, um seinem Angriff auszuweichen.
Er war so wütend und blutrünstig, dass er nur noch rot sah und
Drakes Stimme kaum hörte. Dabei respektierte er Drake. Er mochte
ihn sogar. Trotzdem konnte er ihn kaum noch von seinen tödlichen
Feinden unterscheiden.
Obwohl er gerade den menschlichen Geruch eines
Mannes witterte, der ihm den Weg zu seiner Gefährtin verstellte,
ein anderer Leopard dabei war, sich auf ihn zu stürzen und in
seinem Herzen eine mörderische Wut tobte, versuchte Jake, sich auf
Drakes Stimme zu konzentrieren. Er musste auf etwas hören, dass das
Gebrüll seines Leoparden ausblendete.
Joshuas Leopard übersprang die letzten Meter, um
Jake unbedingt von Drake fernzuhalten. Jake wirbelte herum, sein
biegsames Rückgrat erlaubte ihm fast eine Kehrtwende, um der neuen
Bedrohung zu begegnen. Doch schon bohrten sich messerscharfe
Krallen in seine Hinterbeine. Einen Moment brannten seine Lungen
vor Schmerz, und er holte tief und schaudernd Luft. Sieg. Wieder
hatte er den Schmerz besiegt. Schmerz war das, was sein Leben
bestimmte, und Schmerz war es auch, der ihn am ehesten zur
Besinnung brachte.
Jake nahm seinen fauchenden Leoparden an die
Kandare und zwang ihm seinen eisernen Willen auf. Leise und
beruhigend auf ihn einredend, versprach er ihm, dass es bald zur
Paarung kommen würde. So drängte er den erregten Kater schrittweise
zurück. Der Leopard kämpfte um jeden Fußbreit, seine Instinkte im
Clinch mit dem menschlichen Verstand. Doch Jake war stark - wilder
entschlossen
als der Leopard -, da gab die Raubkatze abrupt auf, drehte sich um
und lief in den Wald.
Der Leopard rannte, um so schnell wie möglich tief
in das Reservat vorzudringen. Der Paarungsdrang trieb ihn schier
zur Verzweiflung, und Jake wollte, dass der Leopard so weit wie
möglich von Emma entfernt war. Er hatte keine Ahnung, was mit ihm -
dem Leoparden wie dem Mann - gerade geschah, aber er musste lernen,
es zu beherrschen, ehe er es überhaupt wagen konnte, irgendwelche
Ansprüche an Emma zu stellen.
Wind erhob sich und fuhr heulend durch die Bäume,
ein Sturm kündigte sich an. Es wurde dunkler, und mit der
Dunkelheit kam der Regen. Die Tropfen fielen so dicht, als weinte
selbst der Himmel über die zügellose Grausamkeit, die Jake im Blut
lag. Durch die dicken Tatzen konnte er sich trotz seiner Eile
lautlos fortbewegen und in dem Bemühen, vor sich und seiner
hässlichen, brutalen Natur davonzulaufen, zog er sich immer tiefer
in den Schutz des Waldes zurück. Sein ganzes Leben hatte er
befürchtet, ihnen - den Feinden - ähnlich zu sein, und ein Teil von
ihm hatte sich immer das Gegenteil beweisen wollen, doch die
Tatsache, dass sein Körper und sein Geist von Emma wie besessen
waren, die Art und Weise, wie er reagierte, wenn er sie nur sah,
und die leidenschaftlichen Gefühle, die ihn dabei überkamen,
deuteten auf etwas anderes hin.
Der Leopard hob den Kopf und setzte ihn Wind und
Regen aus in der Hoffnung auf einen reinigenden Effekt. Der Sturm
nahm zu, pfiff durch die Bäume, verbog Schösslinge, riss Blätter ab
und knickte kleinere Zweige, die auf ihn herabregneten. Der Wind
auf seinem Pelz fühlte sich gut an, und der Sturm passte zur
Gereiztheit des
Leoparden. Er war frei. In seinem Schutzgebiet, wo statt Stadtlärm
nur das Rascheln der Bäume und der Regen zu hören waren, brauchte
er sich keinen Zwang anzutun. Niemand konnte ihn daran hindern zu
jagen, wie es seine Art war. Das Rascheln der Blätter war Musik in
seinen Ohren, und er fühlte sich eins mit der Tierwelt. Er hatte
eine Zufluchtsstätte. Der Leopard genoss seine Freiheit und lief
meilenweit, obwohl er das Gefühl hatte, sein Herz würde
zerspringen, wobei sein Atem in großen Dampfwolken entwich.
Er kam an einen angeschwollenen Fluss und sprang
schnurstracks hinein, ungeachtet der Strömung, die ihn ergriff und
auf eine Biegung zutrug. Der Leopard stieß sich den Kopf an dicken
Ästen, wurde unter Wasser gedrückt, tauchte fauchend und spuckend
wieder auf und benutzte seine mächtigen Muskeln, um ans Ufer zu
gelangen und sich an Land zu ziehen.
Mit gesenktem Kopf und bebenden Flanken stand er da
und rang um Atem - und mit sich selbst. Was war mit ihm los,
verdammt? Stets war er seinem Racheplan gefolgt, doch irgendwo
unterwegs war er davon abgekommen. Er kapierte das mit den Gefühlen
einfach nicht, sie waren ihm nicht ganz geheuer. Seine jedenfalls
waren viel zu heftig, zu gefährlich, denn er war durchaus imstande,
jemanden zu verletzen.
Die schmerzenden Kratzwunden an seinen Beinen
erinnerten ihn an jeden einzelnen Sieg seiner Kindheit, an jeden
Vorfall, bei dem er sich beherrscht hatte, jede Gelegenheit, bei
der er sich vorgenommen hatte, zu überleben und stark zu werden.
Der Leopard legte sich unter einen großen Baum. Der Schirm aus
Blättern und Ästen schwankte
heftig unter dem Ansturm des Windes und erlaubte dem Regen, ihn
weiter zu durchnässen, was seinen erhitzten Körper ebenso abkühlte
wie seinen erregten Geist.
Drake lebte nun schon zwei Jahre bei ihm. Joshua
war ihm gefolgt, hatte den Regenwald verlassen, um es mit einem
anderen Leben zu versuchen. Er war unbekümmerter als Drake und
lachte mehr, doch in seinen grünen Augen lauerten dunkle Schatten.
Jake hatte ihn nicht weiter ausgefragt, als er um einen Job gebeten
hatte. Er wusste, dass Joshua zu den Leopardenmenschen gehörte und
mit Drake befreundet war, und obwohl ein Teil von ihm die beiden
Männer, die zusammen aufgewachsen waren, um ihre lockere Beziehung
beneidete - die er nur von außen betrachten konnte -, war er doch
dankbar, einen zweiten Leoparden zu haben, der bei seiner Erziehung
half. Allerdings hatte keiner von beiden ihn auf das hier
vorbereitet - diesen völligen Zusammenbruch.
Jake bewunderte Drakes Kraft. Der Leopard in ihm
war Drake so selbstverständlich wie das Atmen, doch er konnte sich
nicht mehr verwandeln. Eine Kugel hatte sein Bein zerfetzt und die
Metallplatte, die es zusammenhielt, hinderte ihn daran, seine
animalische Gestalt anzunehmen. Diesbezüglich musste bald etwas
geschehen. Drake konnte nicht ewig ohne seinen Leoparden
leben.
Tief im Innern des Leoparden, merkte Jake mit einem
Mal auf. Ihm war ein wichtiger Gedanke gekommen. Drake konnte nicht ewig ohne seinen Leoparden leben.
Drake war kein Leopard. Und kein Mensch. Er war beides. In einem.
Der Mensch brauchte den Leoparden, und der Leopard brauchte den
Menschen. Der eine konnte ohne den anderen nicht lange überleben.
Der Leopard war in
Drake, konnte aber nicht heraus, konnte nicht frei laufen und
atmen und den Spaß haben, den das Tier hatte, wenn es über offenes
Gelände lief oder lässig von einem Ast zum anderen sprang. Was
machte der Leopard? Was dachte und fühlte er? Diesen Zustand konnte
er nicht ewig ertragen - und Drake auch nicht.
Was war dann aber mit seinem eigenen Leoparden? Was
hatte er ihm gestattet? Was für ihn getan? Von diesem Teil seines
Ichs hatte er sich stets abgeschottet, um sich zu schützen. Jake
fürchtete, dass der Leopard ihn wie seine Eltern werden ließ und
seinen animalischen Instinkten zum Durchbruch verhelfen würde. Doch
Nacht für Nacht frei herumzulaufen, hatte seinen Zorn besänftigt
und ihm erlaubt, dem Schmerz seiner alptraumhaften Kindheit zu
entfliehen. Sein Leben lang, schon als Knirps, lange bevor der
Leopard sich zum ersten Mal zeigte, hatte das Tier ihm die Kraft
zum Überleben gegeben.
Drake war freundlicherweise Tausende von Meilen mit
ihm gekommen und hatte freiwillig einen Teil seines Lebens
aufgegeben - den Regenwald, den er so sehr liebte und brauchte -,
nur um Jake an sein Erbe heranzuführen. Geld bedeutete ihm nicht
viel. Es war nur ein Mittel zum Zweck, etwas, das ihm half, die
Dinge zu tun, die er für wichtig hielt. Er war nur aus einem Grund
in Texas, um Jake zu helfen. Und wie üblich hatte Jake auch dieser
netten Geste misstraut. So wie er dem Leoparden misstraute - seiner
anderen Hälfte. Das Tier hatte stets gewartet, bis es willkommen
war, sich nur erhoben, wenn Jake seine Kraft brauchte, nur wenn
etwas - oder jemand - seine Instinkte weckte oder wenn Jake
verschwinden und laufen musste. Nicht ein einziges Mal hatte Jake
den Leoparden
als Teil seiner Persönlichkeit akzeptiert, so wie es laut Drake
zur Vervollkommnung nötig war.
Er hatte Angst davor. Diese Erkenntnis verblüffte
ihn. Er hatte immer gedacht, nichts könne ihn mehr schrecken. Er
hatte Dinge überstanden, die andere umgebracht hätten. Und er hatte
überlebt, allein durch seinen Mut und seine Entschlossenheit,
inmitten eines wilden Sturms, wenn er am ganzen Körper zitterte,
schweißnass und schwer atmend vor Furcht, wo er sich doch ständig
dessen bewusst gewesen war, was eigentlich in ihm steckte. Er
wollte sich von niemandem beherrschen lassen, weder von den Kindern
noch von seinem Leoparden und ganz sicher nicht von Emma. Sie alle
mussten ihm gehorchen. Sich seiner Kontrolle unterwerfen. In der
perfekten Welt, die er sich aufgebaut hatte, mussten sie seinen
Regeln folgen.
Drake hatte die ganze Zeit davon geredet, er müsse
die Zügel lockern. Das erschreckte ihn und ließ sein Herz schneller
schlagen. Wenn er die Zügel schleifen ließ und der Leopard ihn
verschlang, war er verloren. Wenn er seine Kinder liebte und ihnen
etwas zustieß, würde es ihm das Herz brechen. Wenn er sich Emma
öffnete und sie ihn abwies, würde er das nicht überleben.
Der Leopard legte den Kopf auf die Tatzen und
weinte; während der Sturm langsam abflaute, mischten seine Tränen
sich mit den Regentropfen. Jake hatte sich stets geweigert, sich
als Opfer zu betrachten. Er hatte überlebt, weil er stark war, und
weil er den Entschluss gefasst hatte, nicht
zurückzuschlagen. Er hatte dem Leoparden nie gestattet, sich auf
seine Feinde zu stürzen und sie zu zerfleischen, obwohl das Tier
mehr als einmal wutschnaubend danach verlangt hatte. Seine
Selbstbeherrschung war für ihn stets
der Beweis gewesen, dass er anders war. Das aufzugeben, jemandem
zu vertrauen und etwas von sich preiszugeben, war für ihn wahrlich
furchterregend.
Zum ersten Mal in seinem Leben dämmerte Jake, dass
er vielleicht doch nicht stark genug war, das Trauma seiner
Kindheit zu verarbeiten. Er hatte sich selbst nie eingestanden,
dass er missbraucht worden war. Sein Leben war eben so gewesen, und
er hatte seine Lektionen lernen müssen - zugegeben sehr harte
Lektionen, aber sie hatten ihn zu einem erfolgreichen Mann gemacht,
und zu einem überaus erfolgreichen Unternehmer. Er hielt sich für
unantastbar, und in vielerlei Hinsicht war er es auch. Er stand in
dem Ruf, so reich, politisch so gut vernetzt, so skrupellos und so
gefährlich zu sein, dass man sich besser nicht mit ihm
anlegte.
Dabei hatte er Angst vor sich selbst. Sein größter
Feind steckte tief in seinem Innersten. Drake hatte gesagt, er
könne nicht getrennt von seinem Leoparden leben, und wenn er das
Tier nicht akzeptiere, es annehme und lerne, das, was er als
Nachteil empfinde, zum Vorteil zu nutzen, würde er nie zufrieden
sein. Und eines Tages würde der Leopard sich gegen ihn wenden. Das
wollte Jake eigentlich nicht riskieren. Alles in ihm rebellierte
dagegen, doch er war gefährlich nah daran, Emma zu verletzen und
sein Heim zu zerstören - das einzige, das er je gekannt
hatte.
Der Leopard streckte die Pranken aus und zog die
Krallen tief durch das Erdreich. Die Nacht brach herein, und man
konnte die Geräusche von Insekten und jagenden Eulen hören. Er
blieb ruhig liegen, lauschte dem ewigen Kreislauf des Lebens, und
ihm wurde klar, dass er Emma nicht aufgeben konnte. Eigentlich
sollte sie von ihm abhängig sein - so wie die Kinder. Damit konnte
er leben,
darin, für alle zu sorgen, war er unglaublich gut, aber er wollte
nicht auf andere angewiesen sein. Das konnte er nicht
zulassen.
Jake haderte stundenlang mit sich selbst, bis er
endlich zu dem Schluss kam, dass ihm keine Wahl blieb. Er konnte
sich unmöglich jemandem ausliefern, der genauso grausam und reizbar
war wie seine Feinde. Schließlich rann ihr Blut auch durch seine
Adern. Ihre animalische Seite war zwar im Gegensatz zu seiner nicht
vollständig ausgeprägt, doch sie hatten die gleichen Eigenschaften,
nur ohne jene Selbstbeherrschung, die er sich über die Jahre
angeeignet hatte. Es war ihm gelungen seinen Leoparden, trotz
dessen wütender Raserei, von Drake fortzureißen, und er würde dem
Tier nicht einmal einen Bruchteil der Kontrolle überlassen. Er
würde es nicht riskieren, Emma und die Kinder zu verlieren - oder
sich selbst.
Barfuß und ohne Hemd kam Jake aus dem Wald und
knöpfte sich im Gehen die Jeans zu, die Drake und Joshua
fürsorglich an einen Ast gehängt hatten. Drake saß im Regen, auf
der Ladefläche des Pickup; als Jake auf ihn zukam, hob er wachsam
den Kopf und sprang hastig herunter. Trotz seiner Behinderung
bewegte er sich mit einer geschmeidigen Grazie, die Jake immer
wieder erstaunte.
»Bist du in Ordnung? Ich habe schon überlegt, ob
ich Joshua hinter dir herschicken soll, aber …« Drake
verstummte.
Jake zuckte die Achseln. »Du dachtest, ich könnte
ihn womöglich in Stücke zu reißen.«
Drake brachte nur ein schwaches Lächeln zustande.
»So etwas Ähnliches.«
Kopfschüttelnd trat Jake näher. Das Hemd seines
Freundes hing in Fetzen, und seine Brust war blutig. »Bist du
verletzt?«
Jake wurde vor Scham ganz heiß. Obwohl er so stolz
auf seine Selbstbeherrschung war, hätte er es beinah nicht
geschafft, seinen Leoparden davon abzuhalten, auf Drake loszugehen.
Er war heilfroh, dass er nicht ausprobiert hatte, dem Tier mehr
Raum zu geben. Drake und Joshua stammten von anderen Blutlinien ab,
die ganz offensichtlich ein weniger aufbrausendes Temperament
besaßen.
»Bloß ein paar Kratzer«, erwiderte Drake lässig.
»Hab schon Schlimmeres abbekommen, wenn wir früher als Leoparden
zum Spaß miteinander gebalgt haben.«
Jake streckte die müden Muskeln. Der Regen hatte
nachgelassen. »Es tut mir leid, Drake. Ich hätte dich ernsthaft
verletzen können.«
Drake grinste schief. »Ich wusste, dass du es nicht
tun würdest.«
»Dann wusstest du mehr als ich. Wo ist
Joshua?«
Das Grinsen wurde breiter. »Schläft wie ein Baby.
Er macht sich nie viele Sorgen.«
»Es sieht zumindest so aus«, erwiderte Jake. »Aber
irgendetwas bedrückt ihn. Was glaubst du, warum hat er den
Regenwald verlassen? Hier scheint er nicht allzu glücklich zu sein,
aber zurück will er auch nicht.«
»Joshua ist eben Joshua. Er verrät nicht sehr viel
über sich. Was auch passiert sein mag, es muss schlimm gewesen
sein, sonst wäre er nicht weggegangen. Niemand geht ohne guten
Grund.«
»Du schon«, bemerkte Jake.
»Ich konnte nicht im Regenwald bleiben, ohne meinen
Leoparden gelegentlich laufen zu lassen, und ich kann
mich nicht mehr verwandeln. Es wurde immer«, er stockte kurz,
»immer schwieriger.«
»Haben die Ärzte es mit eigenem Knochenmaterial
versucht?«
Drake nickte. »Es hat nicht funktioniert. Ich habe
das nicht ganz verstanden, aber einige von uns besitzen wohl die
Fähigkeit, ihre Knochen wieder aufzubauen und andere nicht. Ich
habe sie anscheinend nicht.«
»Und was ist mit der Knochentransplantation von
einem Spender?«
»Etwa von einem Kadaver?« Drake verzog das Gesicht.
»Unsere Toten werden umgehend verbrannt. Das ist der einzige Weg,
die Existenz unserer Spezies geheim zu halten und zu überleben.
Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass mit einer Spende gelingt,
was mit meinen eigenen Knochen nicht klappt, oder?«
»Heutzutage kann man viel machen, Drake. Man muss
nur die richtigen Leute kennen.« Jake öffnete die Autotür, hielt
inne und sah sich noch einmal um.
Alles im Umkreis von mehreren Kilometern gehörte
ihm. Er hatte geduldig einen Morgen nach dem anderen aufgekauft und
dem Land hinzugefügt, das er von seinem Urgroßvater geerbt hatte,
bis er eine Zufluchtsstätte hatte. Ein großer Teil davon war in ein
schattiges, bewaldetes Areal für seinen Leoparden verwandelt
worden. Dann hatte er ein Rinderimperium aufgebaut. Schritt für
Schritt, ganz planmäßig. Schließlich hatte er damit angefangen,
nach dem Öl zu bohren, das, wie er wusste, in anderen Gebieten des
ererbten Landes zu finden war. Erst kürzlich hatte er mehrere große
Grundstücke erworben, wo er Erdgas entdeckt hatte, das nur darauf
wartete, gefördert
zu werden. Doch wenn er Drake anschaute - seinen Freund -, die
einzige Person, die bisher für ihn eingetreten war, wurde ihm klar,
dass all seine Anstrengungen nicht viel gebracht hatten. Milliarden
von Dollar vielleicht, aber Geld war für ihn nur ein Mittel. Und
nun wusste er, wofür er es einsetzen konnte.
Drake brauchte Hilfe. Verglichen mit dem Problem
seines Freundes erschienen die Jahre, die Jake in die Rache an
seinen Feinden investiert hatte, wie vergeudet. Ein guter Mensch
wie Drake sollte nicht leiden müssen.
Jake räusperte sich. Er war es nicht gewöhnt, über
andere nachzudenken und sich um sie zu sorgen. Emma hatte ihn dazu
gebracht. Ihre Gegenwart beeinflusste ihn auf eine Weise, die er
nicht ganz verstand, doch dass sie ihn in den kurzen zwei Jahren,
die sie bei ihm wohnte, irgendwie verändert hätte, war eindeutig
klar. Er wusste nicht, wann sich dieser Wandel in ihm vollzogen
hatte, nur, dass Drake jetzt wichtiger war als jede Art von
Revanche.
Jake klappte die Tür auf. »Soll ich fahren?«
Drake schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Schieb nur
Joshua etwas beiseite.«
Jake gab seinem schlafenden Freund einen kleinen
Stups, woraufhin Joshua den Kopf hob und ein warnendes Knurren von
sich gab. »Geh nach hinten«, forderte ihn Jake auf. »Da kannst du
weiterschlafen.«
Joshua gehorchte grummelnd, rollte sich zusammen
und war wieder eingeschlafen, noch ehe Jake auf dem Beifahrersitz
Platz genommen hatte. »Wer hat dich operiert? Gibt es Ärzte in
eurem Dorf?«
»Wir haben in unserer Gemeinschaft einen Doktor,
aber der ist kein Spezialist für so einen Fall, und meine Knochen
eignen sich auch nicht für eine normale Transplantation.«
An der Oberfläche klang er sachlich, doch Jake
hörte genauer hin. Obwohl Drake seinen Kummer nicht zeigte, nahm
Jake den traurigen Unterton in seiner Stimme wahr und musterte ihn
scharf. »Ich brauche dich hier, Drake.« Er sprach absichtlich
leise, denn bei diesem Eingeständnis drehte sich ihm der Magen um.
Er hasste dieses Gefühl, das er mit einem Mal empfand - diese
siedend heiße Angst, er könnte seinen Freund verlieren. Er wollte
auf niemanden angewiesen sein, das brachte ihn nur dazu, sich
schwach und verletzlich zu fühlen.
Jake holte tief Luft. Nein, er hatte keine Angst.
Da er Drake gebeten hatte, den Regenwald zu verlassen und ihm zu
helfen, trug er auch die Verantwortung für ihn. Das war es. So wie
er für Emma und die Kinder und sogar für Joshua die Verantwortung
trug. Er musste einen Weg finden, dem Mann zu helfen und ihn zu
retten, denn es gab nur wenige gute Menschen auf der Welt.
Drake machte ihm nichts vor, er verstand genau,
worum es ihm ging. »Du wirst bald herausfinden, dass ein Leopard
nicht ewig unterdrückt werden kann. Mir bleibt nicht mehr viel
Zeit, Jake. Aber verdammt nochmal, was soll ich dagegen tun?«
»Dich operieren lassen. Sei doch nicht dumm. Man
gibt doch nicht auf, ehe man alles ausprobiert hat, und du hast
noch nicht einmal an der Oberfläche gekratzt. Deine eigenen Knochen
eignen sich nicht, und wir haben keinen toten Spender, aber du hast
mich. Und Joshua. Vielleicht hat einer von uns diese Fähigkeit zum
Knochenaufbau, und wenn dem nicht so ist, finden wir jemanden, der
sie hat.«
Drake warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. »Ich
fürchte, so einfach ist es nicht.«
»Wie bei allen wichtigen Dingen.« Jakes Verstand
arbeitete bereits auf Hochtouren. Er konnte ohne weiteres mehrere
seiner Leute darauf ansetzen, ein hochkarätiges Team von Orthopäden
zusammenzubekommen. Für Geld war jeder zu haben. Und wenn er eins
hatte, dann Geld. »Morgen leite ich alles in die Wege. Wenn Joshua
und ich nicht infrage kommen, suchen wir so lange, bis wir einen
Spender finden.«
Drake befeuchtete seine trockenen Lippen. »Glaubst
du wirklich, dass man mich wieder hinkriegt? Dass es ohne diese
Platte geht? Ich habe schon darüber nachgedacht, das Bein
amputieren zu lassen.«
»Warum sollte man dich nicht wieder zusammenflicken
können? Wir brauchen nur den richtigen Arzt und einen passenden
Spender.« Jake sah aus dem Fenster. »Du hast vergessen, die
Scheinwerfer anzumachen. Du benutzt die Nachtsicht deines
Leoparden.«
Ihm war aufgefallen, dass Joshua und Drake oft ihre
geschärften animalischen Sinne zu Hilfe nahmen. Vielleicht waren
ihre Leoparden nicht so aggressiv wie seiner und leichter zu
beherrschen. Er hatte sich ausführlich mit der Spezies befasst.
Leoparden waren launisch und neigten zu heftiger Eifersucht.
Außerdem galten sie als hochintelligent, listig und sehr scheu.
Über all diese Charaktereigenschaften verfügte er ebenfalls, nur
tausendmal schlimmer.
Drake interessierte sich nicht für die
Scheinwerfer, er schlug ein anderes Thema an, als sie über den
unbefestigten Weg zum Haus zurückfuhren. »Du must mir alles sagen,
was du über Emma weißt, wo sie herkommt. Sicher
hast du Erkundigungen einziehen lassen, ehe du sie eingestellt
hast.«
»Ich habe eine Akte über sie, aber es steht nicht
viel drin. Nur wo sie zur Schule gegangen ist. Und etwas über ihre
Eltern.« Wieder zuckte Jake kurz die Achseln.
»Hast du schon mal vom Han Vol Don gelesen oder
gehört?«, fragte Drake.
»Ich habe mitbekommen, dass ihr davon geredet habt.
Was ist das?«
»Es betrifft die Weibchen unserer Art, bei denen
vieles anders ist als bei den Männchen. Niemand weiß, wodurch das
Han Vol Don ausgelöst wird, jedenfalls nicht durch die Pubertät
oder sexuelle Aktivität. Wir tappen im Dunkeln, und du kannst mir
glauben, wir haben alles versucht, es herauszufinden. Bei den
Männern zeigt sich der Leopard, wenn er stark genug ist oder wenn
er als Junge starkem Stress ausgesetzt ist. Vielleicht auch bei
einer Mischung aus beidem. Bei unseren Frauen hingegen passiert
etwas ganz anderes.«
»Und das Han Vol Don ist …« Jake schaute Drake
erwartungsvoll an, eine Spur von Ungeduld im Blick. Den männlichen
Part kannte er.
»Gefährlich. Für alle Beteiligten. Dann ist die
Leopardenfrau plötzlich ganz heiß auf Sex, sowohl als Mensch wie
auch als Katze. Sie verströmt einen Duft, um den Partner zu locken,
und wenn er ihr zu nahekommt, kann er vom Paarungstrieb überwältigt
werden - diesem rasenden Verlangen, das du erlebt hast. Gefährten
finden und erkennen einander in jedem Lebenszyklus. Ich denke, Emma
könnte eine von uns sein.«
In dem Augenblick, in dem das Wort Gefährte fiel,
sprang das Tier in Jake auf, und der Mann in ihm schrak zurück. Er
war niemandes Gefährte, schon gar nicht Emmas. Er war ihr Herr. Sie
gehörte ihm, doch er war unabhängig. Er lebte in einer sorgfältig
konstruierten Scheinwelt.
»Das ist unmöglich. In ihrer Vergangenheit gibt es
absolut nichts, was darauf schließen lässt. Außerdem war sie mit
jemand anders verheiratet.« Der letzte Satz hörte sich fast wie
eine Anklage an, und Jake hielt den Blick auf die vorbeirasenden
Zäune gerichtet.
»Das heißt nicht, dass sie in einem früheren Leben
nicht deine Gefährtin gewesen ist. Gibt es manchmal Momente, in
denen sie dir vertraut erscheint? Hast du Erinnerungen an sie, die
du eigentlich nicht haben dürftest?«
Jake machte einen bewussten Atemzug. »Wie kann sie
eine Leopardenfrau sein und es nicht wissen?«
»Die Erregung steigert sich ganz allmählich, mit
kleinen Unterbrechungen zwischendurch. An einem Tag ist die Frau
noch gut gelaunt, am nächsten kann sie schon äußerst reizbar sein,
und ihre erhöhte sexuelle Bereitschaft lockt die Männchen aus der
Umgebung an. In den ruhigen Phasen können selbst Leoparden solche
Weibchen nicht am Geruch erkennen, doch sobald die Brunstphase
beginnt, laufen ihr alle hinterher.«
»Was passiert, wenn sie sich in eine Katze
verwandelt?«
»Irgendwann zeigt sich ihre Leopardin zum ersten
Mal, das geschieht immer auf dem Höhepunkt der Läufigkeit. Dann hat
die animalische Seite so großen Einfluss auf die Frau, dass sie
genauso sexhungrig wird wie die Katze in ihr.«
Der Gedanke an Emma in einem solchen Zustand löste
bei Jake heftige körperliche Reaktionen aus. Schließlich
konnte er ihre Bedürfnisse befriedigen wie kein anderer. Er war
sich absolut sicher, sobald sie miteinander schliefen, wäre sie die
Seine, denn er hatte schon vor langer Zeit gelernt, wie man Frauen
dazu brachte, mehr zu wollen. Vielleicht hatte er bei Emma bislang
die falsche Taktik angewendet.
Drake fuhr über die lange, gewundene Zufahrt um das
Haus herum und hielt am Hintereingang zur Küche. »Eins noch, Jake.
Während du unterwegs warst, haben die Sicherheitsleute Bescheid
gegeben. Sie haben einen Mikrochip im Apparat auf dem Flur
gefunden, der über Stimmfrequenzen zur Aufnahme aktiviert wurde.
Der Chip ist entfernt und liegt für dich bereit. Außer den beiden
Leuten, die Susan abgeliefert haben, war niemand auf der Ranch. Ich
habe mir ihre Namen geben lassen. Susans Erzieherin heißt Dana
Anderson, und ihr Lehrer Harold Givens. Wir lassen sie gerade
überprüfen.«
»Danke, Drake. Für alles.« Jake sprang aus dem
Wagen, hielt aber die Tür fest, so dass Drake noch nicht
weiterfahren konnte. »Ich meine es ernst mit der Operation. Ich
setze gleich ein paar Leute darauf an.« Er zwang sich hinzusehen,
schaute auf Drakes blutig zerkratzte Brust. »Pass bloß auf, dass
sich nichts entzündet.«
»Ja, Mama«, erwiderte Drake. »Gute Nacht.« Damit
warf er Jake seine Brieftasche und sein Handy zu.
Jake schnappte die beiden Sachen, schlug die Tür
zu, trat zurück und sah Drake nach, der dem Weg zu den kleineren
Häusern folgte, in denen einige der Farmarbeiter untergebracht
waren. Dann machte er kehrt und ging zur Küchentür. Einen
Augenblick blieb er noch stehen, um seinen Rechtsanwälten eine SMS
zu schicken, damit
sie schnellstmöglich für Emma die Adoptionspapiere vorbereiteten.
Dann betrat er das Haus.
Sofort hielt er erneut inne. Selbst im Dunkeln
konnte er den Kuchen sehen, was ganz offensichtlich Absicht war.
Sonst räumte Emma immer auf, doch diesmal hatte sie den Kuchen
mitten auf dem Tisch stehen lassen, neben seinem Leopardenbild und
zwei bunt eingepackten anderen Geschenken. Jake sah sie sich näher
an. Auf dem einen stand Kyle, mit grünem
Buntstift geschrieben, und auf dem anderen Von
Andraya, in verschmiertem Dunkelrot.
Sein Herz zog sich zusammen. Er hatte es völlig
vermasselt. Er taugte einfach nicht für diese Familienvater-Nummer.
Noch während er das dachte, ging er die Treppe hinauf ins
Kinderzimmer, gab den Schlafenden einen Gute-Nacht-Kuss und wandte
sich dann entschlossen Emmas Schlafzimmer zu. Knapp davor blieb er
irritiert stehen. Die Tür war zu. Solange Emma bei ihm war, hatte
sie immer bei halb offener Tür geschlafen, damit die Kinder stets
in Hörweite waren. Jake legte die Hand auf den Türgriff und drückte
ihn herunter. Es war abgeschlossen.
Maßlose Wut packte ihn, und seine Stimmung
verfinsterte sich drastisch. Sie wagte es, beleidigt die Tür vor
ihm zu verschließen? Er wollte verdammt sein, wenn er sich das
bieten ließ.