Die Bürde des weißen Mannes


Wenn ich mir unser Steuersystem betrachte und all die übrigen labyrinthischen Gesetze und Verordnungen, denen wir ausgesetzt sind, dann glaube ich immer, daß Franz Kafka sich unter uns sehr wohl gefühlt hätte. Seit unsere progressive Einkommenssteuer die 100%-Grenze überschritten hat, seit wir also unter bestimmten, leicht erhältlichen Voraussetzungen mehr Steuern zahlen müssen, als wir verdienen, hat der schwarze Geldmarkt eine noch nicht dagewesene Hochblüte erreicht. Ehrliches, weißes Geld ist kaum noch in Zirkulation, und wenn ein gesetzestreuer Bürger der Regierung tatsächlich alles zahlt, was sie von ihm verlangt, wird er von seiner Umwelt gemieden.

Des eingedenk sprach die beste Ehefrau von allen zu mir eines Tage wie folgt: »Es ist Wahljahr. Geh und kauf uns ein Grundstück.«

Obwohl ich da keinen unmittelbaren Zusammenhang entdekken konnte, suchte ich gehorsam Herrn Nissim Zwanziger auf, den bestbekannten Grundstücksmakler. 

»Guten Morgen«, sagte ich. »Ich möchte etwas kaufen.« 

»Was?«

»Grundstücke, Häuser, Wohnungen, was immer.«

»Gerne«, sagte Herr Zwanziger. »Wieviel Geld haben Sie?«

Ich gab ihm die gewünschte Auskunft. 

»Und wieviel davon ist schwarz?« fragte Herr Zwanziger.

Nicht ohne Selbstgefälligkeit ließ ich ihn wissen, daß kein Groschen meines Geldes schwarz sei. Herr Zwanziger wurde deutlicher: »Ich wollte wissen, wieviel Sie unter dem Tisch verdient haben.«

»Ich habe alles auf dem Tisch verdient.« 

»Das meine ich nicht«, erläuterte Herr Zwanziger, immer noch höflich. »Ich meine jenen Teil Ihrer Einkünfte, für den Sie keine Bestätigungen ausgestellt haben und von dem die

Regierung nichts weiß.«

»Die Regierung weiß alles. Ich habe meine Einkommenssteuer voll bezahlt.«

Jetzt lachte Herr Zwanziger schallend auf:

»Großartig! Ihr berühmter Humor! Wie Sie mir da ganz ruhig ins Gesicht sagen, daß Sie alle Ihre Steuern bezahlt haben... also das macht Ihnen niemand nach. Das ist einmalig. Ich freu mich schon drauf, es im Kaffeehaus zu erzählen.«

Und sein Lachen steigerte sich so gewaltig, daß ich Angst hatte, er würde ersticken.

»Na, schön«, sagte er, als er wieder zu Atem kam. »Wir hatten unseren Spaß, wie haben gelacht, und jetzt kommen wir zum Geschäft. Wieviel von Ihrem Geld ist schwarz?« 

»Es ist alles weiß.«

Meine Beharrlichkeit schien ihm ein wenig auf die Nerven zu gehen: »Grundstücksgeschäfte sind eine Sache des Vertrauens. Ich verspreche Ihnen absolute Diskretion. Wieviel schwarzes Geld haben Sie!«

»Keinen Groschen.«

Jetzt wurde Herr Zwanziger wütend: »Wir sind unter uns«, brüllte er. »Niemand hört zu. Sie können völlig ungeniert sprechen.«

Ich blieb ungeniert stumm. Vielleicht bin ich ein jämmerlicher Feigling, aber ich habe tatsächlich meine sämtlichen Steuern bezahlt. Was war zu tun?

»Ich bin bereit, meine Angaben in Gegenwart eines Lügendetektors zu wiederholen und zu beschwören«, flüsterte ich. »Ich habe kein schwarzes Geld.«

»Was wollen Sie dann eigentlich von mir?« fragte Herr Zwanziger.

Diese Frage begann auch mich zu beschäftigen. 

»Ich dachte«, fuhr Herr Zwanziger fort, »daß Sie eine seriöse Kundschaft sind. Ich habe Millionengeschäfte mit respektablen Bürgern abgeschlossen, mit Architekten, Gynäkologen, Landwirten und Installateuren - aber keiner von ihnen ist mir jemals mit weißem Geld gekommen. Ich frage Sie zum letzten

Mal: Wieviel schwarzes Geld haben Sie?«

»Hm«, machte ich ausweichend. »Das spielt doch eigentlich keine Rolle.«

»Soll das ein Witz sein, oder was?« fauchte der ehrliche Makler. »Glauben Sie, daß es in diesem Land einen einzigen Menschen gibt, der für alle seine Einnahmen Bestätigungen ausstellt und alle seine Einnahmen versteuert? Hören Sie endlich auf, mich zu langweilen. In jedem sauberen Geschäft werden zehn Prozent des Umsatzes deklariert und der Rest geht unter dem Tisch von Hand zu Hand. Woher käme sonst unsere Inflation? Von den Monatsgehältern der Angestellten?« 

Ich gab klein bei: »Schön, dann sagen wir also den Eigentümern der Grundstücke, daß ich mit schwarzem Geld zahle.«

»Niemals! So etwas mache ich nicht!« Herr Zwanziger straffte sich. »Wenn Sie mich nicht zum Narren halten und wenn Ihr Geld wirklich weiß ist, dann scheint der Betrag in Ihren Büchern oder in Ihrem Bankauszug auf und wird eine leichte Beute für die Steuerbehörde. Ich denke gar nicht daran, meine Kunden, die mir ihr Vertrauen geschenkt haben, in solche Affären zu verwickeln. Vielleicht finden Sie irgendeinen Winkelagenten, der weißes Geld nimmt. Ich nicht, Herr. Ich nicht!«

Allmählich wurde mir meine verzweifelte Lage klar. Auf der einen Seite eine florierende Volkswirtschaft - auf der anderen Seite ich, ganz allein, mit lauter weißem Geld, für das ich leichtsinnigerweise Steuern gezahlt habe und das niemand anrühren will. Es war praktisch wertlos. Ich könnte es ebensogut verbrennen.

»Läßt sich denn gar nichts mit dem Geld anfangen?« flehte ich.

Herr Zwanziger sah mich mitleidsvoll an. Im Grund seines Wesens war er ein guter, weichherziger Mensch. Er wollte nur nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. 

»Ich hatte schon einmal einen ähnlichen Fall wie Sie«, erinnerte er sich. »1968, glaube ich. Damals wollte irgendein verrückter Rechtsanwalt ein vierstöckiges Haus bar bezahlen und

die volle Summe bestätigt bekommen. Ich habe ihn gefragt, wie wir unsere Bauarbeiter unter dem Tisch bezahlen sollen, wenn wir kein schwarzes Geld zur Verfügung haben. Und dann habe ich ihn hinausgeworfen.«

Ich saß mit gesenktem Kopf. Ich war um nichts besser als dieser Rechtsanwalt. Mit einem Idioten wie mir, der die ganze ökonomische Struktur unseres Landes ins Wanken bringen würde, konnte man wirklich keine Geschäfte machen. Zum Teufel mit meinem lilienweißen Geld. 

Herr Zwanziger stand auf und zog mich zum offenen Fenster: »Hier übertönt der Straßenlärm unser Gespräch«, flüsterte er mir ins Ohr. »Also seien Sie unbesorgt und sagen Sie mir endlich, wieviel schwarzes Geld Sie haben.«

Ich brach in Tränen aus und schwieg.

Herr Zwanziger seufzte tief. Dann schrieb er auf ein Blatt Papier: »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß in meinem Büro keine Abhörgeräte eingebaut sind.«

Ich schrieb zurück: »Ich glaube Ihnen, aber ich bin weiß.«

Das war das Ende. Herr Zwanziger schloß das Fenster, ließ sich in seinen Stuhl fallen und schrie: »Hinaus!«

Ich schlich davon, ein Schatten meiner selbst, ein Ausgestoßener, ein Abschaum der Gesellschaft.