43. Marie Goldt

(Freitag, 16. Dezember 2011)

»Heute fällt Flamenco aus, weil Mercedes krank ist. Hast du zufällig Lust auf einen kleinen Bummel im Schanzenviertel? Ich hab noch nicht alle Geschenke für Weihnachten zusammen und bin ganz wild auf etwas Neues zum Anziehen! Im Übrigen brauchst du dringend Abwechslung, meine Liebe. Ist ja kaum mitanzusehen, wie du dich quälst.« Mit diesen Worten boxte Julia mich sanft in die Rippen, als wir nach dem Unterricht unsere Fahrräder aufschlossen, um nach Hause zu fahren. Mittlerweile war der Schnee platt gedrückt und die Straßen so gut gestreut, dass man sich wieder problemlos aufs Rad schwingen konnte. »Okay, überredet«, antwortete ich. »Aber nur wenn wir in den schönen Kitschladen in der Susannenstraße gehen. Da wollte ich nämlich noch nach Ohrringen für mich suchen.«

Kurze Zeit später stellten wir unsere Räder an der Post ab und starteten mit unserem Bummel. Doch sosehr ich mich auch bemühte, nicht an Dylan zu denken und mich zu amüsieren, es wollte mir einfach nicht gelingen. Seit Tagen war das nun schon so. Julia hatte mir am Mittwoch sogar das Handy abgenommen, damit ich nicht in Versuchung kam, ihm eine SMS zu schreiben. Die Sache mit Niki hatte sie nämlich ebenfalls alarmiert und auch sie war der Meinung, dass ein bisschen Vorsicht zu diesem Zeitpunkt nicht schaden konnte. »Na, wie steht mir das?«, fragte Jule mit funkelnden Augen, als wir in der Boutique Große Freiheit nach Klamotten stöberten. Julia probierte gerade ein blutrotes, eng geschnittenes Kleid mit Wasserfallausschnitt und ich ein goldfarbenes, paillettenbesetztes Top an, das ich gern zu Silvester tragen wollte, wenn … »Du siehst traumhaft aus, Süße«, lobte ich Julia und staunte mal wieder, was meine Freundin alles tragen konnte. Ich selbst hätte in dem Kleid wahrscheinlich gewirkt, als wollte ich zum Karneval. »Und du siehst aus wie eine echte Goldmarie«, ergänzte Julia und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Schade, dass wir zu Silvester verreist sind und ich keine Party geben kann. Diese Outfits müssten dringend ausgeführt werden!« Nachdem wir beide unsere Shopping-Ausbeute bezahlt hatten, ließen wir uns schließlich erschöpft auf eines der Sofas im Bedford Café plumpsen und bestellten zur Ankurbelung des Kreislaufs eine Cola sowie ein Stück Kuchen. Dank Nives musste ich mir zum Glück nicht mehr allzu viele Sorgen um das Thema Geld machen. Außerdem wartete ja noch eine Bonuszahlung am Ende des Jahres auf mich sowie die Aussicht, zu Hause nichts mehr abgeben zu müssen, sobald Kathrin im Januar mit ihrem neuen Job anfing. Versonnen schaute ich aus dem Fenster und beobachtete die Leute, die mit aufgeschlagenem Mantelkragen oder eingemummelt in Daunenjacken am Café vorbeigingen. Als ich einen dunkelhaarigen Typen mit Ziegenbärtchen entdeckte, zuckte ich zusammen. War das etwa Dylan? Ich war kurz davor, aufzuspringen und ihm hinterherzuhechten. Aber war er es auch wirklich gewesen oder fing ich vor lauter Sehnsucht schon an zu halluzinieren? »Was ist los? Hast du ein Gespenst gesehen?«, wollte Julia wissen und schaute nun ebenfalls aus dem Fenster. »Ich dachte … da sei Dylan vorbeigegangen«, stammelte ich. Julia streichelte meine Hand und sah mich dann ganz ernst an. »Marie, ich mache mir langsam Sorgen um dich. Es ist zwar durchaus normal, dass Liebeskummer an den Nerven zerrt, aber ich finde, das geht jetzt ein bisschen zu weit. Dylan kommt Sonntag wieder und wird sich melden, wie er es versprochen hat. Bis dahin musst du versuchen, ruhig zu bleiben und ein bisschen Spaß zu haben. Was ist, wenn er plötzlich vor dir steht und sagt, dass du die Frau seines Lebens bist und er diese Woche Abstand gebraucht hat, um das zu erkennen? Dann stellst du fest, dass du dir eine ganze Woche Panik und Nerventerror komplett hättest sparen können.« Ich spürte, wie Widerwillen in mir hochstieg. »Und was, wenn er sagt, dass genau das Gegenteil der Fall ist und dass er nach London zieht, um dort für immer mit Niki zusammen zu sein?« Oh mein Gott, was für eine schreckliche Vorstellung!

»Dann musst du leider lernen, damit umzugehen«, antwortete Jule leise und hielt zum Glück immer noch meine Hand.

»Das kommt alles von diesem blöden Andreasnachtzauber. Hätte ich bloß niemals meine Haarspange hinter dem Schränkchen versteckt! Ich wünschte, ich könnte das alles rückgängig machen«, schimpfte ich. Abrupt ließ Julia meine Hand los. »Stimmt ja, das habe ich komplett vergessen. Gut, dass du es sagst. Wir müssen diese dumme Spange holen. Und zwar so schnell wie möglich!«

»Aber Dylan ist doch verreist«, maulte ich, wütend auf mich selbst. Warum hatte ich nur mit diesem Mist experimentiert? Und warum hatte ich mich nicht rechtzeitig um ein Gegenmittel gekümmert?! Meine Karriere als Magierin war beendet, ehe sie begonnen hatte. »Umso besser«, murmelte Julia und fing an zu grinsen. Ich schaute sie an und es dauerte einen Moment, ehe der Groschen bei mir fiel. »Oh nein. Das werden wir ganz bestimmt nicht tun! Wir brechen nicht bei Dylan ein, damit das klar ist. Lieber sterbe ich an Liebeskummer, als eine solche Straftat zu begehen!« Jule grinste immer noch. »Wer sagt denn, dass du dabei sein sollst? Du darfst laut den Gesetzen dieses Zaubers deine Spange eh nicht mehr sehen, sonst erleidest du – ich zitiere - unmenschliche Qualen, und das tust du doch jetzt schon. Lass mich mal machen und zerbrich dir nicht weiter den Kopf. Die Sache ist so gut wie erledigt und spätestens Sonntag wirst du dich fühlen wie neugeboren! Und ab dann will ich folgende Frage aus deinem zauberhaften Mund hören, falls der Typ wider Erwarten doch noch bei dir auftaucht: Dylan? Wer ist eigentlich Dylan?«

Goldmarie auf Wolke 7
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