Ein kapriziöses Persönchen

 

Klopfen wir auf Holz«, sagte ich beim Abschied zur besten Ehefrau von allen. »Jetzt fahren wir unseren lieben kleinen Wagen schon zwei Jahre, und er weiß noch immer nicht, wie eine Reparaturwerkstätte von innen aussieht!«

Ich winkte ihr zu und fuhr los.

Als ich kurz danach aufs Gas stieg, begann unser lieber kleiner Wagen, seiner französischen Herkunft wegen »Mademoiselle« geheißen, vehement zu husten und zu stottern, vollführte einen Riesensprung nach vorn, dann nach hinten, produzierte ein wahres Sperrfeuer von Fehlzündungen und hatte gerade noch Kraft genug, um die Werkstatt von Mike dem Auswechsler zu erreichen.

Mike ist mein Lieblingsmechaniker, ein hervorragender Fachmann, ein angenehmer, gefälliger, fleißiger Zeitgenosse mit einem goldenen Herzen und einem einzigen, allerdings verhängnisvollen Laster: Er wechselt leidenschaftlich gern Bestandteile aus. Bei der geringsten Erwähnung eines Autobestandteils, sei's auch in lobendem Sinn, bricht unwiderstehlich sein Tatendrang hervor, und in Sekundenschnelle ist der betreffende Bestandteil durch einen neuen ersetzt. Der alte erweist sich dann immer als schadhaft, zumindest für Mikes scharfe Augen. Ich meinerseits kann noch so angestrengt hinschauen und sehe keinen Schaden.

»Wenn Sie ihn sehen könnten«, belehrte mich Mike ein wenig von oben herab, »hätte der Wagen sich nicht mehr von der Stelle gerührt.«

Angeblich hat Mike schon manch ein Fahrzeug komplett ausgewechselt, Stück für Stück. Man darf seiner Gründlichkeit blindlings vertrauen.

Ich brachte ihm also meine vom Heuschnupfen befallene Mademoiselle, stieg aus und schilderte ihm, was geschehen war.

Mike setzte sich ans Steuer, startete, trat aufs Gas - und Mademoiselle hustete weder noch spuckte sie, gab keine Fehlzündungen von sich und keinerlei störendes Motorengeräusch.

»Der Wagen ist vollkommen in Ordnung«, sagte Mike. »Ich weiß nicht, was Sie wollen.«

Um sicher zu gehen, öffnete er die Haube, kontrollierte den Vergaser und wechselte einen Verteilerarm aus. 

Ich fuhr ab. Mademoiselle glitt majestätisch die Straße entlang.

An der nächsten Straßenecke erlitt sie einen neuen, heftigen Hustenanfall, dem eine Fehlzündungskanonade folgte.

Wütend kehrte ich zu Mike zurück. Er ließ ein anderes inzwischen angelangtes Opfer stehen, startete Mademoiselle und fragte: »Wollen Sie mich zum Narren halten?«

Ich schwor ihm, daß Mademoiselle, kaum daß wir ihn verlassen hatten, in ihren alten Husten verfallen war.

Mike schnitt eine Grimasse, wechselte zwei Zündkerzen aus (sie waren schadhaft) und sagte:

»Sie sollen bis ans Lebensende so gesund sein wie dieser Wagen.«

Ohne zu wissen, womit ich mir diesen Fluch verdient hatte, fuhr ich los. Diesmal dauerte es etwas länger, ehe Mademoiselle ihren nächsten Anfall bekam. Ich fühlte, wie mir das Blut zu Kopf stieg, aber da half nichts. Ich ließ den Wagen stehen und begab mich zu Fuß in die Werkstatt.

»Mike«, sagte ich, »Sie müssen mit mir kommen.« 

Mike verfärbte sich, und die Ausdrucksweise, derer er sich bediente, ließ an Ordinärheit nichts zu wünschen übrig. Er hätte den Wagen nun schon zweimal kontrolliert, sagte er, und ich verstünde vielleicht etwas vom Schreiben, aber in bezug auf Autos wäre ich ein Analphabet.

Schließlich gab er meinen flehentlichen Bitten nach und ging mit mir.

Mademoiselle erwartete uns am Straßenrand. Mike startete sie.

»Zum Teufel!« brüllte er. »Der Wagen läuft wie ein Uhr

werk!«

»Ja, jetzt«, brachte ich zitternd hervor. »Aber fahren Sie doch einmal mit ihr.«

Wir fuhren eine halbe Stunde in einer zum Bersten angespannten Stimmung. Wohlgelaunt war nur Mademoiselle. Sie ging mit unbeschreiblicher Eleganz in die Kurven, steigerte beim Überholen mühelos ihr Tempo und gebärdete sich überhaupt musterhaft. 

Wieder in der Garage angelangt, wandte sich Mike mit angewidertem Gesichtsausdruck an mich, 

»Hysterie ist eine gefährliche Krankheit. Sie brauchen eine Behandlung, nicht der Wagen.«

»Mike, bitte glauben Sie mir!« Ich lag beinahe im Staub vor ihm. »Solange Sie da sind, macht der Wagen keine Schwierigkeiten. Aber wenn er weiß, daß er mit mir allein ist...« 

»Blödsinn.«

»Tun Sie mir einen einzigen Gefallen, Mike«, flüsterte ich. »Sagen Sie laut und deutlich >Schalom, auf Wiedersehen<, schlagen Sie die Tür zu und tun Sie so, als ob Sie weggingen. Aber in Wirklichkeit bleiben Sie neben mir sitzen.«

»Sind Sie verrückt geworden?« Mike wandte sich zornig ab. Er weigerte sich sogar, irgendeinen Bestandteil auszuwechseln.

Schweren Herzens machte ich mich auf den Heimweg. Eine Weile ging es ganz gut. Aber in der Arlosoroffstraße fing es wieder an. Und diesmal war es kein gewöhnlicher Husten, sondern ein richtiges Asthma. 

Ich drehte um, Richtung Werkstatt. Zwischen den einzelnen Fehlzündungen probte ich den Text für Mike. 

»Da bin ich wieder«, sagte ich. »Mademoiselle macht immer noch die alten Mucken. Hören Sie selbst, Mike.«

Und während ich so sprach - zuerst wollte ich's gar nicht glauben - aber es konnte kein Zweifel sein: Während ich noch sprach, verfiel Mademoiselle allmählich in eine normale Gangart.

»Hören Sie mich, Mike?« Ich steigerte meine Stimme. 

»Was habe ich Ihnen gesagt? Jetzt glauben Sie mir hoffentlich, Mike.«

Mademoiselles Tempo war klaglos und gleichmäßig. Das Summen ihres Motors klang wie Musik. 

Und dabei ist es seither geblieben. Wenn sie mich mit Mike sprechen hört, benimmt sie sich wie ein wohlerzogenes Auto. Die kleine Anstrengung und das gelegentliche Kopfschütteln der Passanten, besonders wenn die Verkehrsampel auf Halt steht, muß ich eben auf mich nehmen.